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Gottes Geschenk....


SandraHD

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Glücklich mit Frühchen?

 

Erste Sonnenstrahlen kommen durchs Fenster. Und ich bin endlich glücklich. Meine kleine Tochter, Anna-Maria, liegt so süß in ihrem Bettchen und macht einen ausgiebigen Mittagsschlaf. Den Daumen im Mund atmet sie ganz gleichmäßig ein und aus. Was sie wohl träumt?

Ein kleiner Rückblick: Meine kleine Maus kam am 31. Januar 2004 in der Universitätsfrauenklinik Heidelberg mit nur 490 Gramm und 29 cm Länge auf die Welt. Das war in der 26. Schwangerschaftswoche. Ich hatte eine Schwangerschaftsvergiftung mit viel zu hohem Blutdruck und zum Schluss das sehr schmerzhafte HELLP-Syndrom.

Naja, so war es dann da, das Baby. Und dieses Baby sah wirklich nicht aus wie ein Baby, nein eher wie ein Vogel, der viel zu früh aus der Nest gefallen war oder ein ganz alter Mensch nur ganz klein. Es fühlte sich auch nicht an wie ein Baby, hatte keine weiche Haut, sondern war klebrig wie ein Frosch. Das wiederrum lag an der hohen Luftfeuchtigkeit im Inkubator, wie man mir erklärte. Aber schon beim 2. Besuch bei meiner kleinen Maus fielen mir ihre süßen Füße auf. Ich nannte sie Pumukel-Füße, denn sie waren so patsch-patsch klein. Und ich verliebte mich in dieses kleine Wesen, auch wenn ich noch nicht glauben konnte, dass daraus je ein „richtiges“ Baby werden könnte.

Die Zeit verging mit vielen ups und downs. Mal ein paar Gramm mehr und dann wieder ein paar Gramm weniger, aber unterm Strich es ging bergauf mit dem Gewicht. Auch die Vollbeatmung dauerte nur 9 Tage und wir konnten zum Rachen-CPAP wechseln. Leider begann dann aber das Chaos mit den Atemabfällen. Und wieder machte die Schwester einen dicken Pfeil nach unten in die Kurve meiner kleinen Süßen.

Jeden Tag wurde ich mit anderen Horrornachrichten erschreckt, kam jeden Abend furchtbar ausgepowert nach Hause. Aber ich habe mich auf der FIPS in Heidelberg sehr wohl gefühlt. Die Frühchenstation dort wurde fast meine 2. Heimat in diesen Wochen. Ich bin allein erziehend und war über jeden Kontakt zu anderen Eltern von der Station sehr glücklich.

Und trotzdem habe ich den Tag der Verlegung in die Kinderklinik herbeigesehnt, denn das war der nächste Schritt, bevor es irgendwann nach Hause ging.

Und nach über 8 Wochen war es dann soweit. Es ging los. Die Ärztin aus der FIPS hat mich angerufen, dass der Krankentransport schon bestellt war. Ich war so aufgeregt. Ich war mir so sicher: Alles würde gut werden….

Dort angekommen, war dann aber alles anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Es herrschte keine so Familiäre Atmosphäre, wenig Möglichkeit zum Austausch mit anderen Eltern. Kurz gesagt, ich habe mich überhaupt nicht mehr wohl gefühlt. Und das emotionale Chaos in mir ging weiter, bis in tiefe Depressionen hinein. Bestimmt lag dieses Unwohlfühlen auch mit an mir, aber mir haben einfach die Kräfte gefehlt. Ich fühlte mich so sehr meiner Schwangerschaft beraubt. Ich hatte das Gefühl, dass die Schwestern meinem Kind mehr geben konnten als ich. Ich war neidisch auf jede Schwangere mit dickem Bauch. Ich entschuldigte mich bei meinem Kind jeden Tag für das, was es erleiden musste und wusste doch genau, dass ich selbst gar nichts für die Frühgeburt konnte. Ich war traurig, weil ich nicht wusste, ob ich mit der Frühgeburt bestraft werden sollte, auch wenn ich wusste, dass Gott seine schützende Hand über meiner Anna-Maria hält. Ich war hilflos, weil ich einfach nichts tun konnte. An manchen Tagen durfte ich wegen der unstabilen Atmung meiner Kleinen nicht mal Känguruhen. Und Muttermilch hatte ich seit ihrer 6. Lebenswoche auch nicht mehr zu bieten…

Ich steckte mir ein neues Ziel.

Mit 1500 Gramm sollte meine Kleine aus dem Brutkasten raus und ins Wärmebettchen kommen, denn das bedeutete, dass die Kleine dann endlich Kleidung tragen durfte… aber sie wog nun im April schon über 1700 Gramm und war noch immer im Inkubator. Ich war so unglücklich. Es war gerade das Osterwochenende und ich war nur am Weinen. Ich konnte nicht dagegen an. Und keiner konnte mir wirklich helfen. Geduld war für mich zum Fremdwort geworden.

Größere Probleme hatte meine Anna-Maria gar nicht. Es war eben „nur“ die Atmung. Und wie lange das dauern konnte, das wusste auch kein Arzt. Die Lunge war eben geschädigt. Wie sehr hatte ich mir gewünscht wieder in das liebe Netz der FIPS fallen zu können. Aber es ging ja vorwärts…. da darf man die Zeit nicht zurückdrehen.

 

Im Mai hatte ich eigentlich den Entbindungstermin und da wollte ich meine Kleine, die jetzt schon über 2000 Gramm wog endlich mit nach Hause nehmen…. Aber die Atmung schien das nicht zuzulassen. Ständig piepte der Monitor und versetzte mir wieder und wieder einen Schrecken.

 

Am 9. Mai, dem Muttertag, machte mir meine Tochter das größte Geschenk, das sie mir machen konnte. Sie atmete ab diesem Tag ohne zusätzlichen Sauerstoffbedarf. Ganz alleine. Und die Werte waren gut. Klar, es gab weiterhin Apnoen und Bradikardien, aber ja, sie konnte es.

 

Schon eine Woche später durfte ich sie mit nach Hause nehmen. Ich war stolz. Ich hatte ein Baby. Keines in der Klinik, sondern bei mir, bei mir zu Hause. Ich musste nicht mehr fragen, was wann zu tun war, sondern ich konnte nach meinem Gefühl handeln. Und ich liebte dieses Baby so sehr. Ich fühlte mich, wie nach einer zweiten Geburt des selben Kindes.

 

Leider brauchte sie aber schon eine Woche später zu Hause weiterhin Sauerstoff. Es war wohl alles ein bisschen viel. So viele neue Eindrücke. Ich war 24 Stunden am Tag gefordert. Der Heimmonitor gönnte mir leider nicht so viel Schlaf wie meine Tochter. Er piepte und piepte und raubte mir so den Rest meiner Kräfte. Anna-Maria dagegen war ein superliebes Baby. Sie schlief schon nach 2 Wochen zu Hause nachts zwischen 10 und 12 Stunden durch. Der Monitor aber meinte dennoch so alle 2 bis 5 Minuten einen Alarm geben zu müssen. Jedes Mal stieg mein Adrenalinspiegel in weniger als einer halben Sekunde an. Immer wachsam musste ich davon ausgehen, dass es kein Fehlalarm sein könnte. Der Blick zum Monitor, dann der Blick aufs Kind und die böse Erkenntnis, dass es wieder mal ein echter Alarm war. In manchen Momenten verließ mich die Hoffnung, dass es jemals besser werden könnte.

 

Keiner in meinem Umfeld verstand mich. Freunde hatte ich kaum mehr. Wann hätte ich Freundschaften auch pflegen sollen? Sicher, einige fragten immer wieder, verschiedene kamen sogar mal mit auf die FIPS oder später in die Kinderklinik, aber verstanden fühlte ich mich von niemandem. Meine engste Familie stand mir immer bei und half mir so weit sie konnte und ich sie ließ. Aber an mich heran kam keiner. Ich war ständig traurig, müde und weinte. Nur wenn ich meine Kleine ansah oder sie im Arm hatte, dann war ich glücklich. Aber mich selbst, mich gab es schon lange nicht mehr. Ich war innerlich seit dem Kaiserschnitt wie gelähmt, konnte damit nicht umgehen, dass ich selbst beinahe nicht überlebt hätte.

 

Seit meiner Schwangerschaftsvergiftung litt ich an Bluthochdruck, der sich auch mit Medikamenten nicht nach unten drücken ließ. Und so brach ich im September ganz zusammen. Ich war nicht mal mehr in der Lage arbeiten zu gehen.

 

Und da entdeckte ich die Adresse der Kurklinik Bromerhof im Allgäu, die Fachkompetenzklinik für Frühgeborene war. Ich reichte den Kurantrag ein und konnte sobald meine kleine Maus 1 Jahr alt war an einem „Frühchenkurs“ dort teilnehmen.

 

Und von dort bin ich gestern zurückgekommen.

Ich möchte alle Frühcheneltern ermuntern eine Kur dort zu beantragen.

 

In unserem Kurs waren wir etwa 10 Familien mit Frühchen. Manche Familien waren wirklich komplett da. Nicht nur die Mutter mit Frühchen, sondern die ganze Familie, mit Papa und Geschwistern. Die Frühchen waren zwischen 1 und 9 Jahre alt. Und jeder kam mit vielen Sorgen, Fragen und Nöten dort an. Einige der Kleinen hatten Handicaps und einige waren gesund.

Beim ersten Gespräch sagte mir die Dame dort: „Sie werden sich hier das erste Mal richtig verstanden fühlen“. Das konnte ich erst nicht glauben, aber es war so.

Ein Zitat hat mich sehr berührt: Der Schlüssel zur Heilung ist die Erinnerung und die Aussprache von Trauer und Schmerz. (Klaus Sarimski aus Frühgeburt als Herausforderung)

Und nach diesem Zitat hat man dort mit uns Eltern gearbeitet, während die Kinder im Kinderland betreut wurden. Dazu entspannende Massagen, Sportangebote und die wunderschöne einsame Landschaft des Allgäus.

Die vielen Gespräche mit anderen Frühcheneltern, egal, ob im Gesprächskreis oder ganz gemütlich und locker im Café der Kurklinik, haben so viel in mir bewegt. Mein innerstes kam wieder zum Vorschein. Zu Beginn sehr schmerzhaft und unter vielen Tränen, aber dann war ich wieder da, wie eine Blume, die ihre Knospe öffnet. Viele Beziehungen sind dort gewachsen, Freundschaften entstanden, die hoffentlich bleiben werden. Und meine Anna-Maria hat in den nur 3 Wochen Kuraufenthalt so große Fortschritte gemacht. Sie ist viel selbständiger geworden, sie isst jetzt freiwillig und auch große Portionen und auch die Krankengymnastik konnten wir schon absetzen.

 

Heute kann ich sagen, dass ich glücklich bin. Und das konnte ich dort wieder lernen. Ich konnte mich finden. Und ich bin nicht nur Mutter sondern bin Mensch mit ganz vielen Facetten.

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Hallo Sandra,

 

erst einmal herzlich willkommen im Forum. Ich grüße Dich aus dem schönen Rhein-Neckar Kreis (Vermutlich bist Du da in der Nähe ja auch zu Hause).

 

wir hatten zwar kein Frühchen, aber unser Sohn wurde auch vier Wochen zu früh geboren. Ein wenig kann ich da Deinen Stress und Deine Ängste nachvollziehen.

 

Ich finde, solche Berichte sind gar nicht schlecht, weil sie anderen Mut machen, die in einer ähnlichen Situation sind,

 

 

Matthias

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... hab´s gelesen und feuchte Augen bekommen. Ich freue mich mit Dir, Sandra - weiterhin viel Segen und einen guten Schutzengel!

bearbeitet von lh17
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