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Über die Verantwortung derer, die „schweigen“


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Hier möchte ich einen erschütterten Bericht über den kürzlich nach Öffnung der vatikanischen Archive entdeckten Brief von Edith Stein den sie schon im !!April 1933!! an Papst Pius XI. schrieb posten um den weit verbreiteten Beteuerungen (leider auch aus Kreisen der Kirche) "man hätte von dem alles nichts gewußt was die Nazis mit den Juden gemacht haben" entgegenzutreten.

 

 

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Über die Verantwortung derer, die „schweigen“

Ein sechzig Jahre alter Brief beschäftigt die deutsche Öffentlichkeit: Das prophetische Schreiben der Judenchristin Edith Stein an Papst Pius XI.

"Die Tagespost" Nr.26 vom 04.03.03

Von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

 

Erlangen (DT) Vor wenigen Tagen, am 17. Februar 2003, wurde der Wortlaut eines Briefes der Judenchristin und seit 1998 heiliggesprochenen Edith Stein bekannt, von dessen Existenz man seit langem wusste, der aber wegen der Geheimhaltung der Vatikanischen Archive erst jetzt mit deren Öffnung zugänglich wurde. Es handelt sich um ein undatiertes Schreiben an Pius XI., vermutlich vom 12. April 1933, das dem Papst persönlich durch Erzabt Raphael Walzer aus Beuron, Edith Steins geistlichen Berater, Ende April 1933 übergeben wurde.

Taten, die Gerechtigkeit und Menschlichkeit Hohn sprechen

Was den Brief so brisant macht, dass er in den großen deutschen Tageszeitungen wie der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Welt“ abgedruckt und kommentiert wurde, sind die außergewöhnliche Hellsichtigkeit und der prophetische Charakter, der ihm – noch ganz am Anfang der katastrophalen und verbrecherischen Aktivitäten des Regimes – bereits eignet, sowie das Stichwort von der Verantwortung derer, die dazu „schweigen“. Liefert Edith Stein Wasser auf die Mühle Rolf Hochhuths? Aus der Aufregung um den Brief sieht man, wie blank die Nerven noch oder erst nach sechzig Jahren in Deutschland liegen, ja, offensichtlich vertieft der geschichtliche Abstand sogar die Anstrengung eines gerechten Urteils.

Analysieren wir den Brief genauer. Nur zehn Wochen nach der „Machtergreifung“ Hitlers am 30. Januar 1933 schreibt Edith Stein darin von „Taten [...], die jeder Gerechtigkeit und Menschlichkeit – von Nächstenliebe gar nicht zu reden – Hohn sprechen“, von „Judenhass“ und „Ausschreitungen“, von „Verzweiflung“, die bereits in ihrer privaten Umgebung zu „fünf Fälle(n) von Selbstmord infolge dieser Anfeindungen“ geführt hätten. Dies lässt sich tatsächlich in der genannten kurzen Zeitspanne belegen: Nach dem „Ermächtigungsgesetz“ vom 23. März 1933, das den Reichskanzler praktisch zum Alleingesetzgeber machte, war am 1. April 1933 ein erster „Abwehr-Boykott gegen sämtliche jüdischen Geschäfte“ in Gang gesetzt worden; er äußerte sich bereits, von allen Schikanen abgesehen, in tätlicher Gewalt.

Das Geschäft von Mutter Auguste Stein in Breslau, Holz- und Kohlenhandel, war trotz der Hochachtung ihrer Kunden gleichfalls betroffen. Edith Stein schreibt an ihre Freundin, Con-Philosophin und Taufpatin Hedwig Conrad-Martius am 5. April 1933 aus Münster: „Meine Lieben in Breslau sind natürlich sehr erregt und bedrückt. An unserem Geschäft macht es leider seit langem nicht viel Unterschied, ob es geöffnet ist oder nicht. Auch mein Schwager [der Mann der Schwester Erna] erwartet täglich seine Entlassung (Oberarzt an der Universitäts-Hautklinik). Kuznitzky [ein Jugendfreund] hat seine Stellung als Chef der Hautstation eines Städt. Krankenhauses bereits verloren. Jeder Brief enthält neue schlimme Nachrichten. Meinen Angehörigen in Hamburg scheint noch nichts geschehen zu sein. Mir persönlich wird von allen Seiten versichert, dass ich für meine Stellung nichts zu fürchten habe“ (Br. 250).

Eben dies hatte sich zwei Tage später bereits als falsch erwiesen: Am 7. April 1933 wurde das „Gesetz zur Wiederherstellung des deutschen Berufsbeamtentums“ erlassen, das jüdischen Beamten die Stellung entzog. Edith Stein als damalige Dozentin am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik in Münster war ebenfalls davon betroffen und ging „freiwillig“ vor dem Sommersemester, bevor sie dazu gezwungen wurde, obwohl sie mit der Ausarbeitung ihrer Vorlesung („Was ist der Mensch?“) bereits begonnen hatte.

Der Brief an Pius XI. ist noch mit „Dozentin“ unterzeichnet – übrigens der einzige Beruf, der der Meisterschülerin und Assistentin Husserls je gerecht geworden war; immerhin hatten sich vier Habilitationsversuche seit 1918 zerschlagen, und so war es für die Jahre 1923 bis 1931 beim Beruf einer Lehrerin für Deutsch und Geschichte in Speyer geblieben. Das eine kurze Jahr in Münster, das nach einer endlich adäquaten Tätigkeit aussah, war eben mit dem 7. April 1933 schon beendet.

Eine Regierung, die sich „christlich“ nennt

Zurück zu dem drängenden Brief vom 12. April. Die erste Passage nennt eben jene Ausschreitungen, den Ist-Zustand – entscheidend sind aber die folgenden Passagen 2 und 3, die zwei verschiedene Gedanken, hellsichtig und bitter, formulieren. Die mittlere Passage kommt zur eigentlichen Bitte, die Maske einer sich selbst so bezeichnenden „christlichen“ Regierung zu entlarven, nämlich dass „die Kirche Christi ihre Stimme erhebe, um diesem Missbrauch des Namens Christi Einhalt zu tun“. Auch den Spätgeborenen ist ja im Ohr, wie häufig Hitler die Worte „Herrgott“ und „Vorsehung“ im Munde führte und wie er sich anfangs – zur Täuschung der Bischöfe – auch auf die Katholiken wie Protestanten als „wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums“ berief.

Die Konvertitin aus dem Judentum sah wohl aus der eigenen Betroffenheit weit klarer: „Ist nicht diese Vergötzung der Rasse und der Staatsgewalt, die täglich durch Rundfunk den Massen eingehämmert wird, eine offene Häresie? Ist nicht das jüdische Blut eine Schmähung der allerheiligsten Menschheit unseres Erlösers, der allerseligsten Jungfrau und der Apostel? Steht nicht dies alles im äußersten Gegensatz zum Verhalten unseres Herrn und Heilands, der noch am Kreuz für seine Verfolger betete? Und ist es nicht ein schwarzer Flecken in der Chronik dieses Heiligen Jahres, das ein Jahr des Friedens und der Versöhnung werden sollte?“

Liest man diese Passage aufmerksam, so schließt die dritte und letzte unmittelbar an: Edith Stein sieht das Schicksal der Juden und das künftige Schicksal der Christen beziehungsweise der Katholiken unter derselben Bedrohung: „Der Kampf gegen den Katholizismus wird vorläufig noch in der Stille und in weniger brutalen Formen geführt wie gegen das Judentum, aber nicht weniger systematisch. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird in Deutschland kein Katholik mehr ein Amt haben, wenn er sich nicht dem neuen Kurs bedingungslos verschreibt.“

Sofern dieser Brief – noch einmal sei es gesagt: ganz am Anfang einer mörderischen Entwicklung – eine Enzyklika anzuregen gedachte (wie Edith Stein später autobiographisch in dem kleinen Essay „Wie ich in den Kölner Karmel kam“ schrieb), dann war es eine Enzyklika nicht einzig gegen die Judenverfolgung, sondern gegen die Schmähung des Namens Jesu Christi, die Schmähung Gottes selbst, die Juden und Christen in einer elementaren Bedrohung verband und sie auf lange Sicht gemeinsam in die Auslöschung trieb. Dass diese Auslöschung in den zwölf diabolischen Jahren zumeist und zuvorderst die Juden erreichte, war der erste grauenhafte Schritt. Zum zweiten, der Auslöschung des Christentums, kam es nur teilweise – der Krieg ging verloren. Wir wissen aus Hitlers Tischreden, wie er dieses Thema in den vierziger Jahren jedoch unverhohlen anschnitt. Zu der Schmähung des Namens Christi, in der Juden und Christen gleichermaßen getroffen sind, Stellung zu beziehen, dazu forderte Edith Stein den Papst auf, nicht zu einem Sonderprotest zugunsten von Juden oder Christen. Vielleicht erweist sich Edith Stein damit in der Tat nochmals als die Patronin Europas, als die Brücke zwischen den biblischen und leider lange verfeindeten Brüdern, Juden und Christen – eine Patronin, die bis heute noch zu wenig, nach beiden Seiten hin, als Brücke vermittelt ist.

 

 

 

Was jeder sieht: Die Saat des Hasses ist aufgegangen

„Eine Schmähung der allerheiligsten Menschheit unseres Erlösers“ – Im Wortlaut der Brief Edith Steins vom 20. April 1933

"Die Tagespost" Nr.26 vom 04.03.03

(handschriftlich) Dr. Editha Stein Dozentin am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik Münster i.W. Collegium Marianum

 

Im Folgenden der Brief Edith Steins an Papst Pius XI. vom 20. April 1933, wie er vor kurzem von den Vatikanischen Archiven freigegeben wurde:

Heiliger Vater! Als ein Kind des jüdischen Volkes, das durch Gottes Gnade seit elf Jahren ein Kind der katholischen Kirche ist, wage ich es, vor dem Vater der Christenheit auszusprechen, was Millionen von Deutschen bedrückt.

Seit Wochen sehen wir in Deutschland Taten geschehen, die jeder Gerechtigkeit und Menschlichkeit – von Nächstenliebe gar nicht zu reden – Hohn sprechen. Jahre hindurch haben die nationalsozialistischen Führer den Judenhass gepredigt. Nachdem sie jetzt die Regierungsgewalt in ihre Hände gebracht und ihre Anhängerschaft – darunter nachweislich verbrecherische Elemente – bewaffnet hatten, ist diese Saat des Hasses aufgegangen. Dass Ausschreitungen vorgekommen sind, wurde noch vor kurzem von der Regierung zugegeben. In welchem Umfang, davon können wir uns kein Bild machen, weil die öffentliche Meinung geknebelt ist. Aber nach dem zu urteilen, was mir durch persönliche Beziehungen bekannt geworden ist, handelt es sich keineswegs um vereinzelte Ausnahmefälle. Unter dem Druck der Auslandsstimmen ist die Regierung zu „milderen“ Methoden übergegangen. Sie hat die Parole ausgegeben, es solle „keinem Juden ein Haar gekrümmt werden“. Aber sie treibt durch ihre Boykotterklärung – dadurch, dass sie den Menschen wirtschaftliche Existenz, bürgerliche Ehre und ihr Vaterland nimmt – viele zur Verzweiflung: es sind mir in der letzten Woche durch private Nachrichten 5 Fälle von Selbstmord infolge dieser Anfeindungen bekannt geworden. Ich bin überzeugt, dass es sich um eine allgemeine Erscheinung handelt, die noch viele Opfer fordern wird. Man mag bedauern, dass die Unglücklichen nicht mehr inneren Halt haben, um ihr Schicksal zu tragen. Aber die Verantwortung fällt doch zum großen Teil auf die, die sie so weit brachten. Und sie fällt auch auf die, die dazu schweigen.

Alles, was geschehen ist und noch täglich geschieht, geht von einer Regierung aus, die sich „christlich“ nennt. Seit Wochen warten und hoffen nicht nur die Juden, sondern Tausende treuer Katholiken in Deutschland – und ich denke, in der ganzen Welt – darauf, dass die Kirche Christi ihre Stimme erhebe, um diesem Missbrauch des Namens Christi Einhalt zu tun. Ist nicht diese Vergötzung der Rasse und der Staatsgewalt, die täglich durch Rundfunk den Massen eingehämmert wird, eine offene Häresie? Ist nicht der Vernichtungskampf gegen das jüdische Blut eine Schmähung der allerheiligsten Menschheit unseres Erlösers, der allerseligsten Jungfrau und der Apostel? Steht nicht dies alles im äußersten Gegensatz zum Verhalten unseres Herrn und Heilands, der noch am Kreuz für seine Verfolger betete? Und ist es nicht ein schwarzer Flecken in der Chronik dieses Heiligen Jahres, das ein Jahr des Friedens und der Versöhnung werden sollte?

Wir alle, die wir treue Kinder der Kirche sind und die Verhältnisse in Deutschland mit offenen Augen betrachten, fürchten das Schlimmste für das Ansehen der Kirche, wenn das Schweigen noch länger anhält. Wir sind der Überzeugung, dass dieses Schweigen nicht imstande sein wird, auf die Dauer den Frieden mit der gegenwärtigen deutschen Regierung zu erkaufen. Der Kampf gegen den Katholizismus wird vorläufig noch in der Stille und in weniger brutalen Formen geführt wie gegen das Judentum, aber nicht weniger systematisch. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird in Deutschland kein Katholik mehr ein Amt haben, wenn er sich nicht dem neuen Kurs bedingungslos verschreibt.

Zu Füssen Eurer Heiligkeit, um den Apostolischen Segen bittend

 

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