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Weltpolitik & Weltwirtschaft


Mistah Kurtz

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Zitat

Europa zieht nämlich meines Erachtens die falschen Schlüsse aus diesem Krieg, denn es baut genau das ab, was einem Konflikt zwischen der EU und Russland vorbeugend ist, nämlich wechselseitige Abhängigkeiten. Die Kehrseite dessen, dass wir uns wirtschaftliche unabhängig machen von Russland, ihre wichtigsten Exportgüter - Energie- und andere Rohstoffe - sanktionieren, ist die simple Tatsache, dass unser "Decoupling" von Russland automatisch auch ein "Decoupling" Russlands von uns zur Folge hat. Nicht nur wir haben dann weniger oder nichts mehr zu verlieren, sondern auch Russland. Und Staaten, die voneinander nichts mehr zu erwarten haben, sind schneller bereit miteinander Kriege zu führen. Wir sind dabei wechselseitige Abhängigkeit mit Aufrüstung zu ersetzen, um den Frieden zu sichern. Dabei ist aber imo einer der häufigen Reime der Weltgeschichte, dass nämlich in Wahrheit Aufrüstung nicht den Frieden sichert, sondern höchstens die Wahrscheinlichkeit erhöht, aus einem Krieg als Sieger hervorzugehen.

Dabei fürchte ich Russland in der Sache weniger, viel gefährlicher ist das von den USA immer wieder ins Spiel gebrachte "Decoupling" Chinas. Und eines bin ich mir gewiss: wenn die USA das durchziehen wollen, werden sie Europa letztlich dazu zwingen es gleichfalls zu tun. Zu dem Fall bzw. zu den wirtschaftlichen Folgen eines neuen Vorhangs - diesmal nicht mehr ein "Iron Curtain", sondern ein "Bamboo Curtain", der aber dennoch, nach Lage der Dinge, wohl durch Europa verlaufen wird, entlang der polnischen Ostgrenze und anderer NATO-Staaten im Osten Europas, werde ich die nächsten Tage noch etwas schreiben. Dieses Szenario wurde von australischen Wirtschaftswissenschaftlern auf seine Folgen abgeklopft. Und vorweg: Europa käme dabei nicht gut weg. "nicht gut weg" ist natürlich ein Euphemismus: für Europa wäre das schlichtweg wie ein Sturz in die Jauchegruppe. Wir säßen ziemlich in der ******.

Vorbemerkung

Das oben zitierte schrieb ich im Thema "Russland und die NATO". Der von mir darin angekündigte Beitrag zu den Folgen einer Deglobalisierung bzw. eines Decoupling Chinas und Russlands passt da nicht hin, weil er weit über das Verhältnis Russlands zur NATO und den Krieg in der Ukraine hinausgeht. Darum habe ich mich entschlossen ein eigenes Thema zu eröffnen, dass sich sozusagen in großem Maßstab mit Weltpolitik und Weltwirtschaft (das eine ist vom anderen nicht zu trennen) beschäftigen sollen

 

Jetzt aber zu der angesprochenen australischen Studie. Diese geht der Frage nach, welche ökonomischen Folgen einer Abkoppelung der Wirtschaften des Westens einerseits  und China sowie Russland andererseits nach sich zöge. Dabei werden in dem zugrunde liegenden Modell nur die kurzfristigen Folgen - also in etwa die Folgen auf Jahresfrist - berechnet. Das bedeutet nicht, dass nach einem Jahr alles wieder zum Besten steht, sondern dass über längere Zeiträume hinweg die Unwägbarkeiten, die sich aus dem Decoupling ergäben, zu groß werden um noch seriös Aussagen treffen zu können. Was wären also die zu erwartenden unmittelbaren Folgen eines Decouplings:


Beim BIP - "Change in GPD" - (GPD bzw. BIP:Gesamtwert aller Güter, Waren und Dienstleistungen an, die während eines Jahres innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft als Endprodukte hergestellt werden) wäre China am stärksten  betroffen (-9,8%), die USA am wenigsten (-0,1%), die EU läge mit -6,1% ´verlorener Wirtschaftskraft dazwischen.

 

Bei den Arbeitsplätzen - "Change in employment" - wäre die EU besonders schlimm getroffen: mehr als jeder 5. Arbeitsplatz ginge verloren. Das heißt, wir hätten in der EU eine Arbeitslosenquote, die zumindest kurzfristig auf etwas über 20% anstiege. Zum Vergleich: 1932 lag die Arbeitslosenquote in Deutschland bei 29,9%.  China ginge es wenig besser als Europa, die USA hingegen kämen wieder am besten davon (-0,5%). 

 

Bei der Ausstattung der Finanzmärkte mit Kapital - "Change in financial assets" - kommt es zu einem Abfluss von Kapital aus Japan (-44,2%) und der EU (-33,7%); die USA kämen auch hier mit -4,1% noch relativ günstig davon. Das dürfte wohl auch damit zusammenhängen, dass aus Europa und Japan abgezogene Mittel in den USA angelegt würden. China läge mit-24,7% zwischen den USA und Europa. Der Abfluss von Mitteln schwächt die Wirtschaft eines Landes bzw. einer Region, weil damit Investitionskapital verlorengeht. 

 

Eine andere wichtige Größe ist Einkommen durch Exporte - "Change in Export income". Je mehr exportiert wird, desto höher die Mittel, die in die Wirtschaft eines Landes oder einer Region als Einkommen fließen. Europa wäre hier besonders hart getroffen. Wir haben relativ wenig Rohstoffe und Energie ist im globalen Vergleich sehr teuer auf unserem Kontinent. Europa importiert beides - Energie und andere Rohstoffe - zu möglichst günstigen Preisen und verarbeitet sie zu höherwertigen Gütern, die dann in exportiert werden. VW beispielsweise bezieht für seine Autos fast alle Rohstoffe dazu aus dem Ausland, baut damit Autos und exportiert diese: jedes zweite Auto des VW-Konzerns wird in China verkauft. Ein radikal durchgezogenes Decoupling wäre in der Hinsicht für Europa ein Desaster (-72,1%). Aber auch die USA (-59,2%) und China träfe es hart (-58,3%). Die USA und China haben beide relative große Heimatmärkte hinter sich, das hat Europa in der Größenordnung nicht, daher wären wir in dem Punkt von einem Decoupling besonders hart betroffen.

 

Alle diese Auswirkungen wären mehr oder minder unmittelbar nach einem Decoupling. Inwieweit sie sich über einen längeren Zeitraum hinweg abschwächen oder vielleicht sogar noch verstärken, nun, darüber kann man nur spekulieren. Auch wird ein Decoupling nicht über Nacht kommen, sondern eher Schritt für Schritt, wie man etwa schon jetzt an den Problemen der EU sieht den Import von Energierohstoffen aus Russland zu beschränken oder ganz zu verbieten.

 

Eines steht aber fest, und zwar schon jetzt, also egal, ob die Weltwirtschaft tatsächlich in 2 Blöcke zerfällt oder nicht: die Zeit der billigen Energie ist vorbei, vor allem hier in Europa. Gas wird auf Dauer sehr viel teurer sein als es das noch vor 2 oder 3 Jahren war; auch deutlich gesunkene Ölpreise werden wir so schnell nicht sehen.  Metalle und andere industrielle Rohstoffe werden auf jeden Fall in den nächsten Jahren teuer bleiben, bei einigen werden die Preise auf neue Allzeithochs steigen, gerade solche, die für Verkehrs- und Energiewende besonders wichtig sind (Kupfer, Aluminium, Seltene Erden, Lithium etc.). Die teuren Energiepreise schlagen natürlich auf alle Produkte durch, eine Inflation um die 2% werden wir auch so schnell nicht mehr wiedersehen. Wir werden alleine durch die Inflation Vermögensverluste erleiden, einfach gesagt: wir werden ärmer, weil wir mit der gleichen Menge Geld weniger kaufen können. 

 

Ein anderes Opfer des Kriegs, das steht jetzt schon fest, ist der Kampf gegen den Klimawandel. Der Ausbau von Anlagen zur Gewinnung von Wind- und Sonnenenergie ist schon jetzt so teuer wie noch nie und wird noch viel teurer werden. Das ist in die ganzen schönen Rechnungen von Habeck & Co. überhaupt noch nicht berücksichtigt. Schon jetzt haben die Erbauer dieser Anlagen auf Grund der stark gestiegenen Rohstoffpreise ein Margenproblem; das wird in den nächsten Jahren noch deutlich anwachsen. Entweder der Staat greift hier mittels massiver Subventionen ein, oder es wird der Ausbau der Erneuerbaren recht schnell zum Stillstand kommen. Dafür wird mehr Kohle gefördert und verheizt, und Erdgas ist nicht mehr ein eigentlich als Klimakiller verpöntes Gut, sondern ein allseits begehrter Energierohstoff. Gerade las ich, dass in GB erstmals seit Jahrzehnten ein Kohlebergwerk neu in Betrieb genommen wird. China hat eigens eine Eisenbahnlinie in neu erschlossene Abbaugebiete für Kohle in der Mongolei gebaut und plant hier Rekordmengen an Kohle abzubauen. Und einmal dürft ihr raten, wo diese Kohle endet: richtig, in den Öfen. Der Krieg macht alles das möglich, niemand ereifert sich mehr oder verlangt hierzulande den raschen Kohleausstieg, am besten gleich morgen. Und tut es hierzulande doch noch jemand, wird ihm oder ihr ein "Solidarität mit der Ukraine" und "kein Blutgeld für Erdgas an Putin" entgegen geschmettert. Der Krieg macht vieles möglich. Auch die stillschweigende Abkehr vom Kampf gegen den Klimawandel. Scheinbar ist der Klimawandel dann doch kein so großes Problem, wie man von kurzem noch von jenen Politikern hörten, die heute keine Zeit mehr finden daran auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Wie auch: sie stehen ja allesamt im Abwehrkampf gegen Russland, da muss das Klima halt warten. 

bearbeitet von Mistah Kurtz
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nur auf die schnelle, zu mehr fehlt mir zz die Zeit - das Hauptproblem das jede langfristige Planung der Energie- und Rohstoff-Versorgung verunmöglicht sind die politischen Systeme in diesen Ländern, dh. die absolute Kontrolle eines einzelnen oder einer kleinen Gruppe. Es hat mmn in etwa folgende negative Implikationen

  • keine Planung, man weiss nie wie die Machtelite sich morgen für oder gegen etwas entscheidet, einen Krieg beginnt, einen Vertrag gegenstandslos macht mit irgend einer faulen Ausrede,  einen führenden Mitarbeiter einlocht, usw. usf.
  • als Gegenmassnahme dann Einmischung in die Innenpolitik solcher Länder wo immer möglich, der "Imperialismus"-Vorwurf, bis hin zu Gewalt und Bürgerkriegen.
  • ohne Rechtsstaat und Rechtsschutz werden Firmen nur beschränkt investieren. Wie jetzt in Russland werden sie grosse Investitionen abschreiben müssen.
  • Korruption ohne Ende - ruiniert ganze Volkswirtschaften, wie etwa in Indonesien.
  • De-coupling ist dann die logische Folge, nicht die Ursache. Man kann natürlich sagen die Ukraine ist es nicht wert deswegen grosse wirtschaftliche Opfer zu bringen. Aber was wenn Putin in Finnland die Grenze "begradigen" will oder sowas? Die russische Minderheit in Estland Krawall macht und er - wie heisst so schön - gar nicht anders kann? China Taiwan "befreit"? Je weniger Widerstand desto dreister und frecher werden sie. Alte Weisheit. Siehe Hitler und viele andere.

In Ländern mit einem enormen Reichtum an Rohstoffen gibt es selten eine solide Mittelschicht. Und sind daher nicht sehr empfänglich für demokratische und rechtsstaatliche Strukturen. Hat wohl was mit der Nutzung dieser Resourcen zu tun; sie gehören von anfang an dem Staat dh. der Machtelite; man kann sehr schnell sehr viel Cash generieren und wie wir wissen ziehen die Herrschaften es vor diese Mittel in Villen und Yachten und Fussballclubs im Ausland zu investieren (weil sie dem eigenen Staat nicht trauen) statt sie in Infrastruktur und Schulen zu stecken. Das schafft dann natürlich auch neue Abhängigkeiten - die arabische Oelförderungen würde nach 3 Tagen ohne westliches Knowhow stillstehen. Und auch die russische Oel- und Gasförderung scheint Probleme zu bekommen wenn die Ersatzteile aus dem Westen ausbleiben.

 

Und ja, in China ist das anders. Das Land ist auf Energie- und Rohstoff-Importe angewiesen sowie Europa etwa auch. Und dann auf den Export ihres Ramsches. Die dürften sich dreimal überlegen ob es sinnvoll ist mit Herrn Putin zusammen den langen Marsch zurück in den Stalinismus mitzumachen. Aber auch hier logo das selbe latente Problem. Niemand kontrolliert die Mächtigen, kein Parlament, keine Medien, keine Oppositionspartei. Unser japanisches Mutterhaus hat lange überlegt in China zu investieren, sie habens dann gelassen, sehr zu meinem wirtschaftlichen Wohlergehen. 🙂 Und nach China ziehen wollte ich nun wirklich nicht. Wir würden jetzt wohl in Shanghai verhungern.

 

Mein Fazit - bis zu einem hohen Grad muss der "Westen" sagen wir USA, EU-Europa, Israel, Australien, Neuseeland, Japan autark sein - als ganzes natürlich, nicht jedes einzelne Land für sich.

 

Zum Klima noch schnell - sofern man es auf CO2-Reduktion beschränkt (mmn totaler Blödsinn aber das geht OT) ein Anstieg der Preise für fossile Energieträger hat noch immer die Alternativen attraktiver gemacht und so dürfte es auch diesmal laufen. Ja und vllt beginnen die Leute auchmal zu sparen - es gibt belastbare Studien nach denen bis zu 30% Energie gespart werden kann ohne dass es überhaupt was an der Lebensqualität kratzt.

 

Nachtrag: das hier noch gefunden, die beschäftigen sich auch mit dem Thema und liegen in etwa auf meiner Linie 🙂

 

bearbeitet von phyllis
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vor 6 Stunden schrieb phyllis:

als ganzes natürlich, nicht jedes einzelne Land für sich.

Das ist bei vielem der Knackpunkt, den offensichtlich nicht mal die Politiker begreifen. Es gibt eine Menge Herausforderungen, die nur auf diese Weise lösbar sind. Ein Beispiel sind die 30% Energieeinsparung, die du weiter unten bringst. Ich bin schon ein bisschen herumgekommen und kann mir das, auch ohne die Studien zu kennen, sehr gut vorstellen.

Aber wenn jetzt ein Ziel ausgegeben würde „wir wollen 30% Energie einsparen“, wie würde das angegangen?

In D, das auf diesem Feld eh schon sehr weit vorne liegt, würde man mit irrsinnig teuren Maßnahmen meinen, nochmal 30% sparen zu müssen, andere würden gar nichts tun, am Ende hätte man, global gesehen, Unsummen vernichtet für sehr wenig Erfolg.

Leider ist es mit den „gemeinsamen Anstrengungen“ im Allgemeinen nicht weit her. Globalisierung heißt halt nicht, wir arbeiten zusammen, um die Welt voranzubringen, sondern, wir versuchen, auf globaler Ebene das Beste für uns herauszuholen.

 

Werner

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Die NATO wächst. Nicht in Europa, sondern in Asien.

Zitat

S Korea joins NATO cyber defense unit

South Korea joined NATO’s cyber defense group on May 5, becoming the second East Asian country after Japan to join the group. ... The CCDCOE’s (NATO Cooperative Cyber Defense Centre of Excellence)mission is to support NATO in the field of cyber defense research, training and exercises covering the focus areas of technology, strategy, operations and law.

 

Ich glaube, eines der Kriegsziele der USA im Krieg gegen Russland in der Ukraine ist, die NATO wieder fest unter dem Banner der USA zu versammeln. Es scheint kaum vorstellbar, dass sie vor gerade erst einmal 3 Jahren vom französischen Präsident als hirntot bezeichnete. Heute ist alles NATO und wer nicht drin ist - wie Schweden und Finnland - will möglichst schnell hinein.

 

Ich glaube weiters, dass die USA dabei sind sie sukzessive umzubauen: von einem Bündnis zur Verteidigung Europas zu einem Bündnis, dass seine Verteidigung auch in Konflikten weitab Europas Grenzen sieht. Schon einmal wurde Deutschland am Hindukusch verteidigt, wie das der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Peter Struck von der SPD im Dezember 2002 ausdrückte. Die USA sehen in China einen Rivalen auf globaler Ebene, viel gefährlicher als es die Sowjetunion jemals war. Sie brauchen die NATO in Wahrheit nicht mehr zur Eindämmung Russlands - das zumindest hat der Krieg in der Ukraine bewiesen: fast schon 3 Monate dauert er an, und dennoch sind die russischen Gewinner eher bescheiden; Russland mag regional eine Gefahr sein, aber eine europäische Bedrohung ist es nicht. Nein, die NATO wird zukünftig eine andere Rolle spielen: sie wird ein Baustein in einem neuen "Big Game", eines, dessen Ziel es ist einen weiteren Aufstieg Chinas zu verhindern. Früher oder später wird sie in einen Wirtschaftskonflikt mit China hinein gezogen werden, auch wenn sich bislang Deutschland und die EU aus Sorge um das eigene wirtschaftliche Wohlergehen dagegen sträubten. Sie wird als "auxilia" dienen, hinein gezogen in den Konflikt mit den vermutlich wortgleichen Argumenten: Kampf für die Freiheit, die Demokratie, die westliche Wertegemeinschaft usf.

 

Der Krieg in der Ukraine ist nur ein Vorspiel, sozusagen "Das Rheingold" zu den später folgenden Akten. Wessen Götter am Ende in die Dämmerung gehen, bleibt abzuwarten. 

 

 

bearbeitet von Mistah Kurtz
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Mistah, Du schriebst von "wechselseitigen Abhängigkeiten". Nur sind diese eben nur solange wechselseitig, solange sich beide als abhängig betrachten. Aktuell ist es eindeutig zu sehen, daß ein Partner (Europa) sich als deutlich abhängiger betrachtet als der andere (Rußland) - daher ist es mit der Wechselseitigkeit nicht weit her.

 

Es wird also in meinen Augen Zeit das zu tun, was derzeit geschieht: bestmögliche Redundanz von Lieferketten, also nicht nur einen Lieferpartner für ein Produkt zu haben. Daß das ganz schlimm ins Auge gehen kann, wenn man nur einen Lieferanten hat, weiß jeder, der im Einkauf tätig ist. Ich kenne genug Firmen, die schon vor dem Krieg darunter litten. Eine echte Diversifizierung ist vonnöten.

 

Denn andersrum wird ein Schuh draus: erst wenn es keine Abhängigkeit mehr gibt, gibt es für Aggressoren kein Druckmittel mehr. Wandel durch Handel, das dürfte mit China und Rußland mehr als klar sein, funktioniert nicht.

 

Das was uns in naher Zukunft wirklich bevorsteht, ist das Verabschieden vom moralisch wie umwelttechnischen "sauberen Deutschland", während andernorts der Dreck und die Vergiftung entsteht, die unseren Wohlstand am Leben erhält. Es wird ein im demokratischen Wahlgeplänkel interessantes Spiel mit anzusehen, wie die Bevölkerung darauf reagiert, wenn sie merkt, daß wir die Risiken und den Müll, den wir produzieren müssen, auch bei uns haben können müssen und nicht in Westafrika, Ostasien oder wo auch immer, sei es bei der Produktion von Energie, Produkten oder wirklich Müll.

 

Ob die NATO weiter(!) von den USA dmoiniert werden wird, entscheidet Europa mittels der (hoffentlich mal klugen) Rüstungsausgaben selbst. Die Ponyhofidylle ist vorbei. Es wäre an der Zeit, daß die beiden großen, Frankreich und Deutschland, sich in der Beschaffung absprechen. Wenn es bei den beiden einigermaßen klappt, dann werden andere dazustoßen.

bearbeitet von rorro
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vor 6 Minuten schrieb rorro:

Es wird ein im demokratischen Wahlgeplänkel interessantes Spiel mit anzusehen, wie die Bevölkerung darauf reagiert, wenn sie merkt, daß wir die Risiken und den Müll, den wir produzieren müssen, auch bei uns haben können müssen und nicht in Westafrika, Ostasien oder wo auch immer, sei es bei der Produktion von Energie, Produkten oder wirklich Müll.

Das wird nur dann funktionieren, wenn wir gleichzeitig nicht länger für die Folgen von Überbevölkerung, kulturell bedingter Rückständigkeit, mangelnder Bildungsaffinität, hausgemachter sozialer Probleme etc. in diesen Ländern verantwortlich gemacht werden.

Wenn wir endlich damit beginnen, nicht für die ganze Welt die Verantwortung übernehmen zu wollen, auch wenn das sicher erst mal ziemlich grausam klingt.

Aber solange wir das nicht tun, wird der größere Teil der Menschheit unmündig bleiben

 

Werner

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vor 2 Stunden schrieb rorro:

Daß das ganz schlimm ins Auge gehen kann, wenn man nur einen Lieferanten hat, weiß jeder, der im Einkauf tätig ist.

Eine Dual Supplier-Strategie speziell für kritische Rohstoffe ist ganz normal für jeden, der sich mit Risikobetrachtungen und Risiko-Minimierung beschäftigen durfte.

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vor 3 Stunden schrieb Mistah Kurtz:

Russland mag regional eine Gefahr sein, aber eine europäische Bedrohung ist es nicht.

 

Am Sonntag will Schweden seine Entscheidung bezüglich eines NATO-Beitritts bekannt geben. Mit ziemlicher Sicherheit wird sie pro NATO ausfallen, ähnlich wie man es bei Finnland erwartet. Die regionale Bedrohung reicht offensichtlich mehr als aus.

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vor 2 Stunden schrieb rince:

 

Am Sonntag will Schweden seine Entscheidung bezüglich eines NATO-Beitritts bekannt geben. Mit ziemlicher Sicherheit wird sie pro NATO ausfallen, ähnlich wie man es bei Finnland erwartet. Die regionale Bedrohung reicht offensichtlich mehr als aus.

Wenn man in der bedrohten Region lebt, sehr wohl.

 

In Finnland war tatsächlich die Frage NATO-Beitritt oder Neutralität schon einmal Wahlkampfthema: Kekkonen, der die Neutralität wollte und Fagerholm, der Verhandlungen mit den Kommunisten ablehnte, bekämpften sich erbittert.

Es war das Jahr 1956. Präsident der USA war Dwight D. Eisenhower, (west-)deutscher Bundeskanzler Konrad Adenauer, in Petersburg spielte möglicherweise ein dreijähriger Knirps namens Wladimir Wladimirowitsch Putin im Sand, in Delaware besuchte ein gewisser Joe Biden die High School. Olaf Scholz, Boris Johnson oder gar Wolodymir Selenskiy waren ebenso wenig geboren wie die meisten Mitschreibenden hier. (Nur Königin Elisabeth saß schon auf dem Thron; Gerüchten zufolge weiß nur eine Minderheit der Briten, dass es eine Zeit gab, in der das noch nicht der Fall war) Zwei Generationen von Finnen erlebten überhaupt nicht, dass in ihrem Land ernsthaft über eine NATO-Mitgliedschaft diskutiert wurde, trotz Kuba-Krise, Vietnamkrieg, NATO-Doppelbeschluss usw. in dieser langen Zeit.

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vor 7 Stunden schrieb Mistah Kurtz:

Die USA sehen in China einen Rivalen auf globaler Ebene

Und was meinst du, wie China unter Xi den Westen und die USA sieht? 

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Zwei Fundstücke. 

 

Das erste fand ich auf Twitter und stammt von Javier Blas, Kolumnist auf Bloomberg Opinion, Korrespondent für die Financial Times und Business Daily:

Zitat

Germany has two gas problems: The 1st is to find enough gas to replace Russian supply The 2nd is to find gas at a low price that keeps its energy-intensive industry competitive. The 1st problem is very difficult. The 2nd problem is almost impossible. Ergo, structural reform? 

 

Das zweite ist ein Artikel, gelesen auf der Webseite der AsiaTimes, und stammt von James Carden, vormals Advisor of the U.S.-Russia Bilateral Presidential Commission at the State Department, heute Kolumnist für verschiedene politische Magazine und Zeitungen, darunter auch die AsiaTimes: 

Zitat

Biden and the Democrats pivot to proxy war

 

... According to retired US Army Colonel Lawrence Wilkerson, who served as secretary of state Colin Powell’s chief of staff, the administration is planning for a protracted conflict in Ukraine. Wilkerson says “they are extremely desirous of a protracted conflict because they want to effect regime change in Moscow, destabilize Russia and then take on China. That is their long-term geopolitical strategy.” ...

 

Der Artikel von James Carden fasst etliche meiner Erwartungen - eigentlich wäre es angemessener von Befürchtungen zu sprechen - für die nächsten Jahre zusammen. Eine neue Weltordnung nach amerikanischer Vorstellung soll entstehen. Ich frage mich ernsthaft, ob wir dabei sind Fehler des anbrechenden 20. Jahrhunderts zu wiederholen und wieder wie Schlafwandler einer Katastrophe entgegen taumeln. 

 

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Am 10.5.2022 um 13:23 schrieb Werner001:

Das wird nur dann funktionieren, wenn wir gleichzeitig nicht länger für die Folgen von Überbevölkerung, kulturell bedingter Rückständigkeit, mangelnder Bildungsaffinität, hausgemachter sozialer Probleme etc. in diesen Ländern verantwortlich gemacht werden.

Wenn wir endlich damit beginnen, nicht für die ganze Welt die Verantwortung übernehmen zu wollen, auch wenn das sicher erst mal ziemlich grausam klingt.

Aber solange wir das nicht tun, wird der größere Teil der Menschheit unmündig bleiben

 

Werner

Nach der Logik ist der Krieg in der Ukraine ja ein wahrer Segen. 

Übrigens, wo sitzt eigentlich der kleinere Teil der Menschheit, den du für mündig hältst? 

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Am 10.5.2022 um 13:07 schrieb rorro:

 

 

Es wird also in meinen Augen Zeit das zu tun, was derzeit geschieht: bestmögliche Redundanz von Lieferketten, also nicht nur einen Lieferpartner für ein Produkt zu haben. Daß das ganz schlimm ins Auge gehen kann, wenn man nur einen Lieferanten hat, weiß jeder, der im Einkauf tätig ist. Ich kenne genug Firmen, die schon vor dem Krieg darunter litten. Eine echte Diversifizierung ist vonnöten.

 

Denn andersrum wird ein Schuh draus: erst wenn es keine Abhängigkeit mehr gibt, gibt es für Aggressoren kein Druckmittel mehr. Wandel durch Handel, das dürfte mit China und Rußland mehr als klar sein, funktioniert nicht.

 

Ist dir aufgefallen, dass die beiden Absätze sich widersprechen? Du willst Diversifizierung, gleichzeitig aber die Globalisierung zurückfahren. 

 

Hast du dich eigentlich mal gefragt, warum die Lieferketten so sind wie sie sind? Warum sie sich in jahrzehntelanger Kleinarbeit so aufgebaut haben? Und hast du dich mal gefragt, was passiert, wenn man da jetzt die Axt anlegt? Mach einfach mal.

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vor 6 Stunden schrieb Thofrock:

Nach der Logik ist der Krieg in der Ukraine ja ein wahrer Segen. 

Übrigens, wo sitzt eigentlich der kleinere Teil der Menschheit, den du für mündig hältst? 

Ich halte alle für mündig, und daher ist auch jeder für dich selbst verantwortlich.

Es sind Leute wie du, die gerne predigen, wir Europäer seien für alle anderen verantwortlich. Ihr seid es also, die die anderen für unmündig halten, unmündige Klnder, um die „wir“ uns kümmern sollen

 

Werner

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vor 11 Stunden schrieb Thofrock:

Ist dir aufgefallen, dass die beiden Absätze sich widersprechen? Du willst Diversifizierung, gleichzeitig aber die Globalisierung zurückfahren. 

 

Ähhh, nein. Ich will nur diktatorische Staten außen vor lassen. Glücklicherweise gibt es genug andere.

 

vor 11 Stunden schrieb Thofrock:

Hast du dich eigentlich mal gefragt, warum die Lieferketten so sind wie sie sind? Warum sie sich in jahrzehntelanger Kleinarbeit so aufgebaut haben?

 

Vor allem des Preises wegen. Habe das lange genug recht hautnah miterlebt.

 

vor 11 Stunden schrieb Thofrock:

Und hast du dich mal gefragt, was passiert, wenn man da jetzt die Axt anlegt? Mach einfach mal.

 

Eine meiner Kunden hat seit dem 24.02. einen riesen Auftrag verloren. Das ist nicht lustig, allerdings mangels Klumpenrisiko bei ihm auch nicht existenzgefährdend. Mein Ex-Arbeitgeber hat massive Lieferengpässe, weil sich die Container vor Shanghai bis zu den Philippinen stauen, einem diktatorischen Regime sei Dank (wobei Zero Covid auch von Demokraten versucht wurde).

Das ganze wird nicht ohne Reibung passieren. Und Reibung bedeute Wohlstandsverlust und Preiserhöhung. Aber im Gegensatz zu Oppositionellen in diktatorischen Régimes bringt es uns nicht um.

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Am 14.5.2022 um 18:15 schrieb Werner001:

Ich halte alle für mündig, und daher ist auch jeder für dich selbst verantwortlich.

Es sind Leute wie du, die gerne predigen, wir Europäer seien für alle anderen verantwortlich. Ihr seid es also, die die anderen für unmündig halten, unmündige Klnder, um die „wir“ uns kümmern sollen

 

Werner

Ich würde an deiner Stelle auswandern. Es gibt nur eine einzige politische Partei, die deine Wünsche vertritt. Und die wird zumindest in Westdeutschland gerade in handlich verkleinerten Dosen verpackt.

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vor 18 Stunden schrieb rorro:

Vor allem des Preises wegen. Habe das lange genug recht hautnah miterlebt.

Eben. Und daran wird sich wenig ändern. 

Deshalb habe ich für das Gejammer auch wenig Verständnis. Noch dazu, wenn es ausgerechnet aus der neoliberalen Ecke kommt. Was ist Shareholdervalue. Und wenn man die Einsparungen rauspresst bis zum gehtnichtmehr, dann gibt es auch kein Zurück. Das ist wie mit dem Klimawandel. Und irgendwann kommt dann die Rechnung. Und da kann man dann nur hoffen, dass die, die den Schaden angerichtet haben, wenigstens noch ein bisschen mitbezahlen. Oft sind die ja längst weitergezogen.

 

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vor 2 Stunden schrieb Thofrock:

Ich würde an deiner Stelle auswandern. Es gibt nur eine einzige politische Partei, die deine Wünsche vertritt. Und die wird zumindest in Westdeutschland gerade in handlich verkleinerten Dosen verpackt.

Oh, die Koffer sind noch nicht gepackt, aber an den Plänen wird fleißig geschmiedet, keine Sorge

 

Werner

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Schwerpunkt der Wochenendbeilage der hiesigen Tageszeitung "Salzburger Nachrichten" war aus aktuellem Anlass die Frage, wie Frieden gesichert werden kann. Es wurden in einem längeren Beitrag die Standpunkte der "Falken" und der "Tauben" dargestellt und diskutiert. Die Falken meinen, man müsse, wolle man den Frieden, für den Krieg rüsten. Die Tauben wiederum meinen, Friede müsse durch Abrüstung und Verhandlungen gesichert werden. 

 

Auf den ersten Blick erscheint der Standpunkt der Falken einleuchtender. Wer militärisch hochgerüstet ist, wird weniger leicht Opfer eines Angriffs. Das ist sicher richtig. Allerdings hat diese Münze auch eine zweite Seite: wer hochgerüstet ist, hat die Möglichkeiten den Krieg in andere Länder zu tragen. Das Land, das nach dem 2. Weltkrieg die meisten Kriege ausfocht, ist zugleich jenes, das, was die Militärausgaben anbelangt, seit vielen Jahren mit weitem Abstand an der Spitze steht. 2008 waren es rd. 607 Mrd. US-Dollar. Die 10 Länder mit den höchsten Ausgaben hinter den USA gaben zusammengenommen nicht so viel für Militär und Rüstung aus wie die USA alleine. Daran hat sich bis heute nichts geändert, nur dass die Rüstungsausgaben stiegen (im Fall der USA auf über 800 Mrd. US-Dollar). Die USA haben sich offensichtlich die Maxime der Falken - willst du den Frieden, rüste für den Krieg - zu Herzen genommen und umgesetzt. Tatsächlich blieben die Einwohner der USA von Kriegen - sieht man von Terroranschlägen wie jenem von 09/11 - über viele Jahre hinweg verschont. Nur gilt das nicht für die Bürger anderer Staaten und Erdteile. Kein anderes Land hat seit dem 2. Weltkrieg so viele Kriege und Militäroperationen durchgeführt wie die USA. Manche kurz und von geringer Größe, andere über viele Jahre hinweg, niemals aber waren in dieser Zeit die USA gezwungen im eigenen Land zu kämpfen. Ihre militärische Macht sicherte den Frieden für das eigene Land und trug dafür den Krieg in andere Länder. 

 

Kurz: "Si vis pacem para bellum!" sichert nicht den Frieden, sondern erlaubt es, den Krieg andernorts auszufechten. 

 

Die Tauben wiederum wollen den Frieden durch Abrüstung und Verhandlungen sichern. Das ist zwar ein schöner Gedanke, was aber tun, wenn eine Macht daran nicht interessiert ist? Chamberlains "Peace for our time" ist ein Beispiel für die Aussichtslosigkeit derlei Bemühungen, denn - um mein Bildungsbürgertum ein wenig aus dem Fenster zu hängen - "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt" - Schillers »Wilhelm Tell« (IV, 3). Das vom deutschen Reich bzw Hitler und Chamberlain unterzeichnete Abkommen, mit dem ein dauerhafte Friede gesichert werden sollte, war das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben stand, und wurde bald von der deutschen Militärmaschinerie platt gewalzt.

 

Kurz: Abrüstung und Verhandlungen zur Friedenssicherung sind schön und gut, wenn beide Seiten guten Willens sind oder sich vielleicht auch in einem vorhergegangenen Krieg bis zur Kriegsmüdigkeit erschöpfte. Ist das nicht der Fall, ist ein Abkommen nur ein wertloses Stück Papier und Abrüstung eine Herausforderung für den Überfall. 

 

Zwischen diesen beiden Standpunkten gibt es aber noch einen anderen, einen, der den Frieden nicht durch Auf- oder Abrüstung sichern will, sondern durch wechselseitige Abhängigkeiten. Dazu habe ich schon im Thema "Russland und die NATO" einiges geschrieben, daher zitiere ich mich der Einfachheit halber selber:

_______________________________________

Das beste Mittel ist, zwischen den Staaten - den potentiellen Konfliktparteien - möglichst viele und möglichst vielfältige wechselseitige Abhängigkeiten zu schaffen. Eigentlich wurde die alte "Erbfeindschaft" zwischen Frankreich und Deutschland nach dem 2. Weltkrieg genau so entschärft. Beide Staaten wurden in den 50ern und 60ern mit immer mehr Abhängigkeiten und zwischenstaatlichen Beziehungen so miteinander verwoben, dass ein Krieg immer unwahrscheinlicher wurde. Es beruht sogar die ganze EU auf diesem Prinzip. Die Interessen und Abhängigkeiten sind mittlerweile so massiv, dass ein Krieg zwischen den EU-Staaten de facto unmöglich ist. Und mit genau diesem Argument - der Friedenssicherung durch Einbindung in das komplexe Netzwerk gemeinsamer Interessen und Abhängigkeiten - wurde und wird der EU-Beitritt der Staaten auf den Balkan seitens der EU und der anderen Mitgliedsstaaten begründet. Das Friedensprojekt EU, 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, ist ein Projekt wechselseitige Abhängigkeiten zu schaffen, die so groß sind, dass ein Krieg zwischen Mitgliedsstaaten praktisch unmöglich ist. 

 

Es ist auch nicht so, dass diese Abhängigkeiten zwischen der EU und Russland nichts genutzt hätte. Immer noch bestehen solche: die EU braucht immer noch Energierohstoffe aus Russland, Russland braucht die Einnahmen aus dem Verkauf dieser Rohstoffe an die EU. Die EU kauft weiterhin, und Russland liefert. Denn nicht die EU befindet sich im Krieg mit Russland (zumindest formal, in wirtschaftlicher Hinsicht schaut das anders aus, da haben wir bereits Russland den Krieg erklärt), sondern die Ukraine. Und trotz des Wirtschaftskriegs schießen Russland und die EU nicht aufeinander, ist der Krieg auf die Märkte beschränkt. Denn immer noch brauchen wir einander und Krieg ist schlecht für das Geschäft. Hoffen wir, dass das so bleibt.

 

Europa zieht nämlich meines Erachtens die falschen Schlüsse aus diesem Krieg, denn es baut genau das ab, was einem Konflikt zwischen der EU und Russland vorbeugend ist, nämlich wechselseitige Abhängigkeiten. Die Kehrseite dessen, dass wir uns wirtschaftliche unabhängig machen von Russland, ihre wichtigsten Exportgüter - Energie- und andere Rohstoffe - sanktionieren, ist die simple Tatsache, dass unser "Decoupling" von Russland automatisch auch ein "Decoupling" Russlands von uns zur Folge hat. Nicht nur wir haben dann weniger oder nichts mehr zu verlieren, sondern auch Russland. Und Staaten, die voneinander nichts mehr zu erwarten haben, sind schneller bereit miteinander Kriege zu führen. Wir sind dabei wechselseitige Abhängigkeit mit Aufrüstung zu ersetzen, um den Frieden zu sichern. Dabei ist aber imo einer der häufigen Reime der Weltgeschichte, dass nämlich in Wahrheit Aufrüstung nicht den Frieden sichert, sondern höchstens die Wahrscheinlichkeit erhöht, aus einem Krieg als Sieger hervorzugehen.

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Ich halte den Gedanken, es würde die Welt, Europa, Deutschland sicherer, wenn es weniger Abhängigkeit gäbe, für völlig falsch. Je weniger die Staaten einander brauchen, je weniger sie aufeinander angewiesen sind, desto weniger Grund haben sie keinen Krieg miteinander zu führen. 

 

Übrigens ist der Ansatz - Friede durch wechselseitige Abhängigkeit - inhaltlich nicht deckungsgleich mit dem häufig zitierten "Wandel durch Handel". Ein Land kann sich durch den Handel verändern, aber nicht notwendig in eine Richtung, die uns zusagt. China, um ein besonders gravierendes Beispiel zu nennen, hat sich in den letzten 20 oder 30 Jahren durch den Handel mit der Welt enorm verändert, nur eben nicht so, wie es der Westen gerne gehabt hätte. Das heißt aber nicht, dass wechselseitige Abhängigkeiten nicht auch für solche Staaten die zu erwartenden Kosten eines Kriegs so weit in die Höhe treiben, dass sie davor eher zurückschrecken. Kein Ansatz zur Lösung eines Problems, im konkreten Fall der Sicherung des Friedens, kann von sich behaupten, immer und unter allen Umständen zu funktionieren. Krieg ist auch zwischen Staaten möglich, die eigentlich aufeinander angewiesen sind, und die sich mit diesem Krieg jeweils selber nichts Gutes tun. Die Spezies Mensch nennt sich zwar selber "Homo sapiens", ist aber in Wahrheit nicht sonderlich weise, gescheit, klug und vernünftig;  vielmehr ist er häufiger "Homo insipiens" statt "Homo sapiens". Selbst Eigennutz kann nicht immer verhindern, dass er sich nicht selber aus Unvernunft ins eigene Fleisch schneidet.

 

Wechselseitige Abhängigkeit verhindert nicht zuverlässig Kriege, es macht sie nur unwahrscheinlicher. Leider gehen jetzt Politik. Medien und Gesellschaft, wie ja so oft, in die genau entgegen gesetzte Richtung: durch Aufrüstung, Entglobalisierung, Decoupling, Beseitigung von Abhängigkeiten meint man Frieden zu sichern. Statt dessen ebnet man damit den Boden für künftige Kriege.

 

Darum meine ich im Widerspruch zu dem, was jetzt allseits propagiert wird: wir sollten mehr wechselseitige Abhängigkeiten schaffen. Willst du den Frieden, dann mache einen potentiellen Gegner von dir abhängig und werde deinerseits abhängig von ihm. Nebenher kann man ja, sicher ist sicher, auch für den Krieg rüsten. 

bearbeitet von Mistah Kurtz
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vor 6 Stunden schrieb Mistah Kurtz:

Darum meine ich im Widerspruch zu dem, was jetzt allseits propagiert wird: wir sollten mehr wechselseitige Abhängigkeiten schaffen. Willst du den Frieden, dann mache einen potentiellen Gegner von dir abhängig und werde deinerseits abhängig von ihm. Nebenher kann man ja, sicher ist sicher, auch für den Krieg rüsten.

Hi Mistah,

 

Zustimmung von mir mit ein paar Ergänzungen.

 

Aufrüstung ist nicht gleich Aufrüstung. Auch die USA führen keine Kriege mit ihrem Vergeltungsarsenal an Atomwaffen. Die Flugzeugträger hingegen sind als mobile Luftwaffenstützpunkte reine Offensivwaffen. 

 

Eine motivierte und modern ausgerüstete Infanterie ist in der Ukraine in der Lage die russische Armee aufzuhalten und in einen Abnutzungskrieg zu zwingen. Für die Art der Aufrüstung lässt sich dadurch viel lernen, wenn man den Fokus auf die Verteidigung legt.

 

Gruss, Martin

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vor 7 Stunden schrieb Mistah Kurtz:

Eigentlich wurde die alte "Erbfeindschaft" zwischen Frankreich und Deutschland nach dem 2. Weltkrieg genau so entschärft.

Frankreich hatte nach drei Kriegen eingesehen, dass es seine Weltmachtträume vergessen konnte, weil alleine schon der östliche Nachbar zu stark war. Andererseits konnte man gemeinsam mit diesem Nachbarn immer noch eine bedeutende Rolle in der Welt spielen.

In Deutschland war man nach 1945 froh, wen man überhaupt noch irgendwo „mitspielen“ durfte.

So entstand eine Art Zweckehe. Im Laufe der Jahre wurde man sich sogar ein wenig sympathisch, auch weil der Ehemann Michel seiner angetrauten Marianne stets ihren Willen lies, selten widersprach und immer die Zeche zahlte.

Ein ganz spezielles Verhältnis, aber natürlich tausrndmal besser als die ständigen Kämpfe vorher.

 

Werner

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vor 7 Stunden schrieb Mistah Kurtz:

Wechselseitige Abhängigkeit verhindert nicht zuverlässig Kriege, es macht sie nur unwahrscheinlicher. Leider gehen jetzt Politik. Medien und Gesellschaft, wie ja so oft, in die genau entgegen gesetzte Richtung: durch Aufrüstung, Entglobalisierung, Decoupling, Beseitigung von Abhängigkeiten meint man Frieden zu sichern. Statt dessen ebnet man damit den Boden für künftige Kriege.

 

Darum meine ich im Widerspruch zu dem, was jetzt allseits propagiert wird: wir sollten mehr wechselseitige Abhängigkeiten schaffen. Willst du den Frieden, dann mache einen potentiellen Gegner von dir abhängig und werde deinerseits abhängig von ihm. Nebenher kann man ja, sicher ist sicher, auch für den Krieg rüsten. 

 

Richtig! Wechselseitige Abhängigkeiten machen Kriege unwahrscheinlicher, das Problem ist nur, daß unsere Abhängigkeit von russischer Energie eben nicht wechselseitig war. Rußland kann Gas und Öl auch anderswo verkaufen, wir aber nicht anderswo einkaufen. 

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29 minutes ago, Marcellinus said:

 

Richtig! Wechselseitige Abhängigkeiten machen Kriege unwahrscheinlicher, das Problem ist nur, daß unsere Abhängigkeit von russischer Energie eben nicht wechselseitig war. Rußland kann Gas und Öl auch anderswo verkaufen, wir aber nicht anderswo einkaufen. 


Ich denke auch: wenn das so einfach wäre, hätte Putin schon den Hahn dicht gedreht.

Ich hoffe sehr, dass möglichst bald wieder Vernunft einkehrt. 
Aktuell ist die gesamte Welt von win-win zu lose-lose umgesprungen.

Von Endsiegen träumen da eigentlich nur Fanatiker.

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vor 49 Minuten schrieb Marcellinus:

 

Richtig! Wechselseitige Abhängigkeiten machen Kriege unwahrscheinlicher, das Problem ist nur, daß unsere Abhängigkeit von russischer Energie eben nicht wechselseitig war. Rußland kann Gas und Öl auch anderswo verkaufen, wir aber nicht anderswo einkaufen. 

Russland hat zwar das Gas, aber wir das Geld. Geld, das Russland braucht. Wäre dem nicht so, hätte Russland in diesem Wirtschaftskrieg, den der Westen gegen das Land führt, längst seine stärkste Waffe zum Einsatz gebracht, nämlich den Stopp aller Lieferungen von Energierohstoffe nach Europa. Es würde sich damit aber auf Grund dieses wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnisses tief ins eigene Fleisch schneiden, also ist es bislang davor zurückgeschreckt. Ob das so bleibt, hängt vom Verlauf des (Wirtschafts)Krieges ab.

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