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"History for Atheists"


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Geschrieben
vor 9 Minuten schrieb Domingo:

Nun, Neutestamentler mögen das Kürze-Argument auch auf dasVerhältnis der Evangelien untereinadner anwenden, aber seine eigentliche Anwendung liegt eher in der Textgeschichte eines einzelnen Werkes.

 

Dazu muss man sich nur mal die Synopse anschauen. Wenn Markus die Grundlage ist, eine seiner Geschichten bei Mt und Lk länger und breiter ausgeführt werden, tendieren die Ev. die von Mk "abschreiben" länger zu werden. Prinzipiell, grob verkürzt.

 

Die Frage bei Marcion und Lukas wäre, ob es sich bei beiden überhaupt um ein und dasselbe Evangelium handelt oder nicht. Ich kenne Marcion nicht, deswegen kann ich das nicht entscheiden. Was ich weiß ist allerdings, dass Marcion eine völlig andere Theologie vertrat als Lukas. Deswegen vor allem gilt er ja als Ketzer. Und schon sind wir wieder bei den Inhalten. Wenn der theologische Inhalt ein anderer ist als bei Lukas, so wie sie bei Lukas anders, als bei Mk, Mt und Joh ist, obwohl Marcion vielleicht darin die gleichen Geschichten etwas anders erzählt - dann sind es zwei unterschiedliche Evangelien und die Kürze ist dann kein Argument mehr für die zeitliche Abfolge der Abfassung.

 

Womit wir wieder bei den Handschriften wären, hilft uns nicht, weil es von Marcion keine Abschriften gibt. Und nochmal: Was soll dabei rauskommen. Die Wahrheit über Jesus, Gott oder das etwas faul ist am Christentum? Ist Jesus übers Wasser gelaufen? Was wenn das oder andere Wunder sowohl bei Marcion und Lukas stehen? Ist Jesus dann wirklich über das Wasser gelaufen, weil es auch bei Marcion steht - oder nicht weil Marcion ein Ketzer war - oder was?  

Geschrieben (bearbeitet)

Ein Kanon ist mehr als eine Aufzählung von Schriften wie im Muratorischen Fragment, das in einem der Videos angeführt wurde. Die Betonung liegt hier auf dem Wort Fragment, denn es sind nur drei Blätter von X. und übrigens wird Marcion darin erwähnt - als Ketzer. Das Wort Kanon kommt darin auch nicht vor, wohl ist aber die Rede, welche Schriften zu "uns" gehören und welche nicht. Gemeint ist die Gemeinde in Rom mit "uns". Das ist das, was einen Kanon ausmacht: die Akzeptanz, und zwar nicht die Akzeptanz in einer Gemeinde, wie der in Rom, der der unbekannte Schreiber des Fragmentes angehörte. Ein Kanon ist abgeschlossen und gilt für eine weit größere Glaubensgemeinschaft.

 

Ludovico Antonio Muratori (21.10.1672 bis 23.1.1750) entdeckte das Fragment in einer Handschrift aus dem 8. Jahrhundert. Man weiß nicht mal, ob das Original gr. oder lat. verfasst wurde, es ist also nicht klar, ob es sich bei dem Fund um eine Abschrift einer Abschrift ... oder um eine Übersetzung einer Abschrift einer Abschrift handelt. 

Datiert wird nach dem Inhalt: "Den Hirten aber hat neulich und in unserer Zeit in der Stadt Rom Hermas verfasst, während auf der Kathedra der Kirche der Stadt Rom der Bischof Pius, sein Bruder saß" also 140(?)–155(?) n. Chr.

 

Die Frage ist, ob man überhaupt schon von einem Kanon sprechen kann, bei Marcion und diesem Fragment. Die Kirche wird sich auf den erwähnten Bischof von Rom, den (Papst ?) Pius I. berufen, andererseits kann man bezweifeln dass es überhaupt schon die Kirche oder das Christentum gab im Jahre 155 n. Chr., und ob Rom schon das autoritative Zentrum der Christenheit war. Wohl eher nicht, wenn man vom Inhalt des Fragmentes ausgeht, denn dieser Kanon ist nicht der der Kirche und wird es auch nie werden. Welche Bedeutung hat dann der Marcionitische Kanon als Kanon? 

 

bearbeitet von Weihrauch
Geschrieben
vor 2 Stunden schrieb Domingo:

Nun, Neutestamentler mögen das Kürze-Argument auch auf dasVerhältnis der Evangelien untereinadner anwenden, aber seine eigentliche Anwendung liegt eher in der Textgeschichte eines einzelnen Werkes.

 

Womöglich meinen sie es so, dass bei Passagen, die in ähnlicher Form in den Synoptikern vorhanden sind, Matth. und Lukas eine längere Fassung haben - etwa ein paar Nebensätze oder Ortsangaben mehr; und das deutet möglicherweise darauf hin, dass die Verfasser dieser letzten Evangelien eine jüngere Version dieser Passagen hatten als die, die in Markus enthalten sind.

 

Ich habe mir übrigens den deutschen Klinghardt bestellt, ohne Antworten abzuwarten. Die Neugier hat - insbesondere durch die Kritik an der Möglichkeit einer solchen Ausgabe - die Oberhand gewonnen. Ich erwarte selbstverständlich nicht mehr als eine Fragmentausgabe wie eben bei Sappho, keinesfalls den gesamten Text des Markionevangeliums.

Geschrieben (bearbeitet)
vor 37 Minuten schrieb Domingo:

Womöglich meinen sie es so, dass bei Passagen, die in ähnlicher Form in den Synoptikern vorhanden sind, Matth. und Lukas eine längere Fassung haben - etwa ein paar Nebensätze oder Ortsangaben mehr; und das deutet möglicherweise darauf hin, dass die Verfasser dieser letzten Evangelien eine jüngere Version dieser Passagen hatten als die, die in Markus enthalten sind.

 

Ich verstehe den Satz nicht.

 

vor 37 Minuten schrieb Domingo:

Womöglich meinen sie es so, dass bei Passagen, die in ähnlicher Form in den Synoptikern vorhanden sind, Matth. und Lukas eine längere Fassung haben

 

Die Synoptiker sind Mk, Mt und Lk. Wie können die Synoptiker Mt und Lk eine längere Fassung als die Synoptiker haben? Mt und Lk können eine länger Fassung als Mk haben.

 

 

 

 

 

 

bearbeitet von Weihrauch
Geschrieben (bearbeitet)

Ich korrigiere meinen Satz:

 

Zitat

Womöglich meinen sie es so, dass bei Passagen, die in ähnlicher Form in den Synoptikern vorhanden sind, Matth. und Lukas eine längere Fassung haben als Markus.

 

Keine Ahnung, ob das immer stimmt.

bearbeitet von Domingo
Geschrieben

Da habe ich diesen interessanten Thread gerade erst entdeckt, und logischerweise kann ich zu dieser ausführlichen Diskussion wenig mehr beitragen. Mich Überzeugt @Marcellinus Standpunkt: als seriöser nichtspezialisierter Historiker eher die Finger davon lassen, weil es schlicht zu wenig Fleisch an diesem Knochen gibt.

Und als Katholik: praktisch alles, was die Person Jesus für einen religiösen Menschen wichtig macht, sind Glaubensaussagen. Also ist Historizität hier letztlich zweitrangig.

Historisch gesichert ist, dass aus dem Judentum eine Bewegung entsprang, die sich selbst auf eine Person namens „Jesus“ berief und 2000 Jahre Geschichte dieser Welt prägte, v.a. in Westeuropa. Und eben eine religiöse Tradition ins Leben rief, die man auch heute noch sehr gut zur Grundlage seiner persönlichen Weltanschauung machen kann - wenn man möchte das es eine gute Welt wird und ist, und seine eigene Position in dieser Welt bestimmen möchte.

Und wie zu fast allem in der heutigen Zeit, kann man persönlich auch zu ganz anderen Schlüssen kommen. Und das finde ich für einen modernen Katholizismus viel wichtiger, als mich wie ein Antimodernist um des Kaisers Bart bzw. die Historizität Jesu zu streiten.

Geschrieben (bearbeitet)
vor 5 Stunden schrieb Domingo:

Ich korrigiere meinen Satz:

 

Zitat

Womöglich meinen sie es so, dass bei Passagen, die in ähnlicher Form in den Synoptikern vorhanden sind, Matth. und Lukas eine längere Fassung haben als Markus.

 

Keine Ahnung, ob das immer stimmt.

Wenn ich Ehrman richtig im Kopf habe, haben Lukas und Markus Passagen, Wort für Wort gleich, während Matthäus eigentlich immer noch was dranhängt (dafür kürzt Matthäus soweit ich mich erinnere gerne an den Stellen, an denen mehrere Jesusworte oder -wunder das gleiche berichten und lässt eines davon weg).

bearbeitet von Flo77
Geschrieben
vor 33 Minuten schrieb Shubashi:

Und als Katholik: praktisch alles, was die Person Jesus für einen religiösen Menschen wichtig macht, sind Glaubensaussagen. Also ist Historizität hier letztlich zweitrangig.

Was den Katholizismus auf eine Ebene mit den alten Kulten hebt. Das Christentum reklamiert für sich als Besonderheit ja eben, daß Jesus gelebt und gehandelt hat. Wenn nun signifikante Ereignisse eben NICHT stattgefunden haben, bleibt am Ende nicht viel.

Geschrieben
vor 18 Minuten schrieb Flo77:

Wenn ich Ehrman richtig im Kopf habe, haben Lukas und Markus Passagen, Wort für Wort gleich, während Matthäus eigentlich immer noch was dranhängt

 

Das kann man alles nicht so pauschal sagen. Dafür gibt es Evangelien Synopsen, damit man die Evangelien wie der Name sagt zusammen sehen kann. Man muss es sehen. Ich kann jedem nur wärmstens empfehlen, sich eine gedruckte Version zu kaufen oder ein gutes Bibelprogramm, das hat den Vorteil, dass man sich die Synopse anpassen kann. Dann kann man sich die deutsche Bibelausgabe frei wählen. Am besten ist natürlich, wenn man eine griechische Synopse vor Augen hat, denn nur in einer solchen sieht man die tatsächlichen wortwörtlichen Übereinstimmungen, was bei deutschen Übersetzungen nicht so klar ersichtlich ist.

 

Also mal kurze Beispiele, damit man es mal gesehen hat.

Jesu Verklärung sowohl Griechisch als auch Deutsch - dadurch wird es etwas unübersichtlich

Jesu Verklärung nur Deutsch

Geschrieben
1 hour ago, Flo77 said:

Was den Katholizismus auf eine Ebene mit den alten Kulten hebt. Das Christentum reklamiert für sich als Besonderheit ja eben, daß Jesus gelebt und gehandelt hat. Wenn nun signifikante Ereignisse eben NICHT stattgefunden haben, bleibt am Ende nicht viel.


„Stattfinden“ ist für mich zweierlei - ist das einmalige historische Ereignis entscheidend oder „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“? Wenn ich mich rein auf das historische Ereignis zurückziehe, habe ich eher ein Problem: ein allmächtiger Gott opfert seinen Sohn, der eine Naherwartung verkündet hat, und dann kommt von ihm….nüscht weiter? Wenn ich meinen Glauben ernst nehme, handelt Gott offensichtlich nicht so. Was aber offensichtlich funktioniert, ist die Nachfolge, seit 2000 Jahren. Glaube kommt eben ohne historische Faktenbeweise aus. Ich baue mein Leben auf Jesus und seine Lehre, ich vertraue. Ich bin da tatsächlich relativ kindisch: für mich ist die Erzählung entscheidend. Ich vertraue nicht denjenigen, die partout beweisen möchten, dass da nichts ist und niemals war. Ich frage mich dann eher, warum ihnen das so wichtig scheint? Ich lebe einfach „als ob“, weil mir das die bessere Version von Himmel und Erde erscheint.

Geschrieben (bearbeitet)
vor 1 Stunde schrieb Flo77:

Was den Katholizismus auf eine Ebene mit den alten Kulten hebt. Das Christentum reklamiert für sich als Besonderheit ja eben, daß Jesus gelebt und gehandelt hat. Wenn nun signifikante Ereignisse eben NICHT stattgefunden haben, bleibt am Ende nicht viel.


Dass Jesus gelebt hat, bedeutet nicht dass Jesus auferstanden ist. Dahin kommt man nur, wenn man den Mythos über DIE Bibel oder DIE Kirche geschluckt hat.

 

Dann ist die Bibel die irrtumslose, widerspruchsfrei Offenbarung Gottes, und die Evangelien sind Tatsachenberichte von Augenzeugen, die gesehen haben, dass Jesus lebte, gekreuzigt wurde und den Auferstandenen gesehen haben. Der Autor meiner deutschen Bibelausgabe ist dann Gott. Die Bibel ist Gottes offenbartes Wort und was könnte das anderes sein, als DIE Wahrheit. Das ist evangelikaler Fundamentalismus.

 

Andere Variante mit dem gleichen Ergebnis: die Autorität des katholischen Lehramtes verkündigt die Offenbarung Gottes und was könnte das anderes sein als DIE Wahrheit. Das ist katholischer Fundamentalismus. 

 

In beiden Fällen wird angebliches Wissen vermittelt und nicht Glauben. 

      

Dann können wir uns die Diskussion über Autoren und die Entstehungsgeschichte von Mk, Mt, Lk, Joh oder Marcion und historische Handschriften schenken. Der Trick beider Varianten ist, all das worüber wir hier diskutieren zu überspringen, zu ignorieren, aus dem Bewusstsein zu tilgen oder gar nicht erst ins Bewusstsein zu lassen.

bearbeitet von Weihrauch
Geschrieben
vor 5 Minuten schrieb Weihrauch:

Dass Jesus gelebt hat, bedeutet nicht dass Jesus auferstanden ist.

Natürlich nicht. Die Auferstehung und die Entrückung mag man glauben oder nicht, aber mit geht eher um die Frage, ob eine Prophezeihung erfüllt sein kann, wenn sie nur in der Transzendenz bzw. im Mythos erfüllt wurde und nicht in unserer Realität.

 

Aber das hat mit der Entstehungsgeschichte der Evangelien nichts zu tun.

Geschrieben (bearbeitet)

Ich glaube nicht an Prophezeiungen oder wegen Prophezeiungen an Gott. Prophezeiungen sind wieder so eine Sache, die angebliches Wissen vermitteln sollen. Ich brauche keine Sprungbretter in den Glauben, ich lasse mich einfach fallen. 

bearbeitet von Weihrauch
Geschrieben
vor 23 Minuten schrieb Flo77:

Natürlich nicht. Die Auferstehung und die Entrückung mag man glauben oder nicht, aber mit geht eher um die Frage, ob eine Prophezeihung erfüllt sein kann, wenn sie nur in der Transzendenz bzw. im Mythos erfüllt wurde und nicht in unserer Realität.

 

Der springende Punkt bei den Prophezeiungen bei dir und meinem Fallenlassen ist der Zweifel, der zum Glauben gehört. Man kann Gott eben nicht mit der Vernunft erkennen. Du fragst dich ob die Prophezeiung in Erfüllung geht, weil eben nicht alle Prophezeiungen in Erfüllung gehen. 

 

Zitat

Mt 7,15-16
Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch in Schafskleidern, im Inneren aber sind sie reißende Wölfe. 
An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Erntet man etwa von Dornen Trauben oder von Disteln Feigen? 

 

Ich frage mich, ob in dem Pool Wasser ist, oder ob da ein Pappi ist, der mich auffängt. Vielleicht gibt es da gar keinen Pool und keinen Pappi. Ich weiß nicht ob Gott existiert oder nicht. Ich weiß auch nicht, ob nach meinem Tod eine Realität existiert, oder jemand der überhaupt noch etwas wahrnehmen kann. Was ich aber wahrnehmen kann, ist, dass sich meine Realität durch meinen Glauben verändert, und ich die Realität verändere, durch meine geänderte Einstellung, mit der ich durchs leben gehe. Ich habe mit meinem Glauben eine andere Haltung in und zur Realität als ohne meinen Glauben. Da ist es völlig egal, was andere glauben oder nicht glauben. Der Zugang zu meinem Glauben ist nicht nur ein rationaler, intelligenter, sondern immer auch ein emotionaler, weil ich viel mehr bin als mein Bewusstsein.

 

Es ist kein innerer Widerspruch, wenn ich mir hier rationale Gedanken über antike Texte mache, meine Logik benutze um diese Texte zu verstehen, sie aber auch mit dem Herzen "verstehe". Es geht ja auch nicht anders, die Texte auf beiden Ebenen zu verstehen, denn sie wurden mit Hirn und Herz geschrieben. Wenn ich sie nur mit dem Hirn oder nur mit dem Herzen verstehe, habe ich nur die Hälfte verstanden. 

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Geschrieben
vor 21 Stunden schrieb Weihrauch:

Wenn man bei den Evangelien nach außerbiblischen Texten fragt, müsste man bei Tertullian und Marcion auch nach außerkirchlichen Quellen fragen.

 

Fällt mir wieder ein. Wer "fragt" bei den Evangelien nach außerbiblischen Texten? Meinst Du das Heranziehen nichtkanonischer Evangelien zum Zweck der Textkritik?

 

Jedenfalls verstehe ich Dein Argument nicht ganz. Wie dem auch sei, wenn wir den Text des Markion nur aus patristischen Texten heraus rekonstruieren können, dann ist es nun mal so. Und zur Klärung: Markions NT ist natürlich wie Sappho nur in Fragmenten erhalten. Diese sind den Zitaten von Kirchenvätern entnommen. Wie zuverlässig der Wortlaut dabei ist, ist eine gute Frage, die die Herausgeber zu beantworten haben.

 

Ich habe ein bisschen ins das vor Dir verlinte Interview mit Jason BeDun reingehört. So wie ich ihn verstehe, drückt sich die Voreingenommentheit von etwa Tertullian in der Auswahl der Passagen, die er zitiert, aus, nicht so sehr in einer Verfälschung des Wortlauts. ich denke aber, hier sind wir an den Punkt gelangt, wo wir nicht mehr weiterkommen, wenn wir uns nur an das Internet - gar an YouTubevideos - wenden, sondern wir müssen die eigentliche Literatur lesen. Tue ich auch, sobald ich den Klinghardt bekomme.

 

 

vor 21 Stunden schrieb Weihrauch:

Ist Marcions Jesus historischer als der von Markus?

 

Nein. Zumindest lässt sich das nicht sagen.

Geschrieben

Hier - in diesem Tread und im Forum allgemein - sieht man sehr schön, wieviele verschiedene Meinungen es unter Christen gibt. Dass das schon im 2. Jh. der Fall war, ist bekannt; weniger bekannt scheint es zu sein, dass diese verschiedenen Sekten ihre je eigenen Fassungen der heiligen Texte hatten (vom Wort "Kanon" halte ich mich bewusst fern, @Weihrauch).

Geschrieben (bearbeitet)
vor einer Stunde schrieb Domingo:
vor 22 Stunden schrieb Weihrauch:

Wenn man bei den Evangelien nach außerbiblischen Texten fragt, müsste man bei Tertullian und Marcion auch nach außerkirchlichen Quellen fragen.

 

Fällt mir wieder ein. Wer "fragt" bei den Evangelien nach außerbiblischen Texten?

 

Die katholische Kirche zum Beispiel fragt nach der patristischen Literatur. Die Historische Theologie kommt ohne außerbiblische Texte auch nicht aus. Gestern habe ich mir dieses Video angeschaut, wo ein Prof. Nicholas P. Lunn seine Argumente für die Authentizität des langen Markusschlusses im Interview mit Jacob Berman darlegt, und da spielen bei ihm die Kirchenväter eine große Rolle. Seine Erklärungen haben durchaus Hand und Fuß, aber wie du sagst: solche Erklärungen laufen auf Wahrscheinlichkeiten raus. Ich halte den kurzen Markusschluss für authentischer, was immer das bedeuten mag. Weil ich meine Erklärung und meine Begründungen ausschließlich am Markustext festmache, komme ich mit weniger Spekulation als Prof. Lunn aus. Keine Ahnung wer jetzt recht hat. 

 

vor einer Stunde schrieb Domingo:

Meinst Du das Heranziehen nichtkanonischer Evangelien zum Zweck der Textkritik?

 

Auch aber nicht nur. Alles was man über den historischen Kontext wissen muss. Geographie, Sitten und Gebräuche, Staatswesen, Soziale Umstände, Wirtschaftssystem usw. 

 

vor einer Stunde schrieb Domingo:

Ich habe ein bisschen ins das vor Dir verlinte Interview mit Jason BeDun reingehört. So wie ich ihn verstehe, drückt sich die Voreingenommentheit von etwa Tertullian in der Auswahl der Passagen, die er zitiert, aus ...

 

Ja.

 

vor einer Stunde schrieb Domingo:

... nicht so sehr in einer Verfälschung des Wortlauts.

 

Das kann man nicht wissen. Dazu bräuchte man ein "Original", das man zum Vergleich heranziehen könnte. Gibt es nicht. 

 

vor einer Stunde schrieb Domingo:

ich denke aber, hier sind wir an den Punkt gelangt, wo wir nicht mehr weiterkommen, wenn wir uns nur an das Internet - gar an YouTubevideos - wenden, sondern wir müssen die eigentliche Literatur lesen.

  

Ich habe die fünf Bücher gegen Marcion (Adversus Marcionem) gelesen, Aber das ist sooo lang her, und ob ich mir das jetzt nochmal antun will? Ich weiß nicht. Wär vielleicht nicht schlecht, dann könnte ich hier konkrete Zitate bringen, die man mit dem LkEv vergleichen könnte, falls das überhaupt die Quelle ist, von der die Youtuber sprechen. Ich habe viel von Tertullian gelesen aber eben nicht alles. Findet man kostenlos hier, falls es jemanden interessiert. Ist nicht der letzte Schrei, aber besser als nichts. 

 

vor einer Stunde schrieb Domingo:
vor 22 Stunden schrieb Weihrauch:

Ist Marcions Jesus historischer als der von Markus?

 

Nein. Zumindest lässt sich das nicht sagen.

 

Eben. Also worum geht es dann, bei diesen Diskussionen um Marcion und die Evangelien? Die Bibel der christlichen Apologeten anzugreifen? Ist es das was diese Youtube-Bubble zusammenhält?

bearbeitet von Weihrauch
Geschrieben (bearbeitet)
vor 40 Minuten schrieb Weihrauch:

Ich halte den kurzen Markusschluss für authentischer, was immer das bedeuten mag.

 

Gute Frage! Zumal wir nicht mal wissen, wer "Markus" war oder wo und wann das sogenannte Original gewesen sein soll, das uns als Maßstab für Authentizität dienen müsste.

 

 

vor 40 Minuten schrieb Weihrauch:

Das kann man nicht wissen. Dazu bräuchte man ein "Original", das man zum Vergleich heranziehen könnte. Gibt es nicht.

 

Es geht wie immer darum, was mehr oder weniger wahrscheinlich ist. Hätten wir Handscriften von Markions NT (direkte Überlieferung), könnten wir den Text zuverlässiger rekonstruieren als jetzt, wo wir auf indirekte Überlieferung, also Zitate, angewisen sind. Das heißt aber weder, dass wir bei direkter Überlieferung mit 100% Sicherheit Markions O-Ton hätten, noch, dass wir jetzt unfähig wären, uns mit gewisser Wahrscheinlichkeit eine Vorstellung von seiner Version des NT zu machen.

 

vor 40 Minuten schrieb Weihrauch:

Ich habe die fünf Bücher gegen Marcion (Adersus Marcionem) gelesen, Aber das ist sooo lang her, und ob ich mir das jetzt nochmal antun will?

 

Keine Ahnung. Es kommt auch darauf an, wieviel Zeit wir dem "Urketzer" widmen wollen.

 

vor 40 Minuten schrieb Weihrauch:

Eben. Also worum geht es dann, bei diesen Diskussionen um Marcion und die Evangelien?

 

Den YouTubern? Weiß ich nicht. Mir? Einfach einen weiteren Beleg vorzubringen, dass, wie ich oben schrieb, 

 

Zitat

diese verschiedenen Sekten ihre je eigenen Fassungen der heiligen Texte hatten.

 

bearbeitet von Domingo
Geschrieben (bearbeitet)
vor 11 Stunden schrieb Shubashi:

Mich Überzeugt @Marcellinus Standpunkt: als seriöser nichtspezialisierter Historiker eher die Finger davon lassen, weil es schlicht zu wenig Fleisch an diesem Knochen gibt.

 

:daumenhoch:

 

vor 11 Stunden schrieb Shubashi:

Historisch gesichert ist, dass aus dem Judentum eine Bewegung entsprang, die sich selbst auf eine Person namens „Jesus“ berief und 2000 Jahre Geschichte dieser Welt prägte, v.a. in Westeuropa.

 

 

Die Rolle des Judentums sollte man hier nicht unterschätzen (wie übrigens auch nicht bei der Entstehung des Islam, aber das ist ein anderes Thema). Vieles, was für das frühe Christentum als charakteristisch gilt, findet sich zuerst hier: die Ausbreitung über das Römische Reich, die Bestattung von Toten in Katakomben, aber auch abstrakter Monotheismus, Messianismus, Apokalyptik.

 

Die Person Jesus scheint mir dagegen von Anfang an merkwürdig unscharf zu sein. Der von mir schon erwähnte Althistoriker Manfred Clauss weist zB. auf die Diskussion um dessen Geburtsdatum hin, wohlgemerkt nicht der Tag, sondern selbst der Monat und sogar die Jahreszeit ist lange vollkommen unklar. Was nur bedeuten kann, daß biografische Einzelheiten den frühen Christen offenbar am Anfang gleichgültig waren, und erst später hinzugefügt wurden, oder besser hinzuerfunden. 

 

Dazu paßt, daß christologische Diskussionen sich durch Jahrhunderte ziehen und diese Bewegung eher eine große Zahl an Bewegungen waren, die oft ganz unterschiedliche Vorstellungen vertraten, und erst unter dem Druck der Kaiser zu einer, und kurze Zeit später zu mindestens zwei Kirchen wurden. Monophysiten, Arianer, Donatisten, Nestorianer, Messalianer, Markoniten, Montanisten (die mag ich besonders)... man könnte die Liste frühchristlicher Bewegungen vermutlich beliebig verlängern, und ich kenne vermutlich noch nicht einmal die wichtigsten, was wirklich schade ist.

 

Erst vor einiger Zeit bin ich auf Aspekte römischer Sozialgeschichte gestoßen, das Vereinswesen. Offenbar gehörten viele Römer, besonders von den einfachen Leuten, Vereinen an, in denen sie ihre Freizeit organisierten, aber auch Beziehungen pflegten, eine Art Sterbekasse verwalteten, um ein standesgemäßes Begräbnis zu garantieren. Dazu traf man sich in den Häusern reicherer Mitglieder, und pflegte dort auch gemeinsame Kulte. Erst vor kurzem erfuhr ich, daß die frühen Christen sich dieser Strukturen bedient haben, um ihre ersten Gemeinden zu bilden. Das war also gar nichts typisch christliches. 

 

Das ist für mich nur ein Beispiel, wie viel man noch herausfinden kann, das zum Verständnis der Entwicklung in der Spätantike beträgt, ohne sich in theologischen Spekulationen zu verlieren. Dabei will ich niemandem diese Spekulationen ausreden. Sie passen sicherlich besser in dieses Forum als historische Betrachtungen. Nur mir sagen sie eben nichts. Für mich drehen sich solche Diskussion einfach zu viel im Kreis, aber das haben Religion und Philosophie so an sich. 😉

 

 

bearbeitet von Marcellinus
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Geschrieben (bearbeitet)
vor 1 Stunde schrieb Domingo:
vor 2 Stunden schrieb Weihrauch:

Ich halte den kurzen Markusschluss für authentischer, was immer das bedeuten mag.

 

Gute Frage! Zumal wir nicht mal wissen, wer "Markus" war oder wo und wann das sogenannte Original gewesen sein soll, das uns als Maßstab für Authentizität dienen müsste.

 

Eben. Ich habe den Sprachgebrauch des Prof. aufgenommen, weil Authentizität für ihn (seinen Glauben ?) eine Bedeutung hat. Mich interessiert die Schuhgröße des Markus nicht. Mich interessiert der Inhalt mit der längsten und aktuell noch andauernden Wirkungsgeschichte. Dieses Evangelium ist heute in unseren Bibelausgaben präsent. Es wirkt. Ich bilde mir ein, trotz aller Redaktionen, 2. Deutung vom Säman, Markusschluss, usw., noch eine Person, einen genialen Autor hinter diesem Werk zu erkennen. Teamarbeit kann effektiv, nützlich, brauchbar sein - genial sind die Resultate nicht, nach meiner Erfahrung. Ich rede von Literatur - einzige Ausnahme sind vielleicht Märchen, die wachsen aber nicht auf Handschriften. 

 

vor 1 Stunde schrieb Domingo:

Es geht wie immer darum, was mehr oder weniger wahrscheinlich ist. Hätten wir Handscriften von Markions NT (direkte Überlieferung), könnten wir den Text zuverlässiger rekonstruieren als jetzt, wo wir auf indirekte Überlieferung, also Zitate, angewisen sind. Das heißt aber weder, dass wir bei direkter Überlieferung mit 100% Sicherheit Markions O-Ton hätten, noch, dass wir jetzt unfähig wären, uns mit gewisser Wahrscheinlichkeit eine Vorstellung von seiner Version des NT zu machen.

 

Bisher ging es nicht so sehr um sein NT, seine Paulinen, sondern um sein LkEv. Ich frage mich halt, warum Tertullian und andere so sehr dagegen ins Feld gezogen sind. Vor allem frage ich mich - mit welcher Waffe? Die kann doch nur das LkEv gewesen sein, das später kanonisiert wurde. Ein Tertullian wird aber nicht gegen sein LkEv argumentieren, sondern mit seinem LkEv gegen das Evangelium des Marcion. Tertullian ist ein Apologet, das Maß an dem er Marcion misst, ist das LkEv. Marcions Evangelium muss so anders gewesen sein, dass es in Tertullians Augen eben kein LkEv ist. Tertullian hätte nicht so sehr gestört, dass es vielleicht kürzer war, und Lukas es länger gemacht hat, wenn dem so war, was wir nicht wissen. Tertullian hätte gestört, dass es eine zu andere Theologie transportiert hat. Es kann ihm nur um unvereinbare Inhalte gegangen sein. 

 

So, und nun sagt einer der Youtube-Professoren, dass das daran liegen könnte, dass Marcion eine andere Zielgruppe, die Heiden im Blick hatte, und alles jüdische als "Verschwendung" betrachtet und weggelassen haben könnte - oder dass Lukas eine andere Zielgruppe, die Juden anvisiert hat. Das passt aber nicht zu der Spätdatierung der Evangelien inkl. LkEv denn im 3. Jahrhundert war das Thema Judenmission längst gegessen. Das kann höchstens noch bei den Paulinen eine gewisse Relevanz gehabt haben, weil man die so interpretieren kann, wie die Kirche es getan hat, nämlich dass die Juden Christus als ihren Messias annehmen hätten sollen - aber nicht haben. 

 

Wir wissen aber, wie Marcion theologisch tickte. Er lehnte den Gott des AT ab, wollte das AT nicht IM NT haben, das von einem anderen Gott handelt. Marcion sah den Gott des AT eher gnostisch, als Demiurgen der die Materie erschaffen hat, aus der man den Menschen befreien müsste, damit er frei in der Geistigen Welt lebt. Wer so denkt, für den ist ein Auferstandener, der sich wieder und wieder materialisiert eher kontraproduktiv.

 

Die Idee eines Proto-LkEv wäre, wenn ich das richtig verstanden habe, auch ein Proto-Marcion-Evangelium gewesen, aus dem Marcion und Lukas dann etwas ihren Zielgruppengerechtes gemacht hätten? Wo kam das dann her, wenn es nicht von Marcion und nicht von Lukas herkam? Oder habe ich da was falsch verstanden? Wie dem auch sei, das mit der Zielgruppe halte ich für viel weniger plausibel, als fundamentale theologische Unvereinbarkeiten zu den anderen Evangelien - die Marcion ja auch nicht in seinem NT haben wollte. Er wollte nur Paulinen und sein "Lukasevangelium" als Heilige Schrift lancieren.   

 

bearbeitet von Weihrauch
Geschrieben

Wir müssen uns ein für allemal damit abfinden, dass uns der ganz direkte Zugang zu dem realen Menschen Jesus von Nazareth, verwehrt ist. Zudem haben uns mehr als 200 Jahre Bibelforschung ( historisch-kritische Exegese ) gezeigt, dass die Herausarbeitung des „historischen Jesus“ auch letztlich nur eine „Konstruktion“ aus den verschiedenen vorliegenden Quellen ist. Wenn ich es richtig überblicke, dann ist heutiger Konsens, dass die vorliegenden Evangelien schlicht Glaubenszeugnisse von „Jesus-Gläubigen“ sind, die von ihrem Glauben an den Jesus erzählen und zu diesem Glauben ebenso einladen und ermuntern wollen. In diesem Sinne sind es authentische Zeugnisse des Glaubens von „Jesus-Gläubigen“, zeitlich kann man die vorliegenden Texte ( „Evangelien“ ) wohl zwischen 70 - 110 n. Chr. einordnen. Es gibt einen sozusagen absoluten  konkreten Punkt der „Enddatierung“. Der ist dann gegeben, wenn bereits andere theologische Schriftsteller des zweiten Jahrhunderts sich auf Evangelien beziehen oder daraus zitieren. Was wir also durchaus haben, sind konkret vorliegende Texte als Ausgangspunkt.

 

In den Evangelien erfahren wir also weniger über einen „historischen“ Jesus, sondern uns begegnen in den Evangelien „Jesus-Erinnerungen“, „Jesus-Interpretationen“ in verschiedenen Ausprägungen im Abstand von mehreren Jahrzehnten. Dabei darf man aber nicht übersehen, dass es von Anfang an unter den Jesus-Gläubigen eine lebendige nicht-textliche „Überlieferung“ über das Leben und das Geschick Jesus von Nazareth gab von  den „Augenzeugen“ / Jüngern, Jüngerinnen…. Gerade dieser Aspekt wird meist komplett ignoriert…. 

 

Ich lese die biblischen Schriften seit meiner Jugend und neben dem „gläubigen“ und „spirituellen“ Interesse faszinieren mich die biblischen Schriften auch als „Literatur“ ….man könnte durchaus sagen auch als Teil der „Weltliteratur“. Wenn man nur mal ein Gedanke darauf verschwendet, dass so ein literarischer Gigant wie Thomas Mann sich an der „Josefsnovelle“ jahrelang abarbeitete und dann diesen weit ausholenden Roman „Joseph und seine Brüder“ vorlegte….

 

Auch heute noch und immer wieder neu: Zunächst die Texte als „Literatur“ wahrnehmen…. 

 

Ich lese das Markus-Evangelium und entdecke erstaunt, dass ihn die Kindheit und Jugend von Jesus überhaupt nicht interessiert. Er ist ausschließlich am erwachsenen Jesus interessiert. Schon in seinem ersten Satz legt Markus seine „Karten“ ganz offen auf den Tisch und sagt, worum es ihm geht: „Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.“ Bereits dieser erste Satz des Markus-Evangeliums ist ein ganz persönliches Glaubensbekenntnis: „Evangelium“ = es ist eine gute Nachricht für die Menschen. „Christus“ und „Sohn Gottes“ als Bekenntnis des Markus, wer dieser Jesus von Nazareth für ihn heute, am Ende des 1. Jahrhunderts bedeutet. Ich habe jetzt also Leser zwei Möglichkeiten: a. ) Was interessieren mich überhaupt solche Fragen, was ein Mensch, der in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts gelebt hat für, Menschen bedeutet die am Ende des 1. Jahrhundert leben und lege die Lektüre beiseite……b.) ich bin einfach neugierig und interessiert daran, was dieser „Markus mir über diesen „Jesus von Nazareth“ zu erzählen weiß, wieso dieser „Markus“ der Überzeugung ist, dass dieser „Jesus“ der „Christus“ und „Sohn Gottes“ ist und lese einfach mal weiter.

 

In den ersten Kapiteln lese ich überwiegend-ausschließlich von Heilungen von Kranken und von Dämonenaustreibungen. Das ist Markus offensichtlich äußerst wichtig: Jesus als jemanden zu porträtieren und zu erinnern, der Menschen von ihren Kankheiten heilte und sie von ihren „Dämonen“ befreit hat….. Der „Messias“ als „Arzt“, „Heiler“ ( „Heiland“ ). Dann, relativ früh in seiner „Erzählung“ ( = Evangelium ) lese ich von Heilungen am „Sabbath“,  lese, dass darüber eine „“Diskussion“ entstand…und lese auch erstaunt, dass es offensichtlich interessierte Kreise gab, die ihn deswegen „umbringen“ wollten ( Markus 3, 6 ). Spätestens da ist natürlich mein rein „literarisches“ Interesse geweckt und ich möchte wissen, ob mir Markus mehr davon erzählt, warum es genau interessierte Kreise gab, die Jesus „umbringen“ wollten….( Wie gesagt: Leseimpuls aus rein „literarischem Interesse“ ) 

 

Höchst interessant bei Markus finde ich die Passagen, wo er erzählt, dass Jesus nicht nur in seiner eigenen Heimatstadt Nazareth „abgelehnt“ wurde, sondern mehr noch, dass seine Familie der Überzeugung war: „Unser Jesus ist komplett verrückt“. ( Markus 3, 21 ) Nebenbei - aus heutiger Sicht ( Stichwort: „Mariologie“ ), wenn Markus ganz natürlich von der Familie Jesus erzählt, von seinen Brüdern und Schwestern… Es regt zum Nachdenken an, warum dem Markus das so wichtig war, genau dies zu erzählen, obwohl zB der berühmte „Herrenbruder Jakobus“ später eine sehr wichtige Leitungsfunktion in der Jerusalemer Urgemeinder übernommen hatte, bevor er selber im Jahr 62 ermordet wurde…..

 

Was ich schlicht sagen möchte: Es ist höchst inspirierend, sich immer wieder auf die vorliegenden Texte auch aus „rein literarischem Interesse“ einzulassen… 

 

Natürlich kann man bis ans Ende der Tage unendliche Diskussionen führen über Handschriftenüberlieferungen, Textvarianten… etc… Abhängigkeiten von Markus-Lukas-Mattäus-Quelle Q…etc…. Markion…das ist letztlich eine Endlosschleife….Mir genügt eigentlich immer wieder vollauf die Lektüre der vorliegenden Texte…. Das ist für mich das Entscheidende… 

 

Vielleicht noch eine kleine Anmerkung zur Diskussion um den Textbestand, den „Quellen“…… 

 

Ich spiele in meiner Freizeit viel und gerne Klavier. Mir würde es nicht im Traum einfallen, die vorliegenden Klavierausgaben von „Hehnle“ etc.. zB der Beethovensonaten grundsätzlich „anzuzweifeln“ und sagen: Ich möchte Einsicht haben in die Original-Handschriften….. Ich spiele und studiere den Notentext, so wie er mir vorliegt und versuche anhand des mir vorliegenden Notentextes herauszufinden….was  „Beethoven“ mir in seiner Musik und mitteilen wollte und das dann eben auch für heute umzusetzen. 

Geschrieben
vor 3 Stunden schrieb Weihrauch:

So, und nun sagt einer der Youtube-Professoren, dass das daran liegen könnte, dass Marcion eine andere Zielgruppe, die Heiden im Blick hatte, und alles jüdische als "Verschwendung" betrachtet und weggelassen haben könnte - oder dass Lukas eine andere Zielgruppe, die Juden anvisiert hat.

 

Ja, Jason BeDun sagt in dem von Dir verlinkten Interview etwas in der Art. Sein Kollege Mark Bilby scheint es anders zu sehen: Von 35:30 an verohnepiepelt er die Vorstellung, Markion habe das LukEv gekürzt, eine Möglichkeit, die BeDun hingegen als durchaus annehmbar darstellt.

 

vor 3 Stunden schrieb Weihrauch:

as passt aber nicht zu der Spätdatierung der Evangelien inkl. LkEv denn im 3. Jahrhundert war das Thema Judenmission längst gegessen.

 

So spät kann höchstens die Endversion von LkEv sein, die in den ernhaltenen Hadnschriften vom 4. Jh. vorwärts zu lesen ist. Das Proto-LkEv muss viel älter sein, auch und gerade wegen Markion. Meinetwegen kann Markus tatsächlich in den 70er Jahren des 1. Jh. entstanden sein, Matthäus in den 80ern und Lukas in den 90ern - solange man dabei die Proto-Version des jew. Evangeliums meint.

 

vor 3 Stunden schrieb Weihrauch:

Die Idee eines Proto-LkEv wäre, wenn ich das richtig verstanden habe, auch ein Proto-Marcion-Evangelium gewesen, aus dem Marcion und Lukas dann etwas ihren Zielgruppengerechtes gemacht hätten? Wo kam das dann her, wenn es nicht von Marcion und nicht von Lukas herkam? Oder habe ich da was falsch verstanden?

 

So wie ich es verstehe, gab es ein Proto-LkEv (schon aus dem 1. Jh., wenn er Markion bekannt war; also ist die o.g. Datierung höchstwahrscheinlich sehr nah dran), das (laut Bilby und, mit Vorbehalt, BeDun) in Markions NT als einziges Evangelium aufgenommen wurde. Eine erweiterte Fassung war Tertullian bekannt, und die wurde dann zur Grundlage des kanonischen LkEv.

 

Oder aber Markion erschuf seine eigene Version aus einem älteren Text, aus welchem dann wiederum LkEv wurde. So erklärt es sich, dass Markions Evangelium für eine Version von LkEv gehalten wurde.

 

Und vor genau 5-6 Studen hat Dan Macclellan etwas zu dem Thema gepostet. Ob er hier mitliest?

Geschrieben (bearbeitet)
vor 20 Stunden schrieb Domingo:

Hier - in diesem Tread und im Forum allgemein - sieht man sehr schön, wieviele verschiedene Meinungen es unter Christen gibt. Dass das schon im 2. Jh. der Fall war, ist bekannt; weniger bekannt scheint es zu sein, dass diese verschiedenen Sekten ihre je eigenen Fassungen der heiligen Texte hatten (vom Wort "Kanon" halte ich mich bewusst fern

 

Dem widerspricht die Entstehungsgeschichte der Evangelien, sowohl das synoptische Modell, als auch alle anderen Modelle. Zuerst gibt es keine Schriften, dann eine oder zwei Ur-Schriften aus denen sich die anderen in Abhängigkeit von den ersten entwickeln. Es läuft bei jedem Modell immer auf einen Stammbaum heraus, wie bei einer Genealogie. Je weiter man in der Zeit zurückgeht, desto weniger Schriften gibt es, bis man bei Adam (Q oder Marcion) und Eva (Markus oder Proto-Luk) der Evangelien angekommen ist. Sieh dir hier die Kaskade von Dr. Mark G. Bilby an. 

 

Daran stören mich ein paar Dinge. Zum einen, dass sich das nicht im Internetzeitalter sondern in der Antike abspielt. Wir reden hier geographisch nicht von Jerusalem und ein paar Vororten in dem sich diese Modelle abspielen sollen, sondern von einem riesigen Gebiet, das von Ägypten über Syrien, die Türkei und Griechenland bis nach Rom reicht. Es gibt kein Copy and Paste, kein Telefon, keine Lufthansa und keinen ICE. Man schreibt mit der Hand, geht zu Fuß, reitet auf Eseln - das kostet alles viel Zeit und der Zeitraum über den hier geredet wird ist eng bemessen.

 

In der Kaskade von Bilby die leider ohne Legende daherkommt, taucht Marcion (GMcn = Gospel Marcion?) das erste Mal mit der Zeitangabe 80s CE auf. wenn ich das richtig interpretiere, was ziemlich unwahrscheinlich ist, wenn Marcion zwischen 85 und 100 geboren wurde und um 160 starb. Aber weiß man's? Vielleicht wurde Marcion 100 Jahre alt, dann wurde er im Jahr 60 geboren, hat seine erste Million als Reeder mit 17 gemacht und in den 80er Jahren sein Evangelium verfasst. Wir reden hier immer von Wahrscheinlichkeiten und da ist das Unwahrscheinliche immer mit eingepreist. Wenn es die wissenschaftlich erhobenen Daten von Bilby so erkennen lassen, muss es wohl so gewesen sein - oder mit der Methode, die Bilby anwendet, stimmt was nicht.  

 

Oder sieh dir mal diese Grafik über die unterschiedliche Längen nach gezählten Worten von Marcions rekonstruiertem Evangelium an, die Bilby den unterschiedlichen Editionen der Autoren entnommen hat, auf die du verwiesen hast. Die Länge des Marcionevangeliums schwankt je nach Edition zwischen 14000 und 4000 Wörtern und Bilby vermutet daher eine durchschnittliche Länge von 6500 bis 7500 Wörtern. Was habe ich damit für ein Problem? Daten sind eine feine Sache, Wörter kann man zählen, eine Durchschnittliche Länge ist plausibel - aaaber - es sind sinnbefreite auf Zahlen reduzierte Wörter. Nach Inhalten, nach theologischen Aussagen wird nicht gefragt, die interessieren hier nicht.

 

Wenn du sagst, dass "diese verschiedenen Sekten ihre je eigenen Fassungen der heiligen Texte hatten" geht es doch vor allem um die unterschiedlichen theologischen Vorstellungen, die diese Schriften beinhaltet haben, sonst bräuchte man keine unterschiedlichen Schriften, in denen eine Sekte dasselbe mit wenigen und eine andere Sekte dasselbe mit vielen Wörtern zu Papier bringt. Nimm die deutsche Synopse der Verklärung die ich oben zitiert habe. Ja, die sind unterschiedlich lang, das sagt aber nichts über ihre Theologie aus. Was einen theologischen Unterschied in der Christologie ausmachen könnte, lässt sich nicht an der Anzahl der Wörter ersehen, sondern an ihrem Sinn, ihrem Interpretationsspielraum:

 

Mt = Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe = Mein Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, die anderen gehen so. 

Mk = Dies ist mein geliebter Sohn = Mein einziger Sohn.

Lk = Dies ist mein auserwählter Sohn = Mein Sohn, den ich mir ausgewählt habe = das klingt nach Adoption

 

Noch bei den ökumenischen Konzilen war man in der Findungsphase, stritt man erbittert um einen einzigen Buchstaben: homoiusios oder homousios bei der Frage, wer der Christus ist - nicht wer Jesus war. Nach gezählten Wörtern macht das in den Daten keinen Unterschied = 1. 

bearbeitet von Weihrauch
Geschrieben

@Weihrauch: Ich muss mir das ganze Video, das Du verlinkst, anschauen, um auf Deine Fragen eine halbwegs seriöse Antwort geben zu können. Melde mich morgen oder später zurück.

Geschrieben (bearbeitet)

Was ich noch dazu sagen möchte: ich finde seine Arbeit wirklich sehr nützlich und lange überfällig, denn ich habe bzw. hätte für meine privaten Zwecke gerne ähnliches gemacht. Als ich anfing mich intensiv mit, ich nenn' es mal "christlicher Theologie" zu beschäftigen, machte ich mir ein Wiki, in das ich alles, was mir wichtig erschien einarbeitete, um alles an einem Platz und schnell verfügbar zu haben, um Dinge schnell wiederfinden zu können. Sozusagen eine eigene kleine Bibliothek, ein persönliches digitales Arbeitsumfeld um effektiv arbeiten zu können. So finden sich beispielsweise die Schriften von Tertullian, die ich schon gelesen habe, griffbereit in diesem "Wiki", falls ich sie wie jetzt vielleicht noch mal brauche. 

 

Ich merkte aber schnell, dass ich nicht effektiv in meinen so erstellten Daten suchen konnte, weil sie nicht im geringsten normalisiert waren. Das Programm, das ich für mein Wiki benutze hat eine gute Suchfunktion, aber wenn ich nach allen Datensätzen suche, in denen eine bestimmte Bibelstelle erwähnt wird, werden Suchanfragen kompliziert, weil Bibelstellen sehr unterschiedlich teils exotisch referenziert wurden und werden. z.B. Gen 1,26, 1 Mos 1,26, 1 Mos 1:26, 1Mo 1,26; Gn 1,26, Gn 126 Ähnliches Problem bei der Schreibweise biblischer Namen z.B. Noah, Noach, da gäbe es zwar die Loccumer Richtlinien aber da hält sich kaum einer dran, und ältere Fachliteratur sowieso nicht. Solche Probleme hat Bilby erkannt und anscheinend in seiner Datenbank durch Normalisierungen gelöst, damit man wie er sagt: Äpfel mit Äpfeln vergleichen kann. Super!!! Es ist bei ihm noch in the making, und Fehlerkorrekturen macht er in Echtzeit. Weil man in vielerlei Hinsicht normalisieren muss, sagt er, dass man dafür ein großes Team bräuchte. Jedenfalls ist sein Ansatz richtig. Seiner Bio kann man entnehmen, dass er viel im Bibliothekswesen gearbeitet, und es revolutioniert hat, wo immer er durfte. Guter Mann! 

 

Ich habe mich gefragt, warum die katholische Kirche ihren Studenten nicht schon längst eine digitalisierte Bibliothek im Internet bereitstellt, damit Studenten ihre Zeit nicht mit umständlichem Suchen in Bibliotheken verschwenden müssen. Neue theologische Fachliteratur wird in kleinen Auflagen gedruckt, ist schnell vergriffen und wird nicht neu aufgelegt. Darum ist sie so teuer. Selbst mit geringen Lizenzgebühren, könnten die Verlage noch etwas an einem Werk verdienen. Was nutzt es ihnen auf Rechten zu hocken, die kein Geld einbringen? Eine solche Datenbank könnte sogar als Non-Profit Verlag für Dissertationen oder Fachliteratur ihrer Professoren agieren, und so könnte man sich von kommerziellen Verlagen in der Zukunft unabhängig machen.

 

Die Kirche hätte die Manpower und die finanziellen Möglichkeiten eine solche Datenbank interdisziplinärer und überkonfessioneller Fachliteratur aufzubauen und jedem, nicht nur Studenten kostenlos oder kostengünstig zur Verfügung zu stellen. Bildung wird als Ziel ausgegeben, gemeint ist damit aber nur katholische Blasen-Bildung. Bei den anderen Konfessionen ist es nicht anders. Nicht mal im An-Denken solcher Möglichkeiten ist man bei einer rein katholischen Literatur-Datenbank im digitalen Informationszeitalter angekommen. Die Digitalisierung der Kirche ist in aller Munde. Bloß, im Mund nutzt sie niemandem, machen muss man es mit Leuten wie Bilby. 

 

Machen ist wie Wollen, nur krasser.

bearbeitet von Weihrauch

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