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Religion und Fortschritt: Versöhnung der Widersprüche?


Studiosus

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Der wissenschaftliche, kulturelle und ethische Fortschritt stellt für alle Religionen eine kaum mehr übersehbare Belastungsprobe dar. In einer modernen, aufgeklärten Welt, in welcher der Mensch zum Mond fliegt und Krankheiten heilt, der Natur die letzten Geheimnisse abringt und ganze Universen in Computern erschafft, kratzt der Stachel des Fortschritts an der Jahrhunderte alten Patina überkommener Glaubenssysteme und religiöser Institutionen.

 

Dies sei zum Anlass genommen einmal im Grundsatz nach der Beziehung zwischen Fortschritt und religiöser Tradition zu fragen. Vielfach kann man beobachten, dass die Religion dem Fortschritt in Wissenschaft, Technik und Ethik versteinert und unverrückbar gegenübersteht. Das Selbstverständnis vieler Religionen, durch übernatürliche Stiftung eingesetzt worden zu sein, ihren Glauben und ihre Moral aus einer inspirierten Offenbarung zu schöpfen und im Vollbesitz der Wahrheit zu sein, lässt einen unvoreingenommenen Dialog zwischen Glaube und Unglaube, Wissenschaft und Dogma, Fortschritt und Tradition selten zu. Diese Diagnose gilt für die großen monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) ebenso wie für die polytheistischen, östlichen Glaubenssysteme (Hinduismus, Buddhismus, Taoismus etc.) in je stärkerem oder schwächerem Grade. Es soll nicht bestritten werden, dass es in allen genannten Religionen jeweils Strömungen innerhalb der Gläubigen gibt, die versuchen neue Erkenntnisse in die alten Stoffe ihres Glaubens einzuweben. Allerdings soll es hier eher um die dogmatische oder doktrinäre Sicht gehen, wie sie in Lehre und Überlieferung der Religionsgemeinschaften festgehalten ist (Tanach, Bibel, Koran etc.).

 

Zur Veranschaulichung einige allgemeine Beispiele, die mit Einschränkungen, in den meisten Glaubenssystemen (G) gelten und denen von Seiten der modernen Wissenschaften (W) widersprochen wird:

 

Schöpfung

G: Die Welt in der wir leben ist eine Schöpfung Gottes.

W: Die Entstehung des Universums, und damit auch unseres Planeten, ist nicht auf das Walten eines Gottes zurückzuführen. Alternativmodell: Urknall-Theorie (witzigerweise von einem belgischen Jesuiten grundgelegt).

G: Tiere und Pflanzen sind Geschöpfe Gottes. An deren Spitze der Mensch als Krone der Schöpfung steht.

W: Die Entwicklung der Tier- und Pflanzenwelt ist ein hochkomplexer, über Jahrmillionen dauernder Prozess. Alternativmodell: Evolutionstheorie nach. Ch. Darwin. Der Mensch stellt hierbei keine Ausnahme dar.

 

Offenbarung

G: Die Heiligen Schriften sind göttlich inspiriert.

W: Die religiösen Schriften sind Versuche der Menschheit, ihre Erfahrungen, Ängste, und ethischen Vorstellungen in Worte zu fassen. Sie gehen nicht auf göttliche Eingebung zurück. Vielmehr liegt ihnen ein allgemeiner, mythischer Ansatz der Welterklärung zu Grunde (Ätiologie). Alternativmodell: Die Entdeckung babylonischer Mythen (Gilgamesch, Enuma elisch).

 

Moral

G: Die verbindliche Moral- und Sittenlehre entspringt der übernatürlichen Offenbarung und darauf aufbauender Lehr- und Rechtsquellen. Der Mensch hat einen freien Willen, der ihn moralisch oder unmoralisch handeln lässt.

W: Moral ist relativ und kultur- und zeitabhängig. Der freie Wille des Menschen ist naturwissenschaftlich nicht evident. Vielmehr unterliegt der Mensch diversen biologischen und psychologischen Zwängen. Die einzigen moralischen Verpflichtungen ergeben sich aus allgemein akzeptierten Rechten, den Menschenrechten oder demokratischen Verfassungen, die allesamt nicht natürlichen Ursprungs (Naturrecht) sind, sondern Konventionen.

 

Jenseits

G: Es gibt ein Leben nach dem Tod. Der Mensch besitzt eine unsterbliche Seele, die sein irdisches Leben überdauert. Nach dem Tod erwartet den Menschen, gemäß seines moralischen und religiösen Lebens, Lohn, Läuterung oder Strafe. (Leibliche) Auferstehung oder Wiedergeburt sind Realitäten.

W: Mit dem Tod ist die Existenz beendet. Eine unsichtbare, unsterbliche Seele gibt es nicht. Ebenso sind Himmel, Hölle, Fegefeuer religiöse Vorstellungen, die durch keinerlei Evidenz gestützt sind. Auferstehung und Wiedergeburt kann es, gemäß den Gesetzen der Biologie und Physik, nicht geben.

 

 

Dies sind, wohlgemerkt verflacht, einige immer wiederkehrende Reibungspunkte zwischen dem, was ich als Fortschritt bezeichnen würde, und den Glaubensüberzeugungen der verschiedenen Religionen.

 

Der Ruf nach einer Religion, die ihr Dogma auf das zivilisatorische Niveau der Moderne hebt ist, nicht erst seit den Diskussionen um einen aufgeklärten Islam, laut. Davon dürfen sich auch Christen nicht ausnehmen. Daher möchte ich die entscheidende Frage stellen: wie weit kann Religion auf Wissenschaft und Fortschritt zugehen ohne sich selbst dabei zu verlieren und ihrem Glauben untreu zu werden? Kann sie es überhaupt? Welchen Nutzen versprächen sich säkulare Gesellschaft und Religionen gleichermaßen von einem Schritt aufeinander zu? Kann ein Gläubiger zugleich in beiden Welten leben? In der fortschrittlichen und der religiösen? Wie geht man mit dieser Diskrepanz (Schizophrenie) um?

 

Oder um es kurz zu machen: Können Religionen im 21. Jahrhundert noch ihre authentische Lehre verkünden ohne sich in den Augen der Welt lächerlich zu machen und die Gesellschaft zu spalten?

 

Da dieser Faden auch in die Arena passen würde darf er gerne verschoben werden.

 

Saluti cordiali,

Studiosus.

bearbeitet von Studiosus
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Und was oben vielleicht nicht ganz deutlich wurde: besonders würden mich natürlich die Implikationen für den christlichen bzw. katholischen Glauben interessieren. Welchen Platz hat Christus in dieser modernen Welt noch? Welchen Stellenwert haben Dogmen, wenn es keine metaphysische Gewissheit gibt? Kann ein Katholik guten Gewissens den Segnungen der modernen Wissenschaft folgen?

 

Saluti cordiali, 

Studiosus. 

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Die Widersprüche entstehen doch eigentlich nur, weil beide Seiten, G und W einen sehen wollen.

zur Schöpfung: Da hat schon De Cardin gesagt, es mache im Ergebnis keinen Unterschied, ob sich Gott eines Lehmklumpens oder eines Affen bedient habe, um den Menschen zu schaffen. Dieser Satz nicht wörtlich genommen (ein Problem ist, dass zu viele zuviel wörtlich nehmen), sondern sinngemäß weiteretwickelt, gibt es keinen Widerspruch mehr.

Zur Offenbarung: Da sehe ich keinen Widerspruch zwischen  deinen Thesen. Außer, man versteht unter Offenbarung ein Diktat, so wie bei den Moslems. Das ist nun tatsächlich nicht mit der Wissenschaft vereinbar

Zur Moral: Die hängt an der Offenbarung. Wenn man natürlich glaubt, die " verbindliche Moral- und Sittenlehre" sei jemandem von einer himlichen Gestalt eingeflüstert worden, dann ist das nicht mit der Wissenschaft vereinbar. Aber tut das jemand (ja, die Moslems, aber lassen wir die mal außen vor). Tut man das nicht, gibt es keinen Widerspruch.

Jenseits: das kann keiner wissen, weder die Wissenschaft, noch die Religion. Das ist ein streit um Kaisers Bart.

 

Werner

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vor 10 Minuten schrieb Studiosus:

Oder um es kurz zu machen: Können Religionen im 21. Jahrhundert noch ihre authentische Lehre verkünden ohne sich in den Augen der Welt lächerlich zu machen und die Gesellschaft zu spalten?

 

Das hängt davon ab, was man zur "authentischen Lehre" dazuzählen mag. Wenn man Aussagen über naturwissenschaftliche Belange dazuzählt, dann wird es schwierig. Schon alleine "leibliche Himmelfahrten" - streng naturwissenschaftlich betrachtet, führen an Grenzen, von der "Auferstehung der Toten" gar nicht zu  reden.

 

Wenn man - was ja auch ein Versuch vieler katholischer Theologen ist (auch bei Papst Benedikt) - es möglich macht, theologische Aussagen von naturwissenschaftlichem "Beiwerk" zu befreien, dann kann es funktionieren.

 

Der Rest ist eine Frage der Akzeptanz, sofern theologisch untermauerte moralische Empfehlungen ausgesprochen werden. Nicht so sehr im Hinblick darauf, dass Nichtgläubige das nicht verstehen werden (das ist heutzutage allemal kein Problem mehr, da sich auch die Kirchen immer mehr darauf zurückziehen, dass ihre Vorgaben nur für ihre Mitglieder gültig sind), sondern im Hinblick darauf, dass vielleicht auch Gläubige das nicht teilen. Man kann mit der "Pillenenzyklika" natürlich kommen, aber man sollte sich nicht wirklich wundern, wenn sich niemand daran hält.

 

Darüber hinaus gehe ich davon aus, dass sich auch "die authentische Lehre" verändern wird. Muss sie auch und musste sie auch immer schon, denn sonst wäre das Christentum schon längst weg.

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vor 5 Minuten schrieb Werner001:

Da hat schon De Cardin gesagt

 

Ehrlichweise muss man aber sagen, dass Teilhard de Chardin mit dieser und ähnlichen Aussagen ziemliche Probleme mit den Glaubenshütern seiner eigenen Kirche bekommen hat.

 

"Rehabilitiert" wurde er erst bedeutend später. Und nicht unbedingt von den Dogmatikern.

 

Saluti cordiali, 

Studiosus. 

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vor 18 Minuten schrieb Studiosus:

Da dieser Faden auch in die Arena passen würde darf er gerne verschoben werden.

 

Da dies eher eine Frage an Gläubige ist, scheint mir der Ort schon angemessen.

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vor einer Stunde schrieb Marcellinus:

 

Da dies eher eine Frage an Gläubige ist, scheint mir der Ort schon angemessen.

 

Da sich vermutlich bald Jocke dazu meldet, ist eine Verschiebung in die Katakombe besser...

 

(Bietet jemand auf GG?)

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vor 6 Minuten schrieb Higgs Boson:

 

Da sich vermutlich bald Jocke dazu meldet, ist eine Verschiebung in die Katakombe besser...

 

(Bietet jemand auf GG?)

 

Dabei habe ich mir mit dem Eröffnungspost so viel Mühe gegeben.... *schnief* :/

 

Saluti cordiali, 

Studiosus. 

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vor 38 Minuten schrieb Studiosus:

 

Dabei habe ich mir mit dem Eröffnungspost so viel Mühe gegeben.... *schnief* :/

 

Saluti cordiali, 

Studiosus. 

 

Hast du, ohne Zweifel! 

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vor einer Stunde schrieb Studiosus:

 

Dabei habe ich mir mit dem Eröffnungspost so viel Mühe gegeben.... *schnief* :/

 

Saluti cordiali, 

Studiosus. 

 

An dieser Stelle möchte ich Dir versichern, ich würde Dir gern antworten, nur benötige ich dafür etwas mehr Zeit. Jedoch, wenn das in die GG verschoben wird, werde ich nicht antworten, da ich offen gestanden keine Lust habe, erst einen Anfrag auf temporäre Schreiberlaubnis dort zu stellen.

 

DonGato. 

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Eigentlich muß es keinen Widerspruch geben. Wissenschaften sind keine Weltanschauungen. Wissenschaften sind der organisierte Versuch von Menschen, sich in dieser Welt zu orientieren, indem man nachprüfbares Wissen entwickelt, Wissen darüber, wie beobachtbare Tatsachen nachprüfbar zusammenhängen. Richtig ist allerdings, daß sie entstanden sind, weil die Erklärungsmodelle, die darauf beruhten, die Ereignisse in dieser Welt auf die Absichten, Ziele und Handlungen als übernatürlich gedachter Verursacher zurückzuführen, erkennbar gescheitert waren. 

 

Die Erklärungsmodelle der Wissenschaften dagegen sind erfolgreich, gerade weil sie keine dogmatischen Wahrheiten verkünden, sondern ihr Theorien immer nur solange gelten, bis es besser durch empirische Tatsachen belegte gibt. Übermenschliche oder übernatürliche Vorstellungen lassen sich prinzipiell nicht belegen. Das ist der eigentliche Grund, warum ein methodischer (nicht weltanschaulicher) Naturalismus Grundlage der Wissenschaften ist.

 

Der Widerspruch ist wesentlich entstanden, weil die Religionen (eigentlich meinen wir hier nur die christliche, aus Gründen die man vielleicht separat diskutieren sollte) für sich ein exklusives Welterklärungsmonopol beanspruchten. Hätten die kirchlichen Autoritäten zugestanden, daß sie in Fragen der beobachtbaren Wirklichkeit über keinen besonderen Erkenntniszugang verfügen (Behauptungen kann man ja auch hier gelegentlich lesen). Soweit sie darauf weiterhin (wider besseres Wissen) bestehen, wird auch der Widerspruch bestehen bleiben.

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4 hours ago, Werner001 said:

Die Widersprüche entstehen doch eigentlich nur, weil beide Seiten, G und W einen sehen wollen.

zur Schöpfung: Da hat schon De Cardin gesagt, es mache im Ergebnis keinen Unterschied, ob sich Gott eines Lehmklumpens oder eines Affen bedient habe, um den Menschen zu schaffen. Dieser Satz nicht wörtlich genommen (ein Problem ist, dass zu viele zuviel wörtlich nehmen), sondern sinngemäß weiteretwickelt, gibt es keinen Widerspruch mehr.

Zur Offenbarung: Da sehe ich keinen Widerspruch zwischen  deinen Thesen. Außer, man versteht unter Offenbarung ein Diktat, so wie bei den Moslems. Das ist nun tatsächlich nicht mit der Wissenschaft vereinbar

Zur Moral: Die hängt an der Offenbarung. Wenn man natürlich glaubt, die " verbindliche Moral- und Sittenlehre" sei jemandem von einer himlichen Gestalt eingeflüstert worden, dann ist das nicht mit der Wissenschaft vereinbar. Aber tut das jemand (ja, die Moslems, aber lassen wir die mal außen vor). Tut man das nicht, gibt es keinen Widerspruch.

Jenseits: das kann keiner wissen, weder die Wissenschaft, noch die Religion. Das ist ein streit um Kaisers Bart.

 

Werner

 

Stimme dir zu. 

 

Ich habe fuer mich nicht keinen wirklichen Widerspruch zwischen Religion und "Fortschritt" entdeckt, wobei es sowieso unklar ist, was mit "Fortschritt" gemeint ist. Herzverpflanzung ist auch ein "Fortschritt", Fortschritt als Entwicklung von Wissenschaft ist eine Sache,  Zeitgeist  ein ganz andere (das feiert man auch oft als "Fortschritt"). Letzlich ist es immer die Frage, welche ethischen Masstaebe angesetzt werden bei bestimmten "Fortschritten" (Intensivmedizin, Sterbehilfe, vorgeburtliche Diagnostik), ob das eher zu Bedarfsethik neigt oder zu grundsaetzlichen moralischen Aussagen, meines Erachtens hat das lediglich mit Moeglichkeiten, welcher die Menschheit inzwischen hat. Fortschritt ist kein Selbstlaeufer mit einer eigenen Ethik oder Moral, sondern lediglich eine Bewegung in irgendeine Richtung, eine Entwicklung, die sich daraus ergibt, dass es keinen Status Quo gibt auf der Welt. 

 

Eine  gegeneinander Abwaegung von Wissenschaft (Fortschritt) und Religion (Tradition) habe ich noch nie fuer sinnvoll gehalten. Vor allem, weil beide Bereiche voellig unterschiedliche Beduerfnisse abdecken und in ihrer Methodik und ihrer Zielsetzung nicht vergleichbar sind. Es gibt den methodischen Atheismus in der Wissenschaft, der verhindert, dass religioeses  Denken in den wissenschaftlichen Prozess als Erklaerungsmuster einfliesst, mehr braucht es eigentlich nicht. 

 

Letzen Endes muessen ethische Fragen gesellschaftlich am Fall und Bedarf besprochen und aushandeln. Wenn ich  sehe, welche Unterschiede es in manchen bioethischen Fragen zwischen den USA, Spanien, Grossbritannien und Deutschland gibt, herrschen gewaltige Unterschiede in den Auffassungen was sein darf und was nicht (z.B. der Zeitpunkt der Organentnahme etc.). Natuerlich muss jemand eine Stellung dazu haben, von der aus er sich in die Diskussion einbringen kann. Letzlich aber wird es sehr oft auf Kompromisse hinaus laufen und nicht auf dogmatische weltanschauliche und religioese Grundsaetze, auf Ausnahmen von der Regel oder dem Versuch, Entwicklungen einzudaemmen, die fuer gefaehrlich gehalten. Aber auch da ergeben sich bereits gewaltige Unterschiede in den Denkansaetzen (siehe Verbot der Leihmutterschaft in Deutschland, siehe Embryonenschutzgesetze, siehe Eingriff ins Erbgut in Grossbritannien).  Sicher wuerde es vielleicht als einfacher erscheinen es gaebe da ein uebergeordnetes objektive Gesetz, an dem man sich orientieren koennte und sicher sein, das Richtige zu tun. Allerdings gibt es dieses nicht.

 

 

 

 

bearbeitet von Long John Silver
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Gerade eben schrieb Long John Silver:

Es gibt den methodischen Atheismus in der Wissenschaft, der verhindert, dass religioeses  Denken in den wissenschaftlichen Prozess als Erklaerungsmuster einfliesst, mehr braucht es eigentlich nicht. 

 

Ich nenne das lieber "methodischen Naturalismus". "Atheismus" wird zu leicht mit einer Weltanschauung verwechselt.

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13 minutes ago, Marcellinus said:

 

Ich nenne das lieber "methodischen Naturalismus". "Atheismus" wird zu leicht mit einer Weltanschauung verwechselt.

 

Ja, natuerlich. Hast voellig recht. Wollte es eigentlich auch so schreiben, weil es den Kern der Sache trifft. 

 

War einfach schlampig formuliert. Auch so was kann dann unter Umstaenden zu Missverstaendnissen fuehren ;))

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Ich möchte noch, angeregt durch die Beiträge von @Marcellinus und @OneAndOnlySon, kleine Ergänzungen vornehmen: 

 

1. Marcellinus hat richtig darauf hingewiesen, dass der naturalistische Ansatz der wissenschaftlichen Methoden nicht mit einer Art von Weltanschauung verwechselt werden sollte. Dem stimme ich auch zu und würde daher gerne meinen Begriff von Fortschritt auch auf "moderne" Weltanschauungen ausdehnen, die keinen direkten Gottesbezug aufweisen: Humanismus, Säkularismus, Laizismus.

 

2. OneAndOnlySon hat sehr populäre und lebensnahe Beispiel für den von mir postulierten Dissens zwischen Fortschritt und Religion beigebracht: Intensivmedizin, Sterbehilfe, pränatale Diagnostik. Ich würde dies gerne um vier Bereiche, künstliche Verhütungsmittel, Akzeptanz der Homosexualität als natürliche Sexualpräferenz, künstliche Befruchtung und Legalisierung von Abtreibung, erweitern. Müssten sich die Kirchen bzw. Glaubensgemeinschaften in diesem Punkt ehrlich machen und der Lebensrealität ihrer Anhänger anpassen?

 

Diese durchaus fortschrittlichen Verfahren und Institutionen scheinen mir in der Bevölkerung, die nicht religiös sozialisiert ist oder einer eher säkularen Glaubenspraxis anhängt, durchweg anerkannt und als Selbstbestimmung des Individuums akzeptiert zu sein. Interessant fände ich hierzu die Haltung von praktizierenden Gläubigen. Wie kann über diese aus der Sicht der Religionen kontroversen Themen eine Verständigung stattfinden? Inwiefern geht das Bekenntnis zum Glauben und das Gutheißen der genannten Praktiken zusammen?

 

Leider kann ich diese Aspekte nicht mehr direkt in meinen Eingangspost einfügen. Ich hoffe aber, dass man es auch hier liest.

 

Saluti cordiali, 

Studiosus. 

bearbeitet von Studiosus
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vor 7 Minuten schrieb Studiosus:

Inwiefern geht das Bekenntnis zum Glauben und das Gutheißen der genannten Praktiken zusammen?

Das Bekenntnis zum Glauben und die differenzierte Betrachtung des Einzelfalls geht zusammen unter dem theologischen Konzept der Epikie/Oikonomia.

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Ja, Individualethik ist ein bedeutender Standpfeiler der katholischen Soziallehre. 

 

Allerdings muss die Frage erlaubt sein, inwiefern ein kasuistischer Ansatz dem Anspruch der Religionen im Allgemeinen entgegensteht, allgemeingültige Gebote und Verbote für ihre Anhänger zu erlassen. Nicht jedes Glaubenssystem kennt diese individualistischen Ansätze. 

 

Hier wäre auch die Frage angebracht, welche Stellung das Individuum gegenüber dem Kollektiv in religiösen Belangen einnimmt.

 

Saluti cordiali, 

Studiosus. 

bearbeitet von Studiosus
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vor 37 Minuten schrieb Studiosus:

Allerdings muss die Frage erlaubt sein, inwiefern ein kasuistischer Ansatz dem Anspruch der Religionen im Allgemeinen entgegensteht, allgemeingültige Gebote und Verbote für ihre Anhänger zu erlassen. Nicht jedes Glaubenssystem kennt diese individualistischen Ansätze.

Nicht jeder Gläubige ist an Geboten und Verboten interessiert. Die Religionen müssen zunächst dem Anspruch der Gläubigen genügen, ihnen einen Mehrwert zu bieten. Eine Religion, der die Gläubigen ausgehen kann verbieten soviel sie will, es nützt wieder ihr noch ihren Gläubigen.

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vor 44 Minuten schrieb Studiosus:

Marcellinus hat richtig darauf hingewiesen, dass der naturalistische Ansatz der wissenschaftlichen Methoden nicht mit einer Art von Weltanschauung verwechselt werden sollte. Dem stimme ich auch zu und würde daher gerne meinen Begriff von Fortschritt auch auf "moderne" Weltanschauungen ausdehnen, die keinen direkten Gottesbezug aufweisen: Humanismus, Säkularismus, Laizismus.

 

Laizismus ist aus meiner Sicht eher ein politisches Konzept, Säkularismus, ähnlich wie der Atheismus, ein Aspekt ganz unterschiedlicher Weltanschauungen, und Humanismus schließlich ein Begriff, um dessen inhaltliche Bedeutung gerade unter Humanisten heftig gerungen wird. Letztlich sind das nur Begriffe.

 

Fortschritt ist dagegen ein anderes Thema. War es im 19. Jh. (und auch in Teilen des 20.) noch die Vorstellung, es ginge gewissermaßen naturgesetzlich mit der Menschheit immer weiter aufwärts, so ist dieser Begriff heute vielen Menschen eher zweifelhaft geworden, trotz (oder vielleicht gerade wegen) so vieler unbestreitbarer Fortschritte, die real stattgefunden haben. Jedenfalls haben wir uns von einem unkritischen Fortschrittsoptimismus verabschiedet. Andererseits sprechen die Fakten gegen die weit verbreitete Vermutung, es würde alles immer schlechter. Es sind wohl eher die unbewußten Überreste religiöser Sozialisation, die unsere Zukunftserwartung zwischen Paradies und Untergang schwanken lassen. Die beobachtbare Wirklichkeit spricht eher dafür, daß wir uns durchwurschteln werden wie bisher.

 

Du hast eine Liste von Begriffen angeführt, Intensivmedizin, Sterbehilfe, pränatale Diagnostik, künstliche Verhütungsmittel, Akzeptanz der Homosexualität als natürliche Sexualpräferenz, künstliche Befruchtung und Legalisierung von Abtreibung, die nicht ganz konstistent ist. Die meisten sind erst einmal Teil der medizinisch-wissenschaftlichen Entwicklung, die Akzeptanz der Homosexualität dagegen rein ein soziales Phänomen. Das hätte etwas anders ausgesehen, hättest du die Intensivmedizin rausgelassen und die restlichen Begriffe unter dem Obergriff "Selbstbestimmung" zusammengefaßt, wo sie meiner Ansicht nach hingehören. Diese Entwicklung hin zu mehr Autonomie in der eigenen Lebensgestaltung, die wir in den letzten mindestens 100 Jahren erlebt haben, immer wieder unterbrochen von Ausbrüchen von Kollektivismus, würde dann auch ein bißchen erklären, warum die Kirchen, und namentlich hier die katholische, zunehmend in Konflikte geraten ist sowohl mit ihren Mitgliedern als auch den Gesellschaften von Menschen insgesamt.

 

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@Marcellinus

Ja, Intensivmedizin passt nicht wirklich. Aber ich wollte den ursprünglichen Zusammenhang nicht zerstören. Was ich meinte drücke ich in meinen Ausführungen ja aus: Selbstbestimmung des Individuums. So wollte ich es auch verstanden wissen.

 

Dass diese Kategorien (Laizismus, Humanismus etc.) nie eine vollkommene, allgemein akzeptierte Definition haben werden, kann man hinnehmen. Es sollte uns aber nicht hindern, sie als Gegenentwurf der tradierten, religiösen Weltanschauung in der Diskussion zu verwenden.

 

Saluti cordiali,

Studiosus.  

bearbeitet von Studiosus
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16 minutes ago, Xamanoth said:

Die Gläubigen haben dem Anspruch von Kirche, Gott und Religion zu genügen, nicht umgekehrt. 

Das mag stimmen, wird aber tendenziell zur inhaltsleeren Tautologie:

 

Wenn man, wie Du es hier tust, denjenigen Glaeubigen, die dem Anspruch nicht genuegen, den Glauben abspricht, dann genuegen qua definitione alle uebriggeblienen Glaeubigen halt den Anspruechen.  Das fuehrt zu zwei Widerspruechen:

 

Erstens, diejenigen Glaeubigen, denen Du gerade den Glauben abgesprochen hast, halten sich durchaus noch fuer Katholiken.  Und die Amtskirche pflichtet ihnen sogar bei: Schliesslich sind sie gueltig getauft, und die Bistuemer haben kein Problem damit, ihre Kirchensteuer einzukassieren, selbst wenn sie verhueten, vor der Ehe schnackseln, und nur ein paar mal im Jahr im GD aufkreuzen.  Das Problem ist hier die Definitionshoheit: Du definierst Glaeubige als diejenigen, die dem Anspruch genuegen.  Die Glaeubigen selber definieren sich aber anders, und die Amtskirche pflichtet der Masse der Glaeubigen bei.

 

Zweitens: Stellen wir uns mal vor, Du bekommst irgendwann mal Recht: Diejenigen, die den Anspruechen nicht genuegen, werden aus der Kirche rausgeworfen.  Das erledigt sich zu einem gewissen Grade von alleine: Ultra-Konservative und fundamentalistische Katholiken schaffen es ganz gut, die Durchschnitts-Mitglieder aus der Kirche zu vergraulen.  Wenn irgendwann mal die Hardliner die politische Macht in der Kirche uebernehmen, und mit "anathema sit" Ernst machen, dann wird die katholische Kirche leer sein (nicht die einzelnen Gebaeude, sondern der Leib Christi).  Und bekanntlich ist jede Aussage ueber eine leere Menge wahr.  Deine Forderung "die Glaeubigen haben dem Anspruch von Kirche, Gott und Religion zu genuegen" wird dann wahr, wenn keine Glaeubigen mehr da sind.

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Weil wir gerade bei Themen der Morallehre waren: Quasi in Echtzeit kommt die Information, dass die belgischen Broeders van Liefde der Aufforderung des Papstes, Sterbehilfe in ihren Einrichtungen künftig nicht mehr anzubieten, nicht gehorchen werden:

 

In unseren Einrichtungen respektieren wir die Freiheit der Ärzte, Euthanasie zu verüben oder nicht, und die Freiheit anderen Pflegepersonals, dabei zu assistieren oder nicht. Diese Freiheit garantiert das Gesetz.

 

http://de.catholicnewsagency.com/story/absage-an-franziskus-belgiens-broeders-van-liefde-weigern-sich-sterbehilfe-zu-stoppen-2326

 

Saluti cordiali, 

Studiosus. 

bearbeitet von Studiosus
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vor 1 Minute schrieb Baumfaeller:

Das mag stimmen, wird aber tendenziell zur inhaltsleeren Tautologie:

 

Wenn man, wie Du es hier tust, denjenigen Glaeubigen, die dem Anspruch nicht genuegen, den Glauben abspricht, dann genuegen qua definitione alle uebriggeblienen Glaeubigen halt den Anspruechen.  Das fuehrt zu zwei Widerspruechen:

 

Erstens, diejenigen Glaeubigen, denen Du gerade den Glauben abgesprochen hast, halten sich durchaus noch fuer Katholiken.  Und die Amtskirche pflichtet ihnen sogar bei: Schliesslich sind sie gueltig getauft, und die Bistuemer haben kein Problem damit, ihre Kirchensteuer einzukassieren, selbst wenn sie verhueten, vor der Ehe schnackseln, und nur ein paar mal im Jahr im GD aufkreuzen.  Das Problem ist hier die Definitionshoheit: Du definierst Glaeubige als diejenigen, die dem Anspruch genuegen.  Die Glaeubigen selber definieren sich aber anders, und die Amtskirche pflichtet der Masse der Glaeubigen bei.

 

Zweitens: Stellen wir uns mal vor, Du bekommst irgendwann mal Recht: Diejenigen, die den Anspruechen nicht genuegen, werden aus der Kirche rausgeworfen.  Das erledigt sich zu einem gewissen Grade von alleine: Ultra-Konservative und fundamentalistische Katholiken schaffen es ganz gut, die Durchschnitts-Mitglieder aus der Kirche zu vergraulen.  Wenn irgendwann mal die Hardliner die politische Macht in der Kirche uebernehmen, und mit "anathema sit" Ernst machen, dann wird die katholische Kirche leer sein (nicht die einzelnen Gebaeude, sondern der Leib Christi).  Und bekanntlich ist jede Aussage ueber eine leere Menge wahr.  Deine Forderung "die Glaeubigen haben dem Anspruch von Kirche, Gott und Religion zu genuegen" wird dann wahr, wenn keine Glaeubigen mehr da sind.

M.E. würde es dem Katholizismus eine solche Beschränkung auf den "heiligen Rest" gut anstehen. Eine Volkskirchevist zwangsläufig zu Kompromissen gezwungen. Auch die Evangelikalen Gemeinden in Deutschland sind vergleichsweise klein, aber in Glaubens- und Lebenspraxis konsequent.

 

Im übrigen spreche ich den Glauben nicht jenen ab, die den Geboten nicht gerecht werden, sondern denen, die die Verbindlichkeit der Gebote verneinen.

 

Im Übrigen halte ich die Naturwissenschaftliche Problematik für viel erheblicher. Mir ist keine intellektuell redliche Verbindung von Glauben und Evolutionlehre bekannt, ebensowenig zwischen Seelenglaube und moderner Neurobiologie.

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