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Geschrieben
vor 4 Minuten schrieb atheist666:

Du solltest dich besser mit realer Geschichte befassen; Dokumente sind nur Wiederspieglungen ihrer Zeit und ihrer Verhältnisse!

 

Du meinst, anstatt etwas Seriöses über eine bestimmte Zeit zu lesen, sollte ich mir eine Zeitmaschine bauen und in der Zeit zurückreisen? Oder ich sollte wie Du einfach Mutmaßungen anstellen, die auf einem Artikel beruhen, der jedoch falsch interpretiert wird?

Geschrieben
vor 9 Stunden schrieb atheist666:

Nicht jeder braucht die Wiki, ich bin mal in der Schule gewesen und habe Geschichte studiert.

 

Dort hast Du die Formel des Hormisdas gelernt? Respekt! Ich kennen keinen dt. Theologen, der davon im Studium was gelernt hat.

Geschrieben
vor 13 Stunden schrieb rorro:

 

Das ist zwar historisch falsch, aber ich lasse Dir gerne Deinen Glauben. Schon Anfang des 4. Jh. war Konstantinopel die Hauptstadt des römischen Reiches und danach wurde das Reich aufgeteilt. Wenn Du Dir die Actae der Ökumen. Konzilien anschauen würdest und ihre Canones, dann wüßtest Du, worin sich die Sonderrolle begründet. Aber das ist Dir wahrscheinlich zu anstrengend.

Ba gut, dann kommt es meinetwegen von irgendeinem magischen Hokuspokus, der einzig den römischen Bischof die göttlichen Weisheiten erkennen lässt. Wenn du das sagst, wird es so sein.

 

Werner

Geschrieben
vor 3 Stunden schrieb rorro:

 

Dort hast Du die Formel des Hormisdas gelernt? Respekt! Ich kennen keinen dt. Theologen, der davon im Studium was gelernt hat.

Interessantes Ding. „Ich erkläre alle zu Ketzern, die nicht glauben, dass allein mein Glaube der einzig wahre ist“

Und das soll nun beweisen, dass allein der römische Bischof immer den wahren Glauben vertritt?

Schon mal was von Zirkelschluss gehört?

 

Werner

Geschrieben (bearbeitet)

Nochmals zu dem alten Focus-Artikel, aus dem ich zitiert hatte:

 

vor 18 Stunden schrieb iskander:

"Kein Pfarrer betreut die katholischen Krankenhäuser von San Juan. Die Sekten dagegen schicken Laien an die Religionsfront, ein Millionenheer, das in die Wohngebiete pilgert und nicht auf den Besuch der Gottesdienste wartet.

Das gleiche Bild in allen Teilen Lateinamerikas: Freundliche, saubere junge Männer, das Haar kurzgeschoren, Bibel in der Hand, klopfen an die Türen und versprechen ein besseres Seelenheil. [...]"

 

Wenn ich in Deutschland Christen begegne, die vor Ort missionieren, sind es mit Sicherheit keine Katholiken (und auch keine EKDler). Erstens besteht daran offenbar kein Interesse. Zweitens wäre für so etwas gewiss ein geweihter Priester zuständig - und der hat keine Zeit. Wenn ersatzweise ein Laie solches tun dürfte, dann vermutlich nur innerhalb eines komplizierten Verfahrens, bei dem der Ortsbischof ihm eine besondere Beauftragung erteilen müsste, nachdem er den Fall zuvor an den Heiligen Stuhl weitergeleitet hatte. (Leicht übertrieben.)

 

Die kath. Kirche ist zu verknöchert, bürokratisiert, institutionalisiert, verrechtlicht, eingefahren, mit zu starren hierarchischen Strukturen. Das Gleiche gilt gewiss auch in erheblichem Maße, wenn wohl auch auf etwas andere Weise, für die EKD. 

 

Es gibt ein bestimmtes Modell mit fünf Stufen, das die Entwicklung von religiösen Gemeinden beschreibt. Während es da offenbar um lokale Gemeinden geht, lässt sich manches wohl auch auf Großkirchen übertragen. Gerade auch, was die letzten zwei Phasen, 4 und 5, betrifft.

 

"Befindet sich eine Kirche in dieser Phase [Phase 4; die Phase der Administratoren und Bürokraten], so ist der Scheitelpunkt der Organisation überschritten. Grundsätzlich ist das nicht allzu dramatisch, denn gerade am Anfang ist es noch relativ einfach gegenzusteuern. Das Problem ist allerdings häufig, dass die wenigsten Leiter in der Lage sind, den Eintritt dieser Phase selbst zu diagnostizieren. [...] Begeisterung und Freude weicht allmählich einer Lethargie, Kritik von innen wird lauter, die ersten Entscheidungen werden hinter vorgehaltener Hand in Frage gestellt. [...]

Der Fokus verschiebt sich von außen nach innen, von Leadership zu Management.

Sollte diese Entwicklung nicht frühzeitig erkannt und entsprechend gegengesteuert werden, so werden Administratoren zu Bürokraten. Ist dieser Wandel erst einmal vollzogen, so befindet sich die Kirche nun in einem ernstzunehmenden Abwärtsstrudel, der nicht mehr ohne große Bemühungen aufgehalten werden kann. [...]  Vielleicht mögen noch nicht zu viele angestellte Mitarbeiter gehen, ein Exodus an ehrenamtlichen Leitern und Mitarbeitern hat aber bereits begonnen. Kritik wird nun nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand, sondern im halböffentlichen Bereich geäußert. [...]

 Einige Anzeichen, die dafür sprechen könnten, sich in dieser Phase zu befinden sind die Folgenden:

    [...]
    Mitarbeiter und Leiter haben das Gefühl, dass sie nur wenig dazu beitragen können, das Schicksal der Kirche zu beeinflussen
    Mitarbeiter und Leiter [...] tendieren häufiger [dazu,] über die „guten alten Tage“ [zu] sprechen, als die Dinge noch Spaß gemacht haben [die Zeit  2. Vatikanum!]
    Es liegt ein größerer Fokus darauf, Systeme und Strukturen zu reparieren, als darauf Menschen mit dem Evangelium zu erreichen und sie zu Nachfolgern von Jesus zu machen [...]"

 

Dann komme die letzte, die 5. Phase:

 

"Typisch für diese [letzte] Phase [des Aristokraten] sind noch die übriggebliebenen Ruinen der Vergangenheit: Immobilien, der Eintrag im Vereinsregister und der letzte harte Kern. In dieser Phase leidet die Kirche bereits deutlich unter einem konstanten Mangel an Ressourcen, sowohl personell, als auch finanziell. Die Dienstbereiche sind auf Grund von Mitarbeitermangel auf ein absolutes Minimum zusammengeschrumpft, man schafft es gerade noch so einen Gottesdienst aufrechtzuerhalten. [...]

In dieser Phase wirkt alles auf irgendeine Art und Weise zu groß [...]. Gleichzeitig ist diese Phase von konstanter Rebellion und Unstimmigkeiten geprägt. Mitarbeiter rebellieren gegen die Führung, die Führung ist in einer kontinuierlichen Verteidigungshaltung. Dabei rebellieren Mitarbeiter am häufigsten mit ihren Füßen – ein Massenexodus an Kreativität, Know-How und Reife findet statt, was immer weniger kompensierbar wird. [...] [D]er Fokus liegt nun fast ausschließlich auf internen Problemen und Herausforderungen, Restrukturierung wird zum Dauerzustand. Die Vision ist nur noch zu einem netten Spruch auf einem Bild an der Wand degradiert und ein letztes Zeichen vergangener Tage."

https://www.church-basics.org/die-lebensphasen-von-kirchen-und-ihre-leitertypen/

 

(Ich würde vermuten, dass man in manchen Fällen noch einen Punkt ergänzen kann: Die Führung meint, dass sie alles richtig mache. Sie sieht das Problem allein bei den unzufriedenen Mitarbeitern und Mitgliedern.)

 

Wenn diese letzte, fünfte Phase erreicht ist, sei es schwierig, das Ruder noch herumzureißen. Wenn man von diesem Modell ausgeht, dürfte sich die Kirche zwar nicht überall (Afrika!), aber in großen Teilen der Welt wohl in der vierten und fünften Phase ihrer Entwicklung befinen. Um den verstorbenen Kardinal Carlo Maria Martini zu zitieren:

 

"Unsere Kultur ist in die Jahre gekommen, unsere Kirchen sind groß und leer, die kirchliche Bürokratie nimmt zu, unsere Rituale und Gewänder sind pompös"

 

Meine Vermutung ist, dass die Kirche vielleicht eine Chance gehabt hätte, wenn Johannes XXIII. einige Jahre länger gelebt und/oder einen vergleichbaren Nachfolger gehabt hätte. Oder vielleicht, wenn jemand wie FI direkt nach Paul VI. Papst geworden wäre, ohne JPII und BXVI davor. Die zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft mit der Folge von Kirchenaustritten hätte man damit zwar gewiss auch nicht verhindern können, vielleicht aber die "innere" Auflösung stoppen oder wenigstens verlangsamen.

bearbeitet von iskander
Geschrieben
vor 11 Minuten schrieb iskander:

Die kath. Kirche ist zu verknöchert, bürokratisiert, institutionalisiert, verrechtlicht, eingefahren, mit zu starren hierarchischen Strukturen. Das Gleiche gilt gewiss auch in erheblichem Maße, wenn wohl auch auf etwas andere Weise, für die EKD.

Genau das macht sie seit ungefähr Karl dem Großen aus: Die Kirche ist im Grunde die Sakralisierung der Behörde. Das behördliche, die Verwaltung eines göttlichen Auftrags, ist ihr Markenkern und  Alleinstellungsmerkmal. Sie sollte sich gut überlegen, das aufzugeben.

Geschrieben
vor 3 Stunden schrieb Werner001:

Interessantes Ding. „Ich erkläre alle zu Ketzern, die nicht glauben, dass allein mein Glaube der einzig wahre ist“

Wenn ein Esel den anderen Langohr schimpft. Oder so.

Geschrieben
vor 10 Minuten schrieb Merkur:

Genau das macht sie seit ungefähr Karl dem Großen aus: Die Kirche ist im Grunde die Sakralisierung der Behörde. Das behördliche, die Verwaltung eines göttlichen Auftrags, ist ihr Markenkern und  Alleinstellungsmerkmal. Sie sollte sich gut überlegen, das aufzugeben.

 

Ich glaube, da reden wir aneinander vorbei. Dass man eine gewisse Organisation braucht, ist klar, und das schreibt auch der von mir zitierte Autor. Aber früher gab es beispielsweise auch breite Bewegungen der Erneuerung und "von unten" (wie etwa die Bettelorden). Man müsste vermutlich einen Kirchenhistoriker fragen, aber ich würde bezweifeln, dass es damals schon im Allgemeinen diese Starrheit gab wie heute. Und wo die Kirche eben doch zu zentralistisch und unflexibel war, wie in Zeiten der Reformation, hatte sie mitunter einen hohen Preis zu bezahlen. Abgesehen davon aber waren das andere Zeiten, wo die Kirche sich vieles leisten konnte. Das ist aber heute aus verschiedenen Gründen anders. Da rächen sich große Schwächen.

Geschrieben (bearbeitet)

Das 5 Phasen Modell paßt hier m.E. nicht. Das scheint eine Adaption des Produktlebenszyklus zu sein. Möglicherweise läßt die Entwicklung jüngerer Religionsgemeinschaften sich damit beschreiben, aber wohl nicht die der RKK. Die war während der längsten Zeit ihres Bestehens ein eng mit dem Staat verbundener Machtapparat (also in Phase 4, die vorhergehenden Phasen sind schon sehr lange her). Eine solche Institution ist immer bürokratisiert. Entscheidend für ihr Überleben ist die Fähigkeit, sich zu erneuern. Die hat die Kirche bisher immer gehabt.

bearbeitet von Merkur
Geschrieben
vor einer Stunde schrieb Merkur:

Entscheidend für ihr Überleben ist die Fähigkeit, sich zu erneuern. Die hat die Kirche bisher immer gehabt.

 

Erneuern heißt aber eben auch, daß die Kirche, wie sie vorher war, verschwunden ist. Weitgehende unverändert ist nur die äußere Hülle. 

Geschrieben (bearbeitet)

@Merkur

 

Zitat

 

Möglicherweise läßt die Entwicklung jüngerer Religionsgemeinschaften sich damit beschreiben, aber wohl nicht die der RKK.

 

 

Deshalb hatte ich ja vorsichtig auch geschrieben:

 

"Während es da [beim entsprechenden Modell] offenbar um lokale Gemeinden geht, lässt sich manches wohl auch auf Großkirchen übertragen. Gerade auch, was die letzten zwei Phasen, 4 und 5, betrifft."

 

Man könnte aber vielleicht auch allgemeiner gewisse Phasen der Erneuerung und der Resignation unterscheiden, die es im Lauf der langen Geschichte immer wieder gab. Die letzte bedeutende Phase der Erneuerung und des Aufbruchs der kath. Kirche (im größten Teil der Welt) dürfte das 2. Vatikanum gewesen sein. Es hätte womöglich auch zu einer wirklichen Modernisierung führen können. Humane vitae hingegen markiert das Ende dieser Erneuerung. Das wird zumindest durch Studien wie auch viele Einzelzeugnisse nahegelegt (ich beziehe mich dabei auf die USA, aber Entsprechendes gilt gewiss auch für viele andere Länder). Zur Veranschaulichung:

 

"Humanae Vitae marked a turning point. The vibrancy and forward-looking attitude that characterized the church in the wake of Vatican II was ended by the encyclical and the efforts that followed it to stifle an ever-widening circle of dissent within the church. Father Curran, who would battle the Vatican for years about its stance on birth control before being forced from his teaching position at Catholic University, recalled: “Even those who lived through the heady days of the Second Vatican Council have difficulty recapturing the spirit of those times. We are optimistic about the life and future of the church.” At Catholic University, Curran recalled, “students were enthusiastic; lectures were overcrowded; laypeople took a much greater interest in theology and religious education than they had before; priests and religious were eager to find out about the work of the council.”[i] But Humanae Vitae hit like a storm that dashed the hopes of millions of Catholics. “All the hope and enthusiasm, all the sense that things had changed and that the birth control teaching could change, were crushed by the document,” he recalls today. [...] 
Humanae Vitae also precipitated a sharp decline in Mass attendance.[vi] In 1963, some 75 percent of Catholics in their twenties attended church three times a month or more; by 1972 that number had fallen to 45 percent.[vii] A 1976 survey of Catholic attitudes concluded that Humanae Vitae “seriously impaired the credibility and authority of the papacy, leading to a sharp decline in mass attendance and a sharp increase in apostasy in the years immediately after the encyclical.”"

https://www.catholicsforchoice.org/resource-library/humanae-vitae/the-legacy-of-humanae-vitae/

 

Ähnliches berichten auch andere:

 

"Humanae Vitae marked a change in my house, with my mother. By the late sixties, Immaculate Conception [school] was a Vatican II wonderland of jam-packed "hootenanny" Masses featuring guitars and tambourines. Foreboding statutes of Italian saints were replaced by those brightly-colored banners with free-style felt lettering that called out: He Is Risen! And gospel readings were studied from a hip new book titled, not "The New Testament," but "Good News For Modern Man" -- a perhaps too-contemporary translation into simple English vernacular. My mother really liked this. She was different in church, more alive than the woman I remembered watching me altar-serve in third grade. But shortly after July 1968, her attitude toward the church began to shift. Suddenly, it was just "a bunch of old Romans trying to tell everyone what to do." Over the years, my mother still went to Mass but participated less; she told me recently that she now just went to church to get some quiet time for herself with God, and tuned everything else out. She was once again like the old ladies in black of my childhood."

https://www.ncronline.org/news/parish/when-vatican-ii-came-bronx-part-ii

 

Warum das so war, wurde dem Autor erst später bewusst:

 

"In 1967, at age 40, my mother became pregnant. I learned about this when I came home from altar practice one afternoon and found her crying in the kitchen uncontrollably, my dad trying to comfort her without success. She'd had one very rough delivery with my brother thirteen years before, and knew the additional risks of pregnancy at her age. My sister was born in February of 1968. The delivery was easy, but then my mother began to hemorrhage -- nothing could stop it. I was jolted awake in the middle of the night by a slammed door at my grandmother's house, where my brother and I were staying. It was the sound of my father rushing in from the hospital, crying to his mother, desperate now about this delivery, afraid his wife was going to die. My mom doesn't remember her own mother. In poor health after giving birth to eleven children, she passed away in child birth when my mother was four years old. So, as she lay on the operating table, Mom had one thought in mind: the same fate now awaited her newborn baby girl. I know this, of course, because she did pull through -- thirteen blood transfusions later."

 

Dass das Humane vitae einen Wandel in der Einstellung vieler Katholiken herbeiführte, wird auch durch systematischere Studien untermauert:

 

"Overwhelming rejection by the Roman Catholic laity in, the United States of the 1968 papal ban on artificial birth control has led to drastic declines in religious devotion [...]

“It is rare,” said the Rev. Andrew Greeley, program di rector of the Opinion Research Center, which is part of the University of Chicago, “for a social researcher to be able to explain a phenomenom so simply, But that is what happened.” [...]

Archbishop Joseph L. Bernadin, President of the National Conference of Catholic Bishops, called the study “valuable and important” as a source of data, but cautioned the church that “Catholic truth is not determined by sociologial data or analysis.”"

https://www.nytimes.com/1976/03/24/archives/papal-birth-stand-found-to-hurt-church.html

 

In der Tat: Was aber bestimmt dann die "katholische Wahrheit"? Humane vitae wurde offenbar nicht aus sachlichen Gründen verabschiedet, sondern weil die Kirche sich nicht eingestehen konnte, sich geirrt zu haben (siehe hier). Selbst die konservativen Katholiken in diesem Forum geben durch ihr vielsagendes Schweigen zu, dass es keine Antworten selbst auf die einfachsten und naheliegendsten Fragen zur kath. Lehre über Verhütung gibt (siehe hier), so wenig wie auf ebenso grundlegende Fragen zu anderen wesentlichen Teilen der kath. Sexualmoral (hier).

 

Aber genau das ist aus meiner Sicht eben auch charakteristisch für eine Glaubensgemeinschaft, die sich gewissermaßen überlebt hat: Dass es ihr überhaupt nicht mehr darum geht, was in einer Sachfrage mit Relevanz für das menschliche Leben angemessen ist oder was dem Wohl des Menschen dient, sondern allein noch darum, Recht zu behalten. Oder zynischer gesprochen vielleicht dies: Dass die religiöse Institution nicht nur die Gläubigen (teils schwerwiegend) schädigt, damit ihre eigene Autorität als makellos erscheint, sondern dass sie zu diesem Behuf auch ihre eigenen Interessen gravierend verletzt und es womöglich nicht einmal merkt. Dass sie mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart lebt, und dass sie die Vergangenheit mit allen Schwächen und Problemen weitgehend undifferenziert zum Maßstab für die Gegenwart macht. Dass ihr ihre verklärte Vergangenheit wichtiger ist als ihre eigene Zukunft. Dass sie so sehr der eigenen Tradition verhaftet ist, dass sie nicht nur die Gläubigen im Regen stehen lässt, sondern auch an ihrem eigenen Niedergang mitwirkt - selbst bei Themen wie etwa den viri probati, wo sie noch nicht einmal ihre eigene Doktrin ändern oder einen Irrtum einräumen müsste! Und dass ihr ein einzelner zaghafter und schwacher religiöser Führer (wie Paul VI.) bereits genügt, damit sie alles, was sie sich gerade eben mühsam aufgebaut hat, wieder einreißt.

 

Manche werden vielleicht sagen, dass das eben das Wesen von Religion sei. Ich denke aber, dass man es sich damit etwas zu einfach macht. Religion kann auch etwas sein, was der Mensch als hilfreich empfindet - egal, wie es um ihren Wahrheitsanspruch stehen mag. Sie kann zudm durchaus versuchen, manchen Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert ist, konstruktiv zu begegnen, statt ganz in der Vergangenheit zu leben. Wenn sich eine Religion aber in eine eigene Sphäre zurückzieht und den Kontakt mit den Gläubigen und der Wirklichkeit verliert, weil nichts wichtiger ist, als was der Vor-Vorgänger des aktuellen religiösen Führers gedacht hat, dann gehen die Gläubigen eben oder ziehen sich zurück. Kurzfristig oder langfristig.

 

So beschleunigt die Kirche ihren Niedergang infolge der Säkularisierung. Mir tut es allerdings Leid um die Katholiken, die es gut meinen.

 

 

bearbeitet von iskander
Geschrieben
vor 1 Stunde schrieb Merkur:

Entscheidend für ihr Überleben ist die Fähigkeit, sich zu erneuern. Die hat die Kirche bisher immer gehabt.

 

Das waren früher aber andere Zeiten. Im Mittelalter war ein Kirchenaustritt keine realistische Option, und selbst in der Neuzeit wohl kaum. Allerdings sah sich die Kirche ab einem gewissen Punkt nicht nur mit dem dem Morgenländisches Schisma konfrontiert, sondern auch mit immer mehr reformatorischen Bewegungen. Da half dann auch die Ketzerverfolgung nicht ewig. Irgendwann brach ein Großteil ihrer Gläubigen und ihrer Macht weg. Und all das hatte unzweifelhaft auch und wesentlich mit ihrer Unfähigkeit zu tun, angemessen auf die Welt, in der sie lebte, zu reagieren.

 

Und heute haben wir (schon seit geraumer Zeit) die Säkularisierung, zumindest in Europa, teils auch anderswo. Und anderswo gibt es - wie in Südamerika - Konkurrenz durch die Evangelikalen. Und der letztere Fall macht das Versagen besonders deutlich. Er zeigt nämlich, dass selbst dort, wo es noch immer ein großes religiöses Interesse gibt und die meisten Leute religiös sind, die kath. Kirche nicht punkten kann, sondern andere ihr die Gläubigen wegnehmen. Und das scheint (s.o.) eben auch mit ihrer Verknöcherung zu tun zu haben. (In abgemilderter Form gilt ähnliches offenbar auch für die USA, wo die kath. Kirche viel mehr Mitglieder zu verlieren scheint als andere Kirchen, wenn man mal von der Immigration durch die Hispanics absieht.)

Geschrieben
vor 2 Stunden schrieb Merkur:

Entscheidend für ihr Überleben ist die Fähigkeit, sich zu erneuern. Die hat die Kirche bisher immer gehabt.

 

In den ersten Jahrhunderten war die Erneuerung geradezu atemberaubend.

Diese Fähigkeit hat sich in der Zwischenzeit sehr verändert, weil man immer mehr an Ballast herumschleppt, der jeder Veränderung Grenzen setzt.

Wenn ein Kirchenvater in der Antike was sagte und die Kirche seine Aussage bestätigte, war die Zukunft auf diese Aussage festgelegt.

Mit jeder Festlegung wurde die Kirche mehr und mehr festgelegt. Der Rahmen für Veränderungen wurde kleiner.

Das war lange Zeit unproblematisch, weil die Weltbilder einigermaßen stabil blieben.

Die eingeschlagene Richtung erschien richtig und man war sogar dankbar für Präzisierungen.

 

Eine wichtige Quelle für Veränderungen ist die Einsicht, dass frühere Annahmen falsch oder zumindest korrekturbedürftig sind.

Das ging dann mit dem Universalienstreit los - recht unscheinbar. Aber dann kam die Aufklärung. 

Vieles, was man früher als selbstverständlich erachtet hatte, geriet ins Wanken.

Neuerung wäre auch in der Kirche dringend notwendig gewesen.

Aber meistenteils beschränkte man sich darauf, die neuen Erkenntnisse irgendwie ins bisherige Raster einzuordnen.

 

Die meisten Erkenntnisse seit 1610 führten zu keiner Veränderung des Rasters.

Die Kirche wird immer noch absolutistisch regiert. Über die Schöpfung weiß man eigentlich kirchlich nichts glaubensrelevantes Neues,
sondern man zieht sich darauf zurück, die biblische Sicht halbwegs neuzeitkompatibel zu machen. Von der Schöpfung: Nichts Neues.

Von einer gläubigen Ausdeutung des Universums sind wir so weit, wie vor Kopernikus.

 

Immerhin hat man sich den Menschenrechten inzwischen weitgehend angeschlossen, aber auch nur reaktiv. 

Trendsettter waren andere. Die Kirche beschränkt sich auf's Abnicken, auf Schadensbegrenzung und auf die Behauptung, 

sie (die Kirche) wäre die wahre Schöpferin der Menschenrechte.

 

Ja, die Kirche erneuert sich beständig. Aber sie tut es sehr langsam. Und sie verpasst die Anliegen ihrer Zeit.

Statt hier konkrete Neuerungen zu bieten, die den Menschen im jeweiligen Alltag religiös befruchten,

wendet sie sich lieber einer Apologie des Alten zu. 

Sie gibt viel zu wenig Impulse. Sie kann ja auch nur Impulse geben, die im Alten wurzeln.

Zu virulenten neuen Themen hat sie nichts zu sagen, weil diese Themen dem Alten fremd sind.

Jesus hat nun einmal nichts zum Problem der Erderwärmung gesagt. Und nichts zu Demokratie (Jesus war überhaupt nicht demokratisch).

Und nichts zu multilateralen Staatsverträgen, dem Einfluss der social media auf die Jugend, nichts zur modernen Medizin

und der heutigen Verlängerung der durchschnittlichen Lebenszeit. Oder zur Überalterung des Klerus in Europa.

 

Da tut sich ein riesiger Pool von Fragen auf, die nicht durch einen Rückgriff auf Jesus angegangen werden können.

Immer größere Teile der heutigen Lebenswirklichkeit liegen außerhalb dessen, was die Kirche durch eine Erneuerung der Tradition angehen könnte.

Damit wird die Kirche großflächig irrelevant. 

Die Erneuerungen kommen nun zu spät, sind zu langsam und umfassen einen viel zu geringen Teil der Wirklichkeit.

Geschrieben

Die Welt hat sich in den letzten 400 Jahren erheblich verändert, hin zu einer so genannten modernen Gesellschaft. Mode aber ist ein anderes Wort für Vergänglichkeit. Was gestern modern war ist heute altmodisch. Wir erleben das gerade in unserer Gesellschaft: so rechts wie die Jugend gerade wird, war sie nie. In den 70ern war es umgekehrt. Was also soll die Kirche in einer Gesellschaft tun, die sich täglich aufs Neue überlegt, was richtig und falsch, also was modern ist? Wetterfahne oder Fels?

Frau Klöckner wollte die Kirche zur NGO machen und zum politischen Schweigen bringen. Je nach persönlicher Ausrichtung stimmt man zu oder ist empört. Das hatten wir schon so oft, Bismarck und Goebbels lassen grüßen - Meinungsfreiheit im Pluralismus beinhaltet die religiöse Stimme.

 

Die Kirche muss Antworten auf die Moderne geben, aber sie darf nicht Teil der Moderne werden. Sonst ist sie bald weg.

Geschrieben
vor 38 Minuten schrieb iskander:

... Er zeigt nämlich, dass selbst dort, wo es noch immer ein großes religiöses Interesse gibt und die meisten Leute religiös sind, die kath. Kirche nicht punkten kann, sondern andere ihr die Gläubigen wegnehmen. Und das scheint (s.o.) eben auch mit ihrer Verknöcherung zu tun zu haben. (In abgemilderter Form gilt ähnliches offenbar auch für die USA, wo die kath. Kirche viel mehr Mitglieder zu verlieren scheint als andere Kirchen, wenn man mal von der Immigration durch die Hispanics absieht.)

Aufgrund ihrer Eigenart (s.o.) und obwohl sie überaus vielseitig ist (m.E. die vielseitigste Religionsgemeinschaft überhaupt) kann sie nicht jedes religiöse Interesse bedienen. Mit den Freikirchen kann sie nicht konkurrieren, ohne sich selbst aufzugeben. Man kann es nicht jedem rechtmachen.

Geschrieben
vor 14 Minuten schrieb Mecky:

Die Erneuerungen kommen nun zu spät, sind zu langsam und umfassen einen viel zu geringen Teil der Wirklichkeit.

Das macht nichts. Es ist auch nicht sinnvoll, sich zu früh nach dem herrschenden Zeitgeist zu richten. Ein Beispiel hierfür ist die mißglückte Liturgiereform, mit der der heute leicht angestaubt wirkende Geist der 70er Jahre konserviert wurde. Weniger wäre hier mehr gewesen.

 

Die Leistung des steuerfinanzierten kirchlichen Apparats läßt in der Tat zu wünschen übrig. Da wäre eine Reform fällig. Am besten wäre insoweit eine Abschaffung der staatlichen Finanzierung. 

Geschrieben (bearbeitet)
vor 23 Minuten schrieb Merkur:

Aufgrund ihrer Eigenart (s.o.) und obwohl sie überaus vielseitig ist (m.E. die vielseitigste Religionsgemeinschaft überhaupt) kann sie nicht jedes religiöse Interesse bedienen. Mit den Freikirchen kann sie nicht konkurrieren, ohne sich selbst aufzugeben. Man kann es nicht jedem rechtmachen.

 

Du redest irgendwie an mir vorbei und gehst auf die konkreten Inhalte meiner Beiträge kaum ein

 

Dann schauen wir uns doch mal die konkreten Punkte an und gucken wir, was die Kirche konkret tun könnte:

 

- die gleichen sozialen und Hilfsdienste leisten wie Evangelikale

- die gleiche Präsenz zeigen (Laienmissionare)

- die gleiche warme Atmosphäre schaffen (auch ohne fundamentale Liturgiereform)

- mithilfe von viri probati und qualifizierten Laien dafür sorgen, dass viel mehr Gottesdienste stattfinden

 

Bei alledem müsste sie ihre Lehre nicht ändern. Sie könnte sich aber natürlich auch fragen, ob auf einem Kontinent, wo knapp 40% der Frauen vor ihrem 20. Lebensjahr schwanger werden und viele Menschen in bitterer Armut leben, die sinnvollste Lösung wirklich darin besteht, Verhütung strengstens zu verbieten - eine Lösung, die empirisch auf der gesamten Welt bisher noch nirgendwo funktioniert hat.

 

Und ja, ein simples Wohlstands-Evangelium kann die Kirche natürlich schlecht predigen. Aber wenn sie all die obigen Punkte konsequent und im großen Stil umsetzen würde, wäre das vielleicht auch nicht mehr nötig. Aber selbst das kann sie offenbar nicht.

 

bearbeitet von iskander
Geschrieben
vor 13 Minuten schrieb Frey:

Die Welt hat sich in den letzten 400 Jahren erheblich verändert, hin zu einer so genannten modernen Gesellschaft. Mode aber ist ein anderes Wort für Vergänglichkeit. Was gestern modern war ist heute altmodisch. Wir erleben das gerade in unserer Gesellschaft: so rechts wie die Jugend gerade wird, war sie nie. In den 70ern war es umgekehrt.

 

Na ja, man sollte aber die Tatsache, dass die Kirche oft noch im Mittelalter lebt, nicht mit dem Hinweis dadurch zu relativieren versuchen, dass die Tagespolitik und die politische Stimmung auch in der Postmoderne in einem gewissen Umfang ändern oder hin- und herschwanken.

 

vor 13 Minuten schrieb Frey:

Die Kirche muss Antworten auf die Moderne geben, aber sie darf nicht Teil der Moderne werden. Sonst ist sie bald weg.

 

Das ist genau das, was die Kirche unter den Pius-Päpsten und anderen versucht hat: Eine Antwort auf die Moderne geben, indem man sich von dieser abgrenzt. Bis sie dann auf dem 2. Vatikanum erhebliche Teile der Moderne - mit großer Verzögerung übernommen wurde. 

 

Es mag für eine religiöse Gemeinschaften - oder den Menschen im allgemeinen - ja nicht ratsam sein. den aktuellen Zeitgeist unkritisch zum Maß aller Dinge zu machen. Genauso wenig sinnvoll ist es aber wohl, den Zeitgeist längst vergangener Tage (wie etwa den der Spätantike) unkritisch zur unhintergehbaren Norm zu erheben.

Geschrieben (bearbeitet)
vor 35 Minuten schrieb iskander:

 

...

 

Es mag für eine religiöse Gemeinschaften - oder den Menschen im allgemeinen - ja nicht ratsam sein. den aktuellen Zeitgeist unkritisch zum Maß aller Dinge zu machen. Genauso wenig sinnvoll ist es aber wohl, den Zeitgeist längst vergangener Tage (wie etwa den der Spätantike) unkritisch zur unhintergehbaren Norm zu erheben.


 

Das ist ein guter Punkt. Auf dem Weg in die Moderne sind Spuren der Zeitgeschichte übernommen worden, der Zeitgeist vergangener Tage. Dann aber kommen wir zum Pudels Kern: Was ist das Unvergängliche der Kirche?

 

Ist es die Definition von Vinzenz von Lérins: Wirklich Katholisch sei, "was überall, immer, von allen geglaubt worden ist?" - Das ist ein Anspruch, den jede große Religion für sich in Anspruch nehmen sollte, und der die Moderne, für die die Wirklichkeit eine soziale Konstruktion und damit der beliebigen Veränderbarkeit unterliegt, aufs äußerste provoziert.

 

Eine moderne Kirche ist eine Konstruktion, und wenn sie das nicht sein will, muß sie sich dagegen stellen. Antimodern.

bearbeitet von Frey
Geschrieben
vor 50 Minuten schrieb Merkur:

Es ist auch nicht sinnvoll, sich zu früh nach dem herrschenden Zeitgeist zu richten.

 

Es geht nicht um einen herrschend Zeitgeist, sondern um eine viele Jahrhunderte lange Entwicklung.

Geschrieben
vor 5 Minuten schrieb Frey:

"was überall, immer, von allen geglaubt worden ist?"

 

Das ist ein gigantischer Anspruch. Ich frage mich, ob es so etwas überhaupt gibt:

Etwas, das seit dem Neandertal auf allen Erdteilen von allen geglaubt wurde.

 

Tatsächlich halte ich diese Perspektive aber für sehr sinnvoll.

Aber diesen Anspruch auf die katholische Kirche anzuwenden? 
Ob das Fegefeuer, die Trinität, die Realpräsenz Jesu, die leibliche Auferstehung Mariens oder ihre immerwährende Jungfräulichkeit,

die Unfehlbarkeit des Papstes, die Ablehnung des Monophysitismus tatsächlich überall, immer und von allen geglaubt worden ist?

Geschrieben
vor einer Stunde schrieb Frey:

Die Kirche muss Antworten auf die Moderne geben, aber sie darf nicht Teil der Moderne werden. Sonst ist sie bald weg.

 

Das sehe ich auch so. Aber ich sehe es keineswegs hoffnungsfreudig.

Wo sollen diese "Antworten auf die Moderne" denn herkommen?

Zumindest in Europa sehe ich dazu nicht einmal realistische Ansätze. 

Im Gegenteil: Alle bisherigen Versuche wurden systematisch erst einmal unterbunden.

Was mitunter auch an der Mickrigkeit und Oberflächlichkeit der Versuche lag.

Geschrieben
Gerade eben schrieb Mecky:

 

Das sehe ich auch so. Aber ich sehe es keineswegs hoffnungsfreudig.

Wo sollen diese "Antworten auf die Moderne" denn herkommen?

Zumindest in Europa sehe ich dazu nicht einmal realistische Ansätze. 

Im Gegenteil: Alle bisherigen Versuche wurden systematisch erst einmal unterbunden.

Was mitunter auch an der Mickrigkeit und Oberflächlichkeit der Versuche lag.


So pessimistisch? Ich erlebe schon eine Kirche, in den Gemeinden, die sich solidarisch zeigt, caritative Initiativen, Schulen und Krankenhäuser. Viele im Ehrenamt und in den Gemeinden, die alle ihren kleinen Beitrag zum Himmelreich auf Erden leisten, oft unzureichend. Ich erlebe Kirche lebendig, aber viele Priester machen mir Sorgen: Desillusioniert, überfordert, angegriffen. Ich habe den Eindruck, die Kirche muss sich (in Deutschland) besser um den Klerus kümmern.

Geschrieben
vor 16 Minuten schrieb Frey:

in den Gemeinden, die sich solidarisch zeigt, caritative Initiativen, Schulen und Krankenhäuser.

 

Dazu ist eine saekulare Kommune oder ein sozialer Verein ebenso gut geeignet.
Dazu braucht man keine Kirche.

Deshalb haben Kommunen und Vereine mehr Zulauf, während der Kirche die Leute in hellen Scharen davonlaufen.

Geschrieben (bearbeitet)
vor 2 Stunden schrieb Frey:

Ist es die Definition von Vinzenz von Lérins: Wirklich Katholisch sei, "was überall, immer, von allen geglaubt worden ist?" - Das ist ein Anspruch, den jede große Religion für sich in Anspruch nehmen sollte, und der die Moderne, für die die Wirklichkeit eine soziale Konstruktion und damit der beliebigen Veränderbarkeit unterliegt, aufs äußerste provoziert.

 

Mir fallen dazu allerdings die gleichen Einwände von Mecky ein.

 

vor 2 Stunden schrieb Frey:

Eine moderne Kirche ist eine Konstruktion, und wenn sie das nicht sein will, muß sie sich dagegen stellen. Antimodern.

 

Ist Dir der Kampf der Päpste gegen den Modernismus ein Begriff? Pius X. verlangte sogar einen Schwur von allen Priestern, der als "Antimodernisteneid" bekannt wurde. Cornwell schreibt in seinem Buch über die Beichte dazu:

 

"Der Eid verpflichtet jeden einzelnen geistlichen Funktionsträger zur geistigen Unterwerfung unter die Lehren Roms, und zwar genau so, wie sie zu jedem gegebenen Zeitpunkt von Rom interpretiert werden. Pius brachte den Klerus so weit, dass es keinen Raum für individuelles Gewissen und eigenes Verständnis mehr gab, keinen Spielraum für Sonderfälle oder kontextbezogene Interpretation. Er zwang die Geistlichen zur Selbstexkommunikation, wenn sie den Eid, nicht nur in Wort und Tat, sondern selbst in Gedanken, gebrochen hatten. Der Antimodernisteneid bedeutete eine geistige Versklavung der katholischen Priesterschaft bis weit in das 20. Jahrhundert hinein und brachte viele in einen schizophrenen Zwiespalt zwischen der Stimme ihres Gewissens und dem Inhalt des Eides, dessen Bruch eine Todsünde bedeutet hätte. Heimlichtuerei, Heuchelei und der Versuch, unvereinbare Gegensätze in Einklang zu bringen, wurden dadurch im emotionalen, moralischen und geistigen Leben von Geistlichen endemisch, wie spätere Zeugenaussagen beweisen. Die Zwickmühle erinnert an das Phänomen »Doppeldenk« in George Orwells Roman 1984 [...]"

 

Doch unter Pius entstand sogar ein umfangreiches Spionage-Netzwerk, das der Bespitzelung diente, um so jede Abweichung - und dabei inesbesondere natürlich jeden "Modernismus" - im Keim zu ersticken. Kardinal Gasparri, ein früherer Kardinalstaatssekretär, sagte dazu aus:

 

"Papst Pius X. akzeptierte, segnete und befürwortete eine geheime Spionageorganisation außerhalb und oberhalb der Hierarchie, die sogar Mitglieder der Hierarchie selbst bis hinauf zum Kardinal ausspähte; kurz gesagt, er akzeptierte, segnete und befürwortete eine Art Freimaurertum in der Kirche – ein in der Kirchengeschichte bespielloser Vorgang."


Dazu Cornwell:

 

"Dabei bediente sie [die Nachrichten- und Spionageagentur] sich modernster Kopierverfahren und der Telegrafie und überzog den ganzen Erdball mit einem Netz freiwilliger Informanten oder »Korrespondenten«. Benigni ließ in privaten Räumen heimlich Dokumente fotografieren, fing private Post ab und rekrutierte Doppelagenten. Dabei wurden falsche Namen und Verkleidungen benutzt und Einbrüche begangen.4 Der wichtigste Zweck dieser größtenteils kriminellen Aktivitäten war die Delation (abgeleitet vom Partizip Perfekt des lateinischen Verbs deferre: hinabstürzen, melden, anklagen), also die Meldung sämtlicher mutmaßlicher Fälle von unorthodoxer Lehre, Liberalismus, Opposition und sogenanntem »Modernismus« nach Rom. Mit der Zeit reichte die Bandbreite der so Denunzierten vom kleinen Seminaristen bis zum Kirchenfürsten. [...] Als »Modernist« konnte in Verruf geraten, wer positiv von »christlicher Demokratie« sprach oder eine Zeitung las, in der liberale Ansichten vertreten wurden; wer dabei belauscht wurde, wie er irgendeinen Aspekt der kirchlichen Tradition in Frage stellte, selbst wenn es sich nur um eine Devotionalie und nicht um eine Doktrin der Kirche handelte. Ein Beispiel dafür ist die Delation eines Priesters, der bezweifelte, dass das Heilige Haus von Nazareth tatsächlich nach Italien versetzt worden sei. [...] Jedes unkluge Wort im Refektorium eines Klosters oder im Gemeinschaftsraum eines Seminars, jede unbedachte Äußerung in einer Predigt oder Vorlesung konnte nach Rom gemeldet werden. [...] Noch wichtiger und nachhaltiger waren die Auswirkungen auf das Ethos der Geistlichkeit. Einerseits verbreitete sich eine Angst vor spekulativem Denken, vor offener Meinungsäußerung, vor dem Stellen von Fragen und vor jeder Lektüre außer den im Priesterseminar vorgeschriebenen Büchern; andererseits breitete sich die Überzeugung aus, dass Rom immer und überall alles beobachtete und alles bestrafen konnte."

 

Selbst den späteren Johannes XXIII. traf es:

 

"Es sollte 70 Jahre dauern, bis katholische Leser erfuhren, dass selbst der spätere Papst Johannes XXIII. in jungen Jahren dem Vatikan gemeldet wurde, weil er ein verdächtiges Buch las. Sein kriecherischer Entschuldigungsbrief an das Heilige Offizium beweist, dass auch die besten Kirchenleute durch das Verfahren herabgewürdigt wurden."

 

Daran muss ich immer ein wenig denken, wenn ich vom Kampf der Kirche gegen die Moderne höre, oder davon, dass sie anti-modern zu sein habe. Oder ich denke auch an Gregor XVI., in welchem er die Gewissensfreiheit als "Fieberwahn" (delirium) bezeichnete und die Pressefreiheit verdammte, ebenso wie er die (monarchische) Obrigkeit gegen (demokratische) Umstürze fest in Schutz nahm und die Trennung von Staat und Kirche ablehnte. Nachzulesen hier.

 

Was aber ist aus diesem ganzen heldenhaften Kampf gegen die Moderne geworden, der - wenn man die Französische Revolution als Ausgangspunkt nimmt - über 150 Jahre anhielt und, wie man sieht, zum Teil mit größtem Nachdruck geführt wurde? Was muss man den Leuten sagen, die in Festigkeit und in Treue zur Kirche den modernen Ideen wie den oben erwähnten widerstanden hatten, selbst wenn andere den Kopf schütteln mochten?

Das Ergebnis ist ernüchternd: Es besteht in nichts anderem als im impliziten und reichlich späten Eingeständnis (auf dem II. Vatikanum), dass diejenigen, denen der Papst einst Dinge wie "Fieberwahn" und "Bosheit" attestiert hatte, die ganze Zeit über vollkommen recht hatten, und die Kirche die ganze Zeit über grundlegend Unrecht! Dass die Kirche mit aller Macht gegen eine guten, richtige und wichtige Entwicklung an gekämpft hatte. Dass all, die Leute tapfer auf Seiten der Kirche gegen die Moderne gestanden hatten, inhaltlich auf der falschen Seite gestanden waren.

 

Damit will ich nicht sagen, dass alles, was modern ist, per se auch vernünftig sein müsse, oder dass die Kirche stets gut beraten wäre, immer alles Moderne zu übernehmen, gar noch ungeprüft. Ich möchte allein darauf hinwiesen, dass man sich gut überlegen sollte, wo eine "antimoderne" Haltung wirklich angemessen ist. Nicht immer ist es Weisheit, das Moderne abzulehnen. Manchmal - und ich meine nicht selten - ist es auch das Befangenheit in alten Zeiten und ihren Irrtümern.

bearbeitet von iskander

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