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Armut und Obdachlosigkeit in einem reichen Land


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Thema:

Armut und Obdachlosigkeit in einem reichen Land

 

Beispiel einer sozialen Katastrophe:

 

Jakob und Sina, beide 28, finden einfach keine Wohnung in München. Im Sommer müssen die beiden mit ihren zwei Kindern in eine Notunterkunft der Stadt ziehen. Wie sie es dort wieder heraus geschafft haben – und was sie sich nun wünschen.

Mit den Kinder Joshua und Anna, sieben und zwei Jahre alt – auch sie heißen in Wahrheit anders. Und mit Pension meint Jakob eine Unterkunft, die die Stadt München für Menschen vorhält, die wohnungslos geworden sind.

„Auf nichts anderes mehr konnte ich mich konzentrieren“, sagt Jakob, die verzweifelte Suche nach einer neuen Wohnung habe alles andere überschattet. In seinem Job als Fahrer hat er irgendwann gemerkt: Es geht nicht mehr. Als zu gefährlich schätzte er es ein, in seinem Zustand weiter am Straßenverkehr teilzunehmen. Sein Chef hatte Verständnis. Jakob ging zum Arzt, der schrieb ihn krank.

Ein paar Mal hat Jakob versucht, wieder zu arbeiten, wie er weiter erzählt. Sein Körper saß zwar hinter dem Steuer, doch sein Kopf ging schon wieder alle Optionen durch, die ihm einfielen, wie er seine Familie vor der drohenden Wohnungslosigkeit bewahren kann. Jetzt schüttelt Jakob den Kopf. Unverantwortlich wäre es gewesen, wenn er einfach weitergefahren wäre – seinem Chef gegenüber, den anderen Verkehrsteilnehmenden, und sich selbst und seiner Familie gegenüber. Was, wenn er in diesem Zustand einen Unfall gebaut hätte? Bis heute befindet er sich im Krankenstand. Seine Frau kann nicht arbeiten, sie betreut die zweijährige Tochter – das Mädchen hat erst von nächstem Herbst an einen Kita-Platz.

Jakob erzählt von Schlafstörungen, die ihn nachts wach hielten. „Die Stille war zu laut“, sagt er. Er spricht von Depressionen. „Ich habe mich so unglaublich hilflos gefühlt – dabei wollte ich doch nur eine Wohnung für meine Familie.“

Wie konnte es so weit kommen?

2016 haben Jakob und Sina geheiratet, 2018 kam dann der Sohn auf die Welt, da pflegten die beiden schon seit zwei Jahren Sinas Großeltern. Fast sechs Jahre haben sie das getan. Zu dritt zogen sie schließlich in die Wohnung von Sinas Eltern ein. Eigentlich sollte das nur der Überbrückung dienen, bis sie etwas Eigenes gefunden hatten. Doch das war noch schwieriger als ohnehin gedacht.

Als dann die Eltern wegzogen, dachten Jakob und Sina, in der Wohnung bleiben zu können – Platz wäre ja nun genug gewesen. Doch es stellte sich heraus, dass die Eltern eine immense Summe an Mietschulden aufgebaut hatten, der Vermieter schien niemanden aus der Familie mehr in seiner Wohnung haben zu wollen und ließ sie räumen. „Dann war Endstation“, sagt Jakob. Der Umzug in die Pension war unvermeidbar geworden.

Zu viert lebte die junge Familie in einem Zimmer. Jakob zeigt ein Foto auf seinem Handy: ein Raum mit einfachen Betten und Matratzen, mehr nicht. Immer wieder betont der Vater, wie froh er darüber sei, dass es überhaupt solche Unterkünfte gebe und sie dort bleiben konnten. In anderen Ländern sei das nicht so. „Aber das ist einfach kein Umfeld für Kinder.“

Mittlerweile lebt Jakob mit seiner Frau und den Kindern in einem Clearinghaus. Dort haben sie zwei Zimmer, ein eigenes Bad und eine Küche. Allerdings kommt einem auch hier der Gedanke: Kinder sollten so nicht wohnen müssen. In dem Raum, in dem Sina mit der Tochter auf dem Schoß und Jakob gerade an einem kleinen Tisch sitzen und von ihrem Leben erzählen, befindet sich auch kaum mehr als das. In der einen Ecke noch ein Wäscheständer mit Kinderklamotten, an der Wand ein paar kleine Kartons mit Habseligkeiten.

Bald hat die Familie die Odyssee der Wohnungssuche endlich überstanden, doch für ihre neue Wohnung fehlen ihnen Möbel

Doch in all dieser Leere zieht Jakob nun die Mundwinkel zu einem Lächeln auseinander. Ein paar Tage zuvor erst, da hätten sie einen Mietvertrag unterschrieben. 3,5 Zimmer, sogar viel näher an der Schule des Sohnes. Jakob selbst war es, der die Wohnung aufgetan hat – weil er immer und überall gefragt hat, ob jemand jemanden kennt, der eine Wohnung zu vermieten hat. Selbst wenn er nur kurz in der Tankstelle oder beim Bäcker war. Über eine Bekanntschaft eines Bekannten hat es schließlich geklappt. „Ich blühe total auf beim Gedanken an unsere Wohnung“, sagt Jakob. Seit drei Jahren hätten sie wegen der prekären Wohnungssituation kein richtiges Weihnachten feiern können. Dieses Jahr soll es anders sein, Mitte Dezember ziehen sie um.

Nur die Möbel, um aus der neuen Wohnung ein richtiges Zuhause zu machen, die fehlen noch. „Wir möchten unserem Sohn gerne ein richtig schönes Kinderzimmer einrichten, damit er endlich wieder seine Freunde zu sich einladen kann“, sagt Jakob. „Für all die Strapazen, die er schon mitmachen musste.“ Außerdem würden er und seine Schwester Ausflüge lieben, in die Erdinger Therme zum Beispiel. Dafür war schon lange kein Geld mehr übrig.

 

https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sz-gute-werke-familie-wohnungssuche-obdachlos-li.3337310

 

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