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»Fides christianorum resurrectio Christi est«


Gast Ketelhohn

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Gast Ketelhohn

»30 Tage«, Nr. 02/2001:

 

»Fides christianorum resurrectio Christi est«

(Augustinus)

 

Wenn er nicht auferstanden ist, kann man nicht an ihn glauben. Man kann ihn höchstens als Meister verehren. Man kann ihm gedenken, ihn nicht aber anrufen. Man kann sich an ihn erinnern, nicht aber ihm begegnen.

 

Von Gianni Valente

 

"Sie konnten sich lediglich mit ihm über einen gewissen - toten - Jesus nicht einig werden, von dem Paulus behauptete, er wäre noch am Leben.“ Besser konnte Statthalter Porcius Festus dem König Agrippa und seiner Schwester und Lebensgefährtin Berenice beim besten Willen nicht erklären, warum die Hohenpriester Israels so aufgebracht waren über diesen Juden aus Tarsus, diesen römischen Bürger, der in seinem Kerker schmachtete, daß sie sogar die Todesstrafe für ihn gefordert hatten. Augustinus fand vier Jahrhunderte spätere knappere und treffendere Worte, um zu beschreiben, was das Christentum war: „Fides christianorum resurrectio Christi est.“ Der Glaube der Christen ist die Auferstehung Christi.

 

Und doch stellte die französische Tageszeitung Le Monde zu Ostern 1976 bekannten und weniger bekannten Vertretern der christlichen Gemeinschaften Frankreichs eine Frage: „Was würde aus unserem Glauben werden, wenn die Spitzhacke eines Archäologen irgendwo dort in Palästina auf die Gebeine Jesu von Nazareth stoßen sollte?“ Eine Frage, die bei vielen einfachen Gläubigen Verwirrung auslöste. „Das wäre der Beweis dafür, daß mein Glaube nichts weiter war als eine Illusion,“ antwortete ein unbekannter Pfarrer aus der Peripherie. Andere wieder, vor allem erfahrene Theologen und Bibelforscher zuckten nur mit den Schultern. Einer von ihnen, ein katholischer Priester und Psychoanalytiker, erklärte: „Die Entdeckung des Skeletts Jesu würde meinen Glauben verstärken, denn sie würde den Mythos von der Wiederbelebung eines Leichnams zerstören. Das Vorhandensein der Gebeine Jesu würde meinen Glauben verstärken, der, um das zu sein, was er ist, absolut unbeweisbar sein muß.“ Ein anderer, dieses Mal ein namhafter protestantischer Theologe, sagte: „Das könnte mich nicht davon abhalten, an die Auferstehung zu glauben. Im Gegenteil, ein derartiger Fund würde meinen Glauben befreien, da er gezwungen wäre, sich nicht mehr auf das Sichtbare zu verlassen."

 

Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts, um jeglichem Abgleiten in Skeptizismus Einhalt zu gebieten, kam es in der Kirche zu einer entschiedenen Bekräftigung der ewigen Wahrheiten. Der ein oder andere indische Theologe war vom Weg abgekommen und wurde prompt in die Schranken gewiesen. Und doch konnte sich gerade in jener Zeit, unter dem Banner der wiederentdeckten Wahrheiten, die große Metamorphose vollziehen. Die Verkürzung des Christentums auf einen religiösen Idealismus, auf ein System aprioristischer wahrer Ideen, das in den Siebzigerjahren Prärogativ der à la page Theologen war, scheint heute zur normalen Sprechweise der ordentlichen Verkündigung geworden zu sein. Viele großzügige Priester von heute bemühen sich unermüdlich darum, Gläubige und Ungläubige davon zu überzeugen, daß die Auferstehung Jesu eine übernatürliche, transzendente Realität ist, an die man wegen ihres Heilswertes ganz einfach glauben muß. Und oft gleichen sie letztendlich dem besessenen und Abscheu auslösenden Protagonisten eines Gedichts von Giorgio Caproni: „Er schrie wie ein Besessener. / „Christus ist hier! Er ist hier! / ER! Hier unter uns! Jetzt! / Auch wenn man ihn nicht sieht! / Auch wenn man ihn nicht hört!“ // Diese Stimme, widerlich".

 

Der Glaube als Selbst-Überzeugung, die man zuerst haben muß, eine Gewißheit a priori, die man in sich selbst zustande bringen muß, indem man vielleicht das Evangelium liest. Alle scheinen sich mystisch von dem berühmten Ausspruch des kleinen Prinzen Saint-Exupérys inspirieren zu lassen: „Das Wesentliche kann man nicht mit den Augen sehen.“ Schließen wir also die Augen, pressen wir die Lippen zusammen und glauben wir.

 

Welch unüberbrückbarer Abgrund trennt uns von den Ersten, die ihn als den Auferstandenen bezeichneten. Von diesen Erzählungen der ersten Tage nach der Auferstehung, die Vittorio Messori so minutiös in seinem jüngsten Buch gesammelt hat, das den bezeichnenden Titel trägt: Dicono che è risorto [sie sagen, er sei auferstanden], (Sei-Verlag, Turin 2000).

 

Weder Mystiker noch Visionäre

 

Sie hatten keinen „Vor“-Glauben. Ebensowenig glaubten sie an die theologische Wahrheit der Auferstehung, bevor sie den Auferstandenen gesehen hatten.

 

Da waren diese drei Jahre, tagtäglich dieses Miteinandersein, das von einer außergewöhnlichen menschlichen Anziehungskraft durchdrungen war. In jenen Jahren hatten sie begriffen, daß an diesem rabbuni etwas Außergewöhnliches war. Etwas, das mit der Verheißung und der Erwartung zu tun hatte, dem Schatz des jüdischen Volkes. Aber sie hatten nicht genau verstanden, was es war.

 

Und wer hätte schon an seine Auferstehung denken sollen? Jesus sprach damals nicht viel darüber. „Diese Auferstehung, die den Glauben der Jünger monopolisieren sollte,“ schreibt Messori, „scheint kein zentrales Thema in den Predigten Jesu gewesen zu sein... Der Meister hat sie nicht immer wieder herausgestellt, hat seine Jünger nicht so ‚besessen' davon gemacht, daß sie praktisch geradezu danach ‚lechzten' und sie dann letztendlich einfach erfanden.“ Die Hinweise Jesu auf seine Auferstehung sind implizit, fast schon zerstreut, manchmal auch rätselhaft, wie an der Stelle, wo er vom „Zeichen des Jonas“ spricht. Anspielungen, gemacht, um erst post factum verstanden zu werden, und zwar von denen, die ihm, danach, als Auferstandenem begegnen sollten. Alle Evangelien sind voller Hinweise auf die Zurückhaltung, die der Herr an den Tag legte, wenn er von seinem Sieg über den Tod sprach, und der geringen Bereitschaft der Apostel, diese flüchtigen Hinweise zu erfassen. Wie nach der Verklärung, als Jesus den drei Erwählten Jakob, Petrus und Johannes gebietet, niemandem zu erzählen, was sie gesehen haben, erst, wenn der Menschensohn von den Toten auferstanden ist. Der Evangelist Markus berichtet: „Während sie den Berg hinabstiegen, verbot er ihnen, irgend jemand zu erzählen, was sie gesehen hatten, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sei“ (Mk 9,9). Auch die untröstlichen Worte der Emmaus-Jünger lassen keine Erwartung einer kurz bevorstehenden Auferstehung erkennen. Ihre Hoffnung auf Befreiung wird von der niederschmetternden Nachricht dieses schmachvollen Todes zunichte gemacht („Wir aber hatten gehofft, daß er es sei, der Israel erlösen werde. Und dazu ist heute schon der dritte Tag, seitdem das alles geschehen ist“), in ihrer Verzweiflung schwingt keinerlei Erwartung einer Erlösung mit. „Jesus muß während des ganzen Weges auf sie einreden,“ erklärt Messori, „um sie davon überzeugen zu können, daß ‚der Messias all das erleiden mußte, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen.' Den beiden, auch wenn sie seine Jünger waren und Zeugen seiner Predigten vor der Passion, erscheint das als etwas Neues, das sie in seiner Lehre nicht entdeckt hatten.“

 

Was sie persönlich erlebt haben

 

Die Auferstehung dessen, in dem sie den Messias Israels erkannten, war im übrigen das Letzte, was sich Juden wie die Apostel erwartet hätten. Wie der Hebraist Karl Schubert der Universität Wien erklärte, war das Letzte, was sich ein Jude vom Messias erwartete, daß dieser leiden, sterben und wieder auferstehen müßte. Das Letzte, was man sich für die messianische Zeit erwartete, waren ein Kreuz und ein leeres Grab mitten in der Geschichte. Von allen Juden, Kindern der Erwartung Israels, und zwar sowohl vom „relativistischen“ Flügel der Sadduzäer (die jede Möglichkeit eines ewigen Lebens leugneten) als auch von der „metaphysischen“ pharisäischen Strömung, wurde die glorreiche Ankunft des Messias für die Endzeit erwartet, und für den Messias war weder der Tod noch eine individuelle Auferstehung angekündigt. Die Auferstehung und das ewige Leben als der die Mehrheit bildenden messianischen Strömung bekannte Lehrwahrheiten waren ein kollektives Erlebnis: alle Toten mußten auferstehen, um sich vor dem Jüngsten Gericht zu verantworten. Wie schon der protestantische deutsche Exeget Joachim Jeremias betonte, stellte die christliche Ur-Verkündigung der Auferstehung Jesu, mit einer Zeitspanne, die sie von der universalen Auferstehung aller Toten trennt, etwas absolut Neues für den Judaismus dar. Selbst der Rationalist Charles Guignebert, für den die Erscheinungen des Auferstandenen Frucht der Halluzinationen Petri waren, mußte eingestehen, daß „wir keine Schriften kennen, die wirklich die Auferstehung des Messias gepredigt hätten [...]. Soviel wir wissen gab es im Alten Testament keine Lehre über die Auferstehung, die sich auf Jesus hätte anwenden lassen.“ Was auch der namhafte jüdische Gelehrte David Flusser bestätigte: „Es gibt nichts im gesamten Judaismus der Zeit Jesu, absolut nichts in irgendeiner uns bekannten Strömung, wo von einem ‚Menschensohn' die Rede ist, der sterben und auferstehen würde.“

 

Die Verheißung der Auferstehung kann also nicht aus einer Reflexion über die jüdischen Prophezeiungen entstanden sein, in denen kein Messias auftaucht, der „verpflichtet“ ist, aufzuerstehen. Messori stellt vielmehr fest, daß man in der ersten christlichen Gemeinde den umgekehrten Weg beschritt und post factum in der Gesamtheit der messianischen Prophezeiungen nach Hinweisen auf jenes unvorhergesehene, in offenem Widerspruch zu diesen stehenden Ereignissen suchte. „Nicht der Glaube an das Gesetz oder die Propheten ist es, der die Auferstehung ‚schafft',“ schließt Messori. „Es ist die Annahme des Geschehens der Auferstehung, die in ‚Gesetz und Propheten' die Bestätigung für das sucht, was man erlebt hat.“ Die Prophezeiungen - die wahren - versteht man erst, wenn sie sich erfüllt haben.

 

Die ersten sichtbaren Zeichen

 

Die großen rationalistischen Entmythisierer gingen vom Postulat David Friedrich Strauß' aus: „Das Göttliche kann sich nicht so ereignet haben (vor allem auf so unmittelbare und darüber hinaus so gewöhnliche Weise) oder das, was passiert ist, kann nicht göttlich sein.“ Ihrer Meinung nach waren die evangelischen Berichte über die Begegnungen mit dem Auferstandenen eine Projizierung des mystischen Übereifers der ersten christlichen Gemeinde. Ernest Renan meinte, daß man an jenem Sonntag morgen „in der christlichen Gemeinde merkwürdige Dinge hörte. Der Ausruf: ‚Er ist auferstanden!' verbreitete sich unter den Gläubigen wie ein Lauffeuer. Die Liebe bewirkte, daß er überall schnell Glauben fand. Was war passiert? [...]. Orientalische Städte hüllen sich nach Untergang der Sonne in Schweigen. Auch in den Herzen herrschte tiefes Schweigen. Das kleinste Geräusch, das sich vernehmen ließ, wurde im Sinne der Erwartung aller interpretiert. Normalerweise schafft sich die Erwartung ihr Objekt. In solchen entscheidenden Stunden kann schon ein Luftzug, ein schlagendes Fenster, ein zufälliges Murmeln für immer den Glauben der Völker besiegeln. Und als man in der Luft einen Atemzug vernahm, glaubten sie, Geräusche gehört zu haben. Manche behaupteten, das Wort shalòm herausgehört zu haben: Heil, Frieden...“

 

Die zersetzende Verv Renans könnte zu Recht auf die Reden vieler Kirchenmänner von heute angewandt werden, die das Ansinnen haben, die Wahrheit der Auferstehung aus ihrer inneren metaphysischen Notwendigkeit heraus zu zeigen (ob es nun passiert ist oder nicht, ist zweitrangig und hat keinerlei Bedeutung). Darin sind alle im Grunde auf ein- und derselben Linie mit Bultmann, für den „der Glaube überflüssig würde, wenn die Auferstehung historisch wäre.“

 

Ist das alles also wirklich so gewesen? War die Sehnsucht der ersten Gemeinschaft schuld daran, daß die Niederlage des Kreuzestodes im Licht der Idee der Auferstehung sublimiert wurde? Und war es dieser Glaube, der das wahr werden ließ, was sich niemals ereignet hat?

 

Sie waren eine mutlose und verunsicherte Gruppe von ungebildeten, gedemütigten Provinzlern, die keinerlei Macht besaßen.

 

Auch diejenigen, welche ihnen in den Stunden der Passion beigestanden hatten, hatten nicht in felsenfesten Sicherheiten Zuflucht gesucht. Angesichts des Desasters, als alles zuende war, hatten sie sich aus dem Staub gemacht. Von wegen unbeugsamer Glaube! Petrus, den Jesus selbst dazu auserkoren hatte, die anderen im Glauben zu stärken, hatte ihn sogar verleugnet. Sie hatten sich also „aus Furcht vor den Juden“ versteckt und warteten darauf, daß der Sturm vorüberzog, und sie zu ihren früheren Leben, in ihre früheren Berufe zurückkehren konnten, was härter und trauriger war als je zuvor. Sie hatten noch nicht einmal das Problem, in Erinnerung an eine gemeinsame schöne Vergangenheit zusammenbleiben zu müssen, oder die Gemeinschaft zusammenzuhalten, um irgendeine erbärmlich geringe Macht zu behalten. Sie hätten sich einfach nur davongemacht und jeder wäre wieder seinen eigenen Weg gegangen.

 

Eine aus visionärem Enthusiasmus geborene Auferstehung wäre in diesem Moment so sehr fehl am Platz gewesen, daß diese armen Kerle auch angesichts der ersten Anzeichen für das, was sich ereignet hatte, unsicher, verstört blieben. Maria aus Magdala, die erste, die das Grab leer vorfand, wurde zunächst nicht vom Glauben an die Auferstehung erfüllt, sondern von der Überzeugung eines Diebstahls: „Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat!“ Nur Johannes, dem Lieblingsjünger, genügt ein flüchtiger Blick in das leere Grab, um zu erahnen, was wirklich vorgefallen war. Aber hier handelt es sich nicht um eine Eingebung visionären Eifers, sondern einen klareren Blick und eine bessere Fähigkeit, die ersten Anzeichen der Auferstehung richtig einzuschätzen - was auch die Nachforschungen des Pfarrers von Tivoli, Don Antonio Persili, zeigen (siehe Interview auf S. 16). Die anderen, wie Johannes selbst sagt „wußten noch nicht aus der Schrift, daß er von den Toten auferstehen mußte.“ Maria aus Magdala, die bei ihrer Rückkehr vom leeren Grab allen berichtet, dem auferstandenen Herrn begegnet zu sein, will niemand Glauben schenken: „Als sie hörten, er lebe und sei von ihr gesehen worden, glaubten sie es nicht“ (Mk 16,11). Sogar die Wahrheit, daß er erschienen ist, verstört und schüchtert sie ein: „Und als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder. Einige aber hatten Zweifel“ (Mt 28,17).

 

Die nur allzu menschliche Unsicherheit solcher Zeugen, die nur zögernd „mit den Augen des Glaubens“ schauen und so materiell an der Konkretheit ihrer Sinne hängen, war zu allen Zeiten willkommenes Objekt des billigen Sarkasmus gewisser Intellektueller (Agnostiker, Atheisten oder Mystiker). Und doch bestätigen selbst sie, daß es sich nicht um eine religiöse Anstrengung handelte, sondern um ein Sich-in-die-Tatsachen-Fügen, in den Stand der Dinge. Nur ein wirkliches Ereignis, unvorhergesehen und unvorhersehbar nach der Niederlage am Kalvarienberg, konnte das nur allzu menschliche Zögern dieser Gruppe von verängstigten und gedemütigten Juden besiegen. Und aus ihnen die hartnäckigen Zeugen einer nie dagewesenen Verkündigung machen.

 

Anmerkungen zu registrierten Fakten

 

Eine Tatsache, eine Begegnung wird weder gezeigt noch erklärt. Eine Tatsache, eine Begegnung mit einer lebendigen Person, kann man dann, wenn sie sich ereignet, nur registrieren, erzählen, beschreiben.

 

Was die Ersten auch taten. Vor allem untereinander. „Maria von Magdala ging zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen...“ (Joh 20,18). Da sagten die anderen Jünger: Wir haben den Herrn gesehen (Joh 20,25). Sie hatten ihn in Jerusalem wirklich sterben sehen, an jenem Tag des Jahres, zu dem sich eine so große Menschenmenge eingefunden hatte, und alles schien zu Ende zu sein. Doch mit denselben Augen sahen sie ihn jetzt und konnten ihn als Auferstandenen berühren. Voll dankbaren Staunens, wie ein unerwartetes, unvorhergesehenes Geschenk, auf das man nicht zu hoffen wagt und das jede Erwartung übertrifft und doch dem Herzen so teuer ist. Nur das zählte in diesem Moment. Erst später, Jahre später, erahnte man, daß es auch wichtig war, die Umstände und Details zu erfassen, die Erinnerung an die Situationen, in denen diese Begegnungen stattgefunden hatten. Wie der Exeget Günter Bornkamm feststellte, verkündete man, daß der Gekreuzigte auferstanden war, daß er der Messias war, Christus, der Retter. Erst später versuchte man nachzuvollziehen, wie.

     

Man nehme zum Beispiel das leere Grab. Messori spricht von einem „überraschenden Schweigen“ der gesamten frühen Predigten (mit Ausnahme des Matthäus-Evangeliums), und zwar nicht nur im Bezug auf die Schergen des Hohen Rats, sondern allgemein auf die Entdeckung des leeren Grabes. „Die Ur-Verkündigung des Christentums, wie sie uns im Neuen Testament erscheint, scheint das Grab fast zu vergessen. Die Tatsache, daß es leer war, wird nicht ins Credo aufgenommen, und die ersten Predigten sprechen als Beweis für die Auferstehung nur von den Erscheinungen. Die offensichtlich jede Notwendigkeit erübrigt haben, auf einen Umstand hinzuweisen, der ohnehin offensichtlich war. Wenn Jesus lebendig, in Fleisch und Blut erschienen ist, wenn er erneut unter den Seinen gelebt hat, die jetzt, essend und trinken, Zeugnis davon ablegen, ist es offensichtlich, daß er nicht in seinem Grab geblieben ist, wenig interessant sind daher die konkreten Spuren, die, wie wir wissen, Johannes dazu veranlaßt haben, zu glauben.“ Sich also zu lange bei dem von Josef von Arimathäa zur Verfügung gestellten Grab aufzuhalten, wäre nichts weiter als eine fixe Idee mit einem etwas makabren Anstrich. Das Grab ist nichts weiter als „traurige, von der österlichen Freude hinweggefegte Erinnerung. Es besteht bei weitem kein Grund dazu, sich - wegen derjenigen, für die die Erzählungen von der Auferstehung vor allem Frucht apologetischer Befürchtungen sind - in Demonstrationen zu ergehen, die doch inzwischen für diejenigen, die sich als ‚Zeugen' der Rückkehr des Gekreuzigten ins Leben bezeichnen, hinfällig geworden sind.“

     

So entstanden die Evangelien. Man wollte damit nichts demonstrieren und auch von nichts überzeugen. Es handelte sich nicht um Texte religiöser Reflexion. Auch nicht um eine Apologie, die die Macht eines charismatischen Leaders herausstreichen wollte, um durch die Erinnerung an ihn der Gemeinschaft Zusammenhalt zu geben. Es handelt sich ganz einfach um nüchterne Erzählungen, knappe Berichte über Tatsachen, die beobachtet und registriert wurden. Aufgeschrieben für diejenigen, Juden oder Heiden, die angesichts dessen, was der Auferstandene in der Gegenwart weiterhin unter den Seinen wirkte, dankbares Staunen empfanden. („Nachdem Jesus, der Herr, dies zu ihnen gesagt hatte, wurde er in den Himmel aufgenommen und setzte sich zur Rechten Gottes. Sie aber zogen aus und predigten überall. Der Herr stand ihnen bei und bekräftigte die Verkündigung durch die Zeichen, die er geschehen ließ“, endet das Markus-Evangelium).

     

Diese funktionelle Finalität erklärt auch den Stil der Evangelien, die Knappheit der Erzählung. Die als Unberührtheit definierte Nüchternheit der evangelischen Texte, die sich auch dort findet, wo von Wundern und den Begegnungen mit dem Auferstandenen die Rede ist. Die Bemühung darum, beim Verweis auf das Mysterium respektvoll zu sein, ist weit entfernt von dem respektlosen Versuch der von Menschen ersonnenen religiösen Dichtungen, das Verborgene zu ergründen, und hat auch mit der krankhaften curiositas, dem aus den apokryhen Evangelien so deutlich hervorgehenden Bedürfnis, „Beweise anzuführen“ herzlich wenig zu tun.

     

Wenn man das Ganze mit vorurteilslosem Blick betrachtet, erkennt man, daß auch das Schweigen, die Lücken und die angeblichen Widersprüche der österlichen Erzählungen die Absicht enthüllen, mit der sie geschrieben wurden: es sind Berichte, die aufgeschrieben wurden, um der Verbreitung des Evangeliums dienlich zu sein. Auch der große Theologe Karl Barth erkannte, daß die Berichte über die Erscheinungen unzusammenhängend und unartikuliert erscheinen, wie nach einem Erdbeben. „Diese Explosion von Licht, von Gewißheit, auf die man nicht zu hoffen wagte, von Freude,“ meint Messori „die die Auferstehung war, stellte alles auf den Kopf. Dieser Sturm von Gefühlen, eine Art Erdbeben, ging zu Lasten der Dichte, die die Erzählung bis dahin bewahren konnte [...]. Gerade in dieser Unsicherheit, in dieser ‚Verwirrung' zeigen sich die Evangelisten so, wie sie sind: einfache, pragmatische Leute, die sich nur im alltäglichen Leben sicher zu bewegen verstehen.“ Jeder der Evangelisten wählte andere Episoden aus den vielen aus, an die sich die Augenzeugen erinnern konnten. Was aber nicht heißt, daß diese in Widerspruch zueinander stünden. „Die einzelnen Evangelien erzählen nicht verschiedene Geschichten, sondern wählen aus den ihnen durch Überlieferungen oder Zeugenberichte zur Verfügung stehenden Berichten bestimmte Einzelheiten aus. Besonders hier - angesichts des Mysteriums, auf das sich der Glaube gründet - wird die Wahl der Evangelisten von pastoralen Motiven geleitet, von der Situation der Gemeinschaften, an die sie sich wandten,“ erklärt Messori. Auch die Abweichungen hinsichtlich der Orte der Erscheinungen (Lukas spricht von Jerusalem in Judäa, Matthäus dagegen von Galiläa) läßt sich vor diesem Hintergrund erklären: „Matthäus schreibt für die Juden-Christen, die stets darum bemüht waren, die Heilige Stadt in den Mittelpunkt des Interesses zu stellen. Damit sie sich endlich vom Alten Gesetz lösen konnten, dessen Sinnbild Jerusalem war, war es wichtig zu zeigen, daß sich Jesus nicht dort, sondern im so wenig geschätzten Galiläa (an dem die Grenze zu den verhaßten und wenig geschätzten ‚gentiles' vorbeiging und wo gesellschaftliche und religiöse Verunreinigung lauerte) nach seiner nun einmal unumstößlichen glorreichen Auferstehung gezeigt und die Jünger zu den Heiden geschickt hat [...]. Für Lukas dagegen stellt es kein Problem dar, in die Überlieferung auch den Umstand einzuführen, daß sich die Erscheinungen in der Hauptstadt vollzogen haben.“ Er ist ein Nicht-Jude, der sich an die Heiden wendet, die nicht anerkennen wollen, daß das Heil von den Juden kommt. Er setzt also andere Prioritäten als Matthäus: „Man muß den Leuten das Beispiel der Apostel in Erinnerung rufen, die sich weder von Jerusalem noch von seinem Tempel loslösten, um die Kontinuität zwischen Torah und Evangelien zu unterstreichen.“

     

Letztendlich „sind die Abweichungen in den Ostererzählungen genau das, was wir uns von authentischen Berichten erwarten müssen,“ stellte schon der Exeget John A. T. Robertson fest. „Gut konstruierte Berichte wären sehr viel harmonischer, weniger widersprüchlich.“ Die Wahrheitsliebe der Evangelisten hat sie sogar soweit getrieben, auch unangenehme Dinge zu berichten, die, da sie allgemein bekannt waren, natürlich nicht verheimlicht werden konnten. Wie z.B. die Flucht der Apostel angesichts der Hinrichtung des Herrn, oder den Umstand, daß die ersten, die den Auferstandenen sahen, Frauen waren - und das in einer Zeit, in dem kein jüdisches Gericht den Zeugenaussagen von Frauen Gehör schenkte.

     

Weshalb es schon dem Heiden Celsus leicht gefallen war, „die Galiläer, die an eine Auferstehung glauben, deren Zeugen hysterische Weiber waren“ in Mißkredit zu bringen.

 

Sie vergewisserten sich mit den Sinnen

 

Mit folgenden Worten machte Augustinus in seinem De civitate Dei auf den unüberbrückbaren Unterschied zwischen christlichem Glauben und den von den Menschen ausgehenden religiösen Idealisierungen aufmerksam, mit denen den eigenen Schöpfungen ein Hauch von Ewigem verliehen werden sollte: „Illa illum amando esse deum credidit; Ista istum Deum esse credendo amavit“ (Rom, das den Romulus liebte, machte ihn zum Gott; die Kirche dagegen, die Gott erkannte, liebte ihn deshalb“).

 

Nur weil sie ihn lebend gesehen hatten („Faßt mich doch an und begreift: Kein Geist hat Fleisch und Knochen, wie ihr es bei mir seht“; Lk 24,39; „die wir mit ihm nach seiner Auferstehung von den Toten gegessen und getrunken haben“ Apg 10,41), erkannten und liebten sie ihn, wie man eben nur eine lebendige Person lieben kann. Das Gegenteil der Idealisierungen also, wo es keine Bedeutung hat, ob das, was man glaubt, real ist oder nicht, da es nur dazu dient, eine eingerichtete Ordnung aufrechtzuerhalten. Damit wer eine gewisse Macht hat, diese auch weiterhin behalten kann.

 

Das Tragischste sind also nicht die Einwände der Ungläubigen, sondern daß heute auch in der Kirche dieses Erkennen der Realität überflüssig geworden zu sein scheint. So als könnte man auch ohne es auskommen. Ohne das, was er, der Lebendige, heute wirkt. Und was anhand von Paradebeispielen in dem, was er unter den Ersten wirkte, erzählt wird.

 

„Wenn Jesus nicht auferstanden ist,“ schreibt Messori „kann man nicht an ihn als den Retter glauben: man kann ihn dann höchstens als Meister verehren. Man kann ihm gedenken, ihn aber nicht anrufen. Man kann von ihm sprechen, aber nicht zu ihm. Wenn er nicht auferstanden ist, sind es die Christen, die ihn leben lassen. Nicht er, der sie leben läßt. Von zahllosen anderen, Hunderten von Unglücklichen, die zu seiner Zeit lebten, könnte man sagen: Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben. Aber nach dem, was der Glaube glaubt, ist es notwendig, daß man anfügen kann: ‚Nach drei Tagen auferstanden von den Toten'.“ Das bezeugten die Jünger, dessen konnten sie sich mit ihren Sinnen vergewissern. Wie schon Augustinus in seinem De civitate Dei schrieb: „Resurrexit tertia die sicut apostolis suis etiam sensibus probaverunt“ (Am dritten Tage stand er von den Toten auf, wovon sich die Apostel mit ihren Sinnen vergewissern konnten).

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Hallo Ketelhohn!

 

Ich habe den langen Aufsatz von Gianni Valente nur am Anfang gründlich, dann immer flüchtiger gelesen. Vielleicht rede ich also an dem vorbei, was dir dabei wichtig ist.

 

Die Frage, an der keiner vorbeikommt, der Christ sein will, ist doch: Woher bekomme ich Gewissheit, absolute Gewissheit, auf die hin ich sogar das Martyrium - oder doch wenigstens ein paar Alltagsopfer - wagen kann?

 

Die Antwort kann nur sein: aus der gegenwärtigen Begegnung mit Jesus Christus, der lebt und Leben schenkt.

 

Wenn diese Begegnung geschieht, erübrigen sich alle anderen Fragen. Wenn sie nicht geschieht, interessieren sie nicht mehr.

 

Gruß,

Adrian

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"Der Glaube als Selbst-Überzeugung, die man zuerst haben muß, eine Gewißheit a priori, die man in sich selbst zustande bringen muß, indem man vielleicht das Evangelium liest. Alle scheinen sich mystisch von dem berühmten Ausspruch des kleinen Prinzen Saint-Exupérys inspirieren zu lassen: „Das Wesentliche kann man nicht mit den Augen sehen.“ Schließen wir also die Augen, pressen wir die Lippen zusammen und glauben wir."

 

 

Sehr schöne Erklärung, wie es selbst intelligenten und gebildeten Menschen heute noch gelingen kann, ein uraltes frommes Märchen zu glauben:

 

Augen zu und durch.

 

Der Glaube als Steckenpferd.

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lieber Adrian,

 

>>Die Antwort kann nur sein: aus der gegenwärtigen Begegnung mit Jesus Christus, der lebt und Leben schenkt<<

 

das ist einer von solchen Sätzen, mit denen ich ohne "Füllung" nix anfangen kann. Wie geschieht bei Dir die "gegenwärtige Begegnung"?? Wodurch schenkt er Dir Leben??

 

Meinst Du nicht ein Kommunist könnte auch sagen:

 

"Die Antwort kann nur sein: aus der gegenwärtigen Begegnung mit Karl Marx, der in seinen Schriften lebt und Leben und Hoffnung schenkt

 

Völker höret die Signale

 

Erich

 

(Geändert von Erich um 10:46 - 20.Mai.2001)

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Lieber Robert,

 

danke für den Text, den ich interessiert gelesen habe. Du hast uns gestern gefehlt. Erich und Zwilling sind auf dieses, eines ihrer Lieblingsthemen eingegangen, und Erich hat vehement die von dir genannte Position vertreten (und sehr anschaulich und praxisbezogen seine diesbezüglichen Erwartungen geäußert).

 

Ich stimme dir zu, daß ein Verschließen (von was auch immer) hier nicht weiterhilft - der Weg ist, sich zu öffnen und die Erwartung abzulegen, daß man alles entweder selber gesehen haben oder zumindest nach"machen" muß.

 

Wenn ich glauben, daß Gott der Schöpfer allen Seins ist, wenn ich glaube, daß Jesus das Wort Gottes nicht nur verkündet hat, sondern ist, warum sollte ich bei dieser Glaubensbasis ein Problem in der Auferstehung sehen ?

 

Herzliche Grüße

Martin

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