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Umgang mit atheistisch geprägten Apologeten


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Geschrieben (bearbeitet)
On 11/6/2025 at 9:44 PM, Marcellinus said:

 

Ich bin mit einem säkularen Weltbild aufgewachsen, aber ohne eine dezidierte Weltanschauung, ohne eine bestimmte Philosophie. Dementsprechend einfach war diese Prägung, und sehr viel direkter in Verbindung mit der beobachtbaren Wirklichkeit. Du kannst das daran sehen, wie viele Seiten man mit religiösen Diskussionen füllen kann (ohne übrigens zu einem Ergebnis zu kommen). Meine Weltsicht ist dagegen weit schlichter. 

 

Man sollte nie unterschätzen, wie leistungsfähig der Verzicht auf Metaphysik ist 🙂

bearbeitet von KevinF
Geschrieben
4 hours ago, Marcellinus said:

P.S.: Unter Weltbild verstehe ich, was das Wort sagt: ein Bild von meiner Welt (was weit weniger ist als "die Welt an sich"). Eine Weltanschauung (wofür es in den meisten Sprachen nicht mal ein Wort gibt) wird nach meinem Verständnis daraus, wenn ein Anspruch von umfassender und objektiver Geltung dazukommt. Meist geht das mit einem gewissen Maß an Metaphysik einher, was die Sache nicht besser macht. 

 

Was mir hier noch fehlt, ist die Einordnung der Ethik.

 

Da wir schon auf Discord darüber gesprochen haben, glaube ich aber ungefähr zu wissen, wie diese bei Dir aussieht.

 

So, auf den Rest antworte ich jetzt direkt drüben, passt dort es besser hin...

Geschrieben
Am 7.11.2025 um 01:04 schrieb Higgs Boson:

Die Thesen die er [Ehrman] vertritt, sind sehr nur für Bibelfundamentalisten 'bedrohlich'. Er war zwar Anfangs evangelikal, danach einige Zeit liberal christlich. Er hat sich dann nur aufgrund der Theodizee-frage vom Glauben an einen Gott abgewandt. Mit seiner Meinung über die Schriften der Bibel hat das nichts zu tun.

 

Dass Ehrman selbst Christ blieb und keine Unvereinbarkeit sieht, hatte ich ja selbst geschrieben. 😉

 

Aber ehrlich gesagt sehe ich nicht, wieso das so gut harmonisieren soll. Um nochmals meinen letzten Punkt aufzugreifen: Wenn Gott sich in der Bibel offenbar hat, wieso lässt er dann Fälschungen zu?

 

Zudem ist der Gesamt-Eindruck, dass das NT und die Entstehungsgeschichte des Christentums doch etwas Menschliches ist. Ehrman versucht das zwar wegzuwischen: 

 

"My point here is that I came to think that the historical-critical approach to the New Testament had not destroyed my faith; it had deepened my faith and made me more sophisticated in the way I thought and talked about God, his world, his Christ, and his salvation. Yes, this way of thinking about the world was human-made. But what kind of thinking is not humanmade?
We are humans! Of course we will think like humans. No one can think any other way—not even people (some of them reading this now) who claim that they think the thoughts of God as God has revealed them. Even that notion is a human idea—an idea that people have because it was handed down by other people living before them, since the time that a person made it up."

 

Natürlich ist jeder Gedanke, den Menschen denken, ein menschlicher Gedanke - eben insofern er von Menschen gedacht wird. Das Christentum beansprucht allerdings, dass manche Gedankeninhalte nicht von Menschen ausgedacht wurden (wie das beispielsweise bei der Ilias der Fall ist), sondern dass sie den Menschen von Gott offenbart wurden. Die menschlichen Gedanken würden dann eben von Gott herkommende Inhalte fassen, nicht menschliche Erfindungen. 

 

Wenn man diese Unterscheidung aufgibt, sehe ich nicht, wie eine Offenbarungsreligion ihre Glaubwürdigkeit behalten kann. Zumindest müsste Gott doch wohl mitgewirkt haben.

Geschrieben
vor 1 Stunde schrieb KevinF:

Man sollte nie unterschätzen, wie leistungsfähig der Verzicht auf Metaphysik ist 🙂

 

Sag das mal Marcellinus, weil er es ist, er anderen dauernd Metaphysik unterstellt, und diese dann als vermeintliches Totschlagargument ins Spiel bringt, wenn jemand anderer Meinung als er ist, völlig unabhängig vom Thema, selbst wenn es nicht das geringste mit Metaphysik zu tun hat. In seiner Weltanschauung gibt es nur die beobachtbare Wirklichkeit. Alles was da nicht hineinpasst rechnet er der Metaphysik zu. Die beobachtbare Wirklichkeit ist immer auf seiner Seite, die Metaphysik auf Seiten derer die anderer Meinung sind. Die beobachtbare Wirklichkeit ist sein Synonym für die Wahrheit, und begründet seinen Anspruch von umfassender und objektiver Geltung der dazukommt, aber das merkt er nicht, weil ihn die beobachtbare Wirklichkeit umweht wie der Heilige Geist, oder die Autorität und Tradition der Kirche.

 

Der Teil der beobachtbaren Wirklichkeit, der nicht Naturwissenschaft ist, ist noch lange nicht Metaphysik. Es gibt nicht nur die beobachtbare Wirklichkeit, sondern auch eine Menge Unbeobachtbares und Unbeobachtetes in der Wirklichkeit, das keine Metaphysik ist. Einen Teil dieses Unbeobachteten der Wirklichkeit hat er zwischen den Ohren, wie jeder andere auch, und das macht Sachen mit ihm, die er nicht will, was aber beobachtbar ist - in der Wirklichkeit. Beispielsweise weil er zufällig so geprägt wurde, und nicht anders. Ich erzählte, was mich geprägt hat. Prägungen waren ja das Thema, und das hatte nichts mit Metaphysik zu tun.

 

Aber selbst wenn man bis dahin zurückgeht, wo sich Marcellinus eingeschaltet hat, ist von Metaphysik in meiner Antwort überhaupt keine Rede gewesen:

 

Am 6.11.2025 um 19:58 schrieb Weihrauch:
Am 6.11.2025 um 18:51 schrieb iskander:

Wie lösen Christen, die mit den Ergebnissen der historisch-kritischen Forschung vertraut sind, diese Probleme für sich?

 

Sie sind sich dessen bewusst (geworden), dass Glaube keine rein intellektuelle Veranstaltung ist, und Regeln austauschbar sind. Der Mensch ist kein Intellektuelles Wesen, das wissen wir spätestens seit Freud. Das Unterbewusste bestimmt unser Erleben und Handeln viel massiver als unser Bewusstsein. Aber Psychologie ist Pfui, denn dann müsste man zugeben, dass Glaube eine Unterbewusste Veranstaltung ist, die lediglich rationalisiert wird. 

 

Der "atheistische" Regel- bzw. Methodenkanon der historisch-kritischen Forschung "so als ob es Gott nicht gäbe" - einem Atheisten muss man das ja nicht sagen - stellt keine wirkliche Hürde dar, weil der Zweifel, ob Gott existiert oder nicht, unabdingbarer Teil des Glaubens ist. Man kann Gott nicht mit der Vernunft, dem Verstand erkennen. Nur zu laut sagen sollte man das besser nicht, sonst wird die Peergroup sauer.

 

Man kann Gott überhaupt nicht erkennen. Das sollte man nicht mal ganz leise sagen, sonst wird die Peergroup aggressiv. Deswegen ecke ich hier bei allen Gläubigen an, obwohl ich keiner Peergroup angehöre. Bei unseren lieben Atheisten ecke ich immer dann an, wenn ich mich als Christ und Glaubender oute. Also, wie löse ich das für mich. Gar nicht. Ich überlasse das Problem den anderen, weil es nicht mehr meines ist, sondern noch ihres. 

 

Das Fette zitierte er nicht mit. Darum ist er jetzt mit seinem Problem, das er wiedereinmal zu meinem machen wollte, Teil meiner unbeobachteten Wirklichkeit.

Geschrieben
vor 20 Stunden schrieb rorro:

Mir geht es darum, dass dieser Priester offensichtlich nicht in der Lage ist, wiss. Hypothesen (denn mehr ist das nicht, auch nicht weniger) richtig einzuordnen.

Eine Methode - von vielen - kommt zu einem Ergebnis (wobei ich jetzt mal universalen Konsens aller Vertreter dieser Methode postuliere, den es sicher nicht gibt). Daraus so einen Satz abzuleiten zeigt maximales Unverständnis.

 

Das gilt sicher für vieles - aber manche "Hypothesen" sind doch so gut gesichert, dass es fast keinen rationalen Zweifel an ihnen geben kann. Und sie hängen auch nicht von irgendwelchen besonderen oder "problematischen" Prämissen ab. 

 

So ist es beispielsweise offensichtlich, dass sich die Kindheitserzählungen von Matthäus und Lukas erheblich unterscheiden, und dass ein Versuch, beide Versionen zu harmonisieren, als gezwungen erscheinen muss oder vielleicht auch schlichtweg nicht funktionieren kann

 

@KevinF

 

vor 3 Stunden schrieb KevinF:

Eine Berufung auf eine einzelne Bibelstelle an und für sich ist außerhalb des Fundamentalismus imo immer wertlos: 
 
Man braucht Kriterien für die Exegese. 
 
Diese kommen oft (auch) aus der Bibel selbst als ein Kanon im Kanon. 
 
Für Luther war das zum Beispiel die paulinische Rechtfertigungslehre. 
 
Auf dieser Basis kritisierte er insbesondere den Jakobusbrief lange vor der historisch-kritischen Exegese. 


Das könnte man machen - aber wie viele Christen wären bereit, den biblischen Kanon zu hinterfragen und ggf. zu verändern?

 

Zitat

 

Einzelne gefälschte Briefe im Kanon des NT sind also überhaupt kein Problem: 
 
Entscheidend ist der Inhalt, nicht der Autor und die Bewertung des Inhalts unterliegt definierten Kriterien. 

 


Ist es nicht ein merkwürdiger Gedanke, dass die Bibel die Offenbarung Gottes sein soll, dass Gott es aber zulässt, dass Fälscher ihre Werke in die Bibel einschmuggeln können, in denen dann vielleicht auch (siehe etwa 1 Tim) fragwürdige Sachen stehen?
 

Zitat

Man könnte dies auch so interpretieren, dass im Rahmen der Aufklärung weitere Kriterien hinzukamen: 
 
Ethik und unser Wissen über die Welt wurden unabhängig von der Religion und  zu Kriterien für Religion. 

 

Das ist allerdings im Prinzip in einem wichtigen Sinne schon soweit mit der antiken Philosophie (und Proto-Wissenschaft) erreicht; die großen Theologen des Christentums haben eine natürliche Erkenntnis zugestanden und außerdem, dass die von Gott geoffenbarte Lehre nicht gegen die Gesetze der Vernunft und des Denkens verstoßen kann (bzw. darf). Die Überzeugung lautete, dass die Vernunft ihr eigenes Recht hat und zwar nicht die Offenbarung erkennen könne (oder höchstens manches von ihr), dass sie aber zu dieser auch nicht im Widerspruch stehen würde. 
 

Zitat

Bei mir geht besagte Entkopplung so weit, dass ich der Ansicht bin, dass man die christliche Religion auch ohne den Glauben an die Existenz Gottes ausüben kann. 


 Das kommt wohl darauf an, wie man den Begriff "christliche Religion" definiert; aber so, wie man den Begriff üblicherweise versteht, würde die Existenz Gottes wohl dazugehören.  

 

Zitat

Die einzige Alternative dazu, die den Konflikt zwischen Glaube und Vernunft wirklich löst, wäre aus meiner Sicht der Verzicht auf Religion.

 

Die Frage wäre, ob es hier ganz allgemein einen Konflikt gibt. Klar, wenn man jetzt behauptet, dass die Erde in sechs Tagen geschaffen wurde, dann gibt es den sehr eindeutig. Bei differenzierteren Positionen wird die Sache aber vielleicht schon weniger eindeutig. 

 

Geschrieben
vor 20 Minuten schrieb iskander:

Natürlich ist jeder Gedanke, den Menschen denken, ein menschlicher Gedanke - eben insofern er von Menschen gedacht wird. Das Christentum beansprucht allerdings, dass manche Gedankeninhalte nicht von Menschen ausgedacht wurden (wie das beispielsweise bei der Ilias der Fall ist), sondern dass sie den Menschen von Gott offenbart wurden. Die menschlichen Gedanken würden dann eben von Gott herkommende Inhalte fassen, nicht menschliche Erfindungen. 

 

Den Mythos über die Bibel, dass sie von Gott inspiriert wurde, oder anders ausgedrückt, von Gott den Menschen offenbart wurde, haben sich Menschen ausgedacht. Trotzdem hat der historisch-kritische Zugang seinen Glauben nicht zerstört sondern vertieft. Damit ist die Offenbarung bei Ehrman raus aus der Nummer. So verstehe ich das Zitat, das du von Ehrman gebracht hast. Das kann ich nachvollziehen. 

 

vor einer Stunde schrieb iskander:

Wenn man diese Unterscheidung aufgibt, sehe ich nicht, wie eine Offenbarungsreligion ihre Glaubwürdigkeit behalten kann. Zumindest müsste Gott doch wohl mitgewirkt haben.

 

Was ich nicht verstehe, ist, wie das bei Ehrman zuging, dass an diesem Punkt nicht auch die Existenz Gottes raus war aus seinem Glauben. "Triffst du Buddha auf der Straße, dann töte ihn!" etwas weniger martialisch drücken das die synoptischen Jesusse aus: "Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken." Das ist ganz normal, geht nicht anders. Man kann die Autoritäts-Orientierung - Regeln befolgen, keine Rüge von Autorität bekommen nicht mitnehmen wenn man sich im Glauben weiterentwickelt. Das erklärt aber, wieso dann die Theodizee-Frage seinen Glauben doch noch gekillt hat. Wäre interessant zu erfahren, was er selbst dazu sagt. 

 

Geschrieben (bearbeitet)
vor 12 Stunden schrieb rorro:

Mir ist auch nicht ganz klar, ob der Kommentar von Prof. Zenger die Mehrheitsmeinung der Katholischen Exegeten weltweit widerspiegelt.

 

Das ist mir auch nicht klar. Wer kennt schon alle Meinungen (der kath. Exegeten)? Der viel beschworene Konsens in den Wissenschaften entsteht meist dadurch, dass einer was raushaut, und wenn er ein paar mal damit zitiert wurde, und keiner mit guten Gegenargumenten widerspricht, dann nennt man das halt Konsens. Besonders wenn eine Autorität des Faches das rausgehauen hat, ist zu ihren Lebzeiten wenig Gegenwind zu erwarten.

 

Davon mal abgesehen, gibt es nicht nur kath. Exegeten. Wenn man diesen Teil der Theologie, der sich mit der Exegese Alten und Neuen Testaments  beschäftigt, als wissenschaftliche Disziplin anerkannt wissen will, dürfte die Konfession eines Exegeten überhaupt keine Rolle spielen. Wenn man das mit der Wissenschaftlichkeit der historischen Theologie wirklich ernst meint, ergibt es keinen Sinn, dass diese Disziplin an einer Universität an zwei Fakultäten, einer katholischen und einer evangelischen getrennt von einander betrieben wird. Könnte man locker zusammenlegen, wäre zudem ein Schritt in Richtung ökumenischer Gemeinschaft, aber wieder geht es vor allem um Macht und Kontrolle, darum dass sich einige wenige machtbesessene Theologen die Wissenschaft als ihre Magd erhalten wollen, statt sie endlich frei forschen zu lassen. So wie es ist, schmücken die Kirchen sich mit fremden Federn, geben sich bloß den Anschein der Wissenschaftlichkeit, was ihr größtes Kapital, nämlich ihre Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in sie auch auf diesem Gebiet mindert. Ist das zwanghaft, sich systematisch zu demontieren, wo es nur geht?   

 

vor 12 Stunden schrieb rorro:

Mich würde auch interessieren, wie das Judentum das 1. Jahrhunderts die "Sündenfall"-Geschichte interpretierte.

 

 Dafür, dass das Frühjudentum das schon so interpretierte wie die Kirche spricht:

 

Zitat

Weish 2,24
Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt / und ihn erfahren alle, die ihm angehören.

 

Diese Tradition ist also älter als die Kirche, sie hat sie nur aufgenommen und noch mehr in den theologischen Vordergrund gerückt, um ein weiteres Argument aus der Schrift für Jesu Erlösungswerk präsentieren zu können. Bei Paulus mit Adam erster Mensch, Christus letzter Mensch, der Tod ist der Sünde Sold, begann diese Interpretation dann im NT immer weiter zu eskalieren.

 

Zitat

Joh 8,44
Ihr habt den Teufel zum Vater und ihr wollt das tun, wonach es euren Vater verlangt. Er war ein Mörder von Anfang an. Und er steht nicht in der Wahrheit; denn es ist keine Wahrheit in ihm. Wenn er lügt, sagt er das, was aus ihm selbst kommt; denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge. 

 

Offb 12,9
Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen.

 

Ist halt so gelaufen, aber ist es deshalb richtig? Schon diese Frage zu stellen ist eine Anmaßung ... 

 

bearbeitet von Weihrauch
Geschrieben (bearbeitet)
vor 12 Stunden schrieb Weihrauch:
vor 16 Stunden schrieb KevinF:

Man sollte nie unterschätzen, wie leistungsfähig der Verzicht auf Metaphysik ist 🙂

 

Sag das mal Marcellinus, weil er es ist, er anderen dauernd Metaphysik unterstellt, und diese dann als vermeintliches Totschlagargument ins Spiel bringt, wenn jemand anderer Meinung als er ist, völlig unabhängig vom Thema, selbst wenn es nicht das geringste mit Metaphysik zu tun hat.

 

Gehört der Glaube an Götter auf einmal nicht mehr zur Metaphysik, nur weil der Glaubende zugibt, die Existenz dieser Götter nicht beweisen zu können (was sowohl richtig als auch eine Trivialität ist)?

 

bearbeitet von Marcellinus
Geschrieben (bearbeitet)
vor 4 Stunden schrieb Weihrauch:

Das ist mir auch nicht klar. Wer kennt schon alle Meinungen (der kath. Exegeten)? Der viel beschworene Konsens in den Wissenschaften entsteht meist dadurch, dass einer was raushaut, und wenn er ein paar mal damit zitiert wurde, und keiner mit guten Gegenargumenten widerspricht, dann nennt man das halt Konsens. Besonders wenn eine Autorität des Faches das rausgehauen hat, ist zu ihren Lebzeiten wenig Gegenwind zu erwarten.

 

Vieles wird aber auch stillschweigend vorausgesetzt. Es ist vorstellbar, dass ich, wenn ich beim Lesen eines Aufsatzes etwa auf die Schlange in Genesis stoße, merke, dass der Verfasser einfach davon ausgeht, dass sie nicht den Teufel darstellt, sondern nur ein Tier unter vielen ist.

 

Und falls ich einen Aufsatz zu Genesis 2-3 einer Zeitschrift unterbreite und dazu die üblichen anonymen Gutachten bekomme, das peer review, so wird mein Behandeln der Schlange als einem Tier womöglich unkommentiert bleiben, wenn ich sie aber als den Teufel hinstelle, dann könnte (und wahrscheinlich würde) ich Gegenwind bekommen und aufgefordert werden, dafür zu argumentieren.

 

So erkenne ich den Konsensus in meinem und verwandeten Fächern. Es stimmt aber, dass er oft ziemlich nebulös ist. Dan McClellan wollte mal allen bekannteren Bibelforschern einen Fragebogen schicken, um eben zu eruieren, was bei den immer vorkommenden Fragen der akademische Konsensus ist. Da ich aber seinen Kanal lange nicht mehr besucht habe, weiß ich nicht , wie weit er mit diesem Vorhaben ist.

bearbeitet von Domingo
Geschrieben

In Deinem Zitat aus Weish 2.24 sehe ich keinen Bezug auf irgend eine Schlange. Was die Offenbarung angeht, so könnte die dort erwähnte Schlange auch der Leviathan sein - das ist aber umstritten.

Geschrieben (bearbeitet)

 

Zitat

Gen 3,13
Gott, der HERR, sprach zu der Frau: Was hast du getan? Die Frau antwortete: Die Schlange hat mich verführt. So habe ich gegessen.

Gen 3,14
Da sprach Gott, der HERR, zur Schlange:
Weil du das getan hast, bist du verflucht / unter allem Vieh und allen Tieren des Feldes. / Auf dem Bauch wirst du kriechen / und Staub fressen alle Tage deines Lebens. 
Gen 3,16
Zur Frau sprach er:
Viel Mühsal bereite ich dir und häufig wirst du schwanger werden. / Unter Schmerzen gebierst du Kinder. / Nach deinem Mann hast du Verlangen / und er wird über dich herrschen.
Gen 3,17
Zum Menschen sprach er: Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem ich dir geboten hatte, davon nicht zu essen, ist der Erdboden deinetwegen verflucht. / Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. 

Gen 3,19
Im Schweiße deines Angesichts / wirst du dein Brot essen, / bis du zum Erdboden zurückkehrst; / denn von ihm bist du genommen, / Staub bist du / und zum Staub kehrst du zurück.

 

Wenn man das als Teil einer Strafrede interpretiert, weil man da einen kausalen Zusammenhang mit dem Essen vom Baum hergestellt hat, der sich aber nicht aus dem Text ergibt, dann ergibt dieser Folgefehler einen Sinn:

 

Zitat

Weish 2,24
Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt / und ihn erfahren alle, die ihm angehören.


Es ist halt ein Mythos, der sich wie alle Mythen der Bildsprache bedient. Allen die das nicht fundamentalistisch wortwörtlich interpretieren, war zu allen Zeiten klar, dass man dann die Bilder in der Bildsprache zurückübersetzen muss, in den Alltag. Also stellt sich die Frage, für was die Schlange steht. Da ist halt dann dem Autor der Weisheit nichts besseres eingefallen, als sie mit dem Satan zu identifizieren, der im AT kaum vorkommt und auch wieder nur eine Chiffre für etwas ganz Alltägliches und nichts metaphysisches ist.

 

Aber wenns im Buch der Weisheit steht, wird es schon stimmen, denkt sich Paulus und dann plappert er das halt nach, und Johannes dem Paulus, und die Kirche dem Paulus und Johannes, und die Apologeten der Heiligen Schrift, und die Kirchenväter den Apologeten usw. bis zum unfehlbaren  Papst Leo XIV. Das nennt man dann Autorität der Bibel und Autorität und Tradition der Kirche und dann ist es innerhalb der Kirche tabu, noch Fragen zu stellen oder sogar andere Antworten auf die Frage nach dem Wesen der Schlange auszusprechen.

 

Da spielt es dann keine Rolle, ob das ein angesehener katholischer Universitätsprofessor macht oder sonstwer. Die kath. Theologen in Rom spielen dann ihre Macht aus, und der Professor kann seine Sachen packen, wenn er nicht widerruft - einem Universitätsprofesser an einer evangelischen Fakultät ist natürlich egal, was das kath. Lehramt sagt, aber nicht was seine Kirchenoberen sagen - sonstwem kann das eine wie das andere egal sein, und er wird frei ohne Angst sprechen, weil ihm keiner was kann. 

 

bearbeitet von Weihrauch
Geschrieben (bearbeitet)
23 hours ago, iskander said:

Das könnte man machen - aber wie viele Christen wären bereit, den biblischen Kanon zu hinterfragen und ggf. zu verändern?

 

Die Rechtfertigungslehre als "Mitte der Schrift" ist ein Grundprinzip der Lehre der Kirchen der Leuenberger Konkordie 
(so interpretiere ich das zumindest, der Wortlaut der Konkordie ist diesbezüglich 
"daß die ausschließliche Heilsmittlerschaft Jesu Christi die Mitte der Schrift und die Rechtfertigungsbotschaft als die Botschaft von der freien Gnade Gottes Maßstab aller Verkündigung der Kirche ist." 
 
(Im Abschnitt II "Das gemeinsame Verständnis des Evangeliums" bei 1e 

).
 
Und selbst Bischof Barron empfiehlt seinen Lesern im Vorwort des ersten Bandes der "word on fire"-Bibel das Prinzip "Kanon im Kanon" (Edit: Was er aber als einen hermeneutischen Schlüssel für das Verständnis der gesamten Bibel zu verstehen scheint, nicht als ein Prinzip der Bibelkritik). 
 
Wie weit die einzelnen Kirchen/theologischen Schulen/Exegeten damit dann jeweils tatsächlich gehen, ist eine andere Frage. 
 
Ich wollte nur aufzeigen, was an Ansätzen in der Theologie bereits vorhanden ist. 
 
Oh, und den jeweils offiziellen biblischen Kanon will heutzutage wohl kaum noch jemand ändern. 
Wozu auch, wenn man das Problem via "Kanon im Kanon" exegetisch lösen kann?

 

 

23 hours ago, iskander said:

Ist es nicht ein merkwürdiger Gedanke, dass die Bibel die Offenbarung Gottes sein soll, dass Gott es aber zulässt, dass Fälscher ihre Werke in die Bibel einschmuggeln können, in denen dann vielleicht auch (siehe etwa 1 Tim) fragwürdige Sachen stehen?

 

Seltsamer, als dass Gott all das real existierende Leid zulässt? 
 
Die Metaphysik in der liberalen Theologie, zum Beispiel bei Tillich, funktioniert grundsätzlich anders, als Du es Dir anscheinend vorstellst. 
 
Nicht, dass mich das überzeugen würde. 
 
Aber WENN man eine solche Metaphysik akzeptiert, dann ist die historisch-kritische Exegese nun wirklich nicht das Problem.

 

 

23 hours ago, iskander said:

 Das kommt wohl darauf an, wie man den Begriff "christliche Religion" definiert; aber so, wie man den Begriff üblicherweise versteht, würde die Existenz Gottes wohl dazugehören.  

 

Stimmt. 
Und doch ist es zum Beispiel von Bultmann und Tilich nur noch ein vergleichsweise kleiner Schritt zum Naturalismus. 
Erneut: Ich zeige, was an Ansätzen schon vorhanden ist in der christlichen Theologie.

 

 

23 hours ago, iskander said:

Das ist allerdings im Prinzip in einem wichtigen Sinne schon soweit mit der antiken Philosophie (und Proto-Wissenschaft) erreicht; die großen Theologen des Christentums haben eine natürliche Erkenntnis zugestanden und außerdem, dass die von Gott geoffenbarte Lehre nicht gegen die Gesetze der Vernunft und des Denkens verstoßen kann (bzw. darf). Die Überzeugung lautete, dass die Vernunft ihr eigenes Recht hat und zwar nicht die Offenbarung erkennen könne (oder höchstens manches von ihr), dass sie aber zu dieser auch nicht im Widerspruch stehen würde. 

 

Nun, in Platons Dialog "Euthypron" ist das, was wir heute als "Euthyphrons Dilemma" bezeichnen, überhaupt kein Dilemma, sondern die Entscheidung eine Selbstverständlichkeit. 
Zum Problem wurde es erst im Monotheismus. 
 
Und die Gotteshypothese war im Christentum damals fester Bestandteil der Kosmologie. 
 
Muss ich erinnern zum Beispiel an die Höllenangst des Mittelalters oder an den Konflikt zwischen  der Rkk und Galilei?

 

 

23 hours ago, iskander said:

Die Frage wäre, ob es hier ganz allgemein einen Konflikt gibt. Klar, wenn man jetzt behauptet, dass die Erde in sechs Tagen geschaffen wurde, dann gibt es den sehr eindeutig. Bei differenzierteren Positionen wird die Sache aber vielleicht schon weniger eindeutig. 

 

Die Hypothese der Existenz Gottes ist im besten Fall überflüssig, im Regelfall steht sie aber sogar im Konflikt mit unserem Wissen, zum Beispiel in Form der Theodizee-Frage.

bearbeitet von KevinF
Geschrieben
Am 8.11.2025 um 03:58 schrieb iskander:
Am 7.11.2025 um 23:39 schrieb KevinF:

Eine Berufung auf eine einzelne Bibelstelle an und für sich ist außerhalb des Fundamentalismus imo immer wertlos: 
 
Man braucht Kriterien für die Exegese. 
 
Diese kommen oft (auch) aus der Bibel selbst als ein Kanon im Kanon. 
 
Für Luther war das zum Beispiel die paulinische Rechtfertigungslehre. 
 
Auf dieser Basis kritisierte er insbesondere den Jakobusbrief lange vor der historisch-kritischen Exegese. 


Das könnte man machen - aber wie viele Christen wären bereit, den biblischen Kanon zu hinterfragen und ggf. zu verändern?

Daß der Jakobusbrief es überhaupt in den biblischen Kanon geschafft hat, ist tatsächlich ein Wunder. Er ist - so verstehe ich Tabor u.a. - im Grunde die Antithese zu Paulus' Idee, der Erlösung durch Christus.

 

Warum Luther ihn loswerden wollte, ist offensichtlich. Seine Forderungen sind halt unbequemer als sich nur auf den Glauben zu verlassen.

  • Alfons changed the title to Umgang mit atheistisch geprägten Apologeten
Geschrieben
vor 1 Stunde schrieb Flo77:

Daß der Jakobusbrief es überhaupt in den biblischen Kanon geschafft hat, ist tatsächlich ein Wunder. Er ist - so verstehe ich Tabor u.a. - im Grunde die Antithese zu Paulus' Idee, der Erlösung durch Christus.

 

Warum Luther ihn loswerden wollte, ist offensichtlich. Seine Forderungen sind halt unbequemer als sich nur auf den Glauben zu verlassen.

 

Paulus spricht von den Werken und meint, dass er gegen die Judaisierer spricht, die Werke der Torah.

 

Jakobus meine Werke der Nächstenliebe, das zieht sich durch den Brief.

 

Ich habe ehrlich gesagt nie verstanden, warum das ein Konflikt gesehen wurde.

 

Die Apg bietet den Kontext und Rahmen für das Verständnis der paulinischen Briefe - Paulus gründet Gemeinden, die zwar aus Jerusalem stammenden, aber von den Aposteln nicht beauftragten(!) Judaisierer mischen die Gemeinden nachträglich wieder auf und Paulus sieht sich genötigt dagegen anzuschreiben und vor Ort womöglich auch anzureden.

 

Mit dem Jakobusbrief hat das so gar nichts zu tun.

Geschrieben
vor 17 Minuten schrieb rorro:

 

Jakobus meine Werke der Nächstenliebe, das zieht sich durch den Brief.

Kann man so sehen. Blendet zwar die Grundproblematik aus, aber bitte.

Geschrieben (bearbeitet)
vor 11 Stunden schrieb KevinF:

Die Rechtfertigungslehre als "Mitte der Schrift" ist ein Grundprinzip der Lehre der Kirchen der Leuenberger Konkordie [...]
Und selbst Bischof Barron empfiehlt seinen Lesern im Vorwort des ersten Bandes der "word on fire"-Bibel das Prinzip "Kanon im Kanon" (Edit: Was er aber als einen hermeneutischen Schlüssel für das Verständnis der gesamten Bibel zu verstehen scheint, nicht als ein Prinzip der Bibelkritik). 


Das ist aber immer noch weniger, als ein NT-Buch ganz grundsätzlich infgragezustellen, weil anscheinend ausgesprochen gute Argumente dafür sprechen, dass es eine Fälschung ist. 

 

Zitat

Wie weit die einzelnen Kirchen/theologischen Schulen/Exegeten damit dann jeweils tatsächlich gehen, ist eine andere Frage. 

 


 Das ist aus meiner Sicht der springende Punkt. Ich glaube beispielsweise nicht, dass die kath. Kirche so weit gehen würde wie moderne liberale protestantische Theologen. Für die kath. Kirche - aber wohl auch für viele andere christliche Gemeinschaften - wäre bzw. ist es m.E. ein Problem, wenn es Fälschungen in die Bibel und erst recht in das NT geschafft haben. 

 

Zitat

Seltsamer, als dass Gott all das real existierende Leid zulässt? 

 

Das kommt vermutlich auf die Perspektive an. Aber der klassische Ansatz im Christentum war eben der, dass Gott - auch wenn er aus rätselhaften Gründen das Leid zugelassen hat - sich uns in Jesus Christus offenbart hat, und dass diese Offenbarung authentisch in der Hl. Schrift bezeugt wird. Wenn Letzteres infrage gestellt wird, scheint mir dies durchaus die Grundlagen des (traditionellen) Christentums in einer Weise zu berühren, die unabhängig vom Theodizee-Problem ist. 
 

Zitat

Und die Gotteshypothese war im Christentum damals fester Bestandteil der Kosmologie. 

 

Ja - aber in der griechischen Philosophie gab es aber bereits Zweifel an ihr. Zudem versuchten christliche Theologen und Philosophen sie vernünftig zu begründen. Manche der Argumente für die Existenz Gottes, die von den einen vorgebracht wurden, wurden von anderen kritisiert. Zudem wurde weithin anerkannt, dass ein Teil des christlichen Glaubens nicht vernünftig erkannt werden kann. Da scheint mir zumindest eine grundsätzliche Trennung zwischen Vernunft und Glauben erkennbar zu sein. 
 

Zitat

Muss ich erinnern zum Beispiel an die Höllenangst des Mittelalters oder an den Konflikt zwischen  der Rkk und Galilei?

 

"Höllenangst" wäre vermutlich vor allem als etwas betrachtet worden, was vor allem aus dem Glauben selbst kommt. Die Sache mit Galilei - oder mit der Wissenschaft im allgemeinen - ist offenbar komplizierter:

 

"The Church had been untroubled by Galileo’s well-known Copernican views prior to 1616, and the Inquisition even gave approval for the publication of his Letters on Sunspots in 1613, despite him openly stating his Copernicanism in it and using this as the basis for several of his arguments. It was only in 1616 that, partially in response to Galileo’s own dabbling in the theological implications of Copernicanism and his attempted reconciation of it with certain Biblical verses, the Inquisition ruled that, given heliocentrism and geokineticism (the motion of the earth) were not proven and were rejected by almost all astronomers at the time, that Copernicanism could not be taught as a fact but only as a hypothesis. [...] In 1633 the Church expected the condemnation and abjuration of Galileo was the end of the affair. After all, the 1616 theological ruling it was based on was, in turn, substantially based on the strong scientific consensus that heliocentrism was wrong and there was no expectation that this would change. This remained the case well after Galileo’s death in 1642. In 1651 the astronomer and Jesuit priest Giovanni Battista Riccioli published his massive Almagestum Novum: a huge, comprehensive comparision of the Ptolemaic, Tychonian and Copernican systems with an exhaustive analysis of the pros and cons of each. Riccioli’s rigorous survey came to the conclusion that the Ptolemaic system was effectively debunked, but that it was the Tychonian system that fitted the evidence best, not the Copernican. This was the consensus among scientists generally in the mid seventeenth century."

https://historyforatheists.com/2025/03/galileo-pope-apologise/

 

Oder auch:

 

"Modern historians of science like Brooke not only recognise that depicting the complex historical relationship between what we can call “religion” and what we now call “science” merely to “conflict” is reductionist and simplistic. Episodes of actual conflict [...] exist alongside harmony [...]

Furthermore, religious institions could be conservative and slow to embrace new ideas, of course. But they could also be at the forefront of innovation and exploration. When Galileo announced his telescopic discoveries of craters and mountains on the Moon in 1610, it was the Jesuit astronomer, Christopher Clavius, at the invitation of the Inquisitor, Cardinal Robert Bellarmine, who got Jesuit scientists Christoph Grienberger, Paolo Lembo and Odo van Malecote to confirm the reports. When they did so, Galileo was invited to Rome, feted by the Cardinal Francesco del Monte and Cardinal Maffeo Barberini (the future Pope Urban VIII), and feasted by the Collegium Romanum, who bestowed an honarary degree on the Florentine. Over 35 craters on the Moon are named after Catholic scientists from this period. Contrary to the myth of eternal conflict, John Helibron has been able to famously state in summary of his work on the role of the Catholic Church in early science:

    [T]he Roman Catholic Church gave more financial and social support to the study of astronomy for over six centuries . . . than any other, and probably all, other institutions. (The Sun in the Church: Cathedrals as Solar Observatories, Harvard, 1999, p. 3)"

https://historyforatheists.com/2025/03/galileo-pope-apologise/

 

Zitat

Die Hypothese der Existenz Gottes ist im besten Fall überflüssig, im Regelfall steht sie aber sogar im Konflikt mit unserem Wissen, zum Beispiel in Form der Theodizee-Frage.

 

Das Theodizee-Problem ist ein großes Problem für den Theismus (im Sinne eines menschenfreundlichen Gottes). Das ist m.E. offensichtlich, und das würden wohl auch viele Christen einräumen. Gibt es darüber hinaus aber auch sonst viele grundlegende Probleme mit dem Theismus, so dass man sagen müsste, dass er klar im Gegensatz zu unserem Wissen steht (und sich also nicht etwa weitgehend neutral zu unserem Wissen verhält)?

 

bearbeitet von iskander
Geschrieben
vor 1 Stunde schrieb iskander:

Das Theodizee-Problem ist ein großes Problem für den Theismus (im Sinne eines menschenfreundlichen Gottes). Das ist m.E. offensichtlich, und das würden wohl auch viele Christen einräumen. Gibt es darüber hinaus aber auch sonst viele grundlegende Probleme mit dem Theismus, so dass man sagen müsste, dass er klar im Gegensatz zu unserem Wissen steht (und sich also nicht etwa weitgehend neutral zu unserem Wissen verhält)?

 

Vieviele grundlegende Probleme braucht es, bis man einräumen darf, dass der Theismus im Gegensatz zu unserem Wissen steht? Warum reicht da ein einziges Problem nicht aus, wenn es ein grundlegendes ist? Wenn die Idee eines allgütigen Gottes so fundamental der erfahrbaren Realität widerspricht, dann ist sie einfach hinfällig. Du würdest wohl auch keiner anderen in der Weise gescheiterten Theorie eine zweite Chance geben, oder?

Geschrieben

Das Phänomen, das Gravitationslinseneffekt genannt wird, wurde von Einsteins Relativitätstheorie vorausgesagt. Als sich die Gelegenheit ergab, es empirisch zu überprüfen, bestätigte es die Theorie. Hätte es aber das nicht getan, hätte es kein Gravitationslinseneffekt gegeben, wo die Theorie eines voraussagt - wäre es genug gewesen, wenn Einstein gesagt hätte, "Ok, die Voraussage, die sich aus meiner Theorie zwingend ergibt, ist nicht eingetreten. Doch es gibt keine weiteren grundlegenden Probleme mit meiner Theorie, also ist sie doch richtig"?

Geschrieben

@Domingo

 

Zum einen hatte ich @KevinF so verstanden (oder missverstanden?), dass er davon ausgeht, dass es multiple Konflikte zwischen Wissen und religiösem Glauben gebe.

 

Zum einen ist das Theodizee-Problem zwar ein starkes Argument, aber ich würde bezweiflen, dass es einen eindeutigen Beweis darstellt. Wir müssten dazu effektiv ausschließen können, dass es gute, wenn auch uns unbegreifliche Gründe geben könnte, aus denen Gott Übel und Leid zulässt. Wir mögen sagen, dass es unplausibel erscheint dass es solche Gründe geben sollte - aber können wir es wirklich jenseits aller vernünftigen Zweifel ausschließen? 

 

vor 13 Minuten schrieb Domingo:

Das Phänomen, das Gravitationslinseneffekt genannt wird, wurde von Einsteins Relativitätstheorie vorausgesagt. Als sich die Gelegenheit ergab, es empirisch zu überprüfen, bestätigte es die Theorie. Hätte es aber das nicht getan, hätte es kein Gravitationslinseneffekt gegeben, wo die Theorie eines voraussagt - wäre es genug gewesen, wenn Einstein gesagt hätte, "Ok, die Voraussage, die sich aus meiner Theorie zwingend ergibt, ist nicht eingetreten. Doch es gibt keine weiteren grundlegenden Probleme mit meiner Theorie, also ist sie doch richtig"?

 

Es ist in der Tat gar nicht so leicht, moderne umfangreiche Theorien zu falsifizieren. Das folgende behandelt ein anderes, aber verwandtes Fallbeispiel:

 

"[...] Popper’s theory of demarcation hinges quite fundamentally on the assumption that there are such things as critical tests, which either falsify a theory, or give it a strong measure of corroboration. Popper himself is fond of citing, as an example of such a critical test, the resolution, by Adams and Leverrier, of the problem which the anomalous orbit of Uranus posed for nineteenth century astronomers. They independently came to the conclusion that, assuming Newtonian mechanics to be precisely correct, the observed divergence in the elliptical orbit of Uranus could be explained if the existence of a seventh, as yet unobserved outer planet was posited. Further, they were able, again within the framework of Newtonian mechanics, to calculate the precise position of the “new” planet. Thus when subsequent research by Galle at the Berlin observatory revealed that such a planet (Neptune) did in fact exist, and was situated precisely where Adams and Leverrier had calculated, this was hailed as by all and sundry as a magnificent triumph for Newtonian physics: in Popperian terms, Newton’s theory had been subjected to a critical test, and had passed with flying colours."

https://plato.stanford.edu/entries/popper/#CritEval

 

Dazu nun aber gleich folgend die Kritik:

 

"Yet Lakatos flatly denies that there are critical tests, in the Popperian sense, in science, and argues the point convincingly by turning the above example of an alleged critical test on its head. What, he asks, would have happened if Galle had not found the planet Neptune? Would Newtonian physics have been abandoned, or would Newton’s theory have been falsified? The answer is clearly not, for Galle’s failure could have been attributed to any number of causes other than the falsity of Newtonian physics (e.g., the interference of the earth’s atmosphere with the telescope, the existence of an asteroid belt which hides the new planet from the earth, etc). The suggestion is that the “falsification/corroboration” disjunction offered by Popper is unjustifiable binary: non-corroboration is not necessarily falsification, and falsification of a high-level scientific theory is never brought about by an isolated observation or set of observations. Such theories are, it is now widely accepted, highly resistant to falsification; they are “tenaciously protected from refutation by a vast ‘protective belt’ of auxiliary hypotheses” (Lakatos 1978: 4) and so are falsified, if at all, not by Popperian critical tests, but rather within the elaborate context of the research programmes associated with them gradually grinding to a halt. Popper’s distinction between the logic of falsifiability and its applied methodology does not in the end do full justice to the fact that all high-level theories grow and live despite the existence of anomalies (i.e., events/phenomena which are incompatible with them). These, Lakatos suggests, are not usually taken by the working scientist as an indication that the theory in question is false. On the contrary, in the context of a progressive research programme he or she will necessarily assume that the auxiliary hypotheses which are associated with the theory can in time be modified to incorporate, and thereby explain, recalcitrant phenomena."

 

(Tatsächlich ist es offenbar so, dass heutzutage die physikalischen Standard-Theorien mit einer Vielzahl von Ad-hoc-Hypothesen gegen Beobachtungen geschützt werden, zu denen sie eiegntlich nicht recht passen wollen. Kritiker meinen, dass man dabei zu weit geht, um die Standard-Theorien zu schützen; dass man also über das Maß des eigentlich Vernünftigen und Angebrachten hinausgeht.)

 

Allerdings ist es natürlich ohnehin fraglich, inweiweit man die Überzeugung der Existenz Gottes (im theistischen Sinne) mit naturwissenschaftlichen Theorien und naturwissenschaftlichen Forschungsprogrammen vergleichen kann.

Geschrieben
vor 4 Minuten schrieb iskander:

Zum einen ist das Theodizee-Problem zwar ein starkes Argument, aber ich würde bezweiflen, dass es einen eindeutigen Beweis darstellt. Wir müssten dazu effektiv ausschließen können, dass es gute, wenn auch uns unbegreifliche Gründe geben könnte, aus denen Gott Übel und Leid zulässt. Wir mögen sagen, dass es unplausibel erscheint dass es solche Gründe geben sollte - aber können wir es wirklich jenseits aller vernünftigen Zweifel ausschließen?

 

Gott ist aber auch allmächtig, also kann nichts gegen seinen Willen geschehen. Deswegen scheitern mMn alle Lösungsversuche. Denn sie benötigen eine beschränke Macht Gottes, um überhaupt zu funktionieren. Es ist nicht nur unplausibel, dass ein allmächtiger Gott nicht anders kann, als das Übel zuzulassen, es ist logisch unmöglich. Also will Gott das Übel - dann ist er aber nicht allgütig.

Geschrieben (bearbeitet)
vor 14 Minuten schrieb iskander:

Allerdings ist es natürlich ohnehin fraglich, inweiweit man die Überzeugung der Existenz Gottes (im theistischen Sinne) mit naturwissenschaftlichen Theorien und naturwissenschaftlichen Forschungsprogrammen vergleichen kann.

 

Weil es in der realen Welt jede Menge unbekannte Faktoren gibt, die eine Beobachtung anders ausfallen lassen können. In der Logik oder Metaphysik haben wir es hingegen mit einer fest umschriebenen und völlig bekannten Gruppe von Faktoren.

 

Das Äquivalente zu den unbekannten Faktoren in der Natur wären die unbekannten Gründe, warum Gott das |Übel zulässt. Die kann es aber nicht geben, weil sie zwingende Gründe sein müssten (wenn Gott auch allgütig ist), doch einen allmächtigen Gott kann ganz und gar nichts zu irgendetwas zwingen, und es kann daher auch keine solchen Gründe geben.

bearbeitet von Domingo
Geschrieben (bearbeitet)

Natürlich kann man an Götter glauben (was immer das sein mag), vielleicht sogar an einen einzelnen, allmächtig und allwissend. Allerdings muß man dann erklären, warum die Geschichte dieses Universums so oft so suboptimal gelaufen ist. Ich für meinen Teil halte ein „gottloses“ Universum, strukturiert und selbststeuernd, aber ohne Absicht oder Ziel, für die bei weitem weniger peinliche Erklärung. 😉

 

Der entscheidende Punkt scheint mir, sich klar zu machen, daß das Wort „Gott“ keine Erklärung ist. Es ist einfach nur ein anderer Ausdruck für „ich weiß es nicht“. Man mag daran glauben, oder nicht, erklären tut es nichts. Der Gott der Erklärung ist tot.

 

bearbeitet von Marcellinus
Geschrieben
vor 15 Minuten schrieb Domingo:

Gott ist aber auch allmächtig, also kann nichts gegen seinen Willen geschehen. Deswegen scheitern mMn alle Lösungsversuche. Denn sie benötigen eine beschränke Macht Gottes, um überhaupt zu funktionieren. Es ist nicht nur unplausibel, dass ein allmächtiger Gott nicht anders kann, als das Übel zuzulassen, es ist logisch unmöglich. Also will Gott das Übel - dann ist er aber nicht allgütig.

 

Ein Lösungsansatz ist der, dass Gott das Übel nicht "direkt" will, sondern nur aus einem guten (aber uns unbekannten) Grund inkauf nimmt. Als Analogie könnte vielleicht gelten, dass Eltern ihren Kindern womöglich nicht alles verbieten, was (kleinere und temporäre) negative Konsequenzen haben kann; erstens, weil sie den Kinder eine gewisse Autonomie zubilligen wollen (so dass sie es auch ablehnen, die Kinder zu manipulieren anstatt sie zu zwingen); und zweitens, damit die Kinder auch selbständig etwas lernen. Die Eltern würden in einem solchen Fall nicht direkt wollen, dass ihre Kinder negative Erfahrungen machen - diese negativen Erfahrungen, die sie verhindern könnten, aber um eines übergeordneten Zweckes willen hinnehmen

 

Ich behaupte nun nicht, dass sich diese Analogie in plausibler Weise und im allgemeinen Fall auf das Verhältnis von Gott und Schöpfung übertragen ließe. Da käme man sehr schnell an ein Ende, ganz klar. Mir geht es nur darum, überhaupt an einem Beispiel plausibel zu machen, dass jemand, der mächtig und gut ist, vielleicht dennoch nicht jedes Übel aktiv verhindern muss.

 

Die Frage, welche konkreten Gründe allerdings bestehen sollten, die dazu führen, dass ein guter und allmächtiger Gott all das Leid zulässt, das wir sehen, bleibt damit natürlich unbeantwortet. Ich habe auch noch keine Antwort gehört, die mir persönlich überzeugen würde (außer vielleicht bezogen auf Spezialfälle). Die einzige Antwort wäre aus meiner Sicht wohl die Auskunft, dass es sich um ein Mysterium handelt, das der Mensch in seinem jetzigen Zustand nicht verstehen könne. Ob diese Antwort gut genug ist, wird dann wohl vom Einzelnen abhängen und davon, was seine Gründe für den Glauben sind und wie schwer sie für ihn wiegen. 

 

@Marcellinus

 

vor 5 Minuten schrieb Marcellinus:

Natürlich kann man an Götter glauben (was immer das sein mag), vielleicht sogar an einen einzelnen, allmächtig und allwissend. Allerdings muß man dann erklären, warum die Geschichte dieses Universums so oft so suboptimal gelaufen ist. Ich für meinen Teil halte ein „gottloses“ Universum, strukturiert und selbststeuernd, aber ohne Absicht oder Ziel, für die bei weitem weniger peinliche Erklärung. 😉

 

Diese Kröte muss ein gläubiger Theist tatsächlich schlucken (also die, dass es sehr schwierig ist, die Suboptimalität des Universums im Laufe der Zeit  und überhaupt zu erklären). Das ist sicher ein großes - ein sehr großes - Problem, und es wird vermutlich nicht wenige überzeugen, den Theismus aufzugeben. Wenn man diesem Problem entkommen möchte und dennoch eine Art von Spiritualität pflegen möchte, wird man vermutlich ähnliche Wege wie @KevinF oder @Weihrauch gehen.

 

Mir ging es allerdings mehr darum, dass ich bezweifle, ob man eindeutig sagen kann, dass unser Wissen in vielen Fällen dem Theismus widerspricht - vor allem, wenn man einmal vom (allerdings großen) Theodizee-Problem absieht. 

 

Geschrieben

@iskander: Gott ist nicht nur mächtig und gütig, er ist allmäctig und allgütig. Deswegen sind all die Möglichkeiten, die Du anführst, nicht sichthhaltig. Aber wir drehen uns im Kreis.

Geschrieben
vor 45 Minuten schrieb Marcellinus:

Allerdings muß man dann erklären

Man MUSS gar nix.

 

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