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@ Merkur - Meister Eckart - Gottes Wirken


Long John Silver

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@ Merkur: 

 

"In der von LJS zitierten und von Mecky dankeswerterweise verlinkten Predigt interpretiert Eckhart eine Bibelstelle in der für ihn typischen souveränen Art:

 

  Zitat

.... Gott wirkt alle seine Werke in sich selbst und aus sich selbst in einem Augenblick. Du darfst nicht glauben, Gott habe, als er Himmel und Erde und alle Dinge machte, heute eines gemacht und morgen das andre. Zwar schreibt Moses so. Er wusste es gleichwohl viel besser: er tat es nur um der Leute willen, die es nicht anders verstehen und fassen konnten. Gott tat nicht mehr dazu als das eine: er wollte und sie wurden. ...

 

Könnte man diesen, vom Wortlaut losgelösten Umgang mit der Schrift nicht auch auf das Neue Testament anwenden?"

 

https://www.mykath.de/topic/34334-historische-vs-psychologische-bibelauslegung/?do=findComment&comment=2222255

 

___________________

Sorry, ich bin nicht imstande, den Bezug jetzt anders herzustellen, ich komme mit der Software nicht klar. 

 

Es  geht nicht um allein Wortlaut, sondern um Wortsinn und zwar Wortsinn auf verschiedenen Ebenen.  Dies kann nicht voneinander  geloest sein, es verzahnt sich. Ich habe jetzt mein Buch ueber die Exegese der Genesis nicht hier zu Hand, dazu muesste ich nochmal aufstehen ;-)), aber die Abfolge der Schoepfung in einem auf einer bestimmten Ebene klar umrissenen Zeitraum traegt zunaechst dem Ordnungsprinzip Rechnung, das fuer die juedische Theologie wichtig war in Gott selbst zu sehen. Die  Auswahl der sieben Wochentage zielt auf darauf, die Schoepfung in einen plastischen Rahmen von Zeitabfolge zu schildern, der fuer Menschen ganz aktuell greifbar ist. Dass es ganz nebenbei der Tatsache Rechnung traegt, dass Schoepfung und Evolution tatsaechlich im Sein und Werden der Welt und des Kosmos eine fuer uns zeitlich messbare Abfolge haben, ist noch eine andere Ebene, die wir aber erst heute aufgrund unserer wissenschaftlichen Erkenntnise richtig verstehen. 

 

Worauf Eckart m.E. zielt, sind die unterschiedliche Ebenen von Zeit. Einmal die klar messbare Zeit, in der wir den Kosms und unser Leben wahrnehmen, die vierte Dimension, zum anderen die Ewigkeit Gottes, die in seinem Verstaendnis keine Abfolge von Zeit ist, sondern eine Art Punkt Omega, in der sich alles zusammenfasst. Ob Moses darueber nachdachte, wissen wir nicht, darueber Vermutungen anzustellen ist muessig. Wir haben den Text so vorliegen, wie ihn die Verfasser der Genesis schrieben mit bestimmter Absicht, Eckarts Bemerkung, dass sei so, damit es die Leute besser verstuenden, ist insofern richtig, als dass diese Texte in mehreren Ebenen des Wortsinns auch greifbar macht werden sollten und mussten. Es muss aber auch daran gedacht werden, dass fuer die Juden  Schoepfung keine abgeschlossene Angelegenheit war und ist, sondern eine immerwaehrende Vorgang, dass Schoepfung sich aus sich selbst heraus weitererzeugt und niemals fertig ist bis zum Ende aller Dinge. 

 

Die weitere Ebene, um die es meines Erachtens in der  Genesis geht, ist der geschilderte Eingriff Gottes in die Zeit, dieser Aspekt als Gott, der in die Geschichte eingreift und sie massiv beeinflusst, verzahnt sich ganz eng zusammen mit der  Vorstellung, dass Gott selbst zeitlos schafft und wirkt, aus sich selbst heraus.  Dieser Einbruch in die menschliche erfahrbare Zeit muss ins Wort gebracht werden, der Gott der Geschichte (zunaechst Israels) so geschildert werden, dass sein Wirken in dieser irdischen Zeit auch greifbar erklaert wird. (Wir Christen feiern diese Einbrueche Gottes in die Zeit  demnaechst an Weihnachten, dann Ostern und Pfingsten). 

 

Soweit meine etwas ungeordneten Gedanken dazu. Eckart war ein Mystiker. Ich erwaehnte ihn, weil bestimmte Passagen in seinem Text bei mir  Assoziationen erzeugten zu Dingen, die mir wichtig sind, wie Symbolsprache, Umgang mit Bibeltexten allgemein, das Wirken des Heiligen Geistes durch das Wort etc. Ich habe keinen sonderlichen Zugang zur Mystik.  Wollte einfach deine Frage jetzt nicht im luftleeren Raum haengen lassen. Nein, ich glaube nicht, dass der richtige Umgang mit dem Bibel waere, wenn man den Wortlaut voellig vernaechlaessigt zu gunsten aller moeglichen beliebigen Eigeninterpretationen. Das zerstoert dem gesamten Zusammenhang. Ich muss  nicht glauben, dass diese sieben Tage reale Tage waren, aber ich finde es sehr wichtig zum Verstaendnis, dass in dieser Anordnung der sieben Tage und ihrer Erwaehnung ein Sinn steckt, ohne diesen zu erwaehnen oder in fuer Menschen (damals) erfahrbare Zeit zu giessen, auch der Wortsinn mit seinen verschiedenen Ebenen  sich verabschiedet. 

 

 

bearbeitet von Long John Silver
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Danke für die Antwort.

 

Bei Mystikern findet man leider viel substanzloses Geschwalle, deswegen hat die Mystik nicht gerade den besten Ruf. Eckhart wird ihr zwar  zugerechnet, im Gegensatz zu anderen Vertretern dieser Richtung verfolgt er in seinen Werken aber eine klare Linie. Er paßt nicht in die gängigen Kategorien, deswegen wurde er in der Mystik untergebracht. Trotzdem hat das, was er sagt, Hand und Fuß.

 

Dass du gerade ihn zitierst hat mich verwundert, denn ich halte ihn für ein Musterbeispiel eines nicht bibelfixierten Christentums. Eckhart zitiert zwar immer wieder die Bibel oder kirchliche Autoritäten, aber meist nur als Aufhänger für seine eigenen Gedanken. Er gibt sich auch erst gar nicht damit ab, die Leser davon überzeugen zu wollen, dass er den "eigentlichen Sinn" der jeweiligen Bibeltexte erfaßt habe. Ich glaube auch nicht, dass seine Symbolsprache die gleiche ist wie die der Bibel. Er legt nicht aus, sondern schafft etwas Neues, das nur mit Mühe mit der Bibel und der kirchlichen Dogmatik begründet werden kann.

 

Im Grunde kommt es ihm nicht auf die Formulierung der Bibel an, sondern er sucht nach dem, wovon sie seiner Meinung nach handeln müßte: Von der Struktur einer Religion, von zeitlosen Grundprinzipien.  Deswegen hält er sich erst gar nicht mit den Details der jeweiligen Texte auf. Schlüssigkeit ist für ihn wichtiger als biblischer Wortlaut. Heute, nach einigen Jahrhunderten Bibelwissenschaft, lassen sich seine Meinungen evtl. mit exegetischen Erkenntnissen vereinbaren, aber ihm standen diese Erkenntnisse nicht zur Verfügung. Er hat sich seine Lehre selbst ausgedacht, sie stand im Widerspruch zum kirchlichen Mainstream und er hatte deswegen, wie es zu erwarten war, einige Scherereien mit den kirchlichen Autoritäten. Wenn die Exegese heute zu ähnlichen Aussagen kommt wie er, spricht das für ihn und seinen Mut zu unkonventionellen Interpretationen.

 

Ich komme daher zu einem anderen Schluss als du: Ja, es ist in Ordnung sich vom Wortlaut der Bibel zu lösen wenn man damit zu neuen Erkenntnissen gelangt. Mir gefallen z.B. auch Drewermanns Versuche, die biblischen Aussagen tiefenpsychologisch zu deuten.

 

bearbeitet von Merkur
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vor 3 Stunden schrieb Merkur:

Schlüssigkeit ist für ihn wichtiger als biblischer Wortlaut.

Damit spannst Du einen Raum auf, der viel weiter ist, als Schlüssigkeit und Wortlaut.

Stimmigkeit und das Entspringen in seinem Innersten ist Ekkehard sehr wichtig. Erst aus der Stimmigkeit von äußerem und innerem Erleben entspringt dann eine Schlüssigkeit.

Und nicht nur über den Wortlaut setzt er sich dazu hinweg. Ekkehard kann auch einen völlig anderen Duktus bevorzugen. 

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14 hours ago, Merkur said:

Danke für die Antwort.

 

Bei Mystikern findet man leider viel substanzloses Geschwalle, deswegen hat die Mystik nicht gerade den besten Ruf. Eckhart wird ihr zwar  zugerechnet, im Gegensatz zu anderen Vertretern dieser Richtung verfolgt er in seinen Werken aber eine klare Linie. Er paßt nicht in die gängigen Kategorien, deswegen wurde er in der Mystik untergebracht. Trotzdem hat das, was er sagt, Hand und Fuß.

 

Dass du gerade ihn zitierst hat mich verwundert, denn ich halte ihn für ein Musterbeispiel eines nicht bibelfixierten Christentums. Eckhart zitiert zwar immer wieder die Bibel oder kirchliche Autoritäten, aber meist nur als Aufhänger für seine eigenen Gedanken. Er gibt sich auch erst gar nicht damit ab, die Leser davon überzeugen zu wollen, dass er den "eigentlichen Sinn" der jeweiligen Bibeltexte erfaßt habe. Ich glaube auch nicht, dass seine Symbolsprache die gleiche ist wie die der Bibel. Er legt nicht aus, sondern schafft etwas Neues, das nur mit Mühe mit der Bibel und der kirchlichen Dogmatik begründet werden kann.

 

Im Grunde kommt es ihm nicht auf die Formulierung der Bibel an, sondern er sucht nach dem, wovon sie seiner Meinung nach handeln müßte: Von der Struktur einer Religion, von zeitlosen Grundprinzipien.  Deswegen hält er sich erst gar nicht mit den Details der jeweiligen Texte auf. Schlüssigkeit ist für ihn wichtiger als biblischer Wortlaut. Heute, nach einigen Jahrhunderten Bibelwissenschaft, lassen sich seine Meinungen evtl. mit exegetischen Erkenntnissen vereinbaren, aber ihm standen diese Erkenntnisse nicht zur Verfügung. Er hat sich seine Lehre selbst ausgedacht, sie stand im Widerspruch zum kirchlichen Mainstream und er hatte deswegen, wie es zu erwarten war, einige Scherereien mit den kirchlichen Autoritäten. Wenn die Exegese heute zu ähnlichen Aussagen kommt wie er, spricht das für ihn und seinen Mut zu unkonventionellen Interpretationen.

 

Ich komme daher zu einem anderen Schluss als du: Ja, es ist in Ordnung sich vom Wortlaut der Bibel zu lösen wenn man damit zu neuen Erkenntnissen gelangt. Mir gefallen z.B. auch Drewermanns Versuche, die biblischen Aussagen tiefenpsychologisch zu deuten.

 

 

Hi, Merkur,

 

nur zum weiteren Verstaendnis - es war mir nicht so wichtig, ueber Eckart zu reflektieren oder seine Methodik oder individuellen Zugang oder seine Meinung zur Bibel, mich interessiere lediglich dieser eine Satz, weil  die  Vorstellung vom "verborgnen Wort" wie gesagt mich zu einigen Assoziationen brachte (das Wort wurde Fleisch etc., die Benamung der Dinge und Lebewesen durch den Menschen, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, die in der Genesis genannte Vorstellung, dass Gott allein durch das Wort Leben und Licht schuf, also solche Zusammenhaenge ...)  Ich meinte auch nicht, dass die Symbolsprache der Bibel gleich ist mit der Sprache von Eckart, schon ganz einfach deshalb, weil ich die biblische Symbolsprache nicht vergleichbar finde mit irgendetwas anderem. Sondern einfach, dass ich manchmal zufaellig gewisse Schnittstellen zu finden zu glauben oder versuche, die in Zusammenhang zu bringen.

 

Warum unserer beiden Ansichten ueber die Sache mit dem los geloesten Wortlaut differieren, ist soweit wohl klar geworden. 

 

Wieso ich Texte von Eckart habe? Vor allem, weil ich vor langer Zeit in der Naehe eines katholischen Buchladens wohnte und da gab es oefter einen Wuehltisch gab, auf dem alle moeglichen Texte billig angeboten wurden.  Da kaufte ich immer auch alles moegliche.

 

bearbeitet von Long John Silver
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On 24.9.2017 at 11:13 AM, Merkur said:

 

 

Ich komme daher zu einem anderen Schluss als du: Ja, es ist in Ordnung sich vom Wortlaut der Bibel zu lösen wenn man damit zu neuen Erkenntnissen gelangt. Mir gefallen z.B. auch Drewermanns Versuche, die biblischen Aussagen tiefenpsychologisch zu deuten.

 

 

Hi, Merkur, 

 

etwas fuer mich wichtiges hatte ich Wochenende keine Zeit mehr ins Posting einzufuegen, hier der Nachtrag:


Ich beurteile weder richtig noch falsch in Bezug auf den Umgang der Bibel, diese Kategorien halte ich fuer eher verfehlt, mir geht es um die gesamte Fuelle des Textes und darauf hinzuweisen, an welchem Punkt ich denke, dass diese Fuelle durch bestimmte einseitige  Zugaenge reduziert wird und ich das schade finde.  Natuerlich ist es voellig in Ordnung, vom Wortlaut der Bibel sich  versuchen zu loesen, wenn jemanden dieses so gefaellt oder er sich davon etwas verspricht. Ich wuerde es wie bereits gesagt, nicht tun, weil ich dann eine sehr wichtige Ebene verlassen wuerde, aber da sind wir halt unterschiedlicher Ansicht. 


Ich wuerd die Frage nicht so stellen wie du in deiner Anfrage. Ich wuerde  eher fragen: was verspreche ich mir davon, eine bestimmte deutungsebene alleinig in den Vordergrund zu schieben, was bedeutet das fuer die Gesamtaussage (sofern ich annehme, dass eine vorhanden sei, das ist Grundvoraussetzung, die Bibel ueberhaupt ernst zu nehmen). Ich gehoere zu den Menschen, die eher vorsichtig sind, biblische Texte "totdeuten" zu wollen, ich bevorzuge die meditative Ebene, das in sich wirken lassen von Texten ueber lange Zeit und die Auffassung, dass ich nicht alles verstehen kann und werde, was ich dort lese (und dies auch nicht brauche). 

 

Was "neue Erkenntnisse" betrifft (auch da wuerde ich eher den Begriff "andere Sichtweise" benutzen) - natuerlich sind diese wichtig, fuer mich aber nur im Bezug auf den Gesamtzusammenhang, also als Puzzle-Teil, so man so will, denn tatsaechlich  ist der Schatz der  Bibel ein riesiges Puzzle, von dem wir nicht alle Teile wissen oder finden koennen. 

 

Demzufolge wuerde ich  gern die Begriffe richtig oder falsch in diesem Zusammenhang als Kriterium streichen wollen. Zu was solche "Kriterien" fuehren, zeigen uns beispielhaft andere Threads, davon will ich gerade weg jetzt hier. 

 

 

bearbeitet von Long John Silver
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vor 14 Stunden schrieb Long John Silver:

Was "neue Erkenntnisse" betrifft (auch da wuerde ich eher den Begriff "andere Sichtweise" benutzen) - natuerlich sind diese wichtig, fuer mich aber nur im Bezug auf den Gesamtzusammenhang, also als Puzzle-Teil, so man so will, denn tatsaechlich  ist der Schatz der  Bibel ein riesiges Puzzle, von dem wir nicht alle Teile wissen oder finden koennen. 

 

Das ist jedenfalls Eckhartsches Denken. "Es erstaunt mich, dass die Heilige Schrift so reich ist und doch niemand das kleinste Wort zu ergründen vermag" sagt Eckhart in der Predigt "Ave, gratia plena" (Q 22). Das ist eine der für ihn typischen paradoxen Formulierungen - typisch eigentlich für jede Sprache, die versucht, Worte für das nicht Sagbare zu finden, also für das Erleben der Mystiker. (Wobei es zu kurz gegriffen ist, Eckhart auf den Begriff Mystiker zu reduzieren, er war ebenso sehr Philosoph und sicher einer der größten deutschsprachigen Denker des Mittelalters). Dionysius Areopagita - dessen Spuren sich überall in den Werken Eckharts finden - nannte diese Sprachohnmacht bei dem Versuch, mystisches oder spirituelles Erleben in Worte zu fassen, das Schrumpfen der Rede auf dem Weg zu Gott.

Apropos Dionysius, den zitiert Eckhart häufig. Und das Zitat, um das es in diesem Thread geht, scheint von ihm zu stammen. Denn im Zusammenhang liest sich der Anfang der Stelle so: "Dionysius spricht: Gott hat kein Bild oder Gleichnis von sich selbst, denn er ist wesenhaft alles Gute, Wahrheit und Sein. Gott wirkt alle seine Werke in sich selbst und aus sich selbst in einem Augenblick. Wähne nicht.... (usw.)". Wobei nicht ganz sicher ist, wo das Dionysius-Zitat endet und wo die Interpretation durch Eckhart anfängt.

Das Zitat steht übrigens in der Predigt Nr. 57 (nach der Zählung von Quint). Der Titel ist, wie bei Eckhart üblich, die Bibelstelle, über die er predigt: "Dum medium silentium tenerent omnia et nox in suo cursu medium iter haberet" (Weisheit 18, 14). Die Predigt-Version, die sich bei Zeno im Internet findet und die auch verlinkt worden ist, wurde beim Übersetzen geglättet, streckenweise gekürzt, mit einer erfundenen Überschrift ("Vom Schweigen") versehen und folgt einer anderen Zählung. Inhaltlich geht es in der Predigt Q 57 um eine der großen Themen Eckharts, das Gleichwerden mit dem Göttlichen, die Gottesgeburt in der menschlichen Seele.

Alfons

bearbeitet von Alfons
Rechtschreibung
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13 hours ago, Alfons said:

 

Das ist jedenfalls Eckhartsches Denken. "Es erstaunt mich, dass die Heilige Schrift so reich ist und doch niemand das kleinste Wort zu ergründen vermag" sagt Eckhart in der Predigt "Ave, gratia plena" (Q 22). Das ist eine der für ihn typischen paradoxen Formulierungen - typisch eigentlich für jede Sprache, die versucht, Worte für das nicht Sagbare zu finden, also für das Erleben der Mystiker. (Wobei es zu kurz gegriffen ist, Eckhart auf den Begriff Mystiker zu reduzieren, er war ebenso sehr Philosoph und sicher einer der größten deutschsprachigen Denker des Mittelalters). Dionysius Areopagita - dessen Spuren sich überall in den Werken Eckharts finden - nannte diese Sprachohnmacht bei dem Versuch, mystisches oder spirituelles Erleben in Worte zu fassen, das Schrumpfen der Rede auf dem Weg zu Gott.

Apropos Dionysius, den zitiert Eckhart häufig. Und das Zitat, um das es in diesem Thread geht, scheint von ihm zu stammen. Denn im Zusammenhang liest sich der Anfang der Stelle so: "Dionysius spricht: Gott hat kein Bild oder Gleichnis von sich selbst, denn er ist wesenhaft alles Gute, Wahrheit und Sein. Gott wirkt alle seine Werke in sich selbst und aus sich selbst in einem Augenblick. Wähne nicht.... (usw.)". Wobei nicht ganz sicher ist, wo das Dionysius-Zitat endet und wo die Interpretation durch Eckhart anfängt.

Das Zitat steht übrigens in der Predigt Nr. 57 (nach der Zählung von Quint). Der Titel ist, wie bei Eckhart üblich, die Bibelstelle, über die er predigt: "Dum medium silentium tenerent omnia et nox in suo cursu medium iter haberet" (Weisheit 18, 14). Die Predigt-Version, die sich bei Zeno im Internet findet und die auch verlinkt worden ist, wurde beim Übersetzen geglättet, streckenweise gekürzt, mit einer erfundenen Überschrift ("Vom Schweigen") versehen und folgt einer anderen Zählung. Inhaltlich geht es in der Predigt Q 57 um eine der großen Themen Eckharts, das Gleichwerden mit dem Göttlichen, die Gottesgeburt in der menschlichen Seele.

Alfons

 

Ganz herzlichen Dank fuer diesen Hinweis auf die Bibelstelle.

 

Habe sie gerade im Kindle nachgelesen. 

 

(Mein Buechlein vom Wuehltisch ist eine voellig unkommentierte kleine Sammlung von Texten und Spruechen. Das finde ich zunaechst nicht so schlecht, weil dadurch nicht sofort das eigene Denken in bestimmte einem nahe liegende Erscheinende Bahnen  gelenkt wird, aber im weiteren Schritt ist es auf jeden Fall gut, und angebracht, den gesamten Zusammenhang zu sehen, aus dem heraus gedacht wurde.)

 

 

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Am 27.9.2017 um 08:22 schrieb Long John Silver:

Ich wuerd die Frage nicht so stellen wie du in deiner Anfrage. Ich wuerde  eher fragen: was verspreche ich mir davon, eine bestimmte deutungsebene alleinig in den Vordergrund zu schieben, was bedeutet das fuer die Gesamtaussage (sofern ich annehme, dass eine vorhanden sei, das ist Grundvoraussetzung, die Bibel ueberhaupt ernst zu nehmen). Ich gehoere zu den Menschen, die eher vorsichtig sind, biblische Texte "totdeuten" zu wollen, ich bevorzuge die meditative Ebene, das in sich wirken lassen von Texten ueber lange Zeit und die Auffassung, dass ich nicht alles verstehen kann und werde, was ich dort lese (und dies auch nicht brauche).

Ich stehe der Bibel und ihren Aussagen eher distanziert gegenüber, aber was mich beeindruckt sind die Kunstwerke, die biblische Stoffe als Grundlage haben. Das sind keine Aussagen, die schon in der Bibel enthalten sind, aber immerhin wurden sie von ihr inspiriert. Dieses Potential, Menschen zu außergewöhnlichen Leistungen zu inspirieren spricht dafür, dass man aus der Bibel durchaus neue Erkenntnisse gewinnen kann. Nicht im Hinblick auf das, was die Verfasser meinten, aber im Hinblick auf ihr Potential, Kreativität zu fördern.

bearbeitet von Merkur
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vor 23 Stunden schrieb Alfons:

 

Das ist jedenfalls Eckhartsches Denken. "Es erstaunt mich, dass die Heilige Schrift so reich ist und doch niemand das kleinste Wort zu ergründen vermag" sagt Eckhart in der Predigt "Ave, gratia plena" (Q 22). Das ist eine der für ihn typischen paradoxen Formulierungen ...

Es ist Predigt Nr. 23. Danke für die Anregung. Gibt es zu dem Text auch im Internet verfügbare Erläuterungen?  Das für mich eine der schwerer verständlichen Predigten.

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Am 28.9.2017 um 22:05 schrieb Merkur:

Ich stehe der Bibel und ihren Aussagen eher distanziert gegenüber, aber was mich beeindruckt sind die Kunstwerke, die biblische Stoffe als Grundlage haben.

 

Lesetipp: Navid Kermani "Ungläubiges Staunen". (Wobei ich fast davon ausgehen kann, dass Du es kennst).

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Am 28.9.2017 um 22:13 schrieb Merkur:

Es ist Predigt Nr. 23. Danke für die Anregung. Gibt es zu dem Text auch im Internet verfügbare Erläuterungen?  Das für mich eine der schwerer verständlichen Predigten.

 

Ja, ist die Predigt 23. Womit wir soeben einen Setzfehler in Kurt Ruhs vierbändiger "Geschichte der abendländischen Mystik" entdeckt haben. Dort hatte ich nämlich die Zählung 22 gelesen und nicht noch einmal bei Eckhart selber nachgeschlagen. 

 

Im Internet kann ich gerade schlecht suchen - ich bin wieder einmal unterwegs und habe deshalb nur eine dünne Handy-Internetverbindung. Im dritten Band des eben erwähnten Standard-Werks von Kurt Ruh gibt es aber eine etwa fünfseitige Erläuterung zu der Predigt "Ave gratia plena". Ich kann Dir gern, wenn ich zurück bin, diese Seiten einscannen und zumailen. Kern der Predigt im ersten Teil ist die Geburt Gottes in der menschlichen Seele. Metaphysisch gedacht sind bei dieser Vorstellung von der Gottesgeburt die "Vollkommenheiten" wie etwa Güte und Gerechtigkeit keine Tugenden, sondern Transzendentalien. Die Gottesgeburt versteht Eckhart daher als eine Wirkung oder besser Emanation Gottes (Gott als Sein, als Güte, als Gerechtigkeit) in den guten, den gerechten Menschen, in das Seiende hinein. Eckhart stützt sich hier, sagt jedenfalls Ruh,  auf Origenes.

Alfons

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Ich habe etwas recherchiert und  bin mir jetzt nicht mehr sicher, ob Eckart wirklich den Wortlaut zugunsten irgendeiner bestimmten Interpretation oder eines bestimmten als gesondert angesehenen Schriftsinns  ueberhaupt hinten gestellt hat oder sich gar von ihm loeste.  Im Gegenteil denke ich jetzt nach der Lektuere verschiedener Texte und Kommentare, dass er  der Bibel absolute Autoritaet zuwies und dem gesamten Schriftsinn sich verpflichtet fuehlte. 

 

Was ich jetzt auch sehr interessant fand, war sein Einfluss z.B. auf Luther. Dieser war mir bis jetzt nicht so gegenwaertig. 

 

War Eckart nicht auch jemand, der  mit der Vorstellung vom Wort als Urgrund des Schaffens und Seins (oder so aehnlich) sich beschaeftigte? 

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vor 18 Stunden schrieb Alfons:

Im dritten Band des eben erwähnten Standard-Werks von Kurt Ruh gibt es aber eine etwa fünfseitige Erläuterung zu der Predigt "Ave gratia plena". Ich kann Dir gern, wenn ich zurück bin, diese Seiten einscannen und zumailen.

Sehr gerne, ich schick dir eine PM. Von dem Buch von Kermani habe ich schon gelesen (irgendwas in der FAZ) und ich habe ihn jetzt auch bestellt. Der Ruh ist leider auch antiquarisch nicht ganz billig.

 

Die Unterschiede bei der Numerierung der Predigten scheinen kein Setzfehler zu sein, anscheinend hat Quint irgendwann drei weitere Predigten in sein Werk aufgenommen und die Zählung geändert.

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vor 13 Stunden schrieb Long John Silver:

Ich habe etwas recherchiert und  bin mir jetzt nicht mehr sicher, ob Eckart wirklich den Wortlaut zugunsten irgendeiner bestimmten Interpretation oder eines bestimmten als gesondert angesehenen Schriftsinns  ueberhaupt hinten gestellt hat oder sich gar von ihm loeste.  Im Gegenteil denke ich jetzt nach der Lektuere verschiedener Texte und Kommentare, dass er  der Bibel absolute Autoritaet zuwies und dem gesamten Schriftsinn sich verpflichtet fuehlte.

Er konnte ja auch nicht anders. Sich noch weiter aus dem Fenster zu lehnen als er es getan hat, wäre sein Todesurteil gewesen. In seinen letzten beiden Lebensjahren mußte sich anstrengen, um nicht als Häretiker verurteilt zu werden.

 

Dass er sich so oft auf die Bibel und anerkannte Kirchenlehrer beruft ist wohl in erster Linie eine Art Rückversicherung, wie es damals üblich war wenn man mutige Gedanken äußern wollte.

 

Ich kenne mich mit Eckhart allerdings auch nicht sonderlich aus. Mir ist er ebenfalls durch ein Buch vom Grabbeltisch begegnet (Deutsche Predigten und Traktate von Josef Quint). Im Gegensatz zu anderen Klassikern (z.B. Augustinus, den ich streckenweise recht fad finde, zumindest seine Bekenntnisse) hat Eckhart mich sofort angesprochen.

bearbeitet von Merkur
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vor 2 Stunden schrieb Merkur:

Dass er sich so oft auf die Bibel und anerkannte Kirchenlehrer beruft ist wohl in erster Linie eine Art Rückversicherung, wie es damals üblich war wenn man mutige Gedanken äußern wollte.

*grins*, heute muss man dazu die Päpste vor einem zitieren, und das sogar schon, wenn man nicht mal besonders mutig ist.

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vor 39 Minuten schrieb gouvernante:

*grins*, heute muss man dazu die Päpste vor einem zitieren, und das sogar schon, wenn man nicht mal besonders mutig ist.

Du bist sogar so mutig, dass du meist auf das Zitieren deiner Vorgängerpäpste verzichtest.

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