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Das Urevangelium und Marcion


Flo77

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Unsere Freunde von der reformatorischen Front erfreuen die Bibelwissenschaft mit neuen Thesen:

 

http://www.welt.de/geschichte/article144256134/Aeltestes-Evangelium-aus-Ketzer-Bibel-rekonstruiert.html

 

 

Wie ernst ist die These bzw. ihre Vertreter zu nehmen?

 

(Und wo finde ich eine Volksausgabe dieses Urevangeliums ohne gleich 200 Euro ausgeben zu müssen?)

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Ich weiss es nicht. Nachdem die DFG dieses Klinghardt-Projekt aber seit 2007 gefördert hat (in welchem Umfang kann ich im Moment nicht sagen), dürfte es schwerlich als unseriös abzuqualifizieren sein.

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Habe ich den Artikel denn richtig verstanden, daß Tertullian und Marcion sich auf den gleichen Text beriefen und Marcions Interpretation schlicht als Fehlleistung gewertet werden muss? Oder sind die kanonischen Evangelien echte Verfälschungen des Urtextes?

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Alle haben interpretiert, und jede Seite hat versucht, ihrer Version der "Wahrheit" mit allen Mitteln, auch unlauteren, zum Sieg zu verhelfen.

Ich glaube nicht, dass da die einen die "Wahrheit" vertraten und die anderen "Fehlleistung" oder "Verfälschung" betrieben.

die Einzelheiten lassen sich heute nicht mehr wirklich nachvollziehen, dass aber auch die "heiligen Kirchenväter" bei der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlich waren, ist ja bekannt.

Wenn nun Marcions Schriften aufgrund der Gründlichkeit der "orthodoxen" Seite weitgehend verloren sind, macht das die Sache nicht einfacher. Ich würde sogar soweit gehen, dass man die z. B. von Tertullian zitierten Marcionstellen nicht unbedingt für bare Münze nehmen muss, Damals wurde einem Gegner auch gern mal etwas angedichtet, was er so gar nicht vertreten hat, 7. Gebot hin oder her (Nestorius ist da ein Beispiel)

 

Werner

bearbeitet von Werner001
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Habe ich den Artikel denn richtig verstanden, daß Tertullian und Marcion sich auf den gleichen Text beriefen und Marcions Interpretation schlicht als Fehlleistung gewertet werden muss? Oder sind die kanonischen Evangelien echte Verfälschungen des Urtextes?

Soweit ich das verstanden habe, und das ist schwer nur aufgrund eines Zeitungsartikels, hat Tertullian, der bei Tode Marcions erst 10 Jahre alt war, Marcion vorgeworfen, der hätte die Evangelien "verstümmelt", also sich nur das rausgesucht, war ihm in den Kram paßte. Es scheint nun das Gegenteil der Fall zu sein. Aber was ist hier das Gegenteil? Wenn Marcion die Evangelien nicht "verstümmelt" hat, weil sie noch gar nicht existierten, wenn er sich einfach nur auf ein Evangelium berief, das schon existierte, dann haben offenbar die Orthodoxen diesem Ur-Evangelium vieles hinzugefügt und daraus dann die späteren vier kanoischen Evangelien gemacht. Aus dieser späteren Sicht, verbunden mit der Behauptung, diese vier Evangelien seien die "eigentlichen", erscheint dann Marcions Evangelium als "Verstümmelung". Marcion war offenbar mit seinem "Neuen Testament" so erfolgreich, daß die Orthodoxen dem einen eigenen Kanon entgegensetzen, seine Gemeinden bekämpfen und deren Zeugnisse und Schriften beseitigen mußten, und Tertullians Vorwurf an Marcion notwendig und verständlich, auch wenn er die Tatsachen in ihr Gegenteil verkehrt.

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Habe ich den Artikel denn richtig verstanden, daß Tertullian und Marcion sich auf den gleichen Text beriefen und Marcions Interpretation schlicht als Fehlleistung gewertet werden muss? Oder sind die kanonischen Evangelien echte Verfälschungen des Urtextes?

 

Das ist jedenfalls nicht das, was Klinghardt sagt.

 

http://www.narr.de/service/fuer-die-presse/presse-archiv/164-autoreninterview-zu-das-aelteste-evangelium-von-matthias-klinghardt

 

https://tu-dresden.de/aktuelles/newsarchiv/2015/4/evangelium

bearbeitet von Julius
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Sind denn die Inhalte des angeblichen Ur-Evangeliums so bahnbrechend anders als die hinlänglich bekannten Texte?

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Sind denn die Inhalte des angeblichen Ur-Evangeliums so bahnbrechend anders als die hinlänglich bekannten Texte?

Ich denke, der Punkt liegt woanders.

Die fromme Legende sieht ja so aus: Von den Aposteln getreu überliefert wurden die Evangelien, die wir heute kennen. Dann kamen böswillige Häretiker wie Markion und verfälschten hinterlistig diese Evangelien. In heldenhaftem Kampf gegen die bösen Häretiker haben die rechtgläubigen Väter unter großen Entbehrungen und mit Hilfe des Heiligen Geistes verhindert, dass sich die häretische Lüge gegen die überlieferte Wahrheit durchsetzen konnte.

 

In der Realität war es halt doch ein wenig anders. Es gab Überlieferungen, und verschiedene Leute zogen unterschiedliche Schlüsse daraus. Und ein Ergebnis dieses Prozesses sind unsere heutigen Evangelien, ein anderes Markions Lehren.

 

Werner

(ja, ich weiß, das ist etwas vereinfacht, aber bringt es mMn auf den Punkt)

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Habe ich den Artikel denn richtig verstanden, daß Tertullian und Marcion sich auf den gleichen Text beriefen und Marcions Interpretation schlicht als Fehlleistung gewertet werden muss? Oder sind die kanonischen Evangelien echte Verfälschungen des Urtextes?

 

Nee, ich verstehe das so:

 

Marcion benutzte eine Urform des Evangeliums. Diese wurde zu einer wichtigen Quelle für andere Evangelienredaktionen (Lk, Mt). Tertullian wiederum benutzte eine Urform von Lk, weshalb ihm das Evangelium, das Marcion benutzte, unvollständig vorkam. Seine Interpretation: Marcion hat Lk verstümmelt und nur das rausgenommen, was ihm passte. Die Interpretation von Klinghardt: Marcion kannte Lk noch gar nicht, sondern Lk ist durch eine Erweiterung des Marcionschen Ur-Evangeliums entstanden.

 

Die These, dass Marcion ein 'Urevangelium' verwendete, das den anderen Synoptikern vorgeordnet ist, ist in der Forschung so neu gar nicht. Allerdings ist mir nicht klar, was zum Beispiel dieses angenommene Marcionitische Urevangelium von dem unterscheidet, was die Forschung bisher als 'Q' angenommen hat.

 

 

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Allerdings ist mir nicht klar, was zum Beispiel dieses angenommene Marcionitische Urevangelium von dem unterscheidet, was die Forschung bisher als 'Q' angenommen hat.

Inhaltlich? Weiß ich nicht. Sonst? Nun, daß es ein Marcionisches Evangelium gegeben hat, wird nicht bezweifelt, während "Q" eine reine Hypothese ist.

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Evangelist Lukas

Allerdings ist mir nicht klar, was zum Beispiel dieses angenommene Marcionitische Urevangelium von dem unterscheidet, was die Forschung bisher als 'Q' angenommen hat.

Da gehe ich noch ein Schritt weiter und frage: Was die Forschung bisher als 'Q' angenommen hat, weiß jemand genauer?

Eine sachliche Antwort wurde mich wirklich feuen!

 

Stellt diese spekulative "Quelle" nicht den gleichen Inhalt, wie das Urevangelium da?

Oder ist sie, die Q-Quelle, die welche Spruche darstellen sollten?

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Evangelist Lukas

Unsere Freunde von der reformatorischen Front erfreuen die Bibelwissenschaft mit neuen Thesen:

 

http://www.welt.de/geschichte/article144256134/Aeltestes-Evangelium-aus-Ketzer-Bibel-rekonstruiert.html

 

Wie ernst ist die These bzw. ihre Vertreter zu nehmen?

 

(Und wo finde ich eine Volksausgabe dieses Urevangeliums ohne gleich 200 Euro ausgeben zu müssen?)

Diese Thesen sind genau so "neu", wie Christentum selbst. Die Thesen aus dem vorgelegten Artikel scheinen ehe nach "Sensation" ausgerichtet, die keine ist. Das Buch von Matthias Klinghardt kann kaum eine "Rekonstruktion" beinhalten. Denn Tertullian oder Irenäus, die "beste Freunde Marions", bieten nicht so viel aus dem Urevangelium zu erfahren, als allgemein behauptet wird. Folgend jeder, der nicht faul ist, kann selber aus noch verfügbaren Werken darüber sich überzeugen.

 

Lange vor die zwei schönen (Irenäus und Tertullian, die so viel Hass gegenüber anderen in sich trugen), Papias von Hierapolis um etwa 120 unsere Zeitrechung verfasste sogar fünf Bücher "Der Darstellung der Herrn Wörter", die nur in Bruchstücken über Zitaten anderen Schriftsteller uns erreichten. Wie man sehen kann, solche "Diener" Jesu, wie Irenäus, hatten ersichtlich kein Interesse auf Erhaltung diese Wörter. Sonst wurden diese Bücher von Papias genau so erhalten geblieben, wie Schimpferei und Märchen des Tertullian über Marcion. Folgend kannst du über das Urevangelium (an sich) nachlesen.

bearbeitet von Evangelist Lukas
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Oberflächlich gesehen scheint die Klinghardt-Theorie sehr plausibel. Man müsste sich die Texte im Detail anschauen, ob man das Lukas-Evangelium wirklich so sezieren kann, dass man einen Urtext und einen ergänzten Text, der sich auch sprachlich unterscheidet, herausarbeiten könnte.

 

Mich beschäftigt die These, dass, wenn Klinghardt Recht hätte, die Quelle Q überflüssig wäre bzw. gleichzusetzen mit dem Ur-Lukas.
Wenn dem so ist, dann dürfte es ja keine Bibelstellen geben, die nur in Matthäus und Markus vorkommen. Beim Überfliegen der Passionsgeschichte in meiner Synopse sind mir aber gleich zwei solche Stellen untergekommen:

 

 

Nachdem sie (die Soldaten) so ihren Spott mit ihm getrieben hatten, nahmen sie ihm den Purpur-Mantel ab und zogen ihm seine eigenen Kleider wieder an. Dann führten sie Jesus hinaus, um ihn zu kreuzigen. (Mt 27,31; Mk 15,20)

 

Da riss der Vorhang im Tempel von oben bis unten entzwei. (Mt 27,51; Mk 15,38)

 

Die Ähnlichkeit dieser Textpassagen legt nahe, dass es einen vorliegenden Text geben musste, vom dem Matthäus und Markus abschrieben, nicht aber Lukas (Weder Ur- noch Ganz-Lukas). Es sei denn, Markus und Matthäus hätten voneinander abgeschrieben, das hat aber meines Wissens bisher noch kein Exeget behauptet.

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Ergänzend müsste man da auch die ganze Verspottungsszene dazu nehmen:

Hier kommen Teile auch bei Johannes vor, nicht aber bei Lukas:

 

Da nahmen die Soldaten des Statthalters, Jesus, führten ihn in den Palast hinein, das heißt in das Prätorium, das Amtsgebäude des Statthalters, und versammelten (riefen) die ganze Kohorte um ihn zusammen.

Sie (Die Soldaten) zogen ihn aus und Dann legten sie ihm einen Purpur-roten Mantel um[1]

und flochten (sie) einen Kranz aus Dornen; den setzten sie ihm auf und gaben ihm einen Stock in die rechte Hand. Sie fielen vor ihm auf die Knie, Sie stellten sich vor ihn hin und verhöhnten ihn, indem sie riefen (grüßten ihn und sagten): Heil dir, König der Juden!

Und sie schlugen ihm mit einem Stock auf den Kopf ins Gesicht, spuckten ihn an, nahmen ihm den Stock wieder weg und schlugen ihm damit auf den Kopf, knieten vor ihm nieder und huldigten ihm.

 


[1] Bei Johannes kommt zuerst die Dornenkrone und dann der Mantel.

bearbeitet von Udalricus
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Evangelist Lukas

Die Ähnlichkeit dieser Textpassagen legt nahe, dass es einen vorliegenden Text geben musste, vom dem Matthäus und Markus abschrieben, nicht aber Lukas (Weder Ur- noch Ganz-Lukas). Es sei denn, Markus und Matthäus hätten voneinander abgeschrieben, das hat aber meines Wissens bisher noch kein Exeget behauptet.

Wenn man einzelne Setze oder nur manche einzelnen Sprüche analysiert werden, ist schwer zu erwarten ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erreichen. Nimmt man gesamten Kontext für Analyse, man findet gemeinsame Subepisoden bei allen drei Synoptikern durchlaufend.

 

Die Subepisode "Verurteilung Jesu", geht bei Markus mit 15.15 aus, und entsprechend, mit Mk. 15, 16 folgt neue Subepisode "Die Verspottung" nach. Ebenso das Evangelium nach Matthäus schließt "Verurteilung Jesu" mit 27, 26 ab und mit 27, 27, wie auch bei Markus, fängt Subepisode "Die Verspottung" an. Lukas "verzichtet" (warum auch immer) auf die Subepisode "Die Verspottung", schließt mit 23,18-25 die "Verurteilung Jesu" und eröffnet mit 23, 26 neue Subepisode "Der Weg zur Golgatha", wie folgt:

 

Und als sie ihn wegführten, ergriffen sie einen gewissen Simon von Kyrene, der vom Felde kam, und legten das Kreuz auf ihn, um es Jesu nachzutragen.

Ebenso wie Evangelist Markus und das Evangelium nach Matthäus, folgen diese Lukas-Eröffnung:

 

Und sie zwingen einen Vorübergehenden, einen gewissen Simon von Kyrene, der vom Felde kam, den Vater Alexanders und Rufus', dass er sein Kreuz trüge.

Als sie aber hinausgingen, fanden sie einen Menschen von Kyrene, mit Namen Simon; diesen zwangen sie, dass er sein Kreuz trüge.

Solcher harmonische Verlauf der Synoptischen Evangelien kann kein Zufall sein. Alle drei hier angesprochenen Episoden zusammen, bauen einen durchlaufenden Text. Angeblichen Abschreibungen wie Mt. 27,31; Mk. 15,20 nur hervorheben Gemeinsamkeiten Synoptischen Texten.

 

Was für mich heißt, die drei Synoptischen Evangelien zusammen, bauen die lang gesuchte, so genannte Quelle-Q!

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