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Was ist Zeit?


altersuender

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Liebe Leute,

 

heute nachmittag, auf der Rückfahrt von Eichstätt nach Salzburg, hörte ich im Radio ein Feature über die Gegenwart als jenen Punkt in der Zeit, in dem wir so eigentlich leben.

 

Da irrte meine Aufmerksamkeit etwas ab. Ich begann mich zu fragen, was denn die Zeit eigentlich sei?

 

Ist sie wie die Materie 'Kind' des Big Bang? Ist sie eine Eigenschaft der Materie? Klebt sie an den Atomen und Molekülen fest? Gesetzt den Fall, ich könnte Materie ein für allemal vernichten, vernichte ich dann nicht auch Zeit? Gesetzt weiter, ich vernichtete bis auf ein Atom sämtliche Materie im Universum, vernichtete ich dann auch entsprechend viel Zeit? Oder ist die Zeit immer gleich 'groß'? Und wenn am Ende alle Bewegung und Änderung im Universum erlischt, ist dann auch die Zeit erloschen? Oder existiert sie, nun nicht mehr beobachtbar, einfach weiter? Oder ist Zeit nur Einbildung, ein Konstrukt menschlichen Geistes? Verstreicht sie gar nicht, die Zeit? Können wir daher weder zuviel, noch zuwenig haben?

 

 

Was ist Zeit?

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Realisierung der Sekunde

 

Um Zeitintervalle zu messen, benötigen wir eine Masseinheit, das heisst ein Zeitintervall genau definierter Länge, mit dem andere Zeitintervalle verglichen werden können. Diese Masseinheit ist im Internationalen Einheitensystem (SI) die Sekunde. Sie ist festgelegt als die Zeitdauer von 9 192 631 770 Perioden der Strahlung, die dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Cs-133 entspricht. Realisiert wird die derart definierte Sekunde mit einem Cäsiumnormal, der sogenannten «Atomuhr».

 

Quelle

 

Hallo Erich!

Richtig, vor dem Urknall gab es "unsere" Zeit nicht (Ob es Paralleluniversen mit eigener Zeit gibt, weiß keiner). Zeit und Raum eines Inertialsystems sind gekoppelt (Relativitätstheorie). Wenn einer sich relativ zu uns bewegt, vergeht seine Zeit (aus unserer Sicht) langsamer; je näher er an die Lichtgeschwingdigkeit herankommt, umso langsamer.

 

Folgendes ohne Gewähr, nur so "aus dem Bauch raus" und ohne irgendwo irgendwas nachgelesen zu haben(da ich seit 12 Jahren nicht mehr als Physiker arbeite, habe ich auch viel vergessen): Die Zeit kannst Du nicht "vernichten" - dazu bräuchte man einen "Universums-Umkehrer", der alle Vorgänge rückgängig macht. Also: Wenn die volle Kaffeetasse, die neulich auf dem Küchenfußboden zerschellte, den Kaffe wieder einsammelt, sich wieder zusammensetzt und in die Hand zurückfliegt, dann hast Du's geschafft!

 

Gruß,

Lucia

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Und nochmal Einstein:

 

Für uns gläubige Physiker hat die Scheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur die Bedeutung einer wenn auch hartnäckigen Illusion.

 

Einstein am 21.3.1955 - drei Wochen vor seinem Tod - an den Hinterbliebenen seinen Jugendfreundes Michele Besso.

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Liebe Lucia,

 

aber wenn Zeit an die Materie gebunden ist, vernichte ich doch, wenn es mir möglich wäre, die Materie zu vernichten, auch die Zeit (natürlich immer unter der Annahme, dass Zeit tatsächlich eine Eigenschaft der Materie ist - was immer das heisst)?

 

Und noch eine Frage: woher weiss man eigentlich, dass es vor dem Urknall keine Zeit gab? Woher weiss man, dass Zeit ohne Materie nicht existiert? Wird hier die Messbarkeit (die an das Vorhandensein von Veränderung, somit Materie, geknüpft ist) mit der Sache an sich verwechselt?

 

Oder hat Jürgen-Einstein recht? Ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur Illusion, ist auch die Zeit nur Illusion, ein Produkt unseres Geistes.

 

Hm, die scheinbar einfachsten Dinge sind wohl immer die schwierigsten ...

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Zitat von altersuender am 19:13 - 18.November.2002

Liebe Lucia,

 

aber wenn Zeit an die Materie gebunden ist, vernichte ich doch, wenn es mir möglich wäre, die Materie zu vernichten, auch die Zeit (natürlich immer unter der Annahme, dass Zeit tatsächlich eine Eigenschaft der Materie ist - was immer das heisst)?

 

Und noch eine Frage: woher weiss man eigentlich, dass es vor dem Urknall keine Zeit gab? Woher weiss man, dass Zeit ohne Materie nicht existiert? Wird hier die Messbarkeit (die an das Vorhandensein von Veränderung, somit Materie, geknüpft ist) mit der Sache an sich verwechselt?

 

Oder hat Jürgen-Einstein recht? Ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur Illusion, ist auch die Zeit nur Illusion, ein Produkt unseres Geistes.

 

Hm, die scheinbar einfachsten Dinge sind wohl immer die schwierigsten ...


Grumml - immer diese Nicht-Physiker ...

 

"Zeit" ist keine "Sache an sich", lieber Erich, sondern ein Begriff, mit dem eine spezielle Eigenschaft unserer Realität (unseres intersubjektiven Empfindens) beschrieben wird. Und wenn Du Dir Deine Babyfotos (wenn sie denn existieren) ansiehst, dann wirst Du feststellen, daß die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat. Wenn keine Materie existiert, existiert damit auch keine Raumzeit, beides bedingt sich gegenseitig. Wenn Du alle Materie vernichtet (und den Urknall rückgängig gemacht) hast, dann bist auch DU nicht mehr; was willst Du dann noch mit Zeit? Um Zeit messen zu können, braucht man irgendetwas, das als Meßgerät funktionieren kann - ein einziges Energiequant (ob das nun als Materie vorliegt oder nicht, ist egal; Beides ist sowieso äquivalent) genügt.

 

Die Annahme von Zeit vor dem Urknall ist sinnlos - die Antwort auf eine solche Frage ist Physiker à priori verschlossen, daher stellt er sie gar nicht. Genauso gut könntest Du nach der Messung von negativen Temperaturen auf der Kelvin-Skala fragen oder nach dem Verhalten von Körpern mit Überlichtgeschwindigkeit: Solche Gedankenspiele überläßt der Physiker den Meta-Physikern; denn da stößt die Physik an ihre Grenzen.

 

Gruß,

Lucia

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Zeit ist ein Versuch, für das, was uns als "Veränderung" erscheint, einen Namen zu finden.

 

Zeit ist das "t" in der Physik.

 

"Zeit" und "Raum" sind an das gebunden, was uns als "Materie" erscheint.

Ohne "Materie" keine "Zeit", ohne "Materie" kein "Raum".

 

So sind mein Eindrücke.

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Zitat von altersuender am 19:13 - 18.November.2002

Liebe Lucia,

 

aber wenn Zeit an die Materie gebunden ist, vernichte ich doch, wenn es mir möglich wäre, die Materie zu vernichten, auch die Zeit (natürlich immer unter der Annahme, dass Zeit tatsächlich eine Eigenschaft der Materie ist - was immer das heisst)?

 

Und noch eine Frage: woher weiss man eigentlich, dass es vor dem Urknall keine Zeit gab? Woher weiss man, dass Zeit ohne Materie nicht existiert? Wird hier die Messbarkeit (die an das Vorhandensein von Veränderung, somit Materie, geknüpft ist) mit der Sache an sich verwechselt?


 

Zeit ist eine eigentlich Eigenschaft des Raumes, nicht primärt der Materie (macht aber, wie wir gleich sehen werden, eigentlich keinen Unterschied). Raum und Zeit sind untrennbar mit einander verbunden, auch wenn der menschliche Geist Zeit und Raum gerne voneinander trennt und als eigenständig betrachtet. Aber salopp gesprochen, hat das Universum es nicht darauf angelegt, besonders verständlich für uns zu sein...

 

Raum entsteht durch das Vorhandensein von Materie, ohne Materie ist kein Raum und damit keine Zeit vorhanden.

 

Solltest Du Materie "vernichten" (dazu gleich mehr), würdest Du dort, wo die Materie einmal war, auch den Raum vernichten und damit die Zeit dort. Es geht also nicht so, dass Du - salopp gesagt - bei der Vernichtung von 1kg Materie damit 5 Minuten der Zeit um Universum löscht. So funktioniert das nicht. Man muß Raumzeit lokal betrachten. Dort wo Materie ist, hat man Raum und Zeit, dort wo keine ist, hat man keinen Raum und keine Zeit. Solch ein "Ort" (hier ein schräges Wort, definiert sich Ort ja durch Raumkoordinaten) ist auch kein Bestandteil des Universums. Form und Größe des Universums bestimmen sich durch die Materieverteilung.

 

Dies ist übrigens auch der Grund, warum man niemals zum Ursprungsort des Big Bangs hinfliegen kann (vorausgesetzt, man hätte ein solch potentes Raumschiff). Durch die Expansion des Universums hat sich alle Materie von diesem Punkt wegbewegt und damit ist dort gar kein Raum und keine Zeit vorhanden.

 

Materie kann man übrigens nicht "vernichten". Man kann Masse in Energie umwandeln (und Energie in Masse). Du würdest also nur die Erscheinungsform von Materie ändern.

 

Um das selbe zu erreichen könntest höchstens von einem Ort sämtliche Materie fortbewegen, dann würde an dieser Stelle die Raumzeit kollabieren. Das Problem ist nur, wie Du dies beobachten/überprüfen willst. Begibst Du Dich in dieses "Raumzeit-Loch", um nachzuschauen, so haben wir an dieser Stelle ja wieder Materie (Dich und Dein Raumschiff) und damit wieder Raumzeit. Bleibst Du draußen und schaust hinein so geht das nur, wenn Deine Sinnesorgane/Sensoren Nachrichten aus diesem Ort empfangen; für Dein Auge sind dies z.B. Photonen. Nur sind Photonen wieder Energie und damit haben wir wieder das selbe Dilemma.

 

Und die Frage, was vor dem Big Bang war, ist wirklich nur so zu beantworten, dass es kein davor gab.

 

Ich finde man kann sich das durchaus bildlich vorstellen: Wenn man sich den Big Bang und die Expansion rückwärts vorstellt, also von heute aus gesehen zum Big Bang zurück, so sieht man, daß alle Materie mal von einem eintigen Punkt, dem Explosionsort stammen muß. Dieser Punkt aber ist (mathematisch und phyiskalisch gesehen) aber null-dimensional, d.h. er hat keinerlei Ausdehnung.

 

Keine Ausdehnung heißt aber auch, dass kein Raum in Anspruch genommen wurde. Ohne Raum aber keine Zeit. Erst die Ausdehnung des Universums durch/nach dem Big Bang schuf den Raum, der die Zeit schuf.

 

Woher man weiß, dass Zeit an Raum gebunden ist? Da, lieber Erich, muß ich Dich an die Schriften von Einstein und Konsorten verweisen.

 

Soviel sei aber gesagt:

 

Vorhandene Masse kann den Raum krümmen, ihn verzerren. Bildlich kann man sich der Mensch das wohl nur mit Flächen vorstellen: Unsere Erdoberfläche erscheint uns eben und plan. In Wirklichkeit aber ist sie gekrümmt und schließt an sich selber an. Die Erdoberfläche ist zwar nicht unendlich groß, hat aber kein Ende und kein Anfang, im Ernstfall laufe ich mehrfach im Kreis, aber an ein Ende oder Rand stoße ich nie. Und das ganze von 2D auf 3D projeziert und Du hast die Antwort, warum das Universum als Raum zwar ebenfalls nicht unendlich groß ist, aber ebenso keinen Rand hat. Du könntest mit einem Raumschiff unendlich lange fliegen. Würdest Du immer in die selbe Richtung fliegen, kämest Du irgendwann am Startpunkt Deiner Reise an. Nun, solange lebst Du zwar nicht, aber das ist ja nur ein Gedankenexperiment...

 

Diese Raumkrümmung kommt durch die im Universum vorhandene Materie zustande. Größere Massen krümmen den sie umgebenden Raum stärker. Sehr starke Massen (z.B. schwarze Löcher) krümmen den Raum extrem stark. Dies kann man sogar beobachten. Licht, welches an einem solchen schwarzen Loch nicht hinein, aber vorbeifliegt, wird von seiner Flugbahn abgelenkt. Da wir Licht zum Sehen benutzen, kann man dies sehr gut beobachten. Wandert ein schwarzes Loch über den Sternenhimmel oder vor einem Sternennebel vorbei, so wird das dahinterliegende Licht auf dem Weg zu uns verzert, was sich sofort in der Optik bemerkbar macht, man hat den Eindruck, dass sich vor dem Sternenhimmel eine Linse bewegt. In diesem Fall spricht man von einer Gravitationslinse.

 

Außerdem hat Einstein herausgefunden, dass die Zeit keine konstante Größe sein kann, sondern relativ ist (das wird aber off topic, wenn ich das erkläre, gerne aber in einem anderen Posting), so daß Zeit nicht immer gleich schnell abläuft, sondern unterschiedlich, je nach Raumkrümmung oder der Geschwindigkeit der Materie, bei der es gemessen wird (z.B. in einem schnellen Flugzeug).

 

Und auch das kann man messen und hat man getan. Man nahm zwei Atomuhren, hat sie miteinander synchronisiert. Die eine ließ man im Labor, die andere hat man bei einem Experiment in ein Flugzeug gesetzt, bei einem anderen auf einen hohen Berg (hier in Deutschland hat man den Versuch auf der Zugspitze gemacht). Da der Berggipfel weiter weg vom Erdmittelpunkt ist, ist dort die Drehgeschwindigkeit der Erde größer als im Tal. Beide Uhren "kreisten" also unterschiedlich schnell um den Erdmittelpunkt. Dann hat man einige Wochen gewartet, dann die Uhren wieder an einen Ort geschafft und die Uhrzeiten verglichen. Und siehe da: Die Uhr, die sich schneller bewegt hat, ging nach...

 

So, ich hoffe, das klärt zumindestens einige Fragen für Dich...

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Zeit ist das, was man nicht mehr hat wenn man mal auf dieses Forum gestossen ist....

 

;)

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[12. November 1991]

 

Eben habe ich mir ein Bierchen eingeschenkt; da war’s noch St. Martin. Und kaum, daß ich mich’s versehe, ist Mitternacht vorbei: nach Auskunft des Kalenders ein neuer Tag. Eilig flieht die Zeit, die ungetreue Gesellin. Wer kann sie halten, wer sie bezwingen? Die eddische Sage meldet, einst habe Gott Thor in Utgardlokis Burg einen Ringkampf auszufechten gehabt gegen ein altes Weib, in welchem er unterlag, denn er konnte das Weib nicht bezwingen; das Weib aber war das Alter. Innumerabilis annorum series et fuga temporum. Was vermögen wir gegen die Zeit, die Gewaltige?

 

Was aber ist die Zeit? Ist die Zeit? Offensichtlich doch, denn wir reden von ihr; wir kämpfen gegen sie an und unterliegen ihr. Ja wir messen sie: in Jahren, Monaten, Wochen, Tagen, Stunden, Minuten, Sekunden. Doch worin besteht ihr Wesen, ihre Substanz? Ist sie überhaupt? – Ich behaupte: Die Zeit ist nicht. Sie hat kein Sein. tempus non ens. tempus nomen rationaliter fictum non rei, sed imaginis, quæ mente humana sicut in speculo fit. Die Zeit ist eine Projektion des menschlichen Geists. Aus der Erfahrung und Erkenntnis der Hinfälligkeit alles irdischen Seins – mutabilitatis omnium rerum terrenarum – destilliert er die Idee der Zeit: Fiktion, nicht Wirklichkeit. nomen nec res. nomen vero non rei, sed defectus; aut nomen imaginis propter defectum fictæ et absentiam immutabilitatis, qua carent omnia terrena. Die Zeit also nur Kind einer Defizienz? Nicht anders: Die Wandelbarkeit alles Geschaffenen, die Vergänglichkeit als der Sünde Sold lassen den Menschen aus der Zusammenschau der verschiedenen Zustände der Dinge – der an sich immer selben Dinge – eine Kategorie konstruieren, die den Wandel und das Vergehen, auch das Werden, als Prozeß begreift, dessen Gerüst und Vehikel eben jenes Konstrukt ist, und er nennt es: die Zeit.

 

Aber dennoch sage ich: Der heutige Tag ist regnerisch und trist; oder: Dies ist ein herrlicher Augenblick. Ich spreche den gesetzten und bemessenen Zeitabschnitten Sein zu, gewohnheitsmäßig und wie selbstverständlich. Was nun also?

 

Seit jeher kennen wir drei Stufen der Zeit: die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft; eine vollkommene Dreiheit, so scheint es, wie sich ja auch immer wieder in der Natur, in der Physik solche Dreiheiten als Spuren der Trinität finden lassen, ja alle Physis von der Grundstruktur der Dreiheit durchwebt ist. Die dreifache Zeit ist dem Menschen seit ältester Zeit bewußt: So kennt schon die eddische Sagenwelt jene drei Nornen, die die Schicksalfäden spinnen: Urd (das geworden ist), Skuld (das werden soll) und Werdandi (das wird). Also drei Zeitstufen. Aber sind diese drei Zeitstufen? Ist die Vergangenheit? Ist sie doch vergangen! Wenn wir aber von ihr reden, sie aufschreiben, um sie streiten, dann muß sie doch sein – irgendwo. Aber wo? Wie? Bin nicht ich selber der Ort, wo die ganze Vergangenheit sich versammelt? Auch die ich selber nie erlebt habe? Der Tod des Franz Josef Strauß ist für mich ebenso Vergangenheit wie die Kaiserkrönung Karls des Großen. Für mich! Denn es ist meine Erinnerung, mein Wissen, das der Vergangenheit für mich den Schein des Seins verleiht. Was ich nicht weiß, das ist keine Vergangenheit; denn Vergangenheit ist nur ein Begriff für das Abbild von Dingen, die nicht mehr sind oder nicht mehr so sind, welches in meinem Gedächtnis weiterbesteht. Ohne mein Wissen also keine Vergangenheit.

 

Ist also die Vergangenheit: als Begriff? als Bild? nomen non ens. sed imago ens, ens autem de ente, ens quasi secundo ordine et non a se. Das Bild in meinem Geist ist ohne Zweifel. Aber es ist nur Abbild, nicht das Ding selbst, das der Begriff zu bezeichnen scheint und das doch nicht ist und vielleicht nie gewesen ist – denn ich kann ja irren, meine Erinnerung also von den Dingen abweichen, die waren, jedoch nicht mehr sind. præteritum ergo nomen est imaginis nec rei istæ, quam imago repræsentare patet vel videtur. nonne ipsa imago et res, si etiam esset modo deducto et secundario? certe imago ens, et nomen non ens. rem autem discerno ab imagine, sicut et nomen ab utraque discernendum. Seiend also ist mein Wissen um die Vergangenheit, um die vergangenen Dinge – selbst, wenn ich darin irre! –, nicht aber diese Dinge, mithin die Vergangenheit selber.

 

Mit der Zukunft steht es ganz ähnlich. Ich hoffe, erwarte, fürchte, besorge Dinge, die erst noch kommen sollen – auf mich zukommen sollen –, die also nicht sind und womöglich nie sein werden. Dennoch ist die Zukunft: als Bild, das in mir, vor meinem Geist, besteht. Doch nur das Bild ist. Die Dinge, die es abbildet, „kommen“ ja erst noch – oder auch nicht! –; sie sind jedenfalls nicht oder noch nicht. Freilich wenn wir von „Zukunft“ reden – oder, wie soeben geschehen, vom „Kommen“ der „zukünftigen“ Dinge (denn „Kommen“ meint ja nichts anderes als eben die Kunft der Dinge) –, dann müssen wir wissen, daß wir bloß bildhaft reden: denn was kommen kann, das muß ja schon irgendwo sein. Wo aber ist das Künftige? Oder wohin ist das Vergangene gegangen? Wenn es ist, dann ist es da; wenn es aber nicht da ist – noch nicht oder nicht mehr –, dann ist es überhaupt nicht; sondern nur das Bild, das wir uns darvon machen, das ist. Daher kommen die Dinge nicht, und sie gehen nicht; sondern sie sind, oder sie sind nicht.

 

Wenn aber die Dinge sind, dann sind sie gegenwärtig. Und sind sie nicht, so sind sie nicht gegenwärtig. Also die Gegenwart. Die dritte Zeitstufe. Die einzige, welche ist. Oder ist auch sie nicht? Wo ist sie? Greifen wir die Gegenwart, sie zu betrachten. carpe diemcape diem! capta diem! capta kairon! Wir begreifen schon: Den Tag können wir gar nie fassen, denn er ist ja nie gegenwärtig. Ein Teil ist schon vergangen, ein anderer noch zukünftig. Ich sage zwar: „heute“ – das heißt „hiu tagu“, an diesem, am gegenwärtigen Tag –, doch der Tag ist Maß und Teil der Zeit; es gilt für ihn, was auch für die Zeit gilt: Er ist Projektion, er ist als Bild im menschlichen Geist; doch er ist kein Ding. nec dies res est, sed sola imago et in mente humana ens quasi speculum alterius. Nicht anders mit dem tausendsten Teil einer Sekunde. Gibt es den Kairos? Den Augenblick? Den Zeit-Punkt? estne punctum actuale? an non est punctum temporis nisi saliens: id est desaliens et elabens? Der Punkt, der gerade gegenwärtig ist, hält ja nicht: kaum, daß ich ihn fassen will, ist er weg. Wenn ich ihn aber faßte, was wäre da – was hätte Sein –, wenn nicht ich selber? Denn der Punkt hat ja keinerlei Ausdehnung. Er ist buchstäblich Nichts, nullum oder besser: er ist nicht. Was wäre das auch für ein Sein, das nie aktual ist, sondern von dem immer bloß Abbilder sind?

 

Und die Zeit nun an sich? tempus non ens, die Zeit sei nicht, so meinte ich vorhin. Ich sehe ein: Sie ist doch. Aber sie ist bloß Abbild und kein Ding. tempus non res, attamen ens, quoniam imago est rerum aut præteritarum aut venturarum sive fictarum vel erratarum. hactenus cogitatio creaturæ.

 

Nun hat mich mein Bischof gefirmt auf den Namen des heiligen Augustinus. Ich selbst habe ihn mir erwählt. Nicht zum Scherz oder des Klangs wegen oder als Sympathiebekundung: sondern um seines Beistands, seiner Fürbitte willen. Genau dies hat mir der Bischof nach der Firmhandlung noch einmal bekräftigt. Nun erfahren wir aber aus dem Zedler, Meyer oder Brockhaus: Augustin starb im Jahr 430 nach der ersten Erscheinung des Herrn im Fleisch, am 28. August. Ja, ist das nicht längst vergangen? Wie kann der mir denn da beistehen? Wie kann er für mich bitten? – Nun, er wird als Heiliger wohl im Himmel sein, wird mir Antwort. Das heißt, in der Ewigkeit. – Er wird sein? Er ist mithin? Wie das? Und wo? Er sei vergangen – ist er doch unbezweifelbar tot – und doch da, in Ewigkeit? Wo ist diese Ewigkeit? Und wie lange? – Das ist eine falsche Frage. æternum non perpetuum significat. perpetuum semper durat, immo æternum est, nam est sine vinculis sæculi. Ewigkeit und Zeitlichkeit stehen widereinander, und sie gehören zugleich zusammen: denn die Zeitlichkeit ist der Mangel, die Abwesenheit der Ewigkeit. sæculum est, sed est creatum, ens ergo modo deducto et secundario et qua de causa mutabile. Was erschaffen ist, entbehrt der Unwandelbarkeit des Schöpfers, es fällt in die Zeit; und das geschaffene Abbild des Schöpfers fällt in die Sünde. Nur Er heilt die Sünde und die Zeit.

 

Doch auch solange wir in zeitlicher Pilgerschaft fahren, ist alles vor Ihm schon gegenwärtig: das Vergangene und das Künftige und was uns gegenwärtig ist. Also ist doch, was wir für vergangen und was wir für künftig halten? Ist es doch? Es ist nicht als Vergangenes und es ist nicht als Künftiges, aber es ist gegenwärtig vor Gott; denn die Ewigkeit umfaßt die Zeitlichkeit: sonst wäre sie ja nicht ewig, sondern eine zweite, eine andre Zeitlichkeit. Was uns also vergangen oder künftig scheint, ist gegenwärtig vor Gott und bei Gott und fern von Gott, doch es ist nicht gegenwärtig für uns; denn wir vermögen nicht aus eigner Kraft die Zeitlichkeit zu übersteigen, die Wandelbarkeit abzulegen. Weil es nämlich für Gott gegenwärtig ist, kann der Umstand, daß es für mich nicht in gleicher Weise gegenwärtig ist (sondern allenfalls dessen Abbild), nicht in einem Defekt dieser Sache begründet sein, sondern nur in einem Defekt meiner selbst, nämlich in der Defizienz der Beständigkeit, der Unwandelbarkeit. Die Zeit ist also die Krücke, an der ich Lahmer, an der ich Krüppel gehe; die Zeit ist die Brille, mit der ich Blinder sehe; das Rohr, mit dem ich Tauber höre, solange nicht das Gefängnis des irdischen Fleisches von mir genommen ist. Tempus remedium „ad tempus“, id est auxiliare, mutabilitatis: quasi baculus est debilium, donec liberemur de carcere terreno hujus carnis pulvereæ. Tum baculus gehennam alat ignis.

 

 

[7. März 1994]

 

Hujus contemplationis relectio me ad cognoscendam ducit necessitatem, ut totam causam retractem. Multa locutus sum, causa vero minime finita. Videretur quasi gnoseos peste infectus essem. Quare? Factum maximi momenti neglegebam: ipsam incarnationem Dei æterni. Sed Filius Dei, ipse Deus, caro factus est! Ipse homo, et secundum humanitatem passus ac sepultus est. Forsitan dehumanatus et decarnatus est? Nullo modo! Resurrexit tertia die secundum scripturas, et resurrexit homo: homo verus et Deus verus, humanitate ac deitate in æternum conjunctis hypostatica unione inconfuse immutabiliter indivise inseparabiliter. Qua de causa expectamus resurrectionem carnis. Prosdokwmen sarkoV anastasin. Immo tunc expectabimus, cum mortui erimus primam mortem, corporibus in pulverem dissolutis et ossibus sparsis. Inde intelleguntur duo facta: primum quia in æternitate corpora et loca ergo dimensiones spatii esse constat; deinde quia in statu intermedio morantes corpore pulvereo carentes corpus immortale expectantes certe tempus degimus.

 

(Geändert von Ketelhohn um 23:24 - 19.November.2002)

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Zitat von Wattoo am 16:51 - 19.November.2002

Zeit ist das, was man nicht mehr hat wenn man mal auf dieses Forum gestossen ist....

 

;)


 

Ja, hier kann man Tag für Tag prima die Zeit totschlagen. Und sie steht jedesmal wieder auf... ;)

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Hm, tiefsinniger Text, Robert, muss ich mal länger darüber nachdenken.

 

Aus den anderen Beiträgen, vor allem von Caveman und Lichtlein, ergeben sich für mich aber andere Fragen:

 

1) wenn der Urknall aus einen Nullpunkt heraus erfolgte, der seinerseits keine Ausdehnung kennt, woher dann die Materie? Und davon ist doch, ebenso wie von der Energie, eine nicht geringe Menge vorhanden. Im Volksmund sagt man, dass aus Nichts nichts kommt.

 

Das, das Nichts, erinnert mich übrigens an ein Gedicht:

Nichts. Kohlensack im Sternenhimmel.

Großer, schwarzer Mann.

Hab ich Angst vor Dir.

Was ist gegen Nichts zu tun? Nichts.

Sonnen wachsen, blühen auf, reifen

zu goldenen Früchten.

Nichts bricht sie vom Baum, reibt sie blank

am schwarzen Mantel, steckt

sie in den Sack.

Wenn Nichts lacht, zittern die Sterne,

ziehen die Planeten sich ängstlich zusammen.

Die Menschen sagen "es donnert" und heben kaum die Köpfe.

Sie türmen Trümmer auf gegen Nichts.

Da lacht Nichts noch mehr.

Bringt der Baum keine Frucht, greift

Nichts zur Axt und schlägt ihn um.

Das ist Nichts.

 

Wenn aus Nichts nichts kommt, woher kommt dann unser Etwas?

 

2) Woher weiss man, dass die Zeit eine Eigenschaft des Raums bzw. der Materie ist - und nicht umgekehrt?

 

(Geändert von altersuender um 23:46 - 19.November.2002)

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altersünder:

>>Woher weiss man, dass die Zeit eine Eigenschaft des Raums bzw. der Materie ist - und nicht umgekehrt?<<

 

(Wer die seltsame "a priori" Definition von Kant hören will, der ist bei mir an der falschen Adresse.)

 

Ich zitiere mich ja gerne -

Alzi:

>>Zeit ist ein Versuch, für das, was uns als "Veränderung" erscheint, einen Namen zu finden.<<

 

Was soll denn das sein "Zeit", wenn nicht der Versuch, "Veränderungen" zu beschreiben?

 

Zeit "an sich" gibt es nicht - wenn doch, dann kann sie mir ja jemand zeigen.

"Materie" ist greifbar (Alzi versucht, mit dem Finger durch den Monitor zu dringen), Zeit nicht.

 

Zeit definiert der Mensch durch Veränderung.

Veränderung kann aber nur an Materie beobachtet werden.

Daher ist Zeit von der Materie abhängig und nicht umgekehrt.

 

Das Gedicht gefällt mir, kennst Du den Autor, altersünder?

Ich bilde mir ein, es schon einmal gelesen zu haben.

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MICHAEL ENDE: BEPPO

 

 

 

Beppo liebte diese Stunde vor Tagesanbruch, wenn die Stadt noch schlief. Und er tat seine Arbeit gern und gründlich. Er wußte, es war eine sehr notwendige Arbeit.

 

Wenn er so die Straßen kehrte, tat er es langsam, aber stetig: Bei jedem Schritt einen Atemzug und bei jedem Atemzug einen Besenstrich.

Schritt — Atemzug — Besenstrich.

Schritt — Atemzug — Besenstrich.

Dazwischen blieb er manchmal ein Weilchen stehen und blickte nachdenklich vor sich hin. Und dann ging es wieder weiter:

Schritt — Atemzug — Besenstrich.

 

Während er sich so dahinbewegte, vor sich die schmutzige Straße und hinter sich die saubere, kamen ihm oft große Gedanken. Aber es waren Gedanken ohne Worte, Gedanken, die sich so schwer mitteilen ließen wie ein bestimmter Duft, an den man sich nur gerade eben noch erinnert, oder wie eine Farbe, von der man geträumt hat. Nach der Arbeit, wenn er bei Momo saß, erklärte er ihr seine großen Gedanken. Und da sie auf ihre besondere Art zuhörte, löste sich seine Zunge, und er fand die richtigen Worte.

 

"Siehst du, Momo", sagte er dann zum Beispiel, "es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man." Er blickte eine Weile schweigend vor sich hin, dann fuhr er fort: "Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedesmal, wenn man aufblickt, sieht man, daß es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluß ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen." Er dachte einige Zeit nach: Dann sprach er weiter: "Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muß nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten."

 

Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte: "Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein."

 

Und abermals nach einer langen Pause fuhr er fort: "Auf einmal merkt man, daß man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste." Er nickte vor sich hin und sagte abschließend: "Das ist wichtig."

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Zitat von altersuender am 18:28 - 18.November.2002

Liebe Leute,

 

heute nachmittag, auf der Rückfahrt von Eichstätt nach Salzburg, hörte ich im Radio ein Feature über die Gegenwart als jenen Punkt in der Zeit, in dem wir so eigentlich leben.

 

Da irrte meine Aufmerksamkeit etwas ab. Ich begann mich zu fragen, was denn die
Zeit
eigentlich sei?

 

Ist sie wie die Materie 'Kind' des Big Bang? Ist sie eine Eigenschaft der Materie? Klebt sie an den Atomen und Molekülen fest? Gesetzt den Fall, ich könnte Materie ein für allemal vernichten, vernichte ich dann nicht auch Zeit? Gesetzt weiter, ich vernichtete bis auf ein Atom sämtliche Materie im Universum, vernichtete ich dann auch entsprechend viel Zeit? Oder ist die Zeit immer gleich 'groß'? Und wenn am Ende alle Bewegung und Änderung im Universum erlischt, ist dann auch die Zeit erloschen? Oder existiert sie, nun nicht mehr beobachtbar, einfach weiter? Oder ist Zeit nur Einbildung, ein Konstrukt menschlichen Geistes? Verstreicht sie gar nicht, die Zeit? Können wir daher weder zuviel, noch zuwenig haben?

 

 

Was ist Zeit?


Hallo Erich as,

 

könnte jetzt ja Links zu pseudoSites machen:

http://www.wissenschaft.de/sixcms/detail.php?id=134369

 

http://www.wissenschaft.de/sixcms/detail.php?id=134688

 

und machte ich;-))

 

Tja, was ist Zeit, wenn man sie noch hat:

 

Zeit ist etwas was wir (?, besser ich, weil ich weiss ja, das ich Zeit erlebe) erleben.

 

Materie und Raum hängen wohl irgendwie zusammen,

und mit der Erfahrung der Zeit kann ich in Ihnen handeln.

 

Es ist eine Möglichkeit.

Was wir oder ich daraus machen,

steht auf einem anderen Blatt.

 

 

(Geändert von pmn um 11:56 - 20.November.2002)

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Zitat von altersuender am 23:40 - 19.November.2002

Hm, tiefsinniger Text, Robert, muss ich mal länger darüber nachdenken.

 

Aus den anderen Beiträgen, vor allem von Caveman und Lichtlein, ergeben sich für mich aber andere Fragen:

 

1) wenn der Urknall aus einen Nullpunkt heraus erfolgte, der seinerseits keine Ausdehnung kennt, woher dann die Materie? Und davon ist doch, ebenso wie von der Energie, eine nicht geringe Menge vorhanden. Im Volksmund sagt man, dass aus Nichts nichts kommt.

 

Wenn aus Nichts nichts kommt, woher kommt dann unser Etwas?

 

2) Woher weiss man, dass die Zeit eine Eigenschaft des Raums bzw. der Materie ist - und nicht umgekehrt?


 

Hallo Erich,

 

Zu (1)

Als Mensch kann man sich schwer vorstellen, dass man (beliebig viele) Materie an einem nulldimensionalen Punkt ohne Ausdehnung stapeln kann. Aber es geht, Black Holes sind die besten - immer noch existierenden Beispiele dafür (der Kern unserer Galaxis hat ein großes).

 

Um beim Big Bang zu bleiben, möchte ich aber das Wort "Energie" statt Materie vorziehen (auch wenn man beide Begriffe in einen Topf werfen kann). Lassen wir erst einmal das Warum der Explosion des Big Bangs weg.

 

Wir haben einen nulldimensionalen Punkt voll mit einer immensen Menge von Energie. Wie eine Bombe explodiert er, er expandiert. Raum entsteht durch die Expansion, Zeit entsteht. Die Energiedichte kurz nach dem Big Bang ist auf dem kleinen Raum natürlich unwahrscheinlich hoch. Energiedichte ist gleich Temperatur, die Schätzungen gehen auf eine Temperatur kurz nach dem Big Bang auf ca. 10^34 (!)Grad Celsius. Dies ist eine Temperatur, bei der Materie gar nicht existieren kann. Die Energie bleibt (vorerst) Energie bei einer unvorstellbaren hohen Temperatur.

 

Die Expansion schreitet fort. Da die Energiemenge gleich bleibt, der Raum aber größer wird, nimmt die Energiedichte mit der Expansion ab, das noch junge Universum kühlt sich langsam ab. Der Prozeß schreitet soweit fort, dass die Energiedichte/Temperatur soweit abnimmt, dass beim Aufprall von Energieteilchen Materie und Antimaterie entstehen kann.

 

Materie und Antimaterie verhalten sich spiegelbildlich und wandeln sich komplett in Energie um, wenn sie wieder aufeinanderprallen. Im Prinzip hätte dieses Pingpong Spiel (Energie -> Materie/Antimaterie -> Energie) endlos weitergehen müssen, aber es gibt einige wenige Eigenschaften bei Materie/Antimaterie, die nicht spiegelbildlich sind, es bleibt kurioserweise mehr Materie als Antimaterie übrig, der Rest bleibt Energie (die sich wieder in Materie/Antimaterie verwandeln kann, wenn sie kollidiert).

 

Die ersten (subatomaren) Materieteilchen entstehen. Je weiter das Universum expandiert, desto kühler wird es. Je kühler es wird, desto stabiler kann Materie werden. Nachdem die Temperaturen unter 100-200 Millionen Grad Celsius gesunken sind, bildet sich Plasma, eine Suppe aus allen atomaren Bestandteilen, aber noch zu heiß, um Atome zu werden. Diesen vierten Aggregatzustand von Materie, Plasma, erzeugt man übrigens schon künstlich in den ersten Fusionsreaktoren und alle Sonne machen dies unaufhörlich.

 

Als es durch die Expansion noch kälter wurde, kann sich das Plasma zu Atomen formen. Aber nur die einfachen: Wasserstoff und Helium. Nachdem durch die immer niedriger werdende Energiedichte die Materie/Antimaterieraktionen immer weniger werden, bleibt eine Wolke aus Wasserstoff, Helium und Energie (Photonen) über. Diese dünnt sich durch die Expansion ebenfalls aus (gleiche Masse auf mehr Raum), fängt aber an, durch die eigenen Gravitationskräfte an vielen Stellen zu verklumpen. Sonnen bilden sich in den Klumpen, aus denen Galaxien und Galaxiencluster werden.

 

Die Sonnen bilden sich allein aus Gravitationskraft der Gase. Bei genügend großem Druck und Massedichte initiiert sich der Fusionsprozess in einer Sonne selbst. Die allerersten ersten Sonnen im Universum waren riesig, bestanden nur - wie gesagt - aus Wasserstoff und Helium - und fusionierten wie in einem Strohfeuer in kürzester Zeit (wenige Millionen Jahre) ihre Materie zu neuer, atomar komplexere Materie, wie Kohlenstoff oder Sauerstoff. Als sie ausbrannte und als Supernovae explodierten, streuten sie diese Materie durchs All.

 

Die zweite Generation von Sternen nahm neben Wasserstoff und Helium auch die Asche, den "Dreck" der ersten Generation mit in ihren Fusionsprozess auf. So entstanden durch Fusion in Sonnen nach und nach alle höheren Elemente.

 

Bildlich gesprochen bestehen wir Menschen also aus "Sternenstaub". Der Kohlenstoff in unseren Knochen ist die Asche einer fernen explodierten Sonne...

 

Übrigens ist unser Universum immer noch nicht vollständig erkaltet. Die 0 Grad Kelvin, die niedrigste mögliche Temperatur findest Du so nicht im Universum, dieses hat eine durchschnittliche Temperatur von 3 Grad Kelvin, die Restwärme vom Urknall. Diese kann man - vor allem im Mikrowellenbereich - sehr gut untersuchen und die Ergebnisse und Struktur dieser Strahlung deckt sich in allen Punkten mit der Big Bang Theorie.

 

Übrigens würde alle im Universum vorhandene Materie und Energie nicht ausreichen, um ein Liter Vakuum auf die beim Urknall vorhandenen 10^34 Grad zu bringen. Die gesamte Sternenpracht von Milliarden von Galaxien sind quasi nur klägliche Überreste einer wirklich gigantischen Explosion.

 

Zu (2):

Das ist das Problem, dass wir Menschen Zeit als so eigenständig und vollkommen losgelöst von allem sehen. Wir haben deshalb Probleme, Zeit nur als Eigenschaft, als veränderliche Größe von etwas anderem zu sehen.

 

Das Materie und nicht die Zeit das entscheidende Kriterium ist, sieht man daran, dass sich die Zeit je nach Beschaffenheit von Raum und Geschwindigkeit von Materie ändert, während die Materie z.B. gleich bleibt. Zeit ist nicht überall gleich schnell, Zeit unterwirft sich den lokalen Gegebenheiten von Raum und Materie.

 

Man kann dies auch hervorragend beobachten, wie man bei Buttersäure den Gestank beobachten kann, wenn man die Flasche öffnet. Bildet hier der Gestank die Buttersäure oder die Buttersäure den Gestank?

 

Nachtrag:

 

Roberts Text ist aus philosophischer Sicht durchaus lesenswert und nett zum Nachdenken. Ich möchte aber erwähnen, dass die angebliche "Trinität" der Zeit (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) ein reines Produkt menschlichen Geistes ist. Die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden in der Physik immer fließender. Einstein zufolge handelt es sich bei dieser Trennung ohnehin nur um "eine - wenngleich hartnäckige - Illusion".

 

Auf quantenmechanischer Ebene können Partikel durchaus durch die Zeit springen, auf der selben Ebene können Vorgänge wie Ursache -> Wirkung gleichzeitig, ohne jeglichen Zeitverlust geschehen, was durchaus logische Kopfschmerzen bereiten kann und auch die Zeit selbst scheint gewissen quantenmechanischen Regeln unterworfen zu sein, so wird die Vermutung in der Physik immer größer, dass es ein allerkleinstes Zeitintervall gibt, welches man nicht weiter unterteilen kann. Die Zeit scheint nicht zu fließen sondern ähnlich wie bei einem Trickfilm von Einzelbild zu Einzelbild zu hüpfen.

 

Auch das die Zeit die Richtung Vergangenheit -> Gegenwart -> Zukunft nimmt, ist nach Hawkins' Meinung nicht zwangsläufig. Aus seiner Sicht könnte die Zeit bei Einhaltung der physikalischen Gesetze sich durchaus in die entgegengesetzte Richtung bewegen. Die Entropie macht aber die uns bekannte Richtung "einfacher".

 

 

Zu dem allerobergroßen "Warum":

Die Fragen, die offen bleiben, sind natürlich: Wo kommt dieser Energiepunkt her und was hat ihn zum explodieren gebracht?

 

Wie man sieht, schließt der Big Bang den Gedanken einer göttlichen/künstlichen Schöpfung per se nicht aus, die Wissenschaftler gehen aber erst einmal den "normalen" Weg. Dieser ist aber sehr schwierig zu beschreiten, da der Ursprung/die Ursache "außerhalb" unseres Universum zu suchen ist. "Außerhalb" in Anführungszeichen, weil es eigentlich kein "außen" gibt, aber dabei lasse ich es bewenden, ansonsten gibt es akutes Hirnkräuseln.

 

Man ist inzwischen immer mehr der Meinung, dass es mehr als ein Universum geben könnte, die "nacheinander" oder "nebenher" (wie "nacheinander", wenn Zeit Bestandteil unseres Universums ist und daher nicht als Maßeinheit für andere dienen kann? Aber egal) existieren. Diese sind eingebettet im sog. "Sitterschen Raum" (ja, ja, Physiker sind auch eitel), der - das ist des Rätsels Lösung - vollgepumpt mit Energie ist und die Universen quasi Blasen in diesem Raum sind, die ihre Energie beim Big Bang aus diesem Raum entnommen haben. Bildlich kann man sich das vielleicht so vorstellen, wie eine Kohlensäureblase in einem Sektglas entsteht.

 

Und worin ist der Sittersche Raum eingebettet? Das weiß man nicht. Dessen Existenz ist auch nur Vermutung, auf dem Papier klappt das ganz gut, ob es aber in Wirklichkeit auch so ist, ist immer noch eine Frage. Dies wird auch extrem schwer werden zu beweisen, weil man schlecht Messungen "außerhalb" unseres Universums durchführen kann. In jüngster Zeit zeigen Modelle von Hawkins, dass alleine Gravitation die Grenzen von Universen durchbrechen könnten, nach ihm wäre es vielleicht möglich, Gravitationskräfte eines anderen Universums in unseren eigenen zu messen. Aber dies ist z.Zt. jenseits allem machbaren...

 

Das "Warum" klärt sich eigentlich erst mit dem "Woher". Wenn der Sittersche Raum existiert, könnte es eine natürliche Unausgeglichenheit Auslöser gewesen sein, so wie beim Sektglas Temperatur- und Druckunterschiede, die zur Bildung einer Kohlensäureblase führen.

 

Die Existenz multipler Universen, eingebettet in einem Multiversum (Um mal einen Begriff von Pratchett zu benutzen) ist deswegen interessant, weil es einige wichtige Fragen lösen könnte: Warum ist unser Universum genauso, wie wir es sehen? Alle physikalischen Konstanten sind perfekt aufeinander abgestimmt, würde auch nur eine etwas anders sein, wäre Fusion nicht möglich, damit keine Sterne oder die Kernkräfte der Atome wären außer Rand und Band, keinerlei chemische Reaktionen wären möglich. Unser Universum ist wie ein Sechser im Lotto.

 

Nun, wir können das Universum nur so sehen, wie wir es sehen. Wäre es anders, würden wir es halt entsprechend anders sehen (und uns trotzdem die selbe Frage stellen).

 

Und gibt es andere Universum, in allen Formen und Schattierungen, wie man so schön sagt, dann ist auch die Wahrscheinlichkeit mit dem "Sechser" geklärt. "Wir" waren die glücklichen, "die anderen" haben eventuell Pech gehabt. Und warum ausgerechnet wir? Wenn nicht bei uns, dann würden wir gar nicht existieren und könnten diese Frage erst gar nicht stellen (antropromorphisches Prinzip).

 

Es gibt übrigens einen riesen Haufen an Internetseiten zu diesen Themen, von denen sich viele lesen wie ein spannender Krimi. Google doch einfach mal...

 

(Geändert von CavemanHamburg um 13:05 - 20.November.2002)

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Wer des Englischen mächtig ist, kann sich bei Fragen an die Datenbank des englischen ScienceNets wenden: http://www.sciencenet.org.uk

 

ScienceNet ist eine Einrichtung, die ich in Deutschland schmerzlich vermisse. Angefangen haben sie mit einer gebührenfreien(!) Telefonhotline, bei der man einfach anrufen und eine wissenschaftliche Frage stellen konnte. Wenn also die Kinder drängend fragen, wie die Löcher in den Käse kommen oder warum das Universum nicht unendlich groß ist, kann der Brite einfach zum Telefon greifen oder inzwischen sich des Mediums Internet bedienen. Das finde ich doch endlich mal eine positive Aktion gegen Volksverdummung.

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Zitat von Alzi am 6:25 - 20.November.2002

Das Gedicht gefällt mir, kennst Du den Autor, altersünder?

Ich bilde mir ein, es schon einmal gelesen zu haben.


 

Dass Dir das Gedicht gefällt, spricht für Deinen Geschmack (eine unpublizierte Jugendsünde)

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