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Die Theologie des Leibes von Johannes Paul ist gescheitert


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Geschrieben
vor 23 Stunden schrieb Flo77:

Ich denke dieser Wandel hat bereits während der Aufklärung eingesetzt und mit der Entwicklung der modernen Psychologie/Psychiatrie nochmal Fahrt aufgenommen.

 

Die Verschiebung der Sichtweise ist denke ich in drei Aspekte besonders sichtbar: ...

Diese drei Aspekte lassen das christliche Menschenbild in sehr unvorteilhaftem Licht erscheinen. Gibt es denn keine Argumente, die jemanden dazu veranlassen könnten, sich freiwillig für dieses Menschenbild und damit auch für die Morallehre zu entscheiden?

Geschrieben
vor 7 Minuten schrieb Merkur:

Diese drei Aspekte lassen das christliche Menschenbild in sehr unvorteilhaftem Licht erscheinen. Gibt es denn keine Argumente, die jemanden dazu veranlassen könnten, sich freiwillig für dieses Menschenbild und damit auch für die Morallehre zu entscheiden?

Das ist dann wohl die Pilatus-Frage.

 

Was ist Wahrheit?

 

Bzw. wem traut man.

Geschrieben (bearbeitet)
Am 13.5.2025 um 11:59 schrieb Merkur:

Nachdem du die Unsinnigkeit einer übersteigerten Einhaltung dieser Moral jetzt herausgearbeitet hast, würde mich interessieren, warum das Lehramt das trotzdem so vertritt. Ich halte es für unwahrschlich, dass ihm die Gegenargumente einfach nur nicht bekannt sind. Was sagen deine Quellen dazu? 

 

Gute Frage. Ich habe nun keine "privilegierten" Quellen, aber es scheint offenkundig dass es wohl einige Faktoren gibt. Ich habe dazu auch schon etwas gelesen, kann es aber jetzt nicht ohne neue Recherche auf die Schnelle vollständig reproduzieren. Ich schreibe einfach mal einige Aspekte auf, die mir als wichtig erscheinen.

 

- Das Christentum besaß keine entwickelte Ehelehre oder Sexuallehre und übernahm viel von einflussreichen (spät)antiken geistigen Strömungen wie der späten Stoa oder der Gnosis. Diese Strömungen waren aus einer inneren Logik der Weltverneinung heraus extrem sexualfeindlich. Es wurde so in einer recht frühen und sensiblen Phase des Christentums eine sexualfeindliche Tradition geschaffen und tief verwurzelt.

 

- Die große Schwierigkeit, sich von der eigenen Tradition zu lösen oder diese auch nur zu hinterfragen. Ich hatte dazu ja neulich einen Thread aufgemacht. Es ist der eigene überhöhte Anspruch, das eigene Idealbild, das man nicht gefährdet sehen will. So spricht offenbar viel dafür, dass beispielsweise der wohl entscheidende Grund für Humane vitae war, dass bei bei einer Änderung der Lehre zum Schluss hätte gelangen müssen, dass die kath. Kirche sich in einer schwerwiegenden und für das irdische und ewige Wohl des Menschen wichtigen Frage geirrt hatte. Sie hätte auch zugeben müssen, dass die Anglikaner früher zum richtigen Schluss gekommen waren und also der H. Geist sie besser geführt hat als die kath. Kirche. (Zudem spielte offenbar auch der spätere JPII eine gewichtige Rolle - siehe unten.)

 

- Es mag nach Küchenpsychologie klingen, aber es ist wohl doch kein reiner Zufall, dass die kath. Kirche mit ihrem Zölibat von allen größeren Religionsgemeinschaften der Welt die strengste Sexualmoral hat. Wer an die kath. Moral glaubt und sie ernst nimmt und lebenslang zölibatär lebt, kann Sexualität immer nur als etwas Negatives erlebt haben, als (potentielle) Sünde und ähnliches. Und wenn der Betroffene die Moral in der Praxis nicht allzu ernst nimmt, sich ihr aber dennoch stark verpflichtet fühlt, kann es zu einer inneren Spaltung kommen. Alles keine guten Voraussetzungen für einen unbefangenen Umgang mit diesem Phänomen. Außerdem fehlt dem, der immer zölibatär gelebt hat, dann vielleicht doch der konkrete Erfahrungshorizont für manche Fragen. 

 

- Dieser Mangel an Erfahrung kann vielleicht kompensiert werden, indem man Menschen mit Erfahrungen zukommt. Innerhalb der päpstlichen Kommission zur Geburtenregelung im Vorfeld von Humane vitae machten die Zeugnisse und Berichte der verheirateten Teilnehmen dann wohl auch einen erheblichen Eindruck, auch bei den Geistlichen. Aber meistens hört die Kirche nicht zu, sondern sie belehrt. Sie will nicht wissen, was die Leute wirklich erleben, sondern sie leitet aus der Gewissheit, mit ihrer Lehre recht zu haben, ab, was die Leute zu erleben haben. Im Sinne von: 'Unsere Gebote kommen von Gott, Gottes Gebote tun dem Menschen gut - also müssen unsere Gebote ein wahrer Segen für den Menschen sein.' Wenn man beispielsweise Humane vitae liest, das in den rosigsten Farben die wunderbaren Effekte der Zeitwahl ausmalt, und das dann mit den realen Erfahrungen und Zeugnissen gut katholischer und engagierter Eheleute vergleicht (z.B. McClory, Turning Point), dann ist die Diskrepanz enorm. Da ist wieder diese Selbstüberschätzung: 'Wir müssen nichts von anderen lernen, andere müssen alles von und lernen, selbst was sie erleben oder zu erleben haben, denn wir haben den Hl. Geist.'

 

- Die Übermacht des Papstes: Es gibt gute Argumente etwa dafür, dass die meisten Konzilsväter auf dem II. Vatikanum für eine Veränderung der Lehre zur Verhütung gewesen wären (McClory, Turning Point). Paul VI. entzog dem Konzil jedoch jedes Recht, sich mit dieser Frage zu befassen und würgte Diskussionen, die trotz seines Verbots anfingen, rasch ab. Auch bei JPII war es wohl so, dass das Thema der Sexualmoral ihm zumindest wichtiger war als einem Großteil der Bischöfe.

 

- Psychologische Abwehrmechanismen und ähnliches: Wenn man dem Soziologen F. Martel, der umfassend im Vatikan recherchiert hat, Glauben schenken darf, verharren vor allem vor allem hochrangige schwule Kardinäle und Bischöfe, darunter viele homosexuell praktizierende, auf einer möglichst strengen Sexualmoral (auch und gerade zum Thema Homosexualität).

 

- Johannes Paul II. machte die Sexuallehre zu einem ganz entscheidenden Thema. Offenbar war sie ihm äußerst wichtig."Es gehe [bei der ausnahmslosen Verwerflichkeit der Verhütung] um einen zentralen Punkt der Lehre über Gott und den Menschen. Mt ihr würde die Heiligkeit Gottes selbst abgelehnt. Wer sich dagegen auf das Gewissen berufe, lehne die kirchliche Lehre über Gewissen und Lehramt ab." (Quelle: N. Lüdecke)

(Wer übrigens meint, dass die Sexualmoral für die kath. Kirche eher so etwas für eine Marginalie sei, sollte sich vielleicht nochmals mit dem "Heiligen Johannes Paul II." befassen.)

 

Wieso eigentlich hat JPII Fragen, die aus der Sicht eines Außenstehenden als moralisch neutral darstellen, derart überhöht? Wieso hat er eine Handlung, die doch immerhin niemandem auch nur geringfügig schaden muss, derart verdammt? Wieso behandelt er dieses Thema als stünde es innerhalb der "Hierarchie der Wahrheiten" ganz nahe an der Sitze? 

Eine umfassende Antwort habe ich nicht, aber einen Hinweis findet man vielleicht hier:


"During the mid to late 1950s, “his [Wojtyła's] philosophy on marriage and sexuality was significantly influenced by his closest advisor, Dr. Wanda Poltawska, a psychiatrist..." [...]  Dr. Poltawska’s paper also frequently referred to neurosis in women caused by the use of contraceptives … which Wojtyla accepted as valid." 13 These beliefs were also reflected in Love and Responsibility [einem Buch von Wojtyla].14 Poltawska also theorized that in countries where the contraceptive attitude prevailed, abortion would be the logical outcome of contraceptive failure.15 [...]

Wojtyla – John Paul II frequently used these same words. Somehow, those who practice periodic continence and have the intention of ‘no more children for good reasons’ would accept a child born by accident, but contraceptive couples that have the same intention would be more prone to abortion. [...]

Most importantly, “There is little doubt that most of the ideas on sex, birth control and abortion, expressed by Wojtyla in his books and later in his papal sermons, were originally developed in his discussions with Dr. Poltawska.” [...]"

 

"Under the influence of his advisors (e.g., Dr. Poltawska) Karol Wojtyla believed that if contraception were allowed, this would lead spouses to using each other merely as objects for sexual pleasure, to forms of ‘sexual slavery’, to neurosis on the part of the woman, and to the tendency for couples to choose abortion if contraception failed. [...]"

"As it turned out, “Dr. Poltawska’s medical and psychiatric theories forwarded to the Vatican by Wojtyla persuaded Paul VI to reject the advice of his Western experts who favored the limited use of contraception by married couples.” 16 [...]"

 

"... But Jonathan Kwitny, noted in his biography of John Paul II, that he could not find any scientifically accepted proofs of Dr. Poltawska’s claims or any references to her research in serious scientific journals.”

 

(Quelle: Barberi and Selling)

 

Aus einer konservativ-katholischen Sicht mag es sich so darstellen, dass der Hl. Geist hier auf krummen Zeilen gerade geschrieben hat, um die Kirche in der Wahrheit zu halten. Aus einer distanzierteren Sicht aber stellt es sich eher so dar, dass die Kirche aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände sowie eigener struktureller Schwächen eine Entscheidung getroffen hat, mit der sie viel Unbill über sich selbst, vor allem aber auch über viele Menschen gebracht hat.

bearbeitet von iskander
Geschrieben

Die Ausführungen sind sehr umfangreich, und ich kann den Standpunkt von @iskander natürlich gut nachvollziehen. Jedoch habe ich den Eindruck, dass meine Intention nicht auf ebenso viel Verständnis stösst.

 

Es ist ja unbestritten, dass die katholische Sexualmoral nicht mehr der gesellschaftlichen Mehrheitsmeinung entspricht. Es ist auch nicht das Ziel, diese als richtig/falsch oder nicht erstrebenswert zu betrachten. Das Spannungsverhältnis zwischen Moderne, Individualität und katholischer Sicht wurde hinreichend herausgearbeitet.

Auch die Konsens- und Konfliktlinien sind klar.

 

Aber: Die Kirche ist nicht mehr Trägerin des Mainstreams, sondern Gegenentwurf zu einer Gesellschaft, die erhebliche Kritikpunkte in sich birgt. Sie ist Gegenentwurf und soll es auch bleiben, so dass der Skandal des Christeins - wie in ihren Anfängen - sichtbar und spürbar wird.


Die Kirche versteht sich als Bewahrerin der göttlichen Ordnung und darf sie nicht eigenmächtig auflösen, auch nicht unter gesellschaftlichem Druck. Sie bietet mit ihrer Haltung eine bewusste Alternative zum Zeitgeist und setzt ein Zeichen gegen eine utilitaristische Sicht auf Sexualität, die sie als beliebig und funktional betrachtet. Gerade als Minderheitenposition hat die Lehre einen Wert: Sie erinnert an die Möglichkeit, Sexualität als ganzheitlichen, verantwortungsvollen und schöpfungsbezogenen Akt zu leben.


Wenn die Kirche ihre Lehre aus pragmatischen oder gesellschaftlichen Gründen anpassen würde, würde sie dem ethischen Relativismus Vorschub leisten und ihre Orientierungskraft als moralische Instanz verlieren.
Selbst als Alternative und Kontrast zur Mehrheitsmeinung dient die katholische Lehre zur künstlichen Verhütung als Zeugnis für den Schöpfungsgedanken, die Unverfügbarkeit des Lebens und die Würde der menschlichen Sexualität. Ein Festhalten daran sichert Kontinuität, Glaubwürdigkeit und die prophetische Aufgabe der Kirche in der Welt.

 

Es ist ein Plädoyer für das andere Leben: Armut, Gehorsam, Ehelosigkeit sind die eigentlichen evangelischen Räte, für das Christus wirbt. Insofern ist die Sexualmoral schon eine Erleichterung, denn wer schafft es schon, arm und gehorsam zu leben? Es ist ein Angebot, welches nicht für jeden geschaffen ist, aber Christsein ist auch kein Hobby.

Geschrieben
vor 6 Minuten schrieb Frey:

Aber: Die Kirche ist nicht mehr Trägerin des Mainstreams, sondern Gegenentwurf zu einer Gesellschaft, die erhebliche Kritikpunkte in sich birgt. Sie ist Gegenentwurf und soll es auch bleiben, so dass der Skandal des Christeins - wie in ihren Anfängen - sichtbar und spürbar wird.

Wie lautet bei diesem Punkt genau das Argument? Etwa: Das, was wir lehren muss nicht sinnvoll sein, es muss nur anders sein? Im Hinblick auf die innere Logik von Religionen halte ich das nicht für völlig abwegig.

Geschrieben
vor 12 Minuten schrieb Merkur:

Wie lautet bei diesem Punkt genau das Argument? Etwa: Das, was wir lehren muss nicht sinnvoll sein, es muss nur anders sein? Im Hinblick auf die innere Logik von Religionen halte ich das nicht für völlig abwegig.


Das Argument lautet nicht „es muss nur anders sein“, sondern: Die Kirche soll dort anders sein, wo sie aus ihrer Sicht der Gesellschaft etwas voraus hat oder sie kritisch korrigieren kann – und das gerade macht ihre gesellschaftliche Relevanz aus.

Geschrieben
vor 36 Minuten schrieb Frey:


Das Argument lautet nicht „es muss nur anders sein“, sondern: Die Kirche soll dort anders sein, wo sie aus ihrer Sicht der Gesellschaft etwas voraus hat oder sie kritisch korrigieren kann – und das gerade macht ihre gesellschaftliche Relevanz aus.

Also der Fokus soll auf Kontinuität, Glaubwürdigkeit und prophetischer Aufgabe liegen, nicht unbedingt auf dem privaten Wohlergehen? Wenn das so ist, wird die Sache für mich zumindest etwas plausibler. 

Geschrieben
vor 3 Stunden schrieb Frey:

Die Kirche versteht sich als Bewahrerin der göttlichen Ordnung und darf sie nicht eigenmächtig auflösen, auch nicht unter gesellschaftlichem Druck.

Warum darf die Kirche etwas, das sie vollkommen eigenmächtig aufgestellt hat, nicht auch wieder auflösen?

Es lässt sich  doch durch jedermann ganz einfach nachvollziehen, dass diese behauptete „göttliche Ordnung“ von Menschen festgelegt wurde.
Von Menschen, die meinten oder behaupteten, im Sinne Gottes zu agieren, aber in jedem Fall doch durch Menschen.

Und warum soll es nicht möglich sein, dass andere Menschen in anderen Zeitaltern zu anderen Schlüssen kommen, hinsichtlich dessen, was Gott vielleicht wollen könnte, aber nicht äußert.

Im Bezug auf andere Themen ging das doch auch, kein Papst oder Bischof würde heute z. B. noch behaupten, es sei Gottes Wille, in den heiligen Krieg zu ziehen oder Ketzer zu verbrennen.

Warum soll das im Bezug auf die Sexualmoral nicht möglich sein?

 

Werner

Geschrieben
vor 16 Stunden schrieb Frey:

Es ist ein Plädoyer für das andere Leben: Armut, Gehorsam, Ehelosigkeit sind die eigentlichen evangelischen Räte, für das Christus wirbt.

 

Dazu noch etwas:

 

Für mich entsteht der Eindruck, dass diese Räte, soweit sie tatsächlich im Evangelium selbst zu finden sind, dazu dienen, dass der Mensch möglichst frei ist für die Nachfolge Christi, ohne weltliche Sorge und Ablenkung. In diesem Sinne wäre doch auch der Rat der Ehelosigkeit zu verstehen. Ein Verbot der Verhütung scheint diesbezüglich aber wenig zu helfen. Wenn eine verheiratete Person nicht verhütet, bleibt sie ja dennoch verheiratet. Wesentlich mehr Zeit und Energie hat sie auch nicht. Das einzige, was erreicht wird, ist eine gewisse Frustration des Sexualtriebs. Diese kann aber auch zu Irritationen und Ablenkungen führen (s.u.), so dass die entsprechende Person dann auch nicht mehr Energie für den Glauben hat. Wie gesagt scheint das aber doch kaum das zu sein, worauf das Evangelium mit seinen Räten abzielt?

 

Wie schon gesagt scheinen die meisten Menschen eher negativ auf die NFP zu reagieren. In manchen Fällen kann das ganze auch ein richtiger Bumerang werden, je nach Persönlichkeit und Umständen. Das folgende Beispiel illustriert das:

 

"My experience as a woman using NFP was basically the catalyst to me leaving Catholicism, for many of the reasons you mentioned here. Having stayed abstinent until marriage, married life was supposed to be about finally being “free” to experience sexual intimacy with my husband, but NFP made it anything but.

My cycles were irregular and confusing, so tracking my fertility accurately was almost impossible. It left us with only a few days every month that seemed “safe,” and even then I could barely enjoy it because I was constantly terrified of becoming pregnant when I didn’t want to be yet. [...] 

It also meant we often weren’t having sex when I really wanted to; just on the days it was “okay” to on the calendar.

To add insult to injury, the Church is against masturbation (mutual or solo) without intercourse, so we couldn’t even work around the challenges of NFP that way. I was perpetually sexually frustrated and bitter.

I had been told that NFP would bring my husband and I closer together. But NFP was honestly harming the health of my marriage and my mental health. [...]"

https://www.reddit.com/r/excatholic/comments/15uslb0/anyone_else_struggled_with_nfp_in_marriage/

 

Das ist vielleicht einer der extremeren Fälle, aber mehr oder weniger ähnliche Erfahrungen machen nicht wenige. In einem solchen Fall macht der Verzicht den Menschen offensichtlich nicht "freier".

 

Manche Menschen führen sich zum ehelosen Leben berufen und werden Mönch oder Nonne. Manche sind dabei offensichtlich glücklich und zufrieden. Aber das sit freiwillig. Die kirchliche Sexualmoral hingegen ist streng verpflichtend. Das ist ein Punkt, den ich betonen möchte, weil immer wieder der Eindruck erweckt wird, als gehe es um ein reines Ideal oder reine Empfehlungen. Man würde es heutzutage vermutlich aus didaktischen Gründen im Ton etwas anders ausdrücken, aber in der Sache gilt noch immer zu 100%, was Pius XII., geantwortet hat, als der Weltverband der katholischen Frauenjugend 1952 beklagte, "daß vielen die christliche Lehre «als eine Summe von Vorschriften und Verboten» erschien und daß sie fürchteten, «in dieser Befehlsmoral zu ersticken»". Pius bekräftigte seiner Antwort die unbedingte Geltung der kath. Sexualmoral.

 

"Dann zählt der Papst verschiedene allgemeinverbindliche Verbote auf, darunter« Ehebruch, Geschlechtsverkehr Unverheirateter, Mißbrauch der Ehe, Selbstbefleckung ... », die «vom göttlichen Gesetzgeber strengstens verboten sind», und faßt die Objektivität und Absolutheit ihrer Geltung in dem Satz zusammen: «Da gibt es nichts zu prüfen. Wie immer die persönliche Lage sein mag, es gibt keinen anderen Ausweg als den zu gehorchen» [...]"

(Pfürtner, Kirche und Sexualität)

Geschrieben
vor 2 Stunden schrieb iskander:

Für mich entsteht der Eindruck, dass diese Räte, soweit sie tatsächlich im Evangelium selbst zu finden sind, dazu dienen, dass der Mensch möglichst frei ist für die Nachfolge Christi, ohne weltliche Sorge und Ablenkung.

Das ist nun aber weder neu, noch ungewöhnlich.

 

Die Evangelischen Räte bzw. die Evangelien sind entstanden im Rahmen der jüdischen Apokalyptik und der eschatologischen Nah- bzw. Nächsterwartung. Die Gläubigen rechneten mit einer baldigsten Wiederkunft Christi und vor diesem Hintergrund ist die Idee eines Lebens in Konzentration auf diese Naherwartung ja auch logisch und nachvollziehbar.

 

Nach nunmehr 2000 Jahren Parusieverzögerung, hat sich diese Erwartung doch sehr, sehr abgeschwächt. Ich würde vermuten, daß unter den heute lebenden Gläubigen - zumindest im Westen aber das würde mich auch in anderen Teilen der Welt überraschen - nur ein winziger Bruchteil davon ausgeht, daß die Wiederkunft Christi und die Entstehung des neuen Jerusalems bis 2050 oder 2100 AD ja selbst bis zum Jahr 3000 überhaupt eintritt. Für die meisten ist diese Erwartung in weite Ferne "vertagt" und hat damit ihre ursprüngliche Brisanz ziemlich eingebüßt.

 

Wäre interessant zu sehen, wann diese gedankliche Verschiebung der Parusie in eine nicht mit Sicherheit nicht mehr erlebte Zukunft sich auf breiter Basis durchgesetzt hat. Ich würde vermuten im späten 14. Jahrhundert nachdem die großen Pestwellen als Naturkatastrophe überstanden waren, aber das ist jetzt eine reine Bauchvermutung.

 

Wobei die Frage, wo die Seele (im platonischen Verständnis, Jesus hätte die Frage schlicht mit "Hä?" beantwortet) zwischen Tod und Auferstehung "geparkt" ist wohl schon zu Pauli Zeiten in heidenchristlichen Milieus ein schwierigesThema war - was uns dann das doppelte Gericht und das Fegefeuer beschert hat und im Volksglauben die Auferstehung des Fleisches, obwohl im Credo bekannt, durch den glauben an eine geistige Fortexistenz weitgehend ersetzt hat. Die Idee der Wiederkunft Christi und der Errichtung der Gottesherrschaft samt der Öffnung der Gräber und der Wiedervereinigung der Seele mit einem (vergeistigten/verherrlichten) Körper ist doch eher schwach ausgeprägt. Das ist zumindest mein Eindruck. Wenn man mit Leuten über das Leben nach dem Tode spricht geht es üblicherweise nur um den Himmel wo man seine Compadres wiedertrifft und mit ihnen die Ewigkeit verbringt, aber daß das nur eine Zwischenexistenz bis zur Vollendung der Welt ist, scheint mir eher schwach geglaubt zu werden. Das ist - so meine eigene Erfahrung - schlicht zu weit weg, als das es noch "real" wäre.

Geschrieben (bearbeitet)

Wenn ich den bisherigen Sachstand zusammenfasse, scheint es im wesentlichen zwei Pro-Argumente für diese Morallehre zu geben:

 

1. Erbe: Diese Lehre ist nur aus einem historisch gewachsenen Menschenbild verständlich, das von heute nicht mehr mehrheitsfähigen Vorstellungen geprägt war.   

 

2. Mission: Die Lehre dient einem elitären Profil des Christentums und grenzt es nach außen ab. Diese Argumentation bleibt eher im Abstrakten und verwendet positiv konnotierte Allgemeinplätze ("Würde", "Ganzheit" u.a.) ohne auf schädliche Nebenwirkungen im Einzelfall einzugehen. Ein Merkmal dieser Argumentation ist auch die undifferenzierte Einordnung abweichender Meinungen (des Mainstream) als hedonistisch, utilitaristisch und dergleichen.

 

Für beide Argumente ist das Privatleben der Gläubigen nicht ausschlaggebend. Insofern könnte man argumentieren, dass sich die Probleme weniger aus der Moral selbst, als aus einem nicht sachgerechten Umgang mit ihr ergeben.

 

Damit scheinen sich meine Thesen zu bestätigen:

 

1. Diese Moral ist ein Problem des Lehramts, nicht der Gläubigen

 

2. Die Kirche legt zwar viel Wert auf die Aufrechterhaltung dieser Lehre, aber nicht unbedingt auf ihre Einhaltung in der privaten Lebensgestaltung.  

 

bearbeitet von Merkur
Geschrieben
vor 2 Stunden schrieb Flo77:

Wäre interessant zu sehen, wann diese gedankliche Verschiebung der Parusie in eine nicht mit Sicherheit nicht mehr erlebte Zukunft sich auf breiter Basis durchgesetzt hat. Ich würde vermuten im späten 14. Jahrhundert nachdem die großen Pestwellen als Naturkatastrophe überstanden waren, aber das ist jetzt eine reine Bauchvermutung.

Ich würde das im 5.Jhd. verorten, weil sich da (regional differenziert) das Interesse am Christus eschatos auf die Eschata verlagert,also vom Interessse an der Person des wiederkommenden Christus (personal) auf die "Dinge danach" (detailorientiert) verlagert. Lässt sich zumindest in den griechischen Homilien ganz gut nachverfolgen. Für den lateinischen Westen kann ich das nicht so genau sagen.

Geschrieben (bearbeitet)
vor 19 Stunden schrieb Werner001:

Warum darf die Kirche etwas, das sie vollkommen eigenmächtig aufgestellt hat, nicht auch wieder auflösen?

Es lässt sich  doch durch jedermann ganz einfach nachvollziehen, dass diese behauptete „göttliche Ordnung“ von Menschen festgelegt wurde.
Von Menschen, die meinten oder behaupteten, im Sinne Gottes zu agieren, aber in jedem Fall doch durch Menschen.

 

In der Praxis bestehen da leider erhebliche Hürden. Natürlich hat die Kirche auch schon anderswo ihren Kurs korrigiert, aber wenn es um wichtige Dinge geht, ist das schwierig für sie und passiert wohl meistens nur dann, wenn es kaum mehr anders geht. Im Fall der Sexualmoral bestehen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) aber besonders viele und gravierende Schwierigkeiten. Es seien - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - die folgenden - genannt:

 

Das Kernproblem ist dieses: Die Kirche hat die ganze Zeit gelehrt, dass ihre Lehre nicht menschengemacht sei, sondern sie vielmehr die Gesetze Gottes verkünde. Es wäre ein erheblicher Glaubwürdigkeitsverlust, wenn sie nun plötzlich das Gegenteil behauptet.

 

Man bedenke einmal dies: Wie würden beispielsweise Leute, die sich vielleicht mit viel Not und Mühe 50 Jahre lang durch die kath. Sexualmoral durchgequält haben, vielleicht verbunden mit viel Verzicht, eventuell auch Schuldgefühlen, Reue und Beichte, reagieren, wenn die Kirche auf einmal sagen würde: "April, April! All das war komplett unnötig! Aber Gott wird Euch Eure eigentlich komplett sinnlosen Opfer schon lohnen." 

 

Ein Teil wird unbedingt daran festhalten wollen, dass das doch alles richtig war. Ein anderer Teil wird zutiefst enttäuscht und verbittert sein. 

 

Und was wäre mit diejenigen, die mit Nachdruck die kath. Doktrin verteidigt haben? Die sie jahrelang gegen alle Kritiker in Schutz genommen haben? Die standhaft geblieben sind, wenn ihre Kollegen und Nachbarn, vielleicht sogar ihre Familienmitglieder den Kopf geschüttelt haben? Die sich dafür eingesetzt haben, dass die Kirche bei ihrer Lehre bleibt, auch wenn die Kirche selbst dafür einen hohen Preis zahlt? 

 

Nimm nur, wenn es um die negativen Seiten der Sexualmoral geht, einen Fall wie diesen:

 

"My friend is a wonderful person, a devout Catholic, and very pro-life. She and her husband were using NFP, and had been for years. Unfortunately, over the course of her married life, my friend has suffered several traumatic miscarriages. She has struggled with severe depression and PTSD related to pregnancy loss. In addition to her miscarriages, she also has four living children who suffer from a variety of physical and emotional ailments. Her children have been in and out of specialists’ offices, therapist appointments, and hospitals. Given these circumstances, her anxiety surrounding the possibility of another pregnancy was extreme. It seemed like every time we got together, all she was able to talk about was how afraid she was of becoming pregnant. To make matters worse, her husband had minimal tolerance for the periodic abstinence required by NFP. The possibility of her becoming pregnant was actually quite high. I began to be afraid that, if she did become pregnant, she would attempt to commit suicide. [...] One priest offered a way of accompaniment. He encouraged me to accompany my friend, and offered to speak to her himself. He did not reject the Church’s teaching outright, but he did advocate flexibility.

The other priest insisted on rigor, and he considered women’s lives an acceptable price to pay for this purity and rigor. All the criticisms that the Church devalues women seemed to be vindicated by his words."

https://www.patheos.com/blogs/sickpilgrim/2018/04/you-are-not-alone-catholic-womens-real-life-experiences-of-nfp-part-v/

 

Und es ist natürlich der zweite Priester, der laut offizieller Lehre jedenfalls in diesem Punkt recht hat: Verhütung ist absolut und ausnahmslos verboten; es gibt da keine Flexibilität.

 

Wie wollte man nun als Kirche beispielsweise einer Person wie der verzweifelten Frau aus dieser Schilderung ins Angesicht sehen und ihr erklären, dass man sich die ganze Zeit geirrt hat? Wie jener Frau aus den Philippinen, die mehr Kinder und Zähne hat, nachdem der Staat auf Druck der Kirche kostenlose Verhütungsprogramme eingestellt hat? Und die dafür betet, dass, wenn ihre unterernährten und oft kranken Kinder schon sterben müssen, sie wenigstens einen gnädigen Tod finden mögen?

 

(Und das ist auch ein Unterschied zu den Leuten, die in den heiligen Krieg gezogen sind. Die sind schon lange tot. Vor denen braucht die Kirche sich nicht mehr zu rechtfertigen. Was damals passiert ist, ist so weit weg, dass es die meisten Leute, die heute leben, wohl wenig berührt.)

 

Es wird hier auch klar, wie die Sorgen, die die Kirche sich um die Frauen macht, doch sehr weit entfernt sind von den realen Sorgen und Nöten der Frauen. Wenn man einer Frau, für die eine weitere Schwangerschaft eine Katastrophe oder vielleicht sogar eine Gefahr für das Leben wäre, oder einer Frau, die kaum eine andere Wahl hat, als sich ihrem Mann hinzugeben, selbst wenn er AIDS hat, erklärt, dass man ihr die Verhütung bzw. das Kondom nicht erlauben dürfe, weil ihr Mann ja die Achtung vor ihr verlieren könnte, wenn sie verhütet und daher jederzeit "verfügbar" ist, dann wird man vermutlich ein sardonisches Lachen ernten. Und selbst ein Paar, das  sich einfach mit seinen fünf Kindern, die es jetzt schon hat, überfordert fühlt, und das - aus welchen Gründen auch immer - mit NFP schlecht zurechtkommt, dürfe ganz andere Sorgen haben als die, die die Kirche sich um ihre Beziehung macht. Es zeigt sich hier, wie abgehoben und lebensfern die Kirche ist - aber doch wohl auch, wie wenig der reale Mensch (nicht der ideologisch konstruierte) und sein Wohl und Wehe die Kirche tatsächlich interessieren. 

 

Da die Kirche global und über längere Zeiträume betrachtet enormes Leid mit ihrer Sexuallehre verursacht hat (nicht nur in Fällen wie den gerade genannten), müsste sie, wenn sie ihre Lehre ändert, auch zugeben, dass sie eine enorme Schuld auf sich geladen hat. So etwas fällt nahezu jedem Menschen und jeder Institution schwer; und der Kirche, die sich als große Lehrmeisterin aller Christen, ja der gesamten Menschheit sieht, als heilige Institution, wird das doppelt schwerfallen.

 

Zudem hat die Kirche mit ihrem Beharren auf ihrer Sexuallehre unzweifelhaft viele Leute aus der Sakramenten - und selbst aus der Kirchengemeinschaft herausgetrieben, insbesondere Ehepaare und junge Menschen. Sie hat sich damit selbst unzweifelhaft erheblich geschädigt. Es wäre selbst rein weltlich betrachtet schon schwierig, sich einzugestehen, sich selbst durch eigene Fehler derart geschadet zu haben. 

Für die Kirche ist es aber noch weit schlimmer, denn sie betrachtet sich ja als die von Gott gestiftete "Heilsanstalt", in der es unbedingt auszuharren gilt. Hätte die kirchliche Hierarchie vollkommen unbegründet und unnötig Millionen Menschen aus dieser ihr anvertrauten Heilsanstalt vertrieben, müsste dies ihrem Selbstverständnis gemäß einem schweren Vergehen gegen Gott und die Menschheit gleichkommen.

 

Das insbesondere auch aus folgendem Grund: Nach allgemeiner theologischer Überzeugung begeht der Mensch wohl auch dann eine (schwere) Sünde, wenn, das, was er tut, gar nicht objektiv (schwer) sündhaft ist, sondern dies nur glaubt. Wenn also die kath. Sexualmoral (bzw. ihr restriktiver Teil) falsch waren, aber die Leute geglaubt haben, dass sie durch ihren Verstoß gegen diese Moral Todsünden begehen, dann hätte die Kirche unzählige Menschen vollkommen umsonst in den Zustand der (Tod)sünde getrieben. Dazu gibt es eine Anekdote im Zusammenhang mit der Kommission, die im Vorfeld von Humane vitae über die Verhütung diskutiert hat:
 

"When Father Marcelino Zalba, a church expert on 'family limitation,' asked the commission in undisguised horror what would happen 'with the millions we have sent to hell' if the teaching on contraception 'was not valid,' commission member Patty Crowley shot back: 'Father Zalba, do you really believe God has carried out all your orders?'"

 

(Die Kirche müsste an dieser Stelle, wenn sie ihre Sexuallehre ändern sollte und nicht den völligen moralischen Bankrott erklären möchte, theologisch offensichtlich Patty Crowley folgen; sonst wird es ihr vermutlich ganz und gar unmöglich sein, einen Irrtum einzugestehen.)

 

Dazu käme natürlich noch dies: Wenn die Kirche zugeben müsste, sich in Fragen von solcher Relevanz (vor allem für das konkrete Leben) derart geirrt zu haben; wenn die sündige Welt so viel klüger und sicherer in ihrem moralischen Urteilsvermögen war: Was kann man ihr dann überhaupt noch glauben? Die Autorität der Kirche wäre erheblich infrage gestellt.

 

Zudem würde mit einer Änderung der Sexualmoral auch indirekt die Autorität des Papstes selbst untergraben werden. Denn er hat mehr zur Beibehaltung der kath. Sexualmoral beigetragen als die restlichen Bischöfe. So war vermutlich die Mehrheit der Bischöfe auf dem 2. Vatikanum für eine Änderung von der Lehre über die Verhütung (siehe McClory, Turning Point). In jedem Fall war das von Paul VI. eingesetzte Gremium aus Kardinälen und Bischöfen für eine Änderung (neun Stimmen für eine Änderung, drei dagegen und drei Enthaltungen).

Es war also der Papst als solcher, der die Verantwortung dafür trägt, dass die Lehre über die Verhütung beibehalten wurde. Er hat dem Konzil verboten, über das Thema auch nur zu diskutieren, geschweige denn abzustimmen. Wenn sich nun herausstellen sollte, dass er Unrecht hatte und es wohl weit klüger gewesen wäre, wenn das Konzil hätte entscheiden dürfen, dann tangiert das auch die Glaubwürdigkeit und potentiell die innerkirchliche Stellung des Papstes, der eine absolute Machtstellung hat - der ohne das Konzil alles darf, während das Konzil ohne ihn gar nichts darf.

 

Und es waren offenbar vor allem derartige Erwägungen, die dann auch dazu geführt haben, dass es zu Humane vitae kam: Es kann unmöglich sein, dass die Kirche sich derart geirrt hat. 

 

Das Problem ist nur: Jetzt hat man den Kurs noch mehr verfestigt, jetzt ist er noch mehr mit Autorität aufgeladen, und jetzt ist eine Korrektur noch schwieriger.

Wir haben es hier aus meiner Sicht auch mit einem speziellen Fall dessen zu tun, was man als "Eskalierendes Commitment" bezeichnet: "... ein auf kognitiver Verzerrung basierendes Verhalten [...] das durch die Tendenz gekennzeichnet ist, sich gegenüber einer früher getroffenen Entscheidung verpflichtet zu fühlen und diese über die Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen zu stützen, obwohl sich diese Entscheidung bisher als ineffektiv oder falsch erwiesen hat".

 

Und das innerkirchliche Klima macht eine Änderung des Kurses - jedenfalls beim Thema Verhütung - heutzutage wohl sogar noch deutlich schwieriger als zu den Zeiten des II. Vatikanums. Wie ich es schon anderswo gesagt habe, hat die kath. Kirche m.E. den Kairos, den günstigen Moment, für die Einleitung von entsprechender Reformen versäumt. Dieser wäre das II. Vatikanum gewesen. 

 

Vielleicht wäre es auch noch gegangen, wenn statt JPII jemand anderer Papst geworden wäre. Denn gerade dank JPII wurde die Sexualmoral (zusammen mit ein paar anderen Dingen) zum gefühlten Markenkern der Kirche gemacht. Es gibt, etwa in den USA, starke konservative Gruppierungen, viele wohl von JPII inspiriert, die jede Reform der Sexuallehre als Hochverrat empfinden würden. Diese Gruppen sind zwar in der Minderheit, besitzen aber eine erhebliche Schlagkraft. Sie sind oft auch sehr engagiert. Selbst die extrem vorsichtigen und ja eher symbolischen Reformen von FI gingen vielen Konservativen schon zu weit, wie Marco Politi erläutert:

 

"Es hat in den letzten Jahrzehnten eine Schwächung der reformorientierten Bischöfe und Kardinäle gegeben. In den späten 60er und 70er Jahren gab es immer wieder Kardinäle oder Bischöfe, die öffentlich starke Position einnahmen – in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Spanien oder Italien. Dann haben Johannes Paul II. und später Ratzinger die Kritik und die Suche nach neuen Wegen sehr gedämpft. [...] Es gibt eine lautstarke und gut organisierte Opposition mit vielen Websites, die aktiv gegen den Papst wettert. Der reformorientierte Flügel der Kirche war auf der internationalen Bühne nicht so aktiv und hat nicht mobilisiert."

https://katholisch.de/artikel/60132-vatikan-experte-kampf-um-franziskus-nachfolge-hat-schon-begonnen

 

"Es wird oft vergessen, dass es im Pontifikat von Franziskus von Anfang an, bei der ersten großen Reformdiskussion über die Familie, bei der Frage der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene, eine sehr große internationale Opposition gab. Diese Opposition war auch erfolgreich. Wenn man die Dokumente der zwei Synoden 2014 und 2015 betrachtet, steht nirgendwo, dass man den wiederverheirateten Geschiedenen die Kommunion geben kann. Der Reformflügel hat es nicht geschafft, eine Zweidrittelmehrheit zu erzielen. Der Papst hat dann entschlossen, mit einer kleinen Hintertür zu handeln, in seinem Dokument "Amoris laetitia", in einer Fußnote. [...]

Das hat aber gezeigt, wie die Kräfteverhältnisse innerhalb der katholischen Kirche stehen. Das hat sich nicht geändert in den letzten Jahren. Man könnte sogar sagen, dass es nach der Familiensynode noch schlimmer geworden ist. Zur Familiensynode 2015 hat es zum Beispiel viele Bischöfe und Kardinäle gegeben, die Bücher geschrieben haben, um bei der alten Lehre zu bleiben. Es hat nicht dieselben Appelle gegeben vonseiten der Reformer."

https://www.katholisch.de/artikel/40874-vatikan-experte-politi-kirche-befindet-sich-in-einem-buergerkrieg

 

Die USA hatten beispielsweise mal einen relativ liberalen Episkopat, der JPPII. sogar gebeten hat, die Lehre von Humane vitae zu prüfen. Er wurde aber von JPII zurückgepfiffen, und inzwischen sind viele Bischöfe sehr konservativ, und das gleiche gilt auch für viele Priester dort, und für die jüngeren wesentlich mehr als für die älteren.

 

Ich selbst würde mir eine Änderung der Lehre wünschen, denn in manchen Regionen der Welt wird die Kirche zumindest auf absehbare Zeit noch viel Einfluss haben, auch was ihre Sexualmoral angeht. Und wenn sie bei ihrer Lehre bleibt, dann wird sie auf diese Weise noch viel weiteres Leid verursachen - Leid, das nach meiner Überzeugung vollkommen unnötig ist.

 

Realistischerweise wird man aber sagen müssen, dass aus den oben genannten (und sicher noch aus anderen) Gründen einer Veränderung der kath. Sexuallehre hohe Hürden entgegenstehen. Was die Kirche jetzt tun kann, und was FI zu einem guten Stück durchaus auch getan hat, ist dies: Das Thema Sexualität weniger hochzuhängen, es nicht länger zum gefühlten Markenkern des Katholizismus zu machen und offene Diskussionen zu erlauben - und dadurch nach und nach die vielen Riegel, die die Türe zur Veränderung versperren, wegzunehmen. Ob es der Kirche allerdings gelingt, die Tür zu öffnen und durch sie hindurchzugehen, und falls ja, wann, steht in den Sternen.

 

Natürlich kann es auch große und zeitnahe Überraschungen geben - aber übertriebene Hoffnungen sollte man sich da womöglich besser nicht machen.

 

bearbeitet von iskander
Geschrieben
vor 6 Minuten schrieb gouvernante:

Ich würde das im 5.Jhd. verorten, weil sich da (regional differenziert) das Interesse am Christus eschatos auf die Eschata verlagert,also vom Interessse an der Person des wiederkommenden Christus (personal) auf die "Dinge danach" (detailorientiert) verlagert. Lässt sich zumindest in den griechischen Homilien ganz gut nachverfolgen. Für den lateinischen Westen kann ich das nicht so genau sagen.

 

Soweit ich weiß, erwartete aber Karl der Große das nahe Ende der Welt, und um die Wende zum 1. Jahrtausend gab es wohl auch viele derartige Erwartungen. Also scheint es, als wäre wäre die Erwartung einer nahen Endzeit doch zumindest immer wieder aufgeflammt.

Geschrieben
vor 1 Minute schrieb gouvernante:

Ich würde das im 5.Jhd. verorten, weil sich da (regional differenziert) das Interesse am Christus eschatos auf die Eschata verlagert,also vom Interessse an der Person des wiederkommenden Christus (personal) auf die "Dinge danach" (detailorientiert) verlagert. Lässt sich zumindest in den griechischen Homilien ganz gut nachverfolgen. Für den lateinischen Westen kann ich das nicht so genau sagen.

Ah okay.

 

Das stünde ja dann sogar noch in zeitlicher Folgenähe zu Chalcedon und Nicäa, Trinität und Zwei-Naturenlehre. Die Vergöttlichung Jesus hat ihn quasi in die Ewigkeit und die Mystik abgeschoben, während sein Menschsein immer unwichtiger wurde. Ob Menschen des 5. Jahrhunderts noch die Matthäischen und Lukanischen Argumentationen warum Jesus der Messias sein musste, wirklich "brauchten"?

 

Ich habe jedenfalls das Gefühl, daß in der lateinischen Kirche Lehre und Volksglauben da ziemlich auseinandergefallen sind. Die Lehre nimmt die Wiederkunft Christi eigentlich ständig in den Blick, aber für die Gläubigen ist dieser Ausblick kaum von eigener Bedeutung. Zumal Feste wie Fronleichnam oder Christkönig die Grenze zwischen Gegenwart und (fern(st)er Zukunft auch nicht gerade klarer ziehen sondern im Gegenteil sehr verschwimmen lassen.

Geschrieben
vor 8 Minuten schrieb iskander:

 

Soweit ich weiß, erwartete aber Karl der Große das nahe Ende der Welt, und um die Wende zum 1. Jahrtausend gab es wohl auch viele derartige Erwartungen. Also scheint es, als wäre wäre die Erwartung einer nahen Endzeit doch zumindest immer wieder aufgeflammt.

Karl ist ja auch lateinischer Westen. Dem werden griechische Predigten eher weniger gelegen haben.

Geschrieben

Einem Großteil Deiner Ausführungen kann ich ja folgen, aber in diesen zwei Punkten möchte ich Widerspruch anmelden:

 

vor 1 Stunde schrieb Merkur:

 

1. Diese Moral ist ein Problem des Lehramts, nicht der Gläubigen

 

2. Die Kirche legt zwar viel Wert auf die Aufrechterhaltung dieser Lehre, aber nicht unbedingt auf ihre Einhaltung in der privaten Lebensgestaltung.  

 

Siehe einfach meinen letzten längeren Beitrag und nimm das - vermutlich aus den USA stammende - Beispiel mit der Frau, die (aus sehr guten Gründen) große Angst hat, schwanger zu werden, und zu deren Fall manche befragten Priester meinen, dass sie keinesfalls verhüten dürfe. Man muss nicht in die dritte Welt gehen, um mehr als nur vereinzelte Fälle zu finden, in denen die kath. Sexualmoral erhebliche Probleme verursacht, und in denen auch die untere Hierarchie auf eine strikte Einhaltung dieser Moral drängen. Der Blick über den großen Teich genügt allem Anschein nach schon.

 

Und die hohe Hierarchie, personifiziert insbesondere auch durch JPII hat sehr nachdrücklich und sehr glaubhaft darauf gedrängt, dass die Gläubigen die Lehre im konkreten Leben sehr ernst nehmen.

Geschrieben
vor 10 Stunden schrieb iskander:
Am 14.5.2025 um 17:34 schrieb Frey:

Es ist ein Plädoyer für das andere Leben: Armut, Gehorsam, Ehelosigkeit sind die eigentlichen evangelischen Räte, für das Christus wirbt.

 

Dazu noch etwas:

 

Für mich entsteht der Eindruck, dass diese Räte, soweit sie tatsächlich im Evangelium selbst zu finden sind, dazu dienen, dass der Mensch möglichst frei ist für die Nachfolge Christi, ohne weltliche Sorge und Ablenkung. In diesem Sinne wäre doch auch der Rat der Ehelosigkeit zu verstehen. Ein Verbot der Verhütung scheint diesbezüglich aber wenig zu helfen. Wenn eine verheiratete Person nicht verhütet, bleibt sie ja dennoch verheiratet. Wesentlich mehr Zeit und Energie hat sie auch nicht. Das einzige, was erreicht wird, ist eine gewisse Frustration des Sexualtriebs. Diese kann aber auch zu Irritationen und Ablenkungen führen (s.u.), so dass die entsprechende Person dann auch nicht mehr Energie für den Glauben hat. Wie gesagt scheint das aber doch kaum das zu sein, worauf das Evangelium mit seinen Räten abzielt?

 

Wie schon gesagt scheinen die meisten Menschen eher negativ auf die NFP zu reagieren. In manchen Fällen kann das ganze auch ein richtiger Bumerang werden, je nach Persönlichkeit und Umständen. Das folgende Beispiel illustriert das:

 

"My experience as a woman using NFP was basically the catalyst to me leaving Catholicism, for many of the reasons you mentioned here. Having stayed abstinent until marriage, married life was supposed to be about finally being “free” to experience sexual intimacy with my husband, but NFP made it anything but.

My cycles were irregular and confusing, so tracking my fertility accurately was almost impossible. It left us with only a few days every month that seemed “safe,” and even then I could barely enjoy it because I was constantly terrified of becoming pregnant when I didn’t want to be yet. [...] 

It also meant we often weren’t having sex when I really wanted to; just on the days it was “okay” to on the calendar.

To add insult to injury, the Church is against masturbation (mutual or solo) without intercourse, so we couldn’t even work around the challenges of NFP that way. I was perpetually sexually frustrated and bitter.

I had been told that NFP would bring my husband and I closer together. But NFP was honestly harming the health of my marriage and my mental health. [...]"

https://www.reddit.com/r/excatholic/comments/15uslb0/anyone_else_struggled_with_nfp_in_marriage/

 

Das ist vielleicht einer der extremeren Fälle, aber mehr oder weniger ähnliche Erfahrungen machen nicht wenige. In einem solchen Fall macht der Verzicht den Menschen offensichtlich nicht "freier".

 

Manche Menschen führen sich zum ehelosen Leben berufen und werden Mönch oder Nonne. Manche sind dabei offensichtlich glücklich und zufrieden. Aber das sit freiwillig. Die kirchliche Sexualmoral hingegen ist streng verpflichtend. Das ist ein Punkt, den ich betonen möchte, weil immer wieder der Eindruck erweckt wird, als gehe es um ein reines Ideal oder reine Empfehlungen. Man würde es heutzutage vermutlich aus didaktischen Gründen im Ton etwas anders ausdrücken, aber in der Sache gilt noch immer zu 100%, was Pius XII., geantwortet hat, als der Weltverband der katholischen Frauenjugend 1952 beklagte, "daß vielen die christliche Lehre «als eine Summe von Vorschriften und Verboten» erschien und daß sie fürchteten, «in dieser Befehlsmoral zu ersticken»". Pius bekräftigte seiner Antwort die unbedingte Geltung der kath. Sexualmoral.

 

"Dann zählt der Papst verschiedene allgemeinverbindliche Verbote auf, darunter« Ehebruch, Geschlechtsverkehr Unverheirateter, Mißbrauch der Ehe, Selbstbefleckung ... », die «vom göttlichen Gesetzgeber strengstens verboten sind», und faßt die Objektivität und Absolutheit ihrer Geltung in dem Satz zusammen: «Da gibt es nichts zu prüfen. Wie immer die persönliche Lage sein mag, es gibt keinen anderen Ausweg als den zu gehorchen» [...]"

(Pfürtner, Kirche und Sexualität)


Deine Fragen betreffen die Spannung zwischen dem Ruf zur Freiheit in Christus und dem Gehorsam gegenüber dem göttlichen Gesetz. Die Kirche versteht die evangelischen Räte und die Sexualmoral nicht als Joch, sondern als Weg der Heiligung.


Die Räte: Freiheit für die Nachfolge
Die evangelischen Räte (Armut, Gehorsam, Ehelosigkeit) sind keine starren Gebote, sondern Einladungen, sich radikal von irdischen Bindungen zu lösen, um „ohne Sorgen dem Herrn zu dienen“ (1 Kor 7,32–35). Sie gelten nicht für alle, sondern für jene, die sich berufen fühlen, „das Himmelreich wie ein Schatz im Acker“ zu suchen (Mt 13,44).
Doch die allgemeine Moral – etwa die Treue in der Ehe oder die Achtung der Lebensweitergabe – ist kein „Ratschlag“, sondern wurzelt im Naturgesetz, das Gott in die Schöpfung eingeschrieben hat (Röm 2,15). Hier geht es nicht um individuelle Spiritualität, sondern um die Wahrheit des Menschen als Abbild Gottes: Sexualität ist immer zugleich univ (bindend) und prokreativ (schöpferisch). Dies ist kein kirchliches „Verbot“, sondern eine ontologische Wirklichkeit.

Askese oder Frustration?
Dein Einwand gegen NFP ist nachvollziehbar. Die Praxis erfordert Disziplin, Vertrauen und oft Opfer – wie alle Formen der Liebe. Doch die Kirche sieht in NFP nicht bloß eine „Methode“, sondern eine Haltung: Die eheliche Hingabe soll nicht der Bequemlichkeit dienen, sondern der gegenseitigen Achtung und der Offenheit für das Leben.
Das Leid, von dem du sprichst – Angst, Frustration, Ehekonflikte –, offenbart jedoch ein pastorales Versagen: NFP setzt Reifegrad, Bildung und geistliche Begleitung voraus. Wo man Paare bloß mit Kalendern und Regeln alleinlässt, verfehlt man den Kern der Lehre: Die Sexualität ist ein Sakrament der Gottesliebe, kein Problem, das es zu „managen“ gilt.
Der zitierte Reddit-Beleg zeigt tragisch, wie technische Regeln ohne geistliche Vertiefung zur Last werden. Doch die Alternative – Verhütung als Mittel zur Kontrolle – trennt, was Gott verbunden hat: Liebe und Leben. Die Kirche warnt nicht vor Lust, sondern vor der Instrumentalisierung des anderen (vgl. Humanae Vitae 14).


Warum kein „Ausweg“? Die Frage der absoluten Normen
Pius XII. betonte zu Recht: Es gibt Handlungen, die intrinsece malum sind – immer und überall schlecht, weil sie die Würde des Menschen verletzen (z.B. Masturbation, außerehelicher Verkehr). Diese Lehre ist keine „Befehlsmoral“, sondern Schutz der unverfügbaren Heiligkeit des Leibes (1 Kor 6,19–20).
Doch hier liegt das Kreuz: Das Gesetz allein rettet nicht. Es ist wie ein Leuchtturm, der den Weg weist – doch wer im Sturm kämpft, braucht mehr als nur Licht: Barmherzigkeit, Geduld, Tränen. Die Kirche vergisst bisweilen, dass Paulus nicht nur von der Sünde sprach, sondern auch von der „Kraft, die in der Schwachheit mächtig wird“ (2 Kor 12,9).


Das Geheimnis der Freiheit
Du fragst: Macht Verzicht wirklich frei?
Antwort: Freiheit ist nicht die Abwesenheit von Regeln, sondern die Befähigung zur Liebe. Christus befreit uns nicht von der Wahrheit, sondern für die Wahrheit (Joh 8,32). Die eheliche Enthaltsamkeit an unfruchtbaren Tagen kann – wenn im Glauben gelebt – die Liebe vertiefen: Sie lehrt Geduld, schafft Raum für Zärtlichkeit jenseits des Triebs und erinnert daran, dass der andere kein Objekt ist.
Doch wo diese Praxis zur Qual wird, liegt ein Ruf verborgen: Entweder zur Umkehr (etwa durch bessere NFP-Schulung) oder zur Annahme des Leidens als Teil des Kreuzes, das Christus verheißt (Mt 16,24). Nicht jedes Leid ist heilsam – aber jedes Leid kann geheiligt werden, wenn man es mit Ihm teilt.


Die Spannung aushalten
Die Kirche steht heute vor der gleichen Herausforderung wie die Apostel: Wie verkündet man die radikale Liebe Christi ohne zu zermalmen? Wie hält man an der Wahrheit fest, ohne die Schwachen zu überfordern (Apg 15,19)?
Dein "Zorn über die Härten der Lehre" ehrt dich – er zeigt, dass dir die Seelen am Herzen liegen. Doch vergiss nicht: Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade. Die Sexualmoral ist kein System zur Perfektionierung des Menschen, sondern ein Ruf zur Demut: Wir sind Geschöpfe, keine Schöpfer.
Möge der Heilige Geist uns lehren, die Wahrheit in Liebe zu leben (Eph 4,15) – und die Kirche daran erinnern, dass sie nicht Richterin, sondern Mutter ist

Geschrieben

Was will er uns damit nur sagen?

 

Dass die Lehre der Kirche nur eine Empfehlung ist auch da wo sie sagt, sie sei nicht verhandelbar?

 

Geschrieben (bearbeitet)
vor 7 Stunden schrieb iskander:

Man bedenke einmal dies: Wie würden beispielsweise Leute, die sich vielleicht mit viel Not und Mühe 50 Jahre lang durch die kath. Sexualmoral durchgequält haben, vielleicht verbunden mit viel Verzicht, eventuell auch Schuldgefühlen, Reue und Beichte, reagieren, wenn die Kirche auf einmal sagen würde: "April, April! All das war komplett unnötig! Aber Gott wird Euch Eure eigentlich komplett sinnlosen Opfer schon lohnen." 

Es dürfte viel mehr geben, die sich erfolglos durch durch die kirchliche Sexualmoral quälen, ind die sich irgendwann frustriert abwenden.

Das kümmert die Kirche doch auch nicht.

 

Werner

bearbeitet von Werner001
Geschrieben (bearbeitet)
vor 6 Stunden schrieb Frey:

Hier geht es nicht um individuelle Spiritualität, sondern um die Wahrheit des Menschen als Abbild Gottes: Sexualität ist immer zugleich univ (bindend) und prokreativ (schöpferisch). Dies ist kein kirchliches „Verbot“, sondern eine ontologische Wirklichkeit.

 

Falls die Rede von der "Fruchtbarkeit" ("Prokreativität") eines sexuellen Aktes bedeuten soll, dass dieser Akt zur Entstehung von Leben führen kann - und was sonst sollte gemeint sein? -, dann sind einige sexuellen Akte von Natur aus fruchtbar und viele andere nicht. Ich muss (schon wieder) Pfürtner zitieren:

 

"Der Papst legt [in Humane vitae] seinen Weisungen ein bestimmtes Verständnis von der <Natur> des Sexualaktes zugrunde. Er erklärt, jeder eheliche Akt müsse bleiben, was er von sich aus sei, nämlich «auf die Erzeugung menschlichen Lebens hingeordnet» (<<necessarium esse, ut quilibet matrimonii usus ad vitam humanam procreandam per se destinatus permaneat» [<Humanae vitae> Nr. 11]). Woher, so lautet die Frage, wissen wir, daß jeder Koitus <seiner Natur nach> (per se) auf Zeugung hingeordnet ist? Nicht nur nach naturwissenschaftlich-neuzeitlicher, sondern auch nach scholastischer (genauer: aristotelisch-thomistischer) Erkennenslehre, die die römische Theologie sonst zugrunde zu legen pflegt, kommt uns die Kenntnis von der Natur der Dinge und von natürlichen Gegebenheiten nicht von einem Apriori unserer Ideenwelt, also nicht durch <innere Schau> und unmittelbare Evidenz, sondern durch Beobachtung. Ob jeder menschliche Geschlechtsakt auf Zeugung hingeordnet ist oder nicht, ist also nicht <Überzeugungen> oder <Einstellungen> zu entnehmen. Hier hat nicht irgendein Glauben etwas zu sagen, sondern die Beobachtung der positiven Realität. So ist dafür auch kein kirchliches Lehramt zuständig. Hier sind zunächst humanbiologische und psychologische Tatsachenverhältnisse zu befragen. Das ist der Grund, warum Kardinal SUENENS auf dem Konzil vor einem neuen <Fall Galilei> in diesem Zusammenhang warnte. [...]
Nach dem Stand heutiger Wissenschaft ist klar zu erkennen, daß nur ein sehr kleiner Anteil der menschlichen koitalen Akte zur Fortpflanzung dient. Beim Menschen sind die instinktgesteuerten Zeiten animalischer Sexualität (Brunstzeiten) abgebaut, es besteht ein <Antriebsüberschuß>. Es entspricht einfach nicht den Tatsachen, daß eheliche Akte etwa in der empfängnisfreien Zeit der konzeptionsfähigen Frau oder nach der Menopause «auf Erzeugung menschlichen Lebens hingeordnet» sind. Diesen Akten wohnt <ihrer Natur nach> kein Fortpflanzungszweck inne; er ist somit auch nicht vom Schöpfer in sie hineingelegt. Denn womit will man ihre <naturhafte> Hinordnung auf Zeugung begründen? Sie sind auf Grund der biologisch-physiologischen Voraussetzungen des weiblichen Organismus einfach unfruchtbare Akte. Die Bereitstellung des Ovulum und alle anderen Bedingungen zur Konzeption fehlen. Wer dennoch behauptet, diesen Akten verbliebe eine Hinordnung auf Zeugung, haftet irgendwelchen vagen Vorstellungen an."

 

In der Tat! Und wenn man dem entgegenhält, dass die Aussage, dass jeder sexuelle Akt seiner Natur nach "auf die Zeugung hingeordnet" sei, doch etwas ganz anders meine, und zwar nichts Vages, sondern etwas Bestimmtes, dann stellt sich sofort die Frage: Ja, was denn? Was ist denn gemeint? Und wie lässt sich begründen, dass das, was gemeint ist - was auch immer das sein mag - tatsächlich der Fall ist und nicht nur behauptet wird?

 

Tatsache ist doch dies: Es gibt viele sexuelle Akte, die (wenn man dem üblichen Sprachgebrauch folgt) entweder fruchtbar oder von Natur aus unfruchtbar sind. Per definitionem kommen hingegen "natürlicherweise" keine sexuellen Akte vor, die aufgrund technischen menschlichen Eingreifens unfruchtbar sind. Das ist bis zu diesem Punkt im Prinzip einfach die Konstatierung von empirisch feststellbaren Tatsachen - oder, wenn man so will, die Konstatierung einer "ontologische Wirklichkeit". 

Der religiöse, theistische Mensch wird zudem zur Überzeugung gelangen, dass es Gott war, der die Dinge auf die gerade genannten Art eingerichtet hat - und dies mag er ebenfalls als "ontologische Wirklichkeit" bezeichnen. So weit, so gut. Bis zu diesem Punkt wird jeder zustimmen, der glaubt, dass Gott den Menschen und seine Sexualität erschaffen hat. 

 

Ein normatives Verbot der Kontrazeption lässt sich aus dem Gesagten aber gerade nicht ableiten. Denn wie sollte man auf seiner Grundlage logisch auf die Unerlaubtheit der Verhütung schließen?

 

Es kommen hier doch nur Fehlschlüsse infrage, wie etwa dieser: "X verhält sich von Natur aus so und so; also wäre es gegen Gottes Willen, X derart zu beeinflussen, dass es sich anders verhält." 

Denn allgemein geht man doch davon aus, dass die Natur gemäß dem göttl. Willen (!) das Potential besitzt, vom Menschen verändert und überformt zu werden, und dass der Mensch auch ein Anrecht darauf hat, in sinnvoller Weise regulierend auf die Natur einzuwirken!

 

Warum soll das dann nicht auch im Fall der Sexualität nicht gelten? Wie ist es zu rechtfertigen, dass man bei der Sexualität - und bei ihr allein - die gegebene biologische Faktizität ganz unmittelbar mit Gottes Gebot gleichsetzt?

 

Die reine Versicherung jedenfalls, dass es eben zur ontologischen Wirklichkeit der Sexualität dazu gehöre, dass sie ein Verbot menschlicher Eingriffe beinhalte, ist kein Argument für das Verbot der Verhütung - sie ist im Wesentlichen vielmehr einfach die Bekräftigung dieses Verbots mit anderen Worten!

 

Bisher habe ich, soweit ich sehe, auf die Frage, wie an dieser Stelle ein tragfähiges Argument aussehen könnte, noch keine Antwort erhalten.

 

Zitat

Die eheliche Hingabe soll nicht der Bequemlichkeit dienen, sondern der gegenseitigen Achtung und der Offenheit für das Leben.

 

Ist die Unbequemlichkeit der Bequemlichkeit stets vorzuziehen, gewissermaßen als Selbstzweck? Wenn ja, dann nur im Bereich der Sexualität oder überhaupt? Muss man dann jede Strecke zu Fuß laufen, wo immer dies nur irgendwie möglich ist, weil man sonst der Bequemlichkeit frönt?

 

Zweitens: Wenn ein Ehepaar fünf Kinder gezeugt hat und sie liebevoll und mit sehr viel Mühe und Arbeit aufzieht, würde dieses Ehepaar dann der "Bequemlichkeit" frönen, wenn es nun verhütet? Und würde es dann seine gegenseitige Achtung verlieren?

 

Drittens: Wenn ein anderes Ehepaar NFP betreibt und peinlich genau darauf achtet, dass dabei wirklich keine Kinder zur Welt kommen: In welchem konkreten und greifbaren Sinne ist dieses andere Ehepaar ceteris paribus dann "offener für das Leben" als ein Ehepaar, das verhütet?

 

(Oder heißt "offener für das Leben sein" einfach nur: "nicht künstlich verhüten"? Dann wäre die Aussage, dass das Ehepaar, das NFP betreibt und nicht künstlich verhütet, offen für das Leben ist, natürlich wahr - aber auch nur deshalb, weil es sich dann um eine nichts-sagende Tautologie handeln würde!)

 

Auch solche Fragen sind, wenn ich dies bemerken darf, bisher ohne Antwort geblieben.
 

Zitat

Das Leid, von dem du sprichst – Angst, Frustration, Ehekonflikte –, offenbart jedoch ein pastorales Versagen: NFP setzt Reifegrad, Bildung und geistliche Begleitung voraus. Wo man Paare bloß mit Kalendern und Regeln alleinlässt, verfehlt man den Kern der Lehre: Die Sexualität ist ein Sakrament der Gottesliebe, kein Problem, das es zu „managen“ gilt.

 

Alles schön und gut: Nur was sagt man beispielsweise einem Ehepaar, bei dem die Frau einen sehr unregelmäßigen und sehr schlecht zu berechnenden Rhythmus hat, sich aber ein weiteres Kind nicht erlauben kann? Und wo der weitgehende Verzicht auf Sexualität nicht als Bereicherung, sondern als Belastung der Ehe empfunden wird? Zum Beispiel:

 

"At just 9 weeks, the baby died on the one year anniversary of my brother’s very tragic death. Two days later, I lay hemorrhaging on the bathroom floor just minutes after my husband got home from his night shift at work.  If the timing had been off, even a little, he would have come home to a dead wife in a puddle of blood. [...]

I did everything I was “supposed to do.” I dutifully followed my chart. I didn’t touch my husband at times I needed his affection the most for days, weeks, months. I frequently went to spiritual direction, met off and on with a friend who is a therapist, talked to other women in my position, called my Creighton instructor 1000 times sobbing and confused. I even tried doing my basal body temperature only to find out that it’s off and really doesn’t rise, yet by all accounts my thyroid is fine. I prayed and prayed and prayed for peace and grace and perseverance. I sobbed. I shook. I counted the days until my period was due, and recounted and counted again when it didn’t show – What did I do wrong? Oh, God. Not again. A positive pregnancy test… Would I live? Would my baby live?"

https://www.patheos.com/blogs/sickpilgrim/2018/04/you-are-not-alone-catholic-womens-real-life-experiences-of-nfp-part-vii/

 

Oder dies:

 

"In the discussion that followed, Margaret Farley, a Yale University ethicist and campaigner for African women suffering from AIDS, told the audience: ‘Many African women have very little choice in the exercise of their sexuality. If, for example, a husband wants sex, wives are expected to respond, even if the husband is infected. [...]'"

(Cornwell, The Pope in the Winter)

 

Du scheinst nicht zu sehen, dass es sich hier - und auch in vielen weniger dramatischen Fällen - nicht in erster Linie um ein didaktisches, sondern ein inhaltlich-sachliches Problem handelt!

 

Wie soll man denn etwa solchen Frauen wie aus den letzten beiden Beispielfällen konkret pastoral helfen? Soll man der ersten in liebevoller und pastoral feinfühliger Art sagen, dass sie eben ganz auf jede eheliche Intimität verzichten soll? Und im zweiten Fall den betroffenen Frauen in genauso liebevoller und pastoral feinfühliger Art, dass sie eben ihr Leben opfern sollen? 

 

Und wofür? Für ein Sexualgebot, das nicht im Evangelium zu finden ist, und für das es keinerlei wie auch immer gearteten Argumente zu geben scheint, die aus mehr bestehen würden als aus bloßen Behauptungen und eklatanten Fehlschlüssen? 

 

Eine Sexuallehre, die erkennbar darin ihren Ursprung hat, dass die Kirche eine zutiefst sexualfeindliche Tradition hat, dass sie sich extrem schwer damit tut, Irrtümer einzugestehen, und dass Karol Wojtyła / JPII offenkundig einer unwissenschaftlich arbeitenden Ideologin auf den Leim gegangen ist, die empirisch unbelegbare und in der Tat absurde Dinge über die Verhütung behauptet hat, rechtfertigt - bei allem Respekt - nicht das Leiden und erst recht nicht den Tod auch nur eines Menschen.

 

Zitat

Doch die Alternative – Verhütung als Mittel zur Kontrolle – trennt, was Gott verbunden hat: Liebe und Leben.

 

Gott hat Liebe und die Zeugung von Leben höchstens recht lose verbunden, nämlich an wenigen Tagen des weiblichen Zyklus. Und aus der bloßen Tatsache, dass an manchen Tagen sexuelle Akte natürlicherweise zur Zeugung führen können, folgt so wenig wie aus anderen biologischen Tatsachen und Zusammenhängen, dass Gott etwas dagegen haben müsste, wenn der Mensch in einer sinnvollen Weise in die biologische Natur eingreift. Damit gibt es dann aber auch keinen Grund, der dagegen spräche, Liebe und Zeugungsfunktion zu trennen, wo dies sinnvoll ist.

 

Nochmals folgende, bisher unbeantwortete Fragen: 

 

Wenn es im konkreten Fall sinnvoll ist, dass jemand zu einer bestimmten Zeit seine Leibe sexuell ausdrückt, aber keine Kinder zeugt: wieso sollte Gott dann darauf bestehen, dass entweder ein Kind gezeugt wird (dessen Zeugung nicht wünschenswert ist) oder dass das Paar auf Sex verzichtet (obwohl dieser wünschenswert ist)? Warum sollte ein menschenfreundlicher Gott auf einer derart widersinnigen Forderung insitieren? Warum sollte eine Gebotsnorm gelten, die da lautet: 

 

"A und B müssen immer zusammen realisiert werden, selbst wenn es in einer bestimmten Situation zwar gut ist, wenn A realisiert wird, aber schlecht, wenn B realisiert wird; dies gilt selbst dann, wenn eine Trennung von A und B ohne Schaden möglich wäre und auch sonst nichts gegen eine solche Trennung spricht." 

 

Welchen verständlichen Sinn ergibt es denn, darauf zu beharren, dass A und B entweder zusammen oder gar nicht realisiert werden sollen? Es ist doch evident, dass das Verbot einer Trennung von A und B in einem derartigen Fall absolut keinen Sinn ergibt!

 

Zitat

Die Kirche warnt nicht vor Lust, sondern vor der Instrumentalisierung des anderen (vgl. Humanae Vitae 14).

 

Nur ist die Behauptung, dass jemand, der verhütet, den anderen "instrumentalisiert", eben dies: eine reine Behauptung. 

 

Bringt es Dich denn wirklich gar nicht zum Nachdenken, dass die Kirche eine sehr lange und extrem sexualfeindliche Tradition hat, und dass zahlreiche Gebote von da herrühren auch wenn die Begründungen gewechselt haben?

 

Zitat


Pius XII. betonte zu Recht: Es gibt Handlungen, die intrinsece malum sind – immer und überall schlecht, weil sie die Würde des Menschen verletzen (z.B. Masturbation, außerehelicher Verkehr). Diese Lehre ist keine „Befehlsmoral“, sondern Schutz der unverfügbaren Heiligkeit des Leibes (1 Kor 6,19–20).

 

Dass dem so sei, ist eine weitere These, für die zumindest mir keinerlei tragfähige Argumente bekannt sind. Dass Akte wie z.B. Masturbation und vorehelicher Verkehr die Würde des menschlichen Leibes verletzen, ist schlichtweg eine Behauptung. Dass Paulus an der von Dir zitierten Stelle an diese Akte dachte, ist Spekulation. Dass solche Akte durch eine "unverfügbaren Heiligkeit des Leibes" ausgeschlossen werden, nicht aber Tausende und Millionen andere Akte, bei denen wir über unseren Leib "verfügen", wäre höchst begründungsbedürftig.

 

Es kommt, wenn ich dies so sagen darf, nicht selten vor, dass Du bestimmte Behauptungen mit anderen Thesen rechtfertigst - mit Thesen, die ihrerseits dringend begründungsbedürftig wären, die aber nicht begründet, sondern einfach behauptet werden.

 

Zitat

Doch hier liegt das Kreuz: Das Gesetz allein rettet nicht. Es ist wie ein Leuchtturm, der den Weg weist – doch wer im Sturm kämpft, braucht mehr als nur Licht: Barmherzigkeit, Geduld, Tränen.

 

Die Kirche macht den Menschen ohne jede Grundlage zum Schuldigen - und dann zeigt sie sich großzügig. So wirkt es jedenfalls auf mich, wenn ich offen sein darf.

 

Zitat

Die eheliche Enthaltsamkeit an unfruchtbaren Tagen kann – wenn im Glauben gelebt – die Liebe vertiefen: Sie lehrt Geduld, schafft Raum für Zärtlichkeit jenseits des Triebs und erinnert daran, dass der andere kein Objekt ist.

 

Für manche Leute vielleicht. Und für andere nicht. Viele Leute haben weniger ein Problem damit, dass sie sich zum Objekt degradiert fühlen, sondern damit, dass sie ihre Intimität einem Kalender unterwerfen müssen, oder dass sie im schlechtesten Fall (unregelmäßiger Zyklus, Ehepartner häufig weg) kaum noch dazu kommen, intim zu verkehren.

 

Interessiert das überhaupt? Ist entscheidend, wie die Betroffenen ihre Sexualität erleben? Oder kommt es - man verzeihe mir - darauf an, wie sie ihre Sexualität laut einigen zölibatären Herren zu erleben haben? 

Was soll denn behoben werden? Probleme, die Menschen erleben, oder Probleme, von denen andere behaupten, dass sie existieren, obwohl kaum ein Betroffener sie wahrnimmt?

 

Zitat

Doch wo diese Praxis zur Qual wird, liegt ein Ruf verborgen: Entweder zur Umkehr (etwa durch bessere NFP-Schulung) oder zur Annahme des Leidens als Teil des Kreuzes, das Christus verheißt (Mt 16,24). Nicht jedes Leid ist heilsam – aber jedes Leid kann geheiligt werden, wenn man es mit Ihm teilt.

 

Und was ist damit, wenn man den Menschen ohne jede Not Kreuze auferlegt und ihnen künstlich ein Leiden schafft? 

 

Die Kirche hat - bei aller Kontinuität - ihre lange tradierte Sexuallehre auch in wichtigen Punkten verändert. Aus heutiger Sicht hat sie sich in wichtigen Punkten also geirrt - und man muss sagen: sie hat sich zum Teil tragisch geirrt. Sie hat damit unzweifelhaft auch viel unnötiges Leid angerichtet. 

Wenn das so ist, müsste man dann nicht auch die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass sie sich in manchen Punkten auch heute irrt? Denn wenn die Kirche sich bei den Sexualnormen früher so sehr geirrt hat, was garantiert - oder macht es auch nur wahrscheinlich - dass sie heute in allen wichtigen Punkten recht hat?

 

Und ist Dir schon einmal die Idee in den Sinn gekommen, dass die Kirche, falls sie sich irrt, schwere Schuld auf sich laden würde?

 

Zitat

Die Kirche steht heute vor der gleichen Herausforderung wie die Apostel: Wie verkündet man die radikale Liebe Christi ohne zu zermalmen? Wie hält man an der Wahrheit fest, ohne die Schwachen zu überfordern (Apg 15,19)?

 

Nur dass die Apostel im Vergleich sehr wenig über Sexualität gesagt haben!

 

Zitat

Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade. Die Sexualmoral ist kein System zur Perfektionierung des Menschen, sondern ein Ruf zur Demut: Wir sind Geschöpfe, keine Schöpfer.

 

Das ist ein bisschen milde ausgedrückt, wenn man bedenkt, dass laut Lehre mindestens jede unerlaubte sexuelle Handlung, allem Anschein nach aber jede sexuelle Lust, welcher "zugestimmt" wurde, direkt in die ewige Hölle führt, falls der Betroffene zur Unzeit stirbt und keine schwerwiegenden schuldmindernden Umstände vorliegen!

 

Allerdings ist das nicht untypisch für "moderne" konservative Katholiken, wenn mir diese Bemerkung erlaubt ist: Man will zu 100% an der offiziellen katholischen Lehre festhalten, ist aber nicht gerne bereit, die Konsezquenzen zu ziehen, die logisch zwingend aus ihr folgen. 

Nein, im Fall der Sexualität ist es laut offizieller Lehre eben nicht so, dass alles halb so wild ist - vielmehr ist dort alles ein Spiel mit dem Höllenfeuer!

 

In Deinen Beiträgen und in ähnlicher Form auch in den Verlautbarungen des Lehramts oder in entsprechenden theologischen Schriften finden sich zahlreiche Behauptungen; unter anderem Behauptungen wie diese:

 

- Dass die Ordnung der Natur ein Verbot der Verhütung beinhalte (bzw. dass es sich aus dieser ableiten lasse).

- Dass jeder sexuelle Akt auf die Zeugung "hingeordnet" sei - und zwar offenbar auch noch in einer Weise, aus der folgt, dass eine künstliche Verhütung verboten sei.

- Dass Liebe und Fruchtbarkeit stets in einer Weise verbunden seien, die ein moralisches Verbot einer (zeitweisen) künstlichen Trennung impliziere.

- Dass der Mensch, der verhüte, sich anmaße, in verbotener Weise über das menschliche Leben bzw. über dessen "Quellen" zu verfügen.

- Dass es die Würde des sexuellen Aktes verletze, wenn man verhütet. 

- Dass die von der Kirche verbotenen sexuellen Akte eine sündhafte Verfügung über den eigenen Leib beinhalten würden.

- Dass die Verhütung (tendenziell?) dazu führe, dass man sich "instrumentalisiere".

- Dass der das Paar, das verhütet, (tendenziell?) die gegenseitige Achtung verliere.

- Dass, wer NFP betreibt, "offener" für das Leben sei als jemand, der künstlich verhütet.

 

All diese Behauptungen sind aber bisher genau das - Behauptungen. Sie wären unbedingt zu begründen, denn sie sind weit davon entfernt, Selbstverständlichkeiten zu sein. Ein wirkliche argumentative Begründung fehlt bislang jedoch; vermeintliche Argumente bestehen allem Anschein nach entweder aus der Wiederholung der zu beweisenden Behauptung (in etwas anderen Worten und etwas veränderter Form) oder aber in Schlüssen, die offenkundig fehlerhaft sind bzw. auf unbegründbaren und unhaltbaren Prämissen fußen.

 

bearbeitet von iskander
Geschrieben
vor 1 Stunde schrieb Werner001:

Es dürfte viel mehr geben, die sich erfolglos durch durch die kirchliche Sexualmoral quälen, ind die sich irgendwann frustriert abwenden.

Das kümmert die Kirche doch auch nicht.

 

Werner

 

Stimmt einerseits. Aber andererseits kann die Kirche, solange sie bei ihrer offiziellen Moral bleibt, ihre Hände in Unschuld wachen. Es sind ja die Leute, die sich irren, nicht sie. Was kann sie dafür, wenn die Menschen die Wahrheit nicht sehen oder sie nicht sehen wollen und sich von der Kirche abwenden, weil diese dem Gebot des Herrn treu bleibt? Die Kirche mag das Verhalten der Leute bedauern, kann sich aber damit trösten, dass sie sich nicht vorzuwerfen habe.

 

Was aber, wenn die Kirche sich plötzlich eingestehen müsste, dass sie die ganze Zeit im Unrecht war und dass es eben doch ihre Schuld ist, wenn ihr so viele den Rücken kehren?

 

Es wäre ein wenig wie bei einem Arzt, dessen Patienten über die von ihm verordneten Therapien klagen und teilweise seiner Praxis fernbleiben. Solange er sich sagen kann, dass er die richtigen Therapien verordnet, und dass die Patienten, die mit diesen Therapien schlecht zurechtkommen und sie abbrechen, das aus Unwissen aus Unvernunft tun, kann er sich gut fühlen. Dass seine fachmännische Therapie manchen Patienten zu unangenehm ist, als dass sie bereit wären, sie durchzuziehen, ist bedauerlich, aber nicht seine Schuld. Es mag ihn schmerzen, dass manche Patienten wegbleiben und er dadurch auch weniger Geld verdient - aber sein Selbstbild muss dadurch nicht tangiert werden. 

Was aber, wenn er sich plötzlich eingestehen müsste, dass viele Probleme seiner Patienten auf zahlreiche und schwerwiegende Kunstfehlern zurückgehen, die er begangen hat? Was, wenn er gar noch zugeben müsste, dass seine Fehler eigentlich leicht vermeidbar gewesen wären?

Geschrieben
vor 1 Stunde schrieb iskander:

Oder dies:

 

"In the discussion that followed, Margaret Farley, a Yale University ethicist and campaigner for African women suffering from AIDS, told the audience: ‘Many African women have very little choice in the exercise of their sexuality. If, for example, a husband wants sex, wives are expected to respond, even if the husband is infected. [...]'"

(Cornwell, The Pope in the Winter)

 

Dein eigentlicher Ansprechpartner wäre die Kongregation für die Glaubenslehre. Diese Notifikation zum Buch Just Love. A Framework for Christian Sexual Ethics von Sr. Margaret A. Farley RSM ist ein Musterbeispiel für "Die Kirche im Dialog". 

 

LG

Sancho Panza

Geschrieben
vor 16 Stunden schrieb iskander:

Soweit ich weiß, erwartete aber Karl der Große das nahe Ende der Welt, und um die Wende zum 1. Jahrtausend gab es wohl auch viele derartige Erwartungen. Also scheint es, als wäre wäre die Erwartung einer nahen Endzeit doch zumindest immer wieder aufgeflammt.

Ja, natürlich. Mit dem Y2K-Bug hatten wir das in säkularer Form vor nicht allzulanger Zeit auch wieder. Aber als breiten religiösen Topos, der alle und alles umfasst, halte ich es ab dem 5. Jhd. für ein Einzelphänomen.

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