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Konservativ vs. Progressiv - eine Mentalitätsfrage?


Shubashi

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Einerseits anläßlich einiger Beiträge kirchlicher (Ex-)Würdenträger sowie vers. Reaktionen darauf, aber andererseits auch aufgrund politischer Diskussionen im Laufe der Jahre, frage ich mich mehr und mehr, ob eine konservative oder progressive Haltung zu Glauben, Ideologien, politischen Streitfragen und gesellschaftlichen Entwicklung eher eine charakterliche Grundeinstellung oder Folge bewusster Überlegungen ist. Oder es tatsächlich stark vom Lebensalter abhängig, dass wir dazu neigen konservativer zu werden (oder entsprechend Progressivität in späteren Jahren ein Versuch, das Alter zu negieren?)

 

Ich muss sagen, dass ich das zunehmend schwerer beurteilen kann, weil ich mich in so polarisierten Zeiten immer weniger auf eine Seite schlagen möchte, zum anderen diese Starrheit der Positionen im Gegensatz auch unklug finde: es gibt sowohl dumme Reaktionäre als auch leichtfertige Fortschrittsbegeisterung.

Ist meine zunehmende Unfähigkeit, mit einiger Begeisterung Partei zu ergreifen, eine geradezu apokalyptische "Lauheit", die mich noch in die Hölle bringen wird, oder eben nur der unvermeidliche Zahn der Zeit?

 

 

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vor 2 Stunden schrieb Shubashi:

Ist meine zunehmende Unfähigkeit, mit einiger Begeisterung Partei zu ergreifen, eine geradezu apokalyptische "Lauheit", die mich noch in die Hölle bringen wird, oder eben nur der unvermeidliche Zahn der Zeit?

 

Eindeutig der Zahn der Zeit. Mit selbiger nimmt nämlich die Weisheit zu, man nimmt zunehmend die Zwischentöne wahr und sieht die Welt einfach nicht mehr schwarz/weiß.

 

Wer sagte nochmal: "Wer in jungen Jahren kein Kommunist ist hat kein Herz, wer im Alter immer noch Kommunist ist hat keinen Verstand"?

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Ich werde mit "den Jahren" nicht konservativer, eher liberaler. Meine vom Glauben geprägten Wertvorstellungen halte ich natürlich für vollkommen richtig (welche Überraschung!), lehne aber jegliche politische Einflußnahme jenseits demokratischer Spielregeln ab. Lobbyismus ist der Kirche allerdings ebenso wie allen anderen erlaubt.

Der zunehmenden Nanny-State, der jetzt auch zunehmend das Denken der Menschen reglementieren will und dessen Pläne bspw. bei aktuellen Umwelt-Themen nicht den geringsten naturwissenschaftlichen Überprüfungen standhalten, stößt mich zunehmend ab.

Da kann man ja nur noch liberal wählen und für Begrenzung des Staates plädieren.

bearbeitet von rorro
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Nach meinem Gefühl werde ich mit den Jahren religiös und politisch immer konservativer und dogmatischer. Selbst in den Punkten, wo man mir eher Liberalismus unterstellen kann, bin ich im Liberalismus Dogmatiker.

 

Für mich hat Liberalismus wenig Positives, weil ich damit vor allem Beliebigkeit und Unverbindlichkeit verbinde.

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Meiner Erfahrung nach tendiert man in der Jugend zu eher radikalen Ansichten, egal in welche Richtung. Man sieht es schön an den Jugendorganisationen der Parteien. Die Jusos sind viel sozialistischer als die SPD, die JU ist viel konservativer als die CDU, die Grüne Jugend ist viel ökoradikaler als die Grünen und die AfD-Jugend viel rechter als die AfD.

Normalerweise (!) nehmen Menschen mit zunehmendem Alter an Lebenserfahrung und Gelassenheit zu, das führt zu abnehmender Radikalität.

Während man in der Jugend oft glaubt, das über‘s Knie Brechen sei die beste weil schnellste Methode, sieht man das mit zunehmendem Alter meist etwas differenzierter. 

Ein Sonderfall sind die, die ihre Ansicht vollkommen ändern und ins Gegenteil verkehren. Da gilt dann oft die Faustregel, dass Konvertiten die größten Eiferer sind. Auch im Alter noch.

 

Werner

bearbeitet von Werner001
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Long John Silver
vor 15 Stunden schrieb Shubashi:

Einerseits anläßlich einiger Beiträge kirchlicher (Ex-)Würdenträger sowie vers. Reaktionen darauf, aber andererseits auch aufgrund politischer Diskussionen im Laufe der Jahre, frage ich mich mehr und mehr, ob eine konservative oder progressive Haltung zu Glauben, Ideologien, politischen Streitfragen und gesellschaftlichen Entwicklung eher eine charakterliche Grundeinstellung oder Folge bewusster Überlegungen ist. Oder es tatsächlich stark vom Lebensalter abhängig, dass wir dazu neigen konservativer zu werden (oder entsprechend Progressivität in späteren Jahren ein Versuch, das Alter zu negieren?)

 

Ich muss sagen, dass ich das zunehmend schwerer beurteilen kann, weil ich mich in so polarisierten Zeiten immer weniger auf eine Seite schlagen möchte, zum anderen diese Starrheit der Positionen im Gegensatz auch unklug finde: es gibt sowohl dumme Reaktionäre als auch leichtfertige Fortschrittsbegeisterung.

Ist meine zunehmende Unfähigkeit, mit einiger Begeisterung Partei zu ergreifen, eine geradezu apokalyptische "Lauheit", die mich noch in die Hölle bringen wird, oder eben nur der unvermeidliche Zahn der Zeit?

 

 

 

Man hat mehr Lebenserfahrung, wenn man aelter ist. . Vieles kann man nicht ueberblicken, wenn man 20 oder 30 ist, das ueberblickt man erst spaeter und kann es einordnen. Das hat fuer mich mit Starrsinn nichts zu tun (Altersstarrsinn gibt es zweifellos, aber bei manchen setzt das schon mit 40)

 

Was Partei ergreifen angeht - das habe ich zumindest in politischer Weise noch nie gemacht ausgiebig. Ich brauchte mir nur die ideologische Gefolgschaft anzusehen,  mit denen ich es dann zu tun gehaebt haette, und das hat mich stets davon abgehalten, mich irgendeiner Sache wirklich politisch anzuschliessen. Bin einfach nicht der Typ dazu, der sich einer Sache verschreibt.  Solche Ansprueche von aussen  sind mir eher auf die Nerven gefallen.

 

Was mir wirklich gefiel, weil es meiner eigenen Auffassung gemaess eine gute Idee war, war das damals sehr spontane und keinesfalls politisch motivierte Eintreten fuer die Biolandwirtschaft etc und sie durch den Kauf der Produkte zu foerdern und durch weiter erzaehlen davon (die Produkte waren zu Anfang eher schrecklich ;-)). Es machte damals in der Naehe der Universitaet ein Laedlein auf, anderes kann man es nicht bezeichnen. Es gab zwei sorten Kaese, die irgendwie steinhart waren und das Gemuese und das Obst waren, naja, man kaufte es aus Solidaritaet und verfuetterte es an die Kaninchen, wenn es den Heimweg ueberlebte, ohne endgueltig zu verfaulen. Als ich in Deutschland dann war, gab es in der Nähe einen Demeter-Hof, der natuerlich eine andere Qualitaet hatte, wo wir oft einkauften. Was ich sagen will: das war mir ein inneres Beduerfnis, Tierhaltung, Landwirtschaft, und da freue ich mich wirklich zutiefst, dass das heutzutage nicht mehr als Thema fuer Aussenseiter und Spinner angesehen wird.  Aber das ist keine ideologische oder politische sache, sondern eine Lebenseinstellung). 

 

Die heutige Polarisierung im oeffentlichen Diskurs verbietet es eigentlich jedem noch klar denkenden, sich einer Seite anzuschliessen, das kommt jetzt noch dazu. 

 

 

 

 

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vor 3 Stunden schrieb Werner001:

Meiner Erfahrung nach tendiert man in der Jugend zu eher radikalen Ansichten, egal in welche Richtung. Man sieht es schön an den Jugendorganisationen der Parteien. Die Jusos sind viel sozialistischer als die SPD, die JU ist viel konservativer als die CDU, die Grüne Jugend ist viel ökoradikaler als die Grünen und die AfD-Jugend viel rechter als die AfD.

Normalerweise (!) nehmen Menschen mit zunehmendem Alter an Lebenserfahrung und Gelassenheit zu, das führt zu abnehmender Radikalität.

Während man in der Jugend oft glaubt, das über‘s Knie Brechen sei die beste weil schnellste Methode, sieht man das mit zunehmendem Alter meist etwas differenzierter. 

Ein Sonderfall sind die, die ihre Ansicht vollkommen ändern und ins Gegenteil verkehren. Da gilt dann oft die Faustregel, dass Konvertiten die größten Eiferer sind. Auch im Alter noch.

 

Werner

 

Ich weiss gar nicht, ob ich damit "radikale Ansichten" meine:

-Es gibt Felder, wie z.B. die von LJS zitierte naturnahe Landwirtschaft, da bin ich einem wertkonservativen ("agrarreaktionären") Anliegen quasi unverändert treu geblieben, und freue mich halt, dass das seltsamerweise heute als "progressiv" gilt.

-Dann bin ich bewusst nicht zur Bundeswehr gegangen, meine Einstellung zur Verwerflichkeit des Krieges hat sich nicht geändert, aber die gegenwärtige chaotische, opportunitätspazifistische "Sicherheitspolitik" heutiger Tage erscheint mir nur wirr und pseudomoralisch.

-Ich bin zutiefst vom Antifaschismus und der Vorbildlichkeit der selbstkritischen deutschen Geschichtspolitik überzeugt, aber das selbstzufriedene überhebliche Genöle, mit der ein ganzes Bündel disparater Politikansätze überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird, sondern nur als "rechts" tituliert wird,damit über Probleme gar nicht nachzudenken braucht, erscheint mir schlicht demagogisch bis naiv daher geplappert.

-Ich bin eigentlich ein langjähriger und engagierter Atomkraftgegner, aber trotzdem inzwischen bereit, das zu überdenken, wenn es für ein sinnvolles Konzept einer zukunftsfähigen Energieversorgung erforderlich wäre.

-In religiösen Dingen: kein Problem mit Menschen, die an alten Formen der Liturgie und des Ritus ihre Freude finden, aber fast angewidert von einer sklavischen Unterwerfung unter lehramtliche Normen und Traditionen, ohne diese im geringsten individuell auf die Vereinbarkeit mit moralischen Problemen oder spirituellen Bedürfnissen zu überprüfen.

 

 

Ich könnte noch eine Reihe von Dingen aufzählen - ich vermute einfach, dass "konservativ" oder "progressiv" an sich überhaupt keinen Wert darstellen, sondern allenfalls gewisse Haltungen sind, die je nach nach Problemlage passend sein könnten oder aber hinderlich. Man sollte sich dann halt entscheiden, welche Herangehensweise für ein Problem besser passt.

So wie "wegrennen" evolutionär genaus so sinnhaft sein kann wie "angreifen" - es kommt immer auf die konkrete Lage an.

Mir fällt es schwer, für so eine Haltung einen abstrakten Oberbegriff zu finden, weswegen es möglicherweise gar keine Mentalitätsfrage ist - oder bestimmte Menschen haben eben überhaupt eine etwas sonderliche Mentalität.

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Das „eigentlich - aber“  ist doch ein Zeichen von Differenzierung, genau was ich meinte. Die radikale (beschreibend, nicht wertend gemeint) Einstellung akzeptiert kein „aber“, und das ist sehr oft die Einstellung der Jugend,

 

Werner

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Auch wenn mein Beitrag gelöscht wird: 

Oft oder meistens ist beides in Menschen angelegt.

Sowohl das progressive als auch das Konservative oder sogar Reaktionaere. So sehr das erst Mal gegensätzlich klingt, ist es doch oft so, dass Menschen beides vertreten. Manchmal sogar zum gleichen Thema...

Und ich sehe es so,dass Menschen,um fortzuschreiben,einen Boden an Bewahrtem und Bewährtem benötigen,als festen ,sicheren Grund. Dass es also gar nicht so gegensätzlich ist.

Es ist ja auch nicht unbedingt so,dass das eine gut oder das andere schlecht ist. In alle Richtungen kann man es übertreiben.

Und dann gibt es die Grautöne,irgendwas " dazwischen". Oft ist es nicht entweder- oder.

Ob das nur eine Altersfrage ist? Ich denke, auch Kinder und Jugendliche haben in bestimmten Bereichen konservative Vorstellungen und auch ältere, erwachsene Menschen können progressive oder gar revolutionäre Ideen vertreten. Wiederum: Ohne Wertung.

Ich denke, wir brauchen alles und besonders kluge Menschen,die scheinbar Widersprüchliches zusammenfügen können und ( scheinbare) Gegner an einen Tisch holen können.

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vor 7 Stunden schrieb mn1217:

Ob das nur eine Altersfrage ist?

 

Überhaupt nicht. Das ist vor allem auch eine Frage der persönlichen Lebenserfahrung.

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Am 18.4.2019 um 07:44 schrieb Werner001:

Ein Sonderfall sind die, die ihre Ansicht vollkommen ändern und ins Gegenteil verkehren. Da gilt dann oft die Faustregel, dass Konvertiten die größten Eiferer sind. Auch im Alter noch.

Ja, das hat man bei Horst Mahler sehr gut beobachten können  (kennt den hier noch jemand oder seid ihr alle zu jung dafür?).

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Am 17.4.2019 um 22:20 schrieb Flo77:

Für mich hat Liberalismus wenig Positives, weil ich damit vor allem Beliebigkeit und Unverbindlichkeit verbinde.

Das kann man natürlich so sehen. Aber ich verbinde damit eher "leben und leben lassen".

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Am 17.4.2019 um 19:11 schrieb Moriz:

 

Eindeutig der Zahn der Zeit. Mit selbiger nimmt nämlich die Weisheit zu, man nimmt zunehmend die Zwischentöne wahr und sieht die Welt einfach nicht mehr schwarz/weiß.

 

Wer sagte nochmal: "Wer in jungen Jahren kein Kommunist ist hat kein Herz, wer im Alter immer noch Kommunist ist hat keinen Verstand"?

was schlicht ein Blödsinn ist wie ein Blick in die Geschichte zeigt

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Am 17.4.2019 um 16:58 schrieb Shubashi:

Ist meine zunehmende Unfähigkeit, mit einiger Begeisterung Partei zu ergreifen, eine geradezu apokalyptische "Lauheit", die mich noch in die Hölle bringen wird, oder eben nur der unvermeidliche Zahn der Zeit?


Mir kommt vor, da müsste man unterscheiden zwischen dem Blick, der sich im Lauf des Lebens weitet und es immer schwieriger macht, "genau zu wissen, was richtig ist".
So, wie es in den meisten Postings eh anklingt: Ich denke, wer wirklich immer neu bereit ist, hinzuschauen und hinzuhören und zu verstehen und seine Ansichten an der Realität auszurichten versucht, der kann sich wahrscheinlich gar nicht so viel anders entwickeln als du es beschreibst.

Was dabei aber, glaube ich, nicht verloren gehen sollte, ist das "innere Feuer", das Ernstnehmen dessen, was einen wirklich berührt und was einem kostbarer als vieles andere ist. 
Aus ihm kommt die Kraft zur Veränderung, zur Wandlung.
"Lauheit" hieße für mich, dass genau das verloren geht und dass man aufhört, sich einzusetzen. Dass alles gleich-gültig wird, weil der Verstand ja auch jede Entwicklung und Argumentation mitdenken und nachvollziehen kann und man sich deswegen jeder Wertung enthalten zu müssen glaubt. Dass man mit zunehmender Sicherheit und Schärfe zu sehen, immer bitterer und/oder resignierter zu verstehen meint, dass es eine Veränderung zum Guten, ein "Leben im Land der Lebendigen", sowieso nicht geben wird können, dass alle religiösen und anderen Hoffnungsbilder halt eine fromme Illusion sind. Ich glaube, so eine Haltung ginge in Richtung dessen, was in der Offenbarung als "lau" bezeichnet wird und wofür man "ausgespien wird aus seinem Mund": Die Kommunikation mit dem Zukünftigen wird verunmöglicht.

bearbeitet von Ennasus
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vor einer Stunde schrieb Ennasus:


Mir kommt vor, da müsste man unterscheiden zwischen dem Blick, der sich im Lauf des Lebens weitet und es immer schwieriger macht, "genau zu wissen, was richtig ist".
So, wie es in den meisten Postings eh anklingt: Ich denke, wer wirklich immer neu bereit ist, hinzuschauen und hinzuhören und zu verstehen und seine Ansichten an der Realität auszurichten versucht, der kann sich wahrscheinlich gar nicht so viel anders entwickeln als du es beschreibst.

Was dabei aber, glaube ich, nicht verloren gehen sollte, ist das "innere Feuer", das Ernstnehmen dessen, was einen wirklich berührt und was einem kostbarer als vieles andere ist. 
Aus ihm kommt die Kraft zur Veränderung, zur Wandlung.
"Lauheit" hieße für mich, dass genau das verloren geht und dass man aufhört, sich einzusetzen. Dass alles gleich-gültig wird, weil der Verstand ja auch jede Entwicklung und Argumentation mitdenken und nachvollziehen kann und man sich deswegen jeder Wertung enthalten zu müssen glaubt. Dass man mit zunehmender Sicherheit und Schärfe zu sehen, immer bitterer und/oder resignierter zu verstehen meint, dass es eine Veränderung zum Guten, ein "Leben im Land der Lebendigen", sowieso nicht geben wird können, dass alle religiösen und anderen Hoffnungsbilder halt eine fromme Illusion sind. Ich glaube, so eine Haltung ginge in Richtung dessen, was in der Offenbarung als "lau" bezeichnet wird und wofür man "ausgespien wird aus seinem Mund": Die Kommunikation mit dem Zukünftigen wird verunmöglicht.

 

Was du „inneres Feuer“ nennst, würde ich eher als Begeisterungsfähigkeit bezeichnen, und ich denke, die verliert man nicht, solange man lebt - solange man wirklich noch lebt, und nicht nur existiert.

 

Nur finde ich diese Begeisterung schon lange nicht mehr im „Parteiergreifen“. Mal begeistert man sich für Veränderung, mal fürs Bewahren. Hängt halt von den Umständen ab. Aber Begeisterung für eine „Partei“ heißt Teil zu werden von einem Stammeskrieg, und davon haben wir gegenwärtig eher zu viel als zu wenig.

Ich verzichte auch keineswegs auf jede Wertung, habe aber lernen müssen, daß das erst mal nur meine Wertung ist. Verstehen ist halt ein dreischneidiges Schwert: deine Seite, ihre Seite und die Wirklichkeit.

 

Bleibt die Frage nach dem Wert von Illusionen. Hier zitiere ich gern Norbert Elias: „Wir träumen zuviel, und diese Träume hindern uns daran, mit der Wirklichkeit umzugehen. […] Damit bringen Sie mich wieder auf die Frage nach der Religion. Da gilt für mich das gleiche. Unsere Aufgabe ist es, mit der Wirklichkeit zu Rande zu kommen, und nicht, sie durch Projektionen zu verschleiern. Durch Projektionen versperrt man sich den Zugang zur Wirklichkeit.“
(Norbert Elias in einem Interview von 1984, N.E. Bd. 17, S. 188)

 

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Long John Silver
vor 15 Stunden schrieb Ennasus:


Mir kommt vor, da müsste man unterscheiden zwischen dem Blick, der sich im Lauf des Lebens weitet und es immer schwieriger macht, "genau zu wissen, was richtig ist".
So, wie es in den meisten Postings eh anklingt: Ich denke, wer wirklich immer neu bereit ist, hinzuschauen und hinzuhören und zu verstehen und seine Ansichten an der Realität auszurichten versucht, der kann sich wahrscheinlich gar nicht so viel anders entwickeln als du es beschreibst.

Was dabei aber, glaube ich, nicht verloren gehen sollte, ist das "innere Feuer", das Ernstnehmen dessen, was einen wirklich berührt und was einem kostbarer als vieles andere ist. 
Aus ihm kommt die Kraft zur Veränderung, zur Wandlung.
"Lauheit" hieße für mich, dass genau das verloren geht und dass man aufhört, sich einzusetzen. Dass alles gleich-gültig wird, weil der Verstand ja auch jede Entwicklung und Argumentation mitdenken und nachvollziehen kann und man sich deswegen jeder Wertung enthalten zu müssen glaubt. Dass man mit zunehmender Sicherheit und Schärfe zu sehen, immer bitterer und/oder resignierter zu verstehen meint, dass es eine Veränderung zum Guten, ein "Leben im Land der Lebendigen", sowieso nicht geben wird können, dass alle religiösen und anderen Hoffnungsbilder halt eine fromme Illusion sind. Ich glaube, so eine Haltung ginge in Richtung dessen, was in der Offenbarung als "lau" bezeichnet wird und wofür man "ausgespien wird aus seinem Mund": Die Kommunikation mit dem Zukünftigen wird verunmöglicht.

 

Ja, ich finde auch, dass nicht einer politischen Parrei angehoeren zu wollen oder sich nicht auf gesellschaftliche Grabenkaempfe einzulassen, nichts mit "lauheit" zu tun hat. Eher mit Vernunft.

 

Was die von Marcellinus genannte Begeisterungsfaehigkeit betrifft - nein, ich denke nicht, dass ich das fuer mich so definieren moechte. Was ich meine, ist etwas anderes. Ich begeistere mich nicht fuer Tierschutz oder Umweltschutz oder bestimmte  andereDinge, die mir wichtig sind sondern weil mir bestimmte Sachen etwas wert sind und das fusst meines Erachtens auf etwas anderem als "Begeisterungsfaehigkeit". 

 

Von diesem Resignieren oder Zynismus, der Leute dazu bringt, ueberhaupt keine stellung mehr zu beziehen, habe ich vor ein paar Tagen an anderer Stelle hier im Forum geschrieben. 

 

Ich denke auch nicht, dass das mit den "zu viel Traeumen" stimmt. Ich kann auch nicht erkennen, warum Traeumen und Illusionen oder Utopien haben oder ueberhaupt eine andere Vorstellung von der Welt und dem Zusammenleben zu entwickeln,  jemanden daran hindern sollte, mit der Wirklichkeit zurecht zukommen, jedenfalls habe ich das bei mir noch nie bemerkt :-)). Traeume sind nicht einfach nur Wirklichkeitsflucht. In unseren Traeumen verarbeiten wir die Wirklichkeit, Traeume sind unter anderem Strategien der Psyche, mit etwas fertig zu werden und/oder in Zusammenhang zu bringen, ohne die Schranke des Tag-Bewusstseins.  Wobei wir auch tagsueber traeumen, auch das sind wir niemals wach im 100%zigen Sinn.  Ein Grossteil unseres Wachseins vergeht damit, dass wir uns in Traumsituationen bewegen, irgendwo herum driften. Das aber nur nebenbei. Ohne diese Art zu "denken" waeren wir weder kreativ noch auf Dauer ueberlebensfaehig. 

 

 

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