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Soziale Absicherung contra Liberalismus


duesi

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Ich bin neulich in Kolumbien im Urlaub gewesen. Durch einen Freund hatte ich eine Gastfamilie in Bogota kennen gelernt, bei der ich bleiben konnte, so dass ich über diese Gastgeberfamilie ziemlich viele Leute kennen lernen konnte. Und mich hat diese Mentalität und Kultur beeindruckt. Nicht nur, dass die Gesellschaft gerade einen christlichen Aufbruch erlebt. Sondern dass ich in diesem aufstrebenden Land Menschen kennen gelernt habe, jüngere Menschen, Männer und Frauen, aber auch ältere Menschen, die Verantwortung für sich und andere übernehmen, die voller Ideen sind, die entweder schon kleine Unternehmen gegründet haben oder planen, in den nächsten 1-2 Jahren ein eigenes Unternehmen zu gründen. Kämpfer-Typen, sowohl männlich als auch weiblich. Und dieser Impuls hat mich sehr zum Nachdenken gebracht.

 

Mir wurde bewusst, dass ich selbst nicht solch eine Kämpfernatur bin. Sicher habe ich immer versucht, Verantwortung zu übernehmen, zu studieren, zu arbeiten, mich um mich selbst zu kümmern. Aber im Vergleich mit diesen Menschen habe ich mich selbst als ein ziemliches Weichei wahrgenommen. Und ich glaube, es liegt daran, dass ich niemals im Leben wirklich um meine Existenz kämpfen musste. Im Studium gab es BAföG. Als ich meinen Job verlor, gab es Arbeitslosengeld. Versteht mich nicht falsch! Ich möchte nicht sagen, dass unsere fortschrittliche deutsche Gesellschaft dahin soll, wo Kolumbien ist. Aber ich habe mir von den Kolumbianern eine Scheibe abgeschnitten. Und angefangen, wesentlich härter an meinem Charakter zu arbeiten. An meinen sozialen Kompetenzen. An meinen Leistungsbaustellen. Einfach an allen Lebensbereichen. Und es hat mich in kurzer Zeit schon jetzt sehr weit nach vorne gebracht. Wenn ich mich mit Menschen in Deutschland unterhalte, ist da so eine Anspruchshaltung, dass der Staat es irgendwie alles richten soll, die eigenen Risiken absichern soll, für "soziale Gerechtigkeit" sorgen soll. Ich habe das lange Zeit auch so gesehen. Aber die Begegnung mit den Menschen in Kolumbien hat vieles in meinem Denken auf den Kopf gestellt. Sicher ist es gut, dass Menschen in Not unterstützt und gefördert werden. Aber es gibt in Deutschland nicht nur Menschen in Not. Es gibt nicht nur Obdachlose, alleinerziehende Minijobberinnen, Alte und Kranke. Es gibt auch Menschen, die Beziehungen haben. Die gesund sind. Die etwas leisten können Ingenieurinnen und Ingenieure. Kaufleute. Software-Entwicklerinnen und -Entwickler. Und vieles andere mehr. Und, ich merke es bei mir selber, da hat sich so eine Art Meerschweinchenmentalität breit gemacht. Bloß nicht die Komfortzone verlassen! Hauptsache, ich habe mein Hamsterrad, mit dem ich eine Lampe zum Leuchten bringen kann, mein Fressen, meinen Freilauf und mein stilles Örtchen. Ich merke es ja ein Stück bei mir selbst, wo ich diesen Kontrast in Kolumbien gesehen habe, wie sehr ich, der ich eigentlich immer stolz darauf war, Verantwortung übernehmen zu können, wie sehr ich von dieser abgesicherten Meerschweinchenmentalität geprägt bin. 

 

Ein Freund erzählte mir mal von einem Arbeitskollegen am Fließband. Ein junger Mann, der einen Master-Abschluss in Betriebswirtschaftslehre hat. Dieser Mann sagte ihm frei heraus, dass er einfach keine Lust hat, im BWL-Bereich Verantwortung zu übernehmen und sich über solche Probleme den Kopf zu zerbrechen.. Dass er lieber seine Arbeit am Fließband macht, seine Ruhe im Leben hat. Ich verurteile diesen Mann nicht. Das ist seine Freiheit. Dennoch ist es ein Zeichen genau dieser Meerschweinchenmentalität. Dieser Mann könnte Verantwortung übernehmen, ein Unternehmen vielleicht wirtschaftlich nach vorne bringen. Oder ein eigenes gründen. Arbeitsplätze schaffen. Er könnte den Fließbandjob jemandem überlassen, der wirklich nicht mehr kann als Fließbandarbeit zu leisten. 

 

Wie gesagt, ich bin nicht gegen Förderung von Menschen, die förderungswürdig sind. Aber vielleicht würde es der deutschen Gesellschaft gut tun, mal etwas weniger über Kuchenverteilung nachzudenken und etwas mehr darüber nachzudenken, wie man faul gewordene und selbstgenügsame Menschen (wie mich selbst) dazu motivieren kann, wieder mehr Verantwortung zu übernehmen. 

 

Ich vertraue liberalistischen Versprechen für die bessere Gesellschaft genauso wenig wie sozialistischen Versprechen für die bessere Gesellschaft. Überhaupt keine Politik kann für eine bessere Gesellschaft eine Garantie darstellen. Da muss ein Stück Verantwortung von den Menschen selber kommen. Das kann nicht alles vom Staat kommen. Jedoch kann es eine große Hilfe für die Menschen sein, wenn man sie eben nicht wie im Meerschweinchenkäfig völlig umsorgt und abgesichert einpackt, sondern ihnen auch ein Stück Verantwortung und damit auch gewisse Lebensrisiken zumutet. 

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Die Vermeersschweinung des Menschen! :D

 

Nun, das haben wir Bismarck zu verdanken, Sozialversicherung statt Selbsthilfe, und er wußte genau, warum. Oder um es mit dem liberalen Reichstagsabgeordneten Eugen Richter (1838-1906) zu formulieren: Der Gehorsam gewinnt, alles andere leidet.

 

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vor einer Stunde schrieb duesi:

.... Sondern dass ich in diesem aufstrebenden Land Menschen kennen gelernt habe, jüngere Menschen, Männer und Frauen, aber auch ältere Menschen, die Verantwortung für sich und andere übernehmen, die voller Ideen sind, die entweder schon kleine Unternehmen gegründet haben oder planen, in den nächsten 1-2 Jahren ein eigenes Unternehmen zu gründen. ...

wovon leben sie bis zur gründung und gewinnerzielung?

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8 hours ago, Marcellinus said:

Die Vermeersschweinung des Menschen! :D

 

Nun, das haben wir Bismarck zu verdanken, Sozialversicherung statt Selbsthilfe, und er wußte genau, warum. Oder um es mit dem liberalen Reichstagsabgeordneten Eugen Richter (1838-1906) zu formulieren: Der Gehorsam gewinnt, alles andere leidet.

 

Langfristig hat das zu einer stark entsolidarisierten Gesellschaft geführt. Wer einen guten Teil seines Einkommens direkt zur Unterstützung fremder Leute abführen muss, wird im Schnitt weniger Bereitschaft haben, direkt zu helfen. Der Spruch "Sozialamt ist zwei Straßen weiter" kommt nicht von ungefähr.

Jede Medaille hat halt zwei Seiten.

 

Werner

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vor 9 Stunden schrieb helmut:

wovon leben sie bis zur gründung und gewinnerzielung?

Da das Land im Aufbruch ist, gibt es durchaus Jobangebote. Nicht so gut bezahlte wie in Deutschland, nicht so viele. Aber es gibt sie. Und die Gesellschaft ist sehr viel familiärer und geselliger. Es ist nunmal günstiger, mit Mama und Schwester zusammenzuleben, als den Anspruch zu haben, mit 20 unbedingt eine eigene Wohnung haben zu müssen. Wenn ich mit meinem Gastgeber (26-jähriger Salesman, der von Stoffeinkäufen und -verkäufen lebt, mit Mama und Schwester lebt und plant, ein eigenes Restaurant zu gründen) unterwegs war, waren wir fast immer in größeren Gruppen unterwegs. Und wenn wir Mal zu zweit durch die Straßen gingen, sind wir alle paar Minuten auf Menschen getroffen, mit denen ein kleines Schwätzchen gehalten wurde. Dadurch, dass die Kolumbianer sehr viel kontaktfreudiger sind als die meisten Deutschen, haben sie auch sehr viel mehr Unterstützung, wenn es darum geht, etwas in die Hand zu nehmen. Trotzdem, dass die Menschen schlechter bezahlt werden als in Deutschland, es fast unmöglich ist, eine Familie zu gründen, ohne ein eigenes Unternehmen zu gründen, sind die Menschen im Schnitt besser angezogen, haben gepflegtere Wohnungen als vieles, was ich in Deutschland gesehen habe. Und das bei Menschen, die eben nicht durch ein reiches Erbe oder großen Besitz alles in die Wiege gelegt bekommen haben. Ich habe ein 24jähriges Mädchen kennen gelernt, die gerade ein Rechtsstudium absolviert und einen Regierungsjob ergattert hat. Sie gehört schon zu einer Minderheit, da nicht viele Menschen in Kolumbien studieren. Aber auch sie träumt nicht von einem abgesicherten Leben. Sie möchte eine eigene Beratungsfirma gründen.

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Christlicher Bezug dieses Themas? Bis auf den im Nebensatz eingestreuten "christlichen Aufbruch" scheint es mir hier eher um ganz simple gesellschaftliche/ökonomische Prozesse zu gehen. 

 

Vielleicht kann man den Thread etwas Richtung Sozialethik/Christ. Gesellschaftslehre lenken?

 

 

Saluti cordiali, 

Studiosus. 

bearbeitet von Studiosus
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vor 13 Minuten schrieb Studiosus:

Christlicher Bezug dieses Themas? Bis auf den im Nebensatz eingestreuten "christlichen Aufbruch" scheint es mir hier eher um ganz simple gesellschaftliche/ökonomische Prozesse zu gehen. 

 

Vielleicht kann man den Thread etwas Richtung Sozialethik/Christ. Gesellschaftslehre lenken?

 

 

Saluti cordiali, 

Studiosus. 

Klar könnte man jetzt die Papstschreiben zu christlicher Soziallehre behandeln, was an anderer Stelle auch schon gemacht wurde. Ich sehe den christlichen Bezug im Menschenbild, das Menschen von sich und anderen haben. Die Menschen, die ich getroffen habe, schöpfen häufig aus dem Glauben heraus die Kraft dazu zu kämpfen und Verantwortung zu übernehmen. Ohne jetzt Bibelworte aneinander klatschen zu wollen. Aber biblische Aussagen wie "zur Freiheit hat uns Christus befreit. Lasst euch nicht wieder ein Koch der Knechtschaft auflegen" haben für diese Menschen eine existenzielle Bedeutung. Wir haben hier in Deutschland häufig ein Bild vom Menschen und von christlichen Werten, die ganze Welt als bedürftig wahrzunehmen und die ganze Welt mit materieller Hilfe und Umverteilung retten und beglücken zu wollen. Ich möchte die Diskussion nicht wieder in die Migrationsrichtung lenken. Aber diese Diskussion, die Deutschland spaltet, ist ein Symptom dieses falschen unchristlichen Menschenbildes, die dem einzelnen Menschen nichts zutraut. Die einen sehen sich selbst als so bedürftig, dass sie Angst haben, dass ihnen jemand was wegnimmt, weil sie sich selbst nichts zutrauen. Und die anderen sehen die anderen als so bedürftig, dass sie ihnen nichts zutrauen und alle Menschen mit materieller Sicherheit beglücken wollen. (bitte die Diskussion hier auf das christliche Menschenbild lenken und nicht auf die rechtliche Migrationsfrage).  Ich habe mich mit meinem Friseur darüber unterhalten. Er ist Iraker. Er erzählte mir, dass er ein eigenes Unternehmen gegründet hätte, sich verschuldet und verkalkuliert hätte und nun arbeitet, um seine Schulden abzuzahlen. Ich sagte ihm, dass ich als Deutscher von Menschen wie ihm noch etwas lernen kann. Dass ich es großartig finde, dass er den Mut hatte, Verantwortung zu übernehmen und etwas in die Hand zu nehmen, auch wenn es schief gegangen ist. Auch wenn sozialistische Vorstellungen häufig im christlichen Gewand daherkommen, machen sie Menschen, die zu freier Verantwortungsübernahme berufen sind, zu abhängigen unfreien Wesen.

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vor 17 Stunden schrieb Marcellinus:

Die Vermeersschweinung des Menschen! :D

 

Nun, das haben wir Bismarck zu verdanken, Sozialversicherung statt Selbsthilfe, und er wußte genau, warum. Oder um es mit dem liberalen Reichstagsabgeordneten Eugen Richter (1838-1906) zu formulieren: Der Gehorsam gewinnt, alles andere leidet.

 

Zu Bismarcks Zeiten waren die Leistungen noch eher dürftig. Die zuvor herrschende Verelendung im Rahmen der Industrialisierung zeigt, dass es allein mit Selbsthilfe nicht weit her ist.

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vor 18 Stunden schrieb duesi:

Wie gesagt, ich bin nicht gegen Förderung von Menschen, die förderungswürdig sind. Aber vielleicht würde es der deutschen Gesellschaft gut tun, mal etwas weniger über Kuchenverteilung nachzudenken und etwas mehr darüber nachzudenken, wie man faul gewordene und selbstgenügsame Menschen (wie mich selbst) dazu motivieren kann, wieder mehr Verantwortung zu übernehmen.

Wie könnte man diese Menschen motivieren?

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vor 23 Minuten schrieb Merkur:

Zu Bismarcks Zeiten waren die Leistungen noch eher dürftig. Die zuvor herrschende Verelendung im Rahmen der Industrialisierung zeigt, dass es allein mit Selbsthilfe nicht weit her ist.

 

Das ist so nicht ganz richtig. Die Bismarcksche Sozialpolitik diente nicht dem Beenden der Verelendung, sondern dazu, durch eine Sozialversicherung die Arbeiter an den Staat zu binden, und das auch noch zum Teil finanziert aus ihren eigenen Beiträgen. Die Liberalen dagegen forderten Hilfe zur Selbsthilfe durch Koalitionsfreiheit und Streikrecht, und förderten das durch die Bildung von Genossenschaften und Bildungsvereinen. So schrieb der liberale Reichstagsabgeordnete Theodor Barth 1889: „Es gibt in der Volkswirtschaft nur einen wirklichen Fortschritt, die Entwicklung zu höherer Leistungsfähigkeit des Einzelnen in moralischer, intellektueller und technischer Hinsicht.“

Durchgesetzt hat sich allerdings der Sozialstaat, mit all seinen unbestreitbaren Vorzügen und Problemen.

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vor 9 Minuten schrieb Merkur:

Wie könnte man diese Menschen motivieren?

Ich weiß darauf keine einfache Antwort. Es geht mir nicht um Abbau des Sozialstaates. Aber auf jeden Fall um eine klügere Ausrichtung des Sozialstaates. Manchmal kann weniger mehr sein. Mir persönlich hat die Erfahrung des Kontrastes und natürlich der Glaube Motivation gegeben, ein Stück weit meine Komfortzone zu verlassen. Ich weiß, dass ich zu wenige Beziehungen habe und in meinem Bereich erst noch besser werden muss, um überhaupt über Selbständigkeit nachzudenken. Aber ich habe jetzt den Mut gewonnen, diesen Traum, den ich früher hatte, überhaupt wieder träumen zu können. Der Staat kann wenig tun, um diese Motivation zur Verantwortung zu fördern. Aber die Gläubigen und die Kirche können viel tun. Indem sie sich nicht nur um materielle Nöte, sondern auch um geistige Nöte kümmern, die die Menschen in die Unmündigkeit treiben. 

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vor 10 Stunden schrieb Werner001:

Langfristig hat das zu einer stark entsolidarisierten Gesellschaft geführt. Wer einen guten Teil seines Einkommens direkt zur Unterstützung fremder Leute abführen muss, wird im Schnitt weniger Bereitschaft haben, direkt zu helfen. Der Spruch "Sozialamt ist zwei Straßen weiter" kommt nicht von ungefähr.

 

Und das ist gut so!

 

Ein Rechtsanspruch auf Sozialleistungen ist alle mal menschenwürdiger als die Abhängigkeit von Almosen.

Es entlastet auch mich als potentiellen Geber: Ich muß mir keine Gedanken machen, ob ich mit meiner Münze jetzt einem armen Schwein helfe, den Tag zu überleben oder dem Chef der Bettlermafia die dritte Nobelkarosse zu finanzieren. Ersterer bekommt das Notwendige vom Amt, (auch) von meinen Steuern bezahlt, und das ist gut so. (Letzterer auch, weil der Chef der Bettlermafia da sehr geschickt ist, und das ist alles andere als gut so.)

 

Helfen tue ich da, wo ich wirklich helfen kann und weiß, das es ankommt. Wenn der Nachbar mich bittet, ihm 'ne Schraube in die Wand zu schlagen, dann mache ich das gerne.

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vor 4 Minuten schrieb Marcellinus:

 

Das ist so nicht ganz richtig. Die Bismarcksche Sozialpolitik diente nicht dem Beenden der Verelendung, sondern dazu, durch eine Sozialversicherung die Arbeiter an den Staat zu binden, und das auch noch zum Teil finanziert aus ihren eigenen Beiträgen. Die Liberalen dagegen forderten Hilfe zur Selbsthilfe durch Koalitionsfreiheit und Streikrecht, und förderten das durch die Bildung von Genossenschaften und Bildungsvereinen. So schrieb der liberale Reichstagsabgeordnete Theodor Barth 1889: „Es gibt in der Volkswirtschaft nur einen wirklichen Fortschritt, die Entwicklung zu höherer Leistungsfähigkeit des Einzelnen in moralischer, intellektueller und technischer Hinsicht.“

Durchgesetzt hat sich allerdings der Sozialstaat, mit all seinen unbestreitbaren Vorzügen und Problemen.

 

Und auch da haben wir seit Bismarck erhebliche Fortschritte gemacht. In allen drei Aspekten.

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vor 3 Minuten schrieb Moriz:

 

Und das ist gut so!

 

Ein Rechtsanspruch auf Sozialleistungen ist alle mal menschenwürdiger als die Abhängigkeit von Almosen.

Es entlastet auch mich als potentiellen Geber: Ich muß mir keine Gedanken machen, ob ich mit meiner Münze jetzt einem armen Schwein helfe, den Tag zu überleben oder dem Chef der Bettlermafia die dritte Nobelkarosse zu finanzieren. Ersterer bekommt das Notwendige vom Amt, (auch) von meinen Steuern bezahlt, und das ist gut so. (Letzterer auch, weil der Chef der Bettlermafia da sehr geschickt ist, und das ist alles andere als gut so.)

 

Helfen tue ich da, wo ich wirklich helfen kann und weiß, das es ankommt. Wenn der Nachbar mich bittet, ihm 'ne Schraube in die Wand zu schlagen, dann mache ich das gerne.

Ich sehe das ein bisschen differenzierter. Klar können Bedürftigkeitsprüfung usw. dafür sorgen, dass die Hilfe dort ankommt, wo sie gebraucht wird. Ich will das auch gar nicht abschaffen. Ich sehe allerdings, dass ein Mensch, der auf der Straße sitzt und bettelt, immer noch unter Menschen kommt. Einer, der unpersönliche Sozialleistungen bekommt, steht in der Versuchung, sich selbst zu isolieren und zu verwahrlosten. Ich war früher gegen die 1-Euro-Jobs, bis ich einen jungen Mann kennen gelernt habe. Der erzählte mir, dass er sich als Sozialhilfeempfänger selbst isoliert hatte, den ganzen Tag am Fernseher saß, Drogen konsumierte und Selbstmordgedanken hatte. Ein 1-Euro-Job, wo er Gebäude unter Denkmalschutz restaurieren sollte, brachte ihn wieder unter Menschen. Er gewann wieder Lebensmut und bekam einen Job auf Mindestlohnbasis. Er versöhnte sich mit seinem Vater. Er hatte dann irgendwann eine Freundin. Und konnte mit Vater und Freundin zusammen ein Haus kaufen. Es ist meines Erachtens viel entwürdigender, einen Menschen durch vollständige Absicherung zur Selbstaufgabe zu versuchen, als einem Menschen ein Stück Verantwortung für sich selbst zuzumuten.

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vor 14 Minuten schrieb duesi:

Ich sehe allerdings, dass ein Mensch, der auf der Straße sitzt und bettelt, immer noch unter Menschen kommt. ...

Ich halte Betteln für völlig unzumutbar. Auch 1-Euro-Jobs sind keine Lösung. Ein übermäßiges Machtgefälle im Arbeitsmarkt sollte generell vermieden werden.

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vor 7 Minuten schrieb Moriz:

 

Und auch da haben wir seit Bismarck erhebliche Fortschritte gemacht. In allen drei Aspekten.

 

In dem letzten Punkt hast du sicherlich Recht, in den beiden anderen möchte ich ernste Zweifel anmelden. 

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1 hour ago, Moriz said:

 

Und das ist gut so!

 

Ein Rechtsanspruch auf Sozialleistungen ist alle mal menschenwürdiger als die Abhängigkeit von Almosen.

Es entlastet auch mich als potentiellen Geber: Ich muß mir keine Gedanken machen, ob ich mit meiner Münze jetzt einem armen Schwein helfe, den Tag zu überleben oder dem Chef der Bettlermafia die dritte Nobelkarosse zu finanzieren. Ersterer bekommt das Notwendige vom Amt, (auch) von meinen Steuern bezahlt, und das ist gut so. (Letzterer auch, weil der Chef der Bettlermafia da sehr geschickt ist, und das ist alles andere als gut so.)

 

Helfen tue ich da, wo ich wirklich helfen kann und weiß, das es ankommt. Wenn der Nachbar mich bittet, ihm 'ne Schraube in die Wand zu schlagen, dann mache ich das gerne.

Meine Anmerkung war feststellend, nicht wertend. 
 

Werner

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vor 2 Stunden schrieb mn1217:

Warum steht das unter: Kirche im Dialog?

Nun, in "Rerum Novarum" forderte Leo, daß der "Arbeiter" grundsätzlich die Möglichkeit haben muss selbst Vermögen zu bilden. Hätte man das als Grundsatz genommen und nicht die Betäubung der Arbeiterschaft durch den Sozialstaat, sähe die Welt heute anders aus.

 

Ein paar kleine Anmerkungen dazu: Seit Jahr und Tag halte ich die Beteiligung der Arbeitnehmer an den Firmen in denen sie arbeiten für eine intelligente Sache. Mein Arbeitgeber z.B. bietet - weltweit allen Mitarbeitern - ein Programm an, mit dem Firmenaktien erworben werden können. Klar - bei einer börsenotierten AG ist das relativ einfach darstellbar, bei einer GmbH oder gar einer Einzelfirma bräuchte man andere Modelle. Ich habe allerdings auch nicht den Eindruck, als würden diese Programme auf ein breiteres Echo stoßen.

 

Darüber hinaus haben wir noch immer keine Grunderwerbssteuerbefreiung für selbstgenutzte Wohnimmobilien oder eine steuerliche Berücksichtigung der Aufwendungen für die Instandhaltung solcher Immobilien (während die Kosten gewerblich genutzter Immobilien problemlos absetzbar sind). Stattdessen schwebt eine Transaktionssteuer im Raum, die ausgerechnet den Kleinaktionär belasten würde, aber den Spekulanten in Ruhe ließe.

 

Nun ist hier ja schon die Frage nach der "Würde des Menschen" aufgeworfen worden. Ich halte diese Frage für letztlich nicht lösbar. Haben die Bewohner der Müllkippen Indiens und Afrikas keine "Würde"? Bei uns dagegen hält man die Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Menschen für unannehmbar."Würde" erscheint mir zuvorderst etwas zu sein, was man in sich trägt.

 

Aber was heißt das nun für den Sozialstaat? In seiner aktuellen Form erinnert mich unser System doch sehr an "panem et circensis", aber ich habe keine Ahnung was die Alternative wäre. BGE? Neg. Einkommensteuer? Privat organisierte Lösungen wie weyland die Zünfte? Kompletter Rückzug des Staates aus dem Thema.

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vor 9 Minuten schrieb Flo77:

 BGE?

Das wäre meiner Meinung nach die beste Lösung. Außerdem eine geringere Belastung niedriger Arbeitseinkommen. Die Grenze, ab der Einkommensteuer zu zahlen ist, könnte wesentlich heraufgesetzt werden. Auch die Sozialabgaben sind mE zu hoch, man könnte ein billigeres und effizienteres System haben, wenn man wollte.

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vor 10 Stunden schrieb Studiosus:

Christlicher Bezug dieses Themas? Bis auf den im Nebensatz eingestreuten "christlichen Aufbruch" scheint es mir hier eher um ganz simple gesellschaftliche/ökonomische Prozesse zu gehen. 

 

Vielleicht kann man den Thread etwas Richtung Sozialethik/Christ. Gesellschaftslehre lenken?

 

 

Saluti cordiali, 

Studiosus. 


Danke für den Vorschlag.
Hier ist ein Link der österreichischen katholischen Ordensgemeinschaften mit einem Überblick dazu.

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vor 4 Minuten schrieb Flo77:

Nun ist hier ja schon die Frage nach der "Würde des Menschen" aufgeworfen worden. Ich halte diese Frage für letztlich nicht lösbar. Haben die Bewohner der Müllkippen Indiens und Afrikas keine "Würde"? Bei uns dagegen hält man die Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Menschen für unannehmbar."Würde" erscheint mir zuvorderst etwas zu sein, was man in sich trägt.

Ich schrieb über das Thema "Menschenbild", das zwar mit dem Thema "Würde" zusammenhängt, aber nicht identisch ist. Ich habe einige freikirchliche Kontakte mit Menschen, die Ahnung von Hilfsprojekten für indische Müllkippen haben. Die Menschen in Kolumbien, die ich getroffen habe, haben auch Slumkontakte. In meiner Studienzeit habe ich sehr viel mit den Obdachlosen in meiner Stadt gesprochen und auch häufig etwas hingelegt. Etwas, auf das ich immer stoße, ist, dass sogar bei Menschen in völliger Perspektivlosigkeit wie in den Müllkippen Indiens, die Kraft der Menschen, sich durch die Kraft des Glaubens aus ihrem Elend zu befreien, wesentlich größer ist als die Kraft der Gesellschaft, durch Hilfsprogramme und Hilfsprojekte usw. irgendwelche Perspektiven für diese Menschen zu schaffen. Wenn ein Mensch sich erst einmal selbst aufgegeben hat, dann kann ich ihm noch so viele finanzielle Mittel hinlegen oder durch Umverteilung irgendwie beschaffen, es wird ihn nicht aus seinem Elend befreien. Das bedeutet nicht, dass die Menschen, die in den indischen Müllkippen helfen, nur predigen und nichts geben. Natürlich helfen sie auch materiell. Es geht mir nicht darum, ein bestimmtes Bild von Leben als menschenwürdig zu definieren. Es geht darum, wie Menschen sich und andere sehen. Als bedürftige Wesen, denen man eine Lebensgrundlage schaffen muss? Oder als eigenständige Wesen, die man befähigen kann, sich selbst eine Lebensgrundlage zu schaffen? Ich bin so dankbar dafür, dass wir in Deutschland noch kein Grundeinkommen haben. Denn dann würde die berufliche Förderung ebenfalls runtergefahren. Als ich einmal arbeitslos war, hätte es mir nichts gebracht, mir ein Grundeinkommen bedingungslos zur Verfügung zu stellen. Aber es hat mir eine Menge gebracht, dass man mir die Möglichkeit gab, ein Bewerbungstraining und ein Vorstellungstraining zu absolvieren.

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vor 2 Stunden schrieb Marcellinus:

 

In dem letzten Punkt hast du sicherlich Recht, in den beiden anderen möchte ich ernste Zweifel anmelden. 

 

  • Moral:
    Zu Bismarcks Zeiten war es vollkommen üblich, Kinder zu schlagen. Bei der eigenen Frau wurde es auch hingenommen und auch sonst waren Prügeleien, z.B. auf dem Schulhof oder vor der Kneipe, nicht selten.
    Heutzutage gibt es das kaum noch. Auch die Kriminalitätsraten sinken.
    (Gut, man muß das nicht 'Moral' nennen. In anderen Bereichen haben sich die Vorstellungen geändert. Ein uneheliches Kind ist heutzutage keine Katastrophe mehr; eine Vergewaltigung wird dagegen immer weniger hingenommen.)
  • Bildung:
    Früher waren die Schularten millieugebunden (und nicht etwa leistungsabhängig):
    Volksschule für Bauern- und Arbeiterkinder, die wieder Bauern und Arbeiter wurden.
    Realschule für die Kinder der Angestellten, die wieder Angestellte wurden.
    Abitur für die Kinder der höheren Schichten, die die anspruchsvollen Berufe ergriffen.
    Heute schafft die Hälfte der Kinder eine Hochschulzugangsberechtigung.
    (Auch wenn die Chancengleichheit immer noch zu wünschen übrig lässt.)
  • Technik:
    (Ich überlege gerade, durch was mein Smart-Fon zu Bismarcks Zeiten hätte ersetzt werden können...)
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