Jump to content

Längs oder zentral und warum?


Flo77

Recommended Posts

Hallo Zusammen,

 

 

in der europäischen Tradition des Kultraumbaus ist die Konstruktion längsorientierter Anlagen nach meinem Eindruck die dominante vor der Anlage von Zentralbauten. Die Längsorientierung findet sich schon in den Jerusalemer Tempeln, in römischen, griechischen und ägyptischen Anlagen und ich meine ältesten europäischen Tempelanlagen auf Malta sind an einer Längsachse aufgezogen.

 

Neolithische, keltische und germanische Kultplätze sowie Tempel in Asien, Indien und Südamerika scheinen in der Regel eher Zentralbauten zu sein. Auch im orthodoxen Christentum ist der Zentralbau die bevorzugte Bauform.

 

Gibt es für diese unterschiedlichen Konzepte eine denkbare theologische bzw. sozio-religionsgeschichtliche Deutung, die über die Herleitung der christlichen Basilika aus der römischen Königshalle hinausgeht? Zumal diese Herleitung nicht erklärt, warum die Orthodoxe den Zentralbau bevorzugt. 

 

Oder täuscht einfach mein Eindruck?

bearbeitet von Karfunkel
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Hagia Sophia: Gebaut, als es noch keinen Unterschied zwischen katholischer und orthodoxer Kirche gab (und die Vorfahren von Martin Luther sich noch von Baum zu Baum schwangen).  Quadratischer Grundriss, aber längliches Gewölbe.  Der Altar war am Ende des Gewölbes.  Also ein Kompromiss zwischen lang und zentral: das Gewölbe und der Altar am Ende ist der "lang" Aspekt, der Grundriss und der Ausblick der "zentral".

 

Die wenigen Synagogen, in denen ich schon war, sind meistens innen rund oder beinahe quadratisch, aber mit der Empore und Altar/Schrein an einem Ende: Wieder dieser Kompromiss.  Aber genau das gleiche gilt für die christlichen Kirchen-Neubauten (die ich meist für Konzerte besuche, und leider häufiger für Totengottesdienste).  Wahrscheinlich ist das eher eine Frage des Praktischen (wie kann man mit möglichst wenig Geld möglichst viele Sitzplätze hinbekommen), ohne das das ganze vollständig pietätlos wirkt.

 

Eine interessante Frage ist, ob es im Grundriss von Kirchen einen erheblichen Unterschied zwischen katholisch und protestantisch gibt.  In der Verwendung von Schmuck ist der Unterschied ja oft riesig, mit vielen innen kahlen Gebäuden.  Hier in Kalifornien wird da oft Holz verwendet, das sieht besser aus als weiss getünchter Putz.  Hat auch eine bessere Akustik.  Letzten Freitag war ich in einer Methodisten-Kirche (für die Johannespassion): eine riesige Scheune, innen mit hellem Holz verkleidet, der einzige "Schmuck" ist ein riesiges Kreuz hinter der Empore an der Wand, und eine sehr sichtbare Orgel.  Quadratisch, praktisch, langweilig.

 

 

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Markante evangelischen Kirchenbauten sind häufig als Zentralbauten ausgeführt (z.B. Dresdner Frauenkirche). Da gibt es ja durchaus theologische und vorallem liturgische Gründe. Der lutherische (und erst recht der reformierte) Gottesdienst ist vor allem Predigtgottesdienst. Dafür ist eine traditionelle Basilika, die für die große Einzugsprozession und das Hofzeremoniell ausgelegt wurde, im Grunde eher unpraktisch.

 

Beim modernen Kirchenbau sind auch die Architekten katholischer Bauten auf die Illusionen von Sichtbeton, Sichtklinker, Askese, etc. reingefallen. Dazu kommt eine größere Varianz der Formensprache (Zelt Gottes, Schiff, Stern, etc.). Das hat sicherlich auch mit den theologischen Entwicklungen rund um Vat2 zu tun, lässt aber leider offen, ob die Raumordnung auch schon zu römischer oder noch weiter zurückliegender Zeit schon auf einen Unterschied im Gemeinschaftsverständnis hindeutet.

 

Konkreter: deutet die Längsorientierung auf eine hierarchisch streng organisierte Gemeinschaft, während der Zentralbau auf flachere Strukturen hinweist?

 

 

 

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 11 Minuten schrieb Flo77:

Konkreter: deutet die Längsorientierung auf eine hierarchisch streng organisierte Gemeinschaft, während der Zentralbau auf flachere Strukturen hinweist?

 

Die Hagia Sophia ist ein Zentralbau, und es gibt vermutlich kaum eine strenger organisierte Gesellschaft als die byzantinische. Das Pantheon in Rom ist auch ein Zentralbau, aber symbolisiert ein ganz anderes Verständnis. Hier steht der Mensch im Mittelpunkt, während die Götterbilder in den Nischen rund herum angeordnet waren. Im Bezug auf deine Frage kann die Antwort nur „nein“ heißen.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

24 minutes ago, Flo77 said:

... (Zelt Gottes, Schiff, Stern, etc.) ...

Raumschiff Gottes?  Gottes Waschmaschine?

 

Nun, die Tatsache, dass moderne Architekten regelmäßig Gebäude verhunzen, sollte nicht von Deiner interessanten theoretischen Frage ablenken.  Vor ein paar Jahren war ich mal in San Francisco in der Kathedrale (die interessanterweise Maria gewidmet ist, nicht dem heiligen Franziskus).  Bitte mal nach "Cathedral of Saint Mary of the Assumption" googeln.  Von Aussen ist das Gebäude interessant, eine kreuzförmige Version des Münchner Olympiastadions, nur halt aus Beton und Fliesen.  Sieht allerdings genau so aus wie der Propeller in eine Waschmaschine (die altmodischen amerikanischen, die ihre Öffnung oben haben).  Von innen ist es deprimierend und erdrückend: Man sitzt unter dem Zeltdach, was von innen vor allem wie dicker und schwerer Beton aussieht (und auch ist!).  Und das in einer Stadt, die vor allem für ihre schönen Männer und schweren Erdbeben bekannt ist; da wundert man sich schon, wie flach man nach dem nächsten Erdbeben sein wird.  Irgendwie haben die Architekten es geschafft, die brutale Klarheit der Moderne (mit Beton und Glas) mit dem Ambiance einer Katakombe zu verbinden.  Setzen, sechs.

bearbeitet von Baumfaeller
Tippfehler.
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 8 Stunden schrieb Baumfaeller:

Von innen ist es deprimierend und erdrückend: Man sitzt unter dem Zeltdach, was von innen vor allem wie dicker und schwerer Beton aussieht (und auch ist!). 

 

Mal unabhängig von der Geoseismik: Mir gefällt die Kirche innen. Ich bin mit solchen Kirchen aufgewachsen und in solchen Kirchen christlich sozialisiert worden.

 

Ob es da einen objektiven Blickwinkel gibt, stelle ich mal in Frage. Über Geschmack kann man (nicht) streiten.

 

Von außen - na ja. Ziemlich bizarr. Und Dein Vergleich mit amerikanischen Waschmaschinen passt wunderbar.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 10 Stunden schrieb Baumfaeller:

Eine interessante Frage ist, ob es im Grundriss von Kirchen einen erheblichen Unterschied zwischen katholisch und protestantisch gibt.

Evangelische Kirchen haben häufig viele Emporen für die Gläubigen, gerne auch auf drei Seiten, nur nicht über dem Altar. In katholischen Kirchen habe ich das so noch nicht gesehen, da gibt es selten mehr als eine Orgelempore für den Chor, auf die Normalsterbliche normalerweise nicht gelangen. Ausnahmen bestätigen die Regel: In meiner Heimatgemeinde gab es Emporen über den Seitenschiffen.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 13 Stunden schrieb Marcellinus:

 

Die Hagia Sophia ist ein Zentralbau, und es gibt vermutlich kaum eine strenger organisierte Gesellschaft als die byzantinische. Das Pantheon in Rom ist auch ein Zentralbau, aber symbolisiert ein ganz anderes Verständnis. Hier steht der Mensch im Mittelpunkt, während die Götterbilder in den Nischen rund herum angeordnet waren. Im Bezug auf deine Frage kann die Antwort nur „nein“ heißen.

Daß die byzantinische Gesellschaft streng organisiert war, widerspricht meiner These nicht. Ich sprach nämlich nicht von Gesellschaft, sondern von (Religions-)Gemeinschaft. Die Frage war, ob es für die Form des Raums theologische Gründe gibt, die sich in Lehre und Organisation wiederfinden lassen.

 

Für die Zeit von 870-1970 ist für die römische Kirche die Verwandtschaft zum Hofzeremoniell nicht zu leugnen. Und das spiegelte sich auch im Verhältnis Klerus/Laien wieder. Ist also die Abkehr von der Längsorientierung und der Schwenk zum Zentralbau (Zelt, Stern, Schiff, Polygon, etc.) eine Reaktion auf das Aggiornamento und der Versuch die neue Unmittelbarkeit zwischen Mensch (da wären wir dann beim Pantheon) und Göttlichem zu vermitteln?

 

 

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 32 Minuten schrieb Flo77:

Für die Zeit von 870-1970 ist für die römische Kirche die Verwandtschaft zum Hofzeremoniell nicht zu leugnen.

 

 

War das in der orthodoxen anders? Meines Wissens nicht, im Gegenteil. Der Gottesdienst in der Hagia Sophia wurde meistens in Anwesenheit, wenn nicht sogar unter der Leitung des Kaisers gefeiert.

bearbeitet von Marcellinus
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Ich würde Kirchenbauten eher von ihrer äußeren Funktion her beurteilen. Es war immer „Beeindruckungsarchitektur“. Die ersten Kirchen orientierten sich an den Basiliken, weltlichen Prachtbauten, bei denen es vor allem um prächtige Innenräume  ging.

 

Die Hagia Sophia sollte vor allem durch ihre große Kuppel beeindrucken, und hat das auch Jahrhunderte lang getan, so sehr, daß die ersten Moscheen nach diesem Muster gebaut wurden. Die gotischen Kathedralen beeindruckten durch ihre Höhe.

 

Immer ging es darum, ein bißchen mehr zu machen als der Nachbar, und ehrlicherweise auch ein bißchen mehr, als man eigentlich beherrschen konnte. Die erste Kuppel der Hagia Sophia ist ja auch eingebrochen, manche Kathedralen auch.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Wobei, so ganz kann das auch nicht stimmen. Die meisten Tempel im antiken Ägypten, Griechenland oder Rom waren Längsbauten, auch im Westreich, und es ist eindeutig, daß sich die ersten Kirchen an den Basiliken Roms orientierten.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Was bedeutet in dem Zusammenhang denn „Zentralbau“? Nach meinem Empfinden wäre das „Altar in der Mitte, Gläubige drum rum“

Das kenne ich nur von modernen Kirchen. Speziell auch orthodoxe Kirchen sind in diesem Sinn praktisch immer geostet,  somit in eine Richtung ausgerichtet. 

Das ist auch bei der Hagia Sophia der Fall, trotz Zentralkuppel.  Die Kirche ist/war aber nicht auf die Kuppel oder den Punkt unter der Kuppel ausgerichtet, sondern auf den Altar in der östlichen Apsis.

ich hab in den letzten Jahren eine ganze Anzahl griechische Kirchen angeschaut, die meisten entsprechen diesem Prinzip. Von außen wirken sie durch die Kuppel oft wie ein Zentralbau, tritt man ein, ist die Längsausrichtung sehr deutlich.

 

Bei orientalischen Kirchen ist das auch von außen schon deutlich, weil die idR keine Kuppel haben.

 

Werner

bearbeitet von Werner001
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Nein, der Kirchenbau orientiert sich immer an den liturgischen Zwecken und greift zur Symbolik in der selbstverständlich theologische Aussagen  liegen. Allerdings unterliegt die Liturgie einem Wandel. Auch die Prioritäten, was man ausdrücken will, wandeln sich.

 

(Stil- und Modefragen und Beeindruckungsarchitektur sind Binsen.)

Schade, dass Karfunkel nicht da ist.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 29 Minuten schrieb Edith1:

Nein, der Kirchenbau orientiert sich immer an den liturgischen Zwecken und greift zur Symbolik in der selbstverständlich theologische Aussagen  liegen. 

 

Das gilt aber eher für die Innenausstattung, und wie @Werner001 oben geschrieben hat, paßt das in alle möglichen Gebäudeformen.

bearbeitet von Marcellinus
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Wobei, so ganz kann das auch nicht stimmen. Die meisten Tempel im antiken Ägypten, Griechenland oder Rom waren Längsbauten, auch im Westreich, und es ist eindeutig, daß sich die ersten Kirchen an den Basiliken Roms orientierten.


Wie gesagt, es ist ewig her...
Irgendwo habe ich ein Skriptum vergraben, wo mehr dazu steht.
Von Ägypten habe ich es so in Erinnerung, dass auch da das Zyklische entscheidend war - in dem Fall die ständig wiederkehrende Ablagerung von Nilschlamm. Dieser Zyklus musste gefördert  - jedes Ausbleiben, jede Verspätung war zerstörerisch. So entstanden erste Rituale, Mysterienkulte und Mythen, in denen es darum ging, dass alles durch Wasser bedeckt ist und dann irgendwo ein Stein herausschaut, der in Wirklichkeit eine Bergspitze ist und den die Sonne bestrahlt. Die sichtbare Manifestation dieser Erzählung waren die Pyramiden (die zuerst Stufenpyramiden waren). Die Erfahrung im Hintergrund war: Alles Leben kommt aus der Zerstörung: eine ständige zyklische Bewegung.

Ja, schade, dass Karfunkel nicht da ist.


Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 8 Minuten schrieb Ennasus:


Wie gesagt, es ist ewig her...
Irgendwo habe ich ein Skriptum vergraben, wo mehr dazu steht.
Von Ägypten habe ich es so in Erinnerung, dass auch da das Zyklische entscheidend war - in dem Fall die ständig wiederkehrende Ablagerung von Nilschlamm. Dieser Zyklus musste gefördert  - jedes Ausbleiben, jede Verspätung war zerstörerisch. So entstanden erste Rituale, Mysterienkulte und Mythen, in denen es darum ging, dass alles durch Wasser bedeckt ist und dann irgendwo ein Stein herausschaut, der in Wirklichkeit eine Bergspitze ist und den die Sonne bestrahlt. Die sichtbare Manifestation dieser Erzählung waren die Pyramiden (die zuerst Stufenpyramiden waren). Die Erfahrung im Hintergrund war: Alles Leben kommt aus der Zerstörung: eine ständige zyklische Bewegung.

 

Ich bestreite nicht, daß du diese Vorstellungen richtig wiedergibst, nur hat sich das eben anders in den Bauten niedergeschlagen. Die Gesellschaften waren streng hierarchisch organisiert. Damit der Kreislauf des Lebens erhalten blieb, brauchte es den Pharao. Und so sahen auch ihre Tempel aus, lange Prozessionswege, die am Ende im Allerheiligsten endeten, die nur noch wenige betreten durften. 

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

In den ersten beiden Jahrhunderten gab es keinen Bedarf an größeren Versammlungsräumen, sprich: Kirchen. Die frühen Christen war da ganz pragmatisch. Es wurden Wohnräume bzw. Wohnhäuser zu Hauskirchen adaptiert. Davon zeugt die Hauskirche von Dura Europos die auf etwa 232/233 nach Christuns datiert wird. Sie ist eine der ältesten archäologisch nachgewiesenen Kirchen der Christenheit. Ihr Grundriss ist annähernd quadratisch. Etwa im 3. Jahrhundert erfolgte der Bau der ersten Kirchen die von vornherein als Gotteshäuser vorgesehen waren. Vermutlich orientierten sie sich in Architektur und Bauweise an die römischen Markt- und Versammlungshallen, waren also rechteckige Längsbauten mit einigen Nebenräumen. Unter Konstantin wurde dieser Stil - der "Basilika"-Stil - weiter gepflegt. Daneben trat, ebenfalls angelehnt an römische Vorbilder (wie zb. das Pantheon oder die Engelsburg in Rom, letzteres übrigens als Mausoleum für Kaiser Hadrian erbaut) der Zentralbau. So ist die Lateranbasilika in Rom, die zwischen 312 und 324 erbaut wurde, ein Langhaus, das ihr zugehörige eigenständige Baptisterium ein Zentralbau. Interessant ist, dass im Westen über die Jahrhunderte hinweg zwar die Basilika als Grundform dominierte, die Baptisterien aber als Zentralbauten ausgeführt wurden. Gibt in Italien wundervolle Beispiele dafür, etwa in Pisa, Ravenna und Florenz.

 

Dass sich im Westen der Basilika-Baustil durchsetzte, hängt wohl von der Art und Weise der Messfeier zusammen: vorne am Altar der Priester und die Verkündigung, auf die die Gemeinde quasi linear ausgerichtet ist und auf die sie sich zur Eucharistie nach vorne hin bewegt. Der Architekt und Kirchenbau-Theoretiker Rudolf Schwarz bezeichnete daher diese Art des Kirchenbaus als Weg-Kirche. Beim Zentralbau des Baptisteriums war das insofern anders, als das hier im Zentrum des Baus das Taufbecken ist. Das waren, wie man in Ravenna noch sehr schön sieht, nicht diese mickrigen Schalen von heute, sondern noch wirkliche Becken in die der Täufling so richtig eingetaucht - quasi von Kopf bis Fuß eingetauft - werden konnte. 

bearbeitet von Mistah Kurtz
kleine Ergänzungen
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Also, Mitschrift und Skriptum (theologischer Fernkurs Wien) rausgesucht:

Hintergrund hinter den unterschiedlichen Baustilen ist der Mentalitätsunterschied zwischen der Kirche im Osten (neuplatonistisch, Materie und Leiblichkeit negativ bewertend, philosophisch spekulativ) und der Kirche im Westen (praktisch, nüchtern, zielorientiert; im Mittelpunkt steht der Mensch mit seinen Pflichten und seinem Handeln und das Gesetz). 

Im Westen hat sich - da steht aber eh schon genug im Thread - daraus der "lineare" Langbau der Basilika entwickelt, primär einfach, weil es die vorherrschende Architektur des römischen Versammlungsraums war. Die Übernahme der Form dieser öffentlichen Hallen war auch Ausdruck des neuen Selbstbewusstseins der Christen. Sie passt aber - wie ich schon geschrieben habe, auch von der Symbolik her. Das Langhaus steht für den Weg hin auf Christus, auf das Ziel der Geschichte. Welt und Geschichte sind ausgerichtet auf ihre Vollendung durch Gott. Die Kirchen sind geostet als Symbol für die Erwartung der Wiederkunft Christi, des Aufgangs der "Sonne der Gerechtigkeit" im Osten. In der Liturgie schreiten die Gläubigen dem Herrn entgegen.  (Besonders schönes Beispiel: Basilica di Sant'Apollinare Nuovo )

 

Die Hagia Sophia (Göttliche Weisheit!) als Beispiel für den im Osten typischen Zentralbau wurde ja auch schon genannt. Da steht das neuplatonische Denken im Vordergrund: Edle Materialien (Marmor, Mosaik, Email, Gold im Überfluss) zur Verherrlichung Gottes - aber diese Materie wird durch das göttliche Licht, das sinnlich erfahrbar durch die Kirchenfenster (in der Hagia Sophia eine Kuppel mit 40 Fensteröffnungen) strahlt, wie aufgelöst. Die Kuppel schwebt fast schwerelos über dem quadratischen Zentralbau. Auch die Wände sind durch alle möglichen architektonischen Elemente (Seitenräume, Arkaden, Galerien) durchbrochen, wirken leicht und durchlässig und sorgen zusammen mit den Mosaiken und dem alles durchflutenden Licht für eine "entmaterialisierende Wirkung".
Wenn die Kuppel vor dem Christentum für den verschlossenen (heidnischen) Kosmos stand, wurde sie nun zum Symbol für die Welt der ewigen Ideen bzw. die Herrlichkeit des Reiches Gottes. "Der lichtdurchflutete Zentralbau smbolisiert also die Himmelssehnsucht der Neuplatoniker. (...) Der Kirchenbau des Ostens steht also ganz in einer philosophischen Tradition, in der von Alters her Kreis und Kugel eine zentrale Rolle spielen. Der heilige Raum ist der Ort für die (augenblickshafte) Gnade der Schau der göttlichen Herrlichkeit." (Wiener theolog. Kurse, Skriptum II, Seite 44)

Später kam es dann immer wieder zu einer Verbindung von Zentralbau mit Kuppel und Längsbau, im Petersdom z.B. Aus der Verschmelzung von geschichtlichem Zugang und augenblickshafter Erfahrung des göttlichen Lichts wird der Gedanke der Heilsgeschichte.  
 

bearbeitet von Ennasus
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Ich kannte bis vor wenigen Jahren historische Kirchen im Westen nur als Längsbauten. Rund angelegte Kirchen waren stets neueren Datums und allesamt nach dem 2. Vatikanum gebaut, wobei das nicht notwendigerweise alle neuen Kirchen betraf.

 

Im Jahr 1992 war ich das erste Mal in Dresden, also ziemlich kurz nach der Wende, und ich konnte dort einen ziemlich opulenten Steinhaufen betrachten, der mal eine Kirche gewesen war, die Frauenkirche.

 

Als Münchnerin assoziiere ich mit 'Frauenkirchen' einen (für mich) erdrückenden Kirchenbau, der in seiner Nüchternheit nicht zu überbieten ist, kahl, kalt, alt, weiß. Entweder war die Kirche schon immer so hässlich, oder der Wiederaufbau nach dem Krieg ist eine architektonische Fehlleistung ohne gleichen.  Gut, ich mag Gotik sowieso nicht.

 

Jedenfalls habe ich es absolut nicht verstanden, dass man die Dresdner Frauenkirche so unbedingt wieder aufbauen wollte.

 

Vor ein paar Jahren waren wir dann wieder mal in Dresden. Und natürlich haben wir uns die wiederaufgebaute Frauenkirche angesehen. Ich habe mir ehrlich gesagt nichts erwartet und war innerlich ziemlich angepisst, wieso man so eine komplette Unsumme für den Wiederaufbau zusammen gebettelt hat.

 

Man hätte das Geld besser den Armen gegeben...

 

Doch dann stand ich drin und verstand. Ich habe verstanden, warum die Dresdner so unbedingt ihre Frauenkirche wieder haben wollten. Diese Kirche hat eine Seele - sowas habe ich noch nie erlebt. Ich war später noch mal drin, habe dann auch meinen Mann mitgeschleppt, der genauso begeistert war. Keine Ahnung warum, aber dieser Kirchenbau wird geliebt.

 

Die Frauenkirche in Dresden dürfte der älteste nichtbyzantinische Rundbau sein, der als christliche Kirche geplant wurde. Für Katholiken ist verstörend, dass der Altar nicht wirklich zu sehen ist, der versteckt sich irgendwo hinter der Kanzel, die vorne zentral angebracht ist. Was aber logisch ist, betrachtet man die Zeit, in der die Kirche geplant wurde.

 

Sie ist definitiv in allem ein Gegenentwurf zum Langbau.

bearbeitet von Higgs Boson
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Wir haben heute einen Ausflug gemacht und festgestellt, dass die Abteikirche in Neresheim ein Zentralbau ist

 

Werner

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Ein ziemliches Kleinod klassizistischer Architektur habe ich durch Zufall im Netz gefunden:

 

https://www.koethen-anhalt.de/de/st-maria.html

 

(Wobei ich das Fehlen "katholischer Bilderwelt" durchaus als Manko empfinde - wohlahnend, daß der Raum für den sonst üblichen Stilmix an Figuren und Bildern überhaupt nicht geeignet sein dürfte.)

bearbeitet von Flo77
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Join the conversation

You can post now and register later. If you have an account, sign in now to post with your account.

Gast
Auf dieses Thema antworten...

×   Du hast formatierten Text eingefügt.   Formatierung jetzt entfernen

  Only 75 emoji are allowed.

×   Dein Link wurde automatisch eingebettet.   Einbetten rückgängig machen und als Link darstellen

×   Dein vorheriger Inhalt wurde wiederhergestellt.   Clear editor

×   You cannot paste images directly. Upload or insert images from URL.

×
×
  • Neu erstellen...