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Rebekkas Wahl


Domingo

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Da wir schon dabei sind, über die Interpretation von Bibelpassagen zu streiten, möchte ich die ganzen AT-Experten hier mal fragen: In Genesis 24:58 wird Rebekka gefragt, ob sie mit Abrahams Diener gehen will, der ja darum gebeten hatte, dass sie Isaaks Frau wird. Ich habe Diskussionen mitgekriegt, wo Christen diesen Vers als Beweis  benutzen, dass im AT Frauen doch darüber mitreden durften, wen sie heiraten wollten; Atheisten behaupten dagegen, dass sie nur entscheiden soll, ob sie gleich mit dem Diener mitgehen will oder zehn Tage später.

 

Mir scheint, die Christen haben recht; zu diesem Schluss komme ich dadurch, dass diese Entscheidung der zukünftigen Braut Isaaks schon in 24:5 angedeutet wird. Was denken aber unsere Theologinnen? (Und auch männlichen Theologen, falls wir welche haben.)

bearbeitet von Domingo
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Vorbemerkung: Bei exegetischen Fragestellungen sollte mE zuerst gelten: "die Christen", "die Atheisten" o.ä. gibt es in dem Zusammenhang nicht - und es ist für eine Textanalyse nach den Regeln der Kunst auch unerheblich.

Zur Textstelle selbst lässt sich sagen, dass die Struktur vor allem darauf hindeutet, dass Rebekka mit Abraham in Gen 12,1 parallelisiert werden soll. Ein weiterer Anhaltspunkt für diese Lesart sind die Parallelisierungen der Segenssprüche Gen 24,60 und Gen 22,17.

 

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Gutes Beispiel für die Alma-Diskussion:

In Gen 24,16 wird Rebekka als Betula, in Gen 24,43 in der Nacherzählung der gleichen Situation durch den Knecht Abrahams dagegen als Alma bezeichnet. Das zeigt, dass beide Begriffe synonym verwendet werden und mit eine jungen Frau immer auch eine Jungfrau gemeint war. Und unverheiratet! Denn als Isaak Rebekka geheiratet hatte, wird sie als Ischa bezeichnet (V. 67), obwohl sie vom Alter her immer noch eine junge Frau (alma) wäre.

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Auch wenn die alma/betula-Frage im Kontext dieses threads OT ist, weise ich darauf hin, dass, bevor flott auf eine synonyme Verwendung rekurriert wird, aus exegetischer Perspektive geklärt sein sollte, ob die beiden Textstellen derselben Redaktionsschicht angehören (ich vermute: nein, so wild wie Genesis über weite Strecken komponiert ist), ob also die Verwendung der Begriffe intendiert ist oder einer Autorenvorliebe entspringen.

@Domingo muss ich aber enttäuschen: ich habe keine Zeit mich da verantwortet hineinzuvertiefen. Wenn mir noch eine passende Monographie dazu einfällt, werde ich sie verlinken.

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6 hours ago, Domingo said:

Da wir schon dabei sind, über die Interpretation von Bibelpassagen zu streiten, möchte ich die ganzen AT-Experten hier mal fragen: In Genesis 24:58 wird Rebekka gefragt, ob sie mit Abrahams Diener gehen will, der ja darum gebeten hatte, dass sie Isaaks Frau wird. Ich habe Diskussionen mitgekriegt, wo Christen diesen Vers als Beweis  benutzen, dass im AT Frauen doch darüber mitreden durften, wen sie heiraten wollten; Atheisten behaupten dagegen, dass sie nur entscheiden soll, ob sie gleich mit dem Diener mitgehen will oder zehn Tage später.

 

Mir scheint, die Christen haben recht; zu diesem Schluss komme ich dadurch, dass diese Entscheidung der zukünftigen Braut Isaaks schon in 24:5 angedeutet wird. Was denken aber unsere Theologinnen? (Und auch männlichen Theologen, falls wir welche haben.)


Da ich weder hebräisch kann, noch Theologe bin, aber doch mal sprachwissenschaftlich und historisch geforscht habe:

Ich würde an den Anfang erstmal setzen, mich nach dem erkenntnisleitenden Interesse zu fragen.

Was bedeutet dann „Christen benutzen als Beweis“?

Die Freiheit der Wahl des Heiratspartners ist im Christentum vermutlich formal sehr viel früher anerkannt worden, als es wiederum gelebte Praxis in vielerlei „christlichen“ Gesellschaften war. Das heißt erst mal, was könnte so ein Text überhaupt zur tatsächlichen und theoretischen Ehepraxis im Christentum aussagen, insbes. da unklar ist, welche Autorität das AT wo und wann in welcher christlichen Praxis gehabt hat?

Die nächste Frage ist, was könnte überhaupt ein Atheist für ein Interesse haben, einen ursprünglich jüdischen Text in Bezug auf eine christliche Doktrin zu deuten - er teilt vermutlich keine davon.

Ich vermute mal, dass es dann mehr um ein ideologiekritisch-polemisches Interesse geht.

Kurz: es wäre viel sprachgeschichtlich viel interessanter herauszufinden, welche Ehepraxis zur Entstehungs- und Rezeptionszeit des Textes im Judentum üblich war, und ob diese Textstelle dabei je ein autoratives Dokument war, das so auch weitgehend unumstritten tradiert wurde.

 

Ansonsten landet man nämlich bei der sehr einfältigen Praxis mancher Text- und Kulturverächter, man könne mal eben eine Glaubensgruppe aus einer oberflächlichen Kenntnis ihrer Quellen desavouieren. Das geht idR schief, weil kein Text ohne seine Rezeptions- und Überlieferungsgeschichte sinnvoll eingeordnet werden kann.

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Da meine Benutzung der Ausdrücke "die Christen" und "die Atheisten" unbeabsichtigte Aufmerksamkeit erregt hat, hier eine Klarstellung: mit dem bestimmten Aritkel wollte ich nur auf die zuvor genannten Christen u. Atheisten hinweisen, nicht auf Chrisren und Atheisten allgemein - jetzt aber fällt mir auf, dass mein Satz

 

Zitat

Ich habe Diskussionen mitgekriegt, wo Christen diesen Vers als Beweis benutzen, dass im AT Frauen doch darüber mitreden durften, wen sie heiraten wollten; Atheisten behaupten dagegen, dass sie nur entscheiden soll, ob sie gleich mit dem Diener mitgehen will oder zehn Tage später.

 

jemanden auf den Holzweg führen kann. Ich meinte wirklich nur diejenigen, die an den Diskussionen beteiligt waren, die ich miterlebt hatte.

 

Und ja, Atheisten versuchen in solchen Debatten oft, die schlechtestmögliche Deutung von Bibelstellen als die richtige hinzustellen (*), während Christen umgekehrt das  Problematische wegzuinterpretieren versuchen.

 

(*) Ich könnte ein Lied darüber singen, wie "progressive" Forscher oft dasselbe tun mit den alten Texten, mit denen ich vertraut bin, bis hin zu völlig lächerlichen Verbiegungen bei der Interpretation. Atheisten verfahren oft genauso wie sie, gehören auch wohl zur selben gesellschaflich-kulturellen Bewegung, sozusagen, die die europäisch-westliche Überlieferung einer scharfen Kritik unterzieht. Was an sich ganz und gar nicht falsch ist, sollte aber nicht so durchgeführt werden, dass man a priori die schlechteste Deutung herauspickt und dann alles versucht, sie irgendwie zu stützen.

bearbeitet von Domingo
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vor 2 Stunden schrieb Shubashi:

Die Freiheit der Wahl des Heiratspartners ist im Christentum vermutlich formal sehr viel früher anerkannt worden, als es wiederum gelebte Praxis in vielerlei „christlichen“ Gesellschaften war.

 

Die Zustimmung der Braut war schon im römischen Recht für eine gültige Eheschließung erforderlich. Anscheinend ist das auch im Islam der Fall - weißt Du, diejenige Religion, die so ziemlich allen als Inbegriff der Frauenfeindlichkeit gilt.

 

Wobei es hier nicht um Gesetz gehen muss, sondern es könnte auch um soziale Gepflogenheiten gehen, die neben dem und unabhängig vom Gesetz bestehen.

 

Übrigens musste im röm. Recht der pater familias der Braut (und des Bräutigams) der Eheschließung zustimmen, sofern sie/er nicht sui iuris war, dh nicht länger einem pater familias unterstellt. In der Genesisgeschichte fragt der Diener denn auch Rebekkas Familie um Erlaubnis; das musste er wohl tun, und das scheint mir einen gewissen Parallalismus zum röm. Recht darzustellen.

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vor 5 Stunden schrieb Shubashi:

Die Freiheit der Wahl des Heiratspartners ist im Christentum vermutlich formal sehr viel früher anerkannt worden, als es wiederum gelebte Praxis in vielerlei „christlichen“ Gesellschaften war. Das heißt erst mal, was könnte so ein Text überhaupt zur tatsächlichen und theoretischen Ehepraxis im Christentum aussagen, insbes. da unklar ist, welche Autorität das AT wo und wann in welcher christlichen Praxis gehabt hat?

In vielen evangelischen Gemeinschaften hat(te) das AT das gleiche Gewicht wie das NT. Und Fälle in denen das biblische Recht übernommen wurde, sind ja nicht so ungewöhnlich.

 

Insofern ist die Rechtfertigung der christlichen Praxis der Konsensehe durchaus nicht abwegig. Für die Zeit bis 1500 oder 1600 zwar eher grundsätzlich eine theoretische Frage, da auch in christlichen Gesellschaften keine freie Partnerwahl gegeben war (die heilige Elisabeth war 4 als sie ihre Schwiegereltern kennengelernt hat - ob Kinderehen im Nichtadel wirklich so selten waren, lasse ich mal dahin gestellt. Wir wissen es schlicht nicht).

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vor 19 Stunden schrieb Domingo:

Übrigens musste im röm. Recht der pater familias der Braut (und des Bräutigams) der Eheschließung zustimmen, sofern sie/er nicht sui iuris war, dh nicht länger einem pater familias unterstellt. In der Genesisgeschichte fragt der Diener denn auch Rebekkas Familie um Erlaubnis; das musste er wohl tun, und das scheint mir einen gewissen Parallalismus zum röm. Recht darzustellen.

 

Die Entwicklung hin zu einer größeren Autonomie der Ehepartner in der Frage ihrer Partnerwahl ihrer Familie, oder ihres Clans, sowohl von der Kirche als auch von den entstehenden Territorialfürsten unterstützt. Die Kirche versprach sich hiervon einen größeren Einfluss auf die Gläubigen, und die Territorialstaaten versuchten damit, den Einfluss der Familien, Clans und Stämme zurückzudrängen. Man sieht hier sehr schön, wie Individualisierung und Staatenbildung zusammen gehen.

bearbeitet von Marcellinus
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vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Die Entwicklung hin zu einer größeren Autonomie der Ehepartner in der Frage ihrer Partnerwahl ihrer Familie, oder ihres Clans, sowohl von der Kirche als auch von den entstehenden Territorialfürsten unterstützt.

 

(Ich nehme an, hier fehlen ein paar Wörter...)

 

Vielleicht ist es deswegen auch falsch oder zumindest irreführend, wenn man behauptet, der Vater oder der Ehemann sei "der Besitzer" einer Frau gewesen (obwohl die Heiratsanbahnungen im Altertum schon recht ähnlich wie Kaufverträge aussehen). Manche Gelehrten haben auch darauf hingewiesen, dass man da eher von Kollektivbesitz und Kollektivhandeln reden sollte; wenn es etwa heißt, Titus Gaius Sempronius Priscus (Name erfuden ;) ) habe als paterfamilias seinen Sohn für einen Verbrecher befunden und zum Tode verurteilt, hat er es in Wahrheit nicht alleine getan, sondern durch ein innerfamiliäres Gericht. (Irgendwann wurde diese Gerichtsbarkeit an den Staat übergeben und der praetor war derjenige, der solceh Todesurteile aussprechen musste.)

 

Der paterfamilias (nicht nur in Rom, aber ich benuzte dieses Wort gerne allgemeiner, weil es so nützlich ist) war derjenige, der die Familie nach außen vertrat, und natürlich hatte er die größte Entscheidungsgewalt von allen Angehörigen der Familie.

bearbeitet von Domingo
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vor 2 Stunden schrieb Domingo:

Der paterfamilias (nicht nur in Rom, aber ich benuzte dieses Wort gerne allgemeiner, weil es so nützlich ist) war derjenige, der die Familie nach außen vertrat, und natürlich hatte er die größte Entscheidungsgewalt von allen Angehörigen der Familie.

 

Ich denke, der Fehler liegt woanders. "Familie" bedeutete zu früheren Zeiten etwas anderes, als bei uns heute. Es hatte eher Ähnlichkeit mit einem Mafia-Clan. 

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vor 27 Minuten schrieb Marcellinus:

 

Ich denke, der Fehler liegt woanders. "Familie" bedeutete zu früheren Zeiten etwas anderes, als bei uns heute. Es hatte eher Ähnlichkeit mit einem Mafia-Clan. 

 

Wird der Corleone-Mafiaclan im "Paten" nicht "die Familie" genannt? 

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vor 29 Minuten schrieb Marcellinus:

"Familie" bedeutete zu früheren Zeiten etwas anderes, als bei uns heute.

 

Mag sein, aber es gab so oder so eine strikte Trennung zwischen der Privat- (Familien/Clan-) Sphäre und der Öffentlichkeit.

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vor 48 Minuten schrieb Domingo:
vor einer Stunde schrieb Marcellinus:

"Familie" bedeutete zu früheren Zeiten etwas anderes, als bei uns heute.

 

Mag sein, aber es gab so oder so eine strikte Trennung zwischen der Privat- (Familien/Clan-) Sphäre und der Öffentlichkeit.

 

Ja, aber die staatliche Sphäre war noch in der Entwicklung. Die Familien erfüllten daher viele Rollen und Aufgaben, die wir heute als staatlich erwarten. Dementsprechend waren Familien auch sehr viel größer, und die Verbindung durch Verwandtschaftsverhältnisse weit enger als bei uns heute. Wir können das heute eher in Libanon-Clans beobachten (die Araber-Clans bei uns funktionieren ähnlich und stammen meines Wissens auch hauptsächlich aus dem Libanon). Man kann sogar sagen, daß unsere Vorstellung von Staat nur funktioniert, wenn es diese archaische Form von Familienbeziehungen nicht mehr gibt. 

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On 3/13/2024 at 6:40 AM, Shubashi said:

Die Freiheit der Wahl des Heiratspartners ist im Christentum vermutlich formal sehr viel früher anerkannt worden, als es wiederum gelebte Praxis in vielerlei „christlichen“ Gesellschaften war.

Habe gestern zufällig in der (englischsprachigen) Wikipedia-Seite über Königin Camilla folgenden Kommentar zu ihrer Eheschliessung mit ihrem ersten Ehemann (Mr. Parker Bowles) gefunden: "After an on-and-off relationship for years, Parker Bowles and [Camilla] Shand's engagement was announced in The Times in 1973. Sally Bedell Smith claimed that the announcement was sent out by the pair's parents without their knowledge, which forced Parker Bowles to propose."

 

Freiheit der Wahl? Wenn die Eltern und Schwiegereltern die Heirat öffentlich bekanntgeben, bevor das (glückliche?) Brautpaar überhaupt von seinem Glück weiss?

 

(Ich weiss, hat eigentlich wenig mit dem Thema zu tun, ist aber lustig.)

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