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Die Theologie des Leibes von Johannes Paul ist gescheitert


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Geschrieben
vor 7 Stunden schrieb Werner001:

So, und dieses Beispiel (derer es unzählige gibt) zeigt eben sehr gut, dass das, was „die Kirche“ (und das sind eben ihre Vertreter, wie der Kardinal und Erzbischof Borromäus einer war) beim Thema Moral auch nur zeitgeistige Dinge vertritt. Dad muss nicht immer der Mainstream sein, aber nur weil es nicht dem Mainstream entspricht, ist es nicht automatisch richtig.

Die Moral, ich schrieb es bereits, ist ein Kind des Zeitgeists. Daher gibt es keine absolute, immer gültige Moral.

Das sollte man, auch wenn man die (jeweilige) „kirchliche Moral“ predigt, nie vergessen 

 

Werner


Die Geschichte Borromäus‘ lehrt:

Kirchliche Moral ist weder rein „göttlich“ noch rein „menschlich“, sondern ein ständiges Ringen um Unterscheidung („discernimento“).
Optimismus liegt darin, dass die Kirche durch ihre Sakramente und ihre Tradition die Kraft hat, sich immer wieder zu erneuern – auch wenn dies oft langsam und schmerzhaft geschieht.
Wie Borromäus in der Pestepidemie zeigt: Echte Moral zeigt sich letztlich im Dienst an den Schwachen, nicht in der Durchsetzung von Macht.
In diesem Spannungsfeld liegt die Hoffnung: Eine Kirche, die ihre Fehler eingesteht, bleibt fähig, prophetisch zu handeln – jenseits von Mainstream und Nostalgie.

Geschrieben (bearbeitet)
vor 9 Stunden schrieb Merkur:

Ich habe bisher nicht erlebt, dass die Kirche versucht hätte, diese Menschen zu ändern und die Befolgung ihrer Moral nicht nur als Bekenntnis, sondern auch als Lebensweise stärker durchzusetzen. Mit anderen Worten: Die Kirche, zumindest die Kirche vor Ort, hat die Menschen und ihr Verhalten akzeptiert. 

 

Das liegt dann aber einfach daran, dass zumindest in erheblichen Teilend der Welt schon die Bischöfe und erst recht die Priester nicht so eifrig darin sind, alles umzusetzen, was der Papst vorgibt. Das ist also nicht der "Fehler" des Papstes und seiner Entourage, sondern es ist dies das "Versagen" der unteren Teile der Hierarchie. Dass hingegen das Lehramt selbst wirklich will, dass die Leute ihm folgen: Daran kann es wie dargelegt keinen vernünftigen Zweifel geben. Und es ist das Lehramt, das entscheidet, wo die Kirche als Institution steht und was ihre verbindliche Haltung ist.

 

Wie @Flo77 zudem richtig sagt, müsste man sich auch die jeweilige Zeit ansehen. Es gab allem Anschein nach durchaus Zeiten, in denen die entsprechende Moral auch auf einer niedrigeren hierarchischer Ebene ernster genommen wurde als heutzutage in Mitteleuropa. Das gilt beispielsweise für die Eheleute, die man zum Teil offenbar sogar im Beichtstuhl nach der Verhütung fragte. Die Fixierung auf die Verhütung führte dabei wohl auch zu einer Entfremdung von vielen Gläubigen.

 

"Besonders aufschlußreich sind dabei die Direktiven, die verschiedene Bischöfe ihren Priestern zukommen ließen; so etwa das Limburger Ordinariat (1954), die Österreichische Bischofskonferenz (1957) oder Bischof KELLER von Münster durch sein Generalvikariat. «Die Entfremdung vieler Katholiken vom sakramentalen, kirchlichen oder religiösen Leben überhaupt», heißt es in der <Instruktion zur Behandlung des Ehemißbrauchs im Beichtstuhl> (0. J., S. 3) seitens des Münsteraner Generalvikariats, «hängt in weitem Maß mit den Schwierigkeiten zusammen, die ihnen die Befolgung der katholischen Moralgrundsätze in ihrem Eheleben bereitet». Es ist religionspsychologisch und -soziologisch aufschlußreich, daß die so erkannten Tatsachenverhältnisse jedoch nicht dazu führten, die Richtigkeit der vertretenen Prinzipien einmal in Frage zu stellen; sondern vielmehr dazu, diese Prinzipien um so intensiver zu verteidigen"

(Pfürtner, Kirche und Sexualität)

 

Das strikte Verbot der Verhütung wurde den Eheleuten offenbar immer wieder eingeschärft. Pfürtner (a.a.O.) bemerkt:

 

"Wie viele Männer aus der Arbeiterbevölkerung haben sich verbittert von der Kirche abgewandt, weil man ihnen eine völlig unrealistische <Moral> predigte. In Predigt und Beichtstuhl wurden ihre Frauen - oft trotz größter Wohnungsnot und drückender Arbeitslosigkeit in den dreißiger Jahren - zu immer weiteren Geburten überredet oder zum Widerstand gegen den Ehemann angestachelt, wenn er unerlaubte Verhütungspraktiken wollte."

 

(Damals war wohl auch die Rhythmus-Methode selbst in ihrer einfachsten Form noch kaum verbreitet. Die Forderung der Kirche lief damit für alle, die keine Kinder weiteren mehr verkraften konnten, auf die Forderung nach dauerhafter und vollständiger Enthaltsamkeit hinaus.)

 

Pfürtner geht davon aus, dass nicht nur viele Eheleute - diese natürlich an erster Stelle -, sondern auch Beichtväter unter den nachdrücklich eingeschärften Vorgaben des Lehramts litten.

 

Ebenso hat man offenbar auch den Jugendlichen (und zum Teil bereits Kindern) die Sexualmoral zum Teil nahegebracht:

 

"Viele männliche Zeugen erinnern sich daran, dass sie [bei der Beichte] massiv bedrängt wurden, Masturbation zu gestehen. So schreibt der 68-jährige John aus Australien, sein Gemeindepriester habe die unziemliche Frage schon gestellt, als er noch nicht einmal über die sprachliche Kompetenz verfügt habe, um die »Sünde« zu verstehen, geschweige denn über die Fähigkeit, sie zu begehen. [...] Und ein deutscher Katholik schreibt: »Als ich 13 war, musste ich gestehen, wie oft ich masturbiert hatte. Unser Priester wollte immer alles ganz genau wissen. Er fragte immer, wie oft und warum ich masturbiert hatte. Ich bekam schreckliche Angst, zur Beichte zu gehen. Als ich aus der Schule kam, schwor ich mir, nie mehr zu beichten, und daran habe ich mich gehalten.« [...] 

Für viele andere Zeugen wurde die maßlose Neugier der Beichtväter zum Problem. So schreibt ein 53-jähriger Homosexueller: »Für mich war die Beichte bestenfalls eine nutzlose Erfahrung, schlimmstenfalls aber war sie extrem unangenehm, weil die meisten Beichtväter ein allzu großes Interesse an meinen unreinen Gedanken und Handlungen zeigten.« Eine Ms M. G. schrieb: »Mir wurde die Absolution verweigert, und ich wurde zum Arzt geschickt, weil ich durch Masturbation ›sündigte‹. […] Es hat mir die Pubertät ruiniert.« [...]
Mit fortschreitender Pubertät und dem neuen Schwerpunkt der »Unreinheit« kamen die Gewissensbisse. Dazu Ms J. N.: »Genau zu dem Zeitpunkt, als wir vor Hormonen und Neugier förmlich sprudelten […], bekam ich Gewissensbisse, und sie machten mir das Leben viele Jahre lang zur Hölle, selbst als ich längst verheiratet war und Kinder bekommen hatte. Ich sprach mit keinem Menschen über sie.«
Eine Ms H. hat eine ähnliche Geschichte aus ihren frühen Teenagerjahren zu erzählen: »Wegen der exzessiven Bedeutung, die bestimmte Priester dem sechsten Gebot beimaßen, gelangte ich zu der Überzeugung, dass ich ›unreiner Gedanken‹ schuldig war. Ich erwähnte sie gegenüber einem Beichtvater, und er befragte mich darüber. Plötzlich bekam ich Skrupel. Die Gewissensprüfung wurde für mich zu einer Last und ist es bis heute geblieben, zum Teil weil ich von Natur aus nicht entscheidungsfreudig bin.«"

(Cornwell, Die Beichte)

 

Ähnliche Erfahrungen schildern auch deutsche Zeitzeugen - und viele hat das offenbar auch dauerhaft von der Kirche weggetrieben. Und tatsächlich begann eine entsprechende Instruktion offenbar bereits im Kindesalter:

 

"Schwere Sünden oder Todsünden umfassten den Bruch der Zehn Gebote und die sieben Hauptsünden, die sich damit überlappten. Nur wenige dieser Sünden konnten auf eine »schwere« Art überhaupt von kleinen Kindern begangen werden. Also unterrichtete man sie über die permanente Gefahr derjenigen Todsünden, die sogar Kinder begehen können: unreine Taten, unreine Worte und unreine Gedanken – eine Methode, die bei ihnen Schuldgefühle in Bezug auf den eigenen Körper und die Körper anderer Menschen hervorrief. In den Jahren vor und während der Pubertät widmeten sich Beichtväter und Katecheten extrem ausführlich den sexuellen Sünden und riefen damit auf Jahre hinaus Gewissensbisse und Schuldgefühle hervor."

(Cornwell: Die Beichte)

 

(Als "unrein" ist dabei alles Sexuelle im weitesten Sinne, beispielsweise ein Gedanke oder eine entsprechende körperliche Empfindung, sofern der Betroffene mit ihr "einverstanden" ist bzw. ihr "zustimmt". Und man gebe an dieser Stelle nicht einfach den Katecheten und Beichtvätern die Schuld: Ausgehend von der Auffassung, dass a) jede sexuelle Regung, der man "zustimmt", objektiv schwerwiegend ist, und dass b) jede schwere Sünde grundsätzlich zur ewigen Verdammnis führen kann, ist es in gewisser Weise sogar "folgerichtig", dass man ein riesiges Bohei um "sexuelle Sünden" macht.)

 

Manche Leute erholen sich von Erfahrungen wie den oben geschilderten, andere scheinen jedoch für eine lange Zeit oder sogar für das ganze Leben Spuren davonzutragen. Der Autor John Hules sieht in dieser Art der Erziehung eine non-verbale Form des sexuellen Missbrauchs, und diese Betrachtungsweise scheint etwas für sich zu haben.

 

Und wer meint, dass das alles der Vergangenheit angehöre, der irrt. In nicht wenigen Ländern der Welt scheint das heute noch ähnlich zu sein. In Polen gibt es eine Bewegung, die sich dafür einsetzt, dass das Beichten erst ab 16 Jahren erlaubt ist, u.a. offenbar deshalb, weil dort immer wieder Priester schon Kinder, die noch gar nichts mit solchen Themen anfangen können, zu Themen wie Masturbation befragen. Auch in anderen Teilen der Welt gibt es einen starken konservativen Katholizismus. (In den USA beispielsweise scheint es teilweise so zu sein, dass man erst einen Kurs zur Ehevorbereitung belegen muss, wo man die NFP-Methode vorgetragen bekommt, bevor man katholisch heiraten darf.) Doch selbst für Deutschland des Jahres 2022 hält ein Priester über seine Erfahrungen im Beichtstuhl fest:

 

"Nicht selten geht es um Masturbation, vorehelichen Sex oder Homosexualität. Viele Menschen sitzen dann da und fühlen sich elend, weil sie so ein schlechtes Gewissen haben oder noch schlimmer: Weil sei denken, dass sie falsch sind. Ich finde es furchtbar, zu sehen, wie sich Menschen wegen ihrer Sexualität quälen."

 

Wenn die Katholiken heutzutage zumindest in großen Teilen Europas in aller Regel eine wesentlich "lockerere" Einstellung haben, dann nicht wegen des kirchlichen Lehramtes, sondern trotz des kirchl. Lehramtes. Päpste wie Pius XI., Paul VI. und JPII haben wirklich ihr Menschenmögliches getan, um die Menschen zur "richtigen" Sexualmoral zu bringen. Und nicht ein Pfarrer vor Ort, der die Sache gelassen sieht, kann sich auf die kirchliche Lehre berufen, sondern nur einer, der die Sache streng sieht.

 

Zitat

Gleichzeitig galt das Bekenntnis zum Katholizismus wie er ist (nicht wie er sein könnte) als identitätsstiftend und als Abgrenzungsmerkmal zu einem städtisch-bindungslosen Lebensstil, d.h. es gab an der Kirche und ihrer Morallehre nichts zu kritisieren, da dies als Illoyalität und als Distanzierung zu den eigenen Leuten gewertet worden wäre.

 

Es spricht sehr viel dafür, dass die kirchliche Sexuallehre einen sehr großen Schaden angerichtet hat - und vor allem global gesehen immer noch anrichtet. Es gibt hierfür viele Beispiele und Belege, auch in diesem Thread. Und damit meine ich nicht allein den psychologischen Schaden oder die sexuellen Funktionsstörungen oder auch die sozialen Auswirkungen (offenbar ist eine strenge Sexualmoral ein Risikofaktor für sexuelle Delinquenz). Das wäre zwar alles schon schlimm genug, aber ich denke vielmehr auch an negative Folgen beispielsweise dieser Art:

 

"Speaking to an audience of academics and clerics at Boston College, Kevin Dowling, Bishop of Rustenburg in South Africa, said there were many women in Botswana, where 39 per cent of the population was HIV positive, who turned to prostitution as the only alternative to starvation. ‘We’re at risk of losing entire nations to this disease,’ he said. [...] In these circumstances the pope’s ban on condoms was what he termed a ‘death-dealing code’. In the discussion that followed, Margaret Farley, a Yale University ethicist and campaigner for African women suffering from AIDS, told the audience: ‘Many African women have very little choice in the exercise of their sexuality. If, for example, a husband wants sex, wives are expected to respond, even if the husband is infected. [...]'"

(Cornwell, The Pope in the Winter)

 

(Siehe auch hier.)

 

Ich habe ja noch ein gewisses Verständnis dafür, wenn jemand, der fest überzeugt ist, dass diese Sexualmoral gottgewollt und richtig ist, sie hochhält und etwas dagegen hat, dass sie geändert wird. Solange man glaubt, dass etwas wahr und von Gott gewollt ist, was soll man dann auch tun? 

 

Wer an diese Art von Sexualmoral jedoch nicht glaubt (und erst recht nicht bemüht ist, sie zu leben), sie aber trotzdem und trotz des schweren Leides, das sie verursacht, nach außen hin unterstützt: Der macht sich nicht nur der Heuchelei schuldig, sondern zeigt auch ein erschreckendes Maß an Zynismus.

 

bearbeitet von iskander
Geschrieben (bearbeitet)
vor 6 Stunden schrieb Frey:

In einem Fall wie dem angesprochenen – etwa in Fragen der Sexualmoral oder Partnerschaft – kann die katholische Moral als Einladung verstanden werden, Verantwortung zu übernehmen, Beziehungen bewusst und respektvoll zu gestalten und sich an einer höheren Vision von Liebe und Gemeinschaft zu orientieren. Sie fordert heraus, aber sie bietet auch Hoffnung: Die Möglichkeit, an einer besseren, gerechteren Welt mitzuwirken, getragen von einem tieferen Sinn, der über das bloß Individuelle hinausgeht.

 

Dagegen wird auch niemand etwas haben. Aber die Kirche geht eben mit ihrer konkreten Moral weit darüber hinaus, die Menschen darin zu schulen, Respekt für sich und andere zu zeigen oder ihnen einen Weg der Hoffnung zu zeigen. Siehe neben dem angeführten Beispiel etwas auch meinen letzten Beitrag in diesem Thread (den vor eben diesem hier).

 

bearbeitet von iskander
Geschrieben (bearbeitet)
vor 8 Stunden schrieb iskander:

 

Das liegt dann aber einfach daran, dass zumindest in erheblichen Teilend der Welt schon die Bischöfe und erst recht die Priester nicht so eifrig darin sind, alles umzusetzen, was der Papst vorgibt. Das ist also nicht der "Fehler" des Papstes und seiner Entourage, sondern es ist dies das "Versagen" der unteren Teile der Hierarchie. Dass hingegen das Lehramt selbst wirklich will, dass die Leute ihm folgen: Daran kann es wie dargelegt keinen vernünftigen Zweifel geben. Und es ist das Lehramt, das entscheidet, wo die Kirche als Institution steht und was ihre verbindliche Haltung ist.

 

Wie @Flo77 zudem richtig sagt, müsste man sich auch die jeweilige Zeit ansehen. Es gab allem Anschein nach durchaus Zeiten, in denen die entsprechende Moral auch auf einer niedrigeren hierarchischer Ebene ernster genommen wurde als heutzutage in Mitteleuropa. Das gilt beispielsweise für die Eheleute, die man zum Teil offenbar sogar im Beichtstuhl nach der Verhütung fragte. Die Fixierung auf die Verhütung führte dabei wohl auch zu einer Entfremdung von vielen Gläubigen.

 

"Besonders aufschlußreich sind dabei die Direktiven, die verschiedene Bischöfe ihren Priestern zukommen ließen; so etwa das Limburger Ordinariat (1954), die Österreichische Bischofskonferenz (1957) oder Bischof KELLER von Münster durch sein Generalvikariat. «Die Entfremdung vieler Katholiken vom sakramentalen, kirchlichen oder religiösen Leben überhaupt», heißt es in der <Instruktion zur Behandlung des Ehemißbrauchs im Beichtstuhl> (0. J., S. 3) seitens des Münsteraner Generalvikariats, «hängt in weitem Maß mit den Schwierigkeiten zusammen, die ihnen die Befolgung der katholischen Moralgrundsätze in ihrem Eheleben bereitet». Es ist religionspsychologisch und -soziologisch aufschlußreich, daß die so erkannten Tatsachenverhältnisse jedoch nicht dazu führten, die Richtigkeit der vertretenen Prinzipien einmal in Frage zu stellen; sondern vielmehr dazu, diese Prinzipien um so intensiver zu verteidigen"

(Pfürtner, Kirche und Sexualität)

 

Das strikte Verbot der Verhütung wurde den Eheleuten offenbar immer wieder eingeschärft. Pfürtner (a.a.O.) bemerkt:

 

"Wie viele Männer aus der Arbeiterbevölkerung haben sich verbittert von der Kirche abgewandt, weil man ihnen eine völlig unrealistische <Moral> predigte. In Predigt und Beichtstuhl wurden ihre Frauen - oft trotz größter Wohnungsnot und drückender Arbeitslosigkeit in den dreißiger Jahren - zu immer weiteren Geburten überredet oder zum Widerstand gegen den Ehemann angestachelt, wenn er unerlaubte Verhütungspraktiken wollte."

 

(Damals war wohl auch die Rhythmus-Methode selbst in ihrer einfachsten Form noch kaum verbreitet. Die Forderung der Kirche lief damit für alle, die keine Kinder weiteren mehr verkraften konnten, auf die Forderung nach dauerhafter und vollständiger Enthaltsamkeit hinaus.)

 

Pfürtner geht davon aus, dass nicht nur viele Eheleute - diese natürlich an erster Stelle -, sondern auch Beichtväter unter den nachdrücklich eingeschärften Vorgaben des Lehramts litten.

 

Ebenso hat man offenbar auch den Jugendlichen (und zum Teil bereits Kindern) die Sexualmoral zum Teil nahegebracht:

 

"Viele männliche Zeugen erinnern sich daran, dass sie [bei der Beichte] massiv bedrängt wurden, Masturbation zu gestehen. So schreibt der 68-jährige John aus Australien, sein Gemeindepriester habe die unziemliche Frage schon gestellt, als er noch nicht einmal über die sprachliche Kompetenz verfügt habe, um die »Sünde« zu verstehen, geschweige denn über die Fähigkeit, sie zu begehen. [...] Und ein deutscher Katholik schreibt: »Als ich 13 war, musste ich gestehen, wie oft ich masturbiert hatte. Unser Priester wollte immer alles ganz genau wissen. Er fragte immer, wie oft und warum ich masturbiert hatte. Ich bekam schreckliche Angst, zur Beichte zu gehen. Als ich aus der Schule kam, schwor ich mir, nie mehr zu beichten, und daran habe ich mich gehalten.« [...] 

Für viele andere Zeugen wurde die maßlose Neugier der Beichtväter zum Problem. So schreibt ein 53-jähriger Homosexueller: »Für mich war die Beichte bestenfalls eine nutzlose Erfahrung, schlimmstenfalls aber war sie extrem unangenehm, weil die meisten Beichtväter ein allzu großes Interesse an meinen unreinen Gedanken und Handlungen zeigten.« Eine Ms M. G. schrieb: »Mir wurde die Absolution verweigert, und ich wurde zum Arzt geschickt, weil ich durch Masturbation ›sündigte‹. […] Es hat mir die Pubertät ruiniert.« [...]
Mit fortschreitender Pubertät und dem neuen Schwerpunkt der »Unreinheit« kamen die Gewissensbisse. Dazu Ms J. N.: »Genau zu dem Zeitpunkt, als wir vor Hormonen und Neugier förmlich sprudelten […], bekam ich Gewissensbisse, und sie machten mir das Leben viele Jahre lang zur Hölle, selbst als ich längst verheiratet war und Kinder bekommen hatte. Ich sprach mit keinem Menschen über sie.«
Eine Ms H. hat eine ähnliche Geschichte aus ihren frühen Teenagerjahren zu erzählen: »Wegen der exzessiven Bedeutung, die bestimmte Priester dem sechsten Gebot beimaßen, gelangte ich zu der Überzeugung, dass ich ›unreiner Gedanken‹ schuldig war. Ich erwähnte sie gegenüber einem Beichtvater, und er befragte mich darüber. Plötzlich bekam ich Skrupel. Die Gewissensprüfung wurde für mich zu einer Last und ist es bis heute geblieben, zum Teil weil ich von Natur aus nicht entscheidungsfreudig bin.«"

(Cornwell, Die Beichte)

 

Ähnliche Erfahrungen schildern auch deutsche Zeitzeugen - und viele hat das offenbar auch dauerhaft von der Kirche weggetrieben. Und tatsächlich begann eine entsprechende Instruktion offenbar bereits im Kindesalter:

 

"Schwere Sünden oder Todsünden umfassten den Bruch der Zehn Gebote und die sieben Hauptsünden, die sich damit überlappten. Nur wenige dieser Sünden konnten auf eine »schwere« Art überhaupt von kleinen Kindern begangen werden. Also unterrichtete man sie über die permanente Gefahr derjenigen Todsünden, die sogar Kinder begehen können: unreine Taten, unreine Worte und unreine Gedanken – eine Methode, die bei ihnen Schuldgefühle in Bezug auf den eigenen Körper und die Körper anderer Menschen hervorrief. In den Jahren vor und während der Pubertät widmeten sich Beichtväter und Katecheten extrem ausführlich den sexuellen Sünden und riefen damit auf Jahre hinaus Gewissensbisse und Schuldgefühle hervor."

(Cornwell: Die Beichte)

 

(Als "unrein" ist dabei alles Sexuelle im weitesten Sinne, beispielsweise ein Gedanke oder eine entsprechende körperliche Empfindung, sofern der Betroffene mit ihr "einverstanden" ist bzw. ihr "zustimmt". Und man gebe an dieser Stelle nicht einfach den Katecheten und Beichtvätern die Schuld: Ausgehend von der Auffassung, dass a) jede sexuelle Regung, der man "zustimmt", objektiv schwerwiegend ist, und dass b) jede schwere Sünde grundsätzlich zur ewigen Verdammnis führen kann, ist es in gewisser Weise sogar "folgerichtig", dass man ein riesiges Bohei um "sexuelle Sünden" macht.)

 

Manche Leute erholen sich von Erfahrungen wie den oben geschilderten, andere scheinen jedoch für eine lange Zeit oder sogar für das ganze Leben Spuren davonzutragen. Der Autor John Hules sieht in dieser Art der Erziehung eine non-verbale Form des sexuellen Missbrauchs, und diese Betrachtungsweise scheint etwas für sich zu haben.

 

Und wer meint, dass das alles der Vergangenheit angehöre, der irrt. In nicht wenigen Ländern der Welt scheint das heute noch ähnlich zu sein. In Polen gibt es eine Bewegung, die sich dafür einsetzt, dass das Beichten erst ab 16 Jahren erlaubt ist, u.a. offenbar deshalb, weil dort immer wieder Priester schon Kinder, die noch gar nichts mit solchen Themen anfangen können, zu Themen wie Masturbation befragen. Auch in anderen Teilen der Welt gibt es einen starken konservativen Katholizismus. (In den USA beispielsweise scheint es teilweise so zu sein, dass man erst einen Kurs zur Ehevorbereitung belegen muss, wo man die NFP-Methode vorgetragen bekommt, bevor man katholisch heiraten darf.) Doch selbst für Deutschland des Jahres 2022 hält ein Priester über seine Erfahrungen im Beichtstuhl fest:

 

"Nicht selten geht es um Masturbation, vorehelichen Sex oder Homosexualität. Viele Menschen sitzen dann da und fühlen sich elend, weil sie so ein schlechtes Gewissen haben oder noch schlimmer: Weil sei denken, dass sie falsch sind. Ich finde es furchtbar, zu sehen, wie sich Menschen wegen ihrer Sexualität quälen."

 

Wenn die Katholiken heutzutage zumindest in großen Teilen Europas in aller Regel eine wesentlich "lockerere" Einstellung haben, dann nicht wegen des kirchlichen Lehramtes, sondern trotz des kirchl. Lehramtes. Päpste wie Pius XI., Paul VI. und JPII haben wirklich ihr Menschenmögliches getan, um die Menschen zur "richtigen" Sexualmoral zu bringen. Und nicht ein Pfarrer vor Ort, der die Sache gelassen sieht, kann sich auf die kirchliche Lehre berufen, sondern nur einer, der die Sache streng sieht.

 

 

Es spricht sehr viel dafür, dass die kirchliche Sexuallehre einen sehr großen Schaden angerichtet hat - und vor allem global gesehen immer noch anrichtet. Es gibt hierfür viele Beispiele und Belege, auch in diesem Thread. Und damit meine ich nicht allein den psychologischen Schaden oder die sexuellen Funktionsstörungen oder auch die sozialen Auswirkungen (offenbar ist eine strenge Sexualmoral ein Risikofaktor für sexuelle Delinquenz). Das wäre zwar alles schon schlimm genug, aber ich denke vielmehr auch an negative Folgen beispielsweise dieser Art:

 

"Speaking to an audience of academics and clerics at Boston College, Kevin Dowling, Bishop of Rustenburg in South Africa, said there were many women in Botswana, where 39 per cent of the population was HIV positive, who turned to prostitution as the only alternative to starvation. ‘We’re at risk of losing entire nations to this disease,’ he said. [...] In these circumstances the pope’s ban on condoms was what he termed a ‘death-dealing code’. In the discussion that followed, Margaret Farley, a Yale University ethicist and campaigner for African women suffering from AIDS, told the audience: ‘Many African women have very little choice in the exercise of their sexuality. If, for example, a husband wants sex, wives are expected to respond, even if the husband is infected. [...]'"

(Cornwell, The Pope in the Winter)

 

(Siehe auch hier.)

 

Ich habe ja noch ein gewisses Verständnis dafür, wenn jemand, der fest überzeugt ist, dass diese Sexualmoral gottgewollt und richtig ist, sie hochhält und etwas dagegen hat, dass sie geändert wird. Solange man glaubt, dass etwas wahr und von Gott gewollt ist, was soll man dann auch tun? 

 

Wer an diese Art von Sexualmoral jedoch nicht glaubt (und erst recht nicht bemüht ist, sie zu leben), sie aber trotzdem und trotz des schweren Leides, das sie verursacht, nach außen hin unterstützt: Der macht sich nicht nur der Heuchelei schuldig, sondern zeigt auch ein erschreckendes Maß an Zynismus.

 


Ich fasse deinen Text wie folgt zusammen: Die katholische Sexualmoral hat sowohl historisch als auch gegenwärtig vielfach zu Entfremdung, psychischen Belastungen und sozialen Problemen geführt. Die Hauptverantwortung dafür siehst du beim kirchlichen Lehramt, das trotz der bekannten negativen Folgen weiterhin an einer strikten Morallehre festhält.


Tatsächlich steht die katholische Sexualmoral heute vor einer grundlegenden Legitimationsfrage. Viele Gläubige empfinden sie als lebensfremd und belastend, was nicht selten zu einer Entfremdung von der Kirche führt. Eine Erneuerung der Sexualmoral, die Verantwortung, Selbstbestimmung und die Würde des Menschen in den Mittelpunkt rückt, erscheint daher dringend geboten.


Dabei sollte Folgendes beachtet werden:
Die katholische Sexualmoral gründet sich historisch weniger auf biblische Offenbarung als vielmehr auf naturrechtliche und traditionsbasierte Argumente. Sie betrachtet Sexualität als sittlich legitim ausschließlich innerhalb der Ehe zwischen Mann und Frau, offen für Nachkommenschaft und geprägt von Treue. Sexualakte außerhalb dieses Rahmens – etwa künstliche Empfängnisverhütung, vorehelicher Geschlechtsverkehr oder homosexuelle Beziehungen – werden als unsittlich eingestuft. Interessanterweise werden diese Grundsätze durchaus auch von vielen Menschen, insbesondere jüngeren, als sinnvolle Orientierung anerkannt. Ob die Kirche jedoch an dieser Rigorosität festhalten sollte, ist durchaus diskussionswürdig.
Oft wird meines Erachtens übersehen, dass es in der Praxis immer wieder zu einer Abwägung widerstreitender moralischer Anforderungen kommt – etwa bei gesundheitlichen Risiken oder in problematischen sozialen Kontexten. Dennoch ist der Ansatz der Kirche, Sexualität in die Würde des Menschseins einzubetten und einen klaren Rahmen vorzugeben, nicht grundsätzlich verfehlt.

bearbeitet von Frey
Geschrieben (bearbeitet)
vor 12 Stunden schrieb Frey:

Die katholische Sexualmoral gründet sich historisch weniger auf biblische Offenbarung als vielmehr auf naturrechtliche und traditionsbasierte Argumente. [...]

Sexualakte außerhalb dieses Rahmens – etwa künstliche Empfängnisverhütung, vorehelicher Geschlechtsverkehr oder homosexuelle Beziehungen – werden als unsittlich eingestuft. Interessanterweise werden diese Grundsätze durchaus auch von vielen Menschen, insbesondere jüngeren, als sinnvolle Orientierung anerkannt.

 

Letzteres dürfte aber doch zumindest nur auf eine deutliche Minderheit der Katholiken weltweit zutreffen, wie Erhebungen zeigen - und für die Katholiken der westlichen Welt gilt das erst recht.

 

Die ganzen "naturrechtlichen" Argumente, die die Kirche in diesem Zusammenhang gebraucht, sind grundlegend verschieden von unseren üblichen moralischen Betrachtungsweisen. Es hat den Anschein, als ginge es da um die "Integrität" des sexuellen Aktes als Selbstzweck. Lass es mich am Beispiel der Verhütung etwas ausführlicher darlegen - auf die Argumentation zu (anderen) "widernatürlichen" Akten bin ich ja in diesem Thread bereits relativ ausführlich eingegangen.

 

Das "naturrechtliche" Standard-Argument (das sich auch in Humanae vitae findet, jedenfalls wenn man diese Enzyklika auf naheliegende Weise versteht) lautet ja etwa so:

Indem der Mensch verhütet, greift er in natürliche Zusammenhänge, so wie Gott diese geschaffen hat, künstlich ein, und somit verstößt er gegen Gottes Ordnung und seinen Willen. (Manchmal auch in dieser Variante: Wenn Gott gewollt hätte, dass ein Geschlechtsverkehr an den natürlicherweise fruchtbaren Tagen nicht stets zu einem Kind führen kann, dann hätte er das auch nicht entsprechend eingerichtet.)

Dahinter steht implizit die folgende Annahme/Prämisse: 'So, wie die Natur von sich aus ist, so wie sie ohne künstlichen Eingriff des Menschen beschaffen ist und funktioniert, so spiegelt sie Gottes Willen exakt wieder.'

 

Das Problem ist hier aber offensichtlich dieses: Wir greifen andauernd in die Natur ein, und zwar ohne dass jemand darin etwas Falsches oder Bedenkliches sehen würde.

Das beginnt schon damit, dass wir unsere Haare und Nägel (und als Männer unsere Bärte) schneiden. Von Natur aus würden diese nämlich ziemlich lange werden. 

Oder wir tragen Kleider, was ebenfalls nicht natürlich ist. Wollen wir sagen, dass Gott uns schon Kleider oder ein Fell hätte wachsen lassen, wenn er denn nicht gewollt hätte, dass wir ständig nackt herumlaufen? 

Und keine Frau wird akzeptieren, dass sie keine Ohrringe tragen darf, weil Gott, wäre er damit einverstanden, das Ohr schon so erschaffen hätte, dass von Natur aus entsprechende Löcher da wären.

Oder sollten wir alles Essen roh zu uns nehmen, weil es nicht zur Natur gehört, dass es zubereitet ist? Weil wir (etwa beim Kochen) seine natürliche Struktur verändern?

 

Zudem unternehmen wir viele medizinische Eingriffe, bei denen wir biologische Funktionen hemmen oder ausschalten, zum Beispiel wenn wir das Wachstum von Zellen verlangsamen, das Herz temporär stilllegen, Blut transplantieren, den Magen auspumpen oder auch Analgetika zur Schmerzstillung verwenden. Und wir verpflanzen Körpergewebe, auch wenn es dadurch seine natürliche Rolle nicht länger spielen kann, sondern künftig eine "unnatürliche" Rolle spielt. Ebenfalls entnehmen wir Patienten z.B. Blutproben oder Speichelproben, auch wenn das bedeutet, dass das Blut oder der Speichel seine natürliche Funktion nicht länger erfüllen kann.

 

In all diesen - und zweifellos auch vielen anderen - Fällen hindern wir die Natur durch unser aktives technisches Eingreifen daran, ihren natürlichen Lauf zu nehmen. Und zwar wohlgemerkt hemmen wir dabei oft gesunde natürliche Abläufe oder heben gesunde natürliche Zusammenhänge auf. 

Und all dies erscheint uns als selbstverständlich. In der Tat baut die ganze menschliche Lebenswelt darauf auf, dass wir die Natur nicht einfach genau so "respektieren", wie sie "von Gott gemacht wurde", sondern dass wir gestalterisch und regulierend in sie eingreifen und sie überformen. In diesem Sinne spricht man auch davon, dass die menschliche Lebenswelt nicht die der unmittelbaren Natur ist, sondern die einer "natürlichen Künstlichkeit".

 

Schockenhoff argumentiert, dass wir normalerweise eine anthropologische Unterscheidung vornehmen, die es uns erlaubt, in natürliche körperliche Funktionsabläufe einzugreifen, und fährt dann fort:

 

"Sollte diese Unterscheidung, die wir in allen anderen Sektoren und Sphären unseres personalen Daseins für angemessen halten, nur im Blick auf die 'Zeugungskräfte' unserer Natur unzulässig sein, bedürfte eine derartige Einschränkung eines allgemeinen anthropologischen Verhältnisses einer besonderen Erklärung, warum dies für diesen besonderen Fall und nur für diesen so sein soll."

(Schockenhoff, Die Kunst zu lieben)

 

Oder anders formuliert: Warum soll es überall mit dem Willen Gottes bestens kompatibel sein, wenn wir mithilfe unserer Vernunft und in einer sinnvollen Weise in natürliche Prozesse eingreifen - außer eben bei der Sexualität? Warum wird die faktisch-biologische Natur in ihrem Ist-Zustand nirgendwo unmittelbar mit dem Willen Gottes gleichgesetzt und für unantastbar erklärt - außer gerade im Fall der Sexualität?

 

Was die kath. Kirche in diesem Zusammenhang als "Naturrecht" bezeichnet, ist aus meiner Sicht übrigens eher eine Karikatur denn eine ernst zu nehmende Naturrechtslehre. Sie läuft darauf hinaus, natürliche Akte geradezu wie Träger von Rechten zu behandeln und die biologische Natur im Bereich der Sexualität (und nur dort!) in einer doch recht simplen anmutenden Weise direkt mit dem Willen Gottes zu identifizieren. Das ist aber nicht das, was der Begriff "Naturrecht" eigentlich ausdrücken soll. Dieser Begriff steht eher im Gegensatz zum "positiven", menschlich gesetzten Recht, und er kommt der Sache nach daher eher an den modernen Begriff der Menschenrechte heran, und vielleicht auch an das, was man gemeinhin als "gesunden Menschenverstand" bezeichnet.

Wie eine sinnvollere "Naturrechtslehre" aussehen kann, bringt Schockenhoff an anderer Stelle auf den Punkt, so dass er erneut zitiert sei:

 

"Das, was dem Menschen [gemäß der Aristotelischen Tradition] naturgemäß ist, ist eine Existenzweise gemäß der Vernunft. Damit kann man nicht einfach von der Biologie her Vorschriften für die naturgemäße Lebensführung des Menschen machen."

 

Sondern die relevante Frage lautet dann, wie ich ergänzen möchte, ob ein Eingriff in die Natur vernünftig oder unvernünftig ist; ob er beispielsweise etwas Gutes oder etwas Schlechtes (oder etwas Gemischtes) bewirkt; welche Argumente für ihn sprechen und welche gegen ihn usw.

 

Im Übrigen anerkennt ja auch die Kirche selbst, dass es keineswegs immer wünschenswert oder von Gott gewollt ist, dass ein Kind entsteht (sonst wären auch Enthaltsamkeit und NFP verboten). Das führt aber nun zu einem großen Problem mit der Plausibilität:

 

Wenn es in einer bestimmten Situation ganz offenkundig und anerkanntermaßen überhaupt nicht wünschenswert ist, dass tatsächlich ein Kind entsteht: Warum muss der in dieser Situation vollzogene sexuelle Akt dann dennoch unbedingt fruchtbar sein - also geeignet, ein Kind entstehen zu lassen? Warum sollte Gott darauf insistieren, dass durch einen sexuellen Akt ein Kind entstehen kann, wenn Gott gar nicht möchte, dass tatsächlich ein Kind entsteht?

 

Das scheint absolut keinen Sinn zu ergeben, ja: Das Denken, das hier Gott zugeschrieben wird, scheint geradezu absurd zu sein.

Die Fruchtbarkeit des sexuellen Aktes mutet in Fällen der genannten Art als reiner Selbstzweck an: Nicht etwa, weil im konkreten Fall ein Kind gezeugt werden soll, soll der sexuelle Akt fruchtbar sein, sondern weil - ja, warum eigentlich?

 

Die referierte (vermeintlich) "naturrechtliche" Argumentation gibt darauf keine Antwort. Ein Vertreter von ihr könnte höchstens etwas sagen wie: 'Wir können aus der Biologie zwar schließen, dass Gott das will. Wir haben aber keine Ahnung, warum Gott so etwas will. Aus der menschlichen Perspektive mag es als absolut sinnlos und sogar widersinnig erscheinen, aber Gott wird schon seine Gründe haben.'

 

Das ist aber doch wohl eine ziemlich merkwürdige und unbefriedigende Antwort.

 

Selbst in dem von Karol Wojtyła (dem späteren JPII) beauftragten Gutachten zur Thematik der Verhütung scheint man die Schwäche der obigen Argumentation gesehen zu haben:

 

"So beklagten die Autoren des 'Krakauer Memorandums', dass die im harten Kern von Humane vitae Nr. 12-14 entwickelte naturrechliche Argumentation unzulänglich sei. Von der moralthelogischen Kritik wurde weithin bemängelt, dass diese auf einem naturalistischen Fehlschluss beruhe.141 Selbst der französische Theologe G. Martelet, der die Enzyklika von Anfang an verteidigt und ihr Anliegen erläutert hatte, anerkannte in der Rückschau die Begründungsmängel, die einer breiteren Rezeption der Lehre von Humane vitae im Wege standen."

(Schockenhoff, Die Kunst zu lieben)

 

Die fehlende Plausibilität dieser "biologistisch" anmutenden Argumentation liegt so offensichtlich zutage, dass kath. Denker versucht haben, alternative Argumente für das Verbot der Verhütung zu entwickeln. Germain Grisez etwa scheint (leicht vereinfacht zusammengefasst) zu argumentieren, dass bei der Verhütung die Entstehung von neuem Leben abgelehnt werde und Verhütung daher schlecht sei. Aber einmal ganz abgesehen davon, dass auch jemand, der NFP praktiziert (oder der enthaltsam lebt, um so den "Kindersegen" zu vermeiden), auch nicht will, dass zum entsprechenden Zeitpunkt Kinder entstehen, kann der Wunsch, dass keine Kinder entstehen mögen, in vielen Situationen absolut vernünftig und moralisch legitim sein - etwa wenn ein Kind, das gezeugt würde, schwer krank wäre und bald leidvoll sterben müsste (siehe für Näheres zu dieser Art von Argument hier).

 

Dann gibt es noch die Bemühungen von JPII, auf Grundlage seiner "Theologie des Leibes" Begründungen für das Verbot der Verhütung zu finden. Diese Argumentation ist aber ebenfalls mit zahlreichen Schwächen behaftet, von denen ich in diesem Beitrag einige (aber keineswegs alle) diskutiert habe. Auch andere überzeugende Argumente scheint es nicht zu geben. (Im Übrigen ist es auch seltsam, wenn die zu beweisende These ganz offensichtlich von Anfang an feststeht, und man dann im Nachhinein in immer neuen und fast schon verzweifelten Anläufen versucht, irgendwelche tauglichen Argumente für sie zu finden.)

 

Selbst das Minderheitengutachten der päpstlichen Kommission, das Paul VI. dazu riet, beim Verbot der Verhütung zu bleiben (und an dem Grisez mitgewirkt hat), gestand seinerzeit ein:

 

"Wenn wir klare und zwingende Argumente vorbringen könnten, die sich allein auf die Vernunft stützen, wäre es nicht notwendig, dass unsere Kommission existiert, noch würde sich die Kirche in ihrer gegenwärtigen Situation befinden [...]“ 

(Zit. n. McClory, Turning Point, übers. v. mir)

 

Und was hier für das Verbot der Verhütung gesagt wurde, gilt mutatis mutandis auch für andere Bereiche der kath. Sexualmoral. Das einzige Argument - wenn es denn eines ist - welches es für die rigiden Teile der kath. Sexualmoral gibt, besteht in der Tatsache, dass die kath. Kirche diese Moral lehrt und schon früher gelehrt hat und sich angeblich nicht täuschen könne.

 

Meine persönliche, vielleicht für manche provokant klingende Überzeugung ist diese: Diejenigen, die die kath. Sexualmoral in ihren rigorosen Teilen für sinnvoll halten, bilden sich das ein - einfach, weil sie objektiv nicht sinnvoll ist. Die entsprechenden Gebote sind weder begründbar noch einsichtig. Die Argumente, die zu ihrer Stützung beigebracht werden, sind keineswegs beweiskräftig und zudem oft geradezu verblüffend schwach. Für jemanden, der nicht bereits von der kath. Lehre überzeugt ist (oder sich von ihr überzeugen möchte), besitzen sie nicht einmal eine oberflächliche Plausibilität, und selbst einer kurzen Analyse halten sie nicht stand.

Und denjenigen Gläubigen, die die kath. Verbote mithilfe derartiger Argumente zu begründen versuchen, reflektieren diese Argumente in der Regel auch ganz offenkundig nicht, so wenig wie sie eigentlich naheliegende Rückfragen stellen. Vielmehr nehmen sie solche Argumente dankbar und unkritisch hin, froh darüber, dass sie (scheinbar) etwas in der Hand haben und mehr sagen können als nur "Die Kirche lehrt es halt".

 

Natürlich ist jeder Mensch anders, und es mag beispielsweise Leute geben, denen eine periodische Enthaltsamkeit (aus nicht-religiösen Gründen) etwas nutzt. Aber ansonsten dürfte jeder positive Effekt auf Auto-Suggestion beruhen: Man tut etwas mit dem festen Glauben, dass man gut und gottgewollt handele, und dieser Glaube mag dann wiederum ein subjektives positives Erleben (wie das von Sinnhaftigkeit) erzeugen. Aber selbst für die meisten frommen Katholiken trifft das offenbar nicht zu, und sie machen mit der kath. Lehre, etwa der zur Verhütung, überwiegend negative Erfahrungen (siehe hier).

 

Die Kirche wird, falls sie je zur besseren Einsicht gelangen und ihre strengen Verbote zurücknehmen sollte, natürlich versuchen, etwas in der folgenden Art zu sagen: 

'Auch wenn wir uns vielleicht geirrt haben, als wir die strengen Gebote unserer Sexualmoral als absolut verpflichtend hingestellt haben, so stellen sie doch ein wunderbares Ideal dar, das höchst sinnvoll ist und dem Menschen so viel gibt. Grämt euch also bitte nicht, dass ihr unseren Geboten gefolgt seid - ihr habt euch damit selbst einen großen Gefallen getan.'

 

Aber das wird sich dauerhaft nicht glaubwürdig durchziehen lassen. Die Wahrheit ist doch diese: Die meisten der strengen kirchlichen Verbote sind nicht sinnvoll und waren es niemals. Sie waren schon immer schädlich. Und das alles hätte man auch schon lange wissen könne und wissen müssen.

 

Das mag wie gesagt für manche provokant klingen, aber man kann mir zumindest nicht vorhalten, dass ich meine Meinung nicht begründen würde.

 

Dass es innerhalb der kath. Sexualmoral natürlich auch Sinnvolles und Einsichtiges gibt, sei damit nicht abgestritten. Das sind dann aber auch die Teile, die wenig umstritten sind. Worum es mir in meiner Kritik aber geht, sind jene anderen Teile, die m.E. erheblichen und unnötigen Schaden hervorrufen.

 

bearbeitet von iskander
Geschrieben (bearbeitet)
vor 47 Minuten schrieb iskander:

 

Letzteres dürfte aber doch zumindest nur auf eine deutliche Minderheit der Katholiken weltweit zutreffen, wie Erhebungen zeigen - und für die Katholiken der westlichen Welt gilt das erst recht.

 

Die ganzen "naturrechtlichen" Argumente, die die Kirche in diesem Zusammenhang gebraucht, sind grundlegend verschieden von unseren üblichen moralischen Betrachtungsweisen. Es hat den Anschein, als ginge es da um die "Integrität" des sexuellen Aktes als Selbstzweck. Lass es mich am Beispiel der Verhütung etwas ausführlicher darlegen - auf die Argumentation zu (anderen) "widernatürlichen" Akten bin ich ja in diesem Thread bereits relativ ausführlich eingegangen.

 

Das naturrechtliche Standard-Argument (das sich auch in Humanae vitae findet, jedenfalls wenn man diese Enzyklika auf naheliegende Weise versteht) lautet ja etwa so:

Indem der Mensch verhütet, greift er in natürliche Zusammenhänge, so wie Gott diese geschaffen hat, künstlich ein, und somit verstößt er gegen Gottes Ordnung und seinen Willen. (Manchmal auch in der Variante: Wenn Gott gewollt hätte, dass ein Geschlechtsverkehr an den natürlicherweise fruchtbaren Tagen nicht stets zu einem Kind führen kann, dann hätte er das auch nicht so eingerichtet.)

Dahinter steht implizit die folgende Annahme/Prämisse: 'So, wie die Natur von sich aus ist, so wie sie ohne künstlichen Eingriff des Menschen beschaffen ist und funktioniert, so spiegelt sie Gottes Willen exakt wieder.'

 

Das Problem ist hier aber offensichtlich dieses: Wir greifen andauernd in die Natur ein, und zwar ohne dass jemand darin etwas Falsches oder Bedenkliches sehen würde.

Das beginnt schon damit, dass wir unsere Haare und Nägel (und als Männer unsere Bärte) schneiden. Von Natur aus würden diese nämlich ziemlich lange werden. 

Oder wir tragen Kleider, was ebenfalls nicht natürlich ist. Wollen wir sagen, dass Gott uns schon Kleider oder ein Fell hätte wachsen lassen, wenn er denn nicht gewollt hätte, dass wir ständig nackt herumlaufen? 

Und keine Frau wird akzeptieren, dass sie keine Ohrringe tragen darf, weil Gott, wäre er damit einverstanden, das Ohr schon so erschaffen hätte, dass von Natur aus entsprechende Löcher da wären.

Oder sollten wir alles Essen roh zu uns nehmen, weil es nicht zur Natur gehört, dass es zubereitet ist? Weil wir (etwa beim Kochen) seine natürliche Struktur verändern?

 

Zudem unternehmen wir viele medizinische Eingriffe, bei denen wir biologische Funktionen hemmen oder ausschalten, zum Beispiel wenn wir das Wachstum von Zellen verlangsamen, das Herz temporär stilllegen, Blut transplantieren, den Magen auspumpen oder auch Analgetika zur Schmerzstillung verwenden. Und wir verpflanzen Körpergewebe, auch wenn es dadurch seine natürliche Rolle nicht länger spielen kann, sondern künftig eine "unnatürliche" Rolle spielt. Ebenfalls entnehmen wir Patienten z.B. Blutproben oder Speichelproben, auch wenn das bedeutet, dass das Blut oder der Speichel seine natürliche Funktion nicht länger erfüllen kann.

 

In all diesen - und zweifellos auch vielen anderen - Fällen hindern wir die Natur durch unser aktives technisches Eingreifen daran, ihren natürlichen Lauf zu nehmen. Und zwar wohlgemerkt hemmen wir dabei oft gesunde natürliche Abläufe oder heben gesunde natürliche Zusammenhänge auf. 

Und all dies erscheint uns als selbstverständlich. In der Tat baut die ganze menschliche Lebenswelt darauf auf, dass wir die Natur nicht einfach genau so "respektieren", wie sie "von Gott gemacht wurde", sondern dass wir gestalterisch und regulierend in sie eingreifen und sie überformen. In diesem Sinne spricht man auch davon, dass die menschliche Lebenswelt nicht die der unmittelbaren Natur ist, sondern die einer "natürlichen Künstlichkeit".

 

Schockenhoff argumentiert, dass wir normalerweise eine anthropologische Unterscheidung vornehmen, die es uns erlaubt, in natürliche körperliche Funktionsabläufe einzugreifen, und fährt dann fort:

 

"Sollte diese Unterscheidung, die wir in allen anderen Sektoren und Sphären unseres personalen Daseins für angemessen halten, nur im Blick auf die 'Zeugungskräfte' unserer Natur unzulässig sein, bedürfte eine derartige Einschränkung eines allgemeinen anthropologischen Verhältnisses einer besonderen Erklärung, warum dies für diesen besonderen Fall und nur für diesen so sein soll."

(Schockenhoff, Die Kunst zu lieben)

 

Oder anders formuliert: Warum soll es überall mit dem Willen Gottes bestens kompatibel sein, wenn wir mithilfe unserer Vernunft und in einer sinnvollen Weise in natürliche Prozesse eingreifen - außer eben bei der Sexualität? Warum wird die faktisch-biologische Natur in ihrem Ist-Zustand nirgendwo unmittelbar mit dem Willen Gottes gleichgesetzt und für unantastbar erklärt - außer gerade im Fall der Sexualität?

 

Was die kath. Kirche in diesem Zusammenhang als "Naturrecht" bezeichnet, ist aus meiner Sicht eher eine Karikatur denn eine ernst zu nehmende Naturrechtslehre. Sie läuft darauf hinaus, natürliche Akte geradezu wie Träger von Rechten zu behandeln und die biologische Natur im Bereich der Sexualität (und nur dort!) in einer doch recht simplen anmutenden Weise direkt mit dem Willen Gottes zu identifizieren. Das ist aber nicht das, was der Begriff "Naturrecht" eigentlich ausdrücken soll. Dieser Begriff steht eher im Gegensatz zum "positiven", menschlich gesetzten Recht, und kommt daher der Sache nach eher an den modernen Begriff der Menschenrechte heran, und vielleicht auch an das, was man gemeinhin als "gesunden Menschenverstand" bezeichnet.

Wie eine sinnvollere "Naturrechtslehre" aussehen kann, bringt Schockenhoff an anderer Stelle auf den Punkt, so dass er erneut zitiert sei:

 

"Das, was dem Menschen [gemäß der Aristotelischen Tradition] naturgemäß ist, ist eine Existenzweise gemäß der Vernunft. Damit kann man nicht einfach von der Biologie her Vorschriften für die naturgemäße Lebensführung des Menschen machen."

 

Sondern die relevante Frage lautet dann, wie ich ergänzen möchte, ob ein Eingriff in die Natur vernünftig oder unvernünftig ist; ob er beispielsweise etwas Gutes oder etwas Schlechtes (oder etwas Gemischtes) bewirkt; welche Argumente für ihn sprechen und welche gegen ihn usw.

 

Im Übrigen anerkennt ja auch die Kirche selbst, dass es keineswegs immer wünschenswert oder von Gott gewollt ist, dass ein Kind entsteht (sonst wären auch Enthaltsamkeit und NFP verboten). Das führt aber nun zu einem großen Problem mit der Plausibilität:

 

Wenn es in einer bestimmten Situation ganz offenkundig und anerkanntermaßen überhaupt nicht wünschenswert ist, dass tatsächlich ein Kind entsteht: Warum muss der in dieser Situation vollzogene sexuelle Akt dann dennoch unbedingt fruchtbar sein? Warum sollte Gott darauf bestehen, dass durch einen sexuellen Akt ein Kind entstehen kann, wenn Gott gar nicht möchte, dass tatsächlich ein Kind entsteht?

 

Das scheint absolut keinen Sinn zu ergeben, ja: Das Denken, das hier Gott zugeschrieben wird, scheint geradezu absurd zu sein.

Die Fruchtbarkeit des sexuellen Aktes mutet in Fällen der genannten Art als reiner Selbstzweck an: Nicht etwa, weil im konkreten Fall ein Kind gezeugt werden soll, soll der sexuelle Akt fruchtbar sein, sondern weil - ja, warum eigentlich?

 

Die "biologistische" Argumentation gibt darauf keine Antwort. Ein Vertreter von ihr könnte höchstens etwas sagen wie: 'Wir können aus der Biologie zwar schließen, dass Gott das will. Wir haben aber keine Ahnung, warum Gott so etwas will. Aus der menschlichen Perspektive mag es als absolut sinnlos und sogar widersinnig erscheinen, aber Gott wird schon seine Gründe haben.'

 

Das ist aber doch wohl eine ziemlich merkwürdige und unbefriedigende Antwort.

 

Selbst in dem von Karol Wojtyła (dem späteren JPII) beauftragten Gutachten zur Thematik der Verhütung scheint man die Schwäche der obigen Argumentation gesehen zu haben:

 

"So beklagten die Autoren des 'Krakauer Memorandums', dass die im harten Kern von Humane vitae Nr. 12-14 entwickelte naturrechliche Argumentation unzulänglich sei. Von der moralthelogischen Kritik wurde weithin bemängelt, dass diese auf einem naturalistischen Fehlschluss beruhe.141 Selbst der französische Theologe G. Martelet, der die Enzyklika von Anfang an verteidigt und ihr Anliegen erläutert hatte, anerkannte in der Rückschau die Begründungsmängel, die einer breiteren Rezeption der Lehre von Humane vitae im Wege standen."

(Schockenhoff, "Die Kunst zu lieben", Online-Buchvorschau.)

 

Die fehlende Plausibilität dieser "biologistisch" anmutenden Argumentation liegt so offensichtlich zutage, dass kath. Denker versucht haben, alternative Argumente für das Verbot der Verhütung zu entwickeln. Germain Grisez etwa scheint (leicht vereinfacht zusammengefasst) zu argumentieren, dass bei der Verhütung die Entstehung von neuem Leben abgelehnt werde und Verhütung daher schlecht sei. Aber einmal ganz abgesehen davon, dass auch jemand, der NFP praktiziert (oder der enthaltsam lebt, um so den "Kindersegen" zu vermeiden), auch nicht will, dass zum entsprechenden Zeitpunkt Kinder entstehen, kann der Wunsch, dass keine Kinder entstehen mögen, in vielen Situationen absolut vernünftig und moralisch legitim sein - etwa wenn ein Kind, das gezeugt würde, schwer krank wäre und bald leidvoll sterben müsste (siehe für Näheres zu dieser Art von Argument hier).

 

Dann gibt es noch die Bemühungen von JPII, auf Grundlage seiner "Theologie des Leibes" Begründungen für das Verbot der Verhütung zu finden. Diese Argumentation ist aber ebenfalls mit zahlreichen Schwächen behaftet, von denen ich in diesem Beitrag einige (aber keineswegs alle) diskutiert habe. Auch andere überzeugende Argumente scheint es nicht zu geben.

 

Selbst das Minderheitengutachten der päpstlichen Kommission, das Paul VI. dazu riet, beim Verbot der Verhütung zu bleiben (und an dem Grisez mitgewirkt hat), gesteht ein:

 

"Wenn wir klare und zwingende Argumente vorbringen könnten, die sich allein auf die Vernunft stützen, wäre es nicht notwendig, dass unsere Kommission existiert, noch würde sich die Kirche in ihrer gegenwärtigen Situation befinden [...]“ 

(Zit. n. McClory, Turning Point, übers. v. mir)

 

Und was hier für das Verbot der Verhütung gesagt wurde, gilt mutatis mutandis auch für andere Bereiche der kath. Sexualmoral. Das einzige Argument - wenn es denn eines ist - welches es für die rigiden Teile der kath. Sexualmoral gibt, besteht in der Tatsache, dass die kath. Kirche diese Moral lehrt und schon früher gelehrt hat und sich angeblich nicht täuschen könne.

 

Meine persönliche, vielleicht für manche provokant klingende Überzeugung ist diese: Diejenigen, die die kath. Sexualmoral in ihren rigorosen Teilen für sinnvoll halten, bilden sich das ein - einfach, weil sie objektiv nicht sinnvoll ist. Die entsprechenden Gebote sind weder begründbar noch einsichtig. Die Argumente, die zu ihrer Stützung beigebracht werden, sind keineswegs beweiskräftig und zudem oft geradezu verblüffend schwach. Für jemanden, der nicht bereits von der kath. Lehre überzeugt ist (oder sich von ihr überzeugen möchte), besitzen sie nicht einmal eine oberflächliche Plausibilität, und selbst einer kurzen Analyse halten sie nicht stand.

Und denjenigen Gläubigen, die die kath. Verbote mithilfe derartiger Argumente zu begründen versuchen, reflektieren diese Argumente in der Regel auch ganz offenkundig nicht, so wenig wie sie eigentlich naheliegende Rückfragen stellen. Vielmehr nehmen sie solche Argumente dankbar und unkritisch hin, froh darüber, dass sie (scheinbar) etwas in der Hand haben und mehr sagen können als nur "Die Kirche lehrt es halt".

 

Natürlich ist jeder Mensch anders, und es mag beispielsweise Leute geben, denen eine periodische Enthaltsamkeit (aus nicht-religiösen Gründen) etwas nutzt. Aber ansonsten dürfte jeder positive Effekt auf Auto-Suggestion beruhen: Man tut etwas mit dem festen Glauben, dass man gut und gottgewollt handele, und dieser Glaube mag dann wiederum ein subjektives positives Erleben (wie das von Sinnhaftigkeit) erzeugen. Aber selbst für die meisten frommen Katholiken trifft das offenbar nicht zu, und sie machen mit der kath. Lehre, etwa der zur Verhütung, überwiegend negative Erfahrungen (siehe hier).

 

Die Kirche wird, falls sie je zur besseren Einsicht gelangen und ihre strengen Verbote zurücknehmen sollte, natürlich versuchen, etwas in der folgenden Art zu sagen: 

'Auch wenn wir uns vielleicht geirrt haben, als wir die strengen Gebote unserer Sexualmoral als absolut verpflichtend hingestellt haben, so stellen sie doch ein wunderbares Ideal dar, das höchst sinnvoll ist und dem Menschen so viel gibt. Grämt euch also bitte nicht, dass ihr unseren Geboten gefolgt seid - ihr habt euch damit selbst einen großen Gefallen getan.'

 

Aber das wird sich dauerhaft nicht glaubwürdig durchziehen lassen. Die Wahrheit ist doch diese: Die meisten der strengen kirchlichen Verbote sind nicht sinnvoll und waren es niemals. Sie waren schon immer schädlich. Und das alles hätte man auch schon lange wissen könne und wissen müssen.

 

Das mag wie gesagt für manche provokant klingen, aber man kann mir zumindest nicht vorhalten, dass ich meine Meinung nicht begründen würde.

 

Dass es innerhalb der kath. Sexualmoral natürlich auch Sinnvolles und Einsichtiges gibt, sei damit nicht abgestritten. Das sind dann aber auch die Teile, die wenig umstritten sind. Worum es mir in meiner Kritik aber geht sind jene anderen Teile, die m.E. erheblichen und unnötigen Schaden hervorrufen.

 


Ich bin in Fragen der katholischen Sexualmoral nicht der Frontrunner, oder um es anders zu sagen: Aus dem reichhaltigen katholischen Fundus steht für mich das Große Ganze im Mittelpunkt. Ich könnte auch sagen, prozentual gesehen machen sexuelle Praktiken für den gewöhnlichen Menschen wohl nur einen Bruchteil der Lebenszeit aus. Jedenfalls sagen das die Statistiken. Es ist auch kein Dogma, die Kirche hat schon oft Enzykliken weiterentwickelt.
 

Ob das gut wäre?

 

Die Kirche lehrt, dass Sexualität und Fortpflanzung untrennbar miteinander verbunden sind. Jede absichtliche Trennung – etwa durch die Pille oder Kondome – widerspricht dem „Schöpfungsplan Gottes“. Die Sicht auf den Menschen als Schöpfung ist der maßgebliche Unterschied. Die befruchtete Eizelle ist nun mal aus katholischer Sicht zu 100% Gottes Geschöpf und deshalb nicht mit anderen Vorkommnissen der Natur vergleichbar - deswegen auch kein Fehlschluss.


Künstliche Verhütungsmittel greifen nach kirchlicher Ansicht in die von Gott geschaffene natürliche Ordnung ein. Die Fruchtbarkeit wird als Geschenk betrachtet, das nicht wie eine Krankheit behandelt oder ausgeschaltet werden darf.

Die Kirche betont, dass natürliche Methoden (z.B. Zyklusbeobachtung) zur Familienplanung erlaubt sind, weil sie Selbstbeherrschung und verantwortungsvolles Handeln fördern. Künstliche Methoden hingegen würden leichtfertigen Umgang mit Sexualität begünstigen - meistens zu Lasten der Frau, die dem Mann häufiger zur Verfügung steht (=Empirie).


Die Kirche warnt, dass künstliche Verhütung zu ehelicher Untreue, einer „Aufweichung der sittlichen Zucht“ und zur Reduzierung der Frau auf ein Sexualobjekt führen könne.
Befürworter der kirchlichen Lehre argumentieren, dass sie die Würde des Menschen und das Glück der Familie wahrt, indem sie Sexualität in einen größeren Sinnzusammenhang stellt und vor einer „verzerrten Sichtweise“ schützt.

Die Kirche ist nicht gegen Familienplanung an sich, erlaubt aber nur natürliche Methoden, die die Fruchtbarkeit nicht direkt ausschalten. In Zeiten veganer und auch sonst nachhaltiger Lebensweise inkl. Opferbereitschaft eine konsequente Haltung.

 

Ich finde, man kann mal ernsthaft darüber nachdenken.

bearbeitet von Frey
Geschrieben (bearbeitet)
vor 4 Stunden schrieb Frey:

Ich könnte auch sagen, prozentual gesehen machen sexuelle Praktiken für den gewöhnlichen Menschen wohl nur einen Bruchteil der Lebenszeit aus. Jedenfalls sagen das die Statistiken.

 

Die Statistiken sagen aber auch, dass sehr viele Menschen beispielsweise immer wieder sexuelle Gefühle und Gedanken haben. Und wenn all diese stets schwer sündhaft sind, sofern man ihnen "zustimmt" und sofern sie außerhalb des ehelichen Kontextes auftreten, ist das natürlich keine Kleinigkeit. Im Klartext bedeutet das nämlich dann die Gefahr der Hölle. Früher hat man das übrigens auch so gesagt; ich darf hier nur beispielsweise Alfons von Liguori zitieren, der nicht nur Kirchenlehrer und der Patron der Beichtväter und Moraltheologen ist, sondern eine der wohl prägendsten Gestalten auf dem Gebiet der Moraltheologie:

 

"Doch all dieses [Fragestellungen zur Sexualität] muss nur allzu häufig und allzu umfangreich Gegenstand der Beichten werden, da gerade aus diesem Grund der größte Teil der Verdammten zur Hölle gestürzt wird. Ja, ich zögere nicht, zu behaupten, wegen dieses einen Lasters der Unschamhaftigkeit, oder doch nicht ohne dieses, werden alle Verdammten verdammt."

(Zit. n. Schockenhoff, Die Kunst zu lieben)
 

Das ist aber kein zeitbedingter Spleen, sondern eine Auffassung, die angesichts der kath. Sexuallehre ziemlich naheliegend und nur wenig übertrieben wirkt. Heutzutage wird das kirchlicherseits offenbar nicht mehr so gerne zugegeben, vermutlich weil es wohl als peinlich empfunden wird, wenn der Eindruck entsteht, dass die Sexualität für die Kirche ein Riesen-Thema und das eigentliche Hauptproblem ist. Der Sachlogik nach ist sie das aber.

 

vor 4 Stunden schrieb Frey:

Die Kirche lehrt, dass Sexualität und Fortpflanzung untrennbar miteinander verbunden sind. Jede absichtliche Trennung – etwa durch die Pille oder Kondome – widerspricht dem „Schöpfungsplan Gottes“.

 

Das ist allerdings nicht der Beweis der These, dass Gott etwas gegen Verhütung hat, sondern kaum mehr als die Wiederholung dieser These in etwas anderen Worten. Es wäre zu zeigen, wieso es zum Schöpfungsplan Gottes gehört oder aus ihm folgt, dass bei der Sexualität und Fortpflanzung - und nur hier - sinnvolle menschliche Eingriffe in die Natur verboten sind.

 

Zitat

Die Sicht auf den Menschen als Schöpfung ist der maßgebliche Unterschied. Die befruchtete Eizelle ist nun mal aus katholischer Sicht zu 100% Gottes Geschöpf und deshalb nicht mit anderen Vorkommnissen der Natur vergleichbar - deswegen auch kein Fehlschluss.

 

Wenn die Verhütung die befruchtete Einzelle zum Absterben brächte, dann hättest Du recht. Insofern sind Verhütungsmittel, die eine nidationshemmende Wirkung entfalten können (also der Einnistung der Einzelle entgegenstehen), aus kath. Sicht in der Tat bedenklich bzw. sogar verboten.

Aber auf viele Verhütungsmittel - zum Beispiel Kondome - trifft das eben nicht zu. Sie schädigen in keiner Weise eine befruchtete Eizelle. Und unbefruchtete Einzellen (oder auch Spermien) sind nun beim besten Willen keine Menschen oder Personen. Gibt es dennoch eine besondere moralische Pflicht, Samenzellen und unbefruchtete Eizellen zu "schützen"? Pfürtner (Kirche und Sexualität) verneint dies mit überzeugenden Argumenten:

 

"Wo wäre im Koitus das im Entstehen befindliche menschliche Leben zu sehen und als etwas Unantastbares zu schützen? Doch offenbar im männlichen Samen oder im weiblichen Ei, und zwar vor der Befruchtung. Denn es ist von Empfängnisverhütung und nicht von Schwangerschaftsabbruch die Rede. Das aber kann angesichts unserer heutigen biologischen Kenntnisse nur als Phantasterei bezeichnet werden. Beim Mädchen sind in der Jugend im Durchschnitt 400000 reifungsfähige Primärfollikel angelegt. Es kommt zu etwa 400 Ovulationen vom Beginn der geschlechtlichen Reife bis zur Menopause. Beim geschlechtsreifen Mann finden sich 60 bis 200 Millionen pro ccm Spermien im Ejakulat. Hier hat 'die Natur' in einem so unvorstellbar üppigen Maß vorgesorgt, um die Arterhaltung sicherzustellen, daß die Vorstellung, dem Menschen könne eine sittliche Pflicht erwachsen, dieses potentielle Leben zu hüten, jenseits allen Vernünftigen liegt.
Gleichzeitig müßte man noch erklären, warum man unzählige Male - etwa auch bei koitalen Akten nach Zeitwahl - das 'potentielle Leben' wissentlich und absichtlich zugrunde gehen lassen darf. Nein, auf diesem Wege läßt sich für die Unantastbarkeit des 'natürlichen Ablaufs' des Koitus keine Beweisgrundlage finden."

 

Zitat

Künstliche Verhütungsmittel greifen nach kirchlicher Ansicht in die von Gott geschaffene natürliche Ordnung ein. 

 

Natürlich! Aber Eingriffe in die natürliche Ordnung sind doch etwas ganz Normales.

 

Zitat

Die Fruchtbarkeit wird als Geschenk betrachtet, das nicht wie eine Krankheit behandelt oder ausgeschaltet werden darf.

 

Zum einen schalten wir nicht nur krankhafte, sondern teilweise auch gesunde Funktionen aus - etwa wenn wir Analgetika verwenden oder Medikamente geben, die einer Gerinnung entgegenwirken.

 

Dass die Fruchtbarkeit ein "Geschenk" ist, und dass dieses Geschenk an und für sich wertvoll ist, bedeutet zudem keineswegs, dass die Verwirklichung der mit diesem Geschenk verbundenen Möglichkeiten auch zu jedem Zeitpunkt erstrebenswert oder sinnvoll wäre. Oder anders formuliert: Auch wenn Fruchtbarkeit etwas Gutes und ein Geschenk ist, heißt das nicht, dass es auch gut wäre, wenn der Mensch zu jedem Zeitpunkt Kinder zeugt. Es kann eben Umstände geben, in denen es durchaus sinnvoll ist, dass der Mensch kein Kind zeugt - und eben dennoch Sex hat. Warum sollte Gott in einer solchen Situation etwas dagegen haben, wenn der Mensch ein anerkanntermaßen legitimes Ziel mithilfe unschädlicher Mittel verfolgt?

 

Allein daraus jedenfalls, dass man jemandem ein Geschenk gibt, folgt noch keineswegs, dass man als "Geber" etwas dagegen haben müsste, wenn zeitweise eine Funktion des Geschenks blockiert wird. Nimm an, dass Du jemandem ein Artefakt gibst, welches normalerweise zwei Funktionen ausführt; dass es in einer konkreten Situation jedoch sinnvoll ist, dass nur die erste Funktion ausgeführt wird, die zweite aber nicht; und dass der von Dir Beschenkte die zweite Funktion daher vorübergehend technisch blockiert. 

Hättest Du dann etwas gegen sein Handeln, falls das zeitweise Blockieren der zweiten Funktion völlig unschädlich wäre und auch sonst nichts dagegen spräche? Würdest Du etwa sagen: 'Nun, die andere Person muss das Artefakt zwar nicht benutzen; aber wenn sie es schon benutzt, dann müssen auch beide Funktionen aktiv sein - selbst wenn es in dieser speziellen Situation absolut keinen Sinn ergibt, dass beide Funktionen aktiv sind!'

 

Doch gewiss nicht, oder? Kein vernünftiger Mensch hätte in solch einem Fall etwas gegen die Blockierung der zweiten Funktion; und zwar auch dann nicht, wenn diese Funktion "an und für sich" noch so gut wäre, und wenn ihre Ausführung unter anderen Umständen noch so sinnvoll wäre.

 

Wer das im Fall von Gott anders sehen will, müsste nicht nur begründen, wieso Gott in dieser Hinsicht angeblich restriktiver ist als selbst die allermeisten Menschen; sondern er müsste auch einen der folgenden Sätze als wahr behaupten:

 

- Gott will, dass immer dann, wenn ein Paar Sex hat und die Frau natürlicherweise fruchtbar ist, auch ein Kind entsteht (auch wenn die Entstehung eines Kindes gar nicht sinnvoll ist).

- Gott will zwar nicht, dass jedes mal, wenn ein Geschlechtsakt stattfindet, auch tatsächlich ein Kind entsteht - aber er will, dass eines entstehen kann (auch wenn die Entstehung eines Kindes gar nicht sinnvoll ist).

- Gott will zwar nicht, dass jedes mal, wenn ein Geschlechtsakt stattfindet, ein Kind auch nur entstehen kann; aber er hat trotzdem was dagegen, wenn der Mensch dafür sorgt, dass im konkreten Fall kein Kind entstehen kann.

 

Jede dieser Optionen erscheint aber doch als vollkommen irrational und sinnlos! Es wird Gott hier (und zwar ohne ersichtlichen Grund) ein Denken unterstellt, das nach allen menschlichen Maßstäben schlichtweg widersinnig wäre.

 

Und es ist ja noch schlimmer: Selbst wenn eine definitive Unfruchtbarkeit vorliegt - etwa nach Entfernung des Uterus und der Eierstöcke der Frau -, darf ein Ehepaar kein normales Kondom verwenden, um den Samen des Mannes (beispielsweise für eine medizinische Untersuchung) aufzufangen. Das Kondom muss vielmehr perforiert sein, damit doch noch eine winzige Samenmenge beim Akt austritt. Hier geht es also nicht einmal darum, dass der Geschlechtsverkehr fruchtbar sein soll (selbst wo es gar nicht sinnvoll ist, dass ein Kind entsteht), sondern nur darum, dass er so aussieht wie ein fruchtbarer Geschlechtsverkehr.

 

Anders gesagt: Der Geschlechtsverkehr muss laut kath. Lehre so geartet sein, dass hypothetisch ein Kind entstehen KÖNNTE, selbst wenn ein Kind weder entstehen soll noch entstehen kann!

 

Wie man aus der biologischen Natur des Menschen und der Annahme einer Schöpfung durch Gott begründen will, dass ebendies Gottes Wille sei, konnte mir noch keiner erklären - und noch weniger, was Gott dazu motivieren sollte, etwas derart Absurdes und vollkommen Sinnfreies zu wollen und zu gebieten. 

(Und man sage hier bitte nicht, dass Gott ja theoretisch ja ein Wunder wirken und Uterus und Eierstöcke nachwachsen lassen könnte. Wenn er das kann, kann er auch selbst ein Kondom durchlöchern und braucht dazu gewiss keine menschliche Hilfe.)

 

Zitat

Die Kirche ist nicht gegen Familienplanung an sich, erlaubt aber nur natürliche Methoden, die die Fruchtbarkeit nicht direkt ausschalten. In Zeiten veganer und auch sonst nachhaltiger Lebensweise inkl. Opferbereitschaft eine konsequente Haltung.

 

Was wäre daran konsequent? Konsequent wäre es, wenn man sagt, dass wir die (veganen) Lebensmittel so essen sollen, wie sie von Gott geschaffen wurden; dass wir also beispielsweise alles Gemüse stets roh essen sollen. Schließlich hat uns Gott das Gemüse als einen gesunden Teil der Natur geschenkt - und wir sollten Gottes Geschenk doch wohl nicht durch unnatürliche Eingriffe manipulieren und entstellen, sondern es so annehmen, wie Gott das in seinem Schöpfungsplan vorgesehen hat. Denn hätte Gott gewollt, dass wir das Gemüse in einem gekochten oder gebratenen Zustand essen, dann hätte er es auch entsprechend erschaffen. (Und eigentlich ist ja schon das Gemüse, wie wir es ernten, unnatürlich, weil es gezüchtet wurde - also sollten wir vielleicht zum ungezüchteten Gemüse zurückkehren.)

 

Und noch diese Randbemerkung: Für die Kirche ist das Verbot der Verhütung keine Empfehlung und kein Ideal, sondern eine absolute Norm.

 

Zitat

Die Kirche betont, dass natürliche Methoden (z.B. Zyklusbeobachtung) zur Familienplanung erlaubt sind, weil sie Selbstbeherrschung und verantwortungsvolles Handeln fördern. Künstliche Methoden hingegen würden leichtfertigen Umgang mit Sexualität begünstigen - meistens zu Lasten der Frau, die dem Mann häufiger zur Verfügung steht (=Empirie).

 

"Empirie" ist ein gutes Stichwort. Die gibt und gab es, etwa in Form zahlreicher systematisch erhobener Zeugnisse von "gut katholischen" Ehepaaren im Vorfeld von Humane vitae. Und diese Zeugnisse sprechen überwiegend eine ganz andere Sprache. Ein paar habe ich hier genannt, etwa diese:

 

"My husband is away on long business trips and unfortnately his company doesn’t take our calendar into consideration when he has to be gone all over this country and now all over the world. He has left on trips at the wrong time of the month and arrived, all in the same month, at the wrong time of the month. This problem is detrimental to family rapport..."

 

"I felt like a human thermometer ... My husband and I are very close and I felt like love was put on a business schedule. Instead of ‘I love you,’ I began to hear, ‘How’s your temperature?’"


Unter den Zeugnissen, die McClory (Turning Point) zitiert, war hingegen keines, das die kirchlichen Befürchtungen bestätigt hätte.

 

Im Übrigen fragt man sich, wieso ein Mann, wenn er schon seine Frau nicht respektiert und/oder unbeherrscht ist, denn nicht auch dann auf Triebbefriedigung drängen sollte, wenn die Frau ihre fruchtbaren Tage hat. Ranke-Heinemann spöttelt im Hinblick auf entsprechende von Ratzinger zitierte Äußerungen von Christa Meves: "Während die Einnahme der Pille seitens seiner Frau den Ehemann sich als Wüstling gebärden läßt, bewirkt die Nichteinnahme der Pille seitens der Frau, daß sich der Mann keusch und enthaltsam benimmt."

 

Zudem kann das "Argument", selbst wenn man seine Prämisse akzeptiert, auch nach hinten losgehen, wie Schockenhoff (a.a.O.) treffend bemerkt:

 

"Die Befürchtung, dass die Frau durch die artifizielle Kontrazeption zum ständig verfügbaren Genussobjekt des Mannes werde, verrät ein merkwürdiges Bild des Alltags ehelicher Liebe. Dieses Argument kann sogar zum Bumerang werden, da der Frau an den vom Kalender diktierten Zeiten erst recht keine Möglichkeit bleibt, sich dem Verlangen ihres Ehemanns zu entziehen."

 

In der Tat spricht sehr viel dafür, dass die allermeisten Frauen froh und dankbar sind, dass es Verhütung gibt - und dass gerade in Zeiten, in denen die Frau auch schlechter "nein" zu ihrem Mann sagen konnte, die Verhütung von den meisten Frauen erst recht als Geschenk empfunden wurde. Für die weithin positive Sicht der betroffenen Frauen auf die Verhütung spricht zudem auch, dass viele Leute, darunter auch viele Frauen, sich durch Humane vitae gegenüber der Kirche entfremdet haben. Aber die Probleme, Erfahrungen und Anliegen realer Frauen interessieren offenbar nicht.

 

Zitat

Die Kirche warnt, dass künstliche Verhütung zu ehelicher Untreue, einer „Aufweichung der sittlichen Zucht“ und zur Reduzierung der Frau auf ein Sexualobjekt führen könne.
Befürworter der kirchlichen Lehre argumentieren, dass sie die Würde des Menschen und das Glück der Familie wahrt, indem sie Sexualität in einen größeren Sinnzusammenhang stellt und vor einer „verzerrten Sichtweise“ schützt.


Weil die Kirche nicht von der Wirklichkeit ausgeht, sondern von ihren vorgefertigten Überzeugungen; weil sie von ihren vorgefertigten Überzeugungen ableitet, wie die Wirklichkeit auszusehen hat, anstatt ihre Überzeugungen an der Wirklichkeit zu messen. Das gilt nicht nur für die Verhütung, sondern allgemein für die Sexualität. Man schließt: 'Unsere Gebote kommen von Gott. Was Gott befiehlt, tut dem Menschen gut. Also tun unsere Gebote dem Menschen gut.'

 

Die Realität, so wie sie sich empirisch darstellt, interessiert die Kirche nicht. Wenn man beispielsweise sieht, was die Kirche über ihre Lehre schreibt, dann könnte man fast meinen, dass es keinen größeren Segen für den Menschen geben könne als eine streng kath. Sexualerziehung. Da kommt es zu einer wunderbaren Integration der Sexualität in den Menschen, gewiss zu einer glücklichen Ehe - und ich weiß nicht was noch. Wie es sich tatsächlich darstellt, darauf werfen die folgenden Zitate ein Licht. Ich beschränke mich auf ein paar:

 

"All clinicians interviewed unanimously supported the hypothesis of this research [dass die kath. Sexualmoral Leid und Schaden verursacht] as fact [...] These medical doctors, psychologists, psychiatrists, and sex therapists acknowledged that they each have treated numerous cases of people suffering damage from the strict observance of sexual orthodoxy in Protestant, Catholic, and Jewish denominations. Anxiety, fear, and guilt tend to be the major symptomatology in Catholics. Clinicians do not appear to value religion less--quite the contrary. However, they do universally reject the needless suffering and damage they view in Catholics and especially all the defense mechanisms religious people use to deny or repress this pathology."

(So M. Patton, siehe hier)

 

"There is abundant anecdotal evidence that sexual orthodoxy, whether Catholic, Protestant, or Jewish, is often associated with psychosexual pathology.16 Masters and Johnson reported that 20 to 25 percent of the caseload at their sexual dysfunction clinic were couples who could not consummate their marriage.17 After years of regarding sex as a sin, these couples had never learned to communicate sexually and to honor their sexuality."

http://www.hules.org/ESW/Files/CS_ch03.pdf

 

"Sexual deprivation can also result in sexual dysfunctions for women. It is now widely recognized that women who have never masturbated often have difficulty achieving orgasm. In their famous 1953 study of female sexuality, Alfred Kinsey and associates reported that if a woman has not had an orgasm by age 35, it is unlikely that she will ever have one. They pointed out that among women who had not experienced orgasm before marriage, 44% failed to have an orgasm during the first year of marriage. And they also compared devout Catholic married women with nominal, non-religious Catholic women, finding that 21% of the devout women had not had an orgasm by age 35, while only 2% of the non-religious women suffered from that dysfunction."

http://www.hules.org/ESW/Files/CS_ch03.pdf

 

"More than 100 reports in the scientific and professional literature, involving more than 35,000 subjects, indicate that rapists, child molesters, incestuous parents, and sexually motivated murderers are typically very conservative in their sexual and social values and sometimes more religious than average—suggesting that in many cases traditional sexual morality is a contributing factor in sexual abuse rather than a deterrent. At the First International Conference on the Treatment of Sex Offenders in 1989, there was broad agreement that Western societies with repressive sexual attitudes and traditional male/female roles are more likely to have high rates of all forms of sex crimes."

http://www.hules.org/ESW/Files/SCI_SUM2.pdf

 

Zusätzlich nehme man auch zahlreiche Erfahrungsberichte, wie ich einige etwa weiter oben im Thread hier zitiert habe.

 

Zitat

Ich finde, man kann mal ernsthaft darüber nachdenken.

 

Nachdenken ist immer gut, und dazu bin ich auch gerne selbst bereit. Und nach meinem Eindruck Du auch. Bei der Kirche habe allerdings den Verdacht, dass sie weniger nachdenken und hinschauen als belehren möchte. 

 

bearbeitet von iskander
Geschrieben
Am 12.5.2025 um 01:05 schrieb iskander:

 

Das liegt dann aber einfach daran, dass zumindest in erheblichen Teilend der Welt schon die Bischöfe und erst recht die Priester nicht so eifrig darin sind, alles umzusetzen, was der Papst vorgibt. Das ist also nicht der "Fehler" des Papstes und seiner Entourage, sondern es ist dies das "Versagen" der unteren Teile der Hierarchie. Dass hingegen das Lehramt selbst wirklich will, dass die Leute ihm folgen: Daran kann es wie dargelegt keinen vernünftigen Zweifel geben. Und es ist das Lehramt, das entscheidet, wo die Kirche als Institution steht und was ihre verbindliche Haltung ist. ...

Das bestätigt meine These, dass diese Morallehre (zumindest in Europa) kein Problem der Gläubigen, sondern eins des Lehramts ist. Trotzdem ist natürlich hinsichtlich der schädlichen Folgen jeder Einzelfall ein Fall zu viel. 

 

Ob das Lehramt wirklich will, dass diese Moral mehr als nur oberflächlich befolgt wird, davon bin ich noch nicht überzeugt. Nachdem du die Unsinnigkeit einer übersteigerten Einhaltung dieser Moral jetzt herausgearbeitet hast, würde mich interessieren, warum das Lehramt das trotzdem so vertritt. Ich halte es für unwahrschlich, dass ihm die Gegenargumente einfach nur nicht bekannt sind. Was sagen deine Quellen dazu? 

Geschrieben
vor 37 Minuten schrieb Merkur:

Nachdem du die Unsinnigkeit einer übersteigerten Einhaltung dieser Moral jetzt herausgearbeitet hast, würde mich interessieren, warum das Lehramt das trotzdem so vertritt.

Iskanders Arbeit in allen Ehren, aber er übersieht zwei Sachen. Zum einen ergibt die ganze Moral wenn man die Prämissen der Kirche zugrunde legt ja in sich einen Sinn. Das Ergebnis mag seltsam anmuten, aber es ist nicht "unsinnig" im eigentlichen Sinne.

 

Wenn ich es richtig verstanden habe, sieht Iskander auch zwei Knackpunkte: zum einen die Frage ob die Prämissen stimmen und zum anderen die viel spannendere Frage, warum das direkte Lehramt (also sprich Katecheten, Priester, Geistliche Begleiter, etc.) nicht auf die strikte Einhaltung der Moral pochen, obwohl es der Lehre nach dringend geboten wäre, sondern in weiten Teilen eher eine "tu, was Du verantworten kannst"-Moral vertreten.

 

Beide Fragen gehen nach meinem Verständnis letztlich auf die Problematik zurück, daß die Prämissen schlicht nicht mehr allgemeines Menschenbild sind. Die Deutungshoheit ist der Kirche an dieser Stelle abhanden gekommen und wurde durch das "wissenschaftliche" bzw. "humanistische" (beides in massivsten Anführungszeichen) de facto ersetzt. Die "Umerziehung" großer Teile der Bevölkerung in einer Umwelt, die völlig anders tickt, ist eine praktisch unlösbare Aufgabe. Es dürfte nur in sektenhaften, sehr kleinteiligen Strukturen mit extremer sozialer Kontrolle und gleichzeitig sehr sorgfältiger Abschottung nach außen denkbar sein, daß eine Gemeinschaft ein völlig anderes Verständnis von Mensch und Welt pflegt und ihre Mitglieder - insbesondere ihre Kinder - entsprechend erzieht. Der Islam bei uns beweist, daß das geht, aber für die Katholika ist das noch(!) aufgrund ihrer Größe und immer noch sehr öffentlichen Rolle schlicht nicht machbar.

 

Diese Problematik ist dem "Lehramt" (ab Bischof aufwärts) vielleicht bewusst, sie muss ihm aber gleichgültig sein. Als Bewahrer des wahren sprich richtigen Glaubens bzw. der korrekten Erfassung der (irdischen wie transzendenten) Realitäten, kann es von seiner Haltung nicht abweichen, da er "richtige Glauben" sonst "falsch" werden würde, was nicht passieren kann/darf.

 

Für Katecheten, Beichtväter, Begleiter, etc. wird es also vorallem ein suchen nach Anknüpfungspunkten sein, wo man die traditionelle Moral - vorausgesetzt derjenige teilt sie selbst überhaupt nocht - quasi "extern" begründen kann. Das ist nicht völlig unmöglich, wird aber vermutlich letztlich nicht wirklich konsistent wirken.

Geschrieben
vor 20 Minuten schrieb Flo77:

Beide Fragen gehen nach meinem Verständnis letztlich auf die Problematik zurück, daß die Prämissen schlicht nicht mehr allgemeines Menschenbild sind. Die Deutungshoheit ist der Kirche an dieser Stelle abhanden gekommen und wurde durch das "wissenschaftliche" bzw. "humanistische" (beides in massivsten Anführungszeichen) de facto ersetzt.

Welche Prämissen sind das und ab wann waren sie nicht mehr allgemeines Menschenbild? In welchem Punkt müßte man die Menschen anders sehen, damit diese Moral nicht nur als Alleinstellungsmerkmal, sondern auch als Verhaltensmaxime einen Sinn ergibt?

Geschrieben (bearbeitet)
vor 1 Stunde schrieb Merkur:

Welche Prämissen sind das und ab wann waren sie nicht mehr allgemeines Menschenbild? In welchem Punkt müßte man die Menschen anders sehen, damit diese Moral nicht nur als Alleinstellungsmerkmal, sondern auch als Verhaltensmaxime einen Sinn ergibt?

Ich denke dieser Wandel hat bereits während der Aufklärung eingesetzt und mit der Entwicklung der modernen Psychologie/Psychiatrie nochmal Fahrt aufgenommen.

 

Die Verschiebung der Sichtweise ist denke ich in drei Aspekte besonders sichtbar:

Zum einen wird Sexualität heute - ich spreche von unserem Kulturkreis - nicht mehr als "schmutzig" bzw. "befleckend" empfunden. Reste dieser Idee sind zwar noch im Unterbewusstsein vorhanden, aber der Gedanke, daß Sex z.B. eine Frau entwertet (im wahrsten Sinne des Wortes) ist heute schlicht nicht mehr haltbar. Das Konzept der "rituellen Unreinheit" ist im Bewusstsein der Masse weitgehend verschwunden.

 

Das andere ist die Gottesebenbildlichkeit die heute in einer weit "emanzipierten" Weise verstanden wird, als früher. Wie JP2 definierte, ist der Mensch in dem Moment in dem er zeugt bzw. empfängt "wie Gott". Während frühere Zeiten ein sehr viel fatalistischeres Verständnis und ein sehr viel hierarchischeres Verständnis der Gottesbeziehung hatten, ist - zumindest in unserem Kulturkreis - an Stelle dieses monarchischen Konzepts in dem Gott dem Menschen eine Teilhabe an seiner Macht zu einem bestimmten Zweck - und nur zu diesem - gewährt, ein "demokratischeres" getreten, in dem Gott bzw. Jesus als "auf Augenhöhe" bzw. als "Freund" und "Bruder" wahrgenommen wird. Daher nimmt der moderne Mensch für sich weitaus mehr das "ich kann, also kann ich entscheiden" für sich in Anspruch.

 

Das dritte ist das Verständnis der Geschlechter und der Menschen untereinander. Waren frühere Zeiten durch sehr harte Hierarchien geprägt, die eine gewisse Willkür höherer gegen niedere ermöglichten und darüber hinaus Gehorsamsstrukturen beinhalteten, die nicht oder kaum in Frage gestellt wurden, sind westliche Gesellschaften sehr viel egalitärer. Entsprechend ist die Gehorsamsbereitsschaft stark eingeschränkt, was nicht nur in der Kirche zum Problem wird. Statt einer vorgegebenen Moral ist heute, wie in allen anderen Lebenslagen auch, der Konsens die Basis der Entscheidungsfindung.

 

Jede Zeit spiegelt sich in dem Gott, den sie braucht um zu überleben (auf diese Weise wurde der Berg-, Sturm- und Kriegsgott YHWH in Babylon ja auch zum Weltenherrscher - stark vereinfacht) und da spielt das Lehramt halt im Bereich der Moral im Moment nicht mehr mit, sondern will mit Rücksicht auf die Vorfahren den Status quo wahren.

bearbeitet von Flo77
Geschrieben
vor 16 Stunden schrieb iskander:

 

Die Statistiken sagen aber auch, dass sehr viele Menschen beispielsweise immer wieder sexuelle Gefühle und Gedanken haben. Und wenn all diese stets schwer sündhaft sind, sofern man ihnen "zustimmt" und sofern sie außerhalb des ehelichen Kontextes auftreten, ist das natürlich keine Kleinigkeit. Im Klartext bedeutet das nämlich dann die Gefahr der Hölle. Früher hat man das übrigens auch so gesagt; ich darf hier nur beispielsweise Alfons von Liguori zitieren, der nicht nur Kirchenlehrer und der Patron der Beichtväter und Moraltheologen ist, sondern eine der wohl prägendsten Gestalten auf dem Gebiet der Moraltheologie:

 

"Doch all dieses [Fragestellungen zur Sexualität] muss nur allzu häufig und allzu umfangreich Gegenstand der Beichten werden, da gerade aus diesem Grund der größte Teil der Verdammten zur Hölle gestürzt wird. Ja, ich zögere nicht, zu behaupten, wegen dieses einen Lasters der Unschamhaftigkeit, oder doch nicht ohne dieses, werden alle Verdammten verdammt."

(Zit. n. Schockenhoff, Die Kunst zu lieben)
 

Das ist aber kein zeitbedingter Spleen, sondern eine Auffassung, die angesichts der kath. Sexuallehre ziemlich naheliegend und nur wenig übertrieben wirkt. Heutzutage wird das kirchlicherseits offenbar nicht mehr so gerne zugegeben, vermutlich weil es wohl als peinlich empfunden wird, wenn der Eindruck entsteht, dass die Sexualität für die Kirche ein Riesen-Thema und das eigentliche Hauptproblem ist. Der Sachlogik nach ist sie das aber.

 

 

Das ist allerdings nicht der Beweis der These, dass Gott etwas gegen Verhütung hat, sondern kaum mehr als die Wiederholung dieser These in etwas anderen Worten. Es wäre zu zeigen, wieso es zum Schöpfungsplan Gottes gehört oder aus ihm folgt, dass bei der Sexualität und Fortpflanzung - und nur hier - sinnvolle menschliche Eingriffe in die Natur verboten sind.

 

 

Wenn die Verhütung die befruchtete Einzelle zum Absterben brächte, dann hättest Du recht. Insofern sind Verhütungsmittel, die eine nidationshemmende Wirkung entfalten können (also der Einnistung der Einzelle entgegenstehen), aus kath. Sicht in der Tat bedenklich bzw. sogar verboten.

Aber auf viele Verhütungsmittel - zum Beispiel Kondome - trifft das eben nicht zu. Sie schädigen in keiner Weise eine befruchtete Eizelle. Und unbefruchtete Einzellen (oder auch Spermien) sind nun beim besten Willen keine Menschen oder Personen. Gibt es dennoch eine besondere moralische Pflicht, Samenzellen und unbefruchtete Eizellen zu "schützen"? Pfürtner (Kirche und Sexualität) verneint dies mit überzeugenden Argumenten:

 

"Wo wäre im Koitus das im Entstehen befindliche menschliche Leben zu sehen und als etwas Unantastbares zu schützen? Doch offenbar im männlichen Samen oder im weiblichen Ei, und zwar vor der Befruchtung. Denn es ist von Empfängnisverhütung und nicht von Schwangerschaftsabbruch die Rede. Das aber kann angesichts unserer heutigen biologischen Kenntnisse nur als Phantasterei bezeichnet werden. Beim Mädchen sind in der Jugend im Durchschnitt 400000 reifungsfähige Primärfollikel angelegt. Es kommt zu etwa 400 Ovulationen vom Beginn der geschlechtlichen Reife bis zur Menopause. Beim geschlechtsreifen Mann finden sich 60 bis 200 Millionen pro ccm Spermien im Ejakulat. Hier hat 'die Natur' in einem so unvorstellbar üppigen Maß vorgesorgt, um die Arterhaltung sicherzustellen, daß die Vorstellung, dem Menschen könne eine sittliche Pflicht erwachsen, dieses potentielle Leben zu hüten, jenseits allen Vernünftigen liegt.
Gleichzeitig müßte man noch erklären, warum man unzählige Male - etwa auch bei koitalen Akten nach Zeitwahl - das 'potentielle Leben' wissentlich und absichtlich zugrunde gehen lassen darf. Nein, auf diesem Wege läßt sich für die Unantastbarkeit des 'natürlichen Ablaufs' des Koitus keine Beweisgrundlage finden."

 

 

Natürlich! Aber Eingriffe in die natürliche Ordnung sind doch etwas ganz Normales.

 

 

Zum einen schalten wir nicht nur krankhafte, sondern teilweise auch gesunde Funktionen aus - etwa wenn wir Analgetika verwenden oder Medikamente geben, die einer Gerinnung entgegenwirken.

 

Dass die Fruchtbarkeit ein "Geschenk" ist, und dass dieses Geschenk an und für sich wertvoll ist, bedeutet zudem keineswegs, dass die Verwirklichung der mit diesem Geschenk verbundenen Möglichkeiten auch zu jedem Zeitpunkt erstrebenswert oder sinnvoll wäre. Oder anders formuliert: Auch wenn Fruchtbarkeit etwas Gutes und ein Geschenk ist, heißt das nicht, dass es auch gut wäre, wenn der Mensch zu jedem Zeitpunkt Kinder zeugt. Es kann eben Umstände geben, in denen es durchaus sinnvoll ist, dass der Mensch kein Kind zeugt - und eben dennoch Sex hat. Warum sollte Gott in einer solchen Situation etwas dagegen haben, wenn der Mensch ein anerkanntermaßen legitimes Ziel mithilfe unschädlicher Mittel verfolgt?

 

Allein daraus jedenfalls, dass man jemandem ein Geschenk gibt, folgt noch keineswegs, dass man als "Geber" etwas dagegen haben müsste, wenn zeitweise eine Funktion des Geschenks blockiert wird. Nimm an, dass Du jemandem ein Artefakt gibst, welches normalerweise zwei Funktionen ausführt; dass es in einer konkreten Situation jedoch sinnvoll ist, dass nur die erste Funktion ausgeführt wird, die zweite aber nicht; und dass der von Dir Beschenkte die zweite Funktion daher vorübergehend technisch blockiert. 

Hättest Du dann etwas gegen sein Handeln, falls das zeitweise Blockieren der zweiten Funktion völlig unschädlich wäre und auch sonst nichts dagegen spräche? Würdest Du etwa sagen: 'Nun, die andere Person muss das Artefakt zwar nicht benutzen; aber wenn sie es schon benutzt, dann müssen auch beide Funktionen aktiv sein - selbst wenn es in dieser speziellen Situation absolut keinen Sinn ergibt, dass beide Funktionen aktiv sind!'

 

Doch gewiss nicht, oder? Kein vernünftiger Mensch hätte in solch einem Fall etwas gegen die Blockierung der zweiten Funktion; und zwar auch dann nicht, wenn diese Funktion "an und für sich" noch so gut wäre, und wenn ihre Ausführung unter anderen Umständen noch so sinnvoll wäre.

 

Wer das im Fall von Gott anders sehen will, müsste nicht nur begründen, wieso Gott in dieser Hinsicht angeblich restriktiver ist als selbst die allermeisten Menschen; sondern er müsste auch einen der folgenden Sätze als wahr behaupten:

 

- Gott will, dass immer dann, wenn ein Paar Sex hat und die Frau natürlicherweise fruchtbar ist, auch ein Kind entsteht (auch wenn die Entstehung eines Kindes gar nicht sinnvoll ist).

- Gott will zwar nicht, dass jedes mal, wenn ein Geschlechtsakt stattfindet, auch tatsächlich ein Kind entsteht - aber er will, dass eines entstehen kann (auch wenn die Entstehung eines Kindes gar nicht sinnvoll ist).

- Gott will zwar nicht, dass jedes mal, wenn ein Geschlechtsakt stattfindet, ein Kind auch nur entstehen kann; aber er hat trotzdem was dagegen, wenn der Mensch dafür sorgt, dass im konkreten Fall kein Kind entstehen kann.

 

Jede dieser Optionen erscheint aber doch als vollkommen irrational und sinnlos! Es wird Gott hier (und zwar ohne ersichtlichen Grund) ein Denken unterstellt, das nach allen menschlichen Maßstäben schlichtweg widersinnig wäre.

 

Und es ist ja noch schlimmer: Selbst wenn eine definitive Unfruchtbarkeit vorliegt - etwa nach Entfernung des Uterus und der Eierstöcke der Frau -, darf ein Ehepaar kein normales Kondom verwenden, um den Samen des Mannes (beispielsweise für eine medizinische Untersuchung) aufzufangen. Das Kondom muss vielmehr perforiert sein, damit doch noch eine winzige Samenmenge beim Akt austritt. Hier geht es also nicht einmal darum, dass der Geschlechtsverkehr fruchtbar sein soll (selbst wo es gar nicht sinnvoll ist, dass ein Kind entsteht), sondern nur darum, dass er so aussieht wie ein fruchtbarer Geschlechtsverkehr.

 

Anders gesagt: Der Geschlechtsverkehr muss laut kath. Lehre so geartet sein, dass hypothetisch ein Kind entstehen KÖNNTE, selbst wenn ein Kind weder entstehen soll noch entstehen kann!

 

Wie man aus der biologischen Natur des Menschen und der Annahme einer Schöpfung durch Gott begründen will, dass ebendies Gottes Wille sei, konnte mir noch keiner erklären - und noch weniger, was Gott dazu motivieren sollte, etwas derart Absurdes und vollkommen Sinnfreies zu wollen und zu gebieten. 

(Und man sage hier bitte nicht, dass Gott ja theoretisch ja ein Wunder wirken und Uterus und Eierstöcke nachwachsen lassen könnte. Wenn er das kann, kann er auch selbst ein Kondom durchlöchern und braucht dazu gewiss keine menschliche Hilfe.)

 

 

Was wäre daran konsequent? Konsequent wäre es, wenn man sagt, dass wir die (veganen) Lebensmittel so essen sollen, wie sie von Gott geschaffen wurden; dass wir also beispielsweise alles Gemüse stets roh essen sollen. Schließlich hat uns Gott das Gemüse als einen gesunden Teil der Natur geschenkt - und wir sollten Gottes Geschenk doch wohl nicht durch unnatürliche Eingriffe manipulieren und entstellen, sondern es so annehmen, wie Gott das in seinem Schöpfungsplan vorgesehen hat. Denn hätte Gott gewollt, dass wir das Gemüse in einem gekochten oder gebratenen Zustand essen, dann hätte er es auch entsprechend erschaffen. (Und eigentlich ist ja schon das Gemüse, wie wir es ernten, unnatürlich, weil es gezüchtet wurde - also sollten wir vielleicht zum ungezüchteten Gemüse zurückkehren.)

 

Und noch diese Randbemerkung: Für die Kirche ist das Verbot der Verhütung keine Empfehlung und kein Ideal, sondern eine absolute Norm.

 

 

"Empirie" ist ein gutes Stichwort. Die gibt und gab es, etwa in Form zahlreicher systematisch erhobener Zeugnisse von "gut katholischen" Ehepaaren im Vorfeld von Humane vitae. Und diese Zeugnisse sprechen überwiegend eine ganz andere Sprache. Ein paar habe ich hier genannt, etwa diese:

 

"My husband is away on long business trips and unfortnately his company doesn’t take our calendar into consideration when he has to be gone all over this country and now all over the world. He has left on trips at the wrong time of the month and arrived, all in the same month, at the wrong time of the month. This problem is detrimental to family rapport..."

 

"I felt like a human thermometer ... My husband and I are very close and I felt like love was put on a business schedule. Instead of ‘I love you,’ I began to hear, ‘How’s your temperature?’"


Unter den Zeugnissen, die McClory (Turning Point) zitiert, war hingegen keines, das die kirchlichen Befürchtungen bestätigt hätte.

 

Im Übrigen fragt man sich, wieso ein Mann, wenn er schon seine Frau nicht respektiert und/oder unbeherrscht ist, denn nicht auch dann auf Triebbefriedigung drängen sollte, wenn die Frau ihre fruchtbaren Tage hat. Ranke-Heinemann spöttelt im Hinblick auf entsprechende von Ratzinger zitierte Äußerungen von Christa Meves: "Während die Einnahme der Pille seitens seiner Frau den Ehemann sich als Wüstling gebärden läßt, bewirkt die Nichteinnahme der Pille seitens der Frau, daß sich der Mann keusch und enthaltsam benimmt."

 

Zudem kann das "Argument", selbst wenn man seine Prämisse akzeptiert, auch nach hinten losgehen, wie Schockenhoff (a.a.O.) treffend bemerkt:

 

"Die Befürchtung, dass die Frau durch die artifizielle Kontrazeption zum ständig verfügbaren Genussobjekt des Mannes werde, verrät ein merkwürdiges Bild des Alltags ehelicher Liebe. Dieses Argument kann sogar zum Bumerang werden, da der Frau an den vom Kalender diktierten Zeiten erst recht keine Möglichkeit bleibt, sich dem Verlangen ihres Ehemanns zu entziehen."

 

In der Tat spricht sehr viel dafür, dass die allermeisten Frauen froh und dankbar sind, dass es Verhütung gibt - und dass gerade in Zeiten, in denen die Frau auch schlechter "nein" zu ihrem Mann sagen konnte, die Verhütung von den meisten Frauen erst recht als Geschenk empfunden wurde. Für die weithin positive Sicht der betroffenen Frauen auf die Verhütung spricht zudem auch, dass viele Leute, darunter auch viele Frauen, sich durch Humane vitae gegenüber der Kirche entfremdet haben. Aber die Probleme, Erfahrungen und Anliegen realer Frauen interessieren offenbar nicht.

 


Weil die Kirche nicht von der Wirklichkeit ausgeht, sondern von ihren vorgefertigten Überzeugungen; weil sie von ihren vorgefertigten Überzeugungen ableitet, wie die Wirklichkeit auszusehen hat, anstatt ihre Überzeugungen an der Wirklichkeit zu messen. Das gilt nicht nur für die Verhütung, sondern allgemein für die Sexualität. Man schließt: 'Unsere Gebote kommen von Gott. Was Gott befiehlt, tut dem Menschen gut. Also tun unsere Gebote dem Menschen gut.'

 

Die Realität, so wie sie sich empirisch darstellt, interessiert die Kirche nicht. Wenn man beispielsweise sieht, was die Kirche über ihre Lehre schreibt, dann könnte man fast meinen, dass es keinen größeren Segen für den Menschen geben könne als eine streng kath. Sexualerziehung. Da kommt es zu einer wunderbaren Integration der Sexualität in den Menschen, gewiss zu einer glücklichen Ehe - und ich weiß nicht was noch. Wie es sich tatsächlich darstellt, darauf werfen die folgenden Zitate ein Licht. Ich beschränke mich auf ein paar:

 

"All clinicians interviewed unanimously supported the hypothesis of this research [dass die kath. Sexualmoral Leid und Schaden verursacht] as fact [...] These medical doctors, psychologists, psychiatrists, and sex therapists acknowledged that they each have treated numerous cases of people suffering damage from the strict observance of sexual orthodoxy in Protestant, Catholic, and Jewish denominations. Anxiety, fear, and guilt tend to be the major symptomatology in Catholics. Clinicians do not appear to value religion less--quite the contrary. However, they do universally reject the needless suffering and damage they view in Catholics and especially all the defense mechanisms religious people use to deny or repress this pathology."

(So M. Patton, siehe hier)

 

"There is abundant anecdotal evidence that sexual orthodoxy, whether Catholic, Protestant, or Jewish, is often associated with psychosexual pathology.16 Masters and Johnson reported that 20 to 25 percent of the caseload at their sexual dysfunction clinic were couples who could not consummate their marriage.17 After years of regarding sex as a sin, these couples had never learned to communicate sexually and to honor their sexuality."

http://www.hules.org/ESW/Files/CS_ch03.pdf

 

"Sexual deprivation can also result in sexual dysfunctions for women. It is now widely recognized that women who have never masturbated often have difficulty achieving orgasm. In their famous 1953 study of female sexuality, Alfred Kinsey and associates reported that if a woman has not had an orgasm by age 35, it is unlikely that she will ever have one. They pointed out that among women who had not experienced orgasm before marriage, 44% failed to have an orgasm during the first year of marriage. And they also compared devout Catholic married women with nominal, non-religious Catholic women, finding that 21% of the devout women had not had an orgasm by age 35, while only 2% of the non-religious women suffered from that dysfunction."

http://www.hules.org/ESW/Files/CS_ch03.pdf

 

"More than 100 reports in the scientific and professional literature, involving more than 35,000 subjects, indicate that rapists, child molesters, incestuous parents, and sexually motivated murderers are typically very conservative in their sexual and social values and sometimes more religious than average—suggesting that in many cases traditional sexual morality is a contributing factor in sexual abuse rather than a deterrent. At the First International Conference on the Treatment of Sex Offenders in 1989, there was broad agreement that Western societies with repressive sexual attitudes and traditional male/female roles are more likely to have high rates of all forms of sex crimes."

http://www.hules.org/ESW/Files/SCI_SUM2.pdf

 

Zusätzlich nehme man auch zahlreiche Erfahrungsberichte, wie ich einige etwa weiter oben im Thread hier zitiert habe.

 

 

Nachdenken ist immer gut, und dazu bin ich auch gerne selbst bereit. Und nach meinem Eindruck Du auch. Bei der Kirche habe allerdings den Verdacht, dass sie weniger nachdenken und hinschauen als belehren möchte. 

 

 

Die kirchliche Morallehre umfasst Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Barmherzigkeit, soziale Verantwortung, Wahrhaftigkeit und viele weitere Tugenden. Die Fixierung auf Sexualität als Hauptsünde ist eine historische Zuspitzung, die der Breite und Tiefe der katholischen Moraltheologie nicht gerecht wird.

 

Die katholische Kirche unterscheidet klar zwischen Versuchung, Gedanke und bewusster Zustimmung zur Sünde. Nicht jeder Gedanke oder jedes Gefühl ist schon eine schwere Sünde. Die Kirche weiß um die menschliche Schwäche und betont die Barmherzigkeit Gottes. Die Lehre von der Gnade, der Reue und der Möglichkeit zur Umkehr (Beichte) relativiert daher die Angst vor einer „ständigen Verdammnis“. Die Kirche lehrt, dass Gott niemandem eine Last auflegt, die er nicht tragen kann, und dass seine Barmherzigkeit jede menschliche Schwäche übersteigt (vgl. 1 Kor 10,13).

 

Die Reduktion der katholischen Moral auf Sexualsünden und Höllenangst ist eine Verkürzung. Die Kirche sieht den Menschen als zur Liebe und Freiheit berufen, anerkennt seine Schwächen und bietet Wege der Versöhnung und Heilung. Sie hält an der Würde der Sexualität fest, ohne sie zum Hauptproblem des Menschen zu machen. Die eigentliche Mitte des Glaubens ist nicht Angst, sondern die befreiende und heilende Liebe Gottes.

 

Du argumentierst, dass aus katholischer Sicht nur die befruchtete Eizelle als „zu 100% Gottes Geschöpf“ und damit als schützenswert gilt, während unbefruchtete Eizellen und Spermien keine moralische Relevanz hätten. Verhütungsmittel wie Kondome seien daher ethisch weniger problematisch als solche, die eine befruchtete Eizelle an der Einnistung hindern. Die Pflicht, „potenzielles Leben“ (Spermien, unbefruchtete Eizellen) zu schützen, wird als unvernünftig abgelehnt.

 

Die Argumentation greift zu kurz, weil sie die katholische Lehre auf den Schutz der befruchteten Eizelle reduziert. Aus katholischer Sicht ist aber nicht nur das Leben ab der Empfängnis schützenswert, sondern auch die Ganzheit und Würde des ehelichen Aktes. Künstliche Verhütung – auch ohne Zerstörung einer befruchteten Eizelle – widerspricht dem Schöpfungsgedanken, weil sie Liebe und Fruchtbarkeit trennt. Die Kirche fordert daher, Sexualität verantwortungsvoll und offen für das Leben zu leben, nicht aus biologischer, sondern aus personaler und theologischer Verantwortung heraus.

 

Es stimmt auch, dass der Mensch vielfach in die Natur eingreift. Doch nicht jeder Eingriff ist moralisch gleichwertig. Die Kirche unterscheidet zwischen Eingriffen, die dem Leben dienen, und solchen, die seine innere Ordnung zerstören.

Künstliche Verhütungsmittel sind aus katholischer Sicht deshalb abzulehnen, weil sie nicht nur „in die Natur eingreifen“, sondern den von Gott gewollten Zusammenhang von ehelicher Liebe und Weitergabe des Lebens willentlich auflösen.

Die Aufgabe des Menschen ist es, die Schöpfung zu achten und zu gestalten – aber immer im Einklang mit ihrer gottgegebenen Ordnung und ihrem inneren Sinn.

 

Die katholische Sicht auf Fruchtbarkeit gründet nicht in einer irrationalen oder lebensfremden Vorschrift, sondern in einer tiefen Wertschätzung für die Einheit von Liebe und Leben. Fruchtbarkeit ist Geschenk und Aufgabe zugleich – sie darf verantwortungsvoll gestaltet, aber nicht willentlich ausgeschaltet werden, ohne den Sinn des ehelichen Aktes zu verfälschen. Die Analogie mit einem technischen Gerät verfehlt die personale und schöpfungstheologische Dimension der Sexualität. Die Kirche fordert daher, Sexualität in Treue zur eigenen Berufung und in Offenheit für das Leben zu leben – als Ausdruck der Liebe, die Gott dem Menschen schenkt und die Eheleute einander schenken.

 

Die Kirche ist nicht gegen verantwortete Familienplanung, sondern bejaht ausdrücklich Methoden, die den natürlichen Rhythmus der Fruchtbarkeit achten (natürliche Familienplanung, NFP). Diese Methoden respektieren die vom Schöpfer vorgegebene Ordnung, weil sie das Leben nicht technisch ausschalten, sondern mit dem natürlichen Zyklus kooperieren. Der Mensch bleibt so offen für das Geschenk des Lebens und wahrt die Ganzheit des ehelichen Aktes.

Das kirchliche Verbot künstlicher Verhütung ist keine willkürliche Vorschrift, sondern Ausdruck einer tiefen Wertschätzung für die Würde des Menschen und der Sexualität. Es geht nicht um eine „Rohkost-Mentalität“, sondern um die Anerkennung, dass der Mensch nicht beliebig über die Schöpfung verfügen, sondern sie in Verantwortung gestalten soll. Die Natur des Menschen ist nicht bloß Material, sondern trägt eine göttliche Ordnung in sich, die zu achten ist.

 

Die katholische Lehre zur Familienplanung ist nicht gegen das Glück und die Freiheit der Frau gerichtet, sondern will die Ganzheit und Würde der ehelichen Liebe schützen. Natürliche Methoden fördern die bewusste, gemeinsame Verantwortung und die Achtung vor der Schöpfungsordnung. Auch wenn es unterschiedliche Erfahrungen gibt, bleibt das Ideal einer Liebe, die offen für das Leben ist und beide Partner in ihrer Würde achtet, ein wertvoller Maßstab – gerade in einer Zeit, in der Sexualität oft banalisiert oder instrumentalisiert wird.

 

Die katholische Kirche gründet ihre Lehre auch nicht auf blinden Dogmatismus, sondern auf eine jahrtausendealte Reflexion über den Menschen, seine Würde und seine Berufung. Sie nimmt die Realität sehr wohl ernst, aber sie betrachtet den Menschen in seiner Ganzheit – als leibliches, seelisches und geistiges Wesen. Die Kirche weiß, dass nicht jede empirische Beobachtung automatisch zur Wahrheit über den Menschen führt. Sie prüft, was dem Menschen langfristig dient, nicht nur, was kurzfristig angenehm erscheint. Die Prinzipien der Kirche sind nicht willkürlich, sondern Ausdruck einer tiefen Sorge um das wahre Glück und die Freiheit des Menschen.

 

Es ist unbestreitbar, dass Menschen unter einem falsch verstandenen oder lieblos vermittelten Moralverständnis leiden können. Doch das ist kein Beweis gegen die Wahrheit der Lehre, sondern ein Auftrag an Seelsorge und Verkündigung, diese Lehre mit Barmherzigkeit, Verständnis und Einfühlungsvermögen zu vermitteln. Die Kirche lehrt nicht, um Schuldgefühle zu erzeugen, sondern um zur Freiheit in der Wahrheit zu führen (vgl. Joh 8,32). Die Erfahrung von Schuld kann auch ein heilsamer Anstoß zur Umkehr und zum Wachstum sein, wenn sie von der Barmherzigkeit Gottes getragen wird.

Viele Menschen erleben gerade durch die Orientierung an der kirchlichen Sexualmoral eine tiefere Beziehungsqualität, Treue und Sinnhaftigkeit in ihrer Sexualität.

 

Die angeführten Studien und Zitate sind selektiv und oft nicht repräsentativ. Es gibt ebenso zahlreiche Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen in stabilen, werteorientierten Ehen glücklicher, gesünder und zufriedener leben. Die Kirche fordert nicht Unterdrückung, sondern Integration der Sexualität in die Gesamtpersönlichkeit. Die Reduktion von Sexualität auf Triebbefriedigung führt nachweislich zu Entfremdung, Vereinsamung und Beziehungslosigkeit.

Zudem ist die Annahme, dass eine freizügigere Sexualmoral automatisch zu mehr Glück führt, empirisch keineswegs belegt – im Gegenteil: Gesellschaften mit permissiver Sexualmoral kämpfen oft mit Instabilität von Beziehungen, Vereinsamung und Identitätskrisen.

 

Das kirchliche Lehramt versteht sich nicht als autoritäre Instanz, die Menschen bevormundet, sondern als Dienst an der Wahrheit und am Heil der Menschen. Die Kirche sieht ihre Aufgabe darin, Orientierung zu geben, damit Menschen in Freiheit und Verantwortung leben können.

Lehre und Nachdenken schließen sich nicht aus – im Gegenteil: Die Lehre der Kirche ist das Ergebnis jahrhundertelanger Reflexion, Erfahrung und geistlicher Unterscheidung.

Geschrieben
vor einer Stunde schrieb Frey:

 

Die angeführten Studien und Zitate sind selektiv und oft nicht repräsentativ. Es gibt ebenso zahlreiche Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen in stabilen, werteorientierten Ehen glücklicher, gesünder und zufriedener leben. Die Kirche fordert nicht Unterdrückung, sondern Integration der Sexualität in die Gesamtpersönlichkeit. Die Reduktion von Sexualität auf Triebbefriedigung führt nachweislich zu Entfremdung, Vereinsamung und Beziehungslosigkeit.

Zudem ist die Annahme, dass eine freizügigere Sexualmoral automatisch zu mehr Glück führt, empirisch keineswegs belegt – im Gegenteil: Gesellschaften mit permissiver Sexualmoral kämpfen oft mit Instabilität von Beziehungen, Vereinsamung und Identitätskrisen.

Moment, Moment, Moment.

 

Daß es bestimmte Parameter bzw. Aspekte der kirchlichen Sexualmoral gibt, die sich positiv auswirken können und "glücklich machen" hat niemand bestritten. 

 

Darum geht es aber überhaupt nicht.

 

Beispiel: Sowohl unehelicher Sex als auch Selbstbefriedigung, insbesondere die medienunterstützte, können prinzipiell zu den von Dir genannten negativen Folgen Vereinsamung, Entfremdung und Beziehungslosigkeit führen. KÖNNEN, aber sie müssen(!) nicht. Die kirchliche Sexualmoral hat nicht das Wohl des Menschen im Blick in dem Sinne, daß sie ihn vor psychologischen Schäden bewahren will. Ihre Motivation ist das Himmelreich und die Vollkommenheit. Partnerschaftliches Glück ist für Personen die nicht heiraten (können) von der Kirche allenfalls dann zugestanden, wenn sie ihre Sexualität weder allein noch miteinander ausleben. Wobei auch das allenfalls indirekt, aber ich wüsste ad hoc keine lehramtliche Aussage, die uneheliche Lebensgemeinschaften irgendwie zu stärken versuchen würde.

 

Die Kirche kennt an dieser Stelle nur schwarz oder weiß aber nichts dazwischen und sie erlaubt kein "Ausprobieren". Weder ist Sex zwischen Unverheirateten in einer festen Hetero-Beziehung statthaft noch und erst recht nicht in einer schwulen oder lesbischen Zivilehe. Und Selbstbefriedigung ist wider jede Natur ohnehin jedem und immer verboten. Es hält sich kaum ein gesunder Mensch dran und das wird in den letzten 2.000-10.000 Jahren nicht anders gewesen sein, aber die Kirche hat spätestens seit Augustinus (ausgerechnet) an der Idee festgehalten, daß solcherley mit schweren Strafen belegt werden muss. Geschichten über Jungs, die für das Spielen mit sich selbst verdroschen wurden gibt es bis ins 20. Jahrhundert hinein. Von den Millionen Vaterunsern und AveMaria die dafür aufgebrummt wurden mal ganz abgesehen.

 

Zum Rest was zu schreiben spar ich mir, sonst wird das hier zu lang.

Geschrieben

Man kann doch ganz einfach nüchtern konstatieren, dass wohl mehr als 90 % der "praktizierenden" und zugleich sexuell aktiven Katholiken seit den 60er Jahren und dann natürlich endgültig in den 70er und 80er Jahren im Hinblick auf Humanae Vitae in ihrer sexuellen Praxis anders abgebogen sind: Kondome / Pillen etc... wurden auch in katholischen Ehebetten als "effekive" Verhütungsmittel verwendet. Ab den 80er Jahren setzte sich auch in katholischen Kreisen vorehelicher Sex als Bestandteil der Partnerschaft / Freundschaftsbeziehung durch. 

 

Der Hintergrund dieser sexuellen Praxis der allermeisten Katholiken ist, dass die "klassische" und "traditionelle"

( = "jahrhundertealte" ) Sicht des Lehramtes: der "eigentliche"Zweck der Sexualität ist die Zeugung von Nachkommen ( auch heute noch: Sex muss immer "zeugungsoffen" sein ), so nicht mehr geteilt wird: 

 

Die konkrete / Erfahrung der sexuell aktiven Katholiken ist eine vollkommen andere: die Sexualpädagogik hat es so zusammengefasst, dass praktizierte Sexualität immer mehrere Dimensionen / Aspekte ( "Zwecke" ) umfasst. Mir sind zumindestens 4 Aspekte erinnerlich: Beziehungsaspekt, Identitätsaspekt, Lustaspekt, Fruchtbarkeitsaspekt...

 

In der katholischen Morallehre hat sich aufgrund diesen "praktischen" Sexualerfahrungen von sexuell aktiven Katholiken die breit akzeptierte Erkenntnis durchgesetzt, dass diese verschiedenen Aspekte von Sexualität alle ihre Berechtigung haben, auch der Fruchtbarkeitsaspekt, dass diese Aspekte alle ihren Platz haben in einer Partnerschaft, aber nicht alle Aspekte bei jedem Geschlechtsverkehr realisiert werden müssen. Es genügt, wenn der Aspekt der "Fruchtbarkeit" in der Partnerschaft insgesamt nicht grundsätzlich ausgeschlossen wird.

 

Biografisch sind zunächst der Lustaspekt und Beziehungsaspekt vorrangig, kommt es zur biografischen Phase der "Familiengründung", bekommt natürlich für mehrere Jahre der Aapekt der "Fruchtbarkeit" große Bedeutung. Ist diese "Familienphase" abgeschlossen, sind die anderen Aspekte wieder wichtig und nach der Menopause macht der "Fortpflanzungsaspekt" keinerlei Sinn mehr.... 

 

Entscheidend scheint mir, dass die lehramtliche Sexualmoral noch immer im Grundsatz lustfeindlich ist. Sexuelles Begrehren und sexuelle Lust werden nicht in sich als etwas Schönes und "Gutes" gesehen, sie müssen stets "eingebettet" sein in Zeugung von Nachkommenschaft. 

 

Weiterführend könnte durchaus sein das Hohelied Salomos....

Geschrieben

Es tut mir leid, dass ich nicht auf alles auf einmal antworten kann. Da ich zuletzt vor allem in der Diskussion mit @Frey war, versuche ich, ihm zuerst zu antworten, was aber keine Wertung darstellen soll.

Geschrieben
vor 20 Stunden schrieb Flo77:

Beide Fragen gehen nach meinem Verständnis letztlich auf die Problematik zurück, daß die Prämissen schlicht nicht mehr allgemeines Menschenbild sind.

 

Das ist richtig. Allerdings ist das "allgemeine Menschenbild" eben nicht das christliche, sondern eher dualistisch-utilitaristisch geprägt (das stelle ich nicht zuletzt häufig bei mir selbst fest). Moderne technische wie naturwissenschaftliche Entwicklugnen tragen natürlich noch dazu bei.

Geschrieben (bearbeitet)

Damit es nicht allzu sehr zur Überlänge kommt, antworte ich einmal in zwei Teilen.

 

Teil I

 

vor 17 Stunden schrieb Frey:

Die angeführten Studien und Zitate sind selektiv und oft nicht repräsentativ. Es gibt ebenso zahlreiche Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen in stabilen, werteorientierten Ehen glücklicher, gesünder und zufriedener leben.

 

Man kann die Sexuallehre der kath. Kirche grob in zwei Teile aufgliedern: in einen mehr oder weniger vernünftigen und in einen - sagen wir es einmal neutral - kontroversen Part. Ich kritisiere den kontroversen Part, nicht den mehr oder weniger vernünftigen. Du antwortest mir aber immer wieder so, als würde ich genau das Gegenteil tun. 

Dass Menschen von stabilen Beziehungen profitieren, leugne ich beispielsweise nicht, und das tun auch die von mir zitierten Studien nicht. Diese sprechen vielmehr dafür, dass die kath. Sexualmoral (oder eine ähnliche) in ihren rigorosen, umstrittenen Zügen schädlich ist. Ich kritisiere die kath. Sexualmoral also nicht insoweit, als sie positive Werte vermittelt, sondern insoweit sie alles und jedes verbietet und zur (schweren) Sünde erklärt.

 

Zitat

Die katholische Kirche unterscheidet klar zwischen Versuchung, Gedanke und bewusster Zustimmung zur Sünde. Nicht jeder Gedanke oder jedes Gefühl ist schon eine schwere Sünde.

 

Natürlich - entsprechend habe ich es ja auch dargestellt. Aber das löst das Problem nicht. Die Wahrscheinlichkeit, das Menschen auch mal irgendwann sexuellen Gedanken oder Gefühlen "zustimmen" oder gar sexuelle Handlungen begehen, ist beträchtlich. Zudem läuft diese Moral zumindest implizit darauf hinaus, dass der Mensch idealerweise bis zur Eheschließung (wenn es denn eine gibt) ein völlig asexuellen Wesen sein sollte. Sexuelle Gedanken und Gefühle sind schließlich selbst dann, wenn sie nicht direkt zur Sünde führen, immerhin Gefahr zur Sünde. Pfürtner dazu:

 

"Was wurde in der kirchlichen Literatur und Predigtverkündigung eigentlich unter «Reinheit der Jugend» verstanden und als christliches Ideal hingestellt? «Im Bewußtsein des Rechtes und der Pflicht des Apostolischen Stuhles, wenn nötig mit Autorität in die sittlichen Fragen einzugreifen ... erklären wir heute den Erziehern und der Jugend selbst: Das göttliche Gebot der Reinheit der Seele und des Leibes gilt ohne Abschwächung auch für die heutige Jugend. Auch sie hat die sittliche Pflicht und, mit Hilfe der Gnade, die Möglichkeit, sich rein zu erhalten», äußerte PIUS XII. (1952 a, S. 884) in einer Ansprache.[...]  «Wir weisen also die Behauptung derer als irrig zurück, welche die Niederlagen in den Jahren der Pubertät für unvermeidbar halten, für Dinge, die es nicht verdienen, daß man von ihnen viel Aufhebens macht, als wären sie keine schwere Schuld, weil die Leidenschaft, wie jene hinzufügen, die Freiheit, die für die sittliche Verantwortlichkeit einer Handlung notwendig ist, gewöhnlich aufhebe» (PlUS XII. 1952 a, S. 884)? [...]"

 

Und Pfürtner kommentiert:

 

"Nirgends wird der Reifeprozeß zur genitalen Sexualität als positives Ereignis benannt, dessen man sich zuerst und vor allem dankbar freuen sollte. Statt dessen findet sich eine Verbalisation mit rein negativen Besetzungen: «die Niederlagen in den Jahren der Pubertät», «die Leidenschaft», die nicht «unvermeidbar» wäre, die «schwere Schuld», wenn man ihr erliegt, und die Aufforderung, von den Pubertätsvorgängen eben doch «viel Aufhebens» zu machen. [...] Was meint PIUS XII. mit der «Reinheit der Seele und des Leibes» bei Jugendlichen? [...] Im Grunde besagte das entworfene Leitbild, der Jugendliche solle bis zur Eheschließung ungeschlechtliches Wesen sein und jeden sexuellen Impuls als Sünde fliehen, bekämpfen oder - wenn nicht unterdrückbar - ihn wenigstens mit festem Willen ablehnen. Zu welchem Krampf und welcher Akrobatik hat das aber immer wieder geführt? Mit einer derartigen Projektion ging man selbstredend gründlich an den psychodynamischen Gegebenheiten jugendlicher Sexualität vorbei, machte die Pubeszenten, zumal die männlichen, in Scharen zu Schuldigen, strapazierte ihr ohnehin in diesem Alter bedrohtes Selbstvertrauen und trieb viele aus der Sakraments- oder sogar aus der Kirchengemeinschaft heraus. Verschärft wurde dieser Konflikt im Falle von Verlobten, die in ihrem moralischen und religiösen Gewissen aufgerufen wurden, sich einerseits vor der Ehe aller direkt oder indirekt gewollten sexuellen Regung zu enthalten, andererseits sich aber für die Ehe-und Geschlechtsgemeinschaft vorbereiten und nach der Trauung liebende Ehegatten sein sollten."
 

Zitat

Die Reduktion der katholischen Moral auf Sexualsünden und Höllenangst ist eine Verkürzung. Die Kirche sieht den Menschen als zur Liebe und Freiheit berufen, anerkennt seine Schwächen und bietet Wege der Versöhnung und Heilung. Sie hält an der Würde der Sexualität fest, ohne sie zum Hauptproblem des Menschen zu machen.

 


Die Sache ist recht einfach: Wenn die kath. Lehre richtig ist, dann führt wie gesagt jede "gewollte" sexuelle Lust ohne Ehe, mindestens aber jede sexuelle Handlung ohne Ehe in die Hölle, sofern nicht entweder schwerwiegende schuldmindernde Gründe vorliegen oder noch rechtzeitig eine Beichte oder eine "vollkommene Reue" mit Beichtvorsatz erfolgt ist. So ist das, und daran ändert all die beschworene Liebe Gottes laut offizieller Lehre nicht. Diese Liebe zeigt sich vielleicht darin, dass Gott dem Menschen die Gnade gibt, die "schwere Sünde" zu meiden, und dass er ihm bei aufrichtiger Reue mit Beichte verzeiht. Sie hebt das Gesagte aber nicht auf,

 

Zitat

Es ist unbestreitbar, dass Menschen unter einem falsch verstandenen oder lieblos vermittelten Moralverständnis leiden können. 

 

Nicht nur darunter! Eine Lehre, die den Menschen für eine völlig normale und gesunde sexuelle Entwicklung mit Schuldgefühlen überhäuft, tut dem Menschen psychische Gewalt an. Eine solche Lehre verursacht bei empfänglichen Individuen nicht nur dann Leid, wenn sie "lieblos" vermittelt oder missverstanden wird, sondern auch dann, wenn sie richtig vermittelt und richtig verstanden wird.

 

Machen wir das doch einmal ganz konkret und betrachten wir erneut ein Beispiel, auf das ich schon hingewiesen hatte: Die Schilderungen einer inzwischen erwachsenen Frau im Hinblick auf ihre Jugend:

 

"I remember being caught masturbating too and being forced to go talk to an old man about it. Like, hey little girl, you need to go sit in a tiny room alone with an old man who you don’t know and describe your sexual urges to him because they’re evil and he will listen closely all about your pubescent body. And if you don’t do that, you’re burning in hell.

How is that okay? It makes me so mad that this is still happening to kids in catholic families. I wish there was a way to save them. It breaks my heart.

I’m angry that I thought this was normal. I’m especially angry that catholic shame distorted my idea of sex so badly that I’m well into adulthood and I still haven’t been able to maintain a healthy relationship with someone for more than a few months (almost every breakup I’ve had can be blamed on my distorted view of sex and of gender that I’m trying so hard to fix) [...]

My childhood was pretty much ruined because it was filled with constant shame and angst about the fact that I just have a female body and it just has hormones."

 

Klar, da mag manches auch problematisch vermittelt worden sein. Aber völlig unabhängig davon entspricht die Schilderung der Autorin (auch wenn sie sich etwas polemisch ausdrückt) doch ganz genau der offiziellen kirchlichen Lehre! Masturbation ist eine objektiv schwere Sünde; ohne gravierende schuldmindernde Gründe kann sie ohne Beichte in die Hölle führen. Die "Sünde" der Masturbation ist dem Beichtvater genau nach Art, Anzahl und Umständen zu berichten - und zwar selbst von Kindern und Jugendlichen.

Und nicht nur das: Alles, was ich gerade ausgeführt habe, gilt  für sämtliche sexuelle Gedanken, Gefühle, Impulse usw., denen "zugestimmt" wurde. Schließlich ist jede sexuelle Lust ohne Ehe, der jemand "zustimmt", offenbar auch heute noch "immer schwer sündhaft, mag sie auch noch so kurz und unbedeutend sein" (Jone). Persona humana sagt dasselbe. Auch hier besteht also die Beichtpflicht im Hinblick auf Art, Zahl und Umstände - jeder "unreine" Gedanke muss also genau thematisiert werden.

 

Das Mädchen muss dem erwachsenen Mann also tatsächlich alles über ihre sich entwickelnden Sexualität erzählen, solange sie diese nicht zu jedem Zeitpunkt entschieden abgelehnt hat. Zudem muss sie in diesem Fall bereuen, dass sie nicht jede sexuelle Lust und jedes sexuelle Gefühl nicht entschieden abgelehnt hat; dass sie also nicht ihr Bestes getan hat, um einem völlig asexuellen Wesen so gut wie nur möglich zu entsprechen. Und wenn sie von einer tiefen Reue und Zerknirschung erfüllt ist, ist es besser, als wenn nur die Angst vor der Hölle sie zur Beichte treibt - aber notfalls tut es sogar die Beichte aus Angst. 

 

Das ist also nicht einfach alles ein Missverständnis - das ist das richtige Verständnis!

 

Und wem das nicht gefällt, der sollte nicht den Boten kritisieren oder die Sache schön reden, sondern, wenn er das kann, auf eine Änderung hinwirken.

 

Ich habe übrigens schon mehrfach konservativen Katholiken die Frage gestellt, wie man jungen Menschen denn glaubwürdig vermitteln soll, dass ihre reale, konkrete sich entwickelnde Sexualität (und nicht nur eine völlig abstrakte oder künftige eheliche Sexualität) etwas Gutes ist, wenn diese Sexualität im Prinzip doch nichts ist als schwere Sünde oder aber zumindest Gefahr zur schweren Sünde.

Ich habe nicht ein einziges mal eine inhaltlich ernstzunehmende Antwort bekommen - nicht einmal. Meistens ernte ich sogar Schweigen.

 

Zitat

Die Erfahrung von Schuld kann auch ein heilsamer Anstoß zur Umkehr und zum Wachstum sein, wenn sie von der Barmherzigkeit Gottes getragen wird.

 

Die Erzeugung unbegründeter Schuldgefühle dafür, dass jemand ein Mensch ist und dass der Mensch auch schon vor der (eventuell stattfindenden) Hochzeitsnacht ein sexuelles Wesen ist, ist allerdings  weder heilsam noch barmherzig, sondern das Gegenteil davon.

 

Zitat

Die Kirche weiß um die menschliche Schwäche und betont die Barmherzigkeit Gottes. Die Lehre von der Gnade, der Reue und der Möglichkeit zur Umkehr (Beichte) relativiert daher die Angst vor einer „ständigen Verdammnis“. Die Kirche lehrt, dass Gott niemandem eine Last auflegt, die er nicht tragen kann, und dass seine Barmherzigkeit jede menschliche Schwäche übersteigt (vgl. 1 Kor 10,13).


Im Grunde läuft das aus meiner Sicht darauf hinaus, dass die Kirche den Menschen erst ein schlechtes Gewissen macht - und zwar für absolut nichts. Beziehungsweise dafür, dass sie eine völlig normale sexuelle Entwicklung an den Tag legen. Und nachdem die Kirche den Menschen schwere Schuld für völlig natürliche und völlig unschädliche Dinge aufgeladen hat, bietet sie "großzügig" die Vergebung an.

 

Und was die Kirche als "menschliche Schwäche" begreift, würde jeder andere schlichtweg als die simple Tatsache ansehen, dass Menschen sich sexuell entwickeln und sexuelle Wesen ist, und dass das etwas Normales und Gesundes ist.

Man könnte wohl sagen, dass es aus kath. Sicht eigentlich besser wäre, wenn es keine sexuelle Entwicklung und Reifung gäbe, sondern man am Tag der Hochzeit einfach einen Schalter umlegen könnte, der die sexuellen Bedürfnisse, Wünsche, Gefühle etc. erst aktiviert. Für die Kirche wäre doch der (bis zur Ehe) absolut asexuelle Mensch der Mensch in seiner besseren oder jedenfalls glücklicher zu schätzenden Form. Er müsste für jeden, der nicht völlig asexuell ist, zumindest bis zum Tag der Hochzeit beneidenswert sein.

 

Und es mag ja sein, dass Gott dem Menschen keine sinnlosen Lasten auflegt. Jesus hat ja zum Thema Sexualmoral sehr wenig gesagt. Aber die Kirche legt den Menschen eben sehrwohl schwere Lasten auf im Glauben, sie würde damit Gottes Wille exerzieren.

 

Im Übrigen läuft die "verständnisvolle" Pastoral doch darauf hinaus, dass die Kirche den Menschen dies sagt: 

 

'Ja gewiss, indem Du auch nur mal eine Sekunde in eine noch so kleine und unbedeutende sexuelle Lust einwilligst, beleidigst Du Gott objektiv auf furchtbare Weise. Aber Gottes Liebe und Barmherzigkeit sind so unermesslich groß, dass er Dir selbst solch abscheuliche Dinge verzeiht, wenn Du sie nur ehrlich bereust, beichtest und den festen Vorsatz hast, künftig mit großer Entschiedenheit selbst den kleinsten sexuellen Impuls von dir zu weisen - falls Du es schon nicht schaffen solltest, Dich in ein vollkommen asexuellen Wesen zu transformieren.'

 

(Ist es im Übrigen bei dieser Art von "Moral" verwunderlich, wenn dann bei verheirateten Paaren, die jahrelange entsprechend geprägt worden sind, sexuelle Funktionsstörungen auftreten?)

 

Zitat

Die kirchliche Morallehre umfasst Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Barmherzigkeit, soziale Verantwortung, Wahrhaftigkeit und viele weitere Tugenden. Die Fixierung auf Sexualität als Hauptsünde ist eine historische Zuspitzung, die der Breite und Tiefe der katholischen Moraltheologie nicht gerecht wird.

 

Die Bedeutung der Sexualität ergibt sich schlichtweg sachlogisch aus ihrer Lehre zur Natur und Bedeutung schwerer Sünden, aus ihrer Sexualmoral und aus den Tatsachen der realen Welt: Die meisten moralisch Leute begehen nicht die schweren Sünden des Mordes oder auch nur des Meineids, wohl aber "sexuelle Sünden" (die ja alle schwerwiegend sind). 

 

Dass die Kirche - durch ihre eigene Lehre - die Sexualität derart in den (negativen) Fokus schiebt, ist bedauerlich. Aber erneut: Wem das nicht gefällt, sollte sich, wen n er das kann, auf eine Änderung hinwirken statt das Problem zur Seite zu schieben.

 

Zitat

Es ist unbestreitbar, dass Menschen unter einem falsch verstandenen oder lieblos vermittelten Moralverständnis leiden können. Doch das ist kein Beweis gegen die Wahrheit der Lehre, sondern ein Auftrag an Seelsorge und Verkündigung, diese Lehre mit Barmherzigkeit, Verständnis und Einfühlungsvermögen zu vermitteln.


Wenn all das, was bisher gesagt wurde, Dich nicht dazu bewegen kann, die Sinnhaftigkeit der kath. Sexuallehre in der Sache selbst zu hinterfragen, sondern wenn Du dennoch dafür plädierst, dass man sie den Leuten weiterhin nahebringt (wenn auch mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen): Dann frage ich mich allerdings, ob es für Dich denn überhaupt Argumente geben könnte, die Dich diesbezüglich zum Überdenken dieses Moral-Systems bewegen könnten; und wenn ja, wie diese aussehen müssten.

bearbeitet von iskander
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Geschrieben
vor 27 Minuten schrieb iskander:

Ich habe übrigens schon mehrfach konservativen Katholiken die Frage gestellt, wie man jungen Menschen denn glaubwürdig vermitteln soll, dass ihre reale, konkrete sich entwickelnde Sexualität (und nicht nur eine völlig abstrakte oder künftige eheliche Sexualität) etwas Gutes ist, wenn diese Sexualität im Prinzip doch nichts ist als schwere Sünde oder aber zumindest Gefahr zur schweren Sünde.

Meine Vermutung und Erfahrung ist, daß Eltern, Katecheten und Lehrer dieses Thema üblicherweise gar nicht in den Grenzen Katholischer Lehre behandeln, sondern in diesem Bereich weitgehend dem gesellschaftlichen "Mainstream" folgen. Mir wäre kein einziger Fall in meinem Katholischen Umfeld bekannt, in dem einem Jugendlichen aus religiösen Gründen die Selbstbefriedigung oder eine voreheliche sexuelle Beziehung von den Eltern verboten worden wäre. Von der Frage der Durchsetzbarkeit mal ganz abgesehen.

 

Ich kenne zwar einen Fall in dem eine Mutter dem Kellog-Wahn verfallen ist, aber das war soweit ich weiß nicht religiös begründet.

 

Insofern dürfte die praktische Auswirkung dieser Lehre heute(!) relativ beschränkt sein.

 

Was bei der ganzen Sache aber auch noch im Raum steht ist die Frage nach der Erkenntnisfähigkeit. Damit etwas eine Sünde sein kann, muss

- der Sünder wissen, daß seine Handlung Sünde ist.

- verstehen, daß seine Handlung Sünde ist.

- er freiwillig einwilligen.

 

Sowohl Wissen als auch Verständnis halte ich in unseren Gesellschaften - und da sind wir wieder bei der Frage nach der Vermittlung von Normen und Werten und der Deutungshoheit über das Menschenbild - für großflächig nicht mehr gegeben.

Geschrieben (bearbeitet)

Teil II

 

vor 18 Stunden schrieb Frey:

Aus katholischer Sicht ist aber nicht nur das Leben ab der Empfängnis schützenswert, sondern auch die Ganzheit und Würde des ehelichen Aktes. Künstliche Verhütung – auch ohne Zerstörung einer befruchteten Eizelle – widerspricht dem Schöpfungsgedanken, weil sie Liebe und Fruchtbarkeit trennt. 

 

Und genau diese Behauptungen wären zu begründen: Dass die Würde des sexuellen Aktes es verbietet, dass Liebe und Furchtbarkeit getrennt werden - auch wenn sie von Natur aus ohnehin oft getrennt sind und wenn es im konkreten Fall durchaus als absolut sinnvoll erscheinen würde, sie künstlich zu trennen. Es wäre zu zeigen, dass diese "Ganzheit", die alle Sinngehalte verwirklicht, immer zu bestehen hat. Es wäre darzutun, worin diese "Ganzheit" im Fall von natürlicherweise unfruchtbaren Akten besteht, wenn man nicht in fragwürdiger Rhetorik den Begriff "Ganzheit" als "Abwesenheit menschlicher Eingriffe" ausbuchstabiert. Und es wäre darzulegen, warum ein menschlicher Eingriff zum Wohle des Menschen und ohne negative Folgen im Fall der Sexualität tatsächlich dem "Schöpfungsgedanken" widerspricht, nicht aber bei anderen Eingriffen in die Natur.

 

Die Tatsache jedenfalls, dass im Fall von Sexualität ein bestimmter biologischer Zusammenhang besteht, bedeutet noch nicht, dass dieser Zusammenhang in seiner unmittelbaren Faktizität einem kategorischen göttlichen Willen entsprechen müsste, welcher jedes menschliche Eingreifen ausschließt. Es gibt unzählige sinnvolle funktionale biologische Zusammenhänge und auch andere natürliche biologische Verhältnisse, die aus christlicher Sicht genauso in ihrem So-Sein auf Gott zurückgehen wie die Sexualität, und in die wir dennoch eingreifen, ohne dass jemand es bedenklich fände. Es wäre aufzuzeigen, woher wir angeblich wissen, dass im Fall der Sexualität - und nur dort - die Natur in ihrem faktischen Sein einer unberührbaren göttlichen Schöpfungsordnung entspricht. Andernfalls scheidet eine derartige "biologistische" Argumentation aus.

 

Zitat

Künstliche Verhütungsmittel sind aus katholischer Sicht deshalb abzulehnen, weil sie nicht nur „in die Natur eingreifen“, sondern den von Gott gewollten Zusammenhang von ehelicher Liebe und Weitergabe des Lebens willentlich auflösen.

 

Unter dem "von Gott gewollten Zusammenhang von ehelicher Liebe und Weitergabe des Lebens" können mehrere Dinge verstanden werden.

Zuerst einmal ist offensichtlich, dass, wenn Gott den Menschen und seine Sexualität erschaffen hat, er sicherlich auch wollte, dass es dem Menschen möglich sein möge, mithilfe seiner Sexualität Kinder zu zeugen. Man kann zudem vermuten, dass Gottes Wille zudem auch darin besteht, dass der Mensch (als Kollektiv, nicht notwendig als Einzelner) mithilfe seiner Sexualität tatsächlich Kinder zeugt. 

Zudem können wir an dieser Stelle um der Diskussion willen von mir aus auch noch die kath. Lehre mit hineinnehmen, dass Ehepartner unter bestimmten Umständen verpflichtet sind, Kinder zu zeugen.

Unabhängig vom zuvor Gesagten ist es zudem auch vernünftig, dass ein Paar, das Sex haben will oder gar Kinder zeugen will, sich wohl auch lieben sollte. Man mag die strikte Allgemeingültigkeit dieses Prinzips infragestellen (viele Ehen waren früher und sind in anderen Teilen der Welt auch heute noch oft keine Liebesehen) - aber dieses Punkt "schenke" ich der Kirche an dieser Stelle gerne. Ebenso lasse ich um der Diskussion willen (wenn auch nicht aus Überzeugung) gelten, dass nur Ehepaare Sex haben und (also) auch nur Ehepaare Kinder zeugen sollten.

 

Diese und die sich ergebenden Thesen könnte man dann so formulieren: Es existiert ein Zusammenhang zwischen Sexualität, Liebe und Zeugung derart, dass Gott will, 

- dass die Anlage der Sexualität zur Zeugung von Kindern genutzt werden kann

- dass diese Anlage unter bestimmten Bedingungen von Eheleuten auch tatsächlich dazu genutzt wird, um Kinder zu zeugen (und das impliziert, dass es auch fruchtbare sexuelle Akte geben soll)

- dass jeder (eheliche) Geschlechtsverkehr Ausdruck von Liebe sein muss
- dass nur Ehepaare Kinder zeugen sollen, und auch das nur in Liebe.

 

(Die letzten beiden Punkte beschrieben einen spezifischen Zusammenhang zwischen ehelicher Liebe und Zeugung.)

 

Aus nichts von alledem folgt aber, dass es einen göttlichen Willen gäbe, welchem entsprechend jeder sexuelle Akt stets auch fruchtbar sein müsste. Solches zu folgern, wäre ein Non sequitur. Man kann sich das, wenn nötig, ganz einfach daran klar machen, dass all die oben genannten Prinzipien, von denen wir annehmen, dass sie dem Willen Gottes entsprechen, auch dann vollkommen verwirklicht werden können, wenn es sexuelle Akte gibt, die aufgrund menschlicher Eingriffe nicht fruchtbar sind.

 

Um es vielleicht besser zu verdeutlichen, nehme ich ein Gegenbeispiel: Wenn das Ehepaar Müller gemäß dem göttlichen Willen verpflichtet ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt Kinder zu zeugen, dann kann es durchaus Gottes Willen widersprechen, wenn die Müllers zu eben jenem Zeitpunkt verhüten - einfach, weil ihr Verhalten der Erfüllung des göttlichen Willens entgegensteht bzw. diese Erfüllung unwahrscheinlicher macht. Wenn das Ehepaar Müller hingegen (zumindest zu diesem Zeitpunkt) nicht verpflichtet ist, Kinder zu zeugen, dann kann seine Verhütung auch nicht dem verpflichtenden Willen Gottes, dass es jetzt Kinder zeugen möge, entgegenstehen. Denn mit einem nicht-existenten Willen kann auch nichts in Konflikt geraten.

 

Das heißt: Aus dem Prinzip, dass Gott möchte, das manche Menschen unter manchen Bedingungen Kinder zeugen sollen, kann noch nicht gefolgert werden, dass kein Mensch, unter welchen Bedingungen auch immer, je verhüten dürfte. Die letztere These kann aber auch nicht aus einem der anderen obigen Prinzipien geschlussfolgert werden (sie kann also beispielsweise auch nicht aus der Aussage, dass Kinder nur in Liebe gezeugt werden sollen, abgeleitet werden).


Wenn man dennoch behaupten möchte, dass es einen "von Gott gewollten Zusammenhang von ehelicher Liebe und Weitergabe des Lebens" gibt, welcher so geartet ist, dass er die Verwerflichkeit der Verhütung impliziert, dann müsste man sagen, worin genau dieser Zusammenhang bestehen soll und wie man ihn begründen möchte. Zumindest die Prinzipien, die ich hier genannt habe, genügen dafür nicht.

 

Zitat

Die Aufgabe des Menschen ist es, die Schöpfung zu achten und zu gestalten – aber immer im Einklang mit ihrer gottgegebenen Ordnung und ihrem inneren Sinn.

 

 

Das ist aber wieder kein Beweis - denn die entscheidende, erst noch zu begründende Prämisse müsste lauten: 

 

'Wenn der Mensch mittels Verhütung in einer nach allen üblichen Maßstäben sinnvollen Weise in seine Sexualität eingreift, dann handelt er gegen die gottgegebene Ordnung und ihren inneren Sinn - während alle seine übrigen Eingriffe in die Natur, soweit sie vernünftig sind, völlig im Einklang mit der göttlichen Ordnung stehen.'

 

Davon abgesehen, dass diese These wie gesagt zu belegen wäre, scheint mir hier viel naheliegender, was Schockenhoff (Die Kunst zu lieben) bezugnehmend auf JPII schreibt:


"Die personalistische Rhetorik schreibt der Zeugungsoffenheit jedes einzelnen Aktes eine Bedeutung zu, die ihr in der alltäglichen Gestaltung des ehelichen Lebens nicht zukommt: „Die Würde der Person darf zwar in keiner Handlung verletzt werden, aber es muss auch nicht in jeder Handlung jede bloß mögliche und denkbare Vorstellung dieser Würde realisiert werden.“169 Deshalb verfängt auch der gegen die Kritik an der Argumentation von FC vorgetragene Einwand nicht, eine Lüge lasse sich nicht durch den Hinweis darauf rechtfertigen, dass man ansonsten meistens die Wahrheit sage. Wer einem anderen die ihm geschuldete Wahrheit vorenthält und ihn absichtlich in die Irre führt, verletzt sein Recht als Person und damit seine Würde. Dies ist jedoch nicht schon dadurch der Fall, dass mögliche positive Aspekte von Würde, die der integralen Entfaltung menschlichen Daseins dienen, nicht aktuell verwirklicht oder zeitweise aufgeschoben werden.170"

 

Zitat

Die katholische Sicht auf Fruchtbarkeit gründet nicht in einer irrationalen oder lebensfremden Vorschrift, sondern in einer tiefen Wertschätzung für die Einheit von Liebe und Leben.

 

Was soll das konkret bedeuten? Dass es der der personal verstandenen Natur der (ehelichen) Liebe widerspreche, wenn sie nicht immer biologisch fruchtbar ist - und zwar völlig unabhängig von den Umständen und den Wünschen und dem Verständnis der Betroffenen und ihrer Lebenssituation? Das wäre dann zwar kein "Biologismus", aber doch eine recht "steile" These, und man hätte sie gerne begründet.

 

Zitat

Fruchtbarkeit ist Geschenk und Aufgabe zugleich – sie darf verantwortungsvoll gestaltet, aber nicht willentlich ausgeschaltet werden, ohne den Sinn des ehelichen Aktes zu verfälschen.

 

Dass die Ausschaltung der Fruchtbarkeit auch dann, wenn sie als vernünftig erscheint, eine "Verfälschung des Sinnes des ehelichen Aktes" darstellt, wäre eben zu begründen. Es einfach zu behaupten, ist zu wenig. Es wäre aufzuzeigen, dass zum Sinn des ehelichen Aktes etwas gehört, woraus sich eine derartige Schlussfolgerung ergibt. 

Es wäre zudem aufzuzeigen, warum beispielsweise jemand, der fünf Kinder hat und dann künstlich verhütet, seiner Aufgabe, fruchtbar zu sein, weniger gut nachkommt als sein Nachbar, der ebenfalls fünf Kinder hat und dann NFP macht. Oder der auch nur zwei Kinder hat und dann NFP macht. Wenn wir unter dem Begriff "die mit der Fruchtbarkeit verbundene Aufgabe" das verstehen, was wir normalerweise unter ihm verstehen, dürfe ein solcher Aufweis allerdings ziemlich schwierig werden.

 

Zitat

Die Analogie mit einem technischen Gerät verfehlt die personale und schöpfungstheologische Dimension der Sexualität. 

 

Es geht hier keineswegs um des Aspekt des "technischen Geräts", sondern darum, dass wir normalerweise ganz allgemein wie folgt denken: 

 

'Wenn A und B zusammenzuhängen und wenn es aber im konkreten Fall sinnvoll ist, dass nur A geschieht, jedoch nicht B; und wenn zudem nichts dagegen spricht, B zu hemmen: Dann dürfen wir A auch verwirklichen und zugleich B hemmen.'

 

Es wäre darzutun, warum die "personale und schöpfungstheologische Dimension der Sexualität" es erfordern sollte, dass ein sexueller Akt auch dann fruchtbar ist, wenn es gar nicht wünschenswert ist, dass ein Kind entsteht - bzw. wenn es vielmehr wünschenswert ist, dass keines entsteht. 

Zudem wäre zu zeigen, wieso es geboten ist, dass ein unfruchtbarer Akt äußerlich einen fruchtbaren Akt imitieren muss, wenn eine Zeugung nicht nur nicht wünschenswert, sondern noch nicht einmal möglich ist. 

(Es entsteht zumindest der starke Eindruck, dass das wenig mit personalen Werten und viel mit einer Aktmoral zu tun hat, bei der die äußere Form des Aktes zum Selbstzweck wird.)

 

Kurz gesagt: Es müsste gezeigt werden, dass die Sexualmoral begründeterweise im gesamten Bereich der Ethik eine absolute Ausnahme darstellt, und dass in ihr so ziemlich alles, was sonst an moralischen Maßstäben und Erwägungen gilt, über Bord zu werfen ist.

 

Für mich sieht es offen gestanden so aus, dass man da Dinge behauptet, die zu Konsequenzen führen, welche schlichtweg unvernünftig anmuten - wie etwa die These, dass ein sexueller Akt fruchtbar bleiben muss, auch wenn er eigentlich gar nicht fruchtbar sein soll. Es stellt sich für mich des Weiteren so dar, dass dies mit Rekurs auf eine göttliche Ordnung postuliert wird, ohne dass jedoch aufgezeigt würde, wie dieses Argument denn in concreto funktionieren könnte. Und dass stattdessen die eigentlich zu beweisenden Thesen in suggestiv aufgeladener Weise wiederholt werden.

 

Zitat

Diese Methoden respektieren die vom Schöpfer vorgegebene Ordnung, weil sie das Leben nicht technisch ausschalten, sondern mit dem natürlichen Zyklus kooperieren.

 

Dass es einen fehlenden Respekt der vom Schöpfer vorgegebenen Ordnung darstellt, wenn man technisch in die biologische Natur eingreift - aber auch nur im Fall der Sexualität und nirgendwo sonst -, wäre eben gerade zu beweisen. Ansonsten könnte ein anderer ja auch mit dem gleichen Recht behaupten, dass der Mensch die von Gott selbst gewollte Integrität des menschlichen Körpers zu respektieren habe, und dass er daher menschliche Körperzellen nur dort gewinnen dürfe, wo diese im Einklang mit natürlichen Prozessen selbst vom Körper abgestoßen werden. Keinesfalls aber sei es dem Menschen gestattet, die gottgewollte Integrität des menschlichen Körpers zu verletzen und aus ihm gewaltsam und gegen die Ordnung der Natur Zellen zu entnehmen (etwa durch eine Blutabnahme). Zumal mit einem solchen Verstoß gegen die Ordnung der Natur auch gottgewollte und gesunde biologische Funktion ausgeschaltet würden.

 

Und ja, natürlich unterscheiden sich die Fälle Sexualität/Fruchtbarkeit und Unverletzlichkeit des Körpers. Aber daraus folgt noch nicht, das in dem einen Fall die gegebene biologische Natur in ihrer Faktizität unmittelbar Gottes Willen entspricht und im anderen nicht. Wer meint, dass manche biologischen Tatsachen, Prozesse und Funktionen ganz unmittelbar mit Gottes Willen übereinstimmen und andere nicht, müsste ein Prinzip (bzw. Kriterien) nennen, anhand dessen sich entscheiden lässt, in welche Kategorie welcher Vorgang gehört. Und die Geltung dieser Kriterien wäre dann überzeugend zu begründen. Bisher ist mir kein Ansatz bekannt, der auch nur einigermaßen plausibel machen würde.

 

Zitat

Der Mensch bleibt so offen für das Geschenk des Lebens und wahrt die Ganzheit des ehelichen Aktes.

 

Verzeih - aber aus meiner Sicht sind das einfach wolkige Sätze ohne Beweiswert, die im Grunde nur die eigentlich strittige These in einer wertenden Sprache wiederholen. Ihre scheinbare Überzeugungskraft, soweit eine solche bestehen mag, beruht eher auf Suggestivität und fehlender Differenzierung als auf analytischer Klarheit und einer stichhaltigen Argumentation. 

 

Zuerst einmal etwa wäre jemand, der NFP betreibt (oder komplett enthaltsam lebt), weil er unbedingt vermeiden möchte, dass ein Kind entsteht, in diesem Moment gewiss nicht "offen für das Leben". Zumindest nicht in einem konkreten Sinne. Man müsste die üblichen Begriffe ihres gewöhnlichen Sinnes entkleiden und in einer geradezu gewaltsamen Weise verfremden, um behaupten zu können, dass jemand, der mit größter Vorsicht und Konsequenz NFP betreibt, eo ipso "offener für das Leben" sei als jemand, der künstlich verhütet. (Oder ist mit der Wendung "Herr Müller ist offen für das Leben" einfach nur gemeint: "Herr Müller verhütet nicht"? Dann allerdings wäre der Satz, dass jemand, der nicht verhütet, offen für das Leben sei, eine nichtssagende Tautologie.)

 

Alsdann wird durch Deine Formulierung zumindest suggeriert, dass Gott einem eigentlich stets ein Kind schenken wolle, so dass jede Verhütung immer eine Zurückweisung des Geschenkes Gottes sei.

Nun mag man in einem konkreten Fall ja tatsächlich davon ausgehen, dass Gott einem im konkreten Fall ein Kind schenken möchte. Dann wäre es natürlich in der Tat gegen Gottes (angenommenen) Willen, zu verhüten, denn man würde sein Geschenk somit zurückweisen. Wenn Gott allerdings tatsächlich möchte, dass ein Paar ein Kind zeugt, dann sind natürlich auch NFP und völlige Enthaltsamkeit gegen Gottes Willen - denn auch mit ihnen verhindert der Mensch, dass Gott sein Ziel erreicht und dass der Mensch das Geschenk erhält, das Gott ihm geben möchte. (Genau genommen macht man es mit den meisten genannten Methoden, ob künstlich oder natürlich, nur unwahrscheinlicher.)

 

Was aber, wenn wenn es in einer bestimmten Situation absolut nicht wünschenswert wäre, wenn tatsächlich ein Kind gezeugt wird? Wenn nach menschlichem Ermessen davon auszugehen ist, dass Gott nicht will, dass ein Paar ein Kind zeugt, sondern will, dass kein Kind entsteht? Dann gibt es auch keinen Grund für die Annahme, dass Gott einem ein Kind schenken will - und damit auch keinen Grund, für ein solches Geschenk "offen" zu sein!

 

Durch vage Formulierungen, wie Dein obiger Satz sie exemplifiziert, werden relevante Gesichtspunkte und notwendige Differenzierungen nicht sichtbar, sondern bleiben im Dunkeln. Dadurch erscheint die Argumentation des Satzes stärker, als sie es tatsächlich ist. Das ist deswegen problematisch, weil ein Großteil der scheinbaren Plausibilität der Argumente für die kath. Sexualmoral in einer fehlenden begrifflichen Klarheit und argumentativen Präzision besteht, was zahlreiche Fehlschlüsse ermöglicht.

 

Ähnlich suggestiv ist die Formulierung mit der "Ganzheit des ehelichen Aktes": Diese Redeweise legt nahe, dass jeder sexuelle Akt zwingend so sehr mit dem Prinzip der Zeugung verbunden sei, dass ein Sexualakt ohne Zeugungsoffenheit nicht nur weniger gut ist als ein zeugungsoffener Sexualakt, sondern dass er sogar schlecht ist. Das ist aber eine starke These, die es nicht allein durch eine bestimmte Wortwahl suggestiv nahezulegen gälte, sonder zu beweisen.

(Genau genommen lautet die kirchl. Position der Sache nach aber natürlich nicht, dass jeder sexuelle Akt fruchtbar sein muss – sie lautet vielmehr, dass jeder sexuelle Akt entweder fruchtbar oder natürlicherweise unfruchtbar sein muss, dass aber keiner künstlicherweise unfruchtbar sein darf.)

 

Zitat

Es geht nicht um eine „Rohkost-Mentalität“, sondern um die Anerkennung, dass der Mensch nicht beliebig über die Schöpfung verfügen, sondern sie in Verantwortung gestalten soll.

 

Wir haben es immer wieder mit dem gleichen zu tun: Du tätigst Aussagen, die in dieser Art und Abstraktheit entweder von jedem vernünftigen Menschen oder zumindest von jedem Theisten oder Christen unterschrieben werden würden. Diese Sätze beweisen Deine Thesen aber gerade nicht. Im konkreten Fall wäre beispielsweise dies zu zeigen: 'Daraus, dass der Mensch nicht beliebig in die Schöpfung eingreifen darf, sondern dass er sie sie in Verantwortung gestalten soll, folgt, dass er selbst in einer Situation nicht verhüten darf, in welcher es gut ist, wenn kein Kind entsteht; in welcher es gut ist, wenn das entsprechende Paar Sex hat; und in welcher die Verhütung niemandem schadet.'

 

Du müsstest also zeigen, wieso eine Verhütung auch dort verantwortungslos sein soll, wo sie anerkanntermaßen verantwortungsvoll wäre, wenn man in der Sexualmoral die gleichen ethischen Maßstäbe der Beurteilung anwenden würde wie in jedem anderen Bereich der Ethik, anstatt dass man aus der Sexualmoral eine absolute Sondermoral macht.

 

Zitat

Die Natur des Menschen ist nicht bloß Material, sondern trägt eine göttliche Ordnung in sich, die zu achten ist.

 

Wieso widerspricht diese Aussage keineswegs der Maxime, dass der Mensch im allgemeinen vernünftig in biologische Prozesse eingreifen darf? Während sie der Maxime widerspricht, dass der Mensch vernünftig in sexuelle biologische Prozesse eingreifen darf?

 

Zitat

Die katholische Lehre zur Familienplanung ist nicht gegen das Glück und die Freiheit der Frau gerichtet, sondern will die Ganzheit und Würde der ehelichen Liebe schützen.

 

Sie will es vielleicht. Aber die Empirie spricht dagegen, dass dieses Bemühen besonders erfolgreich wäre.

 

Zitat

Auch wenn es unterschiedliche Erfahrungen gibt, bleibt das Ideal einer Liebe, die offen für das Leben ist und beide Partner in ihrer Würde achtet, ein wertvoller Maßstab [...]

 

Das erste ist eine ziemlich gnädige Formulierung dafür, dass die kirchliche Theorie, soweit sie sich auf die empirisch fassbare Welt bezieht oder man aus ihr etwas über diese ableiten kann, der Erfahrung eklatant widerspricht.

Und die implizite Behauptung, dass Partner, die verhüten, die Würde des anderen nicht achten, ist bis dato eine bloße Versicherung. Man muss zudem die Frage stellen, ob diese Behauptung nicht recht provokativ in den Ohren von Millionen von Menschen klingen muss, welche auch in schweren Zeiten in Liebe und Verantwortung zueinander stehen.

 

Zitat

Das kirchliche Verbot künstlicher Verhütung ist keine willkürliche Vorschrift, sondern Ausdruck einer tiefen Wertschätzung für die Würde des Menschen und der Sexualität.

 

Historisch stammt die Sexuallehre aus einer sexualfeindlichen Einstellung und hat sich aus dieser entwickelt. Wenn sie heute noch gilt, dann spricht sehr viel dafür, dass dahinter vor allem die Unfähigkeit steht, Fehler zuzugeben, und weniger irgendein hehrer Idealismus. Das habe ich hier am konkreten Beispiel näher dargelegt.

 

Zitat

Die katholische Kirche gründet ihre Lehre auch nicht auf blinden Dogmatismus, sondern auf eine jahrtausendealte Reflexion über den Menschen, seine Würde und seine Berufung.

 

Da muss ich nun doch Widerspruch anmelden. Die kath. Kirche mag in manchen Dingen ja durchaus reflektiert sein und ihre Erfahrung für ein tieferes Verständnis nutzen. Speziell hinter ihrer Sexuallehre steht eine starke Abwertung und Verdächtigung der Sexualität, die dazu geführt hat, dass lange Zeit allein der Wunsch, Kinder zu zeugen sowie die Ableistung der ehelichen Pflicht (auf Wunsch des Partners hin) als legitime und sündenfreie Motive für Sexualität galten. Im Extremfall ging es sogar so weit, dass laut manchen Autoren wie Gregor I. und Innozenz III. selbst noch die eheliche Sexualität, die allein um der Zeugung willen stattfand, sündhaft war - Lust könne nicht ohne Sünde sein. Über das Jahrtausende alte Verhältnis der Kirche zur Sexualität lässt sich vieles sagen - aber schwerlich, dass es durch "Reflexion" im Sinne von Nachdenklichkeit, Verstehen oder gar Weisheit geprägt gewesen sei. J. Noonan (Contraception) fasst die kirchliche Haltung, die selbst noch Jahrhunderte nach Gregor I. herrschte, so zusammen:

 

"[P]leasure in intercourse was, in the view of important authorities, always sinful, [...] the seeking of pleasure in intercourse could be mortal or, at best, venial sin, [...] love had no relation at all to acts of intercourse [...]."

 

Und genau auf diesem Boden hat sich letztlich die heutige kath. Sexualmoral mit ihren rigorosen Verboten entwickelt. Dort befindet sich ihre Wurzel. Das ganze positive Reden über die Sexualität und ihre "Heiligsprechung" sind letztlich Bemühungen, eine Moral, die im Geiste der Sexualfeindschaft entstand, in schönere, menschenfreundlichere Kleider zu stecken. Es passt aber nicht wirklich, und wenn die meisten Leute die kath. Sexualmoral als lustfeindlich und als Verbotsmoral verstehen, dann hat das seinen Grund.

Und wenn man etwas näher hinsieht, fällt ja auch schnell auf, dass die ganzen Lobeshymnen auf die Sexualität vor allem dazu dienen, rigorose Verbots-Normen zu begründen. Früher was die sexuelle Lust eben so böse, dass der Mensch im Hinblick auf die strengstens reglementiert werden musste, heute ist sie so "heilig", dass eine strenge Reglementierung unabdingbar ist. Diese Änderung der Rhetorik, hinter der sich eine erhebliche Kontinuität in der Sache verbirgt, ist wohl eher oberflächlicher als grundlegender Natur.

 

Zitat

Sie nimmt die Realität sehr wohl ernst, aber sie betrachtet den Menschen in seiner Ganzheit – als leibliches, seelisches und geistiges Wesen. Die Kirche weiß, dass nicht jede empirische Beobachtung automatisch zur Wahrheit über den Menschen führt. Sie prüft, was dem Menschen langfristig dient, nicht nur, was kurzfristig angenehm erscheint. Die Prinzipien der Kirche sind nicht willkürlich, sondern Ausdruck einer tiefen Sorge um das wahre Glück und die Freiheit des Menschen.


Ich schätze Deinen sachlichen Diskussionsstil, aber das klingt nun, verzeih es mir, doch etwas arg unkritisch - ja, wie fast ein wenig wie aus einer kirchlichen PR-Abteilung. Das könnte es auch in einem offiziellen kirchlichen Dokument stehen, und selbst da würde man es vielleicht heute etwas zurückhaltender formulieren. An solchen Stellen hört man überhaupt keine kritische Distanz bei Dir heraus; es scheint hier eher so, als würdest Du die kirchliche Selbsteinschätzung ohne Prüfung ihrer Plausibilität einfach direkt übernehmen.


Wenn ich Formulierungen die vom "wahren" Glück lese, muss ich unwillkürlich an einen Artikel denken, den ich neulich gelesen habe. Da war die Rede von einem ironisch so genannten "Vera-Prinzip" (vera (lat.) = wahr), welches Unbedarfte verwirrt. Wenn im Katholischen zum Beispiel von "wahrer" Freiheit und "wahrer" Gleichheit die Rede ist, dann ist damit nicht das gemeint, was man naheliegenderweise darunter verstehen würde, sondern etwas anderes. "Wahre" Gleichheit etwa bezeichnet wohl gewöhnlich eine "Gleichwertigkeit" bei klarer Unterordnung unter die Hierarchie, "wahre" Freiheit die Pflicht, seinem streng kath. Lehramt orientierten Gewissen zu folgen.

 

Ich weiß nicht, was das "wahre" Glück ist, aber ich bezweifle, dass man, ohne die Sprache zu verbeulen, sinnvollerweise dort von ihm sprechen kann, wo ganz offensichtlich viel unnötiges Leid und viel unnötiger Schaden verursacht wird.

 

Und ja, man kann aus der Empirie nicht unmittelbar moralische Urteile ableiten. Aber wenn eine bestimmtes moralische Lehre nach allem, was man sagen kann, dien Menschen erheblich schädigt und zahlreiche schlechte Früchte hervorbringt, spricht das gewiss nicht für sie. Jedenfalls dann nicht, wenn man an der Prämisse festhalten möchte, dass Gottes Gebote dem Menschen gut tun.

 

Zitat

Zudem ist die Annahme, dass eine freizügigere Sexualmoral automatisch zu mehr Glück führt, empirisch keineswegs belegt – im Gegenteil: Gesellschaften mit permissiver Sexualmoral kämpfen oft mit Instabilität von Beziehungen, Vereinsamung und Identitätskrisen.

 

Das ist eine sehr pauschale Aussage, und man müsste zuerst einmal genauer klären, was Du meinst und was Du als Vergleichspunkte nimmst. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang erneut Pfürtner zitieren:

 

"Schon KINSEY und Mitarb. (1967 b) hatten das Problem genannt, das mit der Enthaltsamkeitsmoral und ihrem 'Ausweg', der sogenannten 'doppelten Moral', erwächst. I. L. REISS (1970) ist diesem Zusammenhang sehr vielseitig nachgegangen. Das Ergebnis ist ebenso eindeutig wie für kirchliche Kreise herausfordernd. Es wird nämlich sichtbar, daß alle jene soziologischen Gruppen, die etwa voreheliche Beziehungen auf Grund ihrer Moral nicht akzeptieren, die Ausbildung einer Doppelmoral begünstigen. Man kann formell am geltenden Gesetz festhalten, sich aber informell, besonders als Mann, Auswege zur sexuellen Befriedigung jenseits der Norm suchen. Das Prinzip wird nicht bekämpft, in der Praxis richtet man sich jedoch nach den Bedürfnissen ein. [...] Diese Doppelmoral bringt nicht nur Verlogenheit und eine Art moralischer Schizophrenie mit sich, sondern sie ist auch sexualanthropologisch höchst bedenklich. Die Befragungsergebnisse weisen dies deutlich auf: 'Die Doppelmoral fördert Promiskuität; Menschen werden rücksichtslos zu Objekten der Befriedigung bestimmter Bedürfnisse gemacht; die Behandlung der Frauen steht im Widerspruch zu unserem Gerechtigkeitsbegriff; schließlich widerspricht die Doppelmoral Normen wie Liebe und Monogamie, betont körperorientierte Beziehungen und häufigen Partnerwechsel' (REISS 1970, S. 127). Diese Feststellungen werden durch GIESE und SCHMIDT (1968) sowie von KINSEY und seinen Mitarbeitern unter verschiedenen Gesichtspunkten bestätigt."

 

Und des Weiteren:

 

"So führen GIESE und SCHMIDT (1968, S. 233) einen Vergleich der von ihnen und der von MEIROWSKY und NEISSER 1912 befragten verheirateten Studenten an, dessen Resultat zu denken gibt: 'Das Vorkommen vorehelicher Koitus differiert ... nur geringfügig, denn in beiden Stichproben berichten fast alle (90 % bei uns, 99 % bei MEIROWSKY, NEISSER) der verheirateten Studenten über voreheliche Erfahrungen ... Von den Studenten MEIROWSKYS und NEISSERS hatten drei Viertel ihren ersten Koitus mit Prostituierten, 17 % mit 'Dienstmädchen, Kellnerinnen' und nur 4 % mit 'Bürgermädchen', das heißt mit einer Partnerin, die [seinerzeit] ... als möglicher Ehepartner in Frage gekommen wäre. Heute hingegen gibt die Hälfte der von uns befragten Studenten an, den ersten Koitus mit ihrer (späteren) Ehepartnerin ausgeführt zu haben. Zwei Fünftel geben eine Freundin an, die sie kürzer oder länger" kannten, und nur weniger als 10 % hatten ihren ersten Koitus mit einer Prostituierten.» [...]

Wenn die Ersterfahrungen auf sexuellem Gebiet bei der überwiegenden Zahl der Studenten nicht mehr in der Prostitution, sondern im Rahmen eines personal geprägten Partnerschaftsverhältnisses gewonnen werden, dürfte dies einen Schritt zur Humanisierung bedeuten. Sexualanthropologisch gesehen heißt das: 'Die Studenten von 1912 dissoziieren, die von 1966 integrieren Liebe und (voreheliche) Sexualität (GIESE und SCHMIDT 1968, S. 234). ['] [...]

Daher müssen die Kirchen sich unweigerlich der kritischen Anfrage stellen, wie weit sie durch ihre traditionelle Morallehre unmoralische Einstellungen und Verhaltensweisen fördern. Denn eine umfassende Verantwortlichkeit darf sich nicht nur mit der Aufstellung einer Norm begnügen, sie muß auch die tatsächliche Wirkung beachten, zumal man mit einer anderen Normierung deutlich werthöhere Realität erreicht [...]"

 

Man könnte dazu noch mehr sagen, aber ich belasse es erst mal dabei.

 

Zitat

Das kirchliche Lehramt versteht sich nicht als autoritäre Instanz, die Menschen bevormundet, sondern als Dienst an der Wahrheit und am Heil der Menschen. Die Kirche sieht ihre Aufgabe darin, Orientierung zu geben, damit Menschen in Freiheit und Verantwortung leben können.

 

Ja, dass die Kirche sich selbst so sieht, das glaube ich schon. Interessant wäre aber, ob sich zeigen lässt, dass dieses Selbstverständnis berechtigt ist - oder ob es bei der bloßen Behauptung bleibt. Insbesondere wäre auch interessant, ob sich die hier vorgebrachte und nun doch einigermaßen konkrete und auf Argumente gestützte Kritik an dem "rigiden" Part der kath. Sexualmoral entkräften ließe.

 

Zitat

Lehre und Nachdenken schließen sich nicht aus – im Gegenteil: Die Lehre der Kirche ist das Ergebnis jahrhundertelanger Reflexion, Erfahrung und geistlicher Unterscheidung.

 

Für mich sieht das in puncto Sexualität, wenn ich ehrlich sein darf, aus den schon genannten Gründen eher aus wie die Geschichte jahrhundertealter Vorurteile und Verkrampfungen.

bearbeitet von iskander
Geschrieben
vor 22 Minuten schrieb Flo77:

Meine Vermutung und Erfahrung ist, daß Eltern, Katecheten und Lehrer dieses Thema üblicherweise gar nicht in den Grenzen Katholischer Lehre behandeln, sondern in diesem Bereich weitgehend dem gesellschaftlichen "Mainstream" folgen. Mir wäre kein einziger Fall in meinem Katholischen Umfeld bekannt, in dem einem Jugendlichen aus religiösen Gründen die Selbstbefriedigung oder eine voreheliche sexuelle Beziehung von den Eltern verboten worden wäre. Von der Frage der Durchsetzbarkeit mal ganz abgesehen.

 

Dem will ich gar nicht widersprechen, zumindest nicht für Mitteleuropa (anderswo sieht es schon wieder etwas anders aus). Mir geht es mehr darum, wie konservative Katholiken mit dieser Schwierigkeit ihrer Position umgehen. Sehen Sie an dieser Stelle überhaupt eine Schwierigkeit? Wenn ja, wie gehen sie damit um? Ich denke, dass jemand, der sich vollständig hinterdie offizielle kath. Sexualmoral stellt, auch in der Lage sein müsste, auf eine solche Frage eine Antwort zu geben.

Geschrieben (bearbeitet)
vor 16 Stunden schrieb Flo77:

Daß es bestimmte Parameter bzw. Aspekte der kirchlichen Sexualmoral gibt, die sich positiv auswirken können und "glücklich machen" hat niemand bestritten. 

 

Darum geht es aber überhaupt nicht.

 

Richtig. Ich habe das ja an einem Beispiel zu veranschaulichen versucht: Wenn ein Mann bei seiner Frau bleibt, obwohl sie aus medizinischen Gründen keinen Sex haben können, dann ist das gut. Da stimmte ich der Kirche zu, und sehr viele würden das tun.

 

Wenn nun aber diese Eheleute strengstens verboten bekommen, jemand durch non-vaginale sexuelle Praktiken Intimitäten auszutauschen, obwohl beide das wollen, beide sich danach sehnen und beiden das gut täte: Dann sehe ich nicht mehr, warum das für den Menschen gut sein soll oder ihn glücklicher macht. Ebenso, wenn keine Selbstbefriedigung stattfinden darf und beide Partner auch niemals mehr einer sexuellen Lust "zustimmen" dürfen, sondern bis zum Lebensende strengstens asexuell leben müssen.

 

Wie ich es vorhin geschrieben habe:

 

"Man kann die Sexuallehre der kath. Kirche grob in zwei Teile aufgliedern: in einen mehr oder weniger vernünftigen und in einen - sagen wir es einmal neutral - kontroversen Part. Ich kritisiere den kontroversen Part, nicht den mehr oder weniger vernünftigen. Du antwortest mir aber immer wieder so, als würde ich genau das Gegenteil tun. 

Dass Menschen von stabilen Beziehungen profitieren, leugne ich beispielsweise nicht, und das tun auch die von mir zitierten Studien nicht. Diese sprechen vielmehr dafür, dass die kath. Sexualmoral (oder eine ähnliche) in ihren rigorosen, umstrittenen Zügen schädlich ist. Ich kritisiere die kath. Sexualmoral also nicht insoweit, als sie positive Werte vermittelt, sondern insoweit sie alles und jedes verbietet und zur (schweren) Sünde erklärt."

 

Die Formulierung mit dem "mehr oder weniger vernünftig" weil es neben Geboten, die ganz offensichtlich sind, auch solche geben mag und wohl gibt, die in einen Zwischenbereich fallen. Sie sind weder ganz offensichtlich vernünftig oder unvernünftig, sondern fallen gewissermaßen in einen Zwischenbereich, und  man kann über sie auch unter Nicht-Katholiken streiten.

 

bearbeitet von iskander
Geschrieben
vor 2 Stunden schrieb iskander:

Dem will ich gar nicht widersprechen, zumindest nicht für Mitteleuropa (anderswo sieht es schon wieder etwas anders aus). Mir geht es mehr darum, wie konservative Katholiken mit dieser Schwierigkeit ihrer Position umgehen. Sehen Sie an dieser Stelle überhaupt eine Schwierigkeit? Wenn ja, wie gehen sie damit um? Ich denke, dass jemand, der sich vollständig hinterdie offizielle kath. Sexualmoral stellt, auch in der Lage sein müsste, auf eine solche Frage eine Antwort zu geben.

Es gibt kein Problem mit der Sexualmoral.

 

Das Problem liegt in der Wertevermittlung. Eltern und Katecheten wissen ohnehin, daß in einer Gesellschaft, die bestimmte Normen und Werte nicht teilt, die Möglichkeiten der Vermittlung und "Implementierung" der eigenen, Katholischen, Werte und Normen beschränkt sind. Katholiken hierzulande sind nicht in gewohnt in geschlossenen Parallelgesellschaften zu leben wie das z.B. in muslimischen Kreisen hierzulande durchaus der Fall ist. Die Idee, daß die Gesellschaft bzw. die Umgebung den gleichen Ansatz hat, ist in Katholischen Kreisen zwar als Erinnerung präsent, wird für die konkreten Erziehungsituation aber wohl kaum noch vorausgesetzt.

 

Ich vermute, daß in der Praxis selbst konservativste Katholiken vor der Realität kapitulieren.

Geschrieben (bearbeitet)
vor 23 Stunden schrieb Flo77:

Zum einen wird Sexualität heute - ich spreche von unserem Kulturkreis - nicht mehr als "schmutzig" bzw. "befleckend" empfunden.

  

Das wäre natürlich eine Prämisse, auf die man eine - allerdings modifizierte - kath. Sexualmoral aufbauen könnte, eine im Sinne von Augustinus oder Gregor dem Großen. Zugespitzt formuliert:

 

'Sex ist ein Übel, das nur um der Kinderzeugung willen in kauf genommen werden darf.'

 

Wenn man das hat, dann hat man einen Großteil der kath. Sexualmoral: Verbot der Verhütung, Verbot nicht-vaginaler Akte auch in der Ehe, Verbot der Selbstbefriedigung, Verbot homosexueller Akte. Allerdings ist dann auch die NFP verboten (aber die Erlaubnis derselben ist ja eh recht jung), und man kommt so allein auch nicht zu allen kath. Verboten (man kommt so etwa kaum zum Verbot der Scheidung).

 

Die Tatsache, dass die heutige kath. Morallehre jenseits aller Rhetorik doch ziemlich gut einer Moral entspricht, die Sex als ein notwendiges Übel betrachtet, welches allein um der Kinderzeugung willen gerechtfertigt werden kann, ist keineswegs ein Zufall, sondern verrät ihre Wurzeln (siehe den letzten langen meiner Beiträge).

 

Jedenfalls ist eines gewiss: Wenn man diese die Prämisse vom in sich bösen Sex, der nur für die Zeugung zu entschuldigen ist, annimmt, dann folgen in der Tat ganz logisch wesentliche Teile der kath. Sexualmoral. Dann passiert genau das, was Du geschrieben hast: Geht man von bestimmten Prämissen aus, dann ist die kath. Sexuallehre in sich logisch und folgerichtig!

 

Nun ist es aber so, dass die kath. Kirche die fragliche Prämisse offiziell nicht (mehr) teilt, sondern eine entsprechende Haltung entrüstet von sich wiesen würde. Daher steht diese Prämisse der kath. Kirche zur Rechtfertigung ihrer Sexualmoral auch nicht mehr zur Verfügung.

 

Am 13.5.2025 um 12:57 schrieb Flo77:

Iskanders Arbeit in allen Ehren, aber er übersieht zwei Sachen. Zum einen ergibt die ganze Moral wenn man die Prämissen der Kirche zugrunde legt ja in sich einen Sinn. Das Ergebnis mag seltsam anmuten, aber es ist nicht "unsinnig" im eigentlichen Sinne.

 

Dem würde ich widersprechen wollen. Ich behaupte - und dafür trete ich auch jederzeit den Beweis an - dass man mit folgenden Prämissen nicht - bzw. zumindest nicht allein - zum Verbot der Verhütung oder zum Verbot nicht-vaginaler Akte gelangt (vgl. auch meinen letzten langen Beitrag (Teil II):

 

- Gott hat den Menschen erschaffen.

- Gott hat die menschliche Sexualität erschaffen.

- Gott hat die menschliche Sexualität zumindest auch erschaffen, weil er möchte, dass Menschen (unter geeigneten Umständen) mit ihr Kinder zeugen.

- Gott hat die menschliche Sexualität zumindest auch erschaffen, weil er möchte, dass Menschen (unter geeigneten Umständen) mit ihrer Hilfe eine liebende Vereinigung. vollziehen.

- Gott will, dass sexuelle Akte nur in Liebe vollzogen werden.

- Gott will, dass sexuelle Akte nur von Eheleuten vollzogen werden.

- Gott will, dass alle Eheleute immer Kinder zeugen, es sei denn, es sprächen im konkreten Fall schwere Einwände gegen die Zeugung von Kindern.

- Christus ist für unsere Sünden am Kreuz gestorben und auferstanden.

- Der Mensch ist erlösungsbedürftig.

Gott ist dreieinig.

- Der Mensch ist zur Heiligkeit berufen [hier darf man natürlich in die Heiligkeit nicht schon die gesamte kath. Sexualmoral hineindefinieren; sonst wird es zirkulär.]

- Gott will, das der Mensch in den Himmel kommt.

 

So könnte man endlos fortfahren. Aus keinem dieser und tausend vergleichbarer Sätze lässt sich ableiten, dass Verhütung oder nicht-vaginale sexuelle Akte generell verboten wären. Man kann sich das ganz einfach klarmachen, indem man schaut, ob es einen Widerspruch zwischen einem der obigen Sätze und dem angeblich verbotenen menschlichen Handeln gibt. (Man verzeihe mir, wenn das folgende trivial erscheint.)

 

Um auf mein Beispiel zurückzukommen und es zu variieren: Wenn Gott will, dass sexuelle Akte nur in Liebe vollzogen werden, dann will er auch, dass die Müllers ihre sexuelle Akte nur in Liebe vollziehen. Wenn die Müllers aber lieblosen Sex haben, dann sorgen sie dafür, dass Gottes Wille nicht erfüllt wird, sondern unerfüllt bleibt, und somit verletzen sie das Gebot Gottes ganz direkt.

 

Das ist ganz simpel, aber kommen wir zu einem anderen Beispiel:

 

Wenn Gott will, dass die Müllers nur liebevolle sexuelle Akte vollziehen, die Müllers aber verhüten, verletzen sie dann Gottes Gebot? Offensichtlich nicht (bzw. zumindest nicht dieses spezifische Gebot). Denn liebevoller Sex und Verhütung sind ja zweierlei Dinge - und zumindest dem Anschein nach kann ja problemlos beides zugleich der Fall sein: Dass Gottes Wille geschieht und die Müller also nur liebevoll Intimitäten austauschen, und dass sie zugleich verhüten. Somit verstößt die Verhütung anscheinend auch nicht gegen das göttliche Gebot, dass nur liebevolle sexuelle Akte stattfinden dürfen.

 

Es bliebe noch die Option, eine Zusatzannahme hinzuzufügen, um zu beweisen, dass Verhütung indirekt doch mit Gottes Gebot, dass es nur liebevollen Geschlechtsverkehr geben soll, kollidiert. Ich führe sie unter der Ziffer 2. 

 

1. Es ist Gottes Willen, dass Ehepaare nur liebevollen Sex haben.
2. Verhütung führt dazu, dass es Ehepaare (erheblich) mehr lieblosen Sex haben als sonst.

3. Also widerspricht Verhütung Gottes Willen.

 

Wenn die Prämisse 2 wahr wäre, würde die Verhütung indirekt tatsächlich gegen gegen Gottes Willen (Prämisse 1) stehen, weil sie die Erfüllung von Gottes Willen erschweren würde. Dass die 2. Prämisse aber wahr ist, wäre erst einmal überzeugend zu beweisen. Das dürfte jedoch kaum möglich sein - ja, es spricht manches dafür, dass eher das Verbot der Verhütung einen ungünstigen Effekt auf die eheliche Harmonie hat (natürlich im statistischen Schnitt). 

 

Und so kannst Du es Satz für Satz durchgehen und Dir alle Sätze aus der obigen Aufzählung ansehen: Aus keinem einzigen von ihnen und auch aus keiner Kombination von ihnen folgt ohne weitere Annahmen, dass Gott (generell) etwas gegen Verhütung oder nicht-vaginale Akte hat. Nicht daraus, dass Gott dreifaltig ist und auch nicht daraus, dass der Mensch der Erlösung bedarf. Und wie gesagt kannst Du auch unzählige weitere Aussagen hinzunehmen, die das christliche Menschenbild charakterisieren. Ich sehe daher beim besten Willen nicht, wie sich direkt durch das spezifisch christlichen Gottes-, Welt- und Menschenbild die gerade genannten sexuellen Verbote begründen ließe (auch nicht im Sinne einer inneren Folgerichtigkeit).

Eher noch ginge es vielleicht noch mithilfe zusätzlicher Prämissen, die sich nicht auf den Glauben, sondern mehr auf die glaubensunabhängige Wirklichkeit beziehen. Aber auch da sehe ich keinen geeigneten Ansatz. Wenn Du einen weißt, lass es mich wissen. (Ein Durchbruch würde mich überraschen, aber er wäre auch interessant.)

 

Oder verstehe ich Dich irgendwie miss und Du möchtest auf etwas anderes hinaus? (Diese Frage kam mir "natürlich" erst klar in den Sinn, nachdem ich meinen Beitrag bereits zu 99% fertig hatte.)

 

@rorro

 

 

vor 5 Stunden schrieb rorro:

Das ist richtig. Allerdings ist das "allgemeine Menschenbild" eben nicht das christliche, sondern eher dualistisch-utilitaristisch geprägt (das stelle ich nicht zuletzt häufig bei mir selbst fest). Moderne technische wie naturwissenschaftliche Entwicklugnen tragen natürlich noch dazu bei.

 

 

Ich lasse es mal dahingestellt, inwieweit die säkulare Welt bewusst ein utilitaristisches Menschenbild hochhält statt ihm nur in der Praxis mehr oder weniger zu "verfallen". Jedenfalls hat das aus meiner Sicht wenig mit der weitreichenden Ablehnung der strittigen Teil der kath. Sexualmoral zu tun. Erstens können selbst viele engagierte und ernsthaft bemühte Christen und Katholiken, denen man kaum pauschal einen übermäßigen Hedonismus unterstellen kann, mit diesen Geboten nichts mehr anfangen.

 

Zweitens vermag zumindest ich wie dargelegt nicht zu sehen, wie man diese Gebote aus einem christlichen Menschenbild oder auch aus einer Kombination von christlichen Menschenbild und empirisch glaubwürdigen Aussagen über die Wirklichkeit gewinnen könnte. Vielleicht übersehe ich etwas, und in diesem Fall freue ich mich über eine Korrektur, wie ich das auch schon an Flo schrieb. Schön wäre es, wenn diese Korrektur allerdings auch präzise genug wäre, damit man erkennen kann, aus welchen spezifischen Teilaspekten des christlichen Menschenbildes die kath. Sexuallehre folgt.

 

bearbeitet von iskander
Geschrieben
vor 41 Minuten schrieb Flo77:

Es gibt kein Problem mit der Sexualmoral.

 

Das Problem liegt in der Wertevermittlung. Eltern und Katecheten wissen ohnehin, daß in einer Gesellschaft, die bestimmte Normen und Werte nicht teilt, die Möglichkeiten der Vermittlung und "Implementierung" der eigenen, Katholischen, Werte und Normen beschränkt sind.

 

Um solche "praktischen" Fragen geht es mir gar nicht, sondern um etwas anderes. 

 

Wenn ich jetzt beispielsweise überzeugt wäre, dass die kath. Sexualmoral richtig und gut ist und den jungen Menschen gelehrt werden soll: Wie würde ich dann zu dem Prinzip stehen, dass jungen Menschen doch wohl nicht vermittelt werden sollte, dass ihre erwachende Sexualität etwas Schlechtes ist, sondern dass sie etwas Gutes ist? Würde ich an diesem Prinzip festhalten? Wenn ja, wie würde ich einerseits dieses Prinzip hochgehalten sehen wollen, andererseits aber befürworten, dass die kath. Sexualmoral jungen Menschen ohne Abstriche gelehrt wird? Wie soll das ohne Widerspruch gehen? Oder würde ich das Prinzip aufgeben und mir wünschen, dass junge Menschen im Effekt so erzogen werden sollen, dass sie ihre eigene konkrete, erfahrbare Sexualität als etwas Schlechtes ansehen, und dass sie sie vor allem als (Gefahr zur) Sünde erleben?

 

Das wäre Fragen, die ich für naheliegend halte, wenn jemand die kath. Lehre kompromisslos vertritt. Und ich finde es auch legitim, sie denjenigen zu stellen, die es mindestens als Wunschbild und Ideal verkünden, dass sie kath. Sexuallehre beachtet, gelehrt und verkündet werde.

 

Wie sehr die kath. Sexuallehre tatsächlich vermittelt wird, ist hiervon unabhängig. Wenn ich befürworten würde, dass die Leute alle eine bestimmte Speise essen, diese Speise aber häufig Kopfweh verursacht, so müsste ich mir ja redlicherweise ja auch dann, wenn in der realen Welt nur wenige Leute die Speise essen, die Frage stellen, wie ich wollen kann, dass jeder sie isst.

 

Abgesehen davon scheint die kath. Sexuallehre zwar heutzutage tatsächlich nur noch eine sehr geringfügige pädagogische und anderweitige Rolle in Deutschland zu spielen - aber bereits bei unseren örtlichen Nachbarn in Polen sieht die Sache wohl völlig anders aus, und in den USA wohl durchaus auch. Da gibt es immer noch große  sehr konservative Strömungen. In den USA gibt es sogar ein Phänomen, das einen Namen hat und einmal sehr stark war und immer noch bedeutend ist: Die "Purity Culture". 

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