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mtoto

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StGB § 66

 

 

(1) Wird jemand wegen einer vorsätzlichen Straftat zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

 

1.  der Täter wegen vorsätzlicher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,

2.  er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und

3.  die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, daß er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist.

 

(2) Hat jemand drei vorsätzliche Straftaten begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Nr. 3 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Nr. 1 und 2) anordnen.

 

(3) Wird jemand wegen eines Verbrechens oder wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 174c, 176, 179 Abs. 1 bis 3, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat ein Verbrechen oder eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Nr. 2 und 3 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Nr. 3 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Nr. 1 und 2) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

 

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine vorsätzliche Tat, in den Fällen des Absatzes 3 eine der Straftaten der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

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"Neben lebenslanger Freiheitsstrafe kommt die Sicherungsverwahrung nicht in Betracht, sofern ausschließlich auf diese Strafe erkannt ist", heißt es dazu im Strafgesetzbuch-Kommentar von Tröndle und Fischer (50. Auflage, München 2001; § 66, Rn. 3), und als Beleg wird eine klassische Entscheidung des Bundesgerichtshofs  von 1985 (BGH St 33, 398) zitiert. Diese Entscheidung konnte ich auf die Schnelle nicht im Volltext finden, ihr Inhalt wird aber ganz gut in einem neueren Urteil des BGH erläutert:

 

 

BGH 5 StR 41/00 - Urteil v. 21. März 2000 (LG Berlin)

 

Anordnung der Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe

 

§ 66 StPO  

 

(Leitsatz des Bearbeiters)

 

Die Anordnung der Sicherungsverwahrung neben zeitiger Freiheitsstrafe wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angeklagte gleichzeitig wegen einer anderen Tat zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wird.  

 

(Entscheidungstenor)

 

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. Juli 1999 mit den zugehörigen Feststellungen insoweit aufgehoben, als die Anordnung der Sicherungsverwahrung unterblieben ist.

 

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.  

 

(Gründe)  

 

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und versuchten Mordes in jeweiliger Tateinheit mit einem Vergehen nach dem Waffengesetz, wegen vier weiterer Vergehen nach dem Waffengesetz und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat der Senat durch Beschluß vom 22. Februar 2000 nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Die Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Sachrüge, daß die Anordnung der Sicherungsverwahrung unterblieben ist. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

 

1

I .  

Das Landgericht hat die formalen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB und die sachlichen Merkmale des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB bejaht, jedoch auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung "verzichtet" (UA S. 28). Dabei hat das Landgericht sich zwar auf das ihm nach § 66 Abs. 2 StGB eingeräumte Ermessen berufen (UA S. 30), jedoch nicht etwa eine allein am Einzelfall orientierte Ermessensentscheidung getroffen. Vielmehr hat das Landgericht seiner Entscheidung die Rechtsansicht zugrunde gelegt, daß neben der Verhängung von lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe die Anordnung von Sicherungsverwahrung ausgeschlossen sei. Dies hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.

2

II.  

Lebenslange Freiheitsstrafe und freiheitsentziehende Maßregeln sind nicht in ihrem Wesen miteinander unvereinbar (BGHSt 37, 160, 161). Ob und inwieweit neben einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe zusätzlich Maßregeln der Besserung und Sicherung anzuordnen sind, bestimmt sich nach § 53 Abs. 4 i.V.m. § 52 Abs. 4 Satz 2 StGB. Danach ist für die Frage, ob Maßregeln statthaft sind, nicht auf die lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe, sondern auf die Einzelstrafen abzustellen. Deshalb muß oder kann neben lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe auf Sicherungsverwahrung erkannt werden, wenn unabhängig von der mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndeten Tat wegen einer weiteren Tat eine in die Gesamtfreiheitsstrafe einbezogene zeitige Freiheitsstrafe verwirkt ist, hinsichtlich derer die formellen und materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 oder 2 StGB gegeben sind (BGHSt 34, 138, 143 f.). Anders beschrieben, die Anordnung der Sicherungsverwahrung neben zeitiger Freiheitsstrafe wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angeklagte gleichzeitig wegen einer anderen Tat zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wird (BGH NJW 1985, 2839).

3

An alledem ändert sich nichts dadurch, daß die Anordnung der Sicherungsverwahrung neben alleiniger, gar mehrfach verwirkter, lebenslanger Freiheitsstrafe nicht möglich ist: In § 66 Abs. 1 StGB ist als Voraussetzung der Anordnung der Sicherungsverwahrung die Verurteilung zu "zeitiger" Freiheitsstrafe genannt. Der Bundesgerichtshof hat angesichts dieses eindeutigen Gesetzeswortlautes die Anordnung von Sicherungsverwahrung neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe ausgeschlossen, wenn die lebenslange Freiheitsstrafe als Einzelstrafe verhängt oder als Gesamtstrafe aus mehreren lebenslangen Freiheitsstrafen gebildet wird (BGHSt 33, 398). Dies ist jedoch die nicht vermeidbare Auswirkung einer gesetzlichen Regelung, die als die Sicherungsverwahrung auslösende Verurteilung nur eine solche zu zeitiger Freiheitsstrafe vorsieht, andererseits aber die Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe nicht - wie die Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung - mit dem Eintritt der Führungsaufsicht verbindet (§§ 57a, 67c Abs. 1 StGB). Diese Ungleichbehandlung entspricht der Ungleichheit der Rechtsfolgen im Verhältnis von Tätern, die mehrmals zu lebenslanger Freiheitsstrafe, und Tätern, die zu mehreren zeitigen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind (BGHSt 34, 138, 145). Auch die Gesetzesmaterialien geben keinen Aufschluß, aus welchen Gründen in § 66 Abs. 1 StGB dem Wort "Freiheitsstrafe" das einschränkende Adjektiv "zeitiger" vorangestellt wurde (BGHSt 33, 398, 399). Auch hat der Bundesgerichtshof die genannte Einschränkung in § 66 Abs. 1 StGB als "sachlich bedenklich" angesehen (BGHSt 37, 160).

4

Danach vermag das zweifellos bestehende Spannungsverhältnis zwischen den beiden Fallkonstellationen - mögliche Sicherungsverwahrung neben zeitiger Freiheitsstrafe beim Hinzutreten lebenslanger Freiheitsstrafe einerseits, Ausschluß der Sicherungsverwahrung neben bloßer, gar mehrfach verwirkter, lebenslanger Freiheitsstrafe andererseits - eine im Sinne einer Angleichung restriktive Auslegung des Gesetzes für die erstgenannte Konstellation nicht zu begründen. Deshalb können auch die an das genannte Spannungsverhältnis anknüpfenden beachtlichen Argumente der Verteidigung nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Eine widerspruchsfreie Lösung des Problemkomplexes muß dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.

5

III.  

Der neue Tatrichter wird die Voraussetzungen der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung umfassend zu prüfen haben. Eine von der Beschwerdeführerin intendierte Anordnung der Maßregel durch den Senat scheidet schon deshalb aus, weil § 66 Abs. 2 StGB eine Ermessensentscheidung gebietet.

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Ich habe den Eindruck, die Frage ist etwas zu qualifiziert beantwortet worden...

 

Zunächst ist ja klar: die lebenslange Freiheitsstrafe ist ja nicht zwingend lebenslang. Normalerweise muß nach 15 Jahren, bei Feststellung besonders schwerer Schuld durch das Gericht auch erst nach deutlich längerer Zeit, geprüft werden, ob der Täter auf Bewährung entlassen werden kann.

 

Nun erscheint auf den ersten Blick einleuchtend, daß ein Täter, der als so gefährlich angesehen wird, daß auch über die Dauer der so langen Strafe hinaus die Sicherungsverwahrung für erforderlich gehalten wird, dann wohl auch bei einer regulären Bewährungsprüfung "durchfällt": wenn er noch gefährlich ist, muß ihm auch wegen der Bewährung eine negative Prognose ausgestellt werden, so daß eine vorzeitige Entlassung nicht in Frage käme. Dieser Gedankengang mag auch beim Gesetzgeber eine Rolle gespielt haben, als er sicherungsverwahrung nur für "zeitige" (also nicht lebenslängliche) Strafen vorgesehen hat, aber das ist Spekulation.

 

Problematisch ist das deshalb, weil die Maßstäbe, die für eine Fortführung der Sicherungsverwahrung gelten, etwas, aber u.U. entscheidend andere sind als bei der Bewährungsentscheidung. Vor allem aber sind die beteiligten Personen andere: während über die Sicherungsverwahrung vor allem unter Hinzuziehung von psychologischen und psychiatrischen Sachverständigen entschieden wird, liegt der Bewährungsentscheidung meist nur eine Stellungnahme der JVA und eines Sozialarbeiters zugrunde. Deshalb gibt es die Tendenz, wenn immer möglich auch Sicherungsverwahrung zu verhängen. Durch die Rechtslage (im von eule zitierten Urteil geschildert), die man mit Fug und Recht als merkwürdig bezeichnen kann, ist das aber nicht immer möglich. Das heißt, wenn einer für fünf Morde mehrfach lebenslänglich "kassiert", kann keine Sicherungsverwahrung verhängt werden. Wenn aber einer einen Mord und eine einfache Körperverletzung begangen hat und dafür lebenslänglich und selbständig daneben drei Monate bekommt, wäre Sicherungsverwahrung - angeknüpft an die Strafe für die Körperverletzung - möglich.

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Hallo

 

Vielen Dank, für die ausführlichen Antworten.

Sicherungsverwahrung nach lebenslänglicher Strafe ist schließlich sehr paradox, besonders, wenn die besondere Schwere der Tat bescheinigt wurde und somit kein Ende nach 15 Jahren vorgesehen ist.

 

Gruß mtoto

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Stimmt, nur schließt die "besondere Schwere der Tat" die Entlassung auf Bewährung nicht absolut aus. Es fällt nur der Anspruch, daß das schon nach 15 Jahren geprüft wird, weg. Nach 20, 25 oder 30 Jahren ist das durchaus drin. Und da kann es schon wichtig sein, daß nicht nur die JVA feststellt, daß der Täter "brav" war und ein Sozialarbeiter, daß er sich um Reintegration bemüht. Allerdings ist inzwischen bei der Bewährungsprüfung von Gewaltverbrechern inzwischen zwingend zumindest eine psychologische Begutachtung vorgesehen, und der Richter, der die vorzeitige Entlassung prüft, kann durchaus (und wird in so dramatischen Fällen meist auch) noch einen Psychiater hinzuziehen. Daß die oben angesprochene Gesetzeslage wirklich in der Praxis zu Problemen führt, ist daher also nicht sehr wahrscheinlich.

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