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Schwarz-Weiß-Malerei


duesi

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vor 9 Stunden schrieb Marcellinus:

 

Das ist einfach nicht richtig. Ich habe versucht, dir das am Beispiel der vorehelichen Geschlechtsverkehrs zu zeigen. Es mag die moralische Vorstellung der Mehrheit sein, daß das nicht mehr unter Strafe zu stellen ist, die moralische Vorstellung aller ist das nicht. Wenn es keine gemeinsame moralische Identität aller Menschen einer Gesellschaft gibt, ist deine Behauptung, gemeinsame Gesetze beruhten auf gemeinsamen Moralvorstellungen, schlicht falsch. Gesetze mögen auf den moralischen Vorstellungen derer beruhen, die die Gesetze erlassen. Mit den moralischen Vorstellungen der Mehrheit einer Gesellschaft muß das nicht übereinstimmen. Nimm das Beispiel der Sterbehilfe, sicherlich auch eine moralische Frage. Die Mehrheit der Gesellschaft ist dafür, die Gesetze verbieten sie. Wo bleibt da die Moral? 

Okay. Es sind nicht immer die Moralvorstellungen der Mehrheit, die der Gesetzgebung zugrunde liegen. Aber eine Gesellschaft, in der die Mehrheit nicht grundlegend den Moralvorstellungen, die der Gesetzgebung zugrunde liegen, zustimmt, steht auf tönernen Füßen. Unsere Demokratie basiert darauf, dass die Mehrheit die Moralvorstellung hat, dass Gesetzte demokratisch entschieden werden sollten. Sollten jetzt irgendwann 50% der Bevölkerung Verfassungsfeinde, Monarchisten, oder ähnliches sein, würde es zur Revolte kommen. Die stabilsten Gesellschaften der Weltgeschichte sind diejenigen, in denen es über lange Zeiträume eine klare Zustimmung zur gesellschaftlichen Ordnung gegeben hat.

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vor 2 Stunden schrieb Long John Silver:

 

Hi, Duesi, Moral hat mit richtig und falsch nichts zu tun. Und Moral gehoert nicht zum Wesen von Gott. Moral ist stets ein rein menschliches Konzept.

Natürlich bewertet Moral gewisse Dinge als falsch und andere als richtig. Also hat es etwas mit richtig und falsch zu tun. Und bei einer theologischen Ethik wird das als moralisch richtig bewertet, was in Übereinstimmung mit Gottes Gebot ist und das als moralisch falsch bewertet, was gegen Gottes Gebot ist.

 

vor 2 Stunden schrieb Long John Silver:

 

Hi, Duesi, Moral hat mit richtig und falsch nichts zu tun. Und Moral gehoert nicht zum Wesen von Gott. Moral ist stets ein rein menschliches Konzept.

 

Nur Gott kann  Richtig und Falsch unterscheiden. Die Menschen bilden sich zwar ein, es haetten etwas gebracht, vom Baum der Erkennrtnis zu essen, aber sie wurden damit trotzdem nicht Gott, was blieb ist die Einbildung, sie wuessten etwas ueber Richtig und Falsch. 

Das glaube ich im letzten auch. Dass Gott letztendlich besser weiß als wir, was moralisch richtig und falsch ist. Nur er ist der ultimative Richter und Gesetzgeber. Nur im Hinblick auf Gott können wir letztendlich lernen "falsch" und "richtig", "gut" und "böse" zu unterscheiden. Aber das heißt nicht, dass Gottes Gebote der menschlichen Erkenntnis und Vernunft völlig unzugänglich wären.

 

vor 2 Stunden schrieb Long John Silver:

Moral ist ein gesellschaftlicher Begriff und er ist so dehnbar wie Gesellschaften veraenderbar. Er hat weder mit Gott noch mit Jesus was zu tun. 

Natürlich ist es ein gesellschaftlicher Begriff. Aber das Volk, dessen Gott der Herr ist, ist auch eine Gesellschaft. Und sie hat auch Moralvorstellungen, die sie von Gott und Jesus ableitet.

 

vor 2 Stunden schrieb Long John Silver:

Ich denke, du hast dich verheddert in den Begriffen. Die 10 Gebote z.B. haben nichts mit Moral zu tun, sondern mit Ethik und Erkenntnissen ueber das, was dem menschlichen Zusammenleben gut tut, also bestimmte Regeln, die sich als vorteilhaft erwiesen fuer das Zusammenleben in einer Gemeinschaft. 

Alles, was mit Ethik zu tun hat, hat auch mit Moral zu tun. Denn Ethik ist laut Definition die Lehre von der Moral. Davon zu sprechen, dass etwas "ethisch" wäre, ist Blödsinn. Richtig wäre zu sagen, dass man aus ethischen Überlegungen Aussagen darüber trifft, was man für moralisch richtig und falsch hält.

vor 2 Stunden schrieb Long John Silver:

Im uebrigen gibt es Dinge, die ich fuer grundsaetzlich falsch halte (auch wenn die Gesellschaft was anderes sagt).  Ich denke nicht, dass es sinnvoll ist, sich jedem Versuch, ein klares Urteil zu faellen, zu entziehen,  im Gegenteil, eine solche Haltung halte ich sogar fuer schlecht. Nur ist die Frage, auf welche Basis dieses Urteil entsteht und  vor allem, um welche Themen es geht. Und mit falsch meine ich nicht gut oder boese, sondern falsch und richtig. Gottes  Gerechtigkeit kommt nicht aus einem Denken der Justiz, sondern von der Vorstellung, dass Gott die Dinge "richtig" stellt, ins rechte Lot bringt, das, was wir Menschen nicht koennen.  Das Urteil ueber richtig und falsch haengt fuer mich damit zusammen, dass ich Dinge als unrund empfinde, als eben "nicht richtig", nicht stimmig. Ich muss aber sagen, dass es natuerlich auf dieser Ebene bleibt, denn ich kann nicht sagen, was wirklich stimmig waere, diese Struktur zu erkennen, bleibt mir verschlossen.

Ich denke, dass man "gut" und "böse" sowie "falsch" und "richtig" nicht auseinanderhalten kann. Entweder etwas ist moralisch richtig. Dann ist es heilig, gerecht und gut. Oder etwas ist moralisch falsch. Dann ist es gottlos, ungerecht und böse.

 

Letztendlich können wir Menschen die Dinge nicht ins rechte Lot bringen. Aber es gibt Verheißungen in der heiligen Schrift, die klare Aussagen über die Frucht von guten und richtigen Moralvorstellungen machen. Beispielsweise: "Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben." Also ist das "gerecht" und "gut", was ein Volk erhöht. Und das "ungerecht" und "böse", was ein Volk zum Niedergang führt. Oder die Strafe, dass Menschen "in ihren Begierden dahin gegeben werden, damit sie von anderen Völkern überrannt werden können". Oder dass die Führungsrolle in der Welt letztendlich dem Volk zuteil werden wird, dessen Gott der Herr ist und die nach ihm fragen. Die Gerechtigkeit schaffen und sich des Armen erbarmen. Und ja, die Unterscheidungsfähigkeit zwischen "gut" und "böse" zu erlernen, ist letztendlich eine lebenslange Aufgabe. Ich maße mir auch nicht an, in allen Fällen unterscheiden zu können, was wirklich "stimmig wäre"

vor 2 Stunden schrieb Long John Silver:

Und natuerlich gibt es Dinge, die ich als Suende empfinde zu tun. Aber das hat auch mit Moral nichts zu tun, sondern mit der Empfindung,  sich von Gott getrennt zu haben, etwas getan zu haben, was im Grund nicht vereinbar mit mir selbst ist. 

.Besser wäre zu sagen "Dinge, die ich für Sünde halte". Denn Gefühle und Empfindungen sind oft keine guten Ratgeber. Was uns von Gott trennt, können wir nur in der Auseinandersetzung mit seinen Geboten und mit seiner Geschichte mit seinem Volk erkennen.

bearbeitet von duesi
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vor 7 Stunden schrieb Frank:

Wenn "Empathie" mit Mitleid übersetzt wird stellen sich dem Pfleger die Nackenhaare auf und die Zehennägel legen sich in Dauerwelle.

Wenn wir von Empathie sprechen ist "Einfühlungsvermögen" gemeint. Sich in die Situation des zu Pflegenden hineinversetzen. Rein denken in die Lage des zu pflegenden. Das ist - um nur ein Beispiel zu nennen - bei validierenden Gesprächen mit Demenzkranken der erste Schritt, die Gefühle des Bewohners zu erspüren.

Insbesondere die Schule (uns Praktiker lässt man ja nicht, aber das ist ein anderes Thema) betreibt viel Aufwand den Azubis Empathie bei zu bringen. Empathie kann man lernen.

Mitleid birgt auch immer die Gefahr die Augenhöhe zu verlieren und den zu Pflegenden klein zu machen - Empathie hingegen wahrt die Augenhöhe. 

So wie das Wort "Mitleid" heute verstanden wird, ist es wohl echt besser, von Empathie zu sprechen. Allerdings habe ich Mitleid in meiner Kindheit (meine Familienangehörige sind in den 70er Jahren als Russlanddeutsche nach Deutschland gekommen, wo sich die Kultur der Deutschen ein wenig anders entwickelt hat als hier) noch als ein sehr positives Wort mitbekommen. Mein Opa erzählte beispielsweise von einem Mann, dessen Frau früh gestorben war und der kleine Kinder hatte, mit denen er alleine überfordert war. Und dass dann eine Frau "Mitleid" mit ihm hatte und ihn heiratete. Für meinen Opa war das keinesfalls negativ und ich habe das als Kind auch nicht negativ wahrgenommen. Für heutige deutsche Ohren klingt das allerdings sogar sehr negativ, so als würde die Frau den Mann als minderwertig ansehen und ihn eigentlich gar nicht wollen. Ich glaube auch, dass wenn in der Bibel das Wort Mitleid steht, dass es keinesfalls herablassend gemeint ist. Heute sollte man wohl eher die Worte "Mitgefühl" oder "Empathie" verwenden.

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vor 2 Stunden schrieb duesi:

 Die stabilsten Gesellschaften der Weltgeschichte sind diejenigen, in denen es über lange Zeiträume eine klare Zustimmung zur gesellschaftlichen Ordnung gegeben hat.

 

Aber das hat mit Moral nur am Rande zu tun. Ich denke, wir können es hier bewenden lassen. Du verstehst etwas anderes unter Moral als ich, und ziehst daraus Schlußfolgerungen, die ich nicht teile, aber daß wir unterschiedliche Vorstellungen haben, ist ja keine neue Erkenntnis.

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Ja, wir können es gerne bewenden lassen. Ich finde jedoch, dass die unterschiedlichen Vorstellungen gerade das Gespräch erst interessant machen. Wenn ich auf die Absolutheit von moralischen Urteilen hinweise, kannst du dich natürlich darauf zurückziehen, dass das Metaphysik ist und keine Wissenschaft. Wenn ich allerdings auf die soziologischen Implikationen von menschlichen Moralvorstellungen hinweise, ist das eine klare wissenschaftliche Fragestellung. Und dass du hier aussteigen möchtest, zeigt mir, dass du entweder keine Antworten hast oder dich die Fragestellung nicht interessiert oder dass du eine politische Agenda verfolgst, der eine mögliche Herausbildung einer Moralgesellschaft ein Dorn im Auge ist.

 

ich bin übrigens nicht der einzige, der sich nach einer öffentlichen Moral sehnt. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte bereits im Jahr 2000 ein Buch zu dem Thema geschrieben. Er war der Meinung, dass rücksichtsloser Egoismus und Anspruchshaltung nur durch eine öffentliche Moral überwunden werden könnten. Dass Massenarbeitslosigkeit, Skandale der politischen und wirtschaftlichen Eliten, Steuerbetrug und Jugendkriminalität nur durch ein Umdenken in der Gesellschaft überwunden werden könnten.

 

Doch Danke für das Gespräch.

bearbeitet von duesi
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vor 11 Minuten schrieb duesi:

Wenn ich allerdings auf die soziologischen Implikationen von menschlichen Moralvorstellungen hinweise, ist das eine klare wissenschaftliche Fragestellung. Und dass du hier aussteigen möchtest, zeigt mir, dass du entweder keine Antworten hast oder dich die Fragestellung nicht interessiert oder dass du eine politische Agenda verfolgst, der eine mögliche Herausbildung einer Moralgesellschaft ein Dorn im Auge ist.

 

Nein, was du schreibst, sind keine soziologischen Implikationen, sondern politisch-persönliche Wunschvorstellungen. Das ist etwas anderes. Soziologie, so wie ich sie verstehe, ist (oder sollte sein) eine theoretisch-empirische Menschenwissenschaft, die versucht, Modelle zu finden, wie die sozialen Tatsachen, die wir beobachten können, nachprüfbar miteinander zusammenhängen. Es ist also, umgangssprachlich formuliert, der Versuch, ein empirisch überprüfbares Bild zu entwerfen, wie dieses Welt ist, genauer gesagt, wie diese Welt geworden ist, wie sie ist.

 

Was man davon nicht nur unterscheiden, sondern auch trennen muß, sind die persönlichen Vorstellungen davon, wie diese Welt sein sollte. Darum scheint es dir zu gehen. Solche Vorstellungen kann man haben, man kann sie auch propagieren, nur sollte man sie nicht mit theoretisch-empirischer Wissenschaft verwechseln.

 

Ich habe das Buch von Schmidt nicht gelesen, habe es auch nicht vor. Beim Wort "Moralgesellschaft" schaudert es mich allerdings, denn die Moralisierung aller Lebensumstände ist gegenwärtig wohl eines der größten Problem unserer öffentlichen Debatte. Als Kontrastprogramm hätte ich da auch eine Buchempfehlung: Hypermoral: Die neue Lust an der Empörung. Von Alexander Grau. Das scheint mit aktueller als das Buch eines Politikers von vor 20 Jahren.

 

 

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Grau wiederholt allerdings in Trivialisierung Form was Gehlen schon vor 50 Jahren in „Moral und hypermoral“ schrieb. Seit ich das gelesen habe, erscheint „Hypermoralist“ mir viel treffender als „Gutmensch.“

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vor 13 Minuten schrieb Marcellinus:

Nein, was du schreibst, sind keine soziologischen Implikationen, sondern politisch-persönliche Wunschvorstellungen. Das ist etwas anderes. Soziologie, so wie ich sie verstehe, ist (oder sollte sein) eine theoretisch-empirische Menschenwissenschaft, die versucht, Modelle zu finden, wie die sozialen Tatsachen, die wir beobachten können, nachprüfbar miteinander zusammenhängen. Es ist also, umgangssprachlich formuliert, der Versuch, ein empirisch überprüfbares Bild zu entwerfen, wie dieses Welt ist, genauer gesagt, wie diese Welt geworden ist, wie sie ist.

Also, bitte differenzieren. Du bist doch als Wissenschaftler durchaus in der Lage, bei dem, was ich geschrieben habe, zu unterscheiden zwischen dem, was ich für wünschenswert halte und den Behauptungen über gesellschaftliche Zusammenhänge. Wenn ich zum Beispiel behaupte, dass das Herausbilden gemeinsamer Moralvorstellungen die Gruppenidentität (auch von sehr großen Gruppen wie einem ganzen Kontinent) stärken, dann ist das eine soziologisch nachprüfbare Behauptung. Wenn ich dann weiter frage, welche Folgerungen sich aus einer gemeinsamen Moralvorstellung für das Zusammenleben und die Politik ergeben, ist das auch eine soziologische Fragestellung. Wenn ich jedoch sage, dass eine Gesellschaft mit gemeinsamen Moralvorstellungen (und allen ihren Implikationen) wünschenswert sei, dann ist das natürlich keine soziologische Fragestellung, sondern eine persönliche Wertung.

 

Allerdings musst du, wenn du anderer Auffassung bist, argumentieren, weshalb du die Implikationen einer morallosen Gesellschaft (die sich soziologisch erforschen lassen) für vorteilhafter hältst als die Implikationen einer Moralgesellschaft (die sich ebenfalls soziologisch erforschen lassen). Natürlich ist und bleibt das abschließende Werturteil subjektiv und ist an sich keine wissenschaftliche Fragestellung.

 

 

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Danke für die Buchempfehlung. Es stehen allerdings schon so viele Bücher auf meiner Leseliste, dass es Monate dauern kann, bis überhaupt eine Aussicht darauf besteht, dass ich dazu kommen werde, es zu lesen.

 

Nach dem, was ich aus der Beschreibung entnehme, bewerte ich das Neuentstehen einer Moral nicht als so negativ wie du. Es sind vielleicht nicht die moralischen Werte, die ich für richtig halte. Aber man kann eine Moral nur mit einer Gegenmoral bekämpfen. Indem man offensiv die Dinge, die andere für moralisch falsch halten, für moralisch gerechtfertigt erklärt und andere Dinge, die andere für moralisch richtig halten, für moralisch verwerflich erklärt. Der Kampf gegen die Moral selbst ist ein Kampf gegen Windmühlen.

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Eine "Moralgesellschaft" ist eine Gesellschaft, in der moralische Werte im Alltagsleben eine Rolle spielen. In der Menschen zurechtgewiesen und bei gröberen Verstößen auch sanktioniert werden, die sich gegen die gemeinsamen moralischen Werte verhalten. Und in der Menschen Lob und Anerkennung erfahren, die sich im Sinne der gemeinsamen moralischen Werte verhalten. In der Menschen, die für die moralischen Werte gekämpft und gelitten haben, zu Vorbildern werden können.

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Long John Silver
vor 12 Minuten schrieb duesi:

Also, bitte differenzieren. Du bist doch als Wissenschaftler durchaus in der Lage, bei dem, was ich geschrieben habe, zu unterscheiden zwischen dem, was ich für wünschenswert halte und den Behauptungen über gesellschaftliche Zusammenhänge. Wenn ich zum Beispiel behaupte, dass das Herausbilden gemeinsamer Moralvorstellungen die Gruppenidentität (auch von sehr großen Gruppen wie einem ganzen Kontinent) stärken, dann ist das eine soziologisch nachprüfbare Behauptung. Wenn ich dann weiter frage, welche Folgerungen sich aus einer gemeinsamen Moralvorstellung für das Zusammenleben und die Politik ergeben, ist das auch eine soziologische Fragestellung. Wenn ich jedoch sage, dass eine Gesellschaft mit gemeinsamen Moralvorstellungen (und allen ihren Implikationen) wünschenswert sei, dann ist das natürlich keine soziologische Fragestellung, sondern eine persönliche Wertung.

 

Allerdings musst du, wenn du anderer Auffassung bist, argumentieren, weshalb du die Implikationen einer morallosen Gesellschaft (die sich soziologisch erforschen lassen) für vorteilhafter hältst als die Implikationen einer Moralgesellschaft (die sich ebenfalls soziologisch erforschen lassen). Natürlich ist und bleibt das abschließende Werturteil subjektiv und ist an sich keine wissenschaftliche Fragestellung.

 

 

 

Wo genau hat Marcellinus eine morallose Gesellschaft favorisiert? Es ging doch darum, dass Moral gesellschaftsabhaengig ist und kein uebergeordnetes Prinzip, das sich Gesellschaft quasi von selbst von oben ueberstuelpt, sondern dass in ihnen selbst durch sie und die Prozesse, die sie treiben, entsteht. 

 

Sorry, aber ich habe einfach das Gefuehl, dass du ganz viel durcheinander wirfst. 

 

Moral ist immer eine Erfindung der Leute und der Gesellschaften,  die sie brauchen. Natuerlich braucht und hat jede Gesellschaft ihre Moral. Anders geht es gar nicht. Aber was bitte hat das mit Gott und dem Evangelium? Das Evangelium predigt keine Moral, es predigt das Reich Gottes. Die Frohe Botschaft heisst Erloesung und Auferstehung und nicht Moral. Und im Gegensatz zu dir bin ich der Ansicht, dass der einzige, der erkennen kann, was Richtig und Falsch ist, Jesus ist, der Oeffner des Buches mit den Sieben Siegeln. Ich befuechte allerdings, dass wir sogar bei den Begriffen Richtig und Falsch keine Uebereinkunft haben und dass du etwas ganz anderes darunter verstehst, genau wie beim Begriff Moral. 

 

Das wird sehr schwierig, da weiter zu diskutieren. 

 

 

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Eigentlich ist das Gegenteil der Moralgesellschaft nicht die morallose Gesellschaft, sondern die Toleranzgesellschaft.

 

Toleranz an sich ist etwas gutes und vorbildhaftes. Duldsam und respektvoll gegenüber Menschen zu sein, die andere Ansichten haben, ist eine wertvolle Tugend. Aber es wird ins Schlechte verkehrt, wenn einem das moralische Bewerten von Handlungen im Namen der Toleranz verboten wird. Schon der Slogan "Keine Toleranz der Intoleranz" zeigt, dass man nicht gegenüber allem und jedem tolerant sein kann. Oder wollen wir tolerant sein gegenüber Holocaustleugnern und Kinderschändern? Eine Gesellschaft kann nicht funktionieren, wenn sie sich kein moralisches Urteil mehr erlaubt. Das Leitbild der Toleranzgesellschaft erstickt eigentlich den ethischen Diskurs. Man kann etwas nicht mehr als moralisch böse, falsch und verwerflich bezeichnen, weil das intolerant wäre.

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Long John Silver

Du verwechselst schon wieder etwas. Toleranz ist eine Form von Moral, die sich eine Gesellschaft verordnet, eine Wertvorstellung, und nicht das Gegenteil von Moral. 

 

Und noch mal: eine morallose Gesellschaft gibt es nicht. Irgendeine Moral hat jede Gesellschaft.

 

Ausserdem gibt es immer neben oder durchwoben mit der allgemeinen Moral die Moralen der verschiedenen Subkulturen mit ihren eigenen Werten, ein ziemliches Geflecht, das sich einerseits unter Umstaenden miteinander reibt, andererseits durchfliesst und sich gegenseitig veraendert, teilweise auch nebeneinander bestehen. 

 

 

 

 

bearbeitet von Long John Silver
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vor 19 Stunden schrieb duesi:

 

 

Und ja, dass du verhindern willst, dass Handlungen als "Irrtum, bösartig oder amoralisch" bezeichnet werden, zeigt, dass du mit aller Macht die Herausbildung einer Gruppenidentität verhindern möchtest. Und so kann Europa nicht zusammenwachsen. Die Straftaten von Christchurch, die Kreuzigungen durch den IS, die Genitalverstümmelung, Menschenrechtsverletzungen überall auf der ganzen Welt, alles nur Ausbund einer anderen Meinung und einer anderen Moral? NIchts, was es verdienst als böse und verabscheuungswürdig bezeichnet zu werden? Keine Handlungen, die das Urteil moralisch böse und bekämpfenswert verdienen? Nur die Moral selbst als größter Feind von allen? 

Es sind andere Moralvorstellungen. Ich lehne sie ab, aber trotzdem sind es Moralvorstellungen. Und sie stiften Gruppenidentität.

 

Mir gefällt deine Aufzählung übrigens nicht,sie scheint nur auf eine Bevölkerungsgruppe gemünzt.

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vor 18 Stunden schrieb Xamanoth:

Moment. Du bringst hier gesellschaftlich aufgestellte, allgemein anerkannte , informell durchgesetzte Maßstäbe und individuelle Handlungsmaximen durcheinander.

 

Eichmann bezeichnete es als Maxime seinem Vaterland vollumfänglich zu dienen und Volksfeinde mit allen Mitteln zu bekämpfen. Versuch mal darzulegen, warum dass gegen den Kategorischen Imperativ (den ich ablehne) verstößt.

Weil es kein allgemeingültiges Gesetz sein sollte,irgendetwas oder irgendjemandem " vollumfänglich" zu dienen. Und weil die Definition von " Volksfreunden" sehr beliebig ist,viel zu beliebig für ein allgemeingültiges Gesetz.

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Long John Silver
vor 19 Stunden schrieb duesi:

In der Regel sind es eben keine "unterbewussten" Verhaltensstandards, die uns in der Gruppe anerzogen werden, sondern bewusste Regeln. Folglich ist das Ergebnis auch nicht in erster Linie ein "Bauchgefühl", sondern ein Bewusstsein für richtig und falsch. Ein anderer Forenteilnehmer hat hier mal zwischen dem nützlichen "Schuldbewusstsein" und dem schädlichen "Schuldgefühl" gesprochen. 

 

Ja, es kann verschiedene Moralvorstellungen geben. Und vielleicht gibt es die eine "richtige Moral" nicht. Aber es gibt das Streben danach, innergesellschaftlich die Frage nach "richtig" und "falsch" zu beantworten. Und dieses Streben ist konstitutiv für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das Gemeinschaftsgefühl wird dadurch gestärkt, dass man gemeinsame Moralvorstellungen entwickelt, in denen für verschiedene mögliche Handlungssituationen Kriterien für "richtiges" Verhalten und "falsches" Verhalten aufgestellt werden. Und indem man anderen Menschen für moralisch richtiges Verhalten Lob und Anerkennung zollt. Und indem man andere Menschen für moralisch falsches Verhalten zurechtweist. Es ist eine Sache, ob man eine Moralvorstellung hinterfragt und sie in der Diskussion offen hält, was sehr fruchtbar sein kann, oder ob man das Gespräch über Moralvorstellungen ablehnt und damit die Herausbildung einer Gruppenidentität verhindert. Niklas Luhmann zeigt mit seiner Forderung, dass er offen Gesellschaftsspaltung betreiben möchte.

 

Wie oben beschrieben, ist es kein Gefühl, sondern ein Bewusstsein. Und das ist durchaus kognitiv erfassbar, wenn auch nicht letztgültig rational begründbar. 

 

Aber du hast recht, dass der Weg von der Moral zur Weltanschauung oder von der Weltanschauung zur Moral nicht weit ist. Ich schrieb ja auch am Anfang, dass Moral eine Rolle spielen sollte, wenn man Jesus nachfolgen möchte. Ohne moralische Werte geht eine Gesellschaft zugrunde. Weswegen meiner Meinung nach das Konzept Gott, dessen Existenz sich nicht beweisen lässt, als letztgültiger Begründungspunkt für moralische Werte unsere einzige Hoffnung ist.

 

Und ja, dass du verhindern willst, dass Handlungen als "Irrtum, bösartig oder amoralisch" bezeichnet werden, zeigt, dass du mit aller Macht die Herausbildung einer Gruppenidentität verhindern möchtest. Und so kann Europa nicht zusammenwachsen. Die Straftaten von Christchurch, die Kreuzigungen durch den IS, die Genitalverstümmelung, Menschenrechtsverletzungen überall auf der ganzen Welt, alles nur Ausbund einer anderen Meinung und einer anderen Moral? NIchts, was es verdienst als böse und verabscheuungswürdig bezeichnet zu werden? Keine Handlungen, die das Urteil moralisch böse und bekämpfenswert verdienen? Nur die Moral selbst als größter Feind von allen? 

 

Du verrennst dich total in irgendeinem Eifer gerade.

 

So was von Windmuehlenfluegel anrennen und Strohmaenner ... Was sollen diese Ueberreaktionen und wilden Behauptungen?

 

Fuer mich hat niemals irgendeine Moral eine Rolle gespielt uebrigens, Jesus nachzufolgen oder Christ zu sein. Ich denke und ich hoffe es, dass meine Sehnsucht auf Liebe beruht und auf Hoffnung und nicht auf Moral. 

 

 

bearbeitet von Long John Silver
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vor 24 Minuten schrieb mn1217:

Mir gefällt deine Aufzählung übrigens nicht,sie scheint nur auf eine Bevölkerungsgruppe gemünzt.

Die Straftaten von Christchurch wurden von einem rechten Australier begangen, Genitalverstümmelungen von animistisch geprägten Muslimen, IS-Kreuzigungen von islamischen Fundamentalisten und Menschenrechtsverletzungen werden von unterschiedlichsten Gruppen begangen. Ich habe mich schon sehr bemüht zu streuen, um nicht den Eindruck zu erwecken, ich würde ein bestimmtes Feindbild haben. An welcher Stelle hast du den Eindruck, ich würde die Aufzählung nur auf eine Bevölkerungsgruppe münzen?

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vor 29 Minuten schrieb mn1217:

Es sind andere Moralvorstellungen. Ich lehne sie ab, aber trotzdem sind es Moralvorstellungen. Und sie stiften Gruppenidentität.

Ja, das stimmt. Sie stiften Gruppenidentität. Allerdings haben wir als Europäer kaum Moralvorstellungen, die Gruppenidentität stiften könnten. Wenn man schon das Christentum nicht als gemeinsame Identität akzeptieren möchte, würde sich ja zumindest der Humanismus verbunden mit den Menschenrechten als kulturverbindendes Element anbieten. Aber das würde eben den Mumm erfordern, entgegengesetzte Moralvorstellungen nicht nur mit "ich lehne sie ab" zu kommentieren, sondern mit "sie sind böse, ungerecht und verwerflich" zu kommentieren.

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vor 34 Minuten schrieb Long John Silver:

 

Du verrennst dich total in irgendeinem Eifer gerade.

 

So was von Windmuehlenfluegel anrennen und Strohmaenner ... Was sollen diese Ueberreaktionen und wilden Behauptungen?

 

Ich habe nicht Marcellinus als Person angegriffen, sondern seinen Standpunkt. Ich verstehe ihn ja sogar, dass er diesen Standpunkt hat. Jedoch halte ich die Kulturkritik seit Adorno für eine der fatalsten und folgenschwersten Fehlentwicklungen der westlichen Geisteswelt. Und Marcelinus zeigt mit seinen Postings, dass sein Denken ebenfalls davon beeinflusst ist. Auch wenn er Wissenschaftlichkeit für sich reklamiert, vertritt er in diesem Kontext durchaus auch eine gewisse gesellschaftliche Geisteshaltung, der ich nicht zustimme. Und das ist keine wilde Behauptung. Das wird er sicher selbst auch so sehen. Gesellschaftskritik und Kritik an der herrschenden Meinung ist nie opportun.

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vor 58 Minuten schrieb Long John Silver:

Nebenbei bemerkt: Fuer mich hat niemals irgendeine Moral eine Rolle gespielt, Jesus nachzufolgen oder Christ zu sein. Ich denke naemlich und ich hoffe es, dass meine Sehnsucht auf Liebe beruht und auf Hoffnung und nicht auf Moral. 

Das führt uns zurück zum Ausgangsposting. Nämlich um die Frage, was Jesus vertreten hat und was es bedeutet, Jesus nachzufolgen. Du hast recht, dass es mit Liebe und Hoffnung zu tun hat. Jedoch hat es meines Erachtens - und dieser Aspekt ist mir in letzter Zeit wichtig geworden - auch mit Ehrfurcht zu tun. 

 

Bei der Nachfolge Jesu geht es - da stimme ich dir zu - sicher nicht um das Befolgen einer gesellschaftlichen Moral. Und da du den Moralbegriff im Bezug auf Gott ablehnst, können wir auch von seinen Geboten sprechen, die zu befolgen sind. Ich denke zwar, dass das auch mit Moral zu tun hat. In dem Sinne, dass das Befolgen der Gebote moralisch gut ist und das Übertreten der Gebote moralisch schlecht ist. Aber wir brauchen hier nicht den Moralbegriff zu bemühen, wenn du den Begriff in diesem Kontext nicht magst.

 

@ Nannyogg57 hat ja in diesem Kontext davon gesprochen, dass das Befolgen der Gebote für den historischen Jesus nicht das zentrale Verkündigungselement war. Da könnte man ansetzen. Inwiefern war und ist Jesus ein Schwarz-Weiß-Maler? Stichwort Licht und Finsternis. Guter Baum. Schlechter Baum. Auge Licht. Auge Finsternis. Etc. pp. Gibt es für Jesus nur schwarz und weiß oder gibt es für Jesus auch Graustufen?

 

Betrachtet man die ganze heilige Schrift, begegnet uns die Unterscheidung von gut und böse als eine sehr wichtige Angelegenheit.

 

Zitat

Jesaja 5, 20 Wehe denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen, die die Finsternis zum Licht und das Licht zur Finsternis machen, die das Bittere süß und das Süße bitter machen. 

 

Zitat

Römer 12, 2 Und gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene!

Aber wie hat Jesus das gesehen?

bearbeitet von duesi
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vor 2 Stunden schrieb duesi:

Ich habe nicht Marcellinus als Person angegriffen, sondern seinen Standpunkt. Ich verstehe ihn ja sogar, dass er diesen Standpunkt hat. Jedoch halte ich die Kulturkritik seit Adorno für eine der fatalsten und folgenschwersten Fehlentwicklungen der westlichen Geisteswelt. Und Marcelinus zeigt mit seinen Postings, dass sein Denken ebenfalls davon beeinflusst ist. Auch wenn er Wissenschaftlichkeit für sich reklamiert, vertritt er in diesem Kontext durchaus auch eine gewisse gesellschaftliche Geisteshaltung, der ich nicht zustimme. Und das ist keine wilde Behauptung. Das wird er sicher selbst auch so sehen. Gesellschaftskritik und Kritik an der herrschenden Meinung ist nie opportun.

 

Ich denke vor allem, daß du eine vollkommen überzogenen Moralbegriff vertrittst. Zweitens übersiehst du offenbar vollkommen, daß Gesellschaften nicht von gemeinsamen Moralvorstellungen zusammengehalten werden, sondern von wechselseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten, und beginnend mit der Neuzeit darüber hinaus einem langsam sich entwickelnden Wir-Bild, erst bezogen auf die jeweilige Standesidentität (ein deutscher Adeliger hatte mit einem französischen oder russischen Adeligen mehr gemeinsam als mit einem Bauern des eigenen Landes), danach, ursprünglich orientiert an der gemeinsamen sprachlichen Herkunft, der Natio, die Nationen. Innerhalb dieser Gesellschaften gab und gibt es durchaus abweichende moralische Vorstellungen, unterschiedliche Gebräuche und Traditionen. Gerade in Deutschland ist das deutlich.

 

Und trotzdem gab es ein gemeinsames Wir-Bild, meistens orientiert an der gemeinsamen Herkunft und Sprache, besonders innerhalb des Bürgertums, das länger existierte als der gemeinsame Staat. Das moralische Empfinden dagegen war gerade in Deutschland noch sehr lange an die jeweilige gesellschaftliche Schicht und Klasse gebunden, und die Verhaltensstandards dieser Klassen ging weit über das hinaus, was wir heute als Moral bezeichnen. Noch einmal, ich denke, daß du den Moralbegriff aus ideologischen Gründen vollkommen überziehst, und auf Bereiche des gesellschaftlichen Lebens anwendest, wo er nichts zu suchen hat. So etwas nennt man Moralismus.

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vor 7 Stunden schrieb Marcellinus:

 

Ich denke vor allem, daß du eine vollkommen überzogenen Moralbegriff vertrittst. Zweitens übersiehst du offenbar vollkommen, daß Gesellschaften nicht von gemeinsamen Moralvorstellungen zusammengehalten werden, sondern von wechselseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten, und beginnend mit der Neuzeit darüber hinaus einem langsam sich entwickelnden Wir-Bild, erst bezogen auf die jeweilige Standesidentität (ein deutscher Adeliger hatte mit einem französischen oder russischen Adeligen mehr gemeinsam als mit einem Bauern des eigenen Landes), danach, ursprünglich orientiert an der gemeinsamen sprachlichen Herkunft, der Natio, die Nationen. Innerhalb dieser Gesellschaften gab und gibt es durchaus abweichende moralische Vorstellungen, unterschiedliche Gebräuche und Traditionen. Gerade in Deutschland ist das deutlich.

 

Und trotzdem gab es ein gemeinsames Wir-Bild, meistens orientiert an der gemeinsamen Herkunft und Sprache, besonders innerhalb des Bürgertums, das länger existierte als der gemeinsame Staat. Das moralische Empfinden dagegen war gerade in Deutschland noch sehr lange an die jeweilige gesellschaftliche Schicht und Klasse gebunden, und die Verhaltensstandards dieser Klassen ging weit über das hinaus, was wir heute als Moral bezeichnen. Noch einmal, ich denke, daß du den Moralbegriff aus ideologischen Gründen vollkommen überziehst, und auf Bereiche des gesellschaftlichen Lebens anwendest, wo er nichts zu suchen hat. So etwas nennt man Moralismus.

Danke für den historischen Abriss. Vielleicht sollte ich anstatt dem Wort "Moral" ein anderes Wort benutzen. Verhaltensstandards haben wohl weniger mit "moralischem" und "unmoralischem" Verhalten als mit gesellschaftlich angemessenem Verhalten zu tun. Vielleicht ist der Begriff der Moral historisch ein Begriff, der erst mit dem Bedeutungszuwachs der bürgerlichen Schicht relevant geworden ist. Lessing beispielsweise ist so ein Vertreter des aufgeklärten Bürgertums, bei dem man sich stolz über höhere moralische Standards im Vergleich zu dem verlotterten Adel definierte.

 

Wenn wir in die mittelalterliche Gesellschaft schauen, habe ich den Eindruck, dass es zwar verschiedene Verhaltensstandards für die verschiedenen Stände gab. Aber dass sich der Leibeigene, der Bauer, der Adelige und der Geistliche einig darüber waren, was ein Leibeigener tun und lassen sollte, was ein Bauer tun und lassen sollte, was ein Adeliger tun und lassen sollte und was ein Geistlicher tun und lassen sollte. Dass sich die Verhaltensvorstellungen über gesellschaftlich angemessenes Verhalten später auseinander dividiert haben, liegt teilweise daran, dass der für den europäischen Adel zum Vorbild gewordene Versailler Hofadel seine ursprünglichen Standespflichten nicht mehr erfüllt hat. 

 

Dennoch, was ich so mit Eltern und Großeltern geredet habe, habe ich den Eindruck, dass sich der Umgang mit öffentlicher Zurechtweisung und Anerkennung in den letzten 50 Jahren dramatisch verändert hat. Dass es vor 50 Jahren viel üblicher war, Menschen in der Öffentlichkeit auf Fehlverhalten anzusprechen und sie zurechtzuweisen. Dass jüngere Menschen respektvoller gegenüber älteren Menschen waren und sich häufiger auch mal was sagen gelassen haben. Dass es üblicher war, öffentliche Skandale moralisch zu bewerten. Heute herrscht jedoch eine Mentalität vor, die sagt: "Red mir nicht in mein Leben rein. Das geht dich gar nichts an. Du hast mir nichts zu sagen. Das ist übergriffig. Das ist Einmischung in fremde Angelegenheiten. Das ist mein Leben." Ob das jetzt gut oder schlecht ist, sei dahingestellt. Aber dass in dem genannten Sinne eine öffentliche Moral (auch wenn das möglicherweise nicht der richtige Begriff ist) weitgehend verschwunden ist, ist doch eine offensichtliche Tatsache. 

 

Aber okay, ich muss zugeben, dass dieses Gespräch mit dir eher ein Nebenaspekt meines Interesses war.

 

Mir geht es eher darum, was im christlichen Sinne geboten sein sollte. Dass es eben nicht nur die Botschaft gibt, dass Gott barmherzig gegenüber jedem ist (auch gegenüber dem Kinderschänder, dem Serienvergewaltiger, dem SS-Mörder und dem Holocaustleugner) und sowieso alle in den Himmel kommen. Sondern dass es auch Kriterien für richtig und falsch, gut und böse, Licht und Finsternis, schwarz und weiß gibt. Dass Gott nicht ein liebevoller Großvater ist, der bei allem ein Auge zudrückt. Sondern dass er auch ein heiliger Richter ist, der zu fürchten ist. Und dass Jesu Botschaft nur in einer Erwartungshaltung des drohenden Gerichtes Gottes eine frohe Botschaft ist. Nannyogg57 hat darauf hingewiesen, dass für den historischen Jesus es wohl weniger um das Einhalten einer gewissen Moral ging. Da er gegenüber moralischem Fehlverhalten (Zöllner und Huren) eher großzügig war. Dass es ihm eher um das Verhältnis der Menschen zu ihm ging. Und dass sich dort die Geister scheiden würden zwischen schwarz und weiß, Licht und Finsternis, gut und böse, gute Frucht und schlechte Frucht. Breiter Weg. Schmaler Weg. Jedoch scheint mir, dass es bei Jesus keine Graustufen gibt. Keine Zwischenwege. Keine Kompromisse.

bearbeitet von duesi
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Nachtrag zu dem gemeinsamen Wir-Bild:

 

Wechselseitige Beziehungen und Abhängigkeiten erzeugen nicht notwendigerweise ein gemeinsames Wir-Bild. Caesars Mörder war sein eigener Ziehsohn, der mit ihm in einer engen Abhängigkeitsbeziehung stand. Und als die schwarzen aus Afrika verschleppten und verkauften Sklaven auf den Plantagen den Gospelsong "let my people go" sangen, drückten sie damit ganz bestimmt nicht ihr gemeinsames Wir-Bild mit der Religion der Weißen aus, sondern ihren Wunsch nach Befreiung. Die Standesidentität in der beginnenden Neuzeit wurde sehr wohl durch gemeinsame Wertvorstellungen (um den Moralbegriff zu vermeiden) gefördert und zusammengehalten, auch wenn sich Traditionen, Gebräuche und Sprachen unterscheiden konnten. Die Identifikation mit der Nation entstammte einem bürgerlichen Nationalismus, der auch von gemeinsamen Wertvorstellungen getragen war, die sogar in Liedern besungen wurden. 

 

Gemeinsame Herkunft und Sprache können verbindend sein. Gerade in Bayern merkt man das noch ganz stark. Als zugereister "Preuße" (Preußen sind für Bayern alle Deutschen, die nicht gebürtige Bayern sind) gehört man einfach nicht dazu. Je mehr man mit den Leuten ins Gespräch kommt, desto mehr merkt man, dass das ganze jedoch auch von gemeinsamen Wertvorstellungen getragen wird, auch wenn diese nicht immer offensichtlich propagiert und vor sich her getragen werden. Was meinst du, warum es die Regenbogenfraktion in Bayern außerhalb der großen Städte so schwer hat? Die Grünen können hier nur mit ihrem Einsatz für die Landwirtschaft und für Umweltschutz punkten. Trotzdem sind sie eine Hasspartei. Hätte die CSU nach der letzten Landtagswahl mit den Grünen koaliert, hätte sie sehr viele Mitglieder verloren, die aus Protest ausgetreten wären.

 

Ein Wir-Bild, das ausschließlich auf Abhängigkeitsbeziehungen und Gesetzen beruht, ist fragil und nicht tragfähig. 

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