Weihrauch Geschrieben Samstag um 14:23 Melden Geschrieben Samstag um 14:23 Ich wollte auf Freys Antwort gerade nach dem Misstrauen fragen, denn mir scheint, dass es sich damit so ähnlich verhält wie mit dem Optimismus und dem Pessimismus. Ich beginne zu nerven, wenn ich wiedermal Haltungen ins Spiel bringe. Zitieren
KevinF Geschrieben Samstag um 19:06 Melden Geschrieben Samstag um 19:06 4 hours ago, Marcellinus said: Und mit Skepsis zusammen die zwei Seiten der selben Medaille. oder mit anderen Worten: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. 😄 Exakt. Und eben diese beiden Seiten sind ja in einem Verständnis der Naturgesetze als zwar vertrauenswürdige, aber stets vorläufige, revidierbare Hypothesen abgebildet. 1 Zitieren
Marcellinus Geschrieben Samstag um 19:17 Melden Geschrieben Samstag um 19:17 vor 6 Minuten schrieb KevinF: Und eben diese beiden Seiten sind ja in einem Verständnis der Naturgesetze als zwar vertrauenswürdige, aber stets vorläufige, revidierbare Hypothesen abgebildet. Man könnte sogar sagen, daß den theoretisch-empirische Wissenschaften vor allen Dingen deshalb zu trauen ist, weil die Wissenschaftler selbst immer wieder überprüfen, inwieweit unsere Modelle noch den Stand unserer Beobachtungen entsprechen. Gerade weil wir keine unserer Theorien für absolut und endgültig wahr halten, sind sie zu jedem Zeitpunkt das beste Wissen, daß wir haben können. Zitieren
iskander Geschrieben Samstag um 19:22 Melden Geschrieben Samstag um 19:22 vor 19 Stunden schrieb KevinF: Antwort: Die Naturgesetze gelten seit Milliarden von Jahren, sie sind die fundamentalste Realität, die wir kennen und wir kennen nichts, was sie auflösen könnte (zumindest keine ernstzunehmende entsprechende Hypothese). Daraus folgt zwar deduktiv nicht, dass sie auch morgen noch gelten, es ist aber Grund genug, darauf zu vertrauen. Es ist somit ein berechtigtes Vertrauen und damit ein vorläufiges, falsifizierbares Wissen (vorläufige Hypothese), so wie all unser empirisches Wissen, das darauf aufbaut. Falls ich das richtig verstehe, würde diese Argumentation auf der folgenden Prämisse aufbauen: 'Wenn etwas sehr lange der Fall war, und wenn es keinen Grund für die Annahme gibt, dass es sich ändern wird, dann ist es zwar nicht sicher der Fall, dass es auch in Zukunft so bleiben wird, aber es ist zumindest naheliegend bzw. wahrscheinlich.' Das ist sicher intuitiv plausibel, wobei ich meine Zustimmung vor allem einer vorsichtigen Version geben würde: Wenn die Naturgesetze so lange Zeit gegolten haben, ist anzunehmen, dass sie zumindest noch eine gewisse Zeit gelten werden. Die Aussage, dass sie vermutlich immer gelten werden, wären mutiger. Physiker nehmen meines Wissens an, dass die uns bekannte Materie einmal vergehen wird. Natürlich kann man dem entgegenhalten, dass sich dann nur die Natur und nicht die Naturgesetze ändern würden (wobei das vielleicht eine Frage der Begrifflichkeit ist?). In jedem Fall aber würde sich etwas, was sehr lange Bestand hatte und was aus unserer menschliche Sicht fundamental ist, ändern. Jedenfalls würde ich daraus, dass etwas sehr lange der Fall war, mit mehr Zuversicht auf die nahe Zukunft als auf die extrem entfernte schließen. (Zudem würde ich persönlich wie gesagt meinen, dass man die Plausibilität einer entsprechenden Schlussweise noch weiter begründen kann - aber ich "verlange" natürlich nicht, dass jemand meiner entsprechenden Argumentation zustimmt. Im Übrigen ist diese ohnehin eher eine Skizze als ein grünlich "durchaurgumentierter" Beweisversuch.) Zitat Dann wäre nur noch die Frage, warum Philosophen dies seit Jahrhunderten diskutieren, wenn eine derart einfache Antwort ausreichend ist? Wie schon gesagt verstehe ich L. BonJour so, dass er wohl ähnlich argumentiert, und es scheint auch andere Philosophen zu geben, die ähnlich argumentieren. Wahrscheinlich würde ein anderer Teil der Philosophen aber antworten, dass diese Art der Begründung ihnen nicht ausreicht. Popper argumentiert ja irgendwo, dass der Truthahn (oder war es ein anderer Vogel?) im Laufe der Zeit gelernt hat, dass der Bauer ihm jeden Tag Futter bringt. Aber irgendwann kommt der Bauer, um ihn einen Kopf kürzer zu machen. Popper würde also wohl sagen, dass das Vertrauen, das wir auf Grundlage unserer Erfahrung gewinnen, keine ausreichende Basis für Wissenschaft ist. Ich möchte nicht sagen, dass Popper recht hat, oder dass seine Analogie einen unbedingt überzeugen müsste. Aber es ging ja darum, warum generell nicht alle Philosophen die Lösung mit dem erfahrungsbasierten Vertrauen als Basis für die Wissenschaft zufrieden sind. Zitat Hier zeigt sich, dass @Marcellinus recht hat, es geht um Fragen von emotionaler bis existenzieller Bedeutung für den Fragesteller. Wenn ich @Marcellinus richtig verstehe - er möge mir ansonsten bitte widersprechen - kann er allerdings mit Begriffen wie "existenzielle Bedeutung" oder "existentielles Vertrauen" im Kontext der Wissenschaft wenig anfangen; so etwas gehört für ihn in die Religion und Philosophie. Zitieren
iskander Geschrieben Samstag um 19:27 Melden Geschrieben Samstag um 19:27 vor 5 Minuten schrieb Marcellinus: Man könnte sogar sagen, daß den theoretisch-empirische Wissenschaften vor allen Dingen deshalb zu trauen ist, weil die Wissenschaftler selbst immer wieder überprüfen, inwieweit unsere Modelle noch den Stand unserer Beobachtungen entsprechen. Gerade weil wir keine unserer Theorien für absolut und endgültig wahr halten, sind sie zu jedem Zeitpunkt das beste Wissen, daß wir haben können. Das befreit einen aber nicht von der Notwendigkeit induktiver Schlüsse. Wenn wir beispielsweise heute das heliozentrische Weltbild widerlegt haben, müssen wir doch annehmen dürfen, dass die Natur sich nicht so fundamental ändert, dass morgen plötzlich doch genau dieses Weltbild gilt. Sonst könnte man auf nichts aufbauen. Zitieren
KevinF Geschrieben Samstag um 19:29 Melden Geschrieben Samstag um 19:29 8 minutes ago, Marcellinus said: Man könnte sogar sagen, daß den theoretisch-empirische Wissenschaften vor allen Dingen deshalb zu trauen ist, weil die Wissenschaftler selbst immer wieder überprüfen, inwieweit unsere Modelle noch den Stand unserer Beobachtungen entsprechen. Ja und Teile der theoretischen Physik scheinen mir dieses Vertrauen in den letzten Jahrzehnten doch stark strapaziert zu haben mit ihren mathematischen Fiktionen ("mathematical fiction", ein Ausdruck, den ich von Sabine Hossenfelder habe). (Was aber natürlich nicht unsere bewährten Theorien betrifft.) Dann noch die Instrumentalisierung der "Wissenschaft" während Corona... Aber über Politik darf man hier ja nicht mehr sprechen. Wie ist das Wetter so bei Euch? 1 Zitieren
iskander Geschrieben Samstag um 19:33 Melden Geschrieben Samstag um 19:33 vor 5 Stunden schrieb Frey: Der Prozess von Empirie, Induktion, Theorie und Deduktion beschreibt den wissenschaftlichen Erkenntnisweg. Ja gewiss. Und die Abduktion - der Schluss vom Gegebenen auf die naheliegendste Erklärung - spielt in der Praxis auch eine große Rolle. Dass logische Schlüsse beim wissenschaftlichen Arbeiten (oder generell) eine wichtige Rolle spielen, und keinesfalls etwa ein Steckenpferd der Philosophie sind, ist etwas, was ich schon lange darzulegen versucht habe - allerdings bisher leider ohne Erfolg. vor 5 Stunden schrieb Frey: Vertrauen ist kein eigener Prozessschritt, sondern eine Voraussetzung und ein Begleiter aller Schritte: Forscher müssen darauf vertrauen, dass Daten korrekt sind, Methoden funktionieren und Kollegen ehrlich arbeiten. Vertrauen ist also ein transversal wirkendes Element im gesamten Erkenntnisprozess. Das stimmt; und wenn Wissenschaft mehr sein soll als eine Glaubenssache, dann muss das Vertrauen selbst begründet sein (etwa durch seine Plausibilität, durch Erfahrung usw.). Zitieren
KevinF Geschrieben Samstag um 19:51 Melden Geschrieben Samstag um 19:51 24 minutes ago, iskander said: Popper argumentiert ja irgendwo, dass der Truthahn (oder war es ein anderer Vogel?) im Laufe der Zeit gelernt hat, dass der Bauer ihm jeden Tag Futter bringt. Aber irgendwann kommt der Bauer, um ihn einen Kopf kürzer zu machen. Ist das nicht älter als Popper? Jedenfalls meine ich, diesen Einwand in meine Antwort integriert zu haben: Das Vertrauen ist zwar vernünftig (aus den genannten Gründen), aber es bleibt eben Vertrauen. Und dieser Einwand ist ja auch der Grund, warum mich die von Dir vorgeschlagene Wahrscheinlichkeitsverteilung nicht überzeugt. Sie verbirgt imo nur unser Unwissen hinter objektiv erscheinenden Zahlen. Zitieren
Marcellinus Geschrieben Samstag um 19:53 Melden Geschrieben Samstag um 19:53 vor 19 Minuten schrieb KevinF: Ja und Teile der theoretischen Physik scheinen mir dieses Vertrauen in den letzten Jahrzehnten doch stark strapaziert zu haben mit ihren mathematischen Fiktionen ("mathematical fiction", ein Ausdruck, den ich von Sabine Hossenfelder habe). (Was aber natürlich nicht unsere bewährten Theorien betrifft.) Da ist sie nicht die einzige. Ich habe hier ein Buch des Physik-Nobelpreis-Trägers Robert B. Laughlin: Abschied von der Weltformel. 2005, also auch schon 20 Jahre alt. Dort schreibt er: „Es macht ungeheuer viel Spaß, über die Stringtheorie nachzudenken, weil viele ihrer inneren Beziehungen unerwartet einfach und schön sind. Abgesehen davon, daß sie den Mythos von der ultimativen Theorie stützt, hat sie jedoch keinen praktischen Nutzen. Es gibt keine experimentellen Beweise für die Existenz von Strings in der Natur […]. In Wahrheit ist die Stringtheorie ein Schulbeispiel für eine Trügerische Truthenne, ein schöner Satz von Ideen, die immer knapp außerhalb der Reichweite bleiben werden.“ 1 Zitieren
KevinF Geschrieben Samstag um 19:55 Melden Geschrieben Samstag um 19:55 19 minutes ago, iskander said: Ja gewiss. Und die Abduktion - der Schluss vom Gegebenen auf die naheliegendste Erklärung - spielt in der Praxis auch eine große Rolle. Dass logische Schlüsse beim wissenschaftlichen Arbeiten (oder generell) eine wichtige Rolle spielen, und keinesfalls etwa ein Steckenpferd der Philosophie sind, ist etwas, was ich schon lange darzulegen versucht habe - allerdings bisher leider ohne Erfolg. Wieso, das ist doch selbstverständlich. Und nein, bitte jetzt keine seitenlange Beschwerde über @Marcellinus schreiben 😉 Ich verstehe seine Texte eben anders als Du. 1 Zitieren
KevinF Geschrieben Samstag um 19:59 Melden Geschrieben Samstag um 19:59 4 minutes ago, Marcellinus said: Da ist sie nicht die einzige. Ich habe hier ein Buch des Physik-Nobelpreis-Trägers Robert B. Laughlin: Abschied von der Weltformel. 2005, also auch schon 20 Jahre alt. Dort schreibt er: „Es macht ungeheuer viel Spaß, über die Stringtheorie nachzudenken, weil viele ihrer inneren Beziehungen unerwartet einfach und schön sind. Abgesehen davon, daß sie den Mythos von der ultimativen Theorie stützt, hat sie jedoch keinen praktischen Nutzen. Es gibt keine experimentellen Beweise für die Existenz von Strings in der Natur […]. In Wahrheit ist die Stringtheorie ein Schulbeispiel für eine Trügerische Truthenne, ein schöner Satz von Ideen, die immer knapp außerhalb der Reichweite bleiben werden.“ Empfehlen kann ich auch einen Videobeitrag von Hossenfelder zur Geschichte der Stringtheorie: https://www.youtube.com/watch?v=eRzQDyw5C3M 1 Zitieren
Marcellinus Geschrieben Samstag um 20:07 Melden Geschrieben Samstag um 20:07 (bearbeitet) @KevinF Eigentlich sind die theoretisch-empirischen Wissenschaften und ihre Arbeitsweise gar nicht so schwer zu verstehen. Sie haben nichts, was man einen absoluten Anfang nennen könnte. Es gibt zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem Fach einen Bestand an bestätigten Beobachtungen und anerkannten Modellen, wie diese Beobachtungen nachweisbar zusammenhängen könnten. Jedes dieser Modelle erklärt nicht nur Zusammenhänge zwischen bekannten Tatsachen, sondern macht auch Voraussagen über zukünftige. Die Fachwissenschaftler machen sich also auf, diese Tatsachen zu suchen, und entweder passen die neuen Beobachtungen in die bestehenden Modelle, oder die Modelle müssen angepaßt oder verworfen und durch neue Modelle ersetzt werden, die besser zu den beobachtbaren Tatsachen passen. Das ist der Prozeß des wissenschaftlichen Wissenserwerbs, eine ununterbrochene Abfolge von Tatsachenbeobachtungen und Modellbildung, ohne Anfang, und auch ohne Ende, solange Menschen sich für die Wirklichkeit interessieren, in der sie leben, und von der sie ein Teil sind. Eigentlich gar nicht so schwer zu verstehen, nicht wahr? (Jedenfalls muß man keine Seiten vollschreiben) 😉 bearbeitet Samstag um 20:39 von Marcellinus Zitieren
Marcellinus Geschrieben Samstag um 20:37 Melden Geschrieben Samstag um 20:37 vor 33 Minuten schrieb KevinF: Empfehlen kann ich auch einen Videobeitrag von Hossenfelder zur Geschichte der Stringtheorie Die Stringtheorie scheint mir ein Fall zu sein, wo die Modellbildung weit über nicht nur die bisher beobachtbaren Tatsachen hinausgegangen ist, sondern über beobachtbare Tatsachen überhaupt. Ein gutes Beispiel für ein schlechtes Beispiel dafür, wie die Physik auf dem besten Weg ist, zur Metaphysik zu werden. Oder wie Rolf Helmut Foerster so treffend schrieb: „Zur Metaphysik kommt man […], indem man beim Nachdenken über eine Sache dem Denken selbst den Vorrang vor der Sache gibt.“ Zitieren
Weihrauch Geschrieben Samstag um 20:49 Melden Geschrieben Samstag um 20:49 (bearbeitet) vor einer Stunde schrieb iskander: Dass logische Schlüsse beim wissenschaftlichen Arbeiten (oder generell) eine wichtige Rolle spielen, und keinesfalls etwa ein Steckenpferd der Philosophie sind, ist etwas, was ich schon lange darzulegen versucht habe - allerdings bisher leider ohne Erfolg. Vielleicht liegt es am Geheimnis des weißen Raben? Mir leuchtet die Logik nicht ein, die Mutter der Varianz als ein Anschauungsbeispiel für die Invarianz der Natur heranzuziehen. Das hat schon mit dem Geheimnis des schwarzen Schwans nicht funktioniert, und wird mit dem Bauern auch nicht besser. bearbeitet Samstag um 20:52 von Weihrauch 1 Zitieren
Frey Geschrieben Samstag um 21:50 Melden Geschrieben Samstag um 21:50 vor 2 Stunden schrieb iskander: Ja gewiss. Und die Abduktion - der Schluss vom Gegebenen auf die naheliegendste Erklärung - spielt in der Praxis auch eine große Rolle. Dass logische Schlüsse beim wissenschaftlichen Arbeiten (oder generell) eine wichtige Rolle spielen, und keinesfalls etwa ein Steckenpferd der Philosophie sind, ist etwas, was ich schon lange darzulegen versucht habe - allerdings bisher leider ohne Erfolg. Die Abduktion, wie sie von Charles S. Peirce eingeführt wurde, ist ein Schlussverfahren, das sich grundlegend von Deduktion und Induktion unterscheidet. Während Deduktion und Induktion auf bekannten Regeln und Wahrscheinlichkeiten beruhen, ist die Abduktion der Prozess, bei dem aus einer überraschenden Beobachtung eine erklärende Hypothese gebildet wird. Sie beginnt mit einer Tatsache, die nicht ins bisherige Erklärungsmuster passt, und führt zu einer neuen, bislang unbekannten Regel, die das Unerwartete erklärbar macht. Gerade diese kreative Komponente macht die Abduktion für die Wissenschaft attraktiv, denn sie ermöglicht die Generierung neuer Ideen und Theorien. Sie ist damit ein unverzichtbares Werkzeug der Erkenntnisgewinnung, insbesondere in Phasen, in denen bestehende Theorien an ihre Grenzen stoßen. Die abduktive Methode ist jedoch nicht frei von wissenschaftstheoretischen Problemen. Zunächst ist die abduktive Schlussfolgerung formallogisch problematisch. Während die Deduktion wahre Aussagen liefern kann und die Induktion zumindest eine Wahrscheinlichkeitsaussage erlaubt, bleibt die Abduktion stets im Bereich des Möglichen. Sie bietet lediglich eine plausible, aber keineswegs notwendige Erklärung. Die Abduktion ist somit ein höchst fiktionaler, wenn auch kenntniserweiternder Schluss. Ein weiteres Problem liegt in der Subjektivität und Kontextabhängigkeit abduktiver Schlüsse. Die Bildung einer erklärenden Hypothese ist stark von der Erfahrung, Intuition und dem Vorwissen der Forschenden abhängig. Es besteht die Gefahr, dass persönliche Annahmen oder kulturelle Vorprägungen in die Hypothesenbildung einfließen und so die Objektivität wissenschaftlicher Erkenntnis beeinträchtigen. Die Abduktion ist daher weniger ein systematisch kontrollierbares Verfahren als vielmehr ein kreativer Akt, der sich nicht vollständig rationalisieren lässt. Zudem fehlt der Abduktion eine klare, methodisch abgesicherte Systematik zur Auswahl der „besten“ Hypothese. Für ein beobachtetes Phänomen lassen sich oft mehrere plausible Erklärungen denken, ohne dass die Abduktion selbst Kriterien bereitstellt, welche davon vorzuziehen ist. Erst nachfolgende deduktive und induktive Prüfungen können entscheiden, ob eine abduktiv gefundene Hypothese Bestand hat. Die Abduktion ist als Methode der Hypothesenbildung und Theorieninnovation für die Wissenschaft unverzichtbar. Ihre wissenschaftstheoretische Problematik liegt jedoch in ihrer fehlenden logischen Notwendigkeit, der hohen Fehlbarkeitsrate, der Subjektivität des kreativen Prozesses und dem Mangel an systematischen Auswahlkriterien für Hypothesen. Erst durch die Verbindung mit deduktiven und induktiven Verfahren kann abduktives Schließen seinen vollen Wert für die Wissenschaft entfalten, es geht also nur zusammen. 1 Zitieren
Cosifantutti Geschrieben Sonntag um 10:38 Autor Melden Geschrieben Sonntag um 10:38 (bearbeitet) Am 27.6.2025 um 18:53 schrieb KevinF: Ich verstehe nicht: Worin genau siehst Du eine Provokation? Die "Provokation" der Verkündigung.... das geht ja schon ganz von Anfang an los: Jesus wurde angeklagt, zum Tode verurteilt, ans Kreuz gehängt, verstorben und begraben...( "gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben".. ) Für die jüdischen und römischen Behörden war somit der "Fall" Jesus von Nazareth ad acta gelegt, das gesellschaftliche und religiöse Leben konnte in seinem gewohnten Gang in geordneten Bahnen weitergehen.... Und dann: eines Tages tauchen in Jerusalem Leute auf, die Jesus von Nazareth als auferstandenen Christus öffentlich verkünden. Sehr schön kann man das in der Apostelgeschichte nachlesen. Kein Zufall, dass die Jünger ebenfalls Repressalien ausgesetzt waren. Ich finde allein diese öffentliche Verkündigung der Jünger vollkommen spannend, weil damit der "Fall Jesu" erneut aufgerollt wurde, schlicht eine große Provokation für die damaligen religiösen und politischen Behörden. Paulus formuliert ca 20 Jahre später in seinem 1. Brief an die Korinther im ersten Kapitel ( die Einheitsübersetzung überschreibt den Abschnitt mit "die Botschaft vom Kreuz" ): "die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten. Für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit." In der modernen, rein "säkularen" Welt, die durch die Religionskritik hindurch gegangen ist und die Religion erfolgreich hinter sich gelassen hat und im "nachmetaphysischen" Zeitalter angekomnen ist, ist es für den "nachmetaphysischen" Diskurs durchaus eine Herausforderung ( = "Provokation" ), wenn Zeitgenossen weiterhin fröhlich und selbstbewusst ihren Glauben bekennen und im "nachmetaphysischen" Zeitalter praktische und theoretische Metaphysik betreiben.... und dem "wissenschaftlichen" Positivismus nicht das letzte Wort überlassen möchten... .... Ein Glaube der durchaus durch die Religionskritik "hindurchgegangen" ist ( Marx, Feuerbach, Nietzsche, Freud, Sartre, Camus... ) und insofern "aufgeklärt", "gereinigt" ist. Heute haben wir vielleicht schon wieder ein neues Stadium erreicht. Von der "Moderne" zur "Postmoderne": Alles geht, alles ist möglich, jeder kann sich sein "soziales Geschlecht" selber wählen und nach Belieben wechseln ( "....denn ich will, dass es das alles gibt, was es gibt" André Heller ) auch die Religion... vom "nachmetaphysischen" Zeitalter zum "nach-nachmetaphysischen" Zeitalter: Religion gehört wieder irgendwie dazu.... die einen gehen an Fronleichnahm auf die Straße, die anderen für die Gay-Parade... jeder darf - innerhalb der geltenden Gesetze - machen was er will.... bearbeitet Sonntag um 10:44 von Cosifantutti Zitieren
Cosifantutti Geschrieben Sonntag um 11:11 Autor Melden Geschrieben Sonntag um 11:11 Te Deum…… Stundengebet im Alltag……. …..Nach dem Pfingstfest und dem Dreifaltigkeitssonntag geht es entlang der „Sonntage des Jahreskreises“ oder ( evangelisch: „Sonntage nach Trinitatis“, sehr wichtig für die liturgische Einordnung der Kantaten des 5. Evangelisten… ). Es geht auch immer wieder darum, „hinausgehen“ in die „Welt“, „Zeitgenosse“ zu sein, „mitleben“, sich nicht in Abseits und über die Zeit zu stellen. Der „Missionsauftrag“, einmal formuliert am Ende bei Matthäus im 28. Kapitel ( die Einheitsübersetzung überschreibt den Schluss mit „Der Auftrag des Auferstandenen“ 😞 „Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern: tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes…… „ Der Auferstandene fügt dann noch hinzu die aufmunternden Worte, die uns innerlich ruhig und vollkommen gelassen bleiben lassen: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“. Ein wirklich sehr schöner Schlusssatz für eine Schrift die den Titel „Evangelium“ trägt… Dann auch - für mich irgendwie „ansprechender“ - im ersten Kapitel der Apostelgeschichte: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jeusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde.“ Zitieren
iskander Geschrieben vor 6 Stunden Melden Geschrieben vor 6 Stunden (bearbeitet) Am 28.6.2025 um 21:51 schrieb KevinF: Ist das nicht älter als Popper? Doch - aber Popper ist halt der prominente Protagonist der Induktionsskepsis, jedenfalls in neueren Zeiten. Am 28.6.2025 um 21:51 schrieb KevinF: Jedenfalls meine ich, diesen Einwand in meine Antwort integriert zu haben: Das Vertrauen ist zwar vernünftig (aus den genannten Gründen), aber es bleibt eben Vertrauen. Ich möchte hier nicht zu sehr den Advocatus diaboli spielen, aber eine Induktions-Skeptiker würde vermutlich genau hier einhaken und keine ausreichende Grundlage für die Vernünftigkeit sehen. Ihm wäre das vermutlich zu viel an Vertrauen, was hier gefordert ist. Am 28.6.2025 um 21:51 schrieb KevinF: Und dieser Einwand ist ja auch der Grund, warum mich die von Dir vorgeschlagene Wahrscheinlichkeitsverteilung nicht überzeugt. Sie verbirgt imo nur unser Unwissen hinter objektiv erscheinenden Zahlen. Die Antworten schließen sich gegenseitig nicht aus, scheint mir. Ich persönlich würde jedoch meinen, dass meine Lösung den folgenden Vorteil hat: Es wird mit ihr etwas eingefangen, was mir intuitiv recht plausibel zu sein scheint - dass man beim zeitlich und räumlich Nahen mehr als beim zeitlich und räumlich Entfernten darauf vertraut (und vertrauen darf), dass es sich wie das bereits Bekannte verhält. (Aber erneut: Das ist meine Auffassung, und andere mögen das anders sehen.) Am 28.6.2025 um 21:55 schrieb KevinF: Und nein, bitte jetzt keine seitenlange Beschwerde über @Marcellinus schreiben 😉 Ich verstehe seine Texte eben anders als Du. Es scheint mir zwar, dass er sich doch eindeutig ausdrückt - und er hat ja auch noch nie meiner Interpretation widersprochen. Aber ich kann ihn ja auch einfach direkt fragen: @Marcellinus Würdest Du tatsächlich sagen, dass die Logik eine zentrale und absolut unverzichtbare Rolle sowohl für die Wissenschaft wie auch für den Alltag spielt? (Nicht die einzige zentrale Rolle, aber eben eine zentrale Rolle.) Wenn ja, war das schon immer Deine Auffassung und ich habe Dich die ganze Zeit über total missverstanden? Am 28.6.2025 um 22:07 schrieb Marcellinus: Das ist der Prozeß des wissenschaftlichen Wissenserwerbs, eine ununterbrochene Abfolge von Tatsachenbeobachtungen und Modellbildung, ohne Anfang, und auch ohne Ende, solange Menschen sich für die Wirklichkeit interessieren, in der sie leben, und von der sie ein Teil sind. Man braucht keinen entwicklungsmäßigen, wohl aber einen begründungsmäßigen Anfang. Wenn man eine These über die Verteilung von Sternen im Universum mit dem Verweis auf die Daten von Radioteleskopen widerlegen will, dann muss man wissen, dass man die Daten von den Radioteleskopen richtig interpretiert - oder jedenfalls richtig genug, damit auf dieser Basis die fragliche Theorie tatsächlich widerlegt werden kann. Weiß man nämlich gar nicht, was die Daten tatsächlich bedeuten, dann kann man aus ihnen auch nichts Zuverlässiges über die Verteilung von Sternen schlussfolgern. Wenn nun aber jene Theorie, die wir benutzen, um die Daten von Radioteleskopen zu interpretieren, von anderen Theorien und Beobachtungen abhängt, und diese Beobachtungen und Theorien wiederum von anderen Theorien und Beobachtungen, und wenn das ganze so weitergeht und irgendwo im Nebel verläuft, dann können wir niemals wissen, ob wir auch nur eine Beobachtung richtig interpretieren. Und dann gibt es auch keine Wissenschaft und nicht einmal eine Widerlegung. Es scheint mir, dass Du diesen Punkt nicht berücksichtigst bzw. dass Du das - neutraler formuliert - anders siehst; und damit ich Dich nicht fehlinterpretiere, auch hier die Frage: Würdest Du dem, was ich gerade gesagt hatte, zustimmen, und es kommt mir nur so vor, dass Du es anders siehst als ich? Am 28.6.2025 um 22:07 schrieb Marcellinus: Eigentlich gar nicht so schwer zu verstehen, nicht wahr? 😉 (Jedenfalls muß man keine Seiten vollschreiben) So einfach ist es vielleicht doch nicht; jedenfalls ist Dein Bild der Wissenschaft an der einen oder anderen Stelle doch etwas schief. Ich begnüge mich hier mit zwei Beispielen: - Die Aussage, dass wir nur sagen können, was nicht der Fall ist, scheint wenig Sinn zu ergeben. Du meintest beispielsweise, soweit ich mich erinnere, dass wir nur wissen, dass die Erde nicht 6.000 Jahre jung oder jünger sei. Dem würde ich entgegenhalten, dass das inhaltlich dasselbe ist wie die Aussagen, dass die Erde älter als 6.000 Jahre ist. Wir können das Bestehen des entsprechenden Sachverhalts zwar auf verschiedene Weisen ausdrücken, darunter auch eine "negative", aber wir haben es hier nicht einfach mit einem "Negativum" zu tun, mit einem reinen Nicht-Bestehen von etwas. - Deine Elimination des Wahrheitsbegriffs ist zu radikal: Selbst wenn man davon ausgeht, dass Theorien nicht wahr sind, können sie doch in weiten Bereichen empirisch adäquat sein. Die "empirische Adäquatheit" einer Theorie bedeutet aber, dass die Vorhersagen der Theorie über das, was sich beobachten lässt, (weitgehend) wahr ist. Beispielsweise ist das Ptolemäische Weltbild zwar falsch, aber sehr viele seiner Vorhersagen darüber, was man von der Erde aus beobachten kann, waren wahr (oder kamen der Wahrheit doch ausgesprochen nahe). Die Ablehnung des Wahrheitsbegriffs in der radikalen Form, wie sie bei Dir aufscheint, ist nicht sinnvoll (ich gehe dabei davon aus, dass es Dir nicht allein um eine semantische Präferenz, sondern um eine sachliche Ablehnung geht). bearbeitet vor 5 Stunden von iskander Zitieren
iskander Geschrieben vor 6 Stunden Melden Geschrieben vor 6 Stunden (bearbeitet) @Frey Am 28.6.2025 um 23:50 schrieb Frey: Die Abduktion, wie sie von Charles S. Peirce eingeführt wurde [...] Nur kurz die Anmerkung, dass die Abduktion der Sache nach sogar auf Aristoteles zurückzugehen scheint, auch wenn sie sehr mit dem Namen von Pierce verknüpft ist. Zitat Die Abduktion ist als Methode der Hypothesenbildung und Theorieninnovation für die Wissenschaft unverzichtbar. Ihre wissenschaftstheoretische Problematik liegt jedoch in ihrer fehlenden logischen Notwendigkeit, der hohen Fehlbarkeitsrate, der Subjektivität des kreativen Prozesses und dem Mangel an systematischen Auswahlkriterien für Hypothesen. Erst durch die Verbindung mit deduktiven und induktiven Verfahren kann abduktives Schließen seinen vollen Wert für die Wissenschaft entfalten, es geht also nur zusammen. Das stimmt sicher. Ein Beispiel für die Unverzichtbarkeit der Abduktion in einem zudem ziemlich unproblematischen Fall: Wenn wir einen Stromkreis mit einem Stück Gold kurzschließen und dann die Lampe leuchtet, schließen wir daraus, dass Gold Strom leitet. Das ist ein Schluss nach dem Schema "Wenn A der Fall ist, dann ist auch B der Fall; B ist tatsächlich der Fall; also ist auch A der Fall (denn dass A der Fall ist, ist hier die einzig vernünftige Erklärung dafür, dass B tatsächlich der Fall ist)". (A = Gold leitet Strom; B = Die Lampe leuchtet.) Deduktiv ist dieser Schluss ungültig; es ist ein abduktiver Schluss. Aber wir kämen ohne solch fundamentale Schlüsse nicht zurecht und könnten ohne sie erst recht keine Wissenschaft betreiben. @ alle: Ich bin ein paar Tage auf Reisen. Es kann durchaus sein, dass ich die Zeit für dieses Forum finde, aber ich kann es nicht versprechen; es ist im Moment auch noch nicht zuverlässig absehbar. Falls ich keine Zeit habe, verzögern sich meine Antworten womöglich. bearbeitet vor 5 Stunden von iskander Zitieren
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