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"History for Atheists"


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Geschrieben (bearbeitet)

Einen Teil des Videos angeschaut. Ich glaube, ich kann jetzt die ersten paar Fragen beantworten. Fangen wir mit der leichteren an:

 

 

Am 22.10.2025 um 04:52 schrieb Weihrauch:

In der Kaskade von Bilby die leider ohne Legende daherkommt, taucht Marcion (GMcn = Gospel Marcion?) das erste Mal mit der Zeitangabe 80s CE auf. wenn ich das richtig interpretiere, was ziemlich unwahrscheinlich ist, wenn Marcion zwischen 85 und 100 geboren wurde und um 160 starb. Aber weiß man's? Vielleicht wurde Marcion 100 Jahre alt, dann wurde er im Jahr 60 geboren, hat seine erste Million als Reeder mit 17 gemacht und in den 80er Jahren sein Evangelium verfasst.

 

Markion hat kein Evangelium verfasst. Man nennt es "Markions Evangelium," weil er es in seine Ausgabe des Neuen Testaments (ein Begriff, den er anscheinend erfunden hat) aufgenommen hat. Bilby schreibt übrigens auch "Luk1/GMcn", was zum Ausdruck bringen soll, dass Proto-Lukas genau dieses Ev war, das Markion in seine Ausgabe einfügte.

 

Am 22.10.2025 um 04:52 schrieb Weihrauch:

Daran stören mich ein paar Dinge. Zum einen, dass sich das nicht im Internetzeitalter sondern in der Antike abspielt. Wir reden hier geographisch nicht von Jerusalem und ein paar Vororten in dem sich diese Modelle abspielen sollen, sondern von einem riesigen Gebiet, das von Ägypten über Syrien, die Türkei und Griechenland bis nach Rom reicht. Es gibt kein Copy and Paste, kein Telefon, keine Lufthansa und keinen ICE. Man schreibt mit der Hand, geht zu Fuß, reitet auf Eseln - das kostet alles viel Zeit und der Zeitraum über den hier geredet wird ist eng bemessen.

 

Ungefähr ein Jahrzehnt von einer größeren Überarbeitung zur nächsten scheint mir nicht zu knapp bemessen. Selbst wenn man nur auf Eseln geritten wäre, hätte man in ein paar Monaten von Ägypten nach Rom reisen können. Nun ging man meist nicht auf dem Land, sondern man segelte. Da konnte man in 1-2 Wochen diese Gebiete abdecken.

 

Das Abschreiben von Hand ist zwar ebenfalls langsamer als elektronische Textverarbeitung, aber so langsam ging es auch wieder nicht. Solch relativ kurze Texte wie die Evangelien kann man durchaus (seien wir mal großzügig) in ein paar Tage abschreiben (ein Nachmittag dürfte uU ausreichen), sagen wir mal wenn ein Schiff ankommt und ein Buch zum Kopieren rübergereicht wird; und dann hat man ein Jahrzehnt Zeit, diesen Text zu revidieren, indem man neue Abschriften mit eingefügten oder getilgten Passagen usw. anfertigt.

 

Mit heutiger Technik geht alles nat. viel schneller, und zwar so viel schneller, dass 2015, also vor einem Jahrzehnt, nach Internetstandards schon alte Geschichte ist, und 2005 (ungefähr, als ich anfing, hier auf Mykath zu schreiben) graue Vorzeit. Wir könnten an einem Wochenende aus einem Luk1 einen Luk 2 machen. Laut Bilbys Kaskade dauerte die Entwicklung des NT mindestens 85 Jahre, also wie von 1940 bis heute. ich denke wirklich nicht, dass eine solche Zeitspanne zu knapp ist.

bearbeitet von Domingo
Geschrieben

Ein paar unsortierte Gedanken, da ich im Krankenhaus von meinen Quellen abgeschnitten bin:

 

Die Legitimation der katholischen Kirche beruht auf Suksession. Ohne historischen Jesus verliert die Kirche alle ihre Berechtigungen. Ihr ganzes Gebäude wäre dann auf dem Treibsand literarischer Erfindungen gebaut. 

 

Die Datierung von Markus beruht darauf, dass er voraussetzt, dass der Leser weiß, dass die Juden eine große Katastrophe getroffen hat. Dafür kommen die Zerstörung des jüdischen Tempels infrage oder die Zerstreuung der Juden nach der Niederlage von bar Kochba gegen die Römer. Die Radikalkritik nahm schon vor über 100 Jahren an, dass ein Bezug auf den Aufstand wahrscheinlicher ist. Ansonsten müsste man erklären, wieso kein Christ 70 Jahre lang von den Evangelien wusste, oder den Paulusbriefen. 

 

 

 

 

 

Geschrieben
vor 11 Stunden schrieb Domingo:

Markion hat kein Evangelium verfasst. Man nennt es "Markions Evangelium," weil er es in seine Ausgabe des Neuen Testaments (ein Begriff, den er anscheinend erfunden hat) aufgenommen hat. Bilby schreibt übrigens auch "Luk1/GMcn", was zum Ausdruck bringen soll, dass Proto-Lukas genau dieses Ev war, das Markion in seine Ausgabe einfügte.

Was ich an diesem Evangelium eben besonders reizvoll finde. Auf der anderen Seite...

 

Ich konzentriere mich im Moment eher auf die ethischen Weisungen, aber ich sollte vielleicht wirklich mal die Menschensohnstellen bei Lk und Luk1 vergleichen.

 

Diese Passagen sind vielleicht noch am ehesten geeignet um Marcions Sicht auf Jesus zu stützen, wenngleich sie ihre Parallelen in der jüdischen Apokalyptik haben und darum nicht völlig unwahrscheinlich sind.

Sollten sie alle oder wenigstens zum größeren Teil drin sein, könnte man sich vielleicht fragen, ob sie von Marcion eingefügt wurden um seine Christologie der "scheinbaren Inkarnation" zu stützen und die Geburtsgeschichte vorgeschaltet wurde, um diese Idee zu entkräften. Auch die Einfügung der Johannesgeschichte und vorallem der Taufe Jesu könnte auch(!) passiert sein, damit Luk1 nicht in Markions Sinne missverstanden werden "könnte".

Geschrieben
vor 4 Stunden schrieb Volker:

Die Datierung von Markus beruht darauf, dass er voraussetzt, dass der Leser weiß, dass die Juden eine große Katastrophe getroffen hat. Dafür kommen die Zerstörung des jüdischen Tempels infrage oder die Zerstreuung der Juden nach der Niederlage von bar Kochba gegen die Römer. 

 

Ohne mich bei dem Thema gut auszukennen und ich zu weit aus dem Fenster raushängen zu wollen, möchte ich anmerken, dass der agnostisch-atheistische Bibelwissenschaftler Bart Ehrman in einem irgendwo meinte, dass er es durchaus für möglich hält, dass der historische Jesus die Zerstörung des Tempels prophezeite. Sein Argument lautete ungefähr, soweit ich mich erinnere, dass auch andere zu Jesu Zeit das getan hätten, und dass das damals wohl nicht unüblich gewesen sei.

Geschrieben

Richtig, die Zerstörung des Tempels wurde von Jesus (!) ben Ananias vorhergesagt. Dem wurde deswegen der Prozess gemacht, er wurde von den Römern freigesprochen, weil sie ihn für unzurechnungsfähig hielten. 

 

Das Problem ist zweierlei:

 

1. Es wird vorausgesetzt, dass der Leser weiß, dass die Juden von einer solchen Katastrophe heimgesucht wurden- in der  Vergangenheit. 

2. Der Prozess gegen Jesus verstiess gegen römische und jüdische Rechtsprinzipien. Chaim Kohn wies nach, dass der Prozess gegen Jesus von Nazareth von dem Prozess gegen ben Ananias abgeschrieben wurde, bis auf den Ausgang. Was bedeutet, dass das Markusevangelium erst nach den Texten von Josephus entstanden sein kann- also 2. Jahrhundert.

Geschrieben (bearbeitet)
Am 25.10.2025 um 01:00 schrieb Domingo:

Markion hat kein Evangelium verfasst.

 

Das ist doch zuerst mal eine berechtigte Frage, ob das wirklich so war. Tertullian behauptet das Gegenteil. Nicht dass ich ihn für besonders vertrauenswürdig halte, aber da steht es.

 

Zitat

Tertullian Adversus Marcionem IV. Buch Kap. 6


Hiermit ist Inhalt und Aufgabe des IV. Buches gegen Marcion dargelegt. Von nun an beginnt der detaillerte Nachweis der aufgestellten These an der Hand des von Marcion gekürzten Lukas-Evangeliums und der echten hl. Schrift.

 

 

Ich wundere mich immer darüber, dass bei solchen Diskussionen so wenig auf die Inhalte der Texte eingegangen wird. Alle anderen Quellen gehen ebenfalls auf Marcion los. Nur daher wissen wir überhaupt von diesem Text. Als allererstes muss man sich irgendwie erklären, wie Tertullian und alle anderen Gegner Marcions darauf kommen, dass der Proto-Lukas von Marcion stammt, falls er nicht von ihm stammt.

 

Der Eindruck, dass der Proto-Lukas gekürzt ist, kann erst entstehen, wenn es längere Lukasevangelien gibt, Lk2 (117-138 CE) oder LkR2. Dann muss Marcion noch mit dem Proto-Lukas als Verfasser in Verbindung gebracht werden. Das geht erst, wenn Marcion damit durch die Lande zieht, und bei denen auftritt, die bereits ein längeres Lukasevangelium besitzen, aber noch nie den Proto-Lukas in den Fingern hatten, sonst sagen sie: "Kennen wir schon, haben wir schon. Was willst du damit, ist Schnee von gestern."

 

Die nächste Frage die sich stellt: Wieso kennen Marcions Gegner eigentlich den Proto-Lukas nicht, lange bevor Marcion mit ihm bei ihnen auftaucht? Angeblich gibt es den Proto-Lukas zu diesem Zeitpunkt Mitte des 2. Jahrhunderts schon seit vielen Jahrzehnten.

 

Am 25.10.2025 um 01:00 schrieb Domingo:

Ungefähr ein Jahrzehnt von einer größeren Überarbeitung zur nächsten scheint mir nicht zu knapp bemessen. Selbst wenn man nur auf Eseln geritten wäre, hätte man in ein paar Monaten von Ägypten nach Rom reisen können. Nun ging man meist nicht auf dem Land, sondern man segelte. Da konnte man in 1-2 Wochen diese Gebiete abdecken.

 

Das Abschreiben von Hand ist zwar ebenfalls langsamer als elektronische Textverarbeitung, aber so langsam ging es auch wieder nicht. Solch relativ kurze Texte wie die Evangelien kann man durchaus (seien wir mal großzügig) in ein paar Tage abschreiben (ein Nachmittag dürfte uU ausreichen), sagen wir mal wenn ein Schiff ankommt und ein Buch zum Kopieren rübergereicht wird; und dann hat man ein Jahrzehnt Zeit, diesen Text zu revidieren, indem man neue Abschriften mit eingefügten oder getilgten Passagen usw. anfertigt.

 

Wieso kennt man Lk1/GMcn dann erst um 150 wenn es schon in den 80ern geschrieben wurde, und sich die Texte so schnell verbreiten, wie du sagst? Lk1/GMcn ist das erste kommentierte Evangelium, sagt Bilby. Für die hohe Verbreitungsgeschwindigkeit die du postulierst, spricht das Muratorische Fragment, in dem von Pius als amtierenden Bischof in Rom (140 ?-155 ?) und seinem Bruder Hermas "der neulich schrieb" die Rede ist, und von vier Evangelien namentlich dem Lukasevangelium und auch von der Häresie des Marcion. Da hatte man Marcion in Rom mit seinem neu- und andersartitgen Lukas-Evangelium schon abblitzen lassen und ihm seine Spende zurückgegeben, weil man ein "echtes" Lukasevangelium hatte, und es unannehmbare Diskrepanzen zwischen diesen beiden Lukasevangelien gab. Da wird es nicht nur um die Länge oder Kürze, sondern vor allem um die Inhalte gegangen sein.

 

Da passt was nicht zusammen, die allgemein schnelle Verbreitungsgeschwindigkeit von Texten, und die Unbekanntheit des Lk1/GMcn vor dem Auftauchen Marcions damit. Wenn die hohe Verbreitungsgeschwindigkeit wahrscheinlich ist, ist dessen Unbekanntheit eher unwahrscheinlich. Wir reden ja immer nur von Wahrscheinlichkeiten. 

 

Dass Lk1/GMcn schon früh bekannt war aber in Vergessenheit geraten sein könnte, ist auch unwahrscheinlich, wenn man die Hohe Frequenz der textlichen Neuerscheinungen zum Lebensalter der Menschen setzt, denn die Menschen leben länger und sterben nicht so schnell wie neue Schriften auftauchen. Die gesamte Kaskade Bilbys umfasst bloß einen Zeitraum von 75 Jahren. Ungefähr so alt wurde Marcion * zwischen 85 und 100 † um 160. Seine Gegner Tertullian * nach 150 † nach 220 wurde ca. 70, Hippolyt von Rom * um 170 † 235 wurde ca. 65, Irenäus von Lyon * zwischen 130 und 140 † um 200 wurde ca. 65, Justin der Märtyrer * um 100 † 165 wurde ca. 65, Epiphanios von Salamis * um 315 † 403 wurde ca. 88,

 

Man müsste erklären, warum der Proto-Lukas nicht schon früher weithin bekannt war, wenn er für die Evolution der Evangelien so entscheidend ist, und die Christen durch ihre Netzwerke so schnell auf den neuesten Schriftbestand gebracht wurden. Vor allem in Rom, wo Marcion trotz seiner dicken Spende abblitzte, müsste man den Proto-Lukas längst gekannt haben, wo doch alle Wege nach Rom führen. Proto-Lukas muss verbreitet gewesen sein, denn dass er nur bei denen auftauchte, die an der Evolution der Evangelien beteiligt waren, ist eher unwahrscheinlich. Er muss so wichtig gewesen sein wie Bilby behauptet und daher im Umlauf gewesen sein. Wenn es davor sonst nur Qn und Mk1 gegeben hat, war Lk1/GMcn früh der letzte Schrei und bald in aller Munde. Aber bis Marcion war Lk1/GMcn in niemandes Munde. Es scheint mir darum wahrscheinlicher dass Marcion ein Lukasevangelium gekürzt hat, als das andere einen Proto-Lukas den niemand kannte verlängert haben. 

 

Ich versuche mir das lebensnah in der Praxis vorzustellen, was Bilby in seiner Kaskade theoretisch präsentiert und worüber wir hier Reden. Ist das falsch? Mache ich da etwas falsch, in meinen Überlegungen? Man kann die Abhängigkeiten der Evangelien mit Pfeilen von einem Evangelium zum anderen in Grafiken darstellen, und so betrachtet ist jedes dieser Modelle dargestellt auf einem Blatt Papier. Aber man muss sich doch die Realität damals auch vor Augen führen. In die veranschlagten 75 Jahre passen nicht so viele "Generationenwechsel", wie der Begriff Evolution (bei Tieren) suggeriert, bis durch unzählig viele, minimale kleine Mutationen eine neue Art Evangelium entstanden ist. Da muss es am Anfang große schlagartige Veränderungen gegeben haben, wenn aus dem Ersten das Zweite und den Zwei das Dritte und Vierte entsteht, und die Unterschiede zwischen diesen so gewaltig sind, dass man sie als unterschiedliche Evangelien wahrnimmt. 

 

Da sitzt ein Mensch und hat zwei Quellen vor sich auf dem Tisch und macht daraus das Nächste inhaltlich völlig Unterschiedliche. Zwei Evangelien landen in einer Gemeinde und ein drittes verlässt sie dann wieder. Da gibt es keinen Dialog, keine mit anderen Gemeinden in Konferenzen abgestimmte "Entwicklung". Das geschieht von Jetzt auf Gleich an einem Ort. Ein Pfeil in den jeweiligen Grafiken zu den Modellen der Zweiquellentheorie, der Zwei-Evangelien-Theorie, der Farrerhypothese usw, stellt dar, was in dem Kopf eines Menschen passierte, der mit seinem Stift Blätter beschrieb. So ein Pfeil symbolisiert den Denkprozess eines Menschen, der etwas bestimmtes anderes Vermitteln will, als das, was vor ihm als Quellen auf dem Tisch liegt, der ein Konzept im Kopf hat und es zu Papier bringt. Später gibt es dann kleinere Veränderungen, Einschübe, Konjunktionen, Abschreibfehler, andere Formulierungen einer Phrase an seinem Werk - aber daduch entsteht kein neues anderes Evangelium mehr, sondern eine Anzahl unterschiedlicher Handschriften eines Evangeliums. Stelle ich mir das falsch vor? Mache ich die Arbeit eines Autors zu stark?  

 

bearbeitet von Weihrauch
Geschrieben
Am 25.10.2025 um 10:48 schrieb Volker:

Ansonsten müsste man erklären, wieso kein Christ 70 Jahre lang von den Evangelien wusste, oder den Paulusbriefen. 

 

Dass niemand darüber geschrieben hat, heißt nicht dass keiner davon wusste. Erklärungen dafür, dass keiner darüber geschrieben hat, scheinen mir relativ einfach zu sein. Man hatte wichtigeres zu tun. Es dauerte eben genau diese Zeit, bis die Jesusanhänger eine kritische Masse erreicht hatten und sich eine christliche Infrastruktur herausgebildet hatte, in der Meta-Schriftverkehr wichtig wurde. Es gab ein wildes Chaos von allerlei Schriften, die kursierten, von allen möglichen Gruppierungen, nicht nur von Christen. Man musste sich erstmal sortieren, abgrenzen und organisieren.

 

Zitat

 

Basiswissen Kirchengeschichte

 

100    Zeitalter der Apostolischen Väter: Das junge Christentum löst sich vollends vom Judentum und tritt in die griechische Welt ein. Die Großkirche gewinnt Konturen. Die Schriftengruppe der Apostolischen Väter gibt innerkirchliche Unterweisung. 

150    Zeitalter der Apologeten: Der Anspruch des Christentums an die Welt wird formuliert, die Konfrontation mit Häresien führt zur Normenbildung. Die Großkirche konsolidiert sich. Erstmals werden zielbewusst Nichtchristen angesprochen. Die christologischen Auseinandersetzungen beginnen. 

200    Zeitalter der Frühkatholischen Väter: Mit den Antignostischen Vätern (Irenäus, Tertullian) und den Alexandrinern (Clemens, Origenes) treten hervorragende Theologen auf, die erstmals die christliche Lehre zu systematisieren versuchen. In dieser Friedenszeit gewinnt die Kirche zunehmend Selbstbewusstsein. Der Monarchianische Streit bricht auf.

 


 

Geschrieben (bearbeitet)
vor 8 Stunden schrieb Weihrauch:

Das ist doch zuerst mal eine berechtigte Frage, ob das wirklich so war. Tertullian behauptet das Gegenteil. Nicht dass ich ihn für besonders vertrauenswürdig halte, aber da steht es.

 

Tertulian behauptet, er hätte ein bereits bestehendes Ev gekürzt. Unter "Verfassen" verstehe ich was anderes - wir brauchen uns aber nicht auf Semantik einzulassen, denn Deine Frage war ja, wie denn Markion, der 85 geboren wurde, GMcn/Luk1 verfasst haben könnte, das Bilby um 70 datiert. Die Antwort ist: hat er nicht, er hat es höchstens editiert. Bilby glaubt Letzteres aber nicht: er glaubt, Markion hat Luk1 eins zu eins übernommen.

 

vor 8 Stunden schrieb Weihrauch:

Der Eindruck, dass der Proto-Lukas gekürzt ist, kann erst entstehen, wenn es längere Lukasevangelien gibt, Lk2 (117-138 CE) oder LkR2. Dann muss Marcion noch mit dem Proto-Lukas als Verfasser in Verbindung gebracht werden. Das geht erst, wenn Marcion damit durch die Lande zieht, und bei denen auftritt, die bereits ein längeres Lukasevangelium besitzen, aber noch nie den Proto-Lukas in den Fingern hatten, sonst sagen sie: "Kennen wir schon, haben wir schon. Was willst du damit, ist Schnee von gestern."

 

Meinst Du das "durch die Lande ziehen" wörtlich? Wenn ja, wie kommst Du darauf? Es reicht doch wohl, dass eine Kopie von GMcn in ihre Hände geriet. Die könnten eine sogar explizit angefordert haben, als sie hörten, dass M. einen Kanon aufgestellt hatte. Sie hätten dann jemanden (eine Sklaven vielleicht) losgeschickt, um sich eine Kopie ausstellen zu lassen.

 

Tertullian ist doch der erste, von dem wir wissen, dass er M. des Abkürzens von Lukas bezichtig hat, oder liege ich da falsch? Nun hat Tertullian ein paar Jahrzehnte später als M. gelebt, und das könnte der Grund sein, warum seine Version von Lukas bereits erweitert war. Es könnte aber schon zu M.s Lebzeiten einen längeren Lukas gegeben haben, den M. nicht kannte oder aus theologischen Gründen ablehnte.

 

Tertullian mag Lk1 nicht mehr gekannt haben, weil es in seiner Kirche längst durch Lk2 ersetzt worden war. Dann hat er eine Kopie von GMcn studiert und gemerkt, da fehlte etwas, und hat gefolgert, M. habe Lukas verfälscht. Es ist kaum zu erwarten, dass er sich ernsthaft gefragt hätte, ob M. eine ältere Version hatte, oder dass er ehrlich mit M. umgegangen wäre, statt ihm alles mögliche Böse anzudichten.

 

 

vor 8 Stunden schrieb Weihrauch:

Die nächste Frage die sich stellt: Wieso kennen Marcions Gegner eigentlich den Proto-Lukas nicht, lange bevor Marcion mit ihm bei ihnen auftaucht? Angeblich gibt es den Proto-Lukas zu diesem Zeitpunkt Mitte des 2. Jahrhunderts schon seit vielen Jahrzehnten.

 

Woher wissen wir, ob sie es kannten oder nicht? Siehe oben (Tertullian scheint mir der erste zu sein, der sich zu dem Thema überhaupt äußerte).

 

 

vor 8 Stunden schrieb Weihrauch:

Da wird es nicht nur um die Länge oder Kürze, sondern vor allem um die Inhalte gegangen sein.

 

Vermutlich.

 

vor 8 Stunden schrieb Weihrauch:

Dass Lk1/GMcn schon früh bekannt war aber in Vergessenheit geraten sein könnte, ist auch unwahrscheinlich

 

Lk2 entstand nach diesem Modell aus Lk1, indem man einiges hinzufügte und einige Formulierungen änderte. Dann wurde die Vorlage wohl weggeworfen; einige Kirchen akzeptierten dann Lk2 und warfen Lk1 ebenfalls auf die Müllhalde, und falls diese Kirche in Ägypten war, finden wir diese weggeworfene Kopie vielleicht mal wieder. Die Oxyrinchus-Papyri stammen ja auch aus dem Abfall jeder Stadt.

 

Ein paar Jahre später hatten diese Kirchen Lk1 vergessen, falls sie s tatsächlich vergessen hatten (s. o.).

 

 

vor 8 Stunden schrieb Weihrauch:

Da muss es am Anfang große schlagartige Veränderungen gegeben haben, wenn aus dem Ersten das Zweite und den Zwei das Dritte und Vierte entsteht, und die Unterschiede zwischen diesen so gewaltig sind, dass man sie als unterschiedliche Evangelien wahrnimmt.

 

Ja. Wie bei der jüdischen Bibel. Irgendwann wird der Text so heilig, dass man sich nicht mehr traut, ihn zu verändern; doch davor vergehen ein paar Jahrunderte, wo man sich nicht scheut, ihn für seine Zwecke umzuarbeiten.

 

vor 8 Stunden schrieb Weihrauch:

Da sitzt ein Mensch und hat zwei Quellen vor sich auf dem Tisch und macht daraus das Nächste inhaltlich völlig Unterschiedliche. Zwei Evangelien landen in einer Gemeinde und ein drittes verlässt sie dann wieder. Da gibt es keinen Dialog, keine mit anderen Gemeinden in Konferenzen abgestimmte "Entwicklung". Das geschieht von Jetzt auf Gleich an einem Ort. Ein Pfeil in den jeweiligen Grafiken zu den Modellen der Zweiquellentheorie, der Zwei-Evangelien-Theorie, der Farrerhypothese usw, stellt dar, was in dem Kopf eines Menschen passierte, der mit seinem Stift Blätter beschrieb. So ein Pfeil symbolisiert den Denkprozess eines Menschen, der etwas bestimmtes anderes Vermitteln will, als das, was vor ihm als Quellen auf dem Tisch liegt, der ein Konzept im Kopf hat und es zu Papier bringt. Später gibt es dann kleinere Veränderungen, Einschübe, Konjunktionen, Abschreibfehler, andere Formulierungen einer Phrase an seinem Werk - aber daduch entsteht kein neues anderes Evangelium mehr, sondern eine Anzahl unterschiedlicher Handschriften eines Evangeliums. Stelle ich mir das falsch vor? Mache ich die Arbeit eines Autors zu stark?

 

So könnte es verlaufen sein, ja. Als man nah an die Zeit heranrückte, wo der Text wie beschrieben zu heilig zum Verändern wurde, haben wohl nur keinere bewusste Veränderungen stattgefunden.

 

Einige größere Änderungen sind der Forschung schon längst bekannt: das Ende von Markus, wo es mind. 3 Versionen gibt, und Lukas 1-2. Noch später die Geschichte mit der Ehebrecherin in Johannes. 

 

Interessant ist übrigens diese Aussage (Quelle) von P. Gemeinhardt:

 

Zitat

Der Codex Sinaiticus gehört zusammen mit den Codices Vaticanus, Alexandrinus und Ephraemi Rescriptus[1] zu einer kleinen Gruppe spätantiker Bibeln, die Altes und Neues Testament enthalten. Sie „spiegeln die seit der Zeit Konstantins [für Christen] … verfügbaren finanziellen Ressourcen und zugleich einen Bedarf an repräsentativen Textausgaben.“

 

Finanzielle Ressourcen werden auch den Zugang zum kaiserlichen Buchwesen mit eingeschlossen haben. Dadurch konnten sie alle Vorlagen sammeln, die sie brauchten, und daraufhin dicke Handschriften wie eben den Sinaiticus herstellen. Die nun vom Kaisertum unterstützte Orthodoxie hat fortan die verbindlichen Textvorlagen für die Bibel gestellt, und alle anderen Texttraditionen sind mangels neeuer Kopien verlorengegangen. Nur einige Fragmente davon sind auf uns gekommen, meist auf Papyru, die man aus den Müllhalden Ägypens herausgegraben hat.

bearbeitet von Domingo
Geschrieben (bearbeitet)
vor 3 Stunden schrieb Domingo:

Tertulian behauptet, er hätte ein bereits bestehendes Ev gekürzt. Unter "Verfassen" verstehe ich was anderes - wir brauchen uns aber nicht auf Semantik einzulassen, denn Deine Frage war ja, wie denn Markion, der 85 geboren wurde, GMcn/Luk1 verfasst haben könnte, das Bilby um 70 datiert. Die Antwort ist: hat er nicht, er hat es höchstens editiert.

 

Die Verwirrung kommt daher, dass ich mir Marcions Evangelium nicht isoliert vorstelle, sondern im Kontext seines neuartigen Werkes in Buchform, das er "Neues Testament" nannte. Dieses Buch von Marcion war, wie der Name schon sagt etwas völlig neues - von seiner Form und Aufmachung her ein Kodex, der eine Sammlung von Schriften enthielt, Marcions Antithesen, 10 Paulusbriefe und ein Evangelium, aber was viel schlimmer war, es war in Anlehnung an Septuaginta und AT als DIE Heilige Schrift der Christen im Gegensatz zur Heiligen Schrift der Juden konzipiert. Darin sollte sein Evangelium DAS Evangelium der Christen sein. Dieses Gesamt-Werk habe ich immer mit im Hinterkopf wenn ich über Marcions Evangelium spreche - eben so, wie seine damaligen Gegner auch. Marcions Evangelium war damals in der Antike nie, wie bei Bilby ein aus dem Zusammenhang gerissener Datensatz, sondern Teil des "Gesamtkunstwerkes" das Marcion publiziert hat. Verfassen, editieren, herausgeben liegen hier so nah bei einander, dass man das kaum trennen kann. 

 

Wegen diesem Gesamtwerk wird Marcion von so vielen persönlich angegriffen, nicht allein wegen seinem Evangelium. Darum schreibt Tertullian nicht gegen Marcions Evangelium an, sondern gegen die Person Marcion "Adversus Marcionem". Schon in der Einleitung seiner fünf Bücher gegen Marcion spürt man seinen Hass mit dem er über den Toten herfällt. 

 

Zitat

Allein nichts ist so befremdlich für uns und so traurig für Pontus, als dass dort Marcion geboren wurde, der abschreckender ist als ein Scythe, unstäter als ein Hamaxobier, unmenschlicher als ein Massagete, verwegener als eine Amazone, dunkler als der Nebel, kälter als der Winter, spröder als das Eis, trügerischer als die Donau, gefahrvoller als der Kaukasus. Oder etwa nicht? Bei ihm wird ja der allmächtige Gott wie ein wahrer Prometheus zerfleischt. Marcion ist sogar reissender als die wilden Tiere jenes Barbarenlandes. Denn wäre wohl ein Biber in dem Grade darauf versessen, das Fleisch zu kastriren, als er, der das Heiraten abgeschafft hat? Die pontischen Ratten sind nicht so gefrässig, wie er, der die Evangelien angenagt hat! Fürwahr, o Pontus, das Tier, das du hervorgebracht hast, ist für den Philosophen noch erträglicher als für den Christen.

 

Ideologen erkennt man auch daran, dass sie ihre Gegner entmenschlichen. Den Menschen Marcion kann man aber auch nicht so leicht aus der Gleichung nehmen, indem man ihn einfach in Proto-Lukas umbenennt. Marcion in Datensätze zu zerlegen, ist auch eine Form der Entmenschlichung. Marcion tickte wie ein Mensch und nicht, wie die Algorithmen die man neuerdings über ihn laufen lässt. Das will ich im Hinterkopf behalten.

 

Damit sage ich nicht, dass jeder Autor, der unter seinem Namen eine Edition vom Marcion-Evangelium herausgibt wie Bilby, Klinhardt, BeDuhn, Roth, Gramaglia, Nicolotti oder jeder der die Marcion-Priorität vertritt ein Ideologe ist. Ich bin keiner und auch kein christlicher Apologet der hier das Christentum oder seinen Glauben verteidigt.

 

Bei Tertullian wurde Marcion immerhin noch in Pontus als ein Tier geboren, bei Bilby muss man sich fragen, ob er überhaupt schon geboren war, oder überhaupt geboren werden musste, um ein Proto-Lukas-Evangelium zu finden, das angeblich schon vor ihm da war, weil er angeblich nichts daran geändert oder gekürzt hat. Das ist doch einigermaßen seltsam, dass man Marcion nur als Prügelknaben braucht, damit die Prügel die Daten liefern, aus denen man dann ersehen kann, dass er nicht geschrieben haben kann, wofür er verprügelt wurde.

 

Der Grund warum Marcion verprügelt wurde, war, dass er einen von Zwei Göttern ablehnt, und zwar den gerechten Gott des AT und nur den gütigen Gott seines NT zur Glaubensgrundlage der Christenheit machen möchte. Die schlimmste Kürzung die man ihm vorwirft, ist, dass das AT nicht mehr zu den Heiligen Schriften der Christen gehören soll. Marcion will das AT nicht in der Bibel der Christen haben. Hören wir nochmal Tertullian dazu:
 

Zitat

 

II. Buch 29 Kapitel

 

Ich hätte übrigens auch die Antithesen Marcions eingehender angegriffen, wenn eine einlässlichere Widerlegung derselben nötig wäre, um die Wahrheit zu behaupten, der Schöpfergott sei beides, gütig und gerecht, entsprechend den für beides angeführten Belegen, die alle Gottes würdig sind. Wenn beide Eigenschaften, Güte und Gerechtigkeit, zur würdigen Vervollständigung der Gottheit dienen, die alles können muss, so kann ich mich einstweilen damit begnügen, die Antithesen kompendiarisch zurückgewiesen zu haben, obwohl sie sich schmeicheln, auf Grund der Beschaffenheit der Ideen, Gesetze und Kräfte Gottes einen Unterschied aufgestellt und so Christus vom Schöpfergott gesondert zu haben, den gütigen vom gerechten, den milden vom grausamen, den Heilbringenden vom Verderber.

 

Am 21.10.2025 um 17:51 schrieb Domingo:

(vom Wort "Kanon" halte ich mich bewusst fern,

 

Das wäre ein Fehler bei dieser ganzen Diskussion um Lk1/GMcn, denn er ist Teil von Marcions Kanon für die Christenheit. Kanon ist eben mehr als eine Schriftensammlung, Kanon ist Glaubensgrundlage. Für diesen theologischen 180°-Turn weg vom gerechten Gott Jahwe des AT hin zum unbekannten, gütigen Gottvater von Jesus des NT war es viel zu spät, als Marcion mit seinen Buch auf Promotiontour ging. 

 

vor 3 Stunden schrieb Domingo:
vor 11 Stunden schrieb Weihrauch:

Der Eindruck, dass der Proto-Lukas gekürzt ist, kann erst entstehen, wenn es längere Lukasevangelien gibt, Lk2 (117-138 CE) oder LkR2. Dann muss Marcion noch mit dem Proto-Lukas als Verfasser in Verbindung gebracht werden. Das geht erst, wenn Marcion damit durch die Lande zieht, und bei denen auftritt, die bereits ein längeres Lukasevangelium besitzen, aber noch nie den Proto-Lukas in den Fingern hatten, sonst sagen sie: "Kennen wir schon, haben wir schon. Was willst du damit, ist Schnee von gestern."

 

Meinst Du das "durch die Lande ziehen" wörtlich? Wenn ja, wie kommst Du darauf?

 
Ja. Historisches Hintergrundwissen

 

Zitat

Marcion begab sich um 135/140 auf den Weg nach Rom, wo Hyginus in der Zeit von 136 bis 140 Bischof war. Laut Clemens von Alexandria[7][8][9] sei Markion erst „als älterer Mann“ um die sechzig Jahre überzeugter Christ geworden. Es gibt also keine einheitliche oder dominierende Meinung dazu, ob Marcion bereits Christ war, als er nach Rom kam.[10] Marcion brachte als erfolgreicher Kaufmann ein ungeheures Vermögen in seine Gemeinde ein, tradiert werden Summen von 100.000 oder 200.000 Sesterzen. Dort entwickelte er auch seine eigene Theologie. Ob Marcion Ansichten wie jene vom „schlechten Weltenschöpfer“ und fremden, guten Gott vom Gnostiker Addru Cerdo (Κέρδων Kerdōn) übernommen hat, wie es beispielsweise der Marcion-Gegner Irenäus von Lyon nahelegte, ist anscheinend ungewiss bzw. nicht wahrscheinlich.[11][12]

 

Wie man der Liste der Päpste entnehmen kann, war der hier erwähnte Bischof von Rom Hyginus der Vorgänger des Bischof Pius aus dem Muratorischen Fragment, das hier in dem Video, das du verlinkt hast von C. J. Cornthwaite erwähnt wird, und aus dem ich bereits zitiert hatte, weil auch Marcion darin als Ketzer vorkommt.  

 

Boah, ich werde alt. Brauch ne Pause. 

 

 

bearbeitet von Weihrauch
Geschrieben (bearbeitet)
vor 5 Stunden schrieb Domingo:
vor 13 Stunden schrieb Weihrauch:

Dass Lk1/GMcn schon früh bekannt war aber in Vergessenheit geraten sein könnte, ist auch unwahrscheinlich

 

Lk2 entstand nach diesem Modell aus Lk1, indem man einiges hinzufügte und einige Formulierungen änderte. Dann wurde die Vorlage wohl weggeworfen; einige Kirchen akzeptierten dann Lk2 und warfen Lk1 ebenfalls auf die Müllhalde, und falls diese Kirche in Ägypten war, finden wir diese weggeworfene Kopie vielleicht mal wieder. Die Oxyrinchus-Papyri stammen ja auch aus dem Abfall jeder Stadt.

 

Ein paar Jahre später hatten diese Kirchen Lk1 vergessen, falls sie s tatsächlich vergessen hatten (s. o.).

 

Es ist zu abstrakt, zu "unmenschlich" hier von Kirchen zu reden, die etwas vergessen haben. Du verstehst mich nicht, was mein Problem mit den Zeitabläufen ist. Der springende Punkt ist nicht, ob Marcion schon geboren war, oder noch im Sandkasten spielte, als Lk1/GMcn verfasst wurde, es geht mir auch nicht um Esel vs. Schiffahrt. Der Zeitraum der Entstehung der Evangelien ist zu kurz. Zu kurz um aus Schriften im Umlauf "Heilige Schriften" zu machen, und zu kurz um von Kirchen in Vergessenheit zu geraten. Die Kaskade der Evolution der Evangelien von Bilby beginnt im Jahr 65 und endet spätestens im Jahr 150 das sind 85 Jahre und das entspricht ungefähr einem Menschenleben. Zwischen Lk1/GMcn (80s CE) und Lk2 + Acts (117-138 CE) liegen max. 58 Jahre.

 

Religionsgemeinschaften oder Kirchen können in Jahrhunderten etwas "vergessen", ein Mensch vergisst aber nicht in 58 Jahren, was ihm mal so wichtig war, und was ein Zeitgenosse ein paar Ecken weiter schreibt ist nicht heilig. Schriften werden erst heilig, wenn die Autoren längst tot sind. Dann dichtet man sie Augenzeugen, den Jüngern Jesu an, wodurch sie zu ehrwürdigen Aposteln, Titelträgern werden, weil sie keiner mehr persönlich kannte, dadurch werden sie zu "Autoritäten". Solange sie noch leben, sind Autoren, der Nachbar von Nebenan, der mir viel erzählen, kann wenn der Tag lang ist. 

 

Zitat

Mk 6,3.5
Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm.

...

Und er konnte dort kein Wunder tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie.

 

Die Gegner Marcions, Hyginus, Pius, Irenäus und all die anderen waren noch Menschen wie du und ich hier im Forum das 20 Jahre oder so existiert. Da kann man sich einen guten Ruf erarbeiten, aber nicht mal rorro wird hier zum Heiligen. Es gab damals noch keine Apostolischen Väter, keine Päpste, keine Apologeten, keine Kirchenväter, das waren alles noch einfache Menschen mit hässlichen Zahnlücken, Mundgeruch aber ohne Patina.  

 

vor 5 Stunden schrieb Domingo:

Wie bei der jüdischen Bibel. Irgendwann wird der Text so heilig, dass man sich nicht mehr traut, ihn zu verändern; doch davor vergehen ein paar Jahrunderte, wo man sich nicht scheut, ihn für seine Zwecke umzuarbeiten.

 

Nein, gerade nicht wie bei der jüdischen Bibel, die entstand in Jahrhunderten, die vier Evangelien nach Bilbys Rechnung in 58 Jahren, während eines Menschenlebens. Das ist nicht genug Zeit um Patina anzusetzen, altehrwürdige Schriften oder vergessen zu werden. Es waren ja nicht nur die vier Evangelien im Umlauf sondern viele. Kanonisiert und damit heiliggesprochen wurden nur diese Vier Evangelien und erst im 4. Jahrhundert. Ab der Kanonisierung traut man sich nicht mehr den Text zu verändern. Auch dafür ist die Zeit der Entstehung zu kurz. Das ist mein Zeitproblem bei der Sache.

 

Marcions Versuch einen Kanon zu etablieren kam viel zu früh und viel zu spät zugleich. Zu früh, weil die Autoren der Evangelien noch einfache, lebendige Menschen mit Pickeln waren, zu spät weil die anderen vier Evangelien schon zu verbreitet waren und er sie nicht mehr los werden konnte, weil sie in der Liturgie schon gelesen und benutzt wurden. Diese vier Evangelien waren noch nicht heiliggesprochen, aber sie hatten sich schon einen zu guten Ruf erarbeitet. Siehe Gunkel und seine Formgeschichte. Sie hatten schon einen "Sitz im Leben".

 

Vielleicht sollten Theologieprofessoren weniger Youtube und mehr Kopfkino gucken.  

 

 

 

 

  

bearbeitet von Weihrauch
Geschrieben
vor 8 Stunden schrieb Weihrauch:

Die Verwirrung kommt daher, dass ich mir Marcions Evangelium nicht isoliert vorstelle, sondern im Kontext seines neuartigen Werkes in Buchform, das er "Neues Testament" nannte. Dieses Buch von Marcion war, wie der Name schon sagt etwas völlig neues - von seiner Form und Aufmachung her ein Kodex, der eine Sammlung von Schriften enthielt, Marcions Antithesen, 10 Paulusbriefe und ein Evangelium, aber was viel schlimmer war, es war in Anlehnung an Septuaginta und AT als DIE Heilige Schrift der Christen im Gegensatz zur Heiligen Schrift der Juden konzipiert. Darin sollte sein Evangelium DAS Evangelium der Christen sein. Dieses Gesamt-Werk habe ich immer mit im Hinterkopf wenn ich über Marcions Evangelium spreche - eben so, wie seine damaligen Gegner auch. Marcions Evangelium war damals in der Antike nie, wie bei Bilby ein aus dem Zusammenhang gerissener Datensatz, sondern Teil des "Gesamtkunstwerkes" das Marcion publiziert hat. Verfassen, editieren, herausgeben liegen hier so nah bei einander, dass man das kaum trennen kann. 

Sorry, aber als Kodex im Sinne eines gebundenen Buches, kann ich mir Marcions Kanon kaum vorstellen. Es gab die Technik zwar schon in einzelnen Beispielen, aber durchgesetzt hat sich diese Form erst im 4. Jahrhundert. Das Judentum benutzt für seine kanonischen Schriten übrigens bis heute die Rollenform.

 

Es ist natürlich denkbar, daß jemand die Abschriften der Texte zugeschnitten und zusammengeheftet hat, aber als "von Marcion publiziertes Gesamtkunstwerk" wohlmöglich noch redaktionell überarbeitet, nicht so wirklich.

 

DIE heilige Schrift hat es im Judentum zu jener Zeit ja auch noch nicht wirklich gegeben, die Kanonisierung war ja da auch immer noch im Prozess.

 

vor 9 Stunden schrieb Weihrauch:

 Den Menschen Marcion kann man aber auch nicht so leicht aus der Gleichung nehmen, indem man ihn einfach in Proto-Lukas umbenennt.

Du gehst davon aus, daß Marcion einen eigenen Text ohne Vorlage geschrieben hat und dieser Text dann von der  Protoorthodoxie gekapert und ergänzt wurde?

 

 

Geschrieben (bearbeitet)
vor 2 Stunden schrieb Flo77:

Sorry, aber als Kodex im Sinne eines gebundenen Buches, kann ich mir Marcions Kanon kaum vorstellen. Es gab die Technik zwar schon in einzelnen Beispielen, aber durchgesetzt hat sich diese Form erst im 4. Jahrhundert. Das Judentum benutzt für seine kanonischen Schriten übrigens bis heute die Rollenform.

 

Es ist natürlich denkbar, daß jemand die Abschriften der Texte zugeschnitten und zusammengeheftet hat, aber als "von Marcion publiziertes Gesamtkunstwerk" wohlmöglich noch redaktionell überarbeitet, nicht so wirklich.

 

 

Requisiteur und wissenschaftlicher Berater lagen mir am Drehort in den Ohren: "Das kannst du nicht machen. Die Filmkritiker finden jedes Haar in der Suppe." Es war eine dramaturgische Entscheidung des Regisseurs, die ich als Produzent mittrage. Einzelne Schriftrollen hätten mit den einzelnen Datensätzen Bilbys zu viel gemein gehabt.  

 

vor 2 Stunden schrieb Flo77:

Du gehst davon aus, daß Marcion einen eigenen Text ohne Vorlage geschrieben hat und dieser Text dann von der  Protoorthodoxie gekapert und ergänzt wurde?

 

Ich habe wie alle anderen auch keine Ahnung. Wir kennen Marcions Texte nicht, nur die Prügel die er dafür bekam. Ich gehe davon aus, dass er seine Antithesen verschriftlicht hat, analog zu Luthers 95 Thesen. Tertullian geht vor allem auf Marcions Antithesen ein. 

bearbeitet von Weihrauch
Geschrieben
vor 37 Minuten schrieb Weihrauch:

Ich habe wie alle anderen auch keine Ahnung. Wir kennen Marcions Texte nicht, nur die Prügel die er dafür bekam. Ich gehe davon aus, dass er seine Antithesen verschriftlicht hat, analog zu Luthers 95 Thesen. Tertullian geht vor allem auf Marcions Antithesen ein. 

Ich muss zugeben, mich interessieren die Antithesen nur insofern, so weit sie Spuren im Text von Lk1 und Lk2 hinterlassen haben. Wenn(!) Lk1 das Product von Marcion war, müsste sich das im Text niederschlagen. Ist das bei Bilby nicht berücksichtigt?

 

Die größte Lücke sind anscheinend Lukas 1-3. Bei 1 und 2 gibt es die - wenn auch selten vertretene - Hypothese sie seien nachträglich an den Text hinzugefügt. Mit Bilbys textkritischen Methoden müsste sich auch das eigentlich erhärten oder widerlegen lassen. Bei allen drei Kapiteln gäbe es handfeste Gründe, warum Marcion sie hätte streichen müssen. Sie hätten schlicht seiner Idee von der scheinbaren Inkarnation und der Unabhängigkeit des Christus von den Umständen widersprochen. Ob das aber nun heißt, daß Marcion sie gestrichen hat oder die Orthodoxie sie hinzugefügt hat - beides erscheint mir sehr umständlich, wenn eine der beiden Fassungen bereits sowohl in den christlichen als auch in den marcionistischen Gemeinden im Umlauf war.

 

Was wissen wir eigentlich seitwann es einen "unveränderlichen" Urtext der Bibel der Christenheit gibt? Für den Moment könnte ich mir nämllich auch vorstellen, daß Leute, die eine Kopie des Evangeliums hatten, auch Worte oder Geschichten, die mündlich oder in anderen Schriften im Umlauf waren einfach bei den eigenen Kopien dazu schrieben. Z.B. als Randnotiz. Ehrman hat beispielsweise im Bezug auf eine mysogynen Stellen in einem Paulusbrief darauf hingewiesen, daß es von diesem Brief zwei Versionen gibt in denen der Satz jeweils an anderer Stelle steht, was darauf hindeuten könnte, daß ein späterer Redaktor erst nur eine Randnotiz angefertigt hat und später zwei Kopisten den Randvermerk an unterschiedliche Stellen in den Fließtext gesetzt haben. Quasi wie Lukas und Matthäus es mit Markus und Q gemacht haben.

 

Wollte ich ein Evangelium schreiben, würde ich mir ja auch das Grundgerüst von Markus oder Lukas nehmen und aus den anderen Quellen den Stoff hinzufügen, den ich noch für wichtig halten würde. Die Idee eines Tabus auf die Texte erscheint mir weitaus später erst aufzukommen.

Geschrieben (bearbeitet)
vor 1 Stunde schrieb Flo77:

Ich muss zugeben, mich interessieren die Antithesen nur insofern ...

 

Ich finde Marcions Antithesen hoch aktuell, weil sie ganz unabhängig von Marcion bei vielen (angehenden) Christen irgendwann von ganz alleine aufploppen. Das war bei mir auch so, als ich das erste mal das AT las. Davor hatte ich von Gott nur den gütigen, lieben Vater Jesu aus dem NT im Kopf. Meine Mutter sprach immer vom lieben Gott. Dann kam irgendwann der Schock als mir der alttestamentliche grausame Gott über den Weg lief, und die Frage ob das wirklich derselbe Gott ist, an den ich glaube. Dieser Zweifel ist ständiges Thema in Foren wie diesen, und er wird von allen Atheisten fleißig geschürt, die zu christlichen Foren gehören, wie das Amen in der Kirche. Wie Luther suchen viele Christen den lieben Gott, und sträuben sich gegen den grausamen Gott des AT. 

 

Ich sympathisiere mit der Idee Marcions, und frage mich, wie sich das Christentum entwickelt hätte, wenn er erfolgreich gewesen wäre. Die Grausamkeit Gottes ist in einer Volksreligion ethisch etwas Gutes, weil der Kriegsgott meistens auf der Seite des eigenen Volkes, der eigenen Peergroup steht. Selbst wenn er Kriege gegen sein Volk heraufführt, dann aus erzieherischen Gründen. Die Assyrer und Babylonier instrumentalisiert dieser Kriegsgott, als Strafe für die Vergehen seines auserwählten Volkes gegen ihn. So wie wir Straftäter inhaftieren, damit sie Zeit haben, in der Besserungsanstalt über ihre Vergehen nachzudenken, stellt Jahwe sein Kind, wie Eltern es früher gehandhabt haben, in die Ecke, des Exils. Und es wirkt. Sie besinnen sich, und wollen sich in Zukunft bessern. Als dieser Groschen gefallen ist, lässt er sie wieder nach Hause zurückkehren. Das ist eine theologische Deutung der Geschichte. Jahwe ist im AT der Herr der Geschichte - nicht der Weltgeschichte - sondern der Geschichte seines Volkes. Vollkommen andere Theologie als das Christentum. 

 

Das Christentum mauserte sich zu einer Weltreligion, globalisierte seinen Glauben (... nicht Jude, nicht Grieche ... macht alle Völker zu Jüngern ... liebet eure Feinde). Dieser Gott ist im NT der Herr der Geschichte - nicht der Geschichte eines Volkes - sondern der Weltgeschichte. Da sind von Gott heraufbeschworene Kriege, und zu Gunsten oder zum Schaden unterschiedlicher Völker, ethisch nicht akzeptabel. Mit Gott für das Vaterland geht ethisch eigentlich nicht mehr, weil Gott der Vater aller Länder geworden ist. Vom AT funktionieren ethisch und spirituell im Christentum vielleicht 10 %, die anderen 90 % schaden den äußerst selektiven 10 % christlicher Ethik und Spiritualität.

 

Marcions vertrat die Ansicht, besser ein Ende des Schreckens, als ein Schrecken ohne Ende, und das passte insofern in seine Zeit, da zu dieser Zeit der Prozess, in dem sich das Christentum vom Judentum endgültig trennte, auf seinem Höhepunkt war und irreversibel geworden war. 

 

vor 1 Stunde schrieb Flo77:

... so weit sie Spuren im Text von Lk1 und Lk2 hinterlassen haben. Wenn(!) Lk1 das Product von Marcion war, müsste sich das im Text niederschlagen. Ist das bei Bilby nicht berücksichtigt?

 

Weiß ich nicht. Ich habe keines der rekonstruierten Lk1/GMcn gelesen, eigentlich nur Tertullians Adversus Marcionem und das ist so lange her, dass ich keine Zitate von Marcions Evangelium im Kopf habe. Ich habe jetzt nochmal ein wenig quer gelesen, als ich die Zitate für das Forum rausgesucht habe. Da müsste man in inhaltliche Details gehen. Wir brauchen Fleisch am Knochen, Konkretes nicht bloß Abstraktionen. Belege, Zitate, irgendwas.

 

Ich zitiere Tertullian und belege damit, dass er dachte, dass Marcion gekürzt hat. Ich behaupte es nicht nur. Wenn du oder ein anderer Zugriff auf Lk1/GMcn hat zitiert daraus, dann kann man mit dem Lukasevangelium vergleichen und feststellen, ob er nur was weggelassen hat, oder durch eigene Eingriffe auch den Sinn verändert hat. Ich habe nicht das Geld um mir diese teuren Bücher zu kaufen, und hasse es in Bibliotheken zu lesen, da kann ich mich nicht konzentrieren, habe nicht die Muße, die ich brauche. Domingo lässt sich den Klinghardt kommen, sagte er, vielleicht können wir dann in Details dieses Lk1/GMcn gehen, bei den anderen Editionen wird Lk1/GMcn anders aussehen, DEN Lk1/GMcn gibt es nicht, sowenig wie DAS Lukasevangelium - auch Alands Lk ist eine Rekonstruktion, aber wenigstens eine die auf Evidenzen, vorhandenen Handschriften beruht. 

 

vor 1 Stunde schrieb Flo77:

Die größte Lücke sind anscheinend Lukas 1-3. Bei 1 und 2 gibt es die - wenn auch selten vertretene - Hypothese sie seien nachträglich an den Text hinzugefügt. Mit Bilbys textkritischen Methoden müsste sich auch das eigentlich erhärten oder widerlegen lassen. Bei allen drei Kapiteln gäbe es handfeste Gründe, warum Marcion sie hätte streichen müssen. Sie hätten schlicht seiner Idee von der scheinbaren Inkarnation und der Unabhängigkeit des Christus von den Umständen widersprochen. Ob das aber nun heißt, daß Marcion sie gestrichen hat oder die Orthodoxie sie hinzugefügt hat - beides erscheint mir sehr umständlich, wenn eine der beiden Fassungen bereits sowohl in den christlichen als auch in den marcionistischen Gemeinden im Umlauf war.

 

Falls Marcion die ersten drei Kapitel weggekürzt hat, dann wegen seiner Antithesen. Der Vater Jesu darf nicht Jahwe sein, der Gott aus dem AT. Ich habe ja extra die Stelle aus Tertullian zitiert, wo er sich genau darüber beschwert, dass Marcion Jesus vom Schöpfergott des AT trennt. Das lukanische Geburtsregister läuft auf Jahwe raus, endet mit der Zeile "Enosch, Set, Adam; der stammte von Gott". Marcion will das AT nicht in der Heiligen Schrift haben. Ich weiß aber nicht ob in Lk1/GMcn die ersten 3 Kapitel fehlen oder nicht. Weißt du es? 
 

 

bearbeitet von Weihrauch
Geschrieben
vor einer Stunde schrieb Flo77:

Was wissen wir eigentlich seitwann es einen "unveränderlichen" Urtext der Bibel der Christenheit gibt?

 

Es gibt keinen Urtext. Das ist eine Phatamorgana. Den gab es nie für uns. Jede neue Bibelausgabe veränderte den Text. 

 

vor einer Stunde schrieb Flo77:

Für den Moment könnte ich mir nämllich auch vorstellen, daß Leute, die eine Kopie des Evangeliums hatten, auch Worte oder Geschichten, die mündlich oder in anderen Schriften im Umlauf waren einfach bei den eigenen Kopien dazu schrieben. Z.B. als Randnotiz. Ehrman hat beispielsweise im Bezug auf eine mysogynen Stellen in einem Paulusbrief darauf hingewiesen, daß es von diesem Brief zwei Versionen gibt in denen der Satz jeweils an anderer Stelle steht, was darauf hindeuten könnte, daß ein späterer Redaktor erst nur eine Randnotiz angefertigt hat und später zwei Kopisten den Randvermerk an unterschiedliche Stellen in den Fließtext gesetzt haben. Quasi wie Lukas und Matthäus es mit Markus und Q gemacht haben.

 

Genau so ist es - aaaber - das betrifft immer nur ein Evangelium. Ein neues anderes entstand nicht auf diese Weise, kleiner Veränderungen, dafür ist die Zeit für viele Generationenfolgen viel zu kurz. Aus Mk1 ist nicht in unmerklich kleinen Schritten Lk1 geworden. Es ist ein wenig so eine Schnappsidee, wie die Frage nach den fehlenden Zwischenstufen, wenn Kreationisten die Evolutionstheorie angreifen.   

Geschrieben
vor 12 Minuten schrieb Weihrauch:

Ich weiß aber nicht ob in Lk1/GMcn die ersten 3 Kapitel fehlen oder nicht. Weißt du es?

Das ist so. Bis auf die Datierung ins 15. Jahr des Tiberius sollen alle drei Kapitel nach verschiedenen Gewährsleuten fehlen.

 

Was aber noch andere Fragen aufwirft. Daß Matthäus Jesus als den Neuen Moses etablieren will ist soweit bekannt, ebenso, daß Lk2 in Jesus den neuen Adam sieht. Eine sehr seltsame Redaktionsentscheidung war allerdings mMn die Genealogie zwischen die Taufe und die Versuchung zu setzen. Zumindest in der heutigen Fassung mit Geburtsgeschichte. Für sich alleinstehend mit dem Adoptionsgeschehen in der Taufe und der Versuchung könnte man es als Unterstreichung für die Abstammung von Gott lesen, die zwischen Gen 2 und 3 nicht notwendig weil offensichtlich war. Nur, was für den Lukanisten "der war von Gott" bedeutet haben soll, finde ich nicht sooo eindeutig. Adam doch nicht "(gefallener) Sohn Gottes" in einem Sinne, wie es die Trinität beschreibt. 

Geschrieben
vor 6 Minuten schrieb Flo77:

Bis auf die Datierung ins 15. Jahr des Tiberius sollen alle drei Kapitel nach verschiedenen Gewährsleuten fehlen.

 

Von welchem Tiberius sprichst du? Nero ergibt keinen Sinn. Zu seiner Zeit gab es kein Evangelium. Ich brauch ne Jahreszahl. xxx n. Chr.

Geschrieben

Ich hab dich missverstanden. Ich hatte dich vorher so verstanden, dass es Handschriften vom LkEv gäbe, in denen die ersten 3 Kapitel fehlen würden. 

Geschrieben
vor 6 Minuten schrieb Weihrauch:

 

Von welchem Tiberius sprichst du? Nero ergibt keinen Sinn. Zu seiner Zeit gab es kein Evangelium. Ich brauch ne Jahreszahl. xxx n. Chr.

Keär nimm ne Bibel und schau in LK 3,1a:

 

1 Es war im 15. Regierungsjahr des Kaisers Tiberius

(Anmerkung lt. NeÜ: Römischer Kaiser. Er war seit Oktober 12 n.Chr. Mitregent und regierte von 14 bis 37 n.Chr. allein. Sein 15. Regierungsjahr war also 27 n.Chr.)

Geschrieben
Gerade eben schrieb Weihrauch:

Ich hab dich missverstanden. Ich hatte dich vorher so verstanden, dass es Handschriften vom LkEv gäbe, in denen die ersten 3 Kapitel fehlen würden. 

Tabor et al. ordnen den Vers Lk2 3,1a übrigens Q zu.

Geschrieben

Alles klar. In lk1/GMcn fehlen die ersten 3 Kapitel, bis auf die Erwähnung Neros. Verstanden. Da sind doch die Antithesen eine starke Begründung dafür. Erst mal für mich ein stärkeres Argument, als Bilbys textkritische Methoden, die ich weder kenne noch nachvollziehen kann. Aber ich bin lernwillig.

 

vor 7 Minuten schrieb Flo77:

Tabor et al. ordnen den Vers Lk2 3,1a übrigens Q zu.

 

Mei, zitier halt den Inhalt. Woher soll ich wissen was in Lk2 3.1a steht, wenn ich keinen Zugriff darauf habe. Oder verlinke es, wenn ich es online nachvollziehen kann. 

Geschrieben

Um das Ganze wirklich zu durchblicken und etwas wissenschaftlich Fundiertes dazu sagen zu können, müsste ich sehr viel Zeit darin investieren. Bilby selbst arbeitet - arbeitete, als das History Valley-Video gemacht wurde - schon jahrelang daran. Zudem warte ich noch auf den Klinghardt, dann werde ich besser enschätzen, was die ganzen Quellen zu Markions NT sind und wie sie zu dem Zweck verwertet werden, einen halbwegs zuverlässigen Text zu rekonstruieren.

 

Nur eins auf die Schnelle an @Weihrauch: Ich behaupte eben nicht, dass Lukas, Markus od. die Briefe des Paulus in 2. Jh. schon "Heilige Schriften" waren. Sie waren frühchristlice Literatur, gallten aber keineswegs als "Inspiriert" od. "das Wort Gottes."

 

Und um eine Analogie zu benutzen: Wenn ich vor 20 Jahren eine neue Ausgabe eines meiner Bücher bekommen und die alte auf dem Flohmarkt weggegeben habe, weiß ich heute nicht mehr unbedingt, was in der alten stand oder fehlte im Vergleich zu der neuen. Ich sehe meine Bücher aber auch nciht als heilig an; andererseits würde ich, wenn ich das täte, sie nciht auf dem Flohmarkt wiedergeben und wäre ziemlich wenig bereit, sie durch Neufassungen zu ersetzen. Aber wir müssen wohld avon ausgehen, damals wurden die Texte des NT noch nicht als heilig betrachtet.

Geschrieben
vor 16 Minuten schrieb Domingo:

Zudem warte ich noch auf den Klinghardt,

Die englische Kurzfassung oder die Gesamtausgabe?

Geschrieben
vor 10 Minuten schrieb Domingo:

Nur eins auf die Schnelle an @Weihrauch: Ich behaupte eben nicht, dass Lukas, Markus od. die Briefe des Paulus in 2. Jh. schon "Heilige Schriften" waren. Sie waren frühchristlice Literatur, gallten aber keineswegs als "Inspiriert" od. "das Wort Gottes."

 

 

Habe ich das behauptet? Falls ja, habe ich mich schlecht ausgedrückt. Der springende Punkt ist nicht was wir denken, sondern was Marcion wollte. Marcion wollte sich vom Judentum abgrenzen, einen scharfen Cut machen. Der Heiligen Schrift des Judentums wollte er eine Heilige Schrift des Christentums entgegen stellen - eben seinen KANON mit 10 Paulinen und EINEM Evangelium zur Glaubensgrundlage der Christen machen. Das war sein Plan. Dieser Plan ging nicht auf, weil ...

 

vor 18 Minuten schrieb Domingo:

Und um eine Analogie zu benutzen: Wenn ich vor 20 Jahren eine neue Ausgabe eines meiner Bücher bekommen und die alte auf dem Flohmarkt weggegeben habe, weiß ich heute nicht mehr unbedingt, was in der alten stand oder fehlte im Vergleich zu der neuen. Ich sehe meine Bücher aber auch nciht als heilig an; andererseits würde ich, wenn ich das täte, sie nciht auf dem Flohmarkt wiedergeben und wäre ziemlich wenig bereit, sie durch Neufassungen zu ersetzen. Aber wir müssen wohld avon ausgehen, damals wurden die Texte des NT noch nicht als heilig betrachtet.

 

... es noch gar kein NT gab. Ein NT war ja die neuartige Erfindung des Marcion, die vor ihm noch keiner hatte, und auf die Idee einen Kanon von Schriften zur christlichen Glaubensgrundlage zu machen, hatte vor Marcion auch noch niemand. Aber so läuft das nicht. Niemand kann einfach so sagen: Diese 11 Schriften von 137 sind ab morgen heilig, weil ich das sage. Basta. Dazu fehlt im erstmal die Autorität. Seine Autorität ist Bischof Hyginus und der lässt sich seine Autorität nicht so mir nichts, dir nichts von einem dahergelaufenen Laien in seiner Gemeinde ankratzen. Der reagiert wie rorro auf mich, mit den üblichen Argumenten, Privatoffenbarung, Autorität des Bischofs, Tradition. Hyginus versteht unter Tradition allerdings das uralte AT und die extrem zu kurze Schrift-Tradition der Christen, die noch alle möglichen Schriften in den unterschiedlichen Gemeinden nutzen. Von denen haben sich manche schon dadurch einen Ruf erarbeitet, weil deren Inhalte überzeugender sind als andere, und daher öfter genutzt werden als andere.

 

Bitte lies dir mal hier den Kanon Muratori ganz durch. Es sind nur 3 kleine Blätter. Daran sieht man schön, wie die apostolische Mythenbildung der christlichen Schriften vonstattengeht. Aber auch, dass ganz neuen Schriften, die grade erst entstanden sind, wie dem Hirten des Hermas, die apostolische Patina fehlt, aber trotzdem öffentlich gelesen werden. Andere Schriften im Umlauf aber abgelehnt werden (nochmals Marcion).

 

Zitat

Den Hirten aber hat neulich und in unserer Zeit in der Stadt Rom Hermas verfasst, während auf der Kathedra der Kirche der Stadt Rom der Bischof Pius, sein Bruder saß und daher soll er gelesen werden, allerdings kann er öffentlich jedoch in der Kirche dem Volk weder unter den Propheten (deren Zahl abgeschlossen ist) noch unter den Aposteln bekannt gemacht werden bis zum Ende der Zeiten. (Bücher) des Arsinous oder des Valentinus oder des Miltiades nehmen wir überhaupt nicht auf. Sie haben auch ein neues Buch der Psalmen für Marcion verfasst, zusammen mit Basilides, aus der Provinz Asia, der Kataphryger Begründer.

 

Geschrieben

@Flo77

 

vor 1 Stunde schrieb Weihrauch:

Mei, zitier halt den Inhalt. Woher soll ich wissen was in Lk2 3.1a steht, wenn ich keinen Zugriff darauf habe. Oder verlinke es, wenn ich es online nachvollziehen kann. 

 

Was ich damit sagen will: In meine Bibel hat es Lk2 vermutlich nicht geschafft, womöglich steht da nicht mal Lk3 oder Lk4 drin. Darum bitte ich um Zitate aus denen ich den genauen Wortlaut entnehmen kann, weil ich wissen will, ob er abweicht oder identisch ist. Ein kleines Wörtchen kann theologisch einen riesen Unterschied machen. Dies ist mein geliebter Sohn ist was völlig anderes als Dies ist mein auserwählter Sohn. 

 

Mist. Ich stelle grade mit Erstaunen fest, dass in meiner Ausgabe vom BKV die ich vor langer Zeit gelesen hatte, vom IV. Buch nur ein Extrakt ohne ein einziges Zitat aus dem Marcion-Evangelium enthalten ist, und das V. Buch vollständig fehlt. 90 € bei Amazon. Kann ich mir nicht leisten. Antiquarisch finde ich auch nichts. Seiße. Meine Armut kotzt mich grad an. 

 

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