Weihrauch Posted July 3 Report Posted July 3 (edited) Einerseits interessiert mich, was das Gewissen ist, andererseits kommt mir schon das Erstellen dieses Themas wie eine Gewissensentscheidung vor. Wer einen Blick auf das Inhaltsverzeichnis des Artikels Gewissen bei Wikipedia wirft, versteht vielleicht was ich mit Gewissensentscheidung meine. Es gibt so viele unterschiedliche Perspektiven auf das Gewissen, aus unterschiedlichen Zeiten, so viele verschiedene Aussagen von verschiedenen Menschen dazu, dass mir vor dem Thema graut. Es gibt solche Themen, zu denen es zu viel Material gibt, aber niemanden der einem sagt, was man damit anfangen soll - oder andersrum: viele Köche verderben den Brei. Vielleicht sollte ich das irgendwie eingrenzen. Kürzlich stellte ich mir die Frage, ob das Gewissen ein Motivator oder ein Bremser ist. Kommt mir das nur so vor, dass mein Gewissen sich nur meldet, wenn ich im Begriff bin, etwas schlechtes zu tun, es bringt mich aber nicht dazu, etwas Gutes zu tun, außer vielleicht in solchen Fällen, wo es schlecht wäre, das Gute nicht zu tun. Dann bremst es mich aber wiederum, das Schlechte zu tun, was darin bestünde, in einer Situation nichts zu tun, was aber konkret zu tun sei, sagt mir das Gewissen nicht, wenn ich nicht weiß, was ich jetzt eigentlich tun soll. Langer rede, gar kein Sinn: gibt es tatsächlich ein gutes Gewissen, oder nur ein schlechtes Gewissen? Edited July 3 by Weihrauch Link eingefügt. Quote
Einsteinchen Posted July 3 Report Posted July 3 Das war auch beim sogenannten Dämonion des Sokrates so. Es war eine Stimme, die ihm riet, etwas nicht zu tun, glaube ich. Quote
Marcellinus Posted July 3 Report Posted July 3 vor 16 Minuten schrieb Weihrauch: Langer rede, gar kein Sinn: gibt es tatsächlich ein gutes Gewissen, oder nur ein schlechtes Gewissen? Solange man sich nicht darüber einig ist, was "Gewissen" überhaupt ist, hat die Frage, wie du zu Recht vermutest, keinen Sinn. 😉 Quote
Weihrauch Posted July 3 Author Report Posted July 3 vor 4 Minuten schrieb Einsteinchen: Das war auch beim sogenannten Dämonion des Sokrates so. Es war eine Stimme, die ihm riet, etwas nicht zu tun, glaube ich. Erlebst du das Gewissen denn auch so, oder anders? Quote
Weihrauch Posted July 3 Author Report Posted July 3 vor 5 Minuten schrieb Marcellinus: Solange man sich nicht darüber einig ist, was "Gewissen" überhaupt ist, hat die Frage, wie du zu Recht vermutest, keinen Sinn. 😉 Dann einigen wir uns darauf, dass du uns sagst, was es ist. Quote
Einsteinchen Posted July 3 Report Posted July 3 vor 1 Minute schrieb Weihrauch: Erlebst du das Gewissen denn auch so, oder anders? Ja. Ich habe oft Gefühle oder Gedanken, dass ich eigentlich Feinde und Menschen, die meine Grenzen überschreiten, in Personalunion von Exekutive, Legislative und Judikative bestrafen sollte. Jedesmal sagt meine innere Stimme nur: Das darfst du nicht. Das darf nur Gott. Quote
Marcellinus Posted July 3 Report Posted July 3 vor 4 Minuten schrieb Weihrauch: vor 12 Minuten schrieb Marcellinus: Solange man sich nicht darüber einig ist, was "Gewissen" überhaupt ist, hat die Frage, wie du zu Recht vermutest, keinen Sinn. 😉 Dann einigen wir uns darauf, dass du uns sagst, was es ist. Da muß ich dich leider enttäuschen! Ich kann dir höchstens sagen, was ich darunter verstehe, und da dies mittlerweile ein religiöses Forum ist, mein Begriffsverständnis aber zutiefst unreligiös ist, weiß ich nicht, ob ich hier eine Hilfe sein kann. Quote
Weihrauch Posted July 3 Author Report Posted July 3 Jenseits unseres Wissen beginnt Nichtwissen, sonst nichts. Na dann, nett, dass du mal vorbeigeschaut hast. Quote
Marcellinus Posted July 3 Report Posted July 3 Gerade eben schrieb Weihrauch: Jenseits unseres Wissen beginnt Nichtwissen, sonst nichts. Na dann, nett, dass du mal vorbeigeschaut hast. Da nicht für! Quote
Weihrauch Posted July 3 Author Report Posted July 3 vor 23 Minuten schrieb Einsteinchen: Ja. Ich habe oft Gefühle oder Gedanken, dass ich eigentlich Feinde und Menschen, die meine Grenzen überschreiten, in Personalunion von Exekutive, Legislative und Judikative bestrafen sollte. Jedesmal sagt meine innere Stimme nur: Das darfst du nicht. Das darf nur Gott. Macht das Gott so, falls ja, warum darf das Gott eigentlich, falls nein, was macht Gott stattdessen? Ich kenne aber auch den Fall, dass ich nicht auf mein Gewissen gehört habe, und etwas schlechtes getan habe. Dann habe ich ein schlechtes Gewissen, auch heute noch, selbst wenn es Jahrzehnte zurückliegt. Andererseits ist mir noch nie ein gutes Gewissen so lange "nachgelaufen". Das ist eine Beobachtung, die mich fragen lässt, ob es ein gutes Gewissen überhaupt gibt. Quote
Einsteinchen Posted July 3 Report Posted July 3 Ein gutes Gewissen läuft einem wahrscheinlich nur nach, wenn man von einem Menschen geehrt und gelobt wird. Quote
Weihrauch Posted July 3 Author Report Posted July 3 vor 2 Minuten schrieb Einsteinchen: Ein gutes Gewissen läuft einem wahrscheinlich nur nach, wenn man von einem Menschen geehrt und gelobt wird. Gott lobt einen nicht? Ein weiterer Unterschied scheint zu sein, dass das schlechte Gewissen, nicht auf die Beihilfe anderer angewiesen ist. Selbst wenn niemand außer dir selbst, von deiner schlechten Tat weiß, kann das schlechte Gewissen jahrzehntelang an dir "nagen". Niemand sagt es dir, niemand tadelt oder straft dich. Das schlechte Gewissen ist "selbstständiger" als das gute Gewissen. Das gute Gewissen scheint nicht das Gegenteil des schlechten Gewissens zu sein. Irgendwie sind da die Spielregeln ungleich verteilt. Quote
Einsteinchen Posted July 3 Report Posted July 3 (edited) Ich kann da nicht sehr viel sagen. Ich habe leider Tonnen von Esoterik gelesen. Und da sind wir doch von der selben Substanz wie Gott. Jetzt habe ich leider dauernd ein schlechtes Gewissen wegen dieser Überheblichkeit. Ich würde gerne alles ablegen und vergessen und dem einen wahren Gott übergeben. Aber wie Nietzsche bin ich nicht in der Lage, diesen Gott zu finden. Edited July 3 by Einsteinchen Quote
Einsteinchen Posted July 3 Report Posted July 3 Gott reute es interessanterweise, dass er die Sintflut geschickt hat. Wem gegenüber eigentlich? 1 Quote
Kara Posted July 3 Report Posted July 3 vor 3 Stunden schrieb Weihrauch: Ich kenne aber auch den Fall, dass ich nicht auf mein Gewissen gehört habe, und etwas schlechtes getan habe. Dann habe ich ein schlechtes Gewissen, auch heute noch, selbst wenn es Jahrzehnte zurückliegt. Das stimmt, das kenne ich auch. vor 3 Stunden schrieb Weihrauch: Andererseits ist mir noch nie ein gutes Gewissen so lange "nachgelaufen". Das ist eine Beobachtung, die mich fragen lässt, ob es ein gutes Gewissen überhaupt gibt. Ich habe mir noch nie darüber Gedanken gemacht, aber das stimmt schon. Interessanter Punkt. Der Mensch merkt sich schlechte Erfahrungen auf körperlicher Ebene ja auch wesentlich besser, als gute Erfahrungen. Weil sie eine Warnfunktion haben und verhindern sollen, den Körper (weiter oder irreversibel) zu schädigen. Die Chance zu überleben steigt. Die heiße Herdplatte fasst man nur einmal an (blödes Beispiel, meine Kinder haben nie eine heiße Herdplatte angefasst, aber ihr wisst, was ich meine). Das schlechte Gewissen hat in meinen Augen auch eine Warnfunktion. Es soll uns davor schützen, eine böse Tat nochmal zu begehen und seiner eigenen Seele dadurch, möglicherweise irreversibel, zu schaden. Deshalb ist es so hartnäckig und unangenehm. Quote
SteRo Posted July 4 Report Posted July 4 (edited) vor 14 Stunden schrieb Weihrauch: Einerseits interessiert mich, was das Gewissen ist, andererseits kommt mir schon das Erstellen dieses Themas wie eine Gewissensentscheidung vor. Wer einen Blick auf das Inhaltsverzeichnis des Artikels Gewissen bei Wikipedia wirft, versteht vielleicht was ich mit Gewissensentscheidung meine. Es gibt so viele unterschiedliche Perspektiven auf das Gewissen, aus unterschiedlichen Zeiten, so viele verschiedene Aussagen von verschiedenen Menschen dazu, dass mir vor dem Thema graut. Es gibt solche Themen, zu denen es zu viel Material gibt, aber niemanden der einem sagt, was man damit anfangen soll - oder andersrum: viele Köche verderben den Brei. Vielleicht sollte ich das irgendwie eingrenzen. Kürzlich stellte ich mir die Frage, ob das Gewissen ein Motivator oder ein Bremser ist. Kommt mir das nur so vor, dass mein Gewissen sich nur meldet, wenn ich im Begriff bin, etwas schlechtes zu tun, es bringt mich aber nicht dazu, etwas Gutes zu tun, außer vielleicht in solchen Fällen, wo es schlecht wäre, das Gute nicht zu tun. Dann bremst es mich aber wiederum, das Schlechte zu tun, was darin bestünde, in einer Situation nichts zu tun, was aber konkret zu tun sei, sagt mir das Gewissen nicht, wenn ich nicht weiß, was ich jetzt eigentlich tun soll. Langer rede, gar kein Sinn: gibt es tatsächlich ein gutes Gewissen, oder nur ein schlechtes Gewissen? Ich verweise auf Thomas (S. th. I, q84, a13): Ich antworte, daß das Gewissen im eigentlichsten Sinne Akt oder Thätigkeit ist. Das geht sowohl schon aus dem Namen hervor als auch aus all den verschiedenen Dingen, welche nach gemeinsamer Redeweise dem Gewissen zugeschrieben werden. Gewissen nämlich heißt ebensoviel als Gegenwissen, gegenwärtiges Wissen, gegenüberstehendes Wissen. Das Wissen wird aber gegenwärtig vermittelst eines Aktes oder einer Thätigkeit. Zugeschrieben zudem wird dem Gewissen, daß es bezeuge, binde, antreibe, anklage, tadle, Bisse verursache. Dies alles bedeutet eine Anwendung irgend welcher Kenntnis oder Wissenschaft in uns auf das, was wir thun. Diese Anwendung vollzieht sich nun in dreifacher Weise. Einmal je nach dem wir erkennen, etwas gethan oder nicht gethan zu haben, wie Ekkli. 7, 23: „Dein Gewissen weiß, daß du anderen häufig geflucht hast;“ danach heißt es vom Gewissen, es bezeuge; — dann, je nachdem wir urteilen, daß etwas zu thun oder nicht zu thun sei; danach wird gesagt, das Gewissen binde oder treibe an; — endlich, je nachdem wir durch das Gewissen urteilen, daß etwas Gethanes gut gethan oder schlecht sei; danach entschuldigt das Gewissen oder es klagt an und beißt. Alles dies also bedeutet eine thatsächliche Anwendung dessen was wir wissen, auf das was wir thun; und deshalb will das Gewissen im eigentlichen Sinne Thätigkeit, Akt bedeuten. Weil aber der Zustand ein Princip der Thätigkeit ist; deshalb wird der Name „Gewissen“ manchmal dem ersten von der Natur eingeprägten Zustande, der auf das Wirken gerichtet ist, dem Bewußtsein nämlich oder der Synderesis, beigelegt, wie Hieronymus sup. Ez. 1. das Bewußtsein Gewissen nennt; und Basilius (hom. in princ. Prov.) das Gewissen als den „natürlichen Richterstuhl“ bezeichnet; und Damascenus als „das Gesetz unserer Vernunft“. (4. de fide orth. 23.) Denn es ist dies etwas Gewöhnliches, daß die Ursachen von den Wirkungen und die Wirkungen von den Ursachen her benannt werden. Die Unterscheidung von "Gewissen" und "Synderesis" ist essentiell, auch wenn - wie Thomas zuletzt darlegt - diese beiden Begriffe oft nicht differenziert werden oder gar - was falsch ist - als synonym verstanden werden. "Bewußtsein" wie Thomas es gebraucht (nämlich als Synonym von "Synderesis") erscheint mir jedoch mit dem heutigen Sprachgebrauch (ethisch und epistemologisch neutral) vollkommen unvereinbar. Edited July 4 by SteRo Quote
SteRo Posted July 4 Report Posted July 4 (edited) Fehlspeicherung, gelöscht Edited July 4 by SteRo Quote
Weihrauch Posted July 4 Author Report Posted July 4 (edited) vor 16 Stunden schrieb Einsteinchen: Das war auch beim sogenannten Dämonion des Sokrates so. Es war eine Stimme, die ihm riet, etwas nicht zu tun, glaube ich. Das finde ich im Zusammenhang mit Pauli Rede auf dem Areopag interessant, denn dort erwähnt Paulus einen unbekannten Gott, den die Griechen verehren. Dieser unbekannte Gott könnte auf den Daimonion des Sokrates zurückgehen. Zitat Sokrates hielt den Urheber dieser Zeichen für eine Gottheit, die er nicht näher bestimmte. Er folgte den stets ohne Begründung gegebenen Winken der Stimme, die sich nach seinen Angaben immer als sinnvoll und hilfreich erwiesen. Wenn das Daimonion schwieg, deutete er dies als Billigung seines Verhaltens. Da er über seine Erfahrungen mit dem inneren Ratgeber redete, war seine Beziehung zu der mysteriösen Instanz in seiner Heimatstadt Athen allgemein bekannt. Gegner warfen ihm vor, eine religiöse Neuerung einzuführen. Diese Beschuldigung trug dazu bei, dass er im Jahr 399 v. Chr. zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. So wie Paulus bei den Juden den Hebel in den Synagogen ansetzte um dort Proselyten (Hinzugekommene) abzuwerben, so versuchte er bei diesem unbekannten Gott den Hebel für seine Botschaft anzusetzen. "Den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche ..." Das von mir Hervorgehobene geht in die Richtung, dass es nur ein schlechtes Gewissen gibt, dieses "meldet" sich, während das gute Gewissen lediglich das Schweigen des schlechten Gewissens darstellt. Somit währe das Gewissen kein Ratgeber das Gute zu tun, sondern nur einer das Schlechte zu lassen. Dass Sokrates "den stets ohne Begründung gegebenen Winken der Stimme folgte", ließe sich vielleicht so erklären, dass das Gute zu tun keiner besonderen Willensanstrengung bedarf - jetzt wird es aus christlicher Perspektive auf den Menschen heikel - weil der Mensch im Menschenbild des Sokrates gut ist, das Gute anstrebt. Das Schlechte tut er nur, wenn es ihm als gut erscheint. Edited July 4 by Weihrauch Quote
Weihrauch Posted July 4 Author Report Posted July 4 (edited) vor 13 Stunden schrieb Kara: Der Mensch merkt sich schlechte Erfahrungen auf körperlicher Ebene ja auch wesentlich besser, als gute Erfahrungen. Weil sie eine Warnfunktion haben und verhindern sollen, den Körper (weiter oder irreversibel) zu schädigen. Die Chance zu überleben steigt. Beim Gewissen spielt das Lernen also eine Rolle, wenn ich dich richtig verstehe. Vielleicht verhält es sich beim Gewissen ähnlich wie mit der Krankheit. Gesundheit merkt man nicht, sie ist sozusagen der Normalzustand des Menschen, aber alles was davon abweicht, Unwohlsein, Schmerzen melden sich unüberhörbar. vor 13 Stunden schrieb Kara: Das schlechte Gewissen hat in meinen Augen auch eine Warnfunktion. Es soll uns davor schützen, eine böse Tat nochmal zu begehen und seiner eigenen Seele dadurch, möglicherweise irreversibel, zu schaden. Deshalb ist es so hartnäckig und unangenehm. Das ergibt auf das Seelische übertragenen Sinn. Gutes zu tun, ist der Normalzustand des Menschen, Schlechtes zu tun die gefährliche Ausnahme. Nun hat sich das Christentum aus einem hellenisierten Judentum entwickelt. Mir scheint, dass da zwei gegensätzliche Menschenbilder aufeinander geprallt sind. Im Hellenismus wurde die Arete (die Tugend, das Gute im Menschen) hochgehalten, im Christentum die Sünde (das Schlechte im Menschen). Kann man das grob vereinfacht so sagen? Der Mensch als die Verkörperung des Guten ist natürlich sympathischer als der Mensch als die Verkörperung des Schlechten, ein Ideal attraktiver, als, ja was eigentlich? Was ist das Gegenteil eines Ideals? Zitat Als Ideal (lateinisch idealis, „dem Urbild entsprechend“ zu lateinisch idea, „Urbild, Gedanke, Einfall“,[1] dieses als Lehnwort von altgriechisch ἰδέα idéa „Gestalt, Urbild, Erscheinung“; siehe auch Idee) wird in der Philosophie ein als höchster Wert anerkanntes Ziel bezeichnet. So stehen sich ein optimistisch und ein pessimistisch geprägtes Menschenbild diametral gegenüber. Einmal ergibt sich der Wert des Menschen aus dem Guten, der Unwert des Menschen dagegen aus dem Schlechten. Edited July 4 by Weihrauch Im positiven Menschenbild macht er "sein Ding", im negativen Menschenbild kann er "sein Ding" nicht verwirklichen. Quote
Merkur Posted July 4 Report Posted July 4 Das "schlechte" oder "gute" Gewissen hat m.E. wenig mit dem Gewissen i.S.d. Nr. 1776 des KKK zu tun. Das schlechte Gewissen ist Folge einer Konditionierung und m.E. ein Zeichen von Unfreiheit. Man tut nicht das, was einem eingetrichtert wurde bzw. was man verinnerlicht hat, und fühlt sich deswegen schlecht. Das Gewissen im eigentlichen Sinne ist dagegen üblicherweise zwingend. Darüber setzt man sich nicht so einfach hinweg. Quote
Ennasus Posted July 4 Report Posted July 4 (edited) Ich denke, es gibt eine Instanz im Menschen, die spürt, was dem Leben (dem Leben der "Seele", der eigenen und der der anderen) dienlich ist. Mehrfach wird das auch in den Büchern des Ersten Testaments benannt - als ein Wissen, das Gott in uns gelegt hat. Zum Beispiel: "Keiner wird mehr den andern belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den Herrn!, sondern sie alle, Klein und Groß, werden mich erkennen - Spruch des Herrn. Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz." (Jer 31,34). Oder "Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist / und was der Herr von dir erwartet: Nichts anderes als dies: Recht tun, / Güte und Treue lieben, / in Ehrfurcht den Weg gehen mit deinem Gott." (Micha 6,8) Wenn man bereit ist, wirklich zu fragen, was "der Herr von dir erwartet", kann man das spüren. Ignatius von Loyola zum Beispiel nennt dieses Hinfragen und Verstehenwollen, was richtig ist, die "Unterscheidung der Geister" und hat versucht, Methoden zu entwickeln, die dabei helfen: "Trost" versus "Misstrost". Jede innere Bewegung, die mit Freude, Liebe, Getröstetsein, im Einklang mit sich selbst sein,... zu tun hat, zeigt wie eine Kompassnadel den Weg zu einem richtigen und gelungenen Leben. Wer auf diese Weise Mit-Wisser (con-scientia) ist an der Logik des Lebens, wer entprechend handelt, hat ein "gutes Gewissen". Wer dagegen verstößt, ein schlechtes. Aber nicht umsonst spricht die Kirche vom "Forum internum" als dem "gebildeten" Gewissen des einzelnen. Zum Gewissen gehört neben diesem in uns angelegten Wissen darum, was "dem Leben dient", ein zweiter Aspekt: Es hat immer auch eine jeweils ganz individuell, kulturell und familiär geformte Ausprägung. Ein schlechtes Gewissen entsteht meist einfach dadurch, dass man gegen angelernte Regeln verstößt. Gegen Regeln, die in der sozialen Gruppe, in der man groß wird, grundlegend waren. Das schlechte Gewissen warnt dann davor, dass man Gefahr läuft, sich zu isolieren, aus der Gemeinschaft heraus zu fallen. So etwas ist für uns Menschen, die wir von Grund auf Beziehungswesen sind, ungemein gefährlich. Dieser Teil des Gewissens muss drum unbedingt "gebildet" werden: Im Lauf des Erwachsenwerdens, mit den wachsenden kognitiven Fähigkeiten und der wachsenden Reflexionsfähigkeit sollte sich jeder diesen inneren Maßstab noch einmal neu erarbeiten. Unter Hinzunahme aller Erfahrungen, alles zusätzlichen Wissens, das man erlangt hat und mit Hilfe dessen, was zu meinen Werten geworden ist. Edited July 4 by Ennasus 2 Quote
Ennasus Posted July 4 Report Posted July 4 (edited) vor einer Stunde schrieb Weihrauch: Beim Gewissen spielt das Lernen also eine Rolle, wenn ich dich richtig verstehe. Vielleicht verhält es sich beim Gewissen ähnlich wie mit der Krankheit. Gesundheit merkt man nicht, sie ist sozusagen der Normalzustand des Menschen, aber alles was davon abweicht, Unwohlsein, Schmerzen melden sich unüberhörbar. Das ergibt auf das Seelische übertragenen Sinn. Gutes zu tun, ist der Normalzustand des Menschen, Schlechtes zu tun die gefährliche Ausnahme. Nun hat sich das Christentum aus einem hellenisierten Judentum entwickelt. Mir scheint, dass da zwei gegensätzliche Menschenbilder aufeinander geprallt sind. Im Hellenismus wurde die Arete (die Tugend, das Gute im Menschen) hochgehalten, im Christentum die Sünde (das Schlechte im Menschen). Kann man das grob vereinfacht so sagen? Der Mensch als die Verkörperung des Guten ist natürlich sympathischer als der Mensch als die Verkörperung des Schlechten, ein Ideal attraktiver, als, ja was eigentlich? Was ist das Gegenteil eines Ideals? So stehen sich ein optimistisch und ein pessimistisch geprägtes Menschenbild diametral gegenüber. Einmal ergibt sich der Wert des Menschen aus dem Guten, der Unwert des Menschen dagegen aus dem Schlechten. Das sehe ich nicht so. Mir scheint viel eher, dass das jüdische Menschenbild eines ist, das tiefer fragt und genauer hinhört und den Menschen und seine Freiheit, zu entscheiden, ernster nimmt. (Meine Signatur bezieht sich darauf.) Es bleibt nicht bei einer möglichst perfekten Erfüllung vorgegebener Tugenden stehen, sondern erwartet von Menschen, dass sie Werte, dass sie das Leben selbst ernst nehmen und selbst danach suchen, wie sie "richtig" leben können. Das hat mit Ver-antwort-ung zu tun, es geht darum, sich vom Leben und konkreten Situationen anfragen zu lassen und die jeweils individuelle persönliche Antwort zu geben. Und natürlich wird dann auch deutlicher, was geschieht, wenn man eine nicht lebensförderliche Antwort wählt. Edited July 4 by Ennasus Quote
SteRo Posted July 4 Report Posted July 4 (edited) Diesen Beitrag fortführend/vertiefend: aus Wiki: Während das Gewissen ein Diktat der praktischen Vernunft ist, das darüber entscheidet, ob eine bestimmte Handlung richtig oder falsch ist, ist Synderesis die Basis für diese praktischen Vernunft, welches die ersten allgemeinen Prinzipien moralischen Handelns zum Gegenstand hat. Aus dem Kommentar zu Thomas zusammengestellt: Das Gewissen diktiert und regelt sowohl die Wahl des freien Willens als auch die Ausführung, die der freie Wille vollzieht. Subjekt des Gewissens ist die praktische Vernunft, nicht der Wille oder der spekulative Intellekt. Das Gewissen ist nicht mit dem Zustand grundlegender moralischer Prinzipien (Synderesis) identisch. Das Gewissen kann irren, Synderesis kann nicht irren. Das Gewissen kann irren, weil es zu einer fehlerhaften Anwendung der grundlegenden moralischen Prinzipien (Synderesis) auf einen bestimmten Fall kommen kann. Synderesis ist ein Funke, der vom Schöpfer im Geist aller Menschen entzündet wird. Ein Funke, der nicht erlöschen kann, solange der Mensch seine Vernunft behält, und der auch im Verworfenen verbleibt. Edited July 4 by SteRo Quote
Aleachim Posted July 4 Report Posted July 4 vor 20 Stunden schrieb Weihrauch: Kürzlich stellte ich mir die Frage, ob das Gewissen ein Motivator oder ein Bremser ist. Kommt mir das nur so vor, dass mein Gewissen sich nur meldet, wenn ich im Begriff bin, etwas schlechtes zu tun, es bringt mich aber nicht dazu, etwas Gutes zu tun, Hm... Also das erlebe ich anders. Vielleicht hab ich dich aber auch nicht richtig verstanden. Vielleicht meinst du mit dieser Weiterführung vor 20 Stunden schrieb Weihrauch: außer vielleicht in solchen Fällen, wo es schlecht wäre, das Gute nicht zu tun. Dann bremst es mich aber wiederum, das Schlechte zu tun, was darin bestünde, in einer Situation nichts zu tun, genau das, was ich sagen will. Ich erzähle einfach mal: Wenn sich bei mir das Gewissen meldet, ist das ganz häufig, ein Drängen, etwas bestimmtes zu tun und nicht, etwas zu lassen. Ich glaube, es sind meist Situationen, wo ich das Gefühl habe, etwas nicht zulassen zu dürfen oder etwas nicht unwidersprochen stehen lassen zu können. Mir fällt auf, wo ich jetzt so drüber nachdenke, dass das meist Dinge sind, wo ich den Eindruck habe, dass es von sehr vielen Menschen unhinterfragt akzeptiert wird. Es geht häufig in irgendeiner Art darum, etwas am Status quo zu ändern. Natürlich gibt es auch bei mir, das was ich bei dir rauszuhören meinte: Wenn ich etwas getan habe, was mir hinterher leid tut. Aber für mein Gefühl, lassen sich solche Situationen viel leichter in Ordnung bringen. Oft ist es mit einer einfachen Entschuldigung schon getan. Ich kenne das hier so gar nicht, dass das "schlechte Gewissen" da lange Zeit (gar viele Jahre später noch), an mir nagt. Das nagende Gefühl, kenn ich viel mehr auf die zuerst beschriebene Situationen bezogen. Da kann es vielleicht durchaus vorkommen, dass ich noch lange daran zu knabbern habe, wenn ich "nichts" getan habe, trotz der drängenden Stimme meines Gewissens. Soweit mal meine ersten Gedanken dazu. Quote
Weihrauch Posted July 4 Author Report Posted July 4 vor 5 Stunden schrieb Merkur: Das "schlechte" oder "gute" Gewissen hat m.E. wenig mit dem Gewissen i.S.d. Nr. 1776 des KKK zu tun. Das ist wohl so. Ich wollte einfach nur einen Startpunkt mit dem schlechten Gewissen setzen, weil das wohl jeder aus eigener Erfahrung kennen dürfte. Das schlechte Gewissen, welches einen lange plagen kann, setzt erst im Nachgang ein, und nicht als Warner bevor eine Entscheidung getroffen wurde. vor 5 Stunden schrieb Merkur: Das schlechte Gewissen ist Folge einer Konditionierung und m.E. ein Zeichen von Unfreiheit. Man tut nicht das, was einem eingetrichtert wurde bzw. was man verinnerlicht hat, und fühlt sich deswegen schlecht. Da kommt wieder das Lernen ins Spiel, Konditionierungen, eingetrichtertes und verinnerlichtes Wissen, kommen nicht von innen aus dem Menschen heraus, sondern von außen in den Menschen hinein. Erziehung und Bildung spielen dabei eine Rolle. Gewissensbildung ist also ein dynamischer Prozess mit offenem Ende - "man lernt nie aus". Diese Erfahrung durfte ich hier im Forum kürzlich machen. Zitat KKK 1783 Das Gewissen muß geformt und das sittliche Urteil erhellt werden. Ein gut gebildetes Gewissen urteilt richtig und wahrhaftig. Es folgt bei seinen Urteilen der Vernunft und richtet sich nach dem wahren Gut, das durch die Weisheit des Schöpfers gewollt ist. Für uns Menschen, die schlechten Einflüssen unterworfen und stets versucht sind, dem eigenen Urteil den Vorzug zu geben und die Lehren der kirchlichen Autorität zurückzuweisen, ist die Gewissenserziehung unerläßlich. 1784 Die Erziehung des Gewissens ist eine lebenslange Aufgabe. Schon in den ersten Jahren leitet sie das Kind dazu an, das durch das Gewissen wahrgenommene innere Gesetz zu erkennen und zu erfüllen. Eine umsichtige Erziehung regt zu tugendhaftem Verhalten an. Sie bewahrt oder befreit von Furcht, Selbstsucht und Stolz, falschen Schuldgefühlen und Regungen der Selbstgefälligkeit, die durch menschliche Schwäche und Fehlerhaftigkeit entstehen können. Gewissenserziehung gewährleistet die Freiheit und führt zum Frieden des Herzens. Im KKK 1776 steht nun das genaue Gegenteil. Zitat Denn der Mensch hat ein Gesetz, das von Gott seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen eben seine Würde ist. Da frage ich mich: Wann genau soll das geschehen sein? Darüber ob die Würde des Menschen der Gehorsam ist, (dieses) Gottes Gesetz zu gehorchen, müsste man meiner Meinung nach noch ein Wörtchen reden. vor 5 Stunden schrieb Merkur: Das Gewissen im eigentlichen Sinne ist dagegen üblicherweise zwingend. Darüber setzt man sich nicht so einfach hinweg. Der Gegensatz ist mir jetzt nicht klar geworden. Einmal sprichst du von Unfreiheit, dann davon dass das Gewissen im eigentlichen Sinne (meinst du KKK 1776 damit?) üblicherweise zwingend ist. Hinwegsetzen kann man sich jedoch in beiden Fällen. Zitat KKK 1782 Der Mensch hat das Recht in Freiheit seinem Gewissen entsprechend zu handeln, und sich dadurch persönlich sittlich zu entscheiden. "Er darf also nicht gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu entscheiden. Er darf aber auch nicht daran gehindert werden, gemäß seinem Gewissen zu handeln, besonders im Bereiche der Religion“ (DH 3)." Da hier der Bereich der Religion angesprochen wird, und es deren mehrere gibt, mit unterschiedlichen Gottheiten und Gesetzen, hadere ich mit dem Gehorsam als der Würde des Menschen, von der oben die Rede war. Zitat GG 1 (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. (3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. GG 3 (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Quote
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