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Extreme Churching


Axel

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Hallo Axel,

 

bist Du, wie angekündigt, auf der Wallfahrt von Passau nach Altötting gewesen? Falls ja, wäre ein Bericht in dem von Dir eröffneten Thread zu dieser Wallfahrt ganz nett. Ich war am Samstag beim Einzug der Pilger in Altötting bzw. der Wallfahrtsbasilika. War ja ein Riesending.

 

vg

 

Erich A.S.

 

Also gut Erich, wenn mir schon Spalier gestanden hast :P , dann schreib ich glatt was.

 

Riesen Ding, in der Tat. Seit rund 50 Jahren organisiert das Jugendbüro der Diözese Passau jährlich eine Jugendwallfahrt nach Altötting. Das ganze geht über zweit Tage zu Fuß, nur eine kleine harte Truppe ist drei Tage unterwegs. Es gibt drei Züge, die an unterschiedlichen Orten im Bistum starten und sich kurz vor Altötting vereinen. Inzwichen ist das weniger eine rein religiöse Veranstaltung, sondern mehr zu einer Art Volkssportart geworden, an der - vom Kind bis zum rüstigen Rentner - offenbar ganz Niederbayern teilnimmt.

 

Ich bin - obwohl kein Nieder- , sondern Oberbayer mit fränkischem Wohnort - von Passau aus mitgegangen. Das sind knapp 90km in zwei Tagesmärschen bei einer Durschnittsgeschwindigkeit von 6km/h. Von gemütlichen Gehen kann eigentlich keine Rede sein. Startschuß war letzten Freitag um 6 Uhr nach der vorangegangenen Auftaktmesse. Am Start rund 1500 "extreme churcher". Die Strecke geht die erste Etappe wunderbar romantisch am Inn, direkt an der deutsch-österreichischen Grenze entlang, danach geht es hauptsächlich auf Nebenverkehrsstraßen und meist asphaltierten Feldwegen. In allen Dörfern läuten die Kirchenglocken, wenn wir vorüberziehen. Am Nachmittag ist die letzte Etappe des Tages drei Stunden am Stück. Dann ist Malching erreicht. Wir werden in Busse verladen und in diverse Sammelquartiere in der Umgebung gefahren. Ich verbringe die Nacht in Ruhstorf (sprich: Ruhschtorf) beim Pfarrer unterm Schreibtisch, bei dem es zuvor ein fürstliches Mahl gegeben hat. Am nächsten Tag Start ab 8 Uhr von Ehring, einem Nachbarort von Malching. Viele steigen heute erst ein, der Zug schwillt auf 2500 Leute an (schätzungsweise). Auf Blasen und Muskelkater wird keine Rücksicht genommen, der Zug rast im gleichen Tempo weiter. Die letzte Etappe nach der Mittagspause ist die furchtbarste. 3 1/2 Stunden am Stück, ein Großteil auf einer Bundesstraße die dazu extra gesperrt werden muß. Dann biegt der Zug in einen Waldweg ein, der sich 8km schier endlos und fast kerzengerade hinzieht. Die Streckenposten haben die letzen zehn Kilometer ausgeschildert. An jedem Kilometer hängt ein Schild, wie ein Count Down. Nett gemeint, aber eine echte Strafe. Jeder Kilometer scheint doppelt so lang. Dazu kommt, daß die Forstverwaltung den Weg mit grobem Schotter aufgefüllt hat: eine wahrer Bußgang für die geschwollenen Füße. Dann tut sich der Wald auf und man sieht am Horizont die Türme von AÖ. Das gelobte Land ist greifbar nahe. Kurz darauf stoßen die anderen Züge dazu und gemeinsam zieht ein Zug von rund 5-6.000 Leuten in die Basilika ein.

 

Viel habe ich davon nicht mitbekommen. Fast in Trance, am Rande eines Kreislaufzusammenbruchs wollte ich nur noch rein in die Kirche und mich irgendwo hinsetzen. Immerhin hab ich die Strecke diesmal geschafft (stolz!), aber ein echter extreme churcher schleppt ja noch eine Fahne oder ein Holzkreuz mit. Zwei stämmige Buam von einer freiwilligen Feuerwehr aus dem Bayerischen Wald etwa, trugen abwechselnd ein massives Standkreuz von 11kg an einem Tragegurt mit sich. Andre haben die Kraft, auch noch auf den letzten Kilometern zu singen oder gar Rosenkränze zu beten. Ihr seht, es gibt gute Gründe für mich, noch ein bißchen an meiner Kondition zu feilen und nächstes Jahr wieder mit dabei zu sein. Dann muß ich zwar aus Köln anreisen, aber vielleicht treibe ich ja eine Weltjugendtagsfahne auf, die ich schleppen kann :blink:

 

Gruß

 

Axel

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ach ja, die Welt am Sonntag hat auch einen schönen Artikel geschrieben, allerdings über eine der anderen Züge, mit dem wir uns vor AÖ vereint haben:

 

Jung, gläubig, gut zu Fuß

 

Jedes Jahr im April pilgern Christen aus allen Teilen Bayerns nach

Altötting und leiten damit die Wallfahrtssaison ein. Unter ihnen sind

auch viele Jugendliche auf der Suche nach Besinnlichkeit

 

von Heike Vowinkel

 

Es gibt Wege, die sind so lang und beschwerlich, dass man sich fragt,

warum jemand sie freiwillig geht. Der Weg von Regen nach Altötting ist

so einer - 120 Kilometer und drei Tagesmärsche lang. An diesem frühen

Donnerstagmorgen, die Sonne ist gerade erst aufgegangen, treten ihn 52

junge Menschen an. Sie tauchen ein in die kühle Luft, Rucksäcke

geschultert, mit müden Augen und fröstelnden Gliedern, marschieren sie

einfach los. Und wer sie zum ersten Mal begleitet, stellt sich die

Frage: Wie wollen sie bei dem Tempo durchhalten - und wie will man es

selbst?

 

Ohne Blasen und Muskelkater anzukommen, hatte der Generalvikar zuvor

in der Pfarrkirche beim Segen gewünscht. Dass es ein frommer Wunsch

bleiben wird, wissen die meisten. Dass wunde Füße und schmerzende

Gelenke unvermeidlich sind, sowieso. Nur wer den Weg zum ersten Mal

geht, hofft da noch.

 

Jedes Jahr im April pilgert die Jugend nach Altötting und leitet damit

die Wallfahrtssaison in dem oberbayerischen Pilgerort ein, einem der

bedeutendsten in Deutschland.

 

Am Anfang, nach dem Zweiten Weltkrieg, waren es junge Soldaten, die

sich zum Dank für ihre Heimkehr auf die Pilgerreise machten. Später

schlossen sich Jugendliche an, und mittlerweile hat sich ihre Zahl bei

etwa 5000 Pilgern eingependelt. Auch in diesem Jahr strömen sie wieder

aus Passau, Osterhofen, Pfarrkirchen und eben aus Regen zusammen.

 

Raureif glitzert noch auf den Wiesen, als die Regener Pilger die

ersten Hügel nehmen. Das Tempo wird verschärft - "bergan moche ma des

imma so", erklärt Klaus, 25, mit Sepplhut und stets guter Laune. Er

wallfahrtet zum zweiten Mal ab Regen, zuvor war er jahrelang die

kürzere Strecke ab Osterhofen gelaufen. Klaus läuft mit zwei Brüdern,

einer Schwester und Freunden - keiner ist zum ersten Mal dabei. Neue

Gesichter fallen auf, davon gibt es nicht so viele. Denn die Regener

Wallfahrer sind eine eingeschworene Gemeinschaft. "Die ganz Harten",

wie sie die Pilger aus Osterhofen oder Passau nennen. Denn als Einzige

laufen sie nicht zwei, sondern drei Tage - statt 80, 120 Kilometer.

 

Manche, wie Martina, 26, reisen dafür eigens aus dem 45 Kilometer

entfernten Aldersbach an. Vor einem Jahr hatte sie die Prüfung zur

Bilanzbuchhalterin bestanden und sich vorher geschworen, "wenn's

klappt, gehe ich von Regen nach Altötting". Prüfungen,

Schicksalsschläge, großes Glück oder Leid sind häufig Anlass, um nach

Altötting zu pilgern. Bei Günther, 33, war es einst ein verunglückter

Cousin, bei Gertraud, 23, und Sarah, 24, einfach das "Gefühl, da mal

mitlaufen zu müssen". Und fast alle, die einmal dabei waren, kommen

wieder. "Des is wie oane Sucht", sagt Klaus.

 

Mittags, bei der Rast in Siederding, nach 20 Kilometern, fühlt sich

der "Frischling" allerdings alles andere als berauscht. Die Füße

brennen, die feuerrote Haut wirft erste Blasen und frisch fühlt man

sich schon länger nicht mehr. Bei den ersten Schritten nach der Pause

scheinen die Schuhe mit Nadeln gespickt. "Profi-Pilgerer" wie Anton,

35, Feinoptiker aus Kirchdorf, lacht und sagt, "des wird schoa. Nach

ein paar Kilometern spürst nix mehr." Das macht wahrhaft Mut. 21 Mal

ist Anton schon nach Altötting gewallfahrtet, "immer in den gleichen

Turnschuhen", sagt er und zeigt auf seine blauen, ausgetretenen

Adidas, die schon 720 Kilometer unter der Sohle hatten. Dabei sei er

keiner, der jeden Sonntag in die Kirche rennt, sagt er, damit kein

falscher Eindruck entstehe: "Aber weil im Alltag eben oft die Zeit für

Besinnung fehlt, mache ich das hier. Eine Art Selbstfindung." Nicht zu

vergessen, dass er seine Frau Barbara, 28, bei dieser Wallfahrt fand -

"und vor zehn Jahren", ergänzt die zierliche Frau mit den langen

schwarzen Haaren, "haben wir beim Pilgern sogar kirchliche Verlobung

gefeiert".

 

Irgendwann nimmt der Tag ein Ende und Osterhofen, das erste Quartier,

ist in Sicht. Erschreckend munter scheinen die meisten, während man

selbst jeden Kieselstein unter der Sohle zu spüren meint. Doch auch

Martin, 34, humpelt verdächtig. "Des tut schoa weh", sagt er und zeigt

auf seine Füße. Blasen und Gelenkschmerzen gibt er offen zu und

erklärt das Unverständliche: "Viele reden nicht über die Schmerzen,

weil sie dazugehören. Und dann ist es auch jedes Jahr anders: Mal ist

man nach dem ersten Tag noch fit, mal nach ein paar Stunden schon

fertig." Er selbst ist dieses Jahr erkältet gestartet, so fühlt er

sich jetzt auch: fiebrig und schwindelig. Martin, Beamter der

Landshuter Umweltbehörde, läuft schon zum neunten Mal mit. Spätestens

im Februar reicht er jedes Jahr Urlaub ein, um dabei sein zu können.

"Auch wegen dieses Gemeinschaftsgefühls. Man sieht sich nur einmal im

Jahr, doch die gemeinsame Erfahrung des Pilgerns verbindet."

 

Am nächsten Morgen sind die Blasen zur zweiten Sohle und schmerzfreies

Auftreten zum Kunststück geworden. Wie die anderen weiterlaufen

können, bleibt ein Rätsel. Doch sie laufen weiter: Gertraud mit

blutigen Zehen, Martin mit schmerzenden Gelenken und selbst Barbara,

die sich am Tag zuvor den Knöchel verknackst hat. Die Zahl der Pilger

hat sich fast verzehnfacht. 450 ziehen aus der Osterhofener Basilika

aus - im Abstand von 200 Metern laufen sie nun in fünf Zügen, die

Regener vorneweg. Sie geben das Tempo vor, weil sie schon einen Tag

länger laufen. Doch ihrem Schritt ist das nicht anzumerken, manchen

der frisch Gestarteten ist er sogar zu schnell.

 

Vorbei an Wäldern und Wiesen schlängeln sich die Pilger-Züge über die

Landstraßen. Es wird gesungen, gebetet, gelaufen, und die Rinder

starren hinterher. Bauern auf Traktoren nicken anerkennend und

Straßenarbeiter rufen mit Ehrfurcht in der Stimme: "Geht's nach

Altötting?!" In Windbaising, irgendwo vor Johanniskirchen, verteilt am

Straßenrand eine Frau selbst gebackene "Zwetschgenbovesen" (Gebäck mit

Pflaumenmus) an die Wallfahrer.

 

Nach der Mittagspause knallt die Sonne auf die erhitzten Gesichter.

Das Anlaufen wird zur Qual. Die ersten Pilger aus Osterhofen bitten,

ein Stückchen im Begleitbus mitfahren zu dürfen. Und irgendwann sitzt

auch Martina, die Finanzbuchhalterin, darin: "Schade, dass ich es

nicht ohne schaffe. Aber ich kann nicht mehr." Es klingt fast wie eine

persönliche Niederlage.

 

"Man sagt sich, schaffst du das hier, schaffst du alles", erklärt

Anton, der noch immer vorneweg läuft. Doch als am Abend die Züge in

Pfarrkirchen, dem zweiten Quartier, einlaufen, sind einige Gesichter

schmerzverzerrt. In der Nacht werden Unmengen an Rindertalg und

Franzbranntwein verrieben, die wichtigsten Utensilien im

Pilger-Gepäck. Und am nächsten Tag wird weitergelaufen. Der Schmerz

ist schon Routine. "Du musst singen, beten oder an etwas anderes

denken", rät Anton. Dabei fragt man sich eigentlich nur, warum das

alles? "Weil es dir danach einen unglaublichen Schub gibt", sagt

Michaela, 25. Woher der kommt, weiß die Lehramtsstudentin aus

Hängersberg auch nicht so genau. Sicherlich nicht von den Füßen, denn

die sind nach der Wallfahrt erst mal nicht mehr zu gebrauchen.

 

Es muss wohl an diesem Abschluss liegen, dem Einzug in Altötting, der

irgendwann nach drei unendlich langen Tagen tatsächlich greifbar nah

ist. Dieses Gefühl, das am späten Nachmittag ganz langsam den Rücken

hochkriecht, wenn von fern her zum ersten Mal die Umrisse der Stadt

mit den Kirchtürmen zu sehen sind. Und wenn man dann einläuft in die

Stadt und in die Basilika, mit diesem Gefühl des Sieges über den

inneren Schweinehund und die eigene Schwäche - dann weiß man, warum.

Und vielleicht gehört man danach ja auch zu den Süchtigen. "Man merkt

es nicht gleich", sagt Martin. "Aber wenn der nächste Termin näher

rückt, und man unruhig wird, dann ist es so weit."

 

Artikel erschienen am 27. Apr 2003

 

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© WAMS.de 1995 - 2003

 

Vollständige Url des Artikels: http://www.wams.de/data/2003/04/27/80101.html

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Danke, Axel.

 

Und war's jetzt für Dich mehr eine extrem Sportart - extreme Churching - oder kommt dabei mehr in Hinblick auf den Glauben 'rüber'?

Ich muss gestehen, dass ich mich als bloßer Zuseher des 'Zieleinlaufs' in Altötting bzw. der Basilika leid sah. Wenn möglich, würde ich nächstes Jahr gerne mitmachen.

bearbeitet von altersuender
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Danke, Axel.

 

Und war's jetzt für Dich mehr eine extrem Sportart - extreme Churching - oder kommt dabei mehr in Hinblick auf den Glauben 'rüber'?

Ich muss gestehen, dass ich mich als bloßer Zuseher des 'Zieleinlaufs' in Altötting bzw. der Basilika leid sah. Wenn möglich, würde ich nächstes Jahr gerne mitmachen.

Wallfahrten sollen ja meist ein Dankeschön an Gott sein. Da gäbe es für mich tatsächlich gute Gründe. Trotzdem glaube ich nicht, daß Gott diese Art Dankopfer von uns verlangt oder präferiert. Ich sehe die Wallfahrt aus meiner religiösen Perspektive eher als Glaubensdemo.

 

Andererseits ist es auch eine gute geistige Schule, sich in solche körperlichen Extremzustände hineinzuversetzen, die eigenen Grenzen zu erfahren. Wie groß ist meine Willensstärke? Höre ich wirklich erst auf, wenn mir die Füße den Dienst quittieren? Oder steige ich doch mehr aus Bequemlichkeit in den Begleitbus, nur weil es weh tut? Es gibt so viele Glaubenszeugen, die für ihre Überzeugung diese Willensstärke gebraucht haben, obwohl sie körperlich gebrochen wurden. Oder, etwas, was mir in manchmal durch den Kopf gegangen ist: ich stellte mir vor, ich ginge als KZ Häftling in den berüchtigten Todesmärschen. Wenn ich stehen bleibe, werde ich erschossen. Nur, daß ich trainiert und wohlgenährt bin, ausreichend Proviant und Getränke dabei habe und weiß, daß überall medizinische Hilfe auf mich wartet, falls ich schlapp machen sollte.

 

Gruß

 

Axel

 

P.S. Die nächste Wallfahrt startet am 16. April 2004, vermutlich wieder mit dem Gottesdienst um 5 Uhr in St. Nikola.

 

Wäre natürlich ein Ding, wenn wir eine Kath.de Gruppe zustande brächten. Dann brauchen wir aber auch eine kath.de-Fahne!

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Aber in Passau kann ich eine hervorragende Cocktailbar empfehlen... Na ja, OK - das ist vieleicht nicht ganz das richtige zur Einstimmung auf eine Wallfahrt, obwohl: Sigi macht auch sehr leckere alkoholfreie Drinks (hab ich gehört...).

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Wäre übrigens für den gläubigen Teil von kath.de ein mögliches Extremtreffen.

Das hat was, Erich! Aber zwei Tage sollten reichen.

 

Brauchen wir eine kath.de Pilger-Fahne? :blink:

 

Herzliche Grüße

Martin

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@Erich

Passau liegt ja auch zentral in Deutschland. (Ich weiß du kommst aus Ö) :blink:

Ich merk schon, ich sollte langsam wirklich mal in den Süden ziehen.

Alles läuft so "zentral" in Bayern ab -> Passau... :blink:

@ Axel,

gratuliere zum Durchhalten!!!!!! :unsure:

 

Liebe Grüße

lumie

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