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Social Distancing-Traditionen der Einsiedelei


Shubashi

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Aufgrund eines Artikels zu Juliana von Norwich ist mir eingefallen, dass ich letzter Zeit öfter etwas über die fortbestehende Tradition des Einsiedelns oder der Klausnerin gelesen habe.

 

Da mir aufgefallen ist, dass ich die gegenwärtige Krise zumindest im sozialen Umgang auch als angenehm ruhig empfinde, frage ich mich, ob eine größere Kenntnis der selbstisolierenden asketischen Lebensweise für die Gesellschaft bzw für mich und einige Menschen nicht von Gewinn wäre? Wie hat sich diese Lebensweise heute verändert, und wäre hier nicht etwas, das spirituelle Erfahrung begreifbarer vermittelt? Welche Tradition wäre heute noch verständlich?

 

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Man könnte Blaise Pascal nehmen:
"Darum, wenn ich anfing das mannigfaltige Hin-und Hertreiben der Menschen zu betrachten, wie sich den Gefahren und Mühseligkeiten aussetzen, am Hofe, im Kriege, bei der Verfolgung ihrer ehrgeizigen Ansprüche und wir daraus so viele Zwistigkeit, Leidenschaften und gefährliche und verderbliche Unternehmung entspringen, dann habe ich oft gesagt, alles Unglück der Menschen kommt davon her, daß sie nicht verstehn sich ruhig in einer Stube zu halten."

Kontext hier.

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vor einer Stunde schrieb gouvernante:

Man könnte Blaise Pascal nehmen:
"Darum, wenn ich anfing das mannigfaltige Hin-und Hertreiben der Menschen zu betrachten, wie sich den Gefahren und Mühseligkeiten aussetzen, am Hofe, im Kriege, bei der Verfolgung ihrer ehrgeizigen Ansprüche und wir daraus so viele Zwistigkeit, Leidenschaften und gefährliche und verderbliche Unternehmung entspringen, dann habe ich oft gesagt, alles Unglück der Menschen kommt davon her, daß sie nicht verstehn sich ruhig in einer Stube zu halten."

Kontext hier.

 

Pascal gefällt mir, natürlich, ist aber auch philosophischer und theologischer Kanon.

Ich hätte gerne noch andere und mir eher unbekannte Zeugnisse. 

Ich weiß nicht mehr, hatte ich diesen aktuellen Artikel zur Klausnerei schon verlinkt?

(Wow, das sowas in der Tagespresse erscheint...)

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Menschen gibt es nur im Plural. Selbst um sich zu vereinzeln, braucht es andere. Insofern ist Einsiedelei eine Verirrung, und meist auch eine Selbsttäuschung, denn irgendeiner muß den Einsiedler ja versorgen. 

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vor 12 Minuten schrieb Marcellinus:

Menschen gibt es nur im Plural. Selbst um sich zu vereinzeln, braucht es andere. Insofern ist Einsiedelei eine Verirrung, und meist auch eine Selbsttäuschung, denn irgendeiner muß den Einsiedler ja versorgen. 

Ja, nu! Wenn ich im Outback Australiens oder in der Prärie Amerikas eine Farm betreibe, in der ich alles für meine eigene (unter Umständen vegane) Ernährung selber ziehe  hab ich schon einen ordentlichen Teil an Abhängigkeit von meinen Mitmenschen eliminiert.

Aber vielleicht ist der Kompromiss die viel schwerwiegende Konstante menschlicher Existenz. Du kannst dich noch so sehr abmühen 100% Konsequenz wirst du in keinem Kontext erreichen. Wahrscheinlich wird die Definition von "100% Einsiedlei" dann wohl lauten müssen: "So wenig Mitmenschen wie möglich, so viele Mitmenschen wie unausweichlich"

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vor 3 Minuten schrieb Frank:

Ja, nu! Wenn ich im Outback Australiens oder in der Prärie Amerikas eine Farm betreibe, in der ich alles für meine eigene (unter Umständen vegane) Ernährung selber ziehe  hab ich schon einen ordentlichen Teil an Abhängigkeit von meinen Mitmenschen eliminiert.

 

Ach ne, und wer hat dich auf die Welt gebracht? Menschen sind gruppenbildende Primaten, nur durch andere Menschen kommen sie auf die Welt, lernen ihre Sprache, und sind damit Teil der Kette der Generationen. Selbst Robinson brauchte Freitag.

 

Nein, Einsiedelei ist eine Verirrung, und zwar soweit ich weiß, eine religiöse, die vor allem mit dem Christentum aufgekommen ist, und Teil ihrer Entzeiterwartung und Weltflucht war. Außerhalb ihres metaphysischen Weltbildes ist das unverständlich.

 

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vor 25 Minuten schrieb Marcellinus:

Nein, Einsiedelei ist eine Verirrung, und zwar soweit ich weiß, eine religiöse, die vor allem mit dem Christentum aufgekommen ist, und Teil ihrer Entzeiterwartung und Weltflucht war. Außerhalb ihres metaphysischen Weltbildes ist das unverständlich.

Äh? Nein.

 

Das monastische/einsiedlerische Leben ist in allen Teilen der eurasischen Welt bekannt und uralt.

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vor 23 Minuten schrieb Flo77:

 

Das monastische/einsiedlerische Leben ist in allen Teilen der eurasischen Welt bekannt und uralt.

 

Das Mönchtum vielleicht, aber hier war von Einsiedelei die Rede. Uralt ist angesichts von fast 2000 Jahren Christentum auch ein ziemlich unscharfer Begriff. Ebenso wie übrigens Eurasien. Aber immer war es mit einem religiösen Weltbild verbunden, das einen Gegensatz dem „Profanen“ und dem „Heiligen“ konstruierte, und eine Weltflucht als Weg zu einer „höheren“ Lebensform propagierte. 

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vor 2 Stunden schrieb Marcellinus:

Das Mönchtum vielleicht, aber hier war von Einsiedelei die Rede.

Die Ursprünge des Mönchtums sind die Anachoreten.
 

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vor 1 Minute schrieb gouvernante:

Die Ursprünge des Mönchtums sind die Anachoreten.
 

 

Steuerflüchtlinge als Ursprünge des Mönchtums? :D Danke, wieder was dazugelernt! 

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Es gibt im Christentum die Einsiedelei und die Kritik daran. Aus dem Leben des heiligen Benedikt gibt es die Geschichte, dass er als junger Mann der Welt floh und als Einsiedler lebte.

Als er aber das Osterfest verschnarcht hatte, verließ er die Einsiedelei und gründete in Subiaco die ersten Klöster.

Das Leben des Einsiedlers wird in der Regula Benedicti rigoros abgelehnt.

 

Mein Ältester ist derzeit auf dem absoluten Einsiedlertrieb. In den letzten fünf Wochen war er exakt zweimal ausserhalb seiner Wohnung plus Garten unterwegs.

 

Er heißt übrigens nach dem Patron Europas.

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Nochmal zu den Anachoreten. Ich war im Irrtum, zu denken, es gäbe nur metaphysische Gründe, sich selbst aus der Gemeinschaft auszuschließen. Der Wunsch oder die Notwendigkeit, sich den Anforderungen seiner Gesellschaft zu entziehen, konnte offenbar schon in der Antike zur Vereinzelung führen. Mein Fehler, nicht daran gedacht zu haben.

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vor 6 Stunden schrieb Marcellinus:

Nochmal zu den Anachoreten. Ich war im Irrtum, zu denken, es gäbe nur metaphysische Gründe, sich selbst aus der Gemeinschaft auszuschließen. Der Wunsch oder die Notwendigkeit, sich den Anforderungen seiner Gesellschaft zu entziehen, konnte offenbar schon in der Antike zur Vereinzelung führen. Mein Fehler, nicht daran gedacht zu haben.

 

Eine zweite starke Schule dürfte in Indien zu finden sein, wo weltabgewandte Asketen schon deutlich früher beschrieben werden. Die Abwendung von der Welt und der menschlichen Gemeinschaft ist dort ein Aspekt der Askese und schon in den Upanishaden niedergelegt.

 

Ich vermute, dass es von Beginn der menschlichen Gemeinschaft immer auch die Gegenbewegung gab, sich also z.B. aus Enttäuschung von der menschlichen Gemeinschaft, sich von dieser wieder abzuwenden. Als zumindest zeitweilige spirituelle Praxis dürfte es ebenfalls sehr verbreitet sein.

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vor 10 Stunden schrieb Frank:

Ja, nu! Wenn ich im Outback Australiens oder in der Prärie Amerikas eine Farm betreibe, in der ich alles für meine eigene (unter Umständen vegane) Ernährung selber ziehe  hab ich schon einen ordentlichen Teil an Abhängigkeit von meinen Mitmenschen eliminiert.

Aber vielleicht ist der Kompromiss die viel schwerwiegende Konstante menschlicher Existenz. Du kannst dich noch so sehr abmühen 100% Konsequenz wirst du in keinem Kontext erreichen. Wahrscheinlich wird die Definition von "100% Einsiedlei" dann wohl lauten müssen: "So wenig Mitmenschen wie möglich, so viele Mitmenschen wie unausweichlich"

 

Ich weiß nicht, warum Du gerade auf Australien kommst, aber da ist ja mit dem sogen. "walkabout" der altaustralischen Kultur ebenfalls eine ganz bekannte Phase der spirituell bedingten Selbstisolation gegeben.

Nur in Kombination mit dem Thema der Pilgerreise.

Über das Alter dieses Brauches dort weiß ich leider nichts.

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Zeichnen sich Einsiedler in der Praxis nicht gerade dadurch aus, daß sie ständig von Ratsuchenden aufgesucht werden? Isolation von menschlichen Irrungen, aber letztlich doch keine Isolation von den Menschen...

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vor 4 Minuten schrieb Moriz:

Zeichnen sich Einsiedler in der Praxis nicht gerade dadurch aus, daß sie ständig von Ratsuchenden aufgesucht werden?

 

Nicht zu vergessen die, die Einsiedelei als einträgliches Geschäftsmodell betreiben.

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vor einer Stunde schrieb Marcellinus:

Nicht zu vergessen die, die Einsiedelei als einträgliches Geschäftsmodell betreiben.

Kann ich für die katholischen Einsiedler*innen in D nahezu ausschließen. Manche haben echt Mühe, die in D nicht vermeidbaren Mindestkosten zusammenzubringen (die sind alle nicht so unsozial veranlagt, zB auf Krankenversicherung zu verzichten, weil sie sehr bewußt im Krankheitsfall nicht auf die Solidarität der Gesellschaft bauen wollen, ohne etwa beigetragen zu haben - im Gegensatz zu manchen sog. neuen geistlichen Gemeinschaften im französischsprachigen Raum).

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vor 2 Stunden schrieb Marcellinus:

 

„Ich mag jetzt ein Einsiedler sein“, sagt er, „aber ich bin froh, dass die Roaming-Gebühren abgeschafft wurden.“ :D

 

Fand ich auch gut, den Spruch. Zu viel Konsequenz wird leicht zu Fanatismus.

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Als Fachliteratur für Einsiedeleiwillige kann ich das Buch "Als die Religion noch nicht langweilig war" von Hans Conrad Zander empfehlen. Der Mann weiß hübsche Details zum Beispiel über Styliten, also die Säulenheiligen, zu berichten. Wie etwa, dass sich Warteschlangen von Beichtwilligen bildeten, wenn der Stylit es mal gestattete, dass eine Leiter an seine immerhin 18 bis 20 Meter hohe Säule gelehnt wurde. Zitat: "Betrüblich oft ist die Rede von Frauen, die nicht davor zurückschreckten, die Leiter hochzuklettern, um dem ahnungslosen Säulenheiligen jene Sorte Komplimente ins Ohr zu flüstern, für die der heilige Antonius von Padua im Beichtstuhl nicht mehr übrig hatte als ein unwilliges »Fahre fort, meine Tochter, ich höre schon«."

 

Auch über die Todesarten der Säulenheiligen weiß Zander Bescheid. Erstaunlicherweise sei nie jemand von der Säule gefallen. Etliche aber seien durch Blitzschlag getötet worden. Und ganz schlecht sei so eine Säule natürlich bei Erdbeben gewesen. So etwas muss man alles bedenken, wenn man die Einsamkeit in der Höhe sucht.

 

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Gerade eben schrieb Chrysologus:

Seine Zeitzeichen-Folgen im WDR sind immer wieder großartig.

 

Ich hab sie damals gern gehört. Sind die heute noch verfügbar? 

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