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Geschrieben (bearbeitet)

Bitte nicht am Titel stören, aber das Thema "Gnade" scheint nahezu unbegreifbar (aufgrund der Übernatur von eigentlicher "Gnade an sich" ist diese ganz sicher unbegreifbar), aber da es dabei auch um Ursachen und Wirkungen geht, welche uns eigentlich schon begreifbar sind, ist es halt auch "teilweise" begreifbar.

 

Mir scheint es gibt fast kein anderes Thema der Theologie bei dem auf so kleinem Raum eine solche Anzahl von sich widersprechenden theologischen Meinungen und Häresien auffindbar ist. Aber dieser subjektive Eindruck kann auch dem Umstand geschuldet sein, dass ich Anfänger auf dem Gebiet bin.

 

Der Umfang des Themas soll mit Verweis auf Thoma's summa I-II, q109 bis q114 eingegrenzt werden, d.h. es soll schwerpunktmäßig um die sog. "innere Gnadenwirkung" gehen, die im Zusammenhang mit dem eigenen Heil steht und nicht um die sog. gratis datae (Prophetie u.ä.), welche gegeben werden, um andere unterstützen zu können.

Pohle entwickelt in seinem Lehrbuch zur dogmatischen Theologie die folgende Definition:

"Die wirkliche Gnade ist ein übernatürlicher Beistand aus den Verdiensten Christi zu heilskräftiger Tätigkeit."

Da erscheint mir, für den das Erscheinen Jesu Christi nur ein barmherziges 'add-on', aber eigentlich unnötig ist (siehe Wozu Jesus Christus?), dann sofort die Frage "Warum 'aus den Verdiensten Christ' und warum nicht einfach 'Gottes'?"

Zur Unterscheidung schreibt Pohle, die Gnade Gottes würde nur einen negativ unwürdigen Empfänger, die Gnade Christi aber einen positiv unwürdigen (weil sündigen) Empfänger voraussetzen. Die Gnade Gottes würde die Seele in eine übernatürliche Seins- und Wirkungssphäre erheben, die Gnade Christi würde zusätzlich die von der Sünde geschlagenen Wunden (v.a. die Konkupiszenz) heilen. Die Gnade Gottes sei ein Geschenk der Trinität ohne Rücksicht auf Verdienste des Gottmenschen, die Gnade Christi dagegen stütze sich ganz und gar auf das unendliche Verdienst der blutigen Erlösung am Kreuze.

Ehrlich gesagt kann ich da nicht mit Pohle mitgehen, weil mir bei Pohle schon wieder zuviel Erbsünde und Sühneopfertheorie mitschwingt und ich die Erbsünde ja aus bekanntlich objektiv theologischen Gründen als nicht-existent ablehne (siehe Wozu Jesus Christus?). Aber da Jesus Christus auch wahrer Gott ist und sicherlich aufgrund des Gnadenstandes seines wahren Menschseins auch unendlich viel Verdienste angehäuft hat, welche ggf. Gnadenwirkung auf andere Menschen entfalten können, und weil eine übernatürliche Erhebung der Menschenseele kaum unter Bewahrung aller Wunden der gefallenen Natur möglich sein kann, so scheint mir zwischen der Gnade Gottes und der Gnade der Verdienste Christi kein realer Unterschied zu bestehen.

 

Aber jetzt habe ich mich schon im Eröffnungsbeitrag fast verfranst ... "Gnade und so" erscheint also angemessen.

 

Mit welchem Faden fang ich am besten an? Am besten mit etwas, das den natürlichen Verstand am meisten "kitzelt", nämlich mit dem vermeintlichen Widerspruch zwischen "wirksamen Gnaden" und dem Dogma des freien Willens des Menschen, wo sich demzufolge auch die hartnäckigsten Meinungsverschiedenheiten der Theologen und schlimme Häresien tummeln und wo nur das weise Lehramt mit gelassener Entschiedenheit, all die vernünftelnden begrifflichen Erbsenzählereien der Theologen ignorierend, einen sicheren Weg weisen kann.

Wieder Pohle:
Die Existenz "wirksamer Gnaden", d.h. solcher Beistände, welche unfehlbar gewiss mit der wirklichen Setzung des freien Heilswerkes verknüpft sind, ist ebenso sicher, als es eine ewige Auserwählung und einen Himmel gibt, der mit Heiligen gefüllt ist.

Woher Pohle diese Gewissheit nimmt wird noch herauszufinden sein, denn dass es einen Himmel gibt, der mit Heiligen gefüllt ist, erscheint mir auch gewiss. Nicht gewiss erscheint mir aber eine "ewige Auserwählung" mit der - sofern existent - eine ewiges Verwerfen (zu ewiger Verdammnis) von (mindestens einigen) Nicht-Auserwählten einhergehen könnte (was von nicht wenigen Theologen wie zB dem Thomas behauptet wird).

Gewiss erscheint mir aber wiederum, dass eine unfehlbare Gewissheit, mit der eine wirkliche Setzung eines Heilswerkes durch eine wirksame Gnade bewirkt wird, Zweifel an der Freiheit dieses Heilswerkes auf Seiten des mit der wirksamen Gnade beschenkten Menschen aufkommen lässt.

 

 

bearbeitet von SteRo
Geschrieben
Am 17.5.2025 um 11:46 schrieb SteRo:

... Nicht gewiss erscheint mir aber eine "ewige Auserwählung" mit der - sofern existent - eine ewiges Verwerfen (zu ewiger Verdammnis) von (mindestens einigen) Nicht-Auserwählten einhergehen könnte (was von nicht wenigen Theologen wie zB dem Thomas behauptet wird).

 

Hier kommt ein Grund für die Gewissheit bzgl. der "ewigen Auserwählung":

das verborgene Geheimnis der göttlichen Vorherbestimmung“ (Kap. 12 des Konzils von Trient). Denn wenn es eine Vorherbestimmung gibt, dann müssen die Vorherbestimmten ja auch ausgewählt werden, weil sich aus der Bibel ganz klar ergibt, dass nicht alle das Heil erlangen.

 

Stellt sich die Frage, ob es dann nur Auserwählte und Verworfene gibt unter den Menschen. Es spricht einiges dafür, denn außer Hölle und Himmelreich gibt es kein mittleres Endgültiges, weil das Purgatorium ja lediglich eine Verzögerung des Himmelreiches darstellt und weil das Verworfensein im Gegensatz zum Auserwähltsein nicht auf Gottes absolutem Willen beruht. Während Gottes Auswahl bei der Vorherbestimmung absolut ist, in dem Sinne, dass Er (in Analogie) sagen könnte "Ich will deine ewige Glückseligkeit im Himmelreich" und Gottes absoluter Wille auch geschieht, beruht Gottes Verwerfen von Nicht-Auserwählten auf seinem relativem Willen des Zulassens von Sünde, welcher dann allerdings das gerechte Urteil folgt und dem man (in Analogie) folgende Aussage zuschreiben könnte: "Wenn du meinst, tun zu müssen, was du aus freiem Willen tun willst, dann halte ich dich nicht auf. Aber du wirst deine gerechte Strafe erhalten."

 

Mit den für die Auserwählung notwendigen "wirksame[n] Gnaden", d.h. solcher Beistände, welche unfehlbar gewiss mit der wirklichen Setzung des freien Heilswerkes verknüpft sind" (Pohle), welche für die Erfüllung der Vorherbestimmung unabdingbar sind, weil nur dieses freie Heilswerk (das also aus freiem Willen vollbracht werden muss) die ewige Glückseligkeit im Himmelreich verdienen kann, sind dann (nur für den natürlichen Verstand!) ganz besondere Fragestellungen verbunden, in welche sich die diversen Schulen von Theologen mit ihren Spekulationen verrannt haben und lediglich weitere Fragen aufgeworfen haben, die sie aber selbst nicht konsistent lösen konnten. Deshalb spricht das Konzil von Trient wohl ganz richtig vom "verborgenen Geheimnis der göttlichen Vorherbestimmung“.

 

Für die gläubigen Praktizierenden jedoch sind die Spekulationen der Theologen vollkommen irrelevant, denn sie können sich auf die gültigen Aussagen des Lehramtes dazu verlassen, welche allesamt auf Gottes Offenbarung beruhen. Wenn es aber nur Auserwählte oder Verworfene geben sollte, dann darf die Frage "Gehöre ich zu den Auserwählten?" die gläubigen Praktizierenden natürlich schon beschäftigen - unter der Maßgabe allerdings, dass sie diese Frage werden nicht mit "ja" oder "nein" beantworten können, dass aber die Aussagen des Lehramtes zum Thema (mehr oder weniger schwache oder starke) Indizien liefern können. Und schon der Umstand, dass es sich um gläubige (!) Praktizierende handelt, stellt ja schon mal ein positives Indiz dar.

 

Geschrieben
Am 19.5.2025 um 09:52 schrieb SteRo:

Stellt sich die Frage, ob es dann nur Auserwählte und Verworfene gibt unter den Menschen. Es spricht einiges dafür, denn außer Hölle und Himmelreich gibt es kein mittleres Endgültiges, weil das Purgatorium ja lediglich eine Verzögerung des Himmelreiches darstellt und weil das Verworfensein im Gegensatz zum Auserwähltsein nicht auf Gottes absolutem Willen beruht. Während Gottes Auswahl bei der Vorherbestimmung absolut ist, in dem Sinne, dass Er (in Analogie) sagen könnte "Ich will deine ewige Glückseligkeit im Himmelreich" und Gottes absoluter Wille auch geschieht, beruht Gottes Verwerfen von Nicht-Auserwählten auf seinem relativem Willen des Zulassens von Sünde, welcher dann allerdings das gerechte Urteil folgt und dem man (in Analogie) folgende Aussage zuschreiben könnte: "Wenn du meinst, tun zu müssen, was du aus freiem Willen tun willst, dann halte ich dich nicht auf. Aber du wirst deine gerechte Strafe erhalten."

 

Nicht absolut zu wollen, dass jemand zugrunde geht, ihm aber (absolut) die wirksamen Gnaden zu verweigern, die anderen (den Auserwählten) gegeben werden, läuft aber auf zweierlei hinaus:

1. den de facto absoluten Willen, jemanden auszuwählen, um ihn zugrunde gehen zu lassen

2. Ungerechtigkeit.

 

Das generelle Zulassen von Sünde ohne angemessene wirksame Gnadenhilfe bereitzustellen, mit der es einem freien Willen möglich wäre, umzukehren, zu bereuen und sich zu bessern, wäre - unter der Bedingung des geltenden Dogmas, dass für heilskräftige Akte (wie zB Umkehr und Reue) göttliche Gnade absolut notwendig ist - nicht von einer Verursachung des Zugrundegehens durch Gott zu unterscheiden.

 

Weish. 11, 24 Du liebst alles, was ist, / und verabscheust nichts von dem, was du gemacht hast; / denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen.
25 Wie könnte etwas ohne deinen Willen Bestand haben / oder wie könnte etwas erhalten bleiben, das nicht von dir ins Dasein gerufen wäre?

26 Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens.

 

1 Tim 2, 3  Dies ist gut und angenehm vor unserem Retter-Gott, 4  welcher will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.

 

Dies soll genügen, um zu zeigen, dass es nicht sein kann, dass es nur Auserwählte und Verworfene (im obengenannten Sinne) gibt und dass es sog. "Verworfene" nur geben kann, wenn auch diesen eine hinreichende Gnadenhilfe geschenkt wird, deren Wirksamwerden sie aber aus freiem Willen verhindern.

 

Geschrieben
Am 20.5.2025 um 16:07 schrieb SteRo:

... dass es nicht sein kann, dass es nur Auserwählte und Verworfene (im obengenannten Sinne) gibt und dass es sog. "Verworfene" nur geben kann, wenn auch diesen eine hinreichende Gnadenhilfe geschenkt wird, deren Wirksamwerden sie aber aus freiem Willen verhindern.

 

Das wirft aber dann eine weitere Frage auf: Gibt es dann also 3 Klassen von Menschen, nämlich

1. solche, die von Gottes absolutem Willen auserwählt sind, dann 

2. solche, die zwar nicht so auserwählt sind, aber die hinreichende Gnade Gottes aus freiem Willen annehmen und so deren Wirksamwerden ermöglichen, und schließlich

3. solche, die zwar nicht von Gottes absolutem Willen verworfen sind, aber das Wirksamwerden der hinreichenden Gnade aus freiem Willen verhindern und also zu den sog. "Verworfenen" zählen?

 

Es könnte sein, dass es sich so verhält, ABER:

- da es unerschütterliches Dogma ist, dass für alle heilskräftige Akte göttliche Gnade absolut notwendig ist und 

- da es weiterhin unerschütterliches Dogma ist, dass die Gnade Gottes nicht auf natürlichem Wege verdient werden kann und 

- da das Annehmen der hinreichenden Gnade Gottes ganz offensichtlich ein solcher heilskräftiger Akt ist, 

müssen auch diejenigen, welche auf den ersten Blick nicht von Gottes absolutem Willen auserwählt erscheinen, aber die hinreichende Gnade Gottes aus freiem Willen annehmen und so deren Wirksamwerden ermöglichen, auf den zweiten Blick doch von Gottes absolutem Willen auserwählt sein, weil sonst ein infiniter Regress, d.h. eine unendliche Serie von hinreichenden Gnaden die Folge wäre. Folglich könnte es auch sein, dass es lediglich 2 Klassen von Menschen gibt, nämlich

1. solche, die von Gottes absolutem Willen auserwählt sind und

2. solche, die zwar nicht von Gottes absolutem Willen verworfen sind, aber das Wirksamwerden der hinreichenden Gnade aus freiem Willen verhindern und also zu den sog. "Verworfenen" zählen.

 

Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass auch die "von Gottes absolutem Willen Auserwählten" unter Umständen spekulativ aufgelöst werden können wie es bereits bei den "von Gottes absolutem Willen Verworfen" hier geschehen ist (unter Berufung auf Gottes allgemeinen, wenn auch relativen, Heilswillen) und dass dann auch bei den Auserwählten nur mehr von den sog. "Auserwählten" die Rede sein muss und darunter dann all jene subsumiert werden, welche die hinreichende Gnade Gottes aus freiem Willen annehmen und so deren Wirksamwerden ermöglichen. Eine solche spekulative Auflösung der "von Gottes absolutem Willen Auserwählten" ist aber nur zulässig unter der Voraussetzung, dass die beiden Dogmen

I. dass für alle heilskräftige Akte göttliche übernatürliche Gnade absolut notwendig ist

II. dass die göttliche übernatürliche Gnade nicht auf natürlichem Wege verdient werden kann

nicht verletzt werden. Die beiden Klassen von Menschen, die in diesem Falle resultieren würden, wären dann

1. solche, die die hinreichende Gnade Gottes aus freiem Willen annehmen und so deren Wirksamwerden ermöglichen und also zu den sog. "Auserwählten" zählen, und

2. solche, die das Wirksamwerden der hinreichenden Gnade aus freiem Willen verhindern und also zu den sog. "Verworfenen" zählen.

Geschrieben
Am 23.5.2025 um 12:58 schrieb SteRo:

... Die beiden Klassen von Menschen, die in diesem Falle resultieren würden, wären dann

1. solche, die die hinreichende Gnade Gottes aus freiem Willen annehmen und so deren Wirksamwerden ermöglichen und also zu den sog. "Auserwählten" zählen, und

2. solche, die das Wirksamwerden der hinreichenden Gnade aus freiem Willen verhindern und also zu den sog. "Verworfenen" zählen.

 

Diese Klassifizierung kann durchaus unter Anwendung der Ideen katholischer Theologien (also ohne sich was Eigenes ausdenken zu müssen) als "angemessen" etabliert werden (worauf ich noch eingehen werde). "Angemessen" deshalb, weil die [geistes-]wissenschaftliche Theologie natürlich auf spekulativem Denken beruht und deshalb Bewertungen wie "richtig" oder "wahr" vielleicht besser vermieden werden sollten.

 

Da Gott jedoch nicht nur die Welt als solche (samt aller darin lebenden Kreaturen), sondern auch die natürliche und auch die übernatürliche Ordnung geschaffen hat, und mit diesen Ordnungen notwendigerweise auch die damit verbundenen Gesetzmäßigkeiten, ist das von Raum und Zeit unabhängige ewige Wissen, das Er ist, auch das Prinzip seiner Vorsehung. Und diese Vorsehung determiniert daher alle möglichen Evolutionen in Raum und Zeit.

Solche Evolutionen sind in unserem Kontext die Evolutionen, welche individuelle Menschen hinsichtlich des Heils (Himmelreich) oder des Verderbens (Hölle) nehmen können. Die möglichen Bahnen der Evolution, samt all ihrer Abzweigungen und Verästelungen, sind also von Gottes absolutem Willen ewig determiniert. Was jedoch nicht von Gottes absolutem Willen determiniert ist, ist welche Individuen sich gemäß dieser Bahnen Richtung Heil oder Richtung Verderben entwickeln. Warum? Wegen des freien Willens der Menschen. Denn Gott offenbarte: "Gen 1, 26 ... Lasst uns Menschen machen in unserem Bild, uns ähnlich! ... 27 Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn." Und so hat Er als kreatürliches Analogon seiner absoluten Autonomie den freien Willen des Menschen geschaffen. Da Gott (auch) die absolute Wahrheit ist, ist damit notwendigerweise auch die absolute Wahrhaftigkeit und damit die absolute Treue zu seinem Wort, seiner Offenbarung, verbunden. Deshalb beinhaltet Gottes absoluter Wille auch den freien Willen des Menschen. Es ist also vollkommen unmöglich, dass Gott mit Menschen umgehen würde wie mit Marionetten. Nein, Gott will absolut, dass der Mensch frei entscheide. Da sein Wissen jedoch nicht nur die determinierten möglichen Bahnen der Evolution in Raum und Zeit beinhaltet, sondern auch die Vorsehung, welche beinhaltet, welche der determinierten möglichen Bahnen ganz konkret und tatsächlich von konkreten Kreaturen beschritten werden werden, weiß Gott bereits ewig alle zukünftigen freien Entscheidungen aller individuellen Menschen, der lebenden und der erst noch geborenen, obgleich diese gemäß seinem absoluten Willen frei (und eben nicht determiniert) sind. Daraus wird ersichtlich, dass "Auserwähltsein" und "Verworfensein" nur im Wissen Gottes determiniert sind, obgleich diese Entwicklungen einzig vom freien Willen der Menschen bestimmt werden.

Aus letzterem folgt, dass sich Gott das Gnadengeschenk an Menschen, von denen Er bereits weiß, dass sie sich gegen sein Geschenk entscheiden werden, eigentlich sparen könnte, und seine Gnade eigentlich nur jenen schenken müsste, von denen Er weiß, dass sie diese annehmen werden. Dies entspräche unserem natürlichen, vollkommen in der Zeitlichkeit verhaftetem Verstand, der Gottes ewiges Wissen und dessen Beziehung zu unserer Zeitlichkeit natürlich nicht emulieren kann.

Geschrieben

In seinem "Lehrbuch der Dogmatik" definiert Pohle im Kapitel über die "absolute Notwendigkeit der wirklichen Gnade [Definition hier] zu allen Heilsakten" den Begriff "Heilsakte" als "jene seelischen Tätigkeiten, die auf die Erlangung der Rechtfertigungsgnade sowie auf die Erreichung des übernatürlichen Endzieles" gerichtet sind.

 

Es handelt sich also um "seelische Tätigkeiten", kein äußerliches Tun/Verhalten, sondern innerliches Tun/Verhalten, dem aber durchaus äußerliches Tun/Verhalten als Wirkung nachfolgen kann ("kann", d.h. nicht notwendigerweise auch nachfolgen muss). 

Und es gibt einen Endzweck, das übernatürliche Heil nach dem Tode, und entsprechende Mittel zum Zweck. von denen die Rechtfertigungsgnade (oder auch "heiligmachende Gnade") zwar ein sehr wichtiges Ziel in diesem irdischen Leben ist, aber letztendlich auch "nur" ein Mittel zum Zweck, wenn auch ein unabdingbares Mittel, darstellt. 

 

Dementsprechend, schreibt Pohle, lassen sich die Heilsakte einteilen in solche, die die Rechtfertigung vorbereiten, und solche, die nach erlangter Rechtfertigung Verdienste erwerben für den Endzweck.

 

Dann schreibt Pohle etwas extrem Wichtiges, nämlich, dass diese Heilsakte aufgrund ihres entitativ übernatürlichen Charakters den rein natürlich-guten Akten "diametral gegenüberstehen" und mit ihnen nicht verwechselt werden können bzw. dürfen.

Und das ist doch hochinteressant! Die Heilsakte, die ihrem Wesen nach "gut" sind, sind dies in übernatürlichem Sinne und stellen nicht nur das Gegenteil zu "schlechten" oder "bösen" Akten (seelischen Tätigkeiten) dar, sondern sind auch das Gegenteil von "natürlich-guten" Akten.

Das erklärt, warum umgangssprachliche "gute Taten" hinsichtlich des Heils nichts bringen, wenn sie nicht von Gottes wirklicher Gnade "ermächtigt" und begleitet wurden. Denn nur Gottes Gnade kann unserem seelischen Tun, das äußerliche gute Taten verursachen kann, diese übernatürliche Qualität verleihen, welche das seelischen Tun zu einem Heilsakt macht. Es gilt der Grundsatz: Ist der Endzweck übernatürlich, dann müssen auch die entsprechenden Mittel zum Zweck übernatürlich sein.

 

Bzgl. der hinreichenden Gnade (hier und hier) und deren "Annehmen" oder "Zurückweisen" sind also folgende Möglichkeiten gegeben:

1. Wird die hinreichende Gnade "angenommen", dann resultiert ein Heilsakt.

2. Wird die hinreichende Gnade "zurückgewiesen", dann resultiert entweder ein schlechter oder böser Akt (Sünde) oder aber ein natürlich-guter Akt.

Geschrieben
Am 26.5.2025 um 14:48 schrieb SteRo:

2. Wird die hinreichende Gnade "zurückgewiesen", dann resultiert entweder ein schlechter oder böser Akt (Sünde) oder aber ein natürlich-guter Akt.

 

Dies zeigt die Wesensverwandtschaft von Sünde und natürlich-gutem Tun. Nota bene: "Verwandtschaft", nicht "Identität", denn Letzteres wäre die Häresie der Bajanisten und Jansenisten.

Aber sündhaftes Tun und natürlich-gutes Tun können sehr gut miteinander koexistieren, wie an unserer gefallenen Natur doch deutlich wird. Wer aber hinsichtlich „guter Taten“ ausschließlich natürlich-gute Taten vollbringen kann, weil er den Gnadenstand verloren hat und sich dazu auch noch konsequent der hinreichenden Gnade Gottes verweigert, der hat die Potenz zu abgrundtiefer Schlechtigkeit und Bosheit in sich, welche mit der Fähigkeit zu natürlich-guten Taten durchaus vereinbar ist, was sich zB darin schon gezeigt hat, dass Massenmörder durchaus gute Familienväter waren.

Zudem führt eine Sünde idR zur nächsten Sünde, und dies zu einem sündhaften oder lasterhaftem Zustand der Seele, der wiederum die Wahrscheinlichkeit stark mindert, wenn nicht gar verunmöglicht, die hinreichende Gnade annehmen zu können. Dies macht deutlich, dass es ratsam ist, Tugenden natürlich zu erwerben und dann auch zu praktizieren. Denn wenn auch diese natürlichen Tugenden mangels Heilskräftigkeit die Aussicht auf das Heil nicht zu erhöhen vermögen, so verhindern sie doch sündhaftes Tun und fördern bzw erhalten so die Fähigkeit, die hinreichende Gnade annehmen zu können.

Geschrieben
Am 23.5.2025 um 12:58 schrieb SteRo:

Es könnte sein, dass es sich so verhält, ABER:

- da es unerschütterliches Dogma ist, dass für alle heilskräftige Akte göttliche Gnade absolut notwendig ist und 

- da es weiterhin unerschütterliches Dogma ist, dass die Gnade Gottes nicht auf natürlichem Wege verdient werden kann und 

- da das Annehmen der hinreichenden Gnade Gottes ganz offensichtlich ein solcher heilskräftiger Akt ist, 

müssen auch diejenigen, welche auf den ersten Blick nicht von Gottes absolutem Willen auserwählt erscheinen, aber die hinreichende Gnade Gottes aus freiem Willen annehmen und so deren Wirksamwerden ermöglichen, auf den zweiten Blick doch von Gottes absolutem Willen auserwählt sein, weil sonst ein infiniter Regress, d.h. eine unendliche Serie von hinreichenden Gnaden die Folge wäre. Folglich könnte es auch sein, dass es lediglich 2 Klassen von Menschen gibt, nämlich

1. solche, die von Gottes absolutem Willen auserwählt sind und

2. solche, die zwar nicht von Gottes absolutem Willen verworfen sind, aber das Wirksamwerden der hinreichenden Gnade aus freiem Willen verhindern und also zu den sog. "Verworfenen" zählen.

 

Da nun geklärt ist (s. weiter oben), was Heilsakte sind, sollte sich eigentlich leicht entkräften lassen, dass "das Annehmen der hinreichenden Gnade Gottes ganz offensichtlich ein solcher heilskräftiger Akt ist". Auf den dritten Blick nämlich handelt es sich dabei gar nicht um einen Heilsakt, weil ein Heilsakt das aktive und zielgerichtete Mitwirken des freien Willens voraussetzt. Beim Annehmen der hinreichenden Gnade ist aber gar kein aktiver Wille beteiligt, der da entscheiden könnte "Ja, diese Gnade will ich annehmen.", weil die Gnade als solche für das Subjekt gar nicht erkennbar ist. Das Annehmen bedeutet ein Empfangen der Gnadenwirkung mittels der potentia oboedientialis, die der Seele und all ihren Vermögen eigen ist. Das aber wobei der freie Wille tatsächlich aktiv sein kann, ist das Zurückweisen der Gnade, aber eben nicht im dem Sinne "Ich will diese Gnade nicht." sondern in dem Sinne, dass der freie Wille sich auf etwas anderes richtet und so die Empfangsbereitschaft unterminiert. Es ist nämlich immer eine zuvorkommende Gnade beteiligt, eine Gnade die lockt, auffordert, welche also eine Erleuchtungsgnade ist, die auf das Seelenvermögen der Vernunft wirkt. Ist dieses Seelenvermögen jedoch bereits beschäftigt mit dem, was der freie Wille ihm aufgetragen hat, dann "perlt" die zuvorkommende Gnade an ihm "ab" und in Folge auch das Wirksamwerden der hinreichenden Gnade, welche den Willen zu übernatürlichem Tun erst ermächtigen müsste, um dann mit ihm zusammen das dann gewollte Tun auch durchzuführen.

 

Das ist das Interessante: Gibt es tatsächlich eine Situation, in der zu entscheiden wäre "Tu ich das oder tu ich das nicht" oder "Tu ich dieses oder tu ich jenes" und der durch Sündhaftigkeit korrumpierte Wille entscheidet sich für die Sünde, dann ist/war das ebenso korrumpierte Vernunftvermögen durch das gewollte Präsentieren der Sünde als das vermeintlich "Gute" bereits "belegt" und für die zuvorkommende Gnade nicht empfangsbereit. Hat das Vernunftvermögen aber bereits vom Willen den Auftrag erhalten, zu analysieren, was denn das Richtige sei, das zu tun wäre, dann ist das Vernunftvermögen ebenso "belegt" und also nicht empfangsbereit und was bestenfalls resultieren kann, ist das Tun des Natürlich-Guten, welches mit dem natürlichen Verstand ermittelt wurde.

In beiden Fällen aber kann der freie Wille nicht aktiv das übernatürlich wahrhaft Gute wollen, welches ihm von der zuvorkommenden Erleuchtungsgnade erst präsentiert werden müsste und es kann also zu keinem Heilsakt kommen,

 

Auf diesem Gedankengang beruhend könnte man also dann bei der zuletztgenannten Klassifizierung anlangen:

Am 23.5.2025 um 12:58 schrieb SteRo:

Die beiden Klassen von Menschen, die in diesem Falle resultieren würden, wären dann

1. solche, die die hinreichende Gnade Gottes aus freiem Willen annehmen und so deren Wirksamwerden ermöglichen und also zu den sog. "Auserwählten" zählen, und

2. solche, die das Wirksamwerden der hinreichenden Gnade aus freiem Willen verhindern und also zu den sog. "Verworfenen" zählen.

 

Dabei will ich aber nicht verhehlen, dass das Lehramt - nach dem Eindruck, welchen ich bisher gewonnen habe - sich bzgl. „[des verborgenen Geheimnisses] der göttlichen Vorherbestimmung“ (Kap. 12 des Konzils von Trient) nicht festlegt und sich also auch von einer von Gott absolut gewollten Auserwählung und der damit verbundenen Ungleichverteilung von wirksamen Gnaden nicht distanziert.

 

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