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Die Theologie des Leibes von Johannes Paul ist gescheitert


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Geschrieben
vor 7 Minuten schrieb iskander:

Kann mir bitte irgendjemand helfen, SteRo zu verstehen? Gibt es irgendjemanden, der ihn versteht?

Bei Glaubensfragen empfehle ich immer den KKK. Aber da dieser (bzw ein Artikel davon) dir ja erst den Anlass dazu gab, deine diskursiven Proliferationen weiter zu kultivieren, vermute ich fast, dass das bei jedem Artikel des KKK bei dir der Fall sein wird und so kann ich dir keinen Rat geben.

Geschrieben
Am 5.5.2025 um 17:34 schrieb Weihrauch:

 

Heute lernen wir anscheinend noch einiges über die Rhetorik der Kirchensprache, wenn das so weitergeht: Das Offensichtliche, setzt wiederum das voraus, was lediglich behauptet wird.

Ich hielt es für offensichtlich, dass der KKK die Glaubenslehre darlegt und unerstellte deshalb dem Verfasser (dem Lehramt) den Glauben, den es vermitteln will. Wenn das für dich nicht offensichtlich ist, unterstellst du dem Lehramt vielleicht, dass es gar nicht selbst glaubt, was es lehrt (?)

Geschrieben (bearbeitet)
vor 37 Minuten schrieb SteRo:

Eine Übereinstimmung erscheint nicht möglich, wenn du glaubst, dass die natürliche Vernunft im Kontext des Übernatürlichen ohne Glauben richtig gebraucht werden könne.

 

Es geht mir hier nicht darum, was ich glaube, sondern es geht mir hier darum, was die Kirche meint. Und genau das ist ihre Lehre: Dass man die Existenz Gottes - und auch einiges andere - grundsätzlich mit der natürlichen Vernunft erkennen könne, ohne dass man dazu zuerst gläubig sein müsste und ohne dass man sich dabei auf den Glauben stützen müsste.

 

Dass das Lehramt, welches solches behauptet, seinen eignen Glauben sehr wahrscheinlich "nicht ablegt", während es solches lehrt, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber wenn seine Auffassung korrekt ist, dann sollte eben genau diese Tatsache nicht entscheidend sein. Denn das Lehramt ( bzw. die das Lehramt verkörpernden Personen) sollte laut Eigenaussage prinzipiell auch in dem hypothetischen Fall, dass es nicht gläubig wäre, allein durch seine natürliche Vernunft erkennen können, dass beispielsweise Gott existiert. 

 

Wenn Letzteres nicht der Fall sein sollte, dann wären die Behauptungen des Lehramts darüber, was das natürliche Licht der Vernunft auch ohne den Glaube zu leisten vermag, offensichtlich falsch.

 

bearbeitet von iskander
Geschrieben
Am 5.5.2025 um 17:15 schrieb Weihrauch:

 

Genau. Aber diese Hässlichkeit ist es, die das nötige Gefälle erzeugt, um den anderen belehren zu können, abkanzeln zu können, sich Autorität anmaßen zu können, den anderen erlösen zu - oups - da wär ich fast über das Ziel hinausgeschossen, denn das kann die Kirche nicht, das kann Gott allein, ...

Nun, das apostolische Lehramt ist im Sinne der apostolischen Sukzession im Auftrag des Herrn unterwegs. Du kannst ihm doch nicht zum Vorwurf machen, dass es diesem Auftrag nachkommt.

Wenn du an dem didaktischen Stil der Lehrtätigkeit Kritik üben willst, dann ist das natürlich zulässig, aber ich würde schon bitten, dabei sachlich zu bleiben und deine subjektiven Affekte etwas zu zügeln.

Geschrieben
vor 30 Minuten schrieb SteRo:
Am 5.5.2025 um 17:34 schrieb Weihrauch:

Heute lernen wir anscheinend noch einiges über die Rhetorik der Kirchensprache, wenn das so weitergeht: Das Offensichtliche, setzt wiederum das voraus, was lediglich behauptet wird.

Ich hielt es für offensichtlich, dass der KKK die Glaubenslehre darlegt und unerstellte deshalb dem Verfasser (dem Lehramt) den Glauben, den es vermitteln will. Wenn das für dich nicht offensichtlich ist, unterstellst du dem Lehramt vielleicht, dass es gar nicht selbst glaubt, was es lehrt (?)

Du hast recht – bezogen auf das Jahr 1992 und mit dem Zusatz, dass der KKK eine systematische Zusammenfassung der Lehre darstellt. Beides ist nicht trivial.

 

Erstens:

Seit der Veröffentlichung des KKK hat sich die Lehre weiterentwickelt.

Ein Beispiel: Der pauschale Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener vom Empfang der Eucharistie, wie er im KKK formuliert ist, wurde durch Amoris Laetitia (2016) differenziert und pastoral geöffnet – nicht im Widerspruch, aber in neuer Gewichtung.

 

Zweitens:

Der KKK ist eine Zusammenfassung – und jede Zusammenfassung hat Grenzen:

Sie betont das Wesentliche, aber lässt dabei notwendigerweise manches aus oder verkürzt komplexe theologische Entwicklungen.

 

Wer also glaubt, der KKK sei gleichbedeutend mit dem vollständigen, endgültigen Lehramt, verwechselt ein wichtiges Instrument mit dem dynamischen Prozess der kirchlichen Lehre selbst.

Geschrieben
vor 4 Stunden schrieb iskander:

(@Merkur Bezugnehmend auf unsere Diskussion im oben verlinkten Thread noch die Anmerkung, dass Schockenhoff darauf hinweist, dass der voreheliche Verkehr auch schon früher (auch) im ländlichen Raum weit verbreitet und oft auch akzeptiert war.)

Das war natürlich nie eine offizielle Moral, sondern ein innerhalb der Peer-Group gültiger Verhaltenskodex. Der Aspekt, dass eine offiziell verkündete Moral nicht für sich allein steht, sondern Teil eines Geflechts von teilweise widersprüchlichen Verhaltenserwartungen ist und Wertvorstellungen ist, kommt m.E. in deinen Ausführungen zu kurz. Vielleicht solltest du in Betracht ziehen, dass die kirchliche Moral gar nicht darauf angelegt sein könnte, in allen Punkten befolgt zu werden und das dies der Kirche auch bewußt ist. Es greift m.E. zu kurz, diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ausnahmslos als Heuchelei abzutun.

Geschrieben
Am 12.4.2025 um 10:24 schrieb iskander:

1. Korinther 7, 25 ff:

 

"Was aber die unverheirateten jungen Frauen betrifft, so habe ich keine Weisung des Herrn. Ich tue aber meine Meinung kund als einer, der Vertrauen verdient, weil ihm vom Herrn Barmherzigkeit widerfahren ist. 26 Ich meine nun, dass dies angesichts der gegenwärtigen Not gut ist: Für einen Menschen ist es gut, so zu bleiben, wie er ist. 27 Bist du an eine Frau gebunden, suche keine Trennung; bist du getrennt von deiner Frau, suche keine andere Frau!"

 

Pauls meint zwar, dass sein Urteil Vertrauen verdient, macht aber klar, dass es letztlich seine eigene Meinung ist. Zudem hat sein Ratschlag offenbar pragmatische Gründe (kommende Not). 

Einzelne Stellen sind zwar originell, aber erst in der Gesamtschau und im Kontext werden sie interessant.

 

Der 1. Korinther richtet sich an eine sehr - nun ja - diverse Gemeinde, die zum einen eine ausgeprägte Lagermentalität entwickelt hat (was unserer Zeit ja völlig fremd ist), die viele Konzepte die Paulus gepredigt hat in den falschen Hals bekommen hat (wie die Frage nach der Auferstehung) und die Paulus nun "auf Linie" bringen will. 

 

Daß er die Idee einer Auferstehung durch die Taufe verwirft - was die Frage nach dem heutigen "in der Taufe sind wir mit Christus begraben und auferstanden" aufwirft aber das nur am Rande - ist ja noch durch den Clash of Cultures zwischen griechischem und jüdischem Denken verständlich. Allerdings ist seine Schlussfolgerung etwas inkonsistent, wenn man simple Logik anwendet.

 

Zum einen ist Paulus unfassbar unbarmherzig gegenüber dem Bruder, der sich mit seiner Stiefmutter eingelassen hat. Dieser Unzuchtsakt ist für ihn Grund genug den Sünder - der vermutlich nicht einmal wirklich begriffen hatte, was sein Fehler war - ohne jede Möglichkeit zur Buße oder Umkehr rauszuwerfen (1. Kor. 5, 11).

Er geht allerdigns soweit, aus der dann folgenden "Bevollmächtigung" der Gemeinde ihre Mitglieder zu richten (im krassen Widerspruch zu Lk 6, 37 - ok, das wird Paulus vielleicht nicht gekannt haben, ist zwar Wort des Herrn, aber wer wird so kritisch sein) zu folgern, die Gemeindemitglieder dürften in ihren Streitigkeiten noch nicht einmal "weltliche" Gerichte anrufen, sondern sollten das unter sich klären. Hier ist die Begründung interessant: Paulus rechnet damit, daß die Christen "über Engel richten werden" (6, 3) und schließt aus dieser Notiz in der Apokalyptik, daß die "Heiligen" entsprechend in der Lage sein sollten, ihre Sachen zu regeln. Ich habe ad hoc keine Referenzstelle in der Schrift außer in der Offenbarung gefunden, was eine Zuordnung etwas schwierig macht.

Ein anderer sehr auffälliger Punkt ist, daß Paulus in diesem Zusammenhang erklärt "9 Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Knabenschänder, 10 noch Diebe, noch Habgierige, keine Trinker, keine Lästerer, keine Räuber werden das Reich Gottes erben. 11  Und solche gab es unter euch. Aber ihr seid reingewaschen, seid geheiligt, seid gerecht geworden im Namen Jesu Christi, des Herrn, und im Geist unseres Gottes." (1. Kor 6). Der Sündenkatalog findet sich in ähnlicher Form in der Didaché in der Beschreibung des Weges des Todes wieder, insofern soweit klassisch. Was Paulus (und auch die Didaché) offen lassen ist die Frage, ob hier der jüdische Grundsatz "brichst du ein Gebot, brichst du die ganze Torah" angewendet wird und wenn ja, die Frage offen bleiben muss, wie Paulus sich sich eine erneute "Umkehr" vorstellt. 

 

Aus diesen Überlegungen heraus und streng in der eschatologischen Nächst-Erwartung am kommenden Donnerstag (ich übertreibe) heraus betritt Paulus einen sehr missverständlichen Weg und zwar in 1 Kor 6, 13: "Die Speisen sind für den Bauch da und der Bauch für die Speisen; Gott wird beide vernichten. Der Leib ist aber nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn und der Herr für den Leib."

 

Dieser Satz ergibt für mich zunächst einmal keinen Sinn, da der Bauch im Grunde pars pro toto für den Leib steht. Ich VERMUTE, daß Paulus an dieser Stelle den "Bauch" für die irdische Existenz verwendet und "Leib" für den vergeistigten Leib (den pneumatischen, wobei diese Idee mit dem, was in den Evangelien beschrieben wird, auch nur teilweise übereinander zu legen ist). Allerdings spielt es letztlich keine besondere Rolle, da Paulus hier bzw. in 1 Kor 7 und 8 offensichtlich mit zweierlei - platonischem? - Maß misst. Auf der einen Seite wettert er vehement gegen alle sexuellen Sünden und predigt - in der eschatologischen Nächst-Erwartung nicht völlig absurd - die vollkommene Sexlosigkeit als Ideal. Worin genau sein Problem liegt erschließt sich mir allenfalls indirekt, wenn er schreibt, daß Eltern "in der Welt" leben und sich nicht vollkommen dem Herrn widmen können. Er sieht Sex anscheinend auch unter dem Aspekt der kultischen Reinheit, in der der "Tempel des Heiligen Geistes" bewahrt werden soll. Eine Referenz in den Synoptikern, die diese Idee stützen würde, fiele mir auf die Schnelle allerdings nicht ein, zumal in der Predigt Jesu die Interpretation der praktischen Thora deutlichen Vorrang vor dem Ritualgesetz hat.

 

Was zu dieser Reinheitsidee nicht so recht zu passen scheint ist 1 Kor 8. Sex ist böse, aber Götzenopferfleisch ist gut? Ich weiß, ich weiß, der Hauptgrund, warum er dieses Fleisch erlaubt ist, daß er davon ausgeht, daß die Götter denen es geopfert wird, überhaupt nicht existieren und es einfach Schlachtfleisch ist bei dem nur der Kontext für "schwache Gemüter" verwirrend sein kann. In seiner Aversion gegen die Halacha ist die Entscheidung für das Fleisch auch irgendwo nachvollziehbar (auch wenn JdT und die Jerusalemer Urgemeinde und vermtl auch Jesus vegetarisch gelebt haben), in der Beibehaltung der Halacha im Bezug auf die kultische Reinheit durch Sex wird es etwas inkonsequent.

 

Etwas kurios klingt in diesem Zusammenhang für mich auch 1 Kor 7, 18-19: "Wenn einer als Beschnittener berufen wurde, soll er beschnitten bleiben. Wenn einer als Unbeschnittener berufen wurde, soll er sich nicht beschneiden lassen. Es kommt nicht darauf an, beschnitten oder unbeschnitten zu sein, sondern darauf, die Gebote Gottes zu halten." und das nicht nur wegen der Pointe, daß eine Vorhaut nicht nachwächst.

Wenn Paulus hier mit "Gebote Gottes" nicht die Halacha meint, was denn dann? Seine eigenen Regeln?

Geschrieben (bearbeitet)
vor 6 Stunden schrieb iskander:

  Ich antworte auf diesen Beitrag von Frey hier, weil es thematisch besser passt.

 

 

Mir ging es speziell mit dieser Bemerkung nicht um eine Kritik der kath. Sexualmoral, sonder nur darum, dass @Merkur nicht recht hat, wenn er meint, dass die kath. Kirche ihre Moral nicht ändern könne, weil die Leute außerhalb von Europa sich eine streng konservative Sexualmoral wünschen. Das trifft im allgemeinen so nicht zu.

 

Geht es um die inhaltliche Betrachtung, muss man sich aber natürlich fragen, ob eine Moral, die eine Änderung der Lebenswirklichkeit verlangt, im konkreten Fall sinnvoll und begründet ist.

 

Zuerst wäre einmal festzustellen, dass die katholische Moral - soweit es nicht gerade um Sexualität geht - ja sehr wohl zum größten Teil von vielen Menschen geteilt wird, selbst von säkularen. Die meisten Leute würden wohl zustimmen, dass man andere nicht belügen, bestehlen oder gar umbringen sollte; dass es gut ist, Menschen in Not zu helfen usw. (Wahrscheinlich würden selbst viele, die nicht all diesen moralischen Idealen gerecht werden, ihnen zumindest in der Theorie zustimmen.)

 

Aber während solche moralischen Maximen für die meisten Leute einsichtig sind, gibt es für die kath. Sexualmoral in großen Teilen eben keine einsichtige Begründung, und das einzige Argument ist, dass die Kirche es sagt. Die üblichen Argumente zur Rechtfertigung der kath. Sexuallehre wirken sehr gekünstelt und unterscheiden sich grundlegend von anderen moralischen Argumentationsmustern außerhalb des Bereichs "Sexualität", und sie halten einer kritischen Analyse nicht stand. Sie lassen sich auch nicht überzeugend biblisch rechtfertigen. Zur fehlenden Begründbarkeit des Verbots der Verhütung etwa habe ich neulich dies geschrieben; zur fehlenden Begründbarkeit des Verbots nicht-vaginaler Akte das

 

Man könnte auch für andere Teile der kath. Sexualmoral darlegen, wieso die vorgebrachten Argumente nicht stichhaltig sind, aber ich darf mich in diesem Fall damit begnügen, auf Schockenhoff (Die Kunst zu lieben) zu verweisen, der im Hinblick auf den vorehelichen Geschlechtsverkehr dies schreibt:

 

"Wie Bruno Schlegelberger in seiner Monographie „Vor- und außerehelicher Geschlechtsverkehr: Die Stellung der katholischen Moraltheologen seit Alphons von Liguori“ nachwies, gelang es den Moraltheologen jedoch zu keiner Zeit, einen lebenspraktisch plausiblen und theoretisch fehlerfreien Beweis für die ausnahmslose sittliche Verwerflichkeit des vorehelichen Geschlechtsverkehrs vorzulegen. [...] Da die inneren Begründungsmängel der klassischen Standardargumentation, die sich in allen Handbüchern mit nur geringfügigen Abwandlungen fand, den Moraltheologen nicht verborgen bleiben konnte, setzten sich unter ihnen seit dem 19. Jahrhundert im Blick auf die Bewertung der vorehelichen Sexualität neue Denkansätze durch. Diese führten jedoch nicht dazu, dass sich im Ergebnis etwas änderte; es blieb bei dem ausnahmslos gültigen Verbot, das nur auf andere Weise begründet werden sollte. Da die neue Argumentation gegen den vorehelichen Geschlechtsverkehr den Eindruck erweckt, dass ihr Ziel von vornherein feststeht, so dass nur nach einem anderen Weg gesucht werden muss, auf dem es zu erreichen ist, erscheint es angemessen, von einem moraltheologischen Strategiewechsel im Kampf gegen die vermuteten Gefahren der vorehelichen Unkeuschheit zu sprechen. [...]

Schon Thomas Tamburini (1591–1675) forderte ein naturrechtlich begründetes Verbot, da er die von seinen Kollegen beigebrachten Gründe für ein allgemeines Verbot des vorehelichen Geschlechtsverkehrs für wenig überzeugend hielt. Doch gesteht er ehrlicherweise ein, dass auch er nicht weiß, wie ein naturrechtliches Verbot von prinzipieller Geltung zu begründen sei.17"

 

Es gab dann entsprechende Versuche, aber wie Schockenhoff anführt, sind diese ebenfalls nicht überzeugend, sondern beruhen auf Voraussetzungen, die weder Einsichtig noch beweisbar sind. (Zu den spezifischen Begründungsversuchen von JPII wurde unter anderem in diesem Thread ja bereits Stellung genommen.)

 

(@Merkur Bezugnehmend auf unsere Diskussion im oben verlinkten Thread noch die Anmerkung, dass Schockenhoff darauf hinweist, dass der voreheliche Verkehr auch schon früher (auch) im ländlichen Raum weit verbreitet und oft auch akzeptiert war.)

 

Es ist auch nicht korrekt, wenn immer wieder suggeriert wird, dass diejenigen (Katholiken), die eine Änderung der derzeitigen Sexual-Moral wollen, alles rücksichtslose Hedonisten wären, oder dass es neben der offiziellen kath. Moral nur der Hedonismus als Alternative bliebe. (Diese Bemerkung richtet sich auch an @rorro.)

 

Zwar schreiben die dt. Bischöfe nach einer Erhebung der Einstellungen zur Sexualmoral (zit. n. Schockenhoff, a.a.O.):

 

"Das katholische Familienbild wirkt auf viele zu idealistisch und lebensfern. Insbesondere die Vorgaben der Kirche zur Sexualmoral und zur Familienplanung,welche nur die natürliche Empfängnisregelung zulässt, sind nur für sehr wenige Paare relevant. (…) Außerhalb der Kirche wird die kirchliche Sexualmoral als reine ‚Verbotsmoral‘ wahrgenommen und im Argumentationsduktus und Sprache als unverständlich und lebensfern bewertet. Die kirchliche Weigerung, homosexuelle Partnerschaften gesellschaftlich und rechtlich anzuerkennen, wird darüber hinaus als Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verstanden.“203"

 

Dennoch gibt es auch eine Übereinstimmung in wichtigen Punkten. Um nochmals Schockenhoff zu zitieren, der aus einer progressiv-katholischen Warte schreibt:

 

"Hinsichtlich wichtiger Grundaussagen des kirchlichen Leitbildes von Ehe und Familie förderte die Auswertung der eingegangenen Antworten allerdings auch eine große Übereinstimmung mit den diesbezüglichen kirchlichen Lehrmeinungen zutage. So werden die Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe sowie die Forderung ehelicher Treue von den Gläubigen weithin akzeptiert. Dasselbe gilt für die Offenheit für Kinder und die Ablehnung des Schwangerschaftsabbruches.
Dieses differenzierte Meinungsbild zeigt, dass der von Rom und traditionalistischen Kreisen in Deutschland oft erhobene Vorwurf, die Gläubigen liefen orientierungslos dem „Zeitgeist“ hinterher, keine Bestätigung findet. Die Bejahung der Unauflöslichkeit der Ehe und des Ideals einer dauerhaften, auf lebenslange Treue gegründeten Partnerschaft sowie die grundsätzliche Ablehnung des Schwangerschaftsabbruchs belegen vielmehr, dass die meisten Gläubigen sich eine eigenständige Urteilsfähigkeit gegenüber gesellschaftlichen Fehlentwicklungen bewahren. Allerdings zeigen sie diese eben auch gegenüber Aussagen einer kirchlichen Sexualmoral, deren Begründungsformen keinen Widerhall in ihrer Lebenserfahrung finden und denen sie deshalb keine Verbindlichkeit für ihr eigenes Handeln zuerkennen."

 

(Dazu müsste man nur vielleicht ergänzen, dass auch der Unterschied zu den meisten säkular orientierten Leuten wohl durchaus auch nicht so groß ist - denn auch diese sind mehrheitlich keine überzeugten Hedonisten, sondern orientieren sich an Werten wie "Treue".)

 

Die Kirche kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass die Lebenserfahrungen und ethischen Überzeugungen ihrer Gläubigen schlichtweg irrelevant seien. Sie kann auch darauf beharren, dass ihre Gebote auch dann unbedingte Geltung beanspruchen können, wenn diese sich weder durch die Vernunft noch durch die Bibel überzeugend begründen lassen, und wenn die einzige wirkliche Begründung lautet: 

"Wir lehren es so, weil wir es schon früher so gelehrt haben und somit unsere Lehre von Gott herrühren muss." 

Ebenso kann die Kirche die Tatsache ignorieren, dass gute Gründe dafür sprechen, dass ihre Sexuallehre - insbesondere global betrachtet - großen Schaden anrichtet (siehe etwa einige Beiträge innerhalb dieses Threads).

 

Ob die Kirche sich selbst und ihren Gläubigen mit einer solchen Haltung allerdings einen Gefallen tut?

 


Am konkreten Einzelfall verprobt, scheitert die Moral. Die Alternative ist die anarchische Gesellschaft. Eine religiöse Norm strukturiert das Zusammenleben.

Emile Durkheim hat m.E. dazu grundlegende Betrachtungen angestellt. Er sah es vor ca 100 Jahren so: "Es ist dem Einzelnen nicht möglich, der sozialen Struktur entgegenzuwirken, da er dieser quasi unterworfen ist. Nichtbeachtung der gesellschaftlichen Regeln zieht mehr oder minder schwere Sanktionen nach sich. Die Determination des Handelns kann auch ohne Wissen der handelnden Personen geschehen, d. h. z. B. dass sich die Akteure der gesellschaftlichen Regeln nicht unbedingt bewusst sein müssen und diese mitunter intuitiv befolgen."

Bezogen auf die Sexualität haben nahezu alle Gesellschaften Regeln entwickelt. Es ist naheliegend, dass diese einerseits einen Zweck verfolgen (z.B. Schutz vor Gewalt) oder einfach eine gewisse Kultur entwickeln wollten (Gepflogenheiten, Usancen etc). Das ist natürlich nie am Schreibtisch entstanden, aber insbesondere im Christentum hat man irgendwann begonnen, bestimmte Gewohnheiten als Regeln aufzuschreiben, und sie zur Norm zu machen.

Viele Inhalte der kath. Sexualmoral sind älter als die Kirche.

Gerade das Kontinuum zwischen zügelloser, anarchischer Sexualität und rigider Enthaltsamkeit ist Teil und Folge der gesellschaftlichen Entwicklung. Mit den technischen Regelungsmechanismen wie Verhütung werden einige Moralvorstellungen von ihrer Zielsetzung unverständlich. Die frühen Siebziger Jahre waren folgerichtig von der Enthemmung geprägt, die z.T. Anarchie zur Folge hatte. Heute werden bestimmte Ausprägungen dieser Zeit als Mißbrauch, Belästigung oder geschlechtsspezifische Toxizität gewertet. Es tritt also erneut diese Mechanismus, den Durkheim als Zwang bezeichnete, in Kraft.

Die Sexualmoral der Kirche ist m.E. nicht falsch, aber sie könnte gut eine dynamische Komponente gebrauchen, die den gesellschaftlichen Veränderungen besser gerecht wird.

Insbesondere wenn ich die zunehmende Unbeholfenheit mancher Zeitgenossen beobachte, denke ich dass etwas mehr Orientierung durch Moral nicht schaden würde. Dann landet man aber möglicherweise auch im Ausgangsstatement und muss sich die Frage stellen: welchen Wert hat denn eine flexible Moral?

 

 

bearbeitet von Frey
Geschrieben
vor 57 Minuten schrieb Merkur:

Das war natürlich nie eine offizielle Moral, sondern ein innerhalb der Peer-Group gültiger Verhaltenskodex.

 

Für den Punkt, den ich gemacht habe, ist das aber nicht relevant. Mir ging es ja um dies: Die konservative Moral der Kirche lässt sich im allgemeinen nicht darauf zurückführen oder gar damit rechtfertigen, dass die Leute außerhalb Europas oder in ländlichen Gebieten das so wollen.

 

Zitat

Der Aspekt, dass eine offiziell verkündete Moral nicht für sich allein steht, sondern Teil eines Geflechts von teilweise widersprüchlichen Verhaltenserwartungen ist und Wertvorstellungen ist, kommt m.E. in deinen Ausführungen zu kurz.

 

Das gleiche wie gerade eben: Für den Punkt, um den es mir ging, ist das nicht relevant.

 

Zitat

Vielleicht solltest du in Betracht ziehen, dass die kirchliche Moral gar nicht darauf angelegt sein könnte, in allen Punkten befolgt zu werden und das dies der Kirche auch bewußt ist. 

 

Wenn die Kirche mit größtem Nachdruck auf ihrer Lehre besteht, wieso sollte ich dann davon ausgehen, dass sie es nicht auch so meint?

 

Wenn beispielsweise Pius XI. lehrt, dass die Verhütung "verbrecherisch" sei, dass sie unter gar keinen Umständen je gestattet sein könne, egal wie schwer die Gründe für sie auch wiegen mögen: warum soll ich dann davon ausgehen, dass er das nur so dahinsagt und in Wahrheit eigentlich gar nichts allgemein gegen Verhütung hat? 

Und wenn derselbe Pius die Beichtväter drängt, unbedingt gegen die Verhütung zu kämpfen und ihnen jede Haltung der Toleranz streng untersagt ("Sollte ein Beichtvater oder Seelenhirte selber - was Gott verhüte - die ihm anvertrauten Gläubigen in solche Irrtümer führen, oder durch seine Zustimmung oder durch böswilliges Schweigen sie darin bestärken, so möge er wissen, daß er der er einst Gott dem höchsten Richter ernste Rechenschaft über den Missbrauch seines Amtes wird ablegen müssen"): Wieso soll ich dann annehmen, dass er einen Witz macht und in Wahrheit hofft, dass die Beichtväter keinesfalls das tun werden, was er ihnen einschärft?

 

Haben die (unzähligen) Beichtväter, die solche und ähnliche Deklarationen ernst genommen und die Leute von den Sakramenten wegdrängt haben, sich also alle geirrt, weil in der Kirche eine Art Doppel-Denk in Orwellschen Dimensionen herrscht und sie das zum Leidwesen der kirchl. Hierarchie nur nicht begriffen haben?

 

Oder wenn Paul VI. mit folgenden Worten Gehorsam einfordert, wieso soll ich dann glauben, dass er die Sache in Wahrheit ganz "easy" sieht und gar kein Problem damit hat, wenn die Gläubigen verhüten?

 

"[Paul VI. fordert] ...einen inneren und äußeren loyalen Gehorsam gegenüber dem Lehramt der Kirche. Dieser Gehorsam verpflichtet, wie ihr wohl wißt, nicht nur wegen der angeführten Beweise und Gründe, sondern vielmehr wegen der Erleuchtung des Heiligen Geistes, mit der in besonderer Weise die Hirten [...] der Kirche zur klaren Auslegung der Wahrheit begnadet sind. Ihr wißt auch, daß es von höchster Wichtigkeit ist, daß um des Herzensfriedens und der Einheit des christlichen Volkes willen alle auf dem Gebiet der Glaubens- und Sittenlehre auf das kirchliche Lehramt hören und die gleiche Sprache sprechen sollen. Daher legen Wir euch von ganzem Herzen erneut den eindringlichen Mahnruf des großen Völkerapostels Paulus nahe: «Ich beschwöre euch, meine Brüder, beim Namen unseres Herrn Jesus Christus, seid alle untereinander einig. Laßt keine Spaltungen untereinander aufkommen, sondern seid eines Sinnes und einer Meinung.» Es ist eine hervorragende Form der Liebe zu den unsterblichen Seelen, wenn man in keiner Weise Abstriche an der heilsamen Lehre Christi macht." (Zit. n. Küng, Unfehlbar?)

 

Wenn der gleiche Papst Paul zudem im Stillen intensiv darauf hinarbeitet, dass die Bischöfe ihm folgen sollen, wieso soll ich dann annehmen, dass er nichts dagegen hat oder es sogar gut findet, wenn Bischöfe von der vatikanischen Linie abweichen? Zitat Pfürtner (Kirche und Sexualität)

 

"Es hätte der verschiedenartigsten Pressionen auf dem bewährten Weg über die Nuntiaturen und religiösen Orden sowie des in der Londoner Times vom 4.September 1968 veröffentlichten Geheimschreibens des Kardinalstaatssekretärs Cicognani an die Bischöfe der Welt nicht bedurft [...] um «die ständige Lehre der Kirche in aller Reinheit erneut vorzutragen», bzw. durchzusetzen: «Nun aber wendet er (der Papst) sich an alle Welt- und Ordenspriester, namentlich an die Träger besonderer Verantwortung wie die General- und Provinzialoberen der Orden, mit der Aufforderung, sich bei den Christen für diesen heiklen Punkt der kirchlichen Lehre einzusetzen, ihn zu erläutern und die tiefen Gründe, die dahinterstehen, zu verteidigen. Der Papst baut auf sie und ihre Ergebenheit dem Stuhle Petri gegenüber, ihre Liebe zur Kirche und ihr fürsorgliches Interesse am wahren Wohle der Seelen. Er weiß ebenso wie sie um die in der heutigen Gesellschaft vorherrschenden Ideen und Handlungsweisen und ist sich wohl bewußt, welcher Anstrengungen es bedarf, die Menschen in diesem Punkt recht zu erziehen. Er weiß auch, welche -  bisweilen heroischen - Opfer mit der Anwendung der katholischen Grundsätze für das Eheleben verbunden sind. Sein Wunsch ist, daß die Bischöfe und Priester, die christlichen Zentren der verschiedenen katholischen Bewegungen und Organisationen in freudiger Ergebenheit und Unterwerfung zu Aposteln der Lehre der heiligen Mutter Kirche werden und die rechte Sprache finden, um ihre Annahme zu gewährleisten... Und schließlich ist es wesentlich, daß im Beichtstuhl wie in der Predigt, in der Presse und durch andere Massen-Kommunikationsmittel alle nur erdenkliche pastorale Anstrengung unternommen wird, damit unter den Gläubigen wie unter den Außenstehenden nicht der geringste Zweifel an dem Standpunkt der Kirche in dieser ernsten Frage bleibt.»2"

 

Soll ich das so interpretieren, dass die Kirche alle Hebel in Bewegung setzt um darauf hinzuarbeiten, dass die Leute dazu erzogen werden, der Kirche zu gehorchen, obwohl sie gar nicht will und erwartet, dass de Leute ihr gehorchen?

 

Oder wenn JP. unzählige Ansprachen zu dem Thema hält und beispielsweise der lokale Nuntius mit Billigung des Vatikans offen interveniert, um Regierungsprogramme zu in Afrika zu diskreditieren, bei denen man zusätzlich zur Enthaltsamkeit auch auf Kondome setzt: Wieso sollte ich dann annehmen, dass JPII eigentlich ein großer Fan von Kondomen war oder zumindest nichts gegen sie hatte? Oder wenn sein Dikasterium für die Familie extra eine Instruktion für die Beichtväter rausbringt, in der drin steht, dass sie den Pönitenten, die verhüten, die Absolution zu verweigern haben, bis diese Leute Reue und Vorsatz zeigen (und wo die Gewissensentscheidung also gerade nicht akzeptiert wird): Soll ich dann schließen, dass man den Beichtvätern eigentlich vermitteln wollte, dass sie den Leuten die Absolution gewähren sollen, auch wenn diese "uneinsichtig" sind?

 

Usw. usf. So könnte man das natürlich immer weiterführen, und zwar nicht nur beim Thema Verhütung. 

 

Kurz: Warum sollte die Kirche mit größtem Nachdruck eine Moral verkünden und auf sie drängen, an die sie in dieser Form gar nicht an sie glaubt und von ihr auch gar nicht will, dass sie umgesetzt wird? Wie ich schon dargelegt habe, spricht zudem nicht nur alles dafür, dass die Kirche vielen Gläubigen (und auch Ungläubigen), sondern auch sich selbst sehr mit ihrer Sexualehre schadet (siehe etwa hier). Soll ich annehmen, dass die Kirche trotz all diesen Schadens für sie selbst an einer Lehre festhält, die sie eigentlich für falsch hält, nur weil - ja, weswegen eigentlich? Was hätte die Kirche von dieser gewaltigen Scharade, die man wohl als die größte langanhaltende Verstellung der Weltgeschichte bezeichnen müsste?

 

Wenn die Kirche die offiziell verkündete Moral für falsch hält und möchte, dass diese gar nicht befolgt wird, dann wären gravierende Zweifel am Geisteszustand ihrer Hierarchie angebracht.

 

Zitat

Es greift m.E. zu kurz, diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ausnahmslos als Heuchelei abzutun.

 

Wenn von vornherein noch nicht einmal intendiert ist, dass die Welt den Anspruch, den man zu stellen vorgibt, ernst nimmt und ihm folgt; wenn man nachdrücklich eine Moral verkündet, die man nicht für richtig hält und deren Befolgung man keineswegs als verpflichtend ansieht: Was ist das dann anderes als Heuchelei?

 

Aber was auch immer ich an der Kirche kritisiere: Zumindest den Vorwurf einer derart überbordenden Heuchelei halte ich nun wirklich für aus der Luft gegriffen. Ihr zu unterstellen, dass sie es ganz anders meint, als sie es ständig und nachdrücklich sagt, hieße für mich, sie nicht ernstzunehmen. Was ich allerdings durchaus für begründet halte, ist dies: Dass die Kirche an ihrer Moral festhält, weil sie sich nicht eingestehen kann, sich geirrt zu haben (siehe hier).

Geschrieben (bearbeitet)
vor 2 Stunden schrieb Frey:

Die frühen Siebziger Jahre waren folgerichtig von der Enthemmung geprägt, die z.T. Anarchie zur Folge hatte. Heute werden bestimmte Ausprägungen dieser Zeit als Mißbrauch, Belästigung oder geschlechtsspezifische Toxizität gewertet.


Da ist wohl etwas daran, aber vielleicht doch auch weniger, als es auf den ersten Blick den Anscheint hat. Ich hatte in einem anderen Thread dargelegt, dass die Zahl der sexuellen Übergriffe seit den 50er Jahren laut Kriminalstatistik nahezu linear gefallen ist, ohne dass es infolge von 1968 Abweichungen gegeben hätte. Das heißt nicht, dass es keine Fehlentwicklungen gab, aber man sollte sie insbesondere für die breite Masse nicht überschätzen. Seit Jahrzehnten ist das Alter der ersten Sexualkontakte konstant geblieben; Treue spielt eine große Rolle (sogar eher wieder mehr als früher); die meisten Menschen feiern keine Orgien, sondern leben "langweilig" monogam; Konsens ist sicher wichtiger als früher. Der mitunter beschworene Verfall und Niedergang findet weithin in konservativen Köpfen statt. 

 

Zitat

Insbesondere wenn ich die zunehmende Unbeholfenheit mancher Zeitgenossen beobachte, denke ich dass etwas mehr Orientierung durch Moral nicht schaden würde. Dann landet man aber möglicherweise auch im Ausgangsstatement und muss sich die Frage stellen: welchen Wert hat denn eine flexible Moral?

 

 

Dass es ohne Moral nicht geht, ist klar - aber die Frage ist eben: Welche Moral ist sinnvoll? Welche tut dem Menschen gut? (Das sollte doch wohl auch für eine kath. Moral in derartigen Fällen der Maßstab sein, ausgehend vom thomistischen Prinzip, dass der Mensch Gott nur dadurch beleidigen könne, dass er gegen sein eigenes Wohl handelt).

 

Zitat

Die Sexualmoral der Kirche ist m.E. nicht falsch, aber sie könnte gut eine dynamische Komponente gebrauchen, die den gesellschaftlichen Veränderungen besser gerecht wird.

 

Eine Reform der kath. Sexualmoral - ob man nun von einer "dynamischen Komponente" spricht oder wie man das auch nennen mag - wäre m.E. aus den beispielsweise in diesem Thread dargelegten Gründen wünschenswert. Denn gerade der weltweite Einfluss der offiziellen kath. Moral sollte trotz allem nicht unterschätzt werden. Eine Ethik, wie liberale Katholiken sie pflegen, täte dem Menschen wohl besser als die, die derzeit offiziell herrscht.

bearbeitet von iskander
Geschrieben
vor 1 Stunde schrieb Frey:

Die frühen Siebziger Jahre waren folgerichtig von der Enthemmung geprägt, die z.T. Anarchie zur Folge hatte. Heute werden bestimmte Ausprägungen dieser Zeit als Mißbrauch, Belästigung oder geschlechtsspezifische Toxizität gewertet.

 

Du bist doch nur neidisch. Es war eine fantastische Zeit! Oder wie wir damals sagten: Es ist alles schlechter geworden; nur eins ist besser geworden: die Moral ist auch schlechter geworden! 😄

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Geschrieben
vor 2 Stunden schrieb Flo77:

Einzelne Stellen sind zwar originell, aber erst in der Gesamtschau und im Kontext werden sie interessant.

 

Der 1. Korinther richtet sich an eine sehr - nun ja - diverse Gemeinde, die zum einen eine ausgeprägte Lagermentalität entwickelt hat (was unserer Zeit ja völlig fremd ist), die viele Konzepte die Paulus gepredigt hat in den falschen Hals bekommen hat (wie die Frage nach der Auferstehung) und die Paulus nun "auf Linie" bringen will. 

 

Daß er die Idee einer Auferstehung durch die Taufe verwirft - was die Frage nach dem heutigen "in der Taufe sind wir mit Christus begraben und auferstanden" aufwirft aber das nur am Rande - ist ja noch durch den Clash of Cultures zwischen griechischem und jüdischem Denken verständlich. Allerdings ist seine Schlussfolgerung etwas inkonsistent, wenn man simple Logik anwendet.

 

Zum einen ist Paulus unfassbar unbarmherzig gegenüber dem Bruder, der sich mit seiner Stiefmutter eingelassen hat. Dieser Unzuchtsakt ist für ihn Grund genug den Sünder - der vermutlich nicht einmal wirklich begriffen hatte, was sein Fehler war - ohne jede Möglichkeit zur Buße oder Umkehr rauszuwerfen (1. Kor. 5, 11).

Er geht allerdigns soweit, aus der dann folgenden "Bevollmächtigung" der Gemeinde ihre Mitglieder zu richten (im krassen Widerspruch zu Lk 6, 37 - ok, das wird Paulus vielleicht nicht gekannt haben, ist zwar Wort des Herrn, aber wer wird so kritisch sein) zu folgern, die Gemeindemitglieder dürften in ihren Streitigkeiten noch nicht einmal "weltliche" Gerichte anrufen, sondern sollten das unter sich klären. Hier ist die Begründung interessant: Paulus rechnet damit, daß die Christen "über Engel richten werden" (6, 3) und schließt aus dieser Notiz in der Apokalyptik, daß die "Heiligen" entsprechend in der Lage sein sollten, ihre Sachen zu regeln. Ich habe ad hoc keine Referenzstelle in der Schrift außer in der Offenbarung gefunden, was eine Zuordnung etwas schwierig macht.

Ein anderer sehr auffälliger Punkt ist, daß Paulus in diesem Zusammenhang erklärt "9 Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Knabenschänder, 10 noch Diebe, noch Habgierige, keine Trinker, keine Lästerer, keine Räuber werden das Reich Gottes erben. 11  Und solche gab es unter euch. Aber ihr seid reingewaschen, seid geheiligt, seid gerecht geworden im Namen Jesu Christi, des Herrn, und im Geist unseres Gottes." (1. Kor 6). Der Sündenkatalog findet sich in ähnlicher Form in der Didaché in der Beschreibung des Weges des Todes wieder, insofern soweit klassisch. Was Paulus (und auch die Didaché) offen lassen ist die Frage, ob hier der jüdische Grundsatz "brichst du ein Gebot, brichst du die ganze Torah" angewendet wird und wenn ja, die Frage offen bleiben muss, wie Paulus sich sich eine erneute "Umkehr" vorstellt. 

 

Aus diesen Überlegungen heraus und streng in der eschatologischen Nächst-Erwartung am kommenden Donnerstag (ich übertreibe) heraus betritt Paulus einen sehr missverständlichen Weg und zwar in 1 Kor 6, 13: "Die Speisen sind für den Bauch da und der Bauch für die Speisen; Gott wird beide vernichten. Der Leib ist aber nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn und der Herr für den Leib."

 

Dieser Satz ergibt für mich zunächst einmal keinen Sinn, da der Bauch im Grunde pars pro toto für den Leib steht. Ich VERMUTE, daß Paulus an dieser Stelle den "Bauch" für die irdische Existenz verwendet und "Leib" für den vergeistigten Leib (den pneumatischen, wobei diese Idee mit dem, was in den Evangelien beschrieben wird, auch nur teilweise übereinander zu legen ist). Allerdings spielt es letztlich keine besondere Rolle, da Paulus hier bzw. in 1 Kor 7 und 8 offensichtlich mit zweierlei - platonischem? - Maß misst. Auf der einen Seite wettert er vehement gegen alle sexuellen Sünden und predigt - in der eschatologischen Nächst-Erwartung nicht völlig absurd - die vollkommene Sexlosigkeit als Ideal. Worin genau sein Problem liegt erschließt sich mir allenfalls indirekt, wenn er schreibt, daß Eltern "in der Welt" leben und sich nicht vollkommen dem Herrn widmen können. Er sieht Sex anscheinend auch unter dem Aspekt der kultischen Reinheit, in der der "Tempel des Heiligen Geistes" bewahrt werden soll. Eine Referenz in den Synoptikern, die diese Idee stützen würde, fiele mir auf die Schnelle allerdings nicht ein, zumal in der Predigt Jesu die Interpretation der praktischen Thora deutlichen Vorrang vor dem Ritualgesetz hat.

 

Was zu dieser Reinheitsidee nicht so recht zu passen scheint ist 1 Kor 8. Sex ist böse, aber Götzenopferfleisch ist gut? Ich weiß, ich weiß, der Hauptgrund, warum er dieses Fleisch erlaubt ist, daß er davon ausgeht, daß die Götter denen es geopfert wird, überhaupt nicht existieren und es einfach Schlachtfleisch ist bei dem nur der Kontext für "schwache Gemüter" verwirrend sein kann. In seiner Aversion gegen die Halacha ist die Entscheidung für das Fleisch auch irgendwo nachvollziehbar (auch wenn JdT und die Jerusalemer Urgemeinde und vermtl auch Jesus vegetarisch gelebt haben), in der Beibehaltung der Halacha im Bezug auf die kultische Reinheit durch Sex wird es etwas inkonsequent.

 

Etwas kurios klingt in diesem Zusammenhang für mich auch 1 Kor 7, 18-19: "Wenn einer als Beschnittener berufen wurde, soll er beschnitten bleiben. Wenn einer als Unbeschnittener berufen wurde, soll er sich nicht beschneiden lassen. Es kommt nicht darauf an, beschnitten oder unbeschnitten zu sein, sondern darauf, die Gebote Gottes zu halten." und das nicht nur wegen der Pointe, daß eine Vorhaut nicht nachwächst.

Wenn Paulus hier mit "Gebote Gottes" nicht die Halacha meint, was denn dann? Seine eigenen Regeln?

 

Dass bei Paulus ein anderer "Sound" zu finden ist als bei Jesus, fällt schon irgendwo auf. Er wirkt insgesamt "strenger", obwohl das auch nicht unbedingt ein durchgehendes Muster ist. Mitunter spricht er von der Freiheit, die das Gesetz obsolet mache - und dann verkündet er doch selbst wieder zahlreiche Vorschriften, über deren Notwendigkeit man in einigen Fällen durchaus streiten könnte. An anderen Stellen aber scheint er wieder großzügiger zu sein (etwa eben im Hinblick auf kultische Reinheit).

 

Ich bin theologisch zu wenig bewandert, um ansonsten viel zu Paulus sagen zu können. Was er offenbar sehr ablehnt ist die Tempelprostitution. Dass er dann auf der anderen Seite wiederum den Verzehr von Götzenfleisch zuzulassen scheint, kann einem in der Tat etwas widersprüchlich vorkommen.

 

In jedem Fall aber scheint die Vorstellung, dass das Erlösungswerk Christi nicht "vollständig" war und durch aufgeopferte Leiden der Christen noch zu ergänzen sei, auf ihn zurückzuführen zu sein, oder?

 

Manche Leute (natürlich keine "klassischen" Christen) sehen in Paulus ja schon das erste bedauerliche Abweichen vom Pfade Jesu.

Geschrieben
vor 9 Minuten schrieb iskander:

Manche Leute (natürlich keine "klassischen" Christen) sehen in Paulus ja schon das erste bedauerliche Abweichen vom Pfade Jesu.

Also ich gehöre dazu.

 

Der Punkt ist eigentlich, daß sich die Apokalyptik etwas überholt hat...

Geschrieben
vor 30 Minuten schrieb Marcellinus:

 

Du bist doch nur neidisch. Es war eine fantastische Zeit! Oder wie wir damals sagten: Es ist alles schlechter geworden; nur eins ist besser geworden: die Moral ist auch schlechter geworden! 😄

Ich bin noch zu jung, um das zu beurteilen. Es ist aber das Kennzeichen der jeweiligen Mode, dass diejenigen, die im Mainstream sind, sich auch wohl fühlen. Ein eher "starres" katholisches Moralkorsett bereitet erst mal wenig Spaß und überzeugt den Mainstream nicht.

Das bedeutet aber weder, dass es nicht sinnvoll wäre, und nicht wenige, insbesondere jüngere Menschen, finden es auch nicht so schlecht. Ich denke es ist auch ein Generationenthema.

Geschrieben
vor 2 Stunden schrieb iskander:

 

Für den Punkt, den ich gemacht habe, ist das aber nicht relevant. Mir ging es ja um dies: Die konservative Moral der Kirche lässt sich im allgemeinen nicht darauf zurückführen oder gar damit rechtfertigen, dass die Leute außerhalb Europas oder in ländlichen Gebieten das so wollen.

 

Also du glaubst, weil jemand eine restriktive offizielle Moral vertritt und privat etwas anderes lebt, will er die offizielle Moral eigentlich gar nicht. Das halte ich für etwas naiv. Du kannst das natürlich gerne als Heuchelei diffamieren, aber damit bleiben die die Abgründe des menschlichen Moralempfindens verschlossen.

 

Zitat

Soll ich das so interpretieren, dass die Kirche alle Hebel in Bewegung setzt um darauf hinzuarbeiten, dass die Leute dazu erzogen werden, der Kirche zu gehorchen, obwohl sie gar nicht will und erwartet, dass de Leute ihr gehorchen?

Ganz genau. Ich weiß nicht, ob sie es nicht will, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie es erwartet.

Geschrieben
vor 43 Minuten schrieb Frey:
vor einer Stunde schrieb Marcellinus:

Du bist doch nur neidisch. Es war eine fantastische Zeit! Oder wie wir damals sagten: Es ist alles schlechter geworden; nur eins ist besser geworden: die Moral ist auch schlechter geworden! 😄

Ich bin noch zu jung, um das zu beurteilen.

 

Das ist der springende Punkt! Ich kann dir vertrauensvoll versichern, du hast etwas verpaßt! 😄

Geschrieben
vor 11 Stunden schrieb Frey:

Es ist aber das Kennzeichen der jeweiligen Mode, dass diejenigen, die im Mainstream sind, sich auch wohl fühlen.

So hat man beispielsweise einen Karl Borromäus sogar heiliggesprochen, weil der damalige weltliche Mainstream sich erdreistete, Nicht-Katholiken nicht einfach umbringen zu wollen, so dass der heilige Mann sie durch falsche Anschuldigungen auf den Scheiterhaufen brachte, m die heilige kirchliche Moral aufrecht zu erhalten

 

Erzähl mir bloß nichts von der ach so heiligen kirchlichen Moral, die stets gegen die verruchte Welt das Gute verteidigt.

 

Werner

Geschrieben
vor 15 Minuten schrieb Werner001:

So hat man beispielsweise einen Karl Borromäus sogar heiliggesprochen, weil der damalige weltliche Mainstream sich erdreistete, Nicht-Katholiken nicht einfach umbringen zu wollen, so dass der heilige Mann sie durch falsche Anschuldigungen auf den Scheiterhaufen brachte, m die heilige kirchliche Moral aufrecht zu erhalten

 

Erzähl mir bloß nichts von der ach so heiligen kirchlichen Moral, die stets gegen die verruchte Welt das Gute verteidigt.

 

Werner


Die Darstellung von Karl Borromäus - auch wenn ein anderes Thema - als jemand, der „Nicht-Katholiken durch falsche Anschuldigungen auf den Scheiterhaufen brachte, um die heilige kirchliche Moral aufrechtzuerhalten“, ist historisch nicht aus der Luft gegriffen, aber sie greift zu kurz und verzerrt die komplexe Realität jener Zeit.


Karl Borromäus war eine zentrale Figur der katholischen Reform nach dem Konzil von Trient. Er setzte sich mit großem Eifer für die moralische und pastorale Erneuerung der Kirche ein, gründete Priesterseminare, bekämpfte Missstände im Klerus und engagierte sich in der Armen- und Krankenfürsorge, etwa während der Pest in Mailand. Seine Heiligsprechung erfolgte wegen seines persönlichen Einsatzes für die Kirche und die Armen, nicht wegen Grausamkeit.


Gleichzeitig war Borromäus ein entschiedener Gegner des Protestantismus und der Häresie. Im Misoxertal (Schweiz) etwa wurde unter seiner kirchlichen Leitung 1583 eine Gruppe protestantischer Familien der Hexerei bezichtigt, weil sie durch das weltliche Recht vor direkter Ketzerei-Anklage geschützt waren. Infolge der Prozesse wurden mehrere Personen verbrannt, viele kehrten unter Folter zur katholischen Kirche zurück oder flohen. Diese Vorgänge sind historisch belegt und werfen einen dunklen Schatten auf sein Wirken.


Die Hexenverfolgungen und Ketzerprozesse jener Zeit waren jedoch kein exklusives Produkt der katholischen Kirche oder ihrer Moral, sondern ein gesamteuropäisches Phänomen, das auch von protestantischen Theologen und weltlichen Gerichten befördert wurde. Die Inquisition selbst war oft weniger blutrünstig als die weltlichen Instanzen. Die katholische Kirche war also nicht alleiniger Hort der Grausamkeit, aber sie war auch keineswegs ein durchgehend leuchtendes Beispiel moralischer Überlegenheit.


Wer die kirchliche Moral allein als Bollwerk gegen das „verruchte Weltliche“ verklärt, ignoriert die historischen Ambivalenzen: Die Kirche hat in ihrer Geschichte sowohl herausragende soziale Leistungen als auch schwere Verfehlungen zu verantworten. Wer Karl Borromäus als Heiligen verehrt, muss auch die Schattenseiten seines Wirkens anerkennen – und umgekehrt sollte Kritik an der Kirche nicht in pauschale Verdammung umschlagen, sondern differenziert die historischen Fakten würdigen.


Es zeigt sehr schön, dass " es das Kennzeichen der jeweiligen Mode ist, dass diejenigen, die im Mainstream sind, sich auch wohl fühlen. So war es schon zu Zeiten des Borromäus.

 

Frey

Geschrieben
vor 13 Minuten schrieb Frey:


Die Darstellung von Karl Borromäus - auch wenn ein anderes Thema - als jemand, der „Nicht-Katholiken durch falsche Anschuldigungen auf den Scheiterhaufen brachte, um die heilige kirchliche Moral aufrechtzuerhalten“, ist historisch nicht aus der Luft gegriffen, aber sie greift zu kurz und verzerrt die komplexe Realität jener Zeit.


Karl Borromäus war eine zentrale Figur der katholischen Reform nach dem Konzil von Trient. Er setzte sich mit großem Eifer für die moralische und pastorale Erneuerung der Kirche ein, gründete Priesterseminare, bekämpfte Missstände im Klerus und engagierte sich in der Armen- und Krankenfürsorge, etwa während der Pest in Mailand. Seine Heiligsprechung erfolgte wegen seines persönlichen Einsatzes für die Kirche und die Armen, nicht wegen Grausamkeit.


Gleichzeitig war Borromäus ein entschiedener Gegner des Protestantismus und der Häresie. Im Misoxertal (Schweiz) etwa wurde unter seiner kirchlichen Leitung 1583 eine Gruppe protestantischer Familien der Hexerei bezichtigt, weil sie durch das weltliche Recht vor direkter Ketzerei-Anklage geschützt waren. Infolge der Prozesse wurden mehrere Personen verbrannt, viele kehrten unter Folter zur katholischen Kirche zurück oder flohen. Diese Vorgänge sind historisch belegt und werfen einen dunklen Schatten auf sein Wirken.


Die Hexenverfolgungen und Ketzerprozesse jener Zeit waren jedoch kein exklusives Produkt der katholischen Kirche oder ihrer Moral, sondern ein gesamteuropäisches Phänomen, das auch von protestantischen Theologen und weltlichen Gerichten befördert wurde. Die Inquisition selbst war oft weniger blutrünstig als die weltlichen Instanzen. Die katholische Kirche war also nicht alleiniger Hort der Grausamkeit, aber sie war auch keineswegs ein durchgehend leuchtendes Beispiel moralischer Überlegenheit.


Wer die kirchliche Moral allein als Bollwerk gegen das „verruchte Weltliche“ verklärt, ignoriert die historischen Ambivalenzen: Die Kirche hat in ihrer Geschichte sowohl herausragende soziale Leistungen als auch schwere Verfehlungen zu verantworten. Wer Karl Borromäus als Heiligen verehrt, muss auch die Schattenseiten seines Wirkens anerkennen – und umgekehrt sollte Kritik an der Kirche nicht in pauschale Verdammung umschlagen, sondern differenziert die historischen Fakten würdigen.


Es zeigt sehr schön, dass " es das Kennzeichen der jeweiligen Mode ist, dass diejenigen, die im Mainstream sind, sich auch wohl fühlen. So war es schon zu Zeiten des Borromäus.

 

Frey

So, und dieses Beispiel (derer es unzählige gibt) zeigt eben sehr gut, dass das, was „die Kirche“ (und das sind eben ihre Vertreter, wie der Kardinal und Erzbischof Borromäus einer war) beim Thema Moral auch nur zeitgeistige Dinge vertritt. Dad muss nicht immer der Mainstream sein, aber nur weil es nicht dem Mainstream entspricht, ist es nicht automatisch richtig.

Die Moral, ich schrieb es bereits, ist ein Kind des Zeitgeists. Daher gibt es keine absolute, immer gültige Moral.

Das sollte man, auch wenn man die (jeweilige) „kirchliche Moral“ predigt, nie vergessen 

 

Werner

Geschrieben (bearbeitet)
vor 16 Stunden schrieb Merkur:

Also du glaubst, weil jemand eine restriktive offizielle Moral vertritt und privat etwas anderes lebt, will er die offizielle Moral eigentlich gar nicht. Das halte ich für etwas naiv. Du kannst das natürlich gerne als Heuchelei diffamieren, aber damit bleiben die die Abgründe des menschlichen Moralempfindens verschlossen.

 

Wo habe ich das denn geschrieben? Es ging darum, dass auch international gesehen die meisten Katholiken die kath. Moral nicht nur nicht leben, sondern auch "in der Theorie" der Kirche widerspricht. Ich weiß nicht mehr, ob ich das jetzt in diesem oder anderem Thread verlinkt habe. Aus diesem Grund - und aus anderen Gründen, die ich bereits (zum Teil im anderen Thread) genannt, kann man das kirchliche Beharren auf ihrer offiziellen Moral nicht damit erklären oder entschuldigen, dass man sagt: Die Leute wollen es halt so.

 

Heuchelei wäre es für mich, wenn jemand offiziell eine Moral hochhält und sich noch nicht zumindest ernsthaft bemüht, ihr gerecht zu werden. Und noch mehr Heuchelei wäre es, wenn jemand anderen Leuten eine Moral einschärft, die er für falsch hält und von der er gar nicht will, dass die Leute sich daran halten. 

 

vor 16 Stunden schrieb Merkur:

Ganz genau. Ich weiß nicht, ob sie es nicht will, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie es erwartet.

 

Auf welcher Basis? Wieso sollte man der Kirche nicht glauben, was sie mit größtem Nachdruck verkündet und wofür sie alle Hebel in Bewegung setzt? Wenn der Vatikan - um jetzt nur noch einmal eines der Beispiele, die sich auch erweitern ließen, anzuführen - sich in einer unüblichen Weise in die inneren Angelegenheiten eines afrikanischen Staats einmischt und junge Leute dazu aufruft, keine Kondome zu benutzen, und wenn der Vatikan damit direkt gegen die Regierungspolitik arbeitet, welche auf Abstinenz und Kondome setzt: Wieso soll ich dem Vatikan dann unterstellen, dass er in Wahrheit gar nichts dagegen hat oder sogar dafür ist, dass die Leute Kondome benutzen?

 

Normalerweise nehmen wir doch an, dass jemand meint, was er sagt - vor allem, wenn er das über einen sehr langen Zeitraum sagt, wenn er es glaubwürdig sagt, und wenn keinerlei Anhaltspunkte gegeben sind, die einen Zweifel unterstützen. Wir unterstellen doch beispielsweise @rorro nicht, dass er in Wahrheit ein Riesen-Fan des deutschen Synodalen Weges ist, oder gar einer von Hans Küng; und wir unterstellen umgekehrt doch auch @Frank nicht, dass er inhaltlich ganz und auf der Linie von G.L. Müller liegt. (Ich vermute, rorro und Frank hätten auch das Gefühl, dass wir sie nicht ernst nehmen, wenn wir ihnen jeweils unterstellen, das Gegenteil dessen zu meinen, was sie sagen - und zurecht.)

 

Erst recht gehen wir normalerweise davon aus, dass jemand meint, was er sagt, wenn zusätzlich zu den vorgenannten Kriterien sein Verhalten auch sehr gut mit dem übereinstimmt, was er tut.

 

Warum also sollen wir der Kirche das Gegenteil unterstellen? Was bringt Dich überhaupt auf diese Idee?

 

Und was hätte die Kirche davon, offiziell an einer Moral festzuhalten, die sie gar nicht für richtig hält und von der sie gar nicht will, dass die Leute ihr folgen - außer, dass sie sich damit selbst tief ins eigene Fleisch schneidet?

bearbeitet von iskander
Geschrieben (bearbeitet)
vor 16 Stunden schrieb Frey:

Ein eher "starres" katholisches Moralkorsett bereitet erst mal wenig Spaß und überzeugt den Mainstream nicht.

Das bedeutet aber weder, dass es nicht sinnvoll wäre, und nicht wenige, insbesondere jüngere Menschen, finden es auch nicht so schlecht.

 

Wenn man einmal von allgemeinen Werten absieht, wie auch säkular orientiere Menschen oder vielleicht insbesondere "progressive" Katholiken sie teilen: Wo findet man denn dann einen konkreten Sinn in der offiziellen kath. Moral? 

Ich bin mir nicht sicher, ob Deine Formulierung das implizieren soll, dass Du einen entsprechenden Sinn in ihr siehst; aber falls ja: Könntest Du diesen Sinn am konkreten Beispiel aufzeigen? Etwa in einem Fall wie in dem, den ich hier beschrieben habe?

bearbeitet von iskander
Geschrieben
vor 1 Stunde schrieb iskander:

Erst recht gehen wir normalerweise davon aus, dass jemand meint, was er sagt, wenn zusätzlich zu den vorgenannten Kriterien sein Verhalten auch sehr gut mit dem übereinstimmt, was er tut.

 

Warum also sollen wir der Kirche das Gegenteil unterstellen? Was bringt Dich überhaupt auf diese Idee?

 

Und was hätte die Kirche davon, offiziell an einer Moral festzuhalten, die sie gar nicht für richtig hält und von der sie gar nicht will, dass die Leute ihr folgen - außer, dass sie sich damit selbst tief ins eigene Fleisch schneidet?

Ich muss vorausschicken, dass derzeit sicherlich viel im Umbruch ist und möglicherweise leben die jüngeren Generationen heute auch privat das, was sie öffentlich vertreten.  Nach den Einblicken, die ich bisher in konservative Gesellschaften im In- und Ausland hatte, war das früher zumindest anders. Insbesondere von Männern wurde nicht erwartet, sich in ihrer eigenen Lebensführung an die katholischen Moralvorschriften zu halten. Im Gegenteil. Wer sich im privaten nach den Maßstäben des Jone richtete, mußte damit rechnen, als Betschwester, zumindest aber als jemand, von dem man besser Abstand hält, zu gelten. Sexuelle Unerfahrenheit, die die Moral ja eigentlich vorschreibt, galt nicht als Vorzug, sondern als Makel. Gleichzeitig galt das Bekenntnis zum Katholizismus wie er ist (nicht wie er sein könnte) als identitätsstiftend und als Abgrenzungsmerkmal zu einem städtisch-bindungslosen Lebensstil, d.h. es gab an der Kirche und ihrer Morallehre nichts zu kritisieren, da dies als Illoyalität und als Distanzierung zu den eigenen Leuten gewertet worden wäre. Ich habe bisher nicht erlebt, dass die Kirche versucht hätte, diese Menschen zu ändern und die Befolgung ihrer Moral nicht nur als Bekenntnis, sondern auch als Lebensweise stärker durchzusetzen. Mit anderen Worten: Die Kirche, zumindest die Kirche vor Ort, hat die Menschen und ihr Verhalten akzeptiert.  

 

Aber wie gesagt, das ist alles nur anekdotische Evidenz und möglicherweise ist das heute auch in den konservativen Gesellschaften im Ausland anders.     

Geschrieben
vor 2 Minuten schrieb Merkur:

Wer sich im privaten nach den Maßstäben des Jone richtete, mußte damit rechnen, als Betschwester, zumindest aber als jemand, von dem man besser Abstand hält, zu gelten.

 

Betschwester! Wie lange mag es her sein, daß ich dieses Wort das letzte Mal gehört habe? Jahrzehnte? 😄

Geschrieben
vor 40 Minuten schrieb Merkur:

Ich muss vorausschicken, dass derzeit sicherlich viel im Umbruch ist und möglicherweise leben die jüngeren Generationen heute auch privat das, was sie öffentlich vertreten.  Nach den Einblicken, die ich bisher in konservative Gesellschaften im In- und Ausland hatte, war das früher zumindest anders. Insbesondere von Männern wurde nicht erwartet, sich in ihrer eigenen Lebensführung an die katholischen Moralvorschriften zu halten. Im Gegenteil. Wer sich im privaten nach den Maßstäben des Jone richtete, mußte damit rechnen, als Betschwester, zumindest aber als jemand, von dem man besser Abstand hält, zu gelten. Sexuelle Unerfahrenheit, die die Moral ja eigentlich vorschreibt, galt nicht als Vorzug, sondern als Makel. Gleichzeitig galt das Bekenntnis zum Katholizismus wie er ist (nicht wie er sein könnte) als identitätsstiftend und als Abgrenzungsmerkmal zu einem städtisch-bindungslosen Lebensstil, d.h. es gab an der Kirche und ihrer Morallehre nichts zu kritisieren, da dies als Illoyalität und als Distanzierung zu den eigenen Leuten gewertet worden wäre. Ich habe bisher nicht erlebt, dass die Kirche versucht hätte, diese Menschen zu ändern und die Befolgung ihrer Moral nicht nur als Bekenntnis, sondern auch als Lebensweise stärker durchzusetzen. Mit anderen Worten: Die Kirche, zumindest die Kirche vor Ort, hat die Menschen und ihr Verhalten akzeptiert.  

 

Aber wie gesagt, das ist alles nur anekdotische Evidenz und möglicherweise ist das heute auch in den konservativen Gesellschaften im Ausland anders.     

Was nennst Du früher? Vor oder nach dem Zusammenbruch der Beichtkultur?

 

Es ist aus katholischer Sicht ja kein Problem zu sündigen, solange man nachher zur Beichte geht. Mir ist auch nicht klar, wie jemand wie Louis XIV. jemals im Erwachsenenleben zur Kommunion gegangen sein kann, aber sein Beichtvater wird das schon gedeichselt haben.

 

Es gibt der jüngeren Generation zwar Bewegungen wie No-Fab (d.h. der Verzicht auf Selbstbefriedigung), aber diese Idee ist nicht aus katholischer Moral geboren sondern entstand in einem Umfeld des ungezügelten Pornokonsums. Als Massenphänomen sehe ich das schon mal gar nicht. Darüber hinaus sind zwar mehr junge Menschen den je solo, d.h. auch nicht in irgendwie gearteten festen Beziehungen, aber auch das hat nichts mit einer Rückbesinnung auf die traditionelle Moral zu tun, sondern ist eher das Ergebnis einer vollkommen aus dem Ruder gelaufenen Datingapp-Kultur.

 

Bei beidem hätte die Kirche durchaus sinnvolle Gegenangebote machen können und bei beidem hätte sie mit einem simplen "Sex ist böse", wie es nunmal die offizielle Lehre ist, nicht die eigentlich zugrunde liegenden Probleme angesprochen sondern lediglich eine Entfremdung des Angesprochenen von der Kirche oder von der Welt in der er nun mal leben soll gefördert.

Geschrieben
vor 3 Stunden schrieb iskander:

 

Wenn man einmal von allgemeinen Werten absieht, wie auch säkular orientiere Menschen oder vielleicht insbesondere "progressive" Katholiken sie teilen: Wo findet man denn dann einen konkreten Sinn in der offiziellen kath. Moral? 

Ich bin mir nicht sicher, ob Deine Formulierung das implizieren soll, dass Du einen entsprechenden Sinn in ihr siehst; aber falls ja: Könntest Du diesen Sinn am konkreten Beispiel aufzeigen? Etwa in einem Fall wie in dem, den ich hier beschrieben habe?


Realistisch betrachtet bietet die katholische Moral einen Rahmen, der Orientierung und Halt in einer komplexen Welt geben kann, gerade weil er auf die Würde und Integrität des Menschen abzielt. Sie fördert Gemeinschaft, Solidarität und die Suche nach dem Gemeinwohl – Werte, die auch in säkularen Kontexten geschätzt werden. Die Kirche ist zudem im Begriff, sich vorsichtig auf die Moderne zuzubewegen, indem sie Freiheit und Autonomie stärker als Prinzipien anerkennt und den ethischen Diskurs öffnet


In einem Fall wie dem angesprochenen – etwa in Fragen der Sexualmoral oder Partnerschaft – kann die katholische Moral als Einladung verstanden werden, Verantwortung zu übernehmen, Beziehungen bewusst und respektvoll zu gestalten und sich an einer höheren Vision von Liebe und Gemeinschaft zu orientieren. Sie fordert heraus, aber sie bietet auch Hoffnung: Die Möglichkeit, an einer besseren, gerechteren Welt mitzuwirken, getragen von einem tieferen Sinn, der über das bloß Individuelle hinausgeht.

 

Am Ende steht die Frage, wer mein Gegenüber ist: Mensch mit Würde, Geschöpf Gottes?

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