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Gründonnerstag


umusungu

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Es war im Krieg. In der zerbombten Stadt war auch die Kirche zerstört worden. Nur in einer einigermaßen unbeschädigt gebliebenen Seitenkapelle, die allerdings mit den sprichwörtlichen Brettern vernagelt war, konnte die Messe gefeiert werden. Die Hostienbäckereien der Frauenklöster lieferten schon lange keine Oblaten mehr, so dass zur Eucharistiefeier gewöhnliches Brot genommen werden musste.

Bei der Kommunion hatte der Priester Mühe, jedem Gläubigen ein mundgerechtes Stück zu reichen, weil es die Handkommunion ja noch nicht gab. So dauerte der Kommunionempfang seine Zeit. Der Priester schritt langsam von einem Gläubigen zum anderen. Dabei in eingefallene Gesichter zu blicken, in müde und verschreckte, das war in diesen Kriegszeiten für ihn schon zu einer traurigen Gewohnheit geworden. Doch plötzlich blickte er in ein stumm schreiendes, ausgemergeltes Gesicht und erschrak zutiefst. "Corpus Domini nostri Jesu Christi custodiat ..." Er konnte den Satz nicht zuende bringen. Der Hungernde hatte den Leib des Herrn bereits verschlungen und bittend flehten seine Augen: noch einmal! Nur einen winzigen Augenblick zögerte der Priester, dann reichte er ihm die Kommunion zum zweiten Mal.

 

Rund 40 Jahre später in Paris. In der Kirche St-Germain-des-Pres wird die 12 Uhr-Wochentagsmesse gefeiert. Nach der Kommunion unter der Brotsgestalt wird den Gläubigen Gelegenheit gegeben, auch an der Kelchkommunion teilzunehmen. Dazu steht der Kelch vorne auf dem Altar- Hintereinander gehen die Gläubigen an den Altar heran und trinken aus dem Kelch. Eines Tages mischte sich ein Clochard, ein Stadtstreicher, unter die Gläubigen. Vielleicht war er selber zu den Gläubigen zu zählen, denn ehrfürchtig trank er aus dem Kelch. Nur, da er offensichtlich ein Alkoholabhängiger war, leerte er den Kelch in einem einzigen Zug. Die nachfolgen- den Leute waren konsterniert, dass in dem Kelch kein Tröpfchen mehr vorhanden war. Lächelnd öffnete der Priester seine Arme. Vermutlich war an diesem Wochentag nur ein einziger Mensch vom Blut Christi wirklich abhängig gewesen! In der ersten Geschichte war der Leib des Herrn im wahrsten Sinne des Wortes zum Lebensbrot geworden. In der zweiten Geschichte war das Blut des Herrn im wahrsten Sinne des Wortes von einem Menschen getrunken worden, der existenziell davon abhängig war.

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