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Kirchenmusik der Zukunft


Franziskaner

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vor 8 Stunden schrieb Merkur:

Könnte man z.B. "My funny Valentine" in der Sprache eines Renaissancemadrigals ausdrücken?  Möglicherweise, aber wozu? 

 

Das geht wohl deshalb nicht, weil sich auch unsere Gefühle mit der veränderten Musik veärndert haben. Musik drückt ja nicht nur Gefühle aus, sondern sie erzeugt auch Gefühle, bzw. sie gestaltet Gefühle, auch kollektive Gefühle.

 

Und ich meine: genau deshalb ist es wichtig, die Frage nach dem Glauben auch in den musikalischen Formen unserer Zeit zu stellen. Die musikalische Sprache von Bach und Mozart ist so weit vom Gefühlsleben vieler Menschen entfernt, dass sie es eher verhindert als unterstützt, eine eigene Haltung zur Frage des Glaubens zu finden.

 

Der Tango macht dabei noch mal eine besondere Sache deutlich: Er steht den meisten Europäern stilistisch nicht so nahe, dass er bei der Entwicklung einer emotionalen Haltung geeignet wäre. Der Tango ist dermaßen spezifisch argentinisch, dass er von den meisten als exotischer Oberflächenreiz wahrgenommen wird. Das macht es schwierig, ihn im Gottesdienst zu verwenden. Aber an der Reaktion von Higgs Boson erkennst Du, dass es nicht jedem so geht.

 

Aber der große Strom der afroamerikanischen Musik hat da eine ganz andere Bedeutung. Diese Musik ist in unterschiedlicher Ausprägung für sehr viele Menschen in unserer Gesellschaft eben nicht exotisch, sondern engstens mit der emotionalen Biografie verknüpft.

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Noch ein Wort zu "Aufführungsmusik" vs. "liturgischer Musik": Ich halte diese Unterscheidung für treffend und unterscheide das selbst auch so. Die Vorgaben des 2. Vatiknaums bezüglich der Einbindung der Gemeinde in die Liturgie halte ich für sehr wichtig und habe sie auch umgesetzt, und zwar in einer Weise, die von der Gemeinde auch angenommen und genutzt wurde. Auch die Chor- und Instrumentalparts sind in meiner Messe deutlich schlichter als in den "Psalmen und Lobgesängen".

 

Aber ich glaube nicht, dass es darum geht. Jazzverwandte Musik findet in katholischen Gemeinden ja weder in der Liturgie noch als geistliches Konzert statt. Und das erzeugt eine Situation, in der sich eine großer Teil der heutigen Menschen kulturell in der Kirche nicht beheimatet fühlt, und auch nie mehr beheimatet fühlen kann.

 

Eines erstaunt mich dabei besonders: eigentlich ist der Unterschied zwischen rhythmisch aktiverer Musik, wie z.B. von Steve Dobrogosz oder John Rutter, und grooveorientierter Musik im afrikanischen Sinne gar nicht so groß. Wenigstens wenn man vom Notentext ausgeht. Der entscheidende Unterschied besteht in der Musizierhaltung. Bei Steve Dobrogosz entsteht der Rhythmus durch das exakte Absingen der Noten; bei grooveorientierte Musik entsteht er dadurch, dass man sich mit seiner Körperlichkeit in diese rhythmische Dimension hineinbegibt.

 

Das erstaunlich ist, dass die Kirchenmusiker diesen Unterschied genau wahrnehmen, obwohl er sich im Notentext gar nicht manifestiert. Der Kirchenmusiker in meiner Heimatstadt z.B. verwendet durchaus auch rhythmisch aktive Musik, sowohl liturgisch als auch in Kirchenkonzerten. Aber zu den Stücken von mir sagte er: "Jazz ist mir irgendwie fremd, das möchte ich lieber nicht machen".

 

Das verstehe ich, und wir schätzen uns ja auch fachlich und menschlich. Aber es ist auch ein Problem, genau das Problem, das Chrysologus weiter oben geschildert hat. Viele Menschen bleiben mit ihrem Empfinden einfach draußen. Da hilft auch noch so viel Nachdenken und Reformieren auf der Wortebene oder der Kirchenstrukturebene überhaupt nicht weiter. Das finde ich schade.

 

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vor einer Stunde schrieb Franziskaner:

Jazzverwandte Musik findet in katholischen Gemeinden ja weder in der Liturgie noch als geistliches Konzert statt.

Dem würde ich widersprechen. Es gibt in etlichen größeren Städten die "moonlight jazz mass" (idR sonntags, 21.00 Uhr), dort ist Jazz aber als musikalisches Element zwischen den gesprochenen Teilen der Messe eingesetzt, um Räume des Nachklingenlassen (Ignatius von Loyola sagt dazu das "Schmecken und verkosten von innen her") zu eröffnen.
 

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vor 1 Stunde schrieb gouvernante:

Dem würde ich widersprechen. Es gibt in etlichen größeren Städten die "moonlight jazz mass" (idR sonntags, 21.00 Uhr), dort ist Jazz aber als musikalisches Element zwischen den gesprochenen Teilen der Messe eingesetzt, um Räume des Nachklingenlassen (Ignatius von Loyola sagt dazu das "Schmecken und verkosten von innen her") zu eröffnen.
 

 

Das ist interessant und eine gute Nachricht. Ich weiß, dass es im evangelischen Bereich so etwas gibt; sogar mit dem Bemühen, es auf festere institutionelle Füße zu stellen. In der Berliner Gedächtniskirche habe ich selbst mal mit meinem "Franziskusinventionen"-Programm gespielt.

 

Aus katholischen Kirchen ist mir so etwas aber nicht bekannt, und ich bin mir ziemlich sicher, dass es so etwas in Köln nicht gibt. In welchen Städten findet das denn statt?

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vor 47 Minuten schrieb Franziskaner:

Aus katholischen Kirchen ist mir so etwas aber nicht bekannt, und ich bin mir ziemlich sicher, dass es so etwas in Köln nicht gibt. In welchen Städten findet das denn statt?

Frankfurt, St. Ignatius (jd. Sonntag)

Würzburg, Augustinerkloster (jd. Sonntag)

Erfurt 

und mW sporadisch in Göttingen und Essen

 

Im Moment natürlich nicht...

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vor 9 Stunden schrieb gouvernante:

Frankfurt, St. Ignatius (jd. Sonntag)

Würzburg, Augustinerkloster (jd. Sonntag)

Erfurt 

und mW sporadisch in Göttingen und Essen

 

Im Moment natürlich nicht...

 

Schade, da liegt nichts bei mir in der Nähe. Aber es ist eine interessante Zusammenstellung von Städten, die zeigt, dass Jazz in Deutschland (und in etwas geringerem Maße in ganz Europa) eine sehr dezentrale Angelegenheit ist.

In Frankfurt, Essen und Würzburg gibt es Jazzabteilungen an den Musikhochschulen. Aber die Zentren mit internationaler Ausstrahlung, also Köln, Berlin und Hamburg, sind nicht dabei.

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vor einer Stunde schrieb Franziskaner:

Aber es ist eine interessante Zusammenstellung von Städten

Sagen wir es mal so: das sind einfach alles Städte, in denen Jesuiten diesen Form von Gottesdienst mal angefangen haben und es entweder noch selbst weitertragen oder andere sich gefunden haben, die es fortführen, wenn die SJ dort nicht mehr arbeiten. Mit Ausnahme von Erfurt, da kenne ich den Ursprung nicht.

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vor 11 Stunden schrieb gouvernante:

Sagen wir es mal so: das sind einfach alles Städte, in denen Jesuiten diesen Form von Gottesdienst mal angefangen haben und es entweder noch selbst weitertragen oder andere sich gefunden haben, die es fortführen, wenn die SJ dort nicht mehr arbeiten. Mit Ausnahme von Erfurt, da kenne ich den Ursprung nicht.

 

Das ist schön, und das ist für mich auch neu. In Köln haben die Jesuiten einen starken und exklusiven Schwerpunkt auf "Neuer Musik" (Kunststation St. Peter). Das ist dann natürlich zunächst einmal sehr kopfbezogen und ich habe es mit der sehr intellektuell geprägten Theologie etwa von Karl Rahner in Verbindung gebracht. Schon (Papst) Franziskus war da für mich eine positive Überraschung. Und das es in anderen Städten Jazzprojekte gibt, freut mich natürlich.

 

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Es hat sich ja in der Diskussion einiges herausgestellt:

- Die Kirchenmusik der Zukunft gibt es nicht, weil die kulturellen Umfelder, in denen wir uns bewegen viel zu unterschiedlich geworden sind. Und zwar ganz unabhängig von den physischen Wanderungsbewegungen, die in den letzten Jahren stattgefunden haben.

- So richtig überzeugende Lösungen gibt es zu Zeit nicht. Wichtig ist aber, die unterschiedlichen Spielsituationen zu berücksichtigen und liturgische Musik von konzertanter Musik gut zu unterscheiden.

 

Ich poste hier jetzt einfach mal gelegentlich Youtube-Links zu Musik, die ich im zusammenhang mit der Diskussion für interessant halte. Wer möchte, kann ja etwas dazu schreiben.

 

Hier ist zunächst einmal die Misa Espiritual von Airto Moreira (uraufgeführt von der WDR-Bigband in den 80er Jahren. Ich habe die Schallplatte). Das ist natürlich konzertante Musik. Airto verwendet Elemente aus Jazz und brasilianischer Volksmusik. Er stellt Bestandteile der Messe mit anderen Texten frei zusammen und hat dabei einen starken Bezug zur Einheit von Schöpfung, Mensch und Gott. Überspitzt gesagt könnte man sagen: das ist der Soundtrack zur Amazonien-Synode.

 

Noch mal deutlich weniger christlich, sondern ganz klar mit einem animistischen Hintergrund ist die Misa Negra der legendären kubanischen Band Irakere. Sie ist rein instrumental und lehnt sich vom Aufbau har an das traditionelle westafrikanische Ritual der Yoruba an, das in Kuba und Brasilien ein wichtiger Bestandteil der Volksreligiosität ist:

Rezo (Versammlung und Gebet)

Acermiento (Der Gott nähert sich)

Llegado e Desarolla (Der Gott tritt zur Versammlung hinzu und der Dialog beginnt)

Despedida (Der Gottesdienst endet und der Gott verschwindet)

 

Stilistisch sind beide Stücke relativ ähnlich, und man merkt deutlich, dass es in Lateinamerika starke Überlappungen und Übergänge zwischen christlich-katholischen und afrikanisch-animistischen Vorstellungen gibt. Die evangelikale Bewegung in Lateinamerika ist auch als Gegenbewegung zu diesem kulturellen Gesamtkomplex zu verstehen.

 

bearbeitet von Franziskaner
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Hier kommen zwei Kompositionen der Jazzpianistin und Komponistin Mary Lou Williams. Williams war eine beeindruckende Persönlichkeit. Als  junge Frau begann sie als Pianistin im Jazz der 20er und 30er Jahre. Ende der 30er Jahre begann sie zu arrangieren und zu komponieren, u.a. für das Duke Ellington Orchester. Nach dem 2. Weltkrieg ging sie, wie viele schwarze Jazzmusiker, nach Europa. In Frankreich erlebte sie eine schwere persönlich Krise, zog sich für einige Zeit zurück und erlebte eine Hinnwendung zum Christentum. Zurück in New York wurde sie katholisch und gründete eine Stiftung, die sich um die medizinische Versorgung drogensüchtig gewordenener Musiker kümmerte.

 

In der 60er Jahre begann sie, Musik für Chor und Jazzband mit geistlichem Inhalt zu schreiben. Ihre wichtigste Platte in dieser Beziehung ist "Black Christ of the Andes", das dem damals heiliggesprochenen St. Martin de Porres aus Peru, dem ersten Heiligen dunkler Hautfarbe in der Neuzeit, gewidmet war. Ende der 60er Jahre schrieb sie eine Messe, die meiner Meinung nach aber die formale Klarheit und Prägnanz von "Black Christ of the Andes" vermissen lässt. Hier sind zwei Stücke von ihr:

 

Black Christ of the Andes


Anima Christi

 

Anima Christ hat als Text den ignatianischen Hymnus "Seele Christi".

Die Musik ist aus der Gospelmusik entwickelt und orientiert sich etwas an Duke Ellingtons Kompositionsstil. Ich finde sie aber kompositorisch und auch theologisch präziser und besser ausgearbeitet als Ellingtons "Sacred Concerts", die sehr stark von seinen überragenden Solisten leben.

 

 

 

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Eines der spannendsten und zeitlosesten Projekte des deutschen Jazz, und meiner Meinung nach eine der maßgeblichen Jazzplatten der 90er Jahre weltweit ist "Song of Songs" von Klaus König. Er vertont Texte aus dem "Lied der Lieder", einem alttestamentlichen Liebeslied. Dabei hat er eine typisch europäisch-agnostische Perspektive: er behandelt den Text als ein Stück Weltliteratur (in direkter Weise kommt Gott in diesem Text ja auch nicht vor).

 

Stilistisch ist die Komposition an postmoderne Verfahren angelehnt, mit eine Mischung aus Gospel, Avantgarde, Rock-Groove und Mainstream-Jazz. König führt alle Einflüsse zu einem schlüssigen Gesamtkonzept zusammen, in dem die Wahl der Stilmittel durch die Textausdeutung bestimmt wird. Die Band ist grandios und besteht aus einigen der  interessantesten und  virtuosesten stilprägenden Musikern aus Europa und der USA der 80er und 90er Jahre.


The Day Of Bliss And Joy

 

Spirits and Godesses

 

Set Me As A Seal

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Wie stark Religiosität in der schwarzen Kultur verankert ist, sieht man bei Musikern, bei denen man das eher nicht erwartet hätte: im HipHop der 90er Jahre, dem sogenannten "Gagsta-Rap". Tupacs "I wonder if heaver got a ghetto" ist eine berührenden Frage nach Erlösung, Schuld und Vergebung. Er sieht die Gewalt in seiner Welt, und fragt einerseits ob auch die Ghetto-Bewohner in den Himmel kommen können. Anderseits ist auch dieser Himmel für ihn nur vorstellbar als ein Ort, an dem die Rassenschranken trotzdem existieren.

 

I wonder if heaven got a ghetto

 

Lauryn Hill hat auf ihrer CD "The Miseducation of Lauryn Hill"  mehrere Verweise auf Religion und ihren persönlichen Glauben. Ganz explizit in dem Song "Father forgive", in dem es um die Frage nach Schuld, Verrat und Vergebung geht.

 

Father Forgive

 

 

 

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Ein Meilenstein in der Einbeziehung außereuropäischer Musikkulturen in die Kirchenmusik ist die "Missa Luba", in der der Franziskanerpater Guido Haazen 1957 kongolesische Rhythmen und Melodien zur Vertonung der Texte der Messe verwendet hat. Die Messe entstand in Zusammenarbeit mit dem Chor der Gemeinde, ist also nicht im klassischen Sinne "komponiert". Liturgisch gesehen ist sie natürlich vorkonziliar. Der in der afrikanischen Musikkultur verankerte Wechsel zwischen Vorsänger und Gruppe spielt aber trotzdem eine große Rolle. Wikipedia-Artikel

 

Die Einbeziehung und Wertschätzung einheimischer Kulturformen durch die Missionare ist im Missionsdekret des 2. Vatikanums ausdrücklich gewürdigt und gefordert worden. Da die afrikanische Musik voller lebendiger und kraftvoller Entwicklungen und Veränderungen ist, würde der Stil der Messe von den meisten Kongolesen heutzutage als altmodisch wahrgenommen werden.

 

Kyrie

 

Credo

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