Cosifantutti Geschrieben 20. Juni Autor Melden Geschrieben 20. Juni vor 20 Minuten schrieb SteRo: Das würde ich so nicht sagen, weil zu den Wunden der gefallenen Natur ja die Ignoranz/Unwissenheit zählt, welche sich durchaus abträglich hinsichtlich der Güte einer Vernunfterkenntnis auswirken kann. ....eben "kann" nicht "muss". Das ist ein feiner, aber wichtiger Unterschied. Zitieren
Merkur Geschrieben 20. Juni Melden Geschrieben 20. Juni vor 2 Stunden schrieb Marcellinus: Ich weiß, "Vernunft" ist kein geschützter Begriff, aber was an dem Glauben an Wunder, Götter und Geister "vernünftig" sein soll, erschließt sich mir nicht. ... Du sagst es doch selbst: Zitat Religion war unter diesem Aspekt der erste Versuch der Menschen, sich in dieser Welt zu orientieren. Da sie noch über kaum nachprüfbares Wissen verfügten, bildeten sie sie ihre Erklärungsmodelle für Beobachtungen, die ihnen persönlich bedeutsam erschienen und die sie sich nicht erklären konnten, mit Hilfe der Fantasie, meistens in der Form von übernatürlichen als Personen gedachten Verursachern. Darüber hinaus ist Religion natürlich nicht nur Erklärung, sondern auch Instrument der Psychohygiene, sozialer Raum u.v.m. Zitieren
Marcellinus Geschrieben 20. Juni Melden Geschrieben 20. Juni vor 37 Minuten schrieb Merkur: Du sagst es doch selbst: Zitat Religion war unter diesem Aspekt der erste Versuch der Menschen, sich in dieser Welt zu orientieren. Da sie noch über kaum nachprüfbares Wissen verfügten, bildeten sie sie ihre Erklärungsmodelle für Beobachtungen, die ihnen persönlich bedeutsam erschienen und die sie sich nicht erklären konnten, mit Hilfe der Fantasie, meistens in der Form von übernatürlichen als Personen gedachten Verursachern. Darüber hinaus ist Religion natürlich nicht nur Erklärung, sondern auch Instrument der Psychohygiene, sozialer Raum u.v.m. Nun, der Erklärungsaspekt hat sich erledigt, und für den Rest spricht die sinkende Nachfrage denke ich für sich. Zitieren
Marcellinus Geschrieben 20. Juni Melden Geschrieben 20. Juni vor 1 Stunde schrieb Cosifantutti: Der zentrale Bezugspunkt der Metaphysik und der Theologie ist nicht "Wunder, Götter oder Geister, sondern der "Ursprung" der "Grund" von allem, was ist, den man eben GOTT nennt, dies ist ein sehr großer Unterschied. Es ist schlicht auch die Grundfrage ob, ich einen letzten Sinnzusammenhang finden kann oder ob alles in unzusammenhängende, völlig nichtssagende und unbedeutende Einzelteile zusammenfällt. Und? Findet man es? Ich sehe nur, daß Religionen seit Jahrtausenden danach suchen, immer wieder behaupten, sie hätten etwas gefunden, und wann man fragt, was das sei, kommen all die Ausreden, daß man "sich kein Bild machen solle", oder daß alles "ein Geheimnis sei". Entscheidender aber scheint mir zu sein, daß die Suche nach einem absoluten Anfang vielleicht noch spannend war, als man sich die Welt wenige tausend Jahre alt dachte, und die Zahl der Menschengenerationen noch albzählbar schien. Heute gehen wir von einem Alter des Universums von mindestens 13 Mrd. Jahren aus, und das ist noch immer nicht der "Anfang". Da sinkt die Bedeutung mit dem Quadrat der zeitlichen und räumlichen Entfernung. Die Religionen mögen immer noch die gleichen Formeln aufsagen, aber den allermeisten Menschen sagt es erkennbar nichts mehr. Alles hat halt seine Zeit. Zitieren
Merkur Geschrieben 20. Juni Melden Geschrieben 20. Juni vor 5 Minuten schrieb Marcellinus: Nun, der Erklärungsaspekt hat sich erledigt, und für den Rest spricht die sinkende Nachfrage denke ich für sich. Es ging um Vernunft, nicht um Nachfrage. Zitieren
Marcellinus Geschrieben 20. Juni Melden Geschrieben 20. Juni vor 1 Minute schrieb Merkur: vor 9 Minuten schrieb Marcellinus: Nun, der Erklärungsaspekt hat sich erledigt, und für den Rest spricht die sinkende Nachfrage denke ich für sich. Es ging um Vernunft, nicht um Nachfrage. Nun, das eine hat mit dem anderen zu tun. Der Glaube an Götter erklärt nichts mehr, und folgerichtig sinkt die Nachfrage. Zitieren
Frey Geschrieben 20. Juni Melden Geschrieben 20. Juni vor 5 Stunden schrieb Marcellinus: Ich weiß, "Vernunft" ist kein geschützter Begriff, aber was an dem Glauben an Wunder, Götter und Geister "vernünftig" sein soll, erschließt sich mir nicht. Philosophen haben sich schon mit allerlei Fragen beschäftigt, ohne je Antworten darauf gefunden zu haben, und die Antworten der Religionen fallen je nach Richtung unterschiedlich aus, man kann sie glauben oder nicht. Überzeugt haben sie mich noch nie, und du kannst sicher sein, daß es schon viele, hier wie anderswo, versucht haben. Die Suche nach der "Wahrheit" ist wie die nach den Stein der Weisen oder nach Eldorado - Esoterik. Aber jeder, wie er mag. 😉 Die Frage, was an Wundern oder Gottesglauben “vernünftig” sei, berührt einen Kernpunkt. Für die katholische Tradition ist Vernunft nie rein naturwissenschaftlich gemeint, sondern als ganzheitliche menschliche Vernunft (lat. ratio), die folgende Ebenen umfasst: • Philosophische Vernunft: Sie fragt nach letzten Ursachen (Warum existiert etwas statt nichts?). • Theologische Vernunft: Sie akzeptiert Offenbarung als ergänzende Quelle (z.B. durch biblische Zeugnisse). • Praktische Vernunft: Sie erkennt, dass der Mensch nach Sinn und Transzendenz strebt – ein empirisch beobachtbares Phänomen. Beispiel: Thomas von Aquin argumentiert, dass die Existenz Gottes durch Vernunftschlüsse (etwa aus der Kausalität) erkennbar sei, auch wenn das Wesen Gottes den Verstand übersteigt. Wunder sind hier keine “Magie”, sondern Zeichen der Transzendenz – wie die Auferstehung, die als historisches Ereignis vernünftig diskutiert wird. Du erwähnst zu Recht, dass Philosophen oft keine endgültigen Antworten fanden. Genau hier sieht die Kirche ihre Aufgabe: • Wissenschaft erklärt wie die Welt funktioniert. • Philosophie fragt nach dem Warum (Sinn, Moral, Sein). • Theologie fragt nach dem Woher und Wohin (Schöpfung, Erlösung). Diese Ebenen überschneiden sich nicht, sondern ergänzen sich. Ein Astrophysiker kann gleichzeitig beten – nicht aus “Unvernunft”, sondern weil er die Grenzen der Naturwissenschaft anerkennt: Sie erklärt nicht, warum das Universum existiert oder warum Liebe schmerzt. Der Vergleich mit dem “Stein der Weisen” ist nachvollziehbar, doch es gibt entscheidende Unterschiede: • Systematische Methode: Theologie folgt klaren Regeln (Schriftauslegung, Logik, Kirchenväter-Zitate) – keine willkürliche Spekulation. • Historische Prüfbarkeit: Kernereignisse (wie Jesu Wirken) werden historisch-kritisch untersucht. • Fruchtbarkeit: Der Glaube brachte Schulen, Hospitäler und Universitäten hervor – Zeugnisse einer praktischen Vernunft. Der heilige Anselm prägte “fides quaerens intellectum” (“Glaube, der nach Einsicht strebt”). Glaube ist hier kein Sprung ins Irrationale, sondern eine vernünftige Antwort auf erfahrene Grenzen (Tod, Leid, Schuld). Ich respektiere, dass Du religiöse Antworten nicht überzeugend findest. Vielleicht könnte ein Blick auf Konvertiten wie St. Edith Stein helfen: Als Philosophin und Atheistin fand sie durch die Lektüre von Teresa von Ávila zur Kirche – aus rein rationalen Gründen. Weitere Lektüren: Joseph Ratzinger: Einführung in das Christentum (Kapitel zur Vernunft), Thomas von Aquin: Summa contra Gentiles, John Lennox: Hat die Wissenschaft Gott begraben? 1 Zitieren
Cosifantutti Geschrieben 20. Juni Autor Melden Geschrieben 20. Juni vor 7 Stunden schrieb Marcellinus: War die Ansicht von Auguste Comte. Er war ein Kind des 19. Jh. und damit ein Anhänger eines unerschütterlichen Fortschrittsglaubens. Ihm ging es auch nicht um Religion oder Philosophie an sich, sondern um ein möglichst realistisches Bild der beobachtbaren Wirklichkeit. Religion war unter diesem Aspekt der erste Versuch der Menschen, sich in dieser Welt zu orientieren. Da sie noch über kaum nachprüfbares Wissen verfügten, bildeten sie sie ihre Erklärungsmodelle für Beobachtungen, die ihnen persönlich bedeutsam erschienen und die sie sich nicht erklären konnten, mit Hilfe der Fantasie, meistens in der Form von übernatürlichen als Personen gedachten Verursachern. Philosophie war der nächste Schritt der Welterklärung, in dem übernatürliche Verursacher durch abstrakte Begriffe wie Natur oder Vernunft ersetzt wurden. Die Fragen waren aber immer noch die, die die Menschen persönlich am meisten berührten, die nach Anfang und Ende und dem Sinn von allem, alles Fragen, die den Menschen bedeutsam erscheinen mögen, sich aber nicht durch Tatsachenbeobachtungen beantworten lassen. Die Wissenschaften schließlich verstand Comte als die Phase menschlicher Erkenntnisbemühungen, in der es nicht mehr nach absoluten Anfängen und Zielen geht, die sich eh nicht durch Tatsachenbeobachtungen belegen lassen, sondern um die Frage, wie beobachtbare Tatsachen nachprüfbar zusammenhängen. Und wo du den Positivismus erwähnst, ja, Comte wird als der "Positivist schlechthin" bezeichnet, aber er verstand darunter etwas völlig anderes als das, was man heute gemeinhin damit meint. Heute versteht man unter Positivismus den Ausgang und die Interpretation von "reinen Beobachtungen". Comte dagegen betonte von Anfang an die wechselseitige Abhängigkeit von Tatsachenbeobachtung und Theoriebildung: „Denn wenn auch auf der einen Seite jede positive Theorie notwendigerweise auf Beobachtungen fundiert sein muß, so ist es auf der anderen Seite nicht weniger richtig, daß unser Verstand eine Theorie der einen oder anderen Art braucht, um zu beobachten. Wenn man bei der Betrachtung von Erscheinungen diese nicht unmittelbar in Beziehung zu gewissen Prinzipien setzen würde, wäre es nicht nur unmöglich für uns, diese isolierten Beobachtungen miteinander in Verbindung zu bringen ... wir würden sogar völlig unfähig sein, uns an die Tatsachen zu erinnern; man würde sie zum größten Teil nicht wahrnehmen.“ (Auguste Comte, Cours de Philosophie Positive, Band 1, Paris 1907) Religion, Philosophie und schließlich die positiven Wissenschaften waren für Auguste Comte die drei Stadien menschlicher Erkenntnisbemühungen, die notwendig aufeinander folgen mußten, Religion als das theologische oder fiktive Stadium, Philosophie als das metaphysische oder abstrakte Stadium und schließlich das wissenschaftliche oder positive Stadium. Diesen drei Stadien entsprachen seiner Ansicht nach auch drei Methoden des Denkens und der Theoriebildung, wobei der Unterschied zwischen Religion und Philosophie eigentlich vor allem darin besteht, daß Philosophie nicht auf übernatürliche Verursacher Bezug nimmt, sondern auf metaphysische Prinzipien, an die man aber genauso glauben muß wie an die Götter der Religionen. Die Fragestellungen sind dagegen ziemlich ähnlich, und weil das so ist, und, wie wir uns erinnern, Erkenntnisgewinn für Comte ein sozialer Prozeß ist, spricht viel dafür, daß Philosophen, die den Schritt vom metaphysischen zum positiven Stadium nicht machen, in die Theologie zurückfallen. Und das ist es ja auch, was wir bei Habermas beobachten können. Aber das sind alles Vorstellungen aus dem 19. Jh.. Besonders den Fortschrittsglauben teilen wir heute nicht mehr, und was gestern noch Fantasie erschien, wird heute wieder für Tatsache genommen, während was schon mal als gesicherte Erkenntnis galt, heute wieder in Zweifel steht. Selbst manche Teile der Physik sind heute von Esoterik kaum noch zu unterscheiden, und man kann den Eindruck gewinnen, daß mit dem Fortschrittsglauben auch der Wissenfortschritt selbst in Fortfall geraten ist. Ich finde deine Behauptung, Habermas sei in die Theologie „zurückgefallen“ sehr abenteuerlich. Wo würdest du das denn konkret festmachen, dass er sozusagen von der Philosophie in die Theologie übergewechselt ist…. Seine Schriften zeigen jedenfalls das klare Gegenteil….. Zitieren
Marcellinus Geschrieben 20. Juni Melden Geschrieben 20. Juni vor einer Stunde schrieb Cosifantutti: Ich finde deine Behauptung, Habermas sei in die Theologie „zurückgefallen“ sehr abenteuerlich. Wo würdest du das denn konkret festmachen, dass er sozusagen von der Philosophie in die Theologie übergewechselt ist…. Seine Schriften zeigen jedenfalls das klare Gegenteil….. Habermas hat in seinem Leben schon viele Positionen vertreten, vom Marxismus über die Kritische Theorie und noch vieles andere. Im Moment betont er die Gemeinsamkeiten seiner Vorstellung von Philosophie mit der Theologie. Der Philosoph Hans Albert hat sich ziemlich deutlich dazu geäußert. Die beide kennen sich schon lange und verbindet spätestens seit dem Positivismusstreit eine herzliche Abneigung. Wenn du mehr zu Habermas wissen möchtest, der Wiki-Artikel ist ziemlich ausführlich. Meinerseits war Habermas nur eine Nebenbemerkung. Ansonsten verkörpert sein Werk so ziemlich alles, was ich an Philosophie und linker Theorie nicht mag. Zitieren
Marcellinus Geschrieben 20. Juni Melden Geschrieben 20. Juni vor 1 Stunde schrieb Frey: Ich respektiere, dass Du religiöse Antworten nicht überzeugend findest. Und zwar schon so lange, wie ich bewußt denken kann. In dieser ziemlich langen Zeit habe ich immer auch die Konfrontation mit abweichende Meinungen gesucht, weshalb ich mich auch in weltanschaulichen Foren herumtreibe. Daher weiß ich, daß Religionen keine Antworten haben, nur Glaubensvorstellungen. Weshalb es so viele verschiedene Religionen gibt. Glauben kann man alles mögliche, Wissen nur sehr wenig. Jenseits unseres Wissens gibt es nur Nicht-Wissen, nicht "Wissen um Design" (soviel zu John Lennox). Missionare habe ich auf diesem Wege viele getroffen, überzeugende religiöse Vorstellungen nicht. Sie alle setzen den Glauben (und nicht selten auch Aberglauben) immer schon voraus. Mißversteh mich nicht, jeder mag glauben, was er will, aber den allermeisten Menschen in unserer Weltgegend sagt das nichts mehr, und ich bin einer von ihnen. Zitieren
Cosifantutti Geschrieben 20. Juni Autor Melden Geschrieben 20. Juni vor einer Stunde schrieb Marcellinus: Habermas hat in seinem Leben schon viele Positionen vertreten, vom Marxismus über die Kritische Theorie und noch vieles andere. Im Moment betont er die Gemeinsamkeiten seiner Vorstellung von Philosophie mit der Theologie. Der Philosoph Hans Albert hat sich ziemlich deutlich dazu geäußert. Die beide kennen sich schon lange und verbindet spätestens seit dem Positivismusstreit eine herzliche Abneigung. Wenn du mehr zu Habermas wissen möchtest, der Wiki-Artikel ist ziemlich ausführlich. Meinerseits war Habermas nur eine Nebenbemerkung. Ansonsten verkörpert sein Werk so ziemlich alles, was ich an Philosophie und linker Theorie nicht mag. Ja eben, es gibt hier keinerlei Objektivität, nur verschiedene Denkrichtungen. Hans Albert und Habermas waren sich ja zeitlebens in herzlicher gegenseitige Abneigung verbunden….. Deine Abneigung zu Habermas wundert mich so gesehen überhaupt nicht. Die abwertenden Bemerkungen sind eben dieser persönlichen Abneigung geschuldet. Wie gesagt: es gibt hier keine Objektivität……. Zitieren
Marcellinus Geschrieben 20. Juni Melden Geschrieben 20. Juni vor 10 Minuten schrieb Cosifantutti: Ja eben, es gibt hier keinerlei Objektivität, nur verschiedene Denkrichtungen. Hans Albert und Habermas waren sich ja zeitlebens in herzlicher gegenseitige Abneigung verbunden….. Deine Abneigung zu Habermas wundert mich so gesehen überhaupt nicht. Die abwertenden Bemerkungen sind eben dieser persönlichen Abneigung geschuldet. Wie gesagt: es gibt hier keine Objektivität……. Hast du irgendetwas von Albert mal gelesen, dich mal mit dem Kritischen Rationalismus oder der Kritischen Theorie beschäftigt, vom Marxismus gar nicht zu reden. All das war Thema während meiner Studienzeit sowie Teil der politischen Diskussion an den Unis. Kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Ja, ich lehne die Vorstellungen von Habermas ab, sowie ich auch die von Albert nicht teile, wenn auch jeweils aus anderen Gründen. Aber persönliche Abneigung ist es in keinem der Fälle. Was Objektivität betrifft, das hängt davon ab, was man darunter versteht. Hast du meine Signatur gelesen? Zitieren
iskander Geschrieben 21. Juni Melden Geschrieben 21. Juni (bearbeitet) vor 14 Stunden schrieb Marcellinus: Nein, es gibt so viele Möglichkeiten, und deine Philosophie ist nur eine davon. Aber wie gesagt, dies ist weder die Zeit noch der Ort, das zu diskutieren. Außerdem beschleicht mich das zarte Gefühl, daß wir das auch schon gefühlt drölfzig Mal gemacht haben, ohne daß dabei etwas anderes herausgekommen wäre als gegenseitiges Mißverstehen. (Hervorhebung von mir) Nun, welche anderen Möglichkeiten, um zu bestimmen, in welchem "erkenntnismäßigen" Verhältnis Religion, Philosophie und Wissenschaft zueinander stehen, gäbe es denn noch? Was wäre denn die Alternative dazu, sich Religion, Philosophie und Wissenschaft mit ihren jeweiligen Eigenschaften, in ihrer jeweiligen Funktionsweise und auch in ihrer jeweiligen historischen Entwicklung möglichst gründlich "anzusehen", um dann auf Grundlage des so gewonnenen Wissens und Verständnis Schlussfolgerungen dazu zu ziehen, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen und was sie im Hinblick auf "Wissen" zu leisten vermögen und was nicht? Dass man bei einer solchen Art der Analyse zu anderen Ergebnissen gelangen kann als ich, und dass es also Alternativen zu meiner Philosophie geben mag: Das will ich gar nicht bestreiten. Aber welche grundsätzlich andere Methode als die beschriebene philosophische gäbe es? Wie könnte man denn etwa durch eine empirisch-soziologische Forschung klären, wie Religion, Philosophie und Wissenschaft zueinander stehen - wohlgemerkt nicht, wie sie sozial zueinander stehen, sondern im Hinblick auf ihre jeweiligen Erkenntnismöglichkeiten und Erkenntnisgrenzen? Die gleiche Frage stellt sich beispielsweise in Bezug auf das Verhältnis von Theorie und Empirie innerhalb der Tatsachen-Wissenschaften: Die einzige mir bekannte Methode besteht darin, sich "anzusehen", wie die empirischen Wissenschaften arbeiten, um dann ebendieses Vorgehen der Wissenschaften auf einer abstrakten Ebene zu analysieren (mithilfe von abstrakten Konzepten wie beispielsweise "Theorie", "Empirie", "(vorläufige) Bestätigung", "Falsifikation", "Methode" usw.); und dabei zu verstehen versuchen, warum das entsprechende wissenschaftliche Vorgehen bezogen auf seinen Gegenstandsbereich angemessen ist - warum es geeignet ist, Erkenntnisse zu produzieren. Dies wäre der klassische philosophische Ansatz - dass dabei nicht jede Bemühung gleichermaßen überzeugend und erfolgreich ist, und dass man einiges kritisieren kann, gebe ich gerne zu. Aber was wäre eine prinzipielle Alternative zu dieser Vorgehensweise? Wie sollte man das prinzipielle Verhältnis von Empirie und Theorie etwa durch empirisch-soziologische Untersuchungen klären - also durch Untersuchungen zu faktisch bestehenden sozialen Verhältnissen? Auch die Vertreter der Sociology of Scientific Knowledge sind offenbar unisono der Auffassung, dass das nicht funktionieren kann. Ihnen geht es dann auch gar nicht darum, zu erklären, wieso die Wissenschaft - wo sie gut arbeitet - zu sachlich begründeten Erkenntnissen gelangt; und auch nicht darum, was Wissenschaft von Pseudo-Wissenschaft und Ideologie unterscheidet. Vielmehr geht es diesen Leuten einfach nur um die Frage, welche sozialen Ursachen dafür existieren, dass innerhalb einer sozialen Gruppe etwas für Wissenschaft und etwas anderes für Ideologie gehalten wird; und darum, welche sozialen Faktoren dazu führen, dass unterschiedliche soziale Gruppen einander darin widersprechen mögen, ob etwas Wissenschaft oder Ideologie ist (vgl. erneut hier). Fragestellungen der letzteren Art sind sinnvoll und legitim - aber die klassischen erkenntnistheoretischen und wissenschaftstheoretischen Fragen werden auf diese Weise nicht beantwortet und nicht einmal adressiert. Ja, wir hatten schon manche Diskussion dazu, und ich weiß auch nicht, ob weitere Debatte sinnvoll sind oder man das nicht lieber alles auf sich ruhen lassen sollte. Du äußerst Dich aber wiederholt zur Philosophie und tust Deine Meinung zu ihr kund. Das ist Dein gutes Recht, und das meine ich auch überhaupt nicht als Kritik. Aber irgendwann regt sich bei mir eben doch Widerspruch. vor 13 Stunden schrieb Marcellinus: Philosophie war der nächste Schritt der Welterklärung, in dem übernatürliche Verursacher durch abstrakte Begriffe wie Natur oder Vernunft ersetzt wurden. Die Fragen waren aber immer noch die, die die Menschen persönlich am meisten berührten, die nach Anfang und Ende und dem Sinn von allem, alles Fragen, die den Menschen bedeutsam erscheinen mögen, sich aber nicht durch Tatsachenbeobachtungen beantworten lassen. Da allerdings geht es dann ja eher um eine spezielle Form der Metaphysik als um Philosophie im allgemeinen. Tatsächlich bezeichnet Comte seinen eigenen Ansatz ja als "Philosophie Positive", und das ergibt auch Sinn. Denn viele Themen, zu denen er schreibt, sind weder naturwissenschaftlicher noch soziologischer Art. vor 13 Stunden schrieb Marcellinus: Religion, Philosophie und schließlich die positiven Wissenschaften waren für Auguste Comte die drei Stadien menschlicher Erkenntnisbemühungen, die notwendig aufeinander folgen mußten, Religion als das theologische oder fiktive Stadium, Philosophie als das metaphysische oder abstrakte Stadium und schließlich das wissenschaftliche oder positive Stadium. Diesen drei Stadien entsprachen seiner Ansicht nach auch drei Methoden des Denkens und der Theoriebildung, wobei der Unterschied zwischen Religion und Philosophie eigentlich vor allem darin besteht, daß Philosophie nicht auf übernatürliche Verursacher Bezug nimmt, sondern auf metaphysische Prinzipien, an die man aber genauso glauben muß wie an die Götter der Religionen. Es ist eine schöne Übung, eine bestimmte Position einmal auf sich selbst anzuwenden: In welches dieser drei Stadien gehören dann Comtes eigene Analysen? Sind sie Religion? Philosophie? Naturwissenschaft? Das erstere und das letztere sicher nicht; also bliebe demnach nur die Philosophie (was Comte vielleicht auch einräumen würde?). Oder will man behaupten, dass Comtes Theorie der drei Stadien empirische Sozialwissenschaft sei? Nun, das könnte höchstens für rein deskriptive Aussagen gelten: Es sieht faktisch-historisch so aus, dass diese Stadien so und so aufeinander folgen. Nun stimmt das historisch betrachtet ja aber gar nicht. Doch selbst dann, wenn es stimmen würde, wäre damit noch nichts über die Berechtigung und Rationalität dieser Stadien gesagt - also insbesondere auch nichts darüber, ob es im Interesse des Erkenntnisgewinnes sinnvoll oder im Gegenteil kontraproduktiv wäre, wenn der Mensch sich so verhielte, wie die Drei-Stadien-Theorie es behauptet. vor 13 Stunden schrieb Marcellinus: Die Fragestellungen sind dagegen ziemlich ähnlich, und weil das so ist, und, wie wir uns erinnern, Erkenntnisgewinn für Comte ein sozialer Prozeß ist, spricht viel dafür, daß Philosophen, die den Schritt vom metaphysischen zum positiven Stadium nicht machen, in die Theologie zurückfallen. Ich sehe nicht, wieso daraus, dass der Erkenntnis-Prozess ein sozialer Prozess ist, folgen sollte, "daß Philosophen, die den Schritt vom metaphysischen zum positiven Stadium nicht machen, in die Theologie zurückfallen". Wo besteht hier der Nexus? Zudem ist Erkenntnis - verstanden als eine menschliche Tätigkeit - zwar natürlich eine gemeinschaftliche (und das heißt: soziale) Tätigkeit. Darin geht das Erkennen aber nicht auf. Denn das, was im Erkenntnisprozess "produziert" wird, sind eben nicht wiederum (allein) soziale Verhältnisse und soziale Beziehungen, sondern es ist Wissen. (Ganz so, wir der soziale Prozess des Musizierens nicht (allein) soziale Phänomene produziert, sondern eben Musik.) Und dieses Wissen lässt sich eben auch als das analysieren, was es in sich selbst ist - als ein geistiges Phänomen sui generis. So kann man beispielsweise eben fragen, was genuines Wissen bzw. genuine Wissenschaft ausmacht und worin etwa der Unterschied zu Pseudo-Wissen und Pseudo-Wissenschaft liegt. Und das ist dann keine empirisch-soziologische Frage mehr. Sie ist aber dennoch wichtig, jedenfalls wenn man einen Unterschied zwischen Vernunft und Aberglaube machen möchte. Aus einer solch rein soziologischen Perspektive ließe sich also beispielsweise erörtern, welche sozialen Faktoren seinerzeit dazu geführt haben, dass Comte eine ganz bestimmte Auffassung über die (fehlenden bzw. vorhandenen) Erkenntnismöglichkeiten von Religion, Philosophie und Wissenschaft vertreten hat. Die Frage hingegen, ob er mit seinen entsprechenden Überzeugungen in der Sache recht hatte, hat in der Soziologie einfach keinen Platz. Diese Frage kann aber auch nicht durch ein physikalisches Experiment geklärt werden. Es ist eben nicht so, dass Philosophie und Soziologie - oder auch Philosophie und die Naturwissenschaften - die gleichen Fragen beantworten wollen, wobei sie nur unterschiedliche Methoden anwenden würden; sondern im allgemeinen befassen sie sich einfach mit unterschiedlichen Dingen (oder mindestens mit unterschiedlichen Aspekten eines Dinges). vor 13 Stunden schrieb Marcellinus: Aber das sind alles Vorstellungen aus dem 19. Jh.. Besonders den Fortschrittsglauben teilen wir heute nicht mehr, und was gestern noch Fantasie erschien, wird heute wieder für Tatsache genommen, während was schon mal als gesicherte Erkenntnis galt, heute wieder in Zweifel steht. Selbst manche Teile der Physik sind heute von Esoterik kaum noch zu unterscheiden, und man kann den Eindruck gewinnen, daß mit dem Fortschrittsglauben auch der Wissenfortschritt selbst in Fortfall geraten ist. Da ist sicher einiges daran. bearbeitet 21. Juni von iskander Zitieren
iskander Geschrieben 21. Juni Melden Geschrieben 21. Juni @KevinF und andere: Das Problem besteht vielleicht weniger in der Vereinbarkeit von Vernunft und Glaube. Wenn man nicht gerade auf einer wörtlichen Interpretation des Buches Genesis beharrt, wird eine Harmonisierung wohl durchaus möglich sein. Die Frage, um die es nach meiner Einschätzung wohl eher geht, lautet: Gibt es einen vernünftigen Grund für den Glauben? (Und diese letzte Frage könnte man vielleicht noch einmal in folgende zwei untergliedern: Gibt es einen intersubjektiv nachvollziehbaren Grund? Oder kann es zumindest aus einer bestimmten, intersubjektiv nicht zugänglichen Perspektive einen solchen Grund geben, der dann aber - wenn es ihn tatsächlich geben sollte - eben für die meisten Menschen nicht "erreichbar" wäre und von ihrem epistemischen Standpunkt her betrachtet daher auch kein überzeugendes Argument darstellen könnte?) Zitieren
Cosifantutti Geschrieben 21. Juni Autor Melden Geschrieben 21. Juni vor 9 Stunden schrieb Marcellinus: Hast du irgendetwas von Albert mal gelesen, dich mal mit dem Kritischen Rationalismus oder der Kritischen Theorie beschäftigt, vom Marxismus gar nicht zu reden. All das war Thema während meiner Studienzeit sowie Teil der politischen Diskussion an den Unis. Kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Ja, ich lehne die Vorstellungen von Habermas ab, sowie ich auch die von Albert nicht teile, wenn auch jeweils aus anderen Gründen. Aber persönliche Abneigung ist es in keinem der Fälle. Was Objektivität betrifft, das hängt davon ab, was man darunter versteht. Hast du meine Signatur gelesen? In der Tat, das habe ich ebenfalls zu genüge…. Was mich bei Habermas vollkommen überrascht und zum Nachdenken gebracht hat: Er stellt den „Kult“, den „Ritus“, die „Liturgie“, den „Gottesdienst“ als das eigentlich bleibend Wichtige der Religion an, genau dieser liturgische Kern, die gottesdienstliche Praxis macht für ihn „den Stachel im Fleisch der Moderne“ aus….. ……und eben nicht die „Apologetik“, die Diskussion, die Auseinandersetzung auf der Diskursebene…….. Zitieren
Merkur Geschrieben 21. Juni Melden Geschrieben 21. Juni vor 7 Stunden schrieb iskander: Aber was wäre eine prinzipielle Alternative zu dieser Vorgehensweise? Sich gegenseitig in Ruhe lassen und bei seinem Fach bleiben. Mit der Art von Religion, die mit Philosophie und Wissenschaft vergleichbar wäre, ist heute, da hat Marcellinus recht, nicht mehr viel zu gewinnen. Zitieren
Weihrauch Geschrieben 21. Juni Melden Geschrieben 21. Juni vor 5 Stunden schrieb iskander: Das Problem besteht vielleicht weniger in der Vereinbarkeit von Vernunft und Glaube. Hier in dieser Diskussion besteht das Problem in erster Linie in der Unvereinbarkeit von Teilnehmer, Thema, Diskusionsstil. Vereinbarkeit von Vernunft und Religion. Vereinbarkeit von Philosophie und Religion. Vereinbarkeit von Wissenschaft und Religion. Vereinbarkeit von Vernunft und Glaube. Vereinbarkeit von Wissen und Glaube. Vereinbarkeit von Vernunft und christlichem Glauben. Vereinbarkeit von Vernunft und katholischer Lehre. usw. Die Liste lässt sich vom Gesprächsverlauf nach Belieben verlängern, weil hier Begriffe mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet werden, als wären sie allesamt Synonyme für ein und das Selbe. Unter anderem auch weil unter Vereinbarkeit jeder etwas anderes versteht. Für manche ist die Vereinbarkeit eine offene Fragestellung, für andere eine Tatsache, für einige eine Unmöglichkeit. Abgesehen davon versteht unter Vereinbarkeit jeder etwas anderes, je nach dem, was er dabei gerade im Sinn hat, die Person, den Verstand, das Gewissen, eine oder mehrere Gemeinschaften, Gesellschaften, Nationen, Kulturen oder die Menschheit und die Welt von gestern, heute, morgen und übermorgen. vor 6 Stunden schrieb iskander: Wenn man nicht gerade auf einer wörtlichen Interpretation des Buches Genesis beharrt, wird eine Harmonisierung wohl durchaus möglich sein. Aha. Das Buch Genesis als Ausgangspunkt grenzt die Sache etwas ein, und bei der Vereinbarkeit geht es eigentlich um die Harmonisierung von Vernunft und Glaube. Im Judentum? Im Christentum? Im Islam? Der drei abrahamitischen Religionen untereinander? Hinduismus ist damit selbstverständlich nicht harmonisierbar, weil er unvernünftig, und Ganesha Milch zu opfern Aberglaube ist. vor 6 Stunden schrieb iskander: Die Frage, um die es nach meiner Einschätzung wohl eher geht, lautet: Gibt es einen vernünftigen Grund für den Glauben? Den religiösen Glauben an sich? Den christlichen Glauben? Den katholischen Glauben? vor 6 Stunden schrieb iskander: (Und diese letzte Frage könnte man vielleicht noch einmal in folgende zwei untergliedern: Gibt es einen intersubjektiv nachvollziehbaren Grund? Intersubjektiv Innerhalb einer Glaubensgemeinschaft oder intersubjektiv innerhalb der gesamten Menschheit? vor 6 Stunden schrieb iskander: Oder kann es zumindest aus einer bestimmten, intersubjektiv nicht zugänglichen Perspektive einen solchen Grund geben, der dann aber - wenn es ihn tatsächlich geben sollte - eben für die meisten Menschen nicht "erreichbar" wäre und von ihrem epistemischen Standpunkt her betrachtet daher auch kein überzeugendes Argument darstellen könnte?) Aus einer intersubjektiv nicht zugänglichen Perspektive z.B. der Perspektive der kath. Kirche oder des Atheismus, gibt es logischerweise epistemische Standpunkte, die von Menschen nicht "erreichbar" sind - nämlich die eigenen - und darum sind deren Argumente nichtig und keinesfalls überzeugend. Vielleicht war mir dieser Satz auch zu hoch, und ich habe deinen beabsichtigten Sinn nicht erfasst, und ihn völlig falsch verstanden. Zitieren
Frey Geschrieben 21. Juni Melden Geschrieben 21. Juni (bearbeitet) vor 11 Stunden schrieb Marcellinus: Und zwar schon so lange, wie ich bewußt denken kann. In dieser ziemlich langen Zeit habe ich immer auch die Konfrontation mit abweichende Meinungen gesucht, weshalb ich mich auch in weltanschaulichen Foren herumtreibe. Daher weiß ich, daß Religionen keine Antworten haben, nur Glaubensvorstellungen. Weshalb es so viele verschiedene Religionen gibt. Glauben kann man alles mögliche, Wissen nur sehr wenig. Jenseits unseres Wissens gibt es nur Nicht-Wissen, nicht "Wissen um Design" (soviel zu John Lennox). Missionare habe ich auf diesem Wege viele getroffen, überzeugende religiöse Vorstellungen nicht. Sie alle setzen den Glauben (und nicht selten auch Aberglauben) immer schon voraus. Mißversteh mich nicht, jeder mag glauben, was er will, aber den allermeisten Menschen in unserer Weltgegend sagt das nichts mehr, und ich bin einer von ihnen. Ich respektiere deine Position gerne und habe nichts gegen einen Meinungsaustausch – solange der Respekt auf Gegenseitigkeit beruht, wie du es ja auch betonst. Gleichzeitig scheint mir dein Standpunkt recht eindeutig und vielleicht sogar ein wenig deterministisch. Besteht für dich grundsätzlich noch die Möglichkeit, die eigene Perspektive zu ändern, oder ist deine Haltung festgelegt? Der Unterschied zwischen bloßer Meinung und fundierter Erkenntnis ist tatsächlich bedeutsam. Die Frage ist aber, wie offen wir für verschiedene Lösungsräume bleiben. Poppers Falsifikationsprinzip ist in den Naturwissenschaften ein wichtiges Instrument, stößt jedoch in den Sozialwissenschaften an seine Grenzen – wie sollte man etwa subjektiven Sinn im Sinne Max Webers wirklich „falsifizieren“? Hier geht es weniger um das Erklären als vielmehr um das Verstehen, wie du richtig anmerkst. In den Naturwissenschaften ist der Untersuchungsgegenstand „bequem“: Er bleibt gleich und lässt sich relativ klar beschreiben. In der Soziologie dagegen ist der Gegenstand „volatil“ – Menschen lernen, passen sich an und verändern ihr Verhalten, sobald sie Mechanismen durchschauen. In der Theologie wiederum ist der Untersuchungsgegenstand – Gott – noch einmal grundlegend anders. Vielleicht gerade deshalb, weil er als Schöpfer sich den Gesetzmäßigkeiten seiner eigenen Schöpfung entzieht. Theologie kann daher nur bedingt naturwissenschaftlich vorgehen. Sie basiert auf Erfahrungen, auf dem Versuch, das Göttliche zu verstehen – das Erklären bleibt oft schwierig. Dennoch hat auch die Theologie ihre eigenen Zugänge zu Rationalität und Reflexion. Nicht zuletzt betont Max Weber, dass „Verstehen“ in den Geistes- und Sozialwissenschaften eine zentrale Rolle spielt. Letztlich geht es um einen Dialog, der verschiedene Perspektiven zulässt und nicht von vornherein ausschließt. Auch wenn du keine überzeugende religiöse Vorstellung kennengelernt hast, bleibt die Frage, ob du bereit bist, die Möglichkeit einer Perspektivenänderung offenzuhalten – oder ob du, wie viele andere, bereits festgelegt bist. Ein Beispiel als Ergänzung: Ein zentrales Argument betrifft Webers Konzept der innerweltlichen Askese als Triebkraft des Kapitalismus. Dieses Konzept erklärt nicht nur die Entstehung kapitalistischer Rationalität, sondern auch deren paradoxe Entwicklung: Die calvinistische Prädestinationslehre erzeugte existenzielle Unsicherheit über den eigenen Erlösungsstatus. Gläubige suchten nach "Beweisen" ihrer Erwählung durch systematische Berufsarbeit und wirtschaftlichen Erfolg – als Zeichen göttlicher Gunst. "Arbeit wurde zum Mittel der innerweltlichen Askese, mit deren Hilfe man Anfechtungen begegnete". Diese Haltung transformierte Arbeit von einem notwendigen Übel zum religiösen Selbstzweck. Die protestantische Berufsethik enthielt bereits den Keim ihrer eigenen Auflösung. Wie Weber anhand von John Wesleys Schriften zeigt, führte wirtschaftlicher Erfolg zwangsläufig zu materialistischem Denken und schließlich zur Ablösung der Religiosität durch rein säkulare Wirtschaftsrationalität: "Die religiösen Wurzeln gingen zunehmend verloren, aus ihnen entstand die bürgerliche Berufsethik". - Der Kapitalismus emanzipierte sich von seinen religiösen Grundlagen, sobald er sich verselbständigt hatte. Weber betont mit dieser Analyse die Eigenständigkeit kultureller Faktoren gegenüber rein ökonomischen Determinanten. Während Marx die Produktionsverhältnisse als primär ansah, demonstriert Weber, wie religiös motivierte Sinnzuschreibungen (z.B. die Umdeutung von Arbeit als "Berufung") wirtschaftliches Handeln prägen. Dieser ideengeschichtliche Ansatz komplementiert materialistische Erklärungen, ohne sie zu ersetzen. Webers Studie ist grundlegend, weil sie zeigt, wie kulturelle Werte ökonomische Systeme formen – ein Zusammenhang, der sich auch in nicht-westlichen Gesellschaften analysieren lässt. Sein Fokus auf die subjektive Sinngebung wirtschaftlichen Handelns ("Wertrationalität") bietet zudem ein Korrektiv zu rein nutzenmaximierenden Modellen der Ökonomie. bearbeitet 21. Juni von Frey 1 Zitieren
Weihrauch Geschrieben 21. Juni Melden Geschrieben 21. Juni (bearbeitet) vor 20 Minuten schrieb Frey: Letztlich geht es um einen Dialog, der verschiedene Perspektiven zulässt und nicht von vornherein ausschließt. Auch wenn du keine überzeugende religiöse Vorstellung kennengelernt hast, bleibt die Frage, ob du bereit bist, die Möglichkeit einer Perspektivenänderung offenzuhalten – oder ob du, wie viele andere, bereits festgelegt bist. Und selbst? Bist du, wie viele andere, bereits festgelegt? Bist du bereit, die Möglichkeit einer Perspektivenänderung offenzuhalten? Schließt du von vornherein andere Perspektiven aus, und verhinderst so einen echten Dialog, weil du von vornherein weißt, was am Ende dabei herauskommen muss, weil es nur eine Wahrheit gibt, daher deine Perspektive richtig und jede andere falsch ist? "Ich respektiere deine Position" auf deiner Seite und "Jeder mag glauben, was er will" auf Marcellinus Seite, beide, schenken sich selbst alles, dem anderen nichts - so mein Eindruck, der auf Beobachtung beruht. bearbeitet 21. Juni von Weihrauch 1 Zitieren
Frey Geschrieben 21. Juni Melden Geschrieben 21. Juni vor 5 Minuten schrieb Weihrauch: Und selbst? Bist du, wie viele andere, bereits festgelegt? Bist du bereit, die Möglichkeit einer Perspektivenänderung offenzuhalten? Schließt du von vornherein andere Perspektiven aus, und verhinderst so einen echten Dialog, weil du von vornherein weißt, was am Ende dabei herauskommen muss, weil es nur eine Wahrheit gibt, daher deine Perspektive richtig und jede andere falsch ist? "Ich respektiere deine Position" auf deiner Seite und "Jeder mag glauben, was er will" auf Marcellinus Seite, beide, schenken sich selbst alles, dem anderen nichts - so mein Eindruck, der auf Beobachtung beruht. Ja, ich bin offen. Zitieren
KevinF Geschrieben 21. Juni Melden Geschrieben 21. Juni On 6/20/2025 at 10:14 AM, Cosifantutti said: Diese Frage wird seit etwa 2000 Jahren diskutiert, Habermas zeichnet diesen Weg ja in seiner „Genealogie“ von „Gauben und Wissen“ nach. Die Spannung zwischen „Vernunft“ und „Religion“ lässt sich niemals restlos auflösen das liegt einfach in der Natur der Sache. Aber es gibt eine Offenheit für de jeweils andere Dimension…..Mit dieser grundsätzlichen Spannung muss man eben leben…. Und diese Spannung ist nicht per Definition eine kognitive Dissonanz? Weil, wenn nein, dann verstehe ich nicht, was Du meinst. Zitieren
KevinF Geschrieben 21. Juni Melden Geschrieben 21. Juni On 6/20/2025 at 8:28 AM, Shubashi said: Kann es sein, dass dieses Problem für Dich existiert, weil Du darauf eine strikt binäre Ja-Nein-Antwort erwartest? Mir ging es immer um die Frage, ob und wie mein Anspruch auf intellektuelle Redlichkeit mir selbst gegenüber, mein Streben mir nicht selbst in die Tasche zu lügen, mit dem Glauben an die Existenz Gottes vereinbar ist. Die Antwort kann hier im Ergebnis tatsächlich nur "ja" oder "nein" sein, was sonst? Und die Antwort, die ich bereits vor vielen Jahren gefunden habe und seitdem immer wieder bestätigt wurde, lautet eben "Nein". Was aber nicht heißt, dass ich keinen Zugang zur christlichen Spiritualität oder Liturgie haben könnte. Insofern habe ich kein Problem (mehr) 🙂 Zitieren
KevinF Geschrieben 21. Juni Melden Geschrieben 21. Juni On 6/20/2025 at 8:48 AM, Shubashi said: Ich würde meine Frage ergänzen wollen: geht der hier verwendete Vernunftbegriff davon aus, dass grundsätzlich alle Fragen beantwortbar sind? Nein. Es hilft hier auch imo überhaupt nicht weiter, sich erst einmal um den Vernunftbegriff zu streiten, denn worum es mir geht/ging ist wie gesagt: " ob und wie mein Anspruch auf intellektuelle Redlichkeit mir selbst gegenüber, mein Streben mir nicht selbst in die Tasche zu lügen, mit dem Glauben an die Existenz Gottes vereinbar ist." Dies auch als Antwort auf @Weihrauch , @rorro , @iskander und vielleicht noch andere, die ähnliche Rückfragen stellten. Zitieren
Marcellinus Geschrieben 21. Juni Melden Geschrieben 21. Juni Am 20.6.2025 um 08:48 schrieb Shubashi: Ich würde meine Frage ergänzen wollen: geht der hier verwendete Vernunftbegriff davon aus, dass grundsätzlich alle Fragen beantwortbar sind? Und wäre diese Utopie nicht per se unvernünftig? Das hängt erst einmal davon ab, ob die Fragen vernünftig gestellt sind. Allgemein könnte man sagen, dass dasUniversum vernünftig erklärt werden kann, wenn es selbst vernünftig ist, will heißen: strukturiert ist. Über weite Strecken stimmt das sicherlich, sonst gäbe es kein Leben, aber es wird auch Bereiche geben, die chaotisch sind. Und da ist dann nichts mit vernünftiger Erklärung. Zitieren
KevinF Geschrieben 21. Juni Melden Geschrieben 21. Juni 15 hours ago, Frey said: Theologische Vernunft: Sie akzeptiert Offenbarung als ergänzende Quelle (z.B. durch biblische Zeugnisse). Das ist ja aber genau das, was hinterfragt wird. Man kann auf die Hinterfragung von Prämissen ja nicht sinnvoll antworten, indem man sie einfach als vernünftig definiert 😉 Zitieren
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