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Wie Glaube und Zweifel zusammengehören


Helmut Martin

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Im November-Sendboten, der Zeitschrift der Missionare von der Hl. Familie, fand ich diesen bemerkenswerten Artikel von Dr. Ulrich Beer.

 

Wer zweifelt, stellt eine Wahrheit, die Gültigkeit beansprucht, in Frage. Aber er vemeint oder widerlegt sie auch nicht. Er ist sozusagen zweigeteilt: kann sein kann auch nicht sein. Im Zweifel... steckt die Zwei wie in Zwiespalt oder in Entzweien oder Zwist. Wer zweifelt, kommt leicht zur Entzweiung oder gar in Zwist mit denen, die unangefochten glauben. Ich habe das selbst zu spüren bekommen, wenn ich in esoterischen Kreisen meine Zweifel an Ufos oder an Astrologie äußerte. Mitunter hat mein Zweifel mich für immer entzweit.

So kann es einem auch in bestimmten christlichen Kreisen gehen: Wie kannst du an der Jungfrauengeburt oder an der Himmelfahrt oder an der Verbalinspiration zweifeln! Ja, weshalb? Weil ich wie im Grunde jeder denkende Mensch seit Beginn der Neuzeit wissen möchte, und dieses Bestreben gerät oft genug zum Glauben in Widerspruch. Im Mittelalter bestimmte der Glaube Weltbild und Weltanschauung. Stellt er heute noch diesen Anspruch, gerät er fast zwangsläufig mit dem Wissen in Konflikt und verliert. Es wäre eine Geringschätzung des Wissens und der Wissenschaft, wollte man Fragen wie den Aufbau des Kosmos oder die Abstammung des Menschen durch Glaubensaussagen lösen. Hier hat sicher der jüdische Theologe Pinchas Lapide recht: Man kann die Bibel ernst nehmen oder man kann sie wörtlich nehmen. Ich möchte sie ernst nehmen. Darum darf, ja muss ich an vielem zweifeln - um des Glaubens willen.

Zweifel muss nicht destruktiv und glaubensgefährdend sein, er kann auch bewegen und beleben. Wie sagte doch Theodor Storm: "Der Glaube ist zum Ruhen gut; er bringt nicht von der Stelle. Der Zweifel in ehrlicher Männerfaust, er sprengt die Pforten der Hölle." Das letzte - erstaunliche - Bild ist übrigens biblisch (Jes 38,10; Mt 16,18) und entlarvt damit einen Glaubensrest. Setzt man für Hölle Unwissenheit, Finsternis, Blindheit und macht man sich klar, dass mit dem Zweifel, mit Luther und Kant, Reformation und Aufklärung und damit Freiheit, Demokratie und wissenschaftlicher Fortschritt begannen, dann sollte man den Zweifel nicht verdächtigen und verdammen, sondern adeln!

Der schon genannte Kant sagte übrigens: "Ich musste das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen!" Er war ein gläubiger Mensch. Aber der Begriff des Glaubens ist ein anderer geworden: Er ist nicht höchste Autorität in Wissensfragen, sondern - und das macht ihn wichtiger, ja unersetzlich - in Sinnfragen.

Glauben heißt jetzt nicht mehr "nicht wissen", sondern "vertrauen" "sich anvertrauen". Wenn ich mich für einen Menschen entscheide, kann ich nicht wissen, ob er der Richtige für mich ist, aber ich vertraue fest darauf. Ich weiß nicht, ob meine Arbeit einen Sinn hat, aber ich glaube daran. Glaube, wie ich ihn verstehe, ist die elementare Zuversicht, dass Gutes in uns, um uns und über uns waltet, dass Gutes sich lohnt - nicht, weil es belohnt wird, sondern um seiner selbst willen. Dazu muss ich nicht jeden Satz des Credo und der Bibel wörtlich nehmen, ich darf meine Zweifel haben. Aber umso mehr vertraue ich, dass ich geliebt werde, dass ich Hoffnung und Zukunft haben darf, dass mein Tun sinnvoll ist.

Gelegentlich habe ich natürlich auch gezweifelt und solche Zweifel können lähmen und destruktiv wirken. In solchen Zeiten verliert die Welt ihren Glanz. Alles erscheint grau in grau. Nichts schwingt und klingt, nichts strahlt und leuchtet. Dann ziehe ich mich zurück, denke nach, meditiere und warte, hoffe, dass die Wolken sich wieder öffnen und ein Strahl vom Himmel mich wieder trifft. Ich weiß ja auch in Regenzeiten, dass die Sonne nicht verschwunden, sondern nur verborgen ist. Das eine weiß ich - des andern bin ich gewiss - mitten in allem Zweifel, dessen ich mich nicht schämen muss, selbst, wenn er mich an der Wurzel trifft.

Ich bin sicher, dass Glaube und Zweifel zusammengehören und zusammen die Energie bilden, die allem Phantasieren und Planen, allem Wollen und Vollbringen zu Grunde liegt.

Allerdings gibt es auch einen destruktiven Zweifel, den Zweifel um des Zweifelns, nicht um der Wahrheit willen. Wer mit ihm geschlagen ist, ist arm dran. Er lässt grundsätzlich nichts gelten, glaubt an gar nichts und niemand, vor allem nicht, dass jemand es gut mit ihm meinen könnte. Er fühlt sich immer zu kurz gekommen, als Opfer des Schicksals, als Verlierer. Vielleicht - aber durchaus nicht immer - steht ein schweres Lebensschicksal dahinter, ein negatives Lebensgefühl, das kein positives Glaubensgefühl zulässt. Hier wird der Zweifel nicht mehr zum konstruktiven Instrument der Wahrheitsprüfung und Wahrheitsfindung, sondern zu einem Mittel der Selbstzerstörung. Wenn ich so etwas an mir feststelle, heißt es: Heraus aus der tödlichen Spur! Einmal wenigstens Vertrauen fassen - und wenn es zunächst nur in ein Tier ist - Tiere können heilen helfen. Und dann vielleicht ein Mensch, der nicht enttäuscht. Ihn gibt es ganz sicher. Glaube, sagt Martin Luther einmal, heißt aus dem Schatten des Hauses in das Licht der Sonne zu springen. Ohne diesen Sprung über alle lähmenden Zweifel hinweg geht es in der Tat irgendwann nicht. Abgrund oder Ufer - habe ich noch Zweifel, wohin ich will? Aber selbst der Abgrund hat noch einen Grund. Daran glaube ich.

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Wer zweifelt, stellt eine Wahrheit, die Gültigkeit beansprucht, in Frage. Aber er vemeint oder widerlegt sie auch nicht. Er ist sozusagen zweigeteilt: kann sein kann auch nicht sein.

 

Aber der Begriff des Glaubens ist ein anderer geworden: Er ist nicht höchste Autorität in Wissensfragen, sondern - und das macht ihn wichtiger, ja unersetzlich - in Sinnfragen. Glauben heißt jetzt nicht mehr "nicht wissen", sondern "vertrauen" "sich anvertrauen".

 

Glaube, wie ich ihn verstehe, ist die elementare Zuversicht, dass Gutes in uns, um uns und über uns waltet, dass Gutes sich lohnt - nicht, weil es belohnt wird, sondern um seiner selbst willen.

 

Das eine weiß ich - des andern bin ich gewiss - mitten in allem Zweifel, dessen ich mich nicht schämen muss, selbst, wenn er mich an der Wurzel trifft.

 

Allerdings gibt es auch einen destruktiven Zweifel, den Zweifel um des Zweifelns, nicht um der Wahrheit willen.

 

Hier wird der Zweifel nicht mehr zum konstruktiven Instrument der Wahrheitsprüfung und Wahrheitsfindung, sondern zu einem Mittel der Selbstzerstörung.

Das fand ich interessant, Helmut.

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