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Christliches Vertrauen


Shubashi

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Ich weiß nicht, ob jemand etwas von der Eröffnung des evangelischen Kirchentags mitbekommen hat. Motto ist jedenfalls: "Was für ein Vertrauen!"

 

Was mich erstaunt, ist die Auslegung des Vertrauens z.B. in einer Eröffnungspredigt, die für mein Gefühl rein  diesseitig orientiert ist: das Vertrauen, dass alle möglichen Probleme, vom Klimawandel, Flüchtlingskrise oder Digitalisierung eine positive Lösung finden in dieser Welt finden.

Für mich wäre an diesem Vertrauen nichts spezifisch christliches, nicht mal etwas religiöses.

Dass die Probleme dieser Welt eine positive Lösung finden, ist eigentlich ganz normale Alltagshoffnung. Christlich geht für mich eigentlich darüber hinaus, das spezifische Vertrauen, dass unsere Hoffnung über das Scheitern in irdischen Dingen hinaus geht. 

Meine Hoffnung ist nicht darauf angewiesen, dass wir die Welt retten. Ein Christentum, dass dies zur Bedingung macht, begibt sich in meinen Augen seiner größten Kraftquelle und wird eigentlich zum x-beliebigen Sozialreformertum.

 

 

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Schöne Gedanken!

 

Es juckt mir schon in den Fingern, jetzt reihenweise Bibelverse zu zitieren - ich versuche, darauf zu verzichten. 

 

Jedoch ein Zitat von Corrie ten Boom: 

Zitat

Manche Menschen vertrauen dem Herrn, dass er ihre Seele rettet, nicht aber, dass er für ihr tägliches Leben sorgt.

Corrie ten Boom erlebte das andere Extrem des Vertrauens. Ein rein jenseitsbezogenes Vertrauen. Heute steht das diesseitsbezogene Vertrauen im Mittelpunkt. Ich denke, beides ist eine Verkürzung des christlichen Vertrauens. Da ist die Verheißung, dass wir mit Christus Anteil an seiner Auferstehung bekommen. Dass der Tod nicht das letzte Wort haben wird. Da ist auf der anderen Seite aber auch die Verheißung, dass Gott unser Leben in die Fülle führen möchte. Das bezieht sich sowohl auf das einzelne Leben und Schicksal. Das bezieht sich aber auch auf das Schicksal ganzer Städte, Nationen und der ganzen Welt. Von daher würde ich die politischen und sozialreformerischen Gedanken des Kirchentages nicht ausblenden wollen. Aber es wäre mir in der Tat zu wenig, wenn das alles wäre.

 

Corrie ten Boom erlebte dieses Vertrauen hautnah, als sie aufgrund der Judenrettung ins KZ Ravensbrück eingeliefert wurde. Sie beschreibt später eine Begebenheit. Sie hatte versucht, eine Bibel in das KZ zu schmuggeln. Sie stand in einer Schlange, in der sämtliche Leute gefilzt und durchsucht wurden. Jedoch hatte eine Person direkt vor ihr einen epileptischen Anfall, so dass sie selbst nicht durchsucht wurde, sondern erst die Person hinter ihr wieder durchsucht wurde. Auf diese Weise fiel die Bibel nicht auf. Sie sah darin Gottes gnädige Führung über ihrem Leben. Sie könnte an ihrem Vertrauen an Gott verzweifeln, dass er überhaupt zugelassen hat, dass sie in dieses KZ gekommen ist. Daran verzweifeln, dass ihre halbe Familie durch die Nazis ausgelöscht worden ist. Dass sie dort brutal geschlagen wurde. Aber sie hielt an dem Vertrauen fest, dass Gott nicht nur ihr Seelenheil will, sondern dass er auch für ihr tägliches Leben sorgt und in solchen Kleinigkeiten in der Lage ist, Wunder in ihrem Leben zu tun. Das ist mMn auch eine Facette des christlichen Vertrauens.

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vor 3 Stunden schrieb Shubashi:

Meine Hoffnung ist nicht darauf angewiesen, dass wir die Welt retten. Ein Christentum, dass dies zur Bedingung macht, begibt sich in meinen Augen seiner größten Kraftquelle und wird eigentlich zum x-beliebigen Sozialreformertum.

 

Unterschreibe ich. Und ich denke, für Christen wäre es gut, wenn sie in der Lage wären, nicht nur die Auswirkungen ihres Vertrauens benennen zu können (wie in der Eröffnungspredigt), sondern die Quelle. Ich erlebe aber, dass dies auch für amtliche Vertreter nicht einfach zu sein scheint.
Warum? Ich möchte hoffen, dass Gott und der Glaube an ihn, ihnen nicht zu peinlich ist, könnte mir dies aber als einen der Gründe vorstellen.

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Vielen Dank für zwei schöne Beiträge!

Ich wollte mit meinem Hinweis nicht infrage stellen, dass Gott auch in unserem diesseitigen Alltag präsent ist und Vertrauen verdient, sondern dass dieses Vertrauen eigentlich für mich ein Kontinuum und ein Prozess ist.

Ich werde ja auch ständig von meinem Alltag aufgesogen und verliere die Perspektive - dass Dinge eben so oder so laufen müssten, und wenn es anders kommt, sei es falsch. 

Aber, um ruhig zwei Bilder aus der Bibel zu nehmen: wir haben einen Vater, der einerseits für uns sorgt wie für die Lilien auf dem Feld, und andererseits leben wir in der Realität, dass unser Leben jeden Tag von uns gefordert werden kann.

Ich denke, sich zwischen diesen beiden Polen zu existieren, heißt eben auch vertrauen zu lernen, dass unser Alltags-Ich nicht immer den besten Überblick über unsere wahren Bedürfnisse hat und zum anderen, dass wir immer und überall Endlichkeits- und Unendlichkeitswesen zugleich sind.

 

Eine Kirche, die sich strikt auf die Endlichkeitsperspektive zurückzieht, gerät in ein Dilemma, einerseits nicht mehr auf die wirklichen harten Fragen antworten zu können und andererseits den Glauben auf ein rein rationales Fundament stellen zu wollen - was für die wirkliche "Vertrauenserfahrung" in meinen Augen nicht ausreicht.

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Ich bin sehr zwiegespalten in dieser Frage. Auf der einen Seite bin ich ziemlich desillusioniert und der Meinung, daß die Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes das einzige ist, was mich (und viele andere) vor der Hölle bewahren kann - also quasi die letzte Bastion zwischen Himmel und Hölle.

 

Auf der anderen Seite ist es für mich (und wenn ich einen meiner geistlichen Berater richtig verstanden habe auch für sehr viele andere) sehr schwer zu akzeptieren, daß Gott mein wahres Ich liebt und daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen, nämlich sich selbst auch zu lieben. Wobei ich in diesem ganzen Minenfeld schon ein grundsätzliches Problem mit dem Wort "lieben" habe, weil es mir einfach zu unbestimmt ist.

 

Dazu kommt, daß der Himmel meine Gebete nur sehr begrenzt erhört (hat) bzw. mir immer wieder überdeutlich macht, daß mein Wollen und Wünschen entweder nicht in Gottes Plan passt oder für diese Welt schlicht keine Rolle spielt (was mein Vertrauen in die Liebe Gottes auch nicht eben gestärkt hat).

 

Nun bin ich in einem strikten "Du sollst den Herrn deinen Gott nicht versuchen" ebenso aufgewachsen wie im "man betet nicht für sich selbst um des eigenen Vorteils willen" insofern ist die Lenkung der Welt durch den Allmächtigen für mich mittlerweile eher mit "Schicksal" dem man nicht entrinnt zu beschreiben als mit Vertrauen in einen guten Plan.

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vor 30 Minuten schrieb Flo77:

Auf der anderen Seite ist es für mich (und wenn ich einen meiner geistlichen Berater richtig verstanden habe auch für sehr viele andere) sehr schwer zu akzeptieren, daß Gott mein wahres Ich liebt und daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen, nämlich sich selbst auch zu lieben. Wobei ich in diesem ganzen Minenfeld schon ein grundsätzliches Problem mit dem Wort "lieben" habe, weil es mir einfach zu unbestimmt ist.

Deckt sich mit meiner Erfahrung, welche Schwierigkeiten Begleitete haben. Ich lasse manchmal folgenden Satz dazu los (wenn es passt und der Ratschlag kein Schlag ist...): Sei barmherzig mit Deinen Macken, dann macht es weniger Mühe, an ihnen - mit Gottes Unterstützung - zu arbeiten.

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vor 39 Minuten schrieb Flo77:

Ich bin sehr zwiegespalten in dieser Frage. Auf der einen Seite bin ich ziemlich desillusioniert und der Meinung, daß die Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes das einzige ist, was mich (und viele andere) vor der Hölle bewahren kann - also quasi die letzte Bastion zwischen Himmel und Hölle.

 

Auf der anderen Seite ist es für mich (und wenn ich einen meiner geistlichen Berater richtig verstanden habe auch für sehr viele andere) sehr schwer zu akzeptieren, daß Gott mein wahres Ich liebt und daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen, nämlich sich selbst auch zu lieben. Wobei ich in diesem ganzen Minenfeld schon ein grundsätzliches Problem mit dem Wort "lieben" habe, weil es mir einfach zu unbestimmt ist.

 

Dazu kommt, daß der Himmel meine Gebete nur sehr begrenzt erhört (hat) bzw. mir immer wieder überdeutlich macht, daß mein Wollen und Wünschen entweder nicht in Gottes Plan passt oder für diese Welt schlicht keine Rolle spielt (was mein Vertrauen in die Liebe Gottes auch nicht eben gestärkt hat).

 

Nun bin ich in einem strikten "Du sollst den Herrn deinen Gott nicht versuchen" ebenso aufgewachsen wie im "man betet nicht für sich selbst um des eigenen Vorteils willen" insofern ist die Lenkung der Welt durch den Allmächtigen für mich mittlerweile eher mit "Schicksal" dem man nicht entrinnt zu beschreiben als mit Vertrauen in einen guten Plan.

 

"Lieben" ist rational gesprochen sicherlich ein unbestimmtes Wort, nimmt man es aber als eine Erfahrung, können wir meist anders damit umgehen.

Ich denke, dass wirklich wichtige Vertrauen im Glauben kommt aus der Erfahrung, und ansonsten können wir darauf vertrauen, dass wir diese Erfahrung machen dürfen, wir können uns also allen Ernstes dieser Gefahr ausetzen, "zu vertrauen".

Das ist eigentlich das Geniale an unserem Glauben: wir haben eine Zusage, diese Erfahrung machen zu können und zu dürfen, und es gibt viele Zeugen, die diesen Weg schon gegangen sind.

 

Es ist auf der anderen Seite kein leichter Weg, weil wir keine Vorbehalte und Bedingungen machen dürfen. Es wird von Dir gefordert, dass Du durchhältst, auch wenn die Wüste groß und aussichtslos erscheint. Auf der anderen Seite machen wir aber doch auch immer wieder tröstliche Erfahrungen, die uns weiterhelfen, und dürfen auch jedes Gepäck bei dem abladen, der uns durch diese Wüste begleitet, und den wir doch so oft übersehen.

Und wenn unser Misstrauen auch immer "tausend Masken" sehen will - das Vertrauen darin, dass er uns letztlich begleitet, immer da und letztlich der Urgrund unseres "wahren Selbst" ist, hilft uns, durch das Abfallen der Masken hindurchzuschreiten. Ich denke, im Gehen wächst dennoch das Vertrauen, und es wird solider, und es wächst, obwohl wir es im Weitergehen wieder verschenken.

 

Es ist ein bisschen, wie mit dem Mann, der ständig bestohlen, betrogen und beraubt wird, und der plötzlich aus dem Fenster schaut und lächelt: "Oh, diesen wunderbaren Mond haben sie mir gelassen!"

 

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Long John Silver

Das mit dem "Gott lieben" oder Gott liebt ist auch etwas, das fuer mich eher zu den religioesen wohlfeilen Floskeln gehoert, genau wie Gott ist Liebe etc. 

Ich weiss auch gar nicht, ob es sinnvoll, darauf so viel Gedanken zu verschwenden oder es irgendwie fuer sich um jeden Preis "habhaft" machen zu wollen. Erzeugt nur Druck und funktionieren tut es auch nicht einfach nur deshalb ... Ich finde es eher unnoetige Stolpersteine. 

 

Hat auch fuer mich mit Vertrauen nichts zu tun, wie im ersten Posting angesprochen (mit dem ich grundsaetzlich einig gehe).

 

Ich wuerde auch Vertrauen eher mit "sich etwas verlassen" beschreiben, eine grundsaetzliches Gefuehl von .... nun ja. Fuerchte dich nicht, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein. 

 

Ich befuerchte allerdings,  dass es vielen heute einfacher erscheint, sich auf dieses christliche Sozialprogramm zurueck ziehen und eben das, sagen wir mal, ganz andere, was das Evangelium sagt, aussen vor zu lassen. Sich unangreifbar zu machen im Wettbwerb sozu sagen, 

 

Ein Christentum, was niemand mehr stoert und immer weniger interessiert, was ich verstehen kann, mich interessiert in dieser Einseitigkeit auch nicht. 

 

Dieses Vertrauen hat fuer mich etwas mit Angewiesenheit zu tun, zu wissen, ich bin auf Gott angewiesen. Vom ersten Moment an bis zum letzten und darueber hinaus.  For better, for worse.

 

Almosen spenden kann ich auch ohne Evangelium.

 

 

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