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Die Theologie des Leibes von Johannes Paul ist gescheitert


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Geschrieben (bearbeitet)
vor 7 Stunden schrieb Weihrauch:

Dein eigentlicher Ansprechpartner wäre die Kongregation für die Glaubenslehre. Diese Notifikation zum Buch Just Love. A Framework for Christian Sexual Ethics von Sr. Margaret A. Farley RSM ist ein Musterbeispiel für "Die Kirche im Dialog". 

 

LG

Sancho Panza

 

Theoretisch ja, praktisch nein. Offensichtlich hat die Kirche kein Interesse an einer Diskussion, sondern daran, die Menschen zu belehren. (Wäre sie bereit, sich Argumenten zu öffnen, hätte sie ihr Lehre auch schon lange verändert.) Dessen bin ich mir bewusst, lieber Sancho, und deshalb tauge ich auch nur sehr eingeschränkt zum Don Quichotte. ;)

 

Was speziell die Glaubenskongregation angeht, so ist vielleicht aufschlussreich, was ein anderes Mitglied aus den Erfahrungen von Bernhard Häring zitiert:
 

Zitat

"Als mich bei einem hochnotpeinlichen Verhör vor dieser Kongregation* zuerst der zweite Mann, dann der dritte Mann mit sehr lauter Stimme angeschrien hatten, wagte ich zu sagen: "Meine Herren, vergessen Sie doch nicht die gesamte Vorgeschichte dieser Behörde". Da gab mir zu meinem Erstaunen Erzbischof Hamer, der Sekretär dieser Behörde, tatsächlich die unglaubliche Antwort: "Wir sind stolz auf diese unsere Vergangenheit!" "

(Bernhard Häring: "Geborgen und frei. Mein Leben")

*der Römischen Glaubenskongregation

 

 

Leonardo Boff zitiert Häring wie folgt:

 

"Diese Befragung war schlimmer als das, was ich während des Krieges unter der Nazi-SS erlitten habe."

 

Häring selbst schreibt über Heribert Doms, der damals die Lehre der Ehezwecke infragestellte (inzwischen ist seine Lehre sogar offiziell mehr oder weniger offiziell akzeptiert, meine ich):

 

"During a long walk he related to me his difficult fate after the Russian occupation of his home town Breslau, his imprisonment by the Rus¬ sians, his adventure-filled flight to the West, the complete loss of his not insignificant paternal heritage. Nevertheless, he felt all this suffering as nothing in comparison to what had been visited upon him by the Holy Office, especially through Father Hürth."

 

Gemeint ist wohl Franz Hürth, der Ghostwriter der Enzykliken von Pius XI. und Pius XII. 

 

Boff, der offenbar von FI eine Quasi-Rehabilitation erfuhr, meinte:

 

"Meine persönliche Erfahrung im Umgang mit der doktrinären Macht ist diese: Sie ist grausam und gnadenlos. Sie vergisst nichts, vergibt nichts und verlangt alles."

 

K. Charamsa (Der erste Stein), ein ehemaliges Mitglied der Glaubenskongregation, schreibt über seine Erfahrungen mit dieser Institution das:

 

"Sehr bald merkte ich jedoch, dass es in den Kreisen, zu denen ich jetzt gehörte, gang und gäbe war, andere mithilfe von Denunziation zu vernichten und auf Kosten des Opfers Karriere zu machen – genau so, wie ich es in der Biogrfie jenes Typen vom KGB gelesen hatte. Man musste nur darauf achten, dass man sich nicht etwa einen mächtigen Kardinal zum Feind machte, sondern nur Schwache und Wehrlose! [...]"

 

"Homosexualität war eines der beliebtesten Themen, über das man diskutierte, es stand immer wieder auf der Tagesordnung. Es war eine Obsession. Ich entsinne mich eines Monsignore, eines Traditionalisten, der in seinem ganzen Leben nichts Vernünftiges zustande gebracht hatte. Dieser Mann, der, obwohl Nichtstuer par excellence, mithilfe Benedikts auf der Karriereleiter nach oben gestiegen war, schrie während einer Kaffeepause, unter Bezugnahme auf die Ausschreitungen russisch-orthodoxer Aktivisten gegen die Homosexuellen im Lande: »Endlich hat jemand den Mut, diesen menschlichen Dreck wegzufegen, endlich hat jemand keine Angst und gibt ihnen mal richtig eins auf die Mütze!« Intra muros war das die gängige Ausdrucksweise; sie hatte nichts mit jener erhaben salbungsvollen gemein, die man in den offiziellen Verlautbarungen fand, welche an die Medien ausgegeben wurden. [...]

Ich werde nie vergessen, wie der Präfekt der Kongregation mir mit solch komplizenhaft verschwörerischem Gebaren, wie es unter uns üblich war, bei einer Versammlung zuraunte, er müsse nun gehen, und mir voller Befriedigung eine in seinem iPhone vorgemerkte Verabredung mit einem Ayatollah zeigte. Erst später wurde mir klar, dass es sich bei diesem Mann um einen jener geistlichen Führer handeln musste, die ihre Gefolgsleute dazu aufhetzen, alle Homosexuellen auszurotten. Nach seinem Zusammentreffen mit dem Ayatollah berichtete der Präfekt mir, dass jener enttäuscht und besorgt über die Permissivität von Papst Franziskus sei. Non c’è più religione... [Es gibt keine Religion mehr]."

 

Dies vielleicht auch als kleine Warnung: Wenn die Kirche in offiziellen Dokumenten ihren guten Willen und ihre Menschenfreundlichkeit beschwört, muss das so wenig der Wahrheit entsprechen wie bei Verlautbarungen anderer Institutionen.

 

bearbeitet von iskander
Geschrieben (bearbeitet)

@Frey und @ alle:

 

Manchmal ist es ja hilfreich, ein Argument etwas formaler darzustellen und seine Prämissen explizit zu machen. Das "biologistische" Argument, dass Verhütung einen natürlichen Zusammenhang auflöse und daher gegen Gottes Wille sei, ließe sich in etwa wie folgt ausdrücken:

 

1. Gott hat die Natur mit ihren Eigenschaften, Zusammenhängen und Funktionen so eingerichtet, wie sie ist.
2. Also will Gott, dass die Natur auch so bleibt, wie sie ist, und dass der Mensch sie nicht verändert (etwa durch Hemmung natürlicher Funktionen).

3. Bei der künstlichen Empfängnisverhütung wird aber in die Natur eingegriffen (durch Hemmung einer natürlichen Funktion).
4. Also widerspricht Empfängnisverhütung dem Willen Gottes. 

 

Die Prämisse 1 drückt einfach die Überzeugung aus, dass Gott die Natur in ihrem So-Sein geschaffen hat; die 3. Prämisse bringt eine offensichtliche und unbestreitbare Tatsache zum Ausdruck. 

 

Das Problem ist die 2. Prämisse. Sie kann unmöglich wahr sein; denn wenn sie wahr wäre, ergäben sich aus ihr die absurdesten Konsequenzen. Es ginge so weit, dass man beispielsweise einem Menschen keine Blutproben entnehmen dürfte - denn mit einer Blutentnahme reißt man das abgenommene Blut ja aus seiner "gottgewollten" natürlichen Ordnung heraus und hindert es daran, seiner "gottgewollten" natürlichen Funktion nachzukommen.

 

Anstatt die 2. Prämisse für wahr zu halten, wird man annehmen müssen, dass Gott, auch wenn er die Natur auf eine bestimmte Weise einrichtet, deshalb noch keineswegs will, dass sie unverändert im Originalzustand erhalten bleiben muss. Vielmehr wird man sagen müssen, dass zur Schöpfung, so wie Gott sie will, auch das Potential der Natur dazugehört, veränderbar und formbar zu sein, und ebenso die Fähigkeit des Menschen, in die Natur einzugreifen und sie zu überformen. Dem Menschen wäre es freigestellt, in die Natur einzugreifen - zumindest dann, wenn ein vernünftiger Grund für einen entsprechender Eingriff vorliegt und wenn keine besonderen Einwände gegen den Eingriff bestehen. Und das Wohl des Menschen wäre natürlich solch ein legitimer Grund. (Auch ohne einen besonderen Grund müsste ein Eingriff legitim sein, sofern keine Einwände bestehen.) 

 

Das obige Argument ist also untauglich, weil eine seiner Prämissen unzweifelhaft falsch ist.

 

Vielleicht möchte man an dieser Stelle einwenden, dass Gott zwar nichts gegen Eingriffe in die Natur im allgemeinen habe, wohl aber gegen Eingriffe in sexuelle Akte. Dann stellt sich aber natürlich die Frage, warum das so sein soll.

Wenn die Antwort nun lautet: "Weil Gott die Sexualität so erschaffen und so gestaltet hat, dass manche sexuellen Akte von Natur aus zur Zeugung dienen können", dann stellt sich sofort die Anschluss-Frage: "Wieso folgt daraus, dass manche sexuellen Akte natürlicherweise zur Zeugung dienen können, dass Gott etwas dagegen hat, wenn der Mensch so in die Natur eingreift, dass manche dieser Akte nicht mehr zur Zeugung dienen können?"

 

Wenn die Antwort hierauf nun lautet "Wenn Gott die Sexualität so erschaffen hat, dass sie auf eine bestimmte Weise funktioniert, dann will er auch, dass sie unverändert bleibt und weiterhin so funktioniert, wie er sie erschaffen hat", dann muss man erneut fragen: Warum soll das gelten? 

 

Lautet die Antwort nun, dass Gott will, dass das von ihm Erschaffene so bleibt, wie er es erschaffen hat (weil er es sonst ja anders erschaffen hätte), dann haben wir uns im Kreis gedreht und sind wieder bei der 2. Prämisse von oben gelandet! ("[...] Gott [will], dass die Natur auch so bleibt, wie sie ist, und dass der Mensch sie nicht verändert [...].")

 

Wenn die Antwort jedoch lautet "Weil Gott will, dass die Sexualität - anders als die restliche erschaffene Natur! - unverändert so funktioniert, wie sie erschaffen wurde", dann haben wir uns ebenfalls im Kreise gedreht und sind wieder dort angekommen, wo wir gestartet waren, nachdem wir die Unhaltbarkeit des ursprünglichen Arguments mit seiner 2. Prämisse erkannt hatten. ("Vielleicht möchte man an dieser Stelle einwenden, dass Gott zwar nichts gegen Eingriffe in die Natur im allgemeinen habe, wohl aber gegen Eingriffe in sexuelle Akte.") Statt eine Begründung haben wir dann einfach die Wiederholung der zu begründenden Behauptung.

 

Mit anderen Worten: Eine taugliche "naturalistische" Begründung des Verbots der Verhütung dürfte gerade nicht auf das abheben, was der Anlage der Sexualität und anderen natürlichen Anlagen gemein ist; sie dürfte sich also nicht einfach darauf berufen, dass die Sexualität "von Natur aus" und ohne menschlichen Eingriff so und so funktioniert. Ebenfalls dürfte eine Begründung sich nicht einfach darin erschöpfen, wiederholt und ohne Argument zu behaupten, dass aus der Natur der Sexualität und im Hinblick auf diese etwas folge, was aus der Natur anderer natürlicher Phänomene und Tatsachen gewiss nicht folgt - nämlich dass Gott will, dass alles bleibt, wie es ist, so dass menschliche Eingriffe zu unterlassen seien. 

 

Vielmehr müsste eine Begründung, die mit Berufung auf die biologische Natur heraus argumentiert, die folgenden zwei Kriterien erfüllen: 

 

- Sie müsste auf ein Merkmal der Sexualität rekurrieren, welches für die Sexualität spezifisch ist; also auf etwas, was die natürliche sexuelle Funktionen von anderen natürlichen Funktionen, Zusammenhängen und Tatsachen unterscheidet

- Es müsste begründet werden, dass dieses Spezifikum der Sexualität es tatsächlich plausibel macht, dass die Sexualität im Hinblick auf menschliche Eingriffe anders zu behandeln sei als andere natürliche Anlagen, Dispositionen und Prozesse (sofern dies nicht von sich aus offenkundig ist).


Wie das funktionieren könnte, müsste man mir allerdings erklären. Mir zumindest ist kein Ansatz bekannt, den man ernst nehmen könnte.

 

Alternativ kann man natürlich auch die ganze "biologistische" Argumentation ganz sein lassen und komplett anders argumentieren (oder man mag die oder sie durch ein anderes Argument ergänzen). Grisez beispielsweise sieht offenbar klar, wie unhaltbar der "biologistische" Begründungsansatz ist. Er und andere scheinen stattdessen geltend zu machen, dass das menschliche Leben ein Gut sei, und dass es deshalb falsch sei, seine Entstehung abzulehnen. Das übersieht aber, dass das Leben des Menschen zwar ein Gut (wertvoll) ist, dass es aber keineswegs gut (wünschenswert) ist, dass zu jedem Zeitpunkt und unter allen Umständen ein neuer Mensch entsteht. Ebenfalls übersieht man hier, dass auch bei NFP und bei Enthaltsamkeit zum Zweck der Kindervermeidung die Entstehung eines Kindes abgelehnt wird (siehe zu dieser Art von Argument dies hier). Auch andere überzeugende Ansätze sind mir nicht bekannt. 

 

bearbeitet von iskander
Geschrieben
vor 51 Minuten schrieb iskander:

@Frey und @ alle:

 

Manchmal ist es ja hilfreich, ein Argument etwas formaler darzustellen und seine Prämissen explizit zu machen. Das "biologistische" Argument, dass Verhütung einen natürlichen Zusammenhang auflöse und daher gegen Gottes Wille sei, ließe sich in etwa wie folgt ausdrücken:

 

1. Gott hat die Natur mit ihren Eigenschaften, Zusammenhängen und Funktionen so eingerichtet, wie sie ist.
2. Also will Gott, dass die Natur auch so bleibt, wie sie ist, und dass der Mensch sie nicht verändert (etwa durch Hemmung natürlicher Funktionen).

3. Bei der künstlichen Empfängnisverhütung wird aber in die Natur eingegriffen (durch Hemmung einer natürlichen Funktion).
4. Also widerspricht Empfängnisverhütung dem Willen Gottes. 

 

Die Prämisse 1 drückt einfach die Überzeugung aus, dass Gott die Natur in ihrem So-Sein geschaffen hat; die 3. Prämisse bringt eine offensichtliche und unbestreitbare Tatsache zum Ausdruck. 

 

Das Problem ist die 2. Prämisse. Sie kann unmöglich wahr sein; denn wenn sie wahr wäre, ergäben sich aus ihr die absurdesten Konsequenzen. Es ginge so weit, dass man beispielsweise einem Menschen keine Blutproben entnehmen dürfte - denn mit einer Blutentnahme reißt man das abgenommene Blut ja aus seiner "gottgewollten" natürlichen Ordnung heraus und hindert es daran, seiner "gottgewollten" natürlichen Funktion nachzukommen.

 

Anstatt die 2. Prämisse für wahr zu halten, wird man annehmen müssen, dass Gott, auch wenn er die Natur auf eine bestimmte Weise einrichtet, deshalb noch keineswegs will, dass sie unverändert im Originalzustand erhalten bleiben muss. Vielmehr wird man sagen müssen, dass zur Schöpfung, so wie Gott sie will, auch das Potential der Natur dazugehört, veränderbar und formbar zu sein, und ebenso die Fähigkeit des Menschen, in die Natur einzugreifen und sie zu überformen. Dem Menschen wäre es freigestellt, in die Natur einzugreifen - zumindest dann, wenn ein vernünftiger Grund für einen entsprechender Eingriff vorliegt und wenn keine besonderen Einwände gegen den Eingriff bestehen. Und das Wohl des Menschen wäre natürlich solch ein legitimer Grund. (Auch ohne einen besonderen Grund müsste ein Eingriff legitim sein, sofern keine Einwände bestehen.) 

 

Das obige Argument ist also untauglich, weil eine seiner Prämissen unzweifelhaft falsch ist.

 

Vielleicht möchte man an dieser Stelle einwenden, dass Gott zwar nichts gegen Eingriffe in die Natur im allgemeinen habe, wohl aber gegen Eingriffe in sexuelle Akte. Dann stellt sich aber natürlich die Frage, warum das so sein soll.

Wenn die Antwort nun lautet: "Weil Gott die Sexualität so erschaffen und so gestaltet hat, dass manche sexuellen Akte von Natur aus zur Zeugung dienen können", dann stellt sich sofort die Anschluss-Frage: "Wieso folgt daraus, dass manche sexuellen Akte natürlicherweise zur Zeugung dienen können, dass Gott etwas dagegen hat, wenn der Mensch so in die Natur eingreift, dass manche dieser Akte nicht mehr zur Zeugung dienen können?"

 

Wenn die Antwort hierauf nun lautet "Wenn Gott die Sexualität so erschaffen hat, dass sie auf eine bestimmte Weise funktioniert, dann will er auch, dass sie unverändert bleibt und weiterhin so funktioniert, wie er sie erschaffen hat", dann muss man erneut fragen: Warum soll das gelten? 

 

Lautet die Antwort nun, dass Gott will, dass das von ihm Erschaffene so bleibt, wie er es erschaffen hat (weil er es sonst ja anders erschaffen hätte), dann haben wir uns im Kreis gedreht und sind wieder bei der 2. Prämisse von oben gelandet! ("[...] Gott [will], dass die Natur auch so bleibt, wie sie ist, und dass der Mensch sie nicht verändert [...].")

 

Wenn die Antwort jedoch lautet "Weil Gott will, dass die Sexualität - anders als die restliche erschaffene Natur! - unverändert so funktioniert, wie sie erschaffen wurde", dann haben wir uns ebenfalls im Kreise gedreht und sind wieder genau dort angekommen, wo wir gestartet waren, nachdem wir die Unhaltbarkeit des ursprünglichen Arguments mit seiner 2. Prämisse erkannt hatten. ("Vielleicht möchte man an dieser Stelle einwenden, dass Gott zwar nichts gegen Eingriffe in die Natur im allgemeinen habe, wohl aber gegen Eingriffe in sexuelle Akte.") Statt eine Begründung haben wir dann einfach die Wiederholung der zu begründenden Behauptung.

 

Mit anderen Worten: Eine taugliche "naturalistische" Begründung des Verbots der Verhütung dürfte gerade nicht auf das abheben, was der Anlage der Sexualität und anderen natürlichen Anlagen gemein ist; sie dürfte sich also nicht einfach darauf berufen, dass die Sexualität "von Natur aus" und ohne menschlichen Eingriff so und so funktioniert. Ebenfalls dürfte eine Begründung sich nicht einfach darin erschöpfen, wiederholt und ohne Argument zu behaupten, dass aus der Natur der Sexualität und im Hinblick auf diese etwas folge, was aus der Natur anderer natürlicher Phänomene und Tatsachen gewiss nicht folgt - nämlich dass Gott will, dass alles bleibt, wie es ist, so dass menschliche Eingriffe zu unterlassen seien. 

 

Vielmehr müsste eine Begründung, die mit Berufung auf die biologische Natur heraus argumentiert, die folgenden zwei Kriterien erfüllen: 

 

- Sie müsste auf ein Merkmal der Sexualität rekurrieren, welches für die Sexualität spezifisch ist; also auf etwas, was die natürliche sexuelle Funktionen von anderen natürlichen Funktionen, Zusammenhängen und Tatsachen unterscheidet

- Es müsste begründet werden, dass dieses Spezifikum der Sexualität es tatsächlich plausibel macht, dass die Sexualität im Hinblick auf menschliche Eingriffe anders zu behandeln sei als andere natürliche Phänomene (falls dies nicht von sich aus offenkundig ist).


Wie das funktionieren könnte, müsste man mir allerdings erklären. Mir zumindest ist kein Ansatz bekannt, den man ernst nehmen könnte.

 

Alternativ kann man natürlich auch die ganze "biologistische" Argumentation ganz sein lassen und komplett anders argumentieren (oder man mag die oder sie durch ein anderes Argument ergänzen). Grisez beispielsweise sieht offenbar klar, wie unhaltbar der "biologistische" Begründungsansatz ist. Er und andere scheinen stattdessen geltend zu machen, dass das menschliche Leben ein Gut sei, und dass es deshalb falsch sei, seine Entstehung abzulehnen. Das übersieht aber, dass das Leben des Menschen zwar ein Gut (wertvoll) ist, dass es aber keineswegs gut (wünschenswert) ist, dass zu jedem Zeitpunkt und unter allen Umständen ein neuer Mensch entsteht. Ebenfalls übersieht man hier, dass auch bei NFP und bei Enthaltsamkeit zum Zweck der Kindervermeidung die Entstehung eines Kindes abgelehnt wird (siehe zu dieser Art von Argument dies hier). Auch andere überzeugende Ansätze sind mir nicht bekannt. 

 


Die katholische Lehre argumentiert nicht simplistisch biologistisch, sondern stützt sich auf eine teleologische Sicht der Natur, die auf gottgegebene Zwecke abzielt.

Gott schuf die Natur nicht als starres System, sondern als geordnete Ganzheit, in der der Mensch als „Mit-Arbeiter“ (1 Kor 3,9) zur verantwortungsvollen Gestaltung berufen ist. Eingriffe sind legitim, wenn sie dem Wohl des Menschen dienen und die innere Logik der Schöpfung achten.
Deine Kritik trifft zu, wenn „Natur“ rein biologisch verstanden wird. Die katholische Moraltheologie betont jedoch die sakramentale Dimension der Ehe:
    •    Der Geschlechtsakt ist unauflöslich auf Einheit (unitive Dimension) und Leben (prokreative Dimension) hingeordnet (vgl. Humanae Vitae 12).
    •    Künstliche Verhütung unterbricht nicht nur einen biologischen Prozess, sondern manipuliert die personale Ganzheit der ehelichen Hingabe.


Blutentnahmen oder Impfungen dienen der Gesundheit – einem grundlegenden Gut, das der Erhaltung des Lebens dient. Verhütung hingegen zielt auf die systematische Ausschaltung der Zeugungsfähigkeit ab, was die symbolische Sprache des Leibes verzerrt.
NFP respektiert den biologischen Rhythmus, statt ihn zu blockieren. Dies entspricht der Überzeugung, dass der Mensch Mitverantwortung trägt – nicht durch technische Kontrolle, sondern durch Einsicht in natürliche Gesetzmäßigkeiten.


Das Argument ist nicht trivial. Die katholische Position lässt sich nicht auf Prämisse 2 reduzieren. Sie argumentiert tiefer:
    •    Moralische Handlungen müssen ihrem „Objekt“ (dem Wesenskern der Handlung) nach gut sein (vgl. Veritatis Splendor 78–82).
    •    Verhütung ist nicht deshalb problematisch, weil sie die Natur „verändert“, sondern weil sie die Einheit von Liebe und Leben im ehelichen Akt intentional trennt.
Eine überzeugende Kritik müsste diese metaphysische Anthropologie adressieren – nicht nur einen vereinfachten Biologismus.

 

Geschrieben (bearbeitet)
vor 10 Stunden schrieb Frey:

Die katholische Lehre argumentiert nicht simplistisch biologistisch, sondern stützt sich auf eine teleologische Sicht der Natur, die auf gottgegebene Zwecke abzielt.

 

Bei meinem Versuch einer Rekonstruktion habe ich nicht die Natur als rein biologisches Phänomen betrachtet, sondern als Schöpfung Gottes interpretiert, hinter der göttl. Absichten (Telelologie) stehen.

 

Wir müssen ansonsten im Hinblick auf den Begriff "Teleologie", wie er hier relevant ist, mehrere Aspekte unterscheiden:

 

 

I. Teleologie bei der Erschaffung der sexuellen Fakultät

 

Wenn Gott die Fakultät bzw. Anlage der Sexualität erschaffen hat, hat er dabei ganz offensichtlich bestimmte Absichten bzw. Zwecke verfolgt. Eine Absicht bestünde erkennbar darin, den Menschen in die Lage zu versetzen, Kinder zu zeugen. Es ist zudem naheliegend, dass es auch Gottes Wunsch war, dass die Menschheit (nicht als Individuum, aber als Gruppe) mithilfe seiner Sexualität tatsächlich Kinder zeugt. (Zudem mag man an dieser Stelle als Konzession an die kath. Lehre noch mit hineinnehmen, dass es Gottes Wille sei, dass jedes Ehepaar stets so viele Kinder zeugt, wie es verantworten kann.)

 

Wir mögen zudem mit der (allerdings recht jungen!) kirchlichen Lehre davon ausgehen, dass Gott die Sexualität auch erschaffen hat, weil er dem Menschen die liebende Vereinigung ermöglichen wollte; und weil er wollte, dass Menschen sich dann auch tatsächlich liebend vereinigen.

 

Hier hätten wir dann tatsächlich eine Teleologie: Die Zwecke bzw. Absichten, die Gott mit der Erschaffung und Erhaltung der sexuellen Fakultät verfolgt.

 

 

II. Teleologie beim einzelnen sexuellen Aktes

 

Etwas völlig anderes wäre hingegen die Behauptung, dass Gott mit jedem einzelnen sexuellen Akt etwas bezwecke, etwa die Zeugung eines Kindes. Dies ist so formuliert mit Sicherheit falsch; denn den Zweck einer Handlung setzt immer der Handelnde selbst. Es ist also der Mensch, der mit seinen menschlichen (beispielsweise sexuellen) Akten etwas bezweckt bzw. ein bestimmtes Ziel verfolgt, und nicht Gott.

 

Natürlich könnte Gott dennoch einen bestimmten Willen im Hinblick auf menschliche sexuelle Akte haben, oder entsprechende normativ verbindliche Gebote setzen. So könnte er vielleicht etwa von jedem einzelnen sexuellen Akt (u.a.) wollen, dass derselbe zu einer Zeugung führt (oder führen kann).

 

Diese Behauptung ist nun allerdings radikal verschieden von der obigen These, wonach Gott die Sexualität erschaffen hat, weil er (unter anderem) wollte, dass der Mensch Kinder zeugen kann und sie unter bestimmten Bedingungen vielleicht auch tatsächlich zeugt. 

Diese "neue" und in der Tat viel gewagtere Behauptung über Gottes angeblichen Willen in Bezug auf einzelne Akte folgt auch keineswegs aus der anderen, viel plausibleren These über Gottes Absichten beim Erschaffen der sexuellen Fakultät. Denn es ist absolut konsistent denkbar, dass Gott sich zwar wünscht, dass der Mensch seine sexuelle Anlage (auch) dazu nutzt, um in bestimmten Situationen Kinder zu zeugen; dass sich Gott aber keineswegs im Hinblick auf jeden einzelnen sexuellen Akt wünscht, dass dieser zur Zeugung führen möge und auch nur zur Zeugung führen könne. 

(Falls das nicht klar ist, dann halte man sich vor Augen, dass der erstere göttliche Wille vollständig realisiert werden kann, ohne dass der angebliche letztere Wille Gottes realisiert werden müsste. Gott könnte also das eine wollen und das andere nicht, ohne dass etwas Paradoxes oder Widersprüchliches in seinem Willen zu finden wäre.)

 

Und genau hier, glaube ich, liegt ein Großteil der ganzen Konfusion. Man verwechselt den "Zweck der Sexualität" im Sinne von Absichten, die Gott mit der Erschaffung der sexuellen Anlage verfolgt hat, mit "Zwecken", die der einzelne sexuelle Akt enthalten soll!

 

Der zugehörige Fehlschluss (der Äquivokation) würde so lauten: 

 

1. Ein von Gott gewollte Zweck der Sexualität [verstanden als Zweck der sexuellen Anlage!] besteht in der Zeugung von Kindern.

2. Wenn der Mensch verhütet, behindert er die Zeugung von Kindern.

3. Also behindert er, wenn er verhütet, die Erfüllung eines von Gott gewollten Zweckes der Sexualität [verstanden als Zweck des einzelnen sexuellen Aktes!].

 

Nochmals: Es ist aus theistischer Sicht offensichtlich, dass Gott bei der Erschaffung der menschlichen Sexualität (verstanden als Fakultät) Zwecke verfolgt hat (dass er es dem Menschen beispielsweise ermöglichen wollte, Kinder zu zeugen, die der Mensch unter geeigneten Umständen vielleicht auch tatsächlich zeugen soll) - und in diesem Sinne kann selbstredend von "Telelogie" gesprochen werden. 

Aus dem gerade Gesagten folgt aber keinesfalls die viel radikalere und weitergehende These, dass Gott mit jedem einzelnen menschlichen sexuellen Akt (unter anderem) die Zeugung von Kindern "bezwecken" würde. Diese letztere These ist in dieser Form ohnehin falsch; aber sie folgt auch dann nicht, wenn man sie so modifiziert, dass ein normativer göttlicher Wille bestehen würde, der fordern würde, dass jeder einzelne sexuelle Akt zur Erzeugung von Kindern führen möge bzw. führen könne.

 

Mir ist nun auch darüber hinaus kein einziges valides Argument bekannt, das beweisen oder auch nur in plausibler Weise aufzeigen würde, dass Gott von jedem einzelnen sexuellen Akt will, dass er zur Zeugung führt (oder zu ihr führen kann). Im Gegenteil scheint diese These völlig unplausibel zu sein, denn wenn es beispielsweise gar nicht sinnvoll ist, dass ein bestimmter Akt zur Zeugung führt (oder zu ihr führen kann), dann müsste man Gott ja unterstellen, dass er etwas will, was gar nicht sinnvoll ist. Man müsste Gott also als einen Irrationalisten beschreiben.

 

 

Zitat

Eingriffe sind legitim, wenn sie dem Wohl des Menschen dienen und die innere Logik der Schöpfung achten.

 

Wenn Du mit der "innerer Logik der Schöpfung" meinst, dass sich aus der Natur der Sexualität zusammen mit dem Glauben an Gott in irgendeiner Weise ableiten lässt, dass jeder einzelne sexuelle Akt gemäß dem Willen Gottes "offen für die Zeugung" sein muss, so wäre genau dies aufzuzeigen.

 

Zitat

 •    Der Geschlechtsakt ist unauflöslich auf Einheit (unitive Dimension) und Leben (prokreative Dimension) hingeordnet (vgl. Humanae Vitae 12).

 

Was heißt es, dass jeder einzelne Geschlechtsakt "auf Leben hingeordnet" ist? Es gibt hier doch (wenigstens) zwei Möglichkeiten, diese Rede zu verstehen:

 

- Manche sexuellen Akte können von Natur aus zur Entstehung von Leben führen und andere nicht. (Und Gott hat das so eingerichtet.)

Wenn das tatsächlich so gemeint sein sollte, wäre dies zwar sehr merkwürdig und irreführend formuliert, in der Sache jedoch korrekt. Dass aus dieser Tatsache nun allerdings folgen soll, dass Gott im Hinblick auf jeden einzelnen sexuellen Akt will, dass dieser zur Zeugung führt (oder zu ihr führen kann), wäre noch zu beweisen.

- Oder es ist eben genau dies gemeint: Dass Gott im Hinblick auf jeden einzelnen sexuellen Akt will, dass dieser zur Zeugung führt (oder führen kann). Dann wäre aber ebendies zu beweisen!

 

Wie kann man derartige Thesen beweisen? Selbst wenn tatsächlich jeder einzelne sexuelle Akt "von Natur aus" potentiell fruchtbar wäre (was ja nicht der Fall ist), müsste ein Beweis sich doch wohl auf den von mir kritisieren quasi-naturalistischen Fehlschluss stützen, der da lautet: "Gott hat es so und so eingerichtet; also will Gott, dass es auch so bleibt und der Mensch daran nichts ändert". 

 

Aber es kommt ja noch hinzu, dass viele sexuelle Akte natürlicherweise eben gerade nicht zur Zeugung führen können; sie können einfach kein neues Leben generieren. Sie sind dazu nicht geeignet; sie haben dazu nicht das Potential. 

Das macht einen Beweis für die These, dass Gott von jedem sexuellen Akt möchte, dass er zur Zeugung führen könne, sogar noch "herausfordernder". Denn entweder muss man nun behaupten, dass Gott etwas will, was gemäß seiner eigenen Schöpfungsordnung unmöglich realisiert werden kann (es sei denn durch ein permanentes großes Wunder). Oder die Formulierung, dass Gott im Hinblick auf jeden einzelnen sexuellen Akt will, dass dieser zur Zeugung führen könne, besagt etwas anderes, als sie zu besagen scheint. Aber was?

 

Und wie soll man begründen, dass Gott will, dass die "prokreative" und die "unitive" Dimension bei jedem einzelnen sexuellen Akt stets verbunden sein müssen? Der einzige Beweis, der zumindest mir einfiele, ginge so: "Gott will im Hinblick auf jeden sexuellen Akt, dass er zur Zeugung führen kann; er will außerdem von jedem einzelnen Akt, dass er eine liebende Vereinigung ausdrückt; smit folgt aus diesen beiden Wünschen Gottes zugleich, dass beide Dimensionen stets vereint sein müssen."

 

Was aber, wenn es kein überzeugendes Argument dafür gibt, dass Gott im Hinblick auf jeden einzelnen sexuellen Akt will, dass dieser zur Zeugung führt (oder führen kann)? Dann ist dieser Beweis nichtig, und zwar auch dann, wenn man daran festhält, dass Gott will, dass jeder sexuelle Akt Ausdruck einer liebenden Vereinigung ist. 

Gäbe es einen anderen Beweis?

 

Zitat

 •    Künstliche Verhütung unterbricht nicht nur einen biologischen Prozess, sondern manipuliert die personale Ganzheit der ehelichen Hingabe.

 

Das ist eine sehr starke Behauptung, die dringend zu begründen wäre. Warum ich die von JPII gegebene Begründung für sehr problematisch halte, habe ich - wenn auch nicht vollständig - hier ausgeführt.

 

Zitat

Blutentnahmen oder Impfungen dienen der Gesundheit – einem grundlegenden Gut, das der Erhaltung des Lebens dient. Verhütung hingegen zielt auf die systematische Ausschaltung der Zeugungsfähigkeit ab, was die symbolische Sprache des Leibes verzerrt.

 

Zum letzteren Punkt siehe das gerade Gesagte. Zum ersten Punkt sei dies angemerkt: Wenn es in einer bestimmten Situation nicht gut ist, wenn ein Kind gezeugt wird, sondern wenn es vielmehr gut ist, wenn kein Kind gezeugt wird, dann verfolgt die systematische Ausschaltung der Zeugungsfähigkeit einen guten Zweck: Nämlich eben sicherzustellen, dass kein Kind gezeugt wird. Und dass es gut sein kann, wenn in bestimmten Situationen kein Kind gezeugt wird, ist doch unstrittig.

 

Zitat

NFP respektiert den biologischen Rhythmus, statt ihn zu blockieren.

 

Die Formulierung ist tendenziös, weil sie insinuiert, dass ein Eingriff in die Biologie einen "fehlenden Respekt" impliziere und also moralisch schlecht oder zumindest bedenklich sei - genau das ist aber ja die strittige und zu beweisende These. 

Meine Gegenthese wäre wie gesagt, dass die Blockade biologische Rhythmen und Prozesse dort legitim ist, wo es sinnvoll ist, dass ein biologische Rhythmus bzw. Prozess ausgesetzt wird, und wo keine besonderen Gründe gegen eine entsprechende Blockade sprechen. 

Unter "besondere Gründe" verstehe ich insbesondere unangemessen hohe Risiken. Im Fall der Verhütung - wir sprechen ja nicht von Abtreibung - würde es sich dabei um Risiken für die Frau (und eventuell den Mann) handeln. Welches Risiko der Einzelne bereit ist zu tragen, ist dabei grundsätzlich erst einmal seine Entscheidung.

 

Zitat

Dies entspricht der Überzeugung, dass der Mensch Mitverantwortung trägt – nicht durch technische Kontrolle, sondern durch Einsicht in natürliche Gesetzmäßigkeiten.

 

Dass der Mensch im konkreten Fall nicht mithilfe technischer Kontrolle Verantwortung übernehmen dürfe, ist aber erneut gerade die umstrittene und zu beweisende These. 

 

"Natürliche Gesetzmäßigkeiten" beschreiben - wie alle Naturgesetze - reine Tatsachenzusammenhänge. Sie tätigen keine Aussagen über ethische oder rechtliche Verpflichtungen. 

Neben solchen rein deskriptiven "Naturgesetzen" gibt es auch noch normative "Gesetze" (ethische wie juridische). Diese sind aber völlig anderer Art: Sie behaupten nichts über irgendwelche empirisch beobachtbaren Tatsachen, sondern stellen Forderungen auf, wie der Mensch sich zu verhalten habe. (Dass in beiden Fällen das Wort "Gesetz" gebraucht wird, ist potentiell verwirrend.)

 

Die Behauptung, dass einem Gesetz im ersten Sinne ("die Biologie verhält sich faktisch so und so") zugleich ein Gesetz im zweiten Sinne entspricht ("der Mensch muss die Biologie so hinnehmen wie sie ist, und darf nicht in sie eingreifen") ist eine These, die es zu beweisen gälte. Wie schon gesagt sehe ich nicht, wie man das ohne einen (wie ich ihn genannt habe) "quasi-naturalistischen Fehlschluss" leisten könnte, bei welchem man die Biologie in ihrer unmittelbaren Faktizität ganz direkt mit dem Willen Gottes gleichsetzt.

 

Zitat

    •    Moralische Handlungen müssen ihrem „Objekt“ (dem Wesenskern der Handlung) nach gut sein (vgl. Veritatis Splendor 78–82).
    •    Verhütung ist nicht deshalb problematisch, weil sie die Natur „verändert“, sondern weil sie die Einheit von Liebe und Leben im ehelichen Akt intentional trennt.

 

(Es mag etwas kleinlich wirken, aber ich möchte anmerken, dass eine moralisch akzeptable Handlung nicht moralisch gut sein muss, sondern einfach moralisch neutral sein kann. Ich gehe auch davon aus, das Du dem zustimmst.)

 

Was den zweiten Punkt angeht, so wäre eben zu zeigen, dass eine intentionale Trennung von "Liebe und Leben im ehelichen Akt" etwas Schlechtes ist. Dazu wäre wie gesagt wohl zuerst einmal zu zeigen, dass Gott von jedem sexuellen Akt will, dass dieser potentiell zur Zeugung von Kindern führt - obwohl es zahlreiche sexuelle Akte gibt, die von Natur aus unmöglich zur Zeugung von Kindern führen können, und viele weitere, bei denen es gar nicht wünschenswert ist, dass sie tatsächlich zur Zeugung von Kindern führen.

 

Zitat

Eine überzeugende Kritik müsste diese metaphysische Anthropologie adressieren – nicht nur einen vereinfachten Biologismus.

 

Das mag in einem gewissen Sinne für die "Theologie des Leibes" von JPII gelten. Ansonsten fürchte ich aber, dass die häufig vorgebrachten Argumente weitgehend auf Denkfehlern beruhen, insbesondere auf diesen beiden:

 

- Es wird ganz unmittelbar daraus, dass die Sexualität natürlicherweise auf eine bestimmte Weise funktioniert, geschlossen, dass sie auch genau so bleiben müsse, wie sie ist, so dass der Mensch nicht in sie eingreifen darf. Mit dem rein deskriptiven Naturgesetz soll ganz direkt ein entsprechendes moralisches Gesetz korrespondieren.

- Es kommt zu Konfusionen im Zusammenhang mit dem Begriff des "Zweckes"; insbesondere wird wohl der der Zweck, den Gott mit der Erschaffung der sexuellen Fakultät verfolgt hat, mit einem Zweck verwechselt, den Gott angeblich mit jedem einzelnen menschlichen sexuellen Akt verfolgt oder den er gewissermaßen jedem einzelnen sexuellen Akt "beilegt".

 

bearbeitet von iskander
Geschrieben
vor 9 Stunden schrieb iskander:

 

Wie kann man derartige Thesen beweisen? ...

 

Möglicherweise liegt das Mißverständnis darin, dass du versuchst, diese Lehre an der Natur, wie sie ist, zu messen. Sie geht aber (vermutlich)  von einem idealisierten Naturverständnis aus (hierzu würde auch der Themenkomplex "Naturrecht" und "gefallene Schöpfung" passen). Dieses Naturverständnis hat wenig mit der Realität zu tun, wird aber als natürlich wahrgenommen.

Geschrieben

Angesichts des ganzen Blödsinns, den das Lehramt zum Thema Sexualität erzählt (damit meine ich nicht nur die absurde Lehre, sondern die haarsträubenden Begründungen, mit denen man meint, die Absurdität zur Vernunft erklären zu können), legen den Schluss nahe, dass das meiste, was der Lehramt verzapft, nur Blödsinn ist.

Aber die Volksfrömmigkeit und Folklore gefällt mir trotzdem.

 

Werner

Geschrieben
vor 5 Minuten schrieb Werner001:

Angesichts des ganzen Blödsinns, den das Lehramt zum Thema Sexualität erzählt (damit meine ich nicht nur die absurde Lehre, sondern die haarsträubenden Begründungen, mit denen man meint, die Absurdität zur Vernunft erklären zu können), legen den Schluss nahe, dass das meiste, was der Lehramt verzapft, nur Blödsinn ist.

Aber die Volksfrömmigkeit und Folklore gefällt mir trotzdem.

 

Werner


Deine Kritik ist scharf, pointiert und trifft einen wunden Punkt, den viele Menschen – auch innerhalb der Kirche – empfinden.

Zunächst: Kritik am kirchlichen Lehramt, besonders in Fragen der Sexualmoral, ist nicht nur legitim, sondern aus philosophischer und theologischer Perspektive sogar notwendig. Die Kirche beansprucht, Wahrheit zu verkünden, doch Wahrheitssuche ist ein dynamischer Prozess, der Irrtum, Korrektur und Entwicklung einschließt. Die Sexualmoral der Kirche ist historisch gewachsen und von kulturellen Kontexten geprägt – was heute als „absurd“ erscheint, war einst vielleicht Ausdruck von Fürsorge oder Ordnung.

Doch wenn Begründungen haarsträubend wirken, liegt das oft daran, dass sie versuchen, metaphysische oder anthropologische Annahmen in eine Zeit zu retten, die ganz andere Voraussetzungen hat. Hier offenbart sich ein klassisches Dilemma: Die Kirche will ewige Wahrheiten formulieren, aber sie tut es in der Sprache und Denkkategorie ihrer Zeit. Das kann zu dem Eindruck führen, dass das Lehramt „Blödsinn verzapft“.

 

Das Lehramt ist nicht einfach ein „Meinungsproduzent“. Es ist ein Versuch, Orientierung zu geben, Identität zu stiften und Gemeinschaft zu formen. Die Sexualmoral ist dabei ein besonders sensibles Feld, weil sie tief in die Lebenswirklichkeit der Menschen eingreift. Dass sie heute vielfach als lebensfremd oder gar schädlich empfunden wird, zeigt, dass das Lehramt mit der Lebensrealität vieler Gläubiger in Spannung steht. Normen und Empirie klaffen weit auseinander.

Aber: Auch vermeintlicher „Blödsinn“ kann einen Sinn haben – als Korrektiv, als Provokation zum Nachdenken, als Anstoß zur Weiterentwicklung. In der Kirchengeschichte war es oft der Widerstand gegen das Lehramt, der Reformen angestoßen hat. Kritik ist also nicht das Gegenteil von Glauben, sondern oft dessen 

 

Dein positives Wort zur Volksfrömmigkeit und Folklore ist bemerkenswert. Hier zeigt sich: Jenseits aller Dogmen und Lehrsätze lebt der Glaube im Alltag, in Ritualen, Festen, Symbolen – in einer „katholischen Kultur“, die Menschen verbindet, Trost spendet und Sinn stiftet. Vielleicht ist das die eigentliche Stärke der Kirche: nicht in der Verkündigung von Normen, sondern im Schaffen von Gemeinschaft und gelebter Spiritualität.

Oder, um es mit Papst Franziskus zu sagen: „Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee.“ Die Volksfrömmigkeit zeigt, dass der Glaube im Leben der Menschen weiterlebt – manchmal trotz, manchmal wegen des Lehramts.

Geschrieben (bearbeitet)
vor 10 Stunden schrieb iskander:

 

Bei meinem Versuch einer Rekonstruktion habe ich nicht die Natur als rein biologisches Phänomen betrachtet, sondern als Schöpfung Gottes interpretiert, hinter der göttl. Absichten (Telelologie) stehen.

 

Wir müssen ansonsten im Hinblick auf den Begriff "Teleologie", wie er hier relevant ist, mehrere Aspekte unterscheiden:

 

 

I. Teleologie bei der Erschaffung der sexuellen Fakultät

 

Wenn Gott die Fakultät bzw. Anlage der Sexualität erschaffen hat, hat er dabei ganz offensichtlich bestimmte Absichten bzw. Zwecke verfolgt. Eine Absicht bestünde erkennbar darin, den Menschen in die Lage zu versetzen, Kinder zu zeugen. Es ist zudem naheliegend, dass es auch Gottes Wunsch war, dass die Menschheit (nicht als Individuum, aber als Gruppe) mithilfe seiner Sexualität tatsächlich Kinder zeugt. (Zudem mag man an dieser Stelle als Konzession an die kath. Lehre noch mit hineinnehmen, dass es Gottes Wille sei, dass jedes Ehepaar stets so viele Kinder zeugt, wie es verantworten kann.)

 

Wir mögen zudem mit der (allerdings recht jungen!) kirchlichen Lehre davon ausgehen, dass Gott die Sexualität auch erschaffen hat, weil er dem Menschen die liebende Vereinigung ermöglichen wollte; und weil er wollte, dass Menschen sich dann auch tatsächlich liebend vereinigen.

 

Hier hätten wir dann tatsächlich eine Teleologie: Die Zwecke bzw. Absichten, die Gott mit der Erschaffung und Erhaltung der sexuellen Fakultät verfolgt.

 

 

II. Teleologie beim einzelnen sexuellen Aktes

 

Etwas völlig anderes wäre hingegen die Behauptung, dass Gott mit jedem einzelnen sexuellen Akt etwas bezwecke, etwa die Zeugung eines Kindes. Dies ist so formuliert mit Sicherheit falsch; denn den Zweck einer Handlung setzt immer der Handelnde selbst. Es ist also der Mensch, der mit seinen menschlichen (beispielsweise sexuellen) Akten etwas bezweckt bzw. ein bestimmtes Ziel verfolgt, und nicht Gott.

 

Natürlich könnte Gott dennoch einen bestimmten Willen im Hinblick auf menschliche sexuelle Akte haben, oder entsprechende normativ verbindliche Gebote setzen. So könnte er vielleicht etwa von jedem einzelnen sexuellen Akt (u.a.) wollen, dass derselbe zu einer Zeugung führt (oder führen kann).

 

Diese Behauptung ist nun allerdings radikal verschieden von der obigen These, wonach Gott die Sexualität erschaffen hat, weil er (unter anderem) wollte, dass der Mensch Kinder zeugen kann und sie unter bestimmten Bedingungen vielleicht auch tatsächlich zeugt. 

Diese "neue" und in der Tat viel gewagtere Behauptung über Gottes angeblichen Willen in Bezug auf einzelne Akte folgt auch keineswegs aus der anderen, viel plausibleren These über Gottes Absichten beim Erschaffen der sexuellen Fakultät. Denn es ist absolut konsistent denkbar, dass Gott sich zwar wünscht, dass der Mensch seine sexuelle Anlage (auch) dazu nutzt, um in bestimmten Situationen Kinder zu zeugen; dass sich Gott aber keineswegs im Hinblick auf jeden einzelnen sexuellen Akt wünscht, dass dieser zur Zeugung führen möge und auch nur zur Zeugung führen könne. 

(Falls das nicht klar ist, dann halte man sich vor Augen, dass der erstere göttliche Wille vollständig realisiert werden kann, ohne dass der angebliche letztere Wille Gottes realisiert werden müsste. Gott könnte also das eine wollen und das andere nicht, ohne dass etwas Paradoxes oder Widersprüchliches in seinem Willen zu finden wäre.)

 

Und genau hier, glaube ich, liegt ein Großteil der ganzen Konfusion. Man verwechselt den "Zweck der Sexualität" im Sinne von Absichten, die Gott mit der Erschaffung der sexuellen Anlage verfolgt hat, mit "Zwecken", die der einzelne sexuelle Akt enthalten soll!

 

Der zugehörige Fehlschluss (der Äquivokation) würde so lauten: 

 

1. Ein von Gott gewollte Zweck der Sexualität [verstanden als Zweck der sexuellen Anlage!] besteht in der Zeugung von Kindern.

2. Wenn der Mensch verhütet, behindert er die Zeugung von Kindern.

3. Also behindert er, wenn er verhütet, die Erfüllung eines von Gott gewollten Zweckes der Sexualität [verstanden als Zweck des einzelnen sexuellen Aktes!].

 

Nochmals: Es ist aus theistischer Sicht offensichtlich, dass Gott bei der Erschaffung der menschlichen Sexualität (verstanden als Fakultät) Zwecke verfolgt hat (dass er es dem Menschen beispielsweise ermöglichen wollte, Kinder zu zeugen, die der Mensch unter geeigneten Umständen vielleicht auch tatsächlich zeugen soll) - und in diesem Sinne kann selbstredend von "Telelogie" gesprochen werden. 

Aus dem gerade Gesagten folgt aber keinesfalls die viel radikalere und weitergehende These, dass Gott mit jedem einzelnen menschlichen sexuellen Akt (unter anderem) die Zeugung von Kindern "bezwecken" würde. Diese letztere These ist in dieser Form ohnehin falsch; aber sie folgt auch dann nicht, wenn man sie so modifiziert, dass ein normativer göttlicher Wille bestehen würde, der fordern würde, dass jeder einzelne sexuelle Akt zur Erzeugung von Kindern führen möge bzw. führen könne.

 

Mir ist nun auch darüber hinaus kein einziges valides Argument bekannt, das beweisen oder auch nur in plausibler Weise aufzeigen würde, dass Gott von jedem einzelnen sexuellen Akt will, dass er zur Zeugung führt (oder zu ihr führen kann). Im Gegenteil scheint diese These völlig unplausibel zu sein, denn wenn es beispielsweise gar nicht sinnvoll ist, dass ein bestimmter Akt zur Zeugung führt (oder zu ihr führen kann), dann müsste man Gott ja unterstellen, dass er etwas will, was gar nicht sinnvoll ist. Man müsste Gott also als einen Irrationalisten beschreiben.

 

 

 

Wenn Du mit der "innerer Logik der Schöpfung" meinst, dass sich aus der Natur der Sexualität zusammen mit dem Glauben an Gott in irgendeiner Weise ableiten lässt, dass jeder einzelne sexuelle Akt gemäß dem Willen Gottes "offen für die Zeugung" sein muss, so wäre genau dies aufzuzeigen.

 

 

Was heißt es, dass jeder einzelne Geschlechtsakt "auf Leben hingeordnet" ist? Es gibt hier doch (wenigstens) zwei Möglichkeiten, diese Rede zu verstehen:

 

- Manche sexuellen Akte können von Natur aus zur Entstehung von Leben führen und andere nicht. (Und Gott hat das so eingerichtet.)

Wenn das tatsächlich so gemeint sein sollte, wäre dies zwar sehr merkwürdig und irreführend formuliert, in der Sache jedoch korrekt. Dass aus dieser Tatsache nun allerdings folgen soll, dass Gott im Hinblick auf jeden einzelnen sexuellen Akt will, dass dieser zur Zeugung führt (oder zu ihr führen kann), wäre noch zu beweisen.

- Oder es ist eben genau dies gemeint: Dass Gott im Hinblick auf jeden einzelnen sexuellen Akt will, dass dieser zur Zeugung führt (oder führen kann). Dann wäre aber ebendies zu beweisen!

 

Wie kann man derartige Thesen beweisen? Selbst wenn tatsächlich jeder einzelne sexuelle Akt "von Natur aus" potentiell fruchtbar wäre (was ja nicht der Fall ist), müsste ein Beweis sich doch wohl auf den von mir kritisieren quasi-naturalistischen Fehlschluss stützen, der da lautet: "Gott hat es so und so eingerichtet; also will Gott, dass es auch so bleibt und der Mensch daran nichts ändert". 

 

Aber es kommt ja noch hinzu, dass viele sexuelle Akte natürlicherweise eben gerade nicht zur Zeugung führen können; sie können einfach kein neues Leben generieren. Sie sind dazu nicht geeignet; sie haben dazu nicht das Potential. 

Das macht einen Beweis für die These, dass Gott von jedem sexuellen Akt möchte, dass er zur Zeugung führen könne, sogar noch "herausfordernder". Denn entweder muss man nun behaupten, dass Gott etwas will, was gemäß seiner eigenen Schöpfungsordnung unmöglich realisiert werden kann (es sei denn durch ein permanentes großes Wunder). Oder die Formulierung, dass Gott im Hinblick auf jeden einzelnen sexuellen Akt will, dass dieser zur Zeugung führen könne, besagt etwas anderes, als sie zu besagen scheint. Aber was?

 

Und wie soll man begründen, dass Gott will, dass die "prokreative" und die "unitive" Dimension bei jedem einzelnen sexuellen Akt stets verbunden sein müssen? Der einzige Beweis, der zumindest mir einfiele, ginge so: "Gott will im Hinblick auf jeden sexuellen Akt, dass er zur Zeugung führen kann; er will außerdem von jedem einzelnen Akt, dass er eine liebende Vereinigung ausdrückt; smit folgt aus diesen beiden Wünschen Gottes zugleich, dass beide Dimensionen stets vereint sein müssen."

 

Was aber, wenn es kein überzeugendes Argument dafür gibt, dass Gott im Hinblick auf jeden einzelnen sexuellen Akt will, dass dieser zur Zeugung führt (oder führen kann)? Dann ist dieser Beweis nichtig, und zwar auch dann, wenn man daran festhält, dass Gott will, dass jeder sexuelle Akt Ausdruck einer liebenden Vereinigung ist. 

Gäbe es einen anderen Beweis?

 

 

Das ist eine sehr starke Behauptung, die dringend zu begründen wäre. Warum ich die von JPII gegebene Begründung für sehr problematisch halte, habe ich - wenn auch nicht vollständig - hier ausgeführt.

 

 

Zum letzteren Punkt siehe das gerade Gesagte. Zum ersten Punkt sei dies angemerkt: Wenn es in einer bestimmten Situation nicht gut ist, wenn ein Kind gezeugt wird, sondern wenn es vielmehr gut ist, wenn kein Kind gezeugt wird, dann verfolgt die systematische Ausschaltung der Zeugungsfähigkeit einen guten Zweck: Nämlich eben sicherzustellen, dass kein Kind gezeugt wird. Und dass es gut sein kann, wenn in bestimmten Situationen kein Kind gezeugt wird, ist doch unstrittig.

 

 

Die Formulierung ist tendenziös, weil sie insinuiert, dass ein Eingriff in die Biologie einen "fehlenden Respekt" impliziere und also moralisch schlecht oder zumindest bedenklich sei - genau das ist aber ja die strittige und zu beweisende These. 

Meine Gegenthese wäre wie gesagt, dass die Blockade biologische Rhythmen und Prozesse dort legitim ist, wo es sinnvoll ist, dass ein biologische Rhythmus bzw. Prozess ausgesetzt wird, und wo keine besonderen Gründe gegen eine entsprechende Blockade sprechen. 

Unter "besondere Gründe" verstehe ich insbesondere unangemessen hohe Risiken. Im Fall der Verhütung - wir sprechen ja nicht von Abtreibung - würde es sich dabei um Risiken für die Frau (und eventuell den Mann) handeln. Welches Risiko der Einzelne bereit ist zu tragen, ist dabei grundsätzlich erst einmal seine Entscheidung.

 

 

Dass der Mensch im konkreten Fall nicht mithilfe technischer Kontrolle Verantwortung übernehmen dürfe, ist aber erneut gerade die umstrittene und zu beweisende These. 

 

"Natürliche Gesetzmäßigkeiten" beschreiben - wie alle Naturgesetze - reine Tatsachenzusammenhänge. Sie tätigen keine Aussagen über ethische oder rechtliche Verpflichtungen. 

Neben solchen rein deskriptiven "Naturgesetzen" gibt es auch noch normative "Gesetze" (ethische wie juridische). Diese sind aber völlig anderer Art: Sie behaupten nichts über irgendwelche empirisch beobachtbaren Tatsachen, sondern stellen Forderungen auf, wie der Mensch sich zu verhalten habe. (Dass in beiden Fällen das Wort "Gesetz" gebraucht wird, ist potentiell verwirrend.)

 

Die Behauptung, dass einem Gesetz im ersten Sinne ("die Biologie verhält sich faktisch so und so") zugleich ein Gesetz im zweiten Sinne entspricht ("der Mensch muss die Biologie so hinnehmen wie sie ist, und darf nicht in sie eingreifen") ist eine These, die es zu beweisen gälte. Wie schon gesagt sehe ich nicht, wie man das ohne einen (wie ich ihn genannt habe) "quasi-naturalistischen Fehlschluss" leisten könnte, bei welchem man die Biologie in ihrer unmittelbaren Faktizität ganz direkt mit dem Willen Gottes gleichsetzt.

 

 

(Es mag etwas kleinlich wirken, aber ich möchte anmerken, dass eine moralisch akzeptable Handlung nicht moralisch gut sein muss, sondern einfach moralisch neutral sein kann. Ich gehe auch davon aus, das Du dem zustimmst.)

 

Was den zweiten Punkt angeht, so wäre eben zu zeigen, dass eine intentionale Trennung von "Liebe und Leben im ehelichen Akt" etwas Schlechtes ist. Dazu wäre wie gesagt wohl zuerst einmal zu zeigen, dass Gott von jedem sexuellen Akt will, dass dieser potentiell zur Zeugung von Kindern führt - obwohl es zahlreiche sexuelle Akte gibt, die von Natur aus unmöglich zur Zeugung von Kindern führen können, und viele weitere, bei denen es gar nicht wünschenswert ist, dass sie tatsächlich zur Zeugung von Kindern führen.

 

 

Das mag in einem gewissen Sinne für die "Theologie des Leibes" von JPII gelten. Ansonsten fürchte ich aber, dass die häufig vorgebrachten Argumente weitgehend auf Denkfehlern beruhen, insbesondere auf diesen beiden:

 

- Es wird ganz unmittelbar daraus, dass die Sexualität natürlicherweise auf eine bestimmte Weise funktioniert, geschlossen, dass sie auch genau so bleiben müsse, wie sie ist, so dass der Mensch nicht in sie eingreifen darf. Mit dem rein deskriptiven Naturgesetz soll ganz direkt ein entsprechendes moralisches Gesetz korrespondieren.

- Es kommt zu Konfusionen im Zusammenhang mit dem Begriff des "Zweckes"; insbesondere wird wohl der der Zweck, den Gott mit der Erschaffung der sexuellen Fakultät verfolgt hat, mit einem Zweck verwechselt, den Gott angeblich mit jedem einzelnen menschlichen sexuellen Akt verfolgt oder den er gewissermaßen jedem einzelnen sexuellen Akt "beilegt".

 


Dazu eine Antwort eines Kollegen:

 

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Die Schönheit der katholischen Sexualethik: Eine verteidigende Perspektive


Die katholische Lehre zur Sexualität wird oft missverstanden – als starre Moralvorschrift, als biologistisches Dogma oder gar als Verneinung menschlicher Freiheit. Doch im Kern ist sie eine Einladung zur ganzheitlichen Liebe, die tief in der Schöpfungsordnung und der Würde des Menschen verwurzelt ist. Um ihre Schönheit und Logik zu erfassen, lohnt es sich, ihre metaphysischen, anthropologischen und theologischen Fundamente zu betrachten.


1. Die zweifache Finalität der Sexualität: Einheit und Leben
Gott hat den Menschen als Einheit von Leib und Seele erschaffen. Der eheliche Akt ist daher nie bloß „Biologie“, sondern ein sakramentales Zeichen: In der leiblichen Hingabe drücken die Eheleute ihre unauflösliche Liebe aus („unitive Dimension“) und öffnen sich zugleich für die Weitergabe neuen Lebens („prokreative Dimension“). Diese doppelte Ausrichtung ist keine willkürliche Vorschrift, sondern entspringt der Natur des Menschen als Ebenbild Gottes (Genesis 1,27).
Unitive Dimension: Die leibliche Vereinigung ist Symbol der totalen Selbstgabe – so wie Christus sich der Kirche hingibt (Epheser 5,32). Wer den Akt manipuliert, um die Fruchtbarkeit auszuschalten, reduziert den Partner zum Objekt der Lust.
Prokreative Dimension: Jeder eheliche Akt ist an sich auf Leben hingeordnet, selbst wenn äußere Umstände (z. B. natürliche Unfruchtbarkeit) eine Zeugung verhindern. Dies entspricht der Schöpfungslogik: Wie ein Herz per se zum Schlagen geschaffen ist, ist die Sexualität per se auf Leben ausgerichtet.


2. Warum Verhütung die Liebe verletzt
Die Ablehnung künstlicher Verhütung gründet nicht in einer „Biologismus“-Falle, sondern in einer ontologischen Unterscheidung:
Medizinische Eingriffe vs. Verhütung: Eine Impfung heilt („restitutio ad integrum“), Verhütung zerstört dagegen die fertile Kapazität des Aktes. Letztere unterbricht nicht nur einen biologischen Prozess, sondern verletzt die innere Wahrheit der Liebe, die Einheit und Leben unauflöslich verbindet.
Die Sprache des Leibes: Nach Johannes Paul II. ist der Leib „Person in sichtbarer Gestalt“. Verhütung verstummt seine symbolische Sprache – sie sagt „Ich gebe mich dir ganz“,
während zugleich die Möglichkeit der Zeugung aktiv blockiert wird.
Beispiel: Ein Ehepaar, das NFP (natürliche Familienplanung) praktiziert, respektiert die Rhythmen der Schöpfung und lernt, Verantwortung im Dialog zu übernehmen. Verhütung dagegen führt oft zur Routine einer technischen Kontrolle, die die Spontaneität der Liebe erstickt.


3. Antwort auf kritische Einwände
„Gott will doch nicht jedes Kind!“
Die Kirche lehrt nicht, dass jedes Paar möglichst viele Kinder zeugen muss. Aber sie besteht darauf, dass jeder Akt der Logik der Hingabe folgt – auch dann, wenn bewusst auf Zeugung verzichtet wird. NFP ermöglicht dies, indem es die fertile Phase respektvoll meidet. Verhütung dagegen verneint die grundsätzliche Lebensoffenheit des Aktes.


„Warum ist natürliche Unfruchtbarkeit erlaubt, künstliche nicht?“
Natürliche Unfruchtbarkeit (z. B. nach den Wechseljahren) ist Teil der Schöpfungsordnung, die der Mensch hinzunehmen hat. Künstliche Verhütung dagegen manipuliert aktiv die fertile Kapazität – sie ist ein Akt der Selbstermächtigung gegen die empfangene Gabe.


„Die Kirche unterdrückt die Freiheit!“
Wahre Freiheit besteht nicht im schrankenlosen Technikeinsatz, sondern in der Übereinstimmung mit der Wahrheit. Die kirchliche Lehre befreit die Liebe von der Illusion, der Mensch könne sich selbst absolut setzen. Sie erinnert daran, dass wir Geschöpfe sind – geliebt und beauftragt, an Gottes Schöpfung verantwortlich mitzuwirken.


4. Die Ehe als Abbild göttlicher Treue
Die katholische Sexualethik ist kein moralistisches Regelwerk, sondern Theologie in Tat und Wahrheit:
    •    Die Ehe ist Sakrament – ein sichtbares Zeichen der unsichtbaren Liebe Christi zur Kirche.
    •    Jeder eheliche Akt ist Teil dieser Bundesbeziehung: Er feiert die Treue Gottes, der selbst in der Hingabe der Eheleute gegenwärtig ist.


Wer Verhütung ablehnt, sagt nicht „Nein“ zur Vernunft, sondern „Ja“ zu einer Liebe, die das Risiko des Lebens nicht scheut. Diese Haltung ist kein Relikt vergangener Zeiten, sondern prophetisches Zeugnis in einer Kultur der Beliebigkeit.


Die Einheit von Liebe und Leben als Weg zur Heiligkeit
Die Schönheit der kirchlichen Lehre liegt in ihrer Kühnheit: Sie traut dem Menschen zu, nach der Fülle der Liebe zu streben – jener Liebe, die sich verschenkt, ohne zu berechnen, und die im Vertrauen auf Gottes Vorsehung wächst. In einer Welt, die Sexualität oft auf Lust oder Fortpflanzung reduziert, erhebt die Kirche ihre Stimme für eine Wahrheit, die befreit: Der Mensch ist mehr als sein Trieb. Er ist berufen, die Sprache Gottes im eigenen Leib zu verkörpern – in Treue, Hingabe und ehrfürchtiger Offenheit für das Wunder des Lebens.
„Die Ehe ist die lebendigste Form der Nachfolge – denn sie verlangt, das Kreuz der Unverfügbarkeit zu tragen und im anderen Christus zu begegnen.“


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Manches in diesem Text ist Wiederholung, oder Zusammenfassung. Eine normative Sicht (Soll-Ebene), auf der wir uns hier bewegen, ist nicht beweisbar. Bewiesen werden kann nur die Empirie (Ist-Ebene). Hier ist unbestritten, dass die Empirie nicht mit der normativen Sicht der Kirche übereinstimmt. Die Folge daraus ist aber nicht, dass wegen der Empirie die Norm falsch oder richtig ist. Das wäre ein Sein-Sollen Fehlschluss, oder auch Verstoß gegen das philosophische Hume’sche Gesetz bekannt, das besagt, dass sich aus dem Sein (Empirie) kein Sollen (Norm) ableiten lässt. Die Kirche ist sich auch darüber im Klaren, dass - auch wenn sie die Norm für allgemeingültig hält - die Entscheidung dafür oder dagegen eine persönliche ist, ein Akt der Freiheit. Wir werden also keine Zeit erleben, in der Norm und Empirie deckungsgleich sind. Das gilt aber im übrigen für alle Wertesysteme.

bearbeitet von Frey
Geschrieben
vor einer Stunde schrieb Merkur:

Möglicherweise liegt das Mißverständnis darin, dass du versuchst, diese Lehre an der Natur, wie sie ist, zu messen. Sie geht aber (vermutlich)  von einem idealisierten Naturverständnis aus (hierzu würde auch der Themenkomplex "Naturrecht" und "gefallene Schöpfung" passen). Dieses Naturverständnis hat wenig mit der Realität zu tun, wird aber als natürlich wahrgenommen.

 

Das ist aber nicht die übliche Argumentation - diese geht von der zweckmäßig erscheinenden Natur aus, wie wir wie vorfinden. Und ich wüsste auch nicht, wie Dein Ansatz funktionieren sollte. Wenn Du eine Idee hast, nur dazu.

Geschrieben
vor 15 Minuten schrieb Frey:

Die Kirche beansprucht, Wahrheit zu verkünden, doch Wahrheitssuche ist ein dynamischer Prozess, der Irrtum, Korrektur und Entwicklung einschließt.

 

Entschuldigung, wer die Wahrheit verkündigt, hat die Wahrheitssuche längst abgeschlossen, ist jenseits eines dynamischen Prozesses, in der Wahrheit gibt es keinen Irrtum, da gibt es nichts zu korrigieren oder zu entwickeln. Der Anspruch des Lehramtes die Wahrheit zu verkündigen bricht dem Lehramt das Kreuz, den Gläubigen den Glauben, denn die Wahrheit zu kennen ist mehr als Wissen, die Wahrheit ist das Unglaubwürdigste überhaupt. 

Geschrieben
vor 4 Minuten schrieb Weihrauch:

 

Entschuldigung, wer die Wahrheit verkündigt, hat die Wahrheitssuche längst abgeschlossen, ist jenseits eines dynamischen Prozesses, in der Wahrheit gibt es keinen Irrtum, da gibt es nichts zu korrigieren oder zu entwickeln. Der Anspruch des Lehramtes die Wahrheit zu verkündigen bricht dem Lehramt das Kreuz, den Gläubigen den Glauben, denn die Wahrheit zu kennen ist mehr als Wissen, die Wahrheit ist das Unglaubwürdigste überhaupt. 


Ein Philosoph antwortete einmal darauf: Die Wahrheit ist unendlich.

 

Oder frei nach Adenauer: Alles was gesagt wird muss wahr sein, aber man muss nicht alles sagen, was wahr ist.

Geschrieben (bearbeitet)
vor 50 Minuten schrieb iskander:

 

Das ist aber nicht die übliche Argumentation - diese geht von der zweckmäßig erscheinenden Natur aus, wie wir wie vorfinden. Und ich wüsste auch nicht, wie Dein Ansatz funktionieren sollte. Wenn Du eine Idee hast, nur dazu.

Die übliche Argumentation hat inhaltlich und formal dermaßen gravierende Schwächen, dass es mir schwerfällt zu glauben, dass es sich dabei um die tragenden Beweggründe dieser Lehre handelt. Die wird man anderswo suchen müssen. Erfolgversprechend ist dabei wahrscheinlich die Frage danach, wozu man eine Religion hat. HIerbei spielen auch Prämissen wie "Opium des Volkes" und "Geist geistloser Zustände" eine Rolle. Von einer Institution mit diesem Anforderungsprofil erwartet man keine naturwissenschaftliche Forschung, sondern die Entwicklung einer erstrebenswerten und sinngebenden Vision. Die scheint in die Kirche in diesem Punkt in der von ihr vertretenen idealisierten Sicht auf die Natur gefunden zu haben. 

bearbeitet von Merkur
Geschrieben

 

vor 38 Minuten schrieb Frey:

Die Kirche beansprucht, Wahrheit zu verkünden, doch Wahrheitssuche ist ein dynamischer Prozess, der Irrtum, Korrektur und Entwicklung einschließt.

 

Mit schicken Aphorismen wirst du die Widersprüchlichkeit deines Satzes kaum los werden können. 

 

Eine Nummer kleiner, wäre der Kirche wirklich hilfreicher. "Die Kirche beansprucht, Wissen zu verkünden, doch Wissenssuche ist ein dynamischer Prozess, der Irrtum, Korrektur und Entwicklung einschließt." Das wäre aber der bescheidenere Ansatz der Wissenschaft, damit kommt man in Glaubensdingen auch nicht ans Ziel - den Glauben. Auch die Philosophie ist kein Rettungsanker. Was also tun? Kann man das Evangelium den Menschen ohne Wahrheitsanspruch und ohne die damit untrennbar verbundene Arroganz alles immer besser zu wissen liebevoller nahe bringen? Ich denke schon.

 

Ich mag den Ausdruck Heilige Mutter für die Kirche nicht, weil diese Mutter den Fehler macht, ihre Kinder nicht erwachsen werden zu lassen, in Ewigkeit Gehorsam von ihren Kindern fordert, und sie so daran hindert selbständig zu werden, aus Angst ihre Kinder zu verlieren. Eine Mutter die ein Leben lang auf Autorität setzt, ist eine schlechte Mutter. "Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst, machst du, was ich sage!" ist Erwachsenen gegenüber ausgesprochen auch ein Armutszeugnis. "Werdet wie die Kinder" bedeutet nicht, bleibt ewig Kinder. 

 

Zitat

Joh 15,13-15
Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. 

 

Lasst uns Freunde der Kirche werden. 
 

Geschrieben
vor 23 Minuten schrieb Weihrauch:

 

 

Mit schicken Aphorismen wirst du die Widersprüchlichkeit deines Satzes kaum los werden können. 

 

Eine Nummer kleiner, wäre der Kirche wirklich hilfreicher. "Die Kirche beansprucht, Wissen zu verkünden, doch Wissenssuche ist ein dynamischer Prozess, der Irrtum, Korrektur und Entwicklung einschließt." Das wäre aber der bescheidenere Ansatz der Wissenschaft, damit kommt man in Glaubensdingen auch nicht ans Ziel - den Glauben. Auch die Philosophie ist kein Rettungsanker. Was also tun? Kann man das Evangelium den Menschen ohne Wahrheitsanspruch und ohne die damit untrennbar verbundene Arroganz alles immer besser zu wissen liebevoller nahe bringen? Ich denke schon.

 

Ich mag den Ausdruck Heilige Mutter für die Kirche nicht, weil diese Mutter den Fehler macht, ihre Kinder nicht erwachsen werden zu lassen, in Ewigkeit Gehorsam von ihren Kindern fordert, und sie so daran hindert selbständig zu werden, aus Angst ihre Kinder zu verlieren. Eine Mutter die ein Leben lang auf Autorität setzt, ist eine schlechte Mutter. "Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst, machst du, was ich sage!" ist Erwachsenen gegenüber ausgesprochen auch ein Armutszeugnis. "Werdet wie die Kinder" bedeutet nicht, bleibt ewig Kinder. 

 

 

Lasst uns Freunde der Kirche werden. 
 

 

Die Kirche versteht sich tatsächlich als „Hüterin der Wahrheit“, insbesondere in Bezug auf die Offenbarung Gottes in Jesus Christus (vgl. Dei Verbum 7-10). Allerdings ist die Kirche sich auch bewusst, dass ihre Erkenntnis der Wahrheit immer „im Glauben“ geschieht und daher nie vollständig ist (vgl. 1 Kor 13,12: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild“). Die Kirche unterscheidet zwischen der unfehlbaren Wahrheit der Offenbarung und der fehlbaren menschlichen Aneignung und Auslegung dieser Wahrheit.


Die katholische Theologie kennt sehr wohl die Dynamik von Irrtum, Korrektur und Entwicklung, etwa im Begriff der „Entwicklung der Lehre“ (John Henry Newman). Die Kirche hat im Laufe der Geschichte Fehler gemacht und diese auch eingestanden (z.B. Galileo-Affäre, Umgang mit Antisemitismus). Dennoch bleibt der Anspruch, dass in der Offenbarung Gottes eine objektive Wahrheit vorliegt, die sie zu verkünden sucht.

 

Wissenschaft und Glaube verfolgen unterschiedliche Erkenntniswege. Die Kirche erkennt die Bedeutung der Wissenschaft an, sieht aber im Glauben eine andere Dimension: Die Beziehung zu Gott, die nicht allein auf empirischem Wissen basiert, sondern auf Vertrauen und Offenbarung. Philosophie wiederum ist für die katholische Theologie ein wichtiger Dialogpartner (vgl. Fides et Ratio), aber sie kann den Glauben nicht.


Das Bild der Kirche als Mutter wiederum ist tief in der Tradition verwurzelt (vgl. Lumen Gentium 6). Es soll Fürsorge, Geborgenheit und Liebe ausdrücken. Die Gefahr einer „infantilisierenden“ Mutter besteht, wenn Autorität missverstanden wird. Die Kirche ist jedoch auch „Lehrerin“ und „Gemeinschaft der Gläubigen“, in der Reifung und Eigenverantwortung wachsen sollen.

Jesus spricht seine Jünger in Joh 15,13-15 als „Freunde“ an, nicht mehr als Knechte. Das bedeutet: Christsein ist nicht blinder Gehorsam, sondern eine Beziehung, die von Vertrauen, Liebe und Mündigkeit geprägt ist. Der Glaube soll zur Freiheit führen (vgl. Gal 5,1). Der Wahrheitsanspruch der Kirche darf nicht als Überheblichkeit verstanden werden, sondern als Dienst an der Wahrheit, die letztlich Christus selbst ist („Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, Joh 14,6). Die Verkündigung muss immer mit Demut und Liebe geschehen, im Bewusstsein der eigenen Begrenztheit. Papst Franziskus spricht oft davon, dass die Kirche „Feldlazarett“ sein soll, nicht Richterin. Freundschaft mit Christus und untereinander ist das Ziel christlicher Gemeinschaft. Eine Kirche, die ihre Gläubigen als Freunde behandelt, fördert Mündigkeit, Liebe und Wahrheitssuche – ohne autoritären Zwang, aber auch ohne Beliebigkeit. Die Wahrheit des Glaubens ist kein Besitz, sondern ein gemeinsamer Weg – im Vertrauen auf den, der sich selbst als die Wahrheit offenbart hat.

Geschrieben
vor 1 Stunde schrieb Frey:

Gott hat den Menschen als Einheit von Leib und Seele erschaffen.

Das ist korrekt. Wie dazu allerdings die Idee einer unsterblichen Seele passt, die nach dem Tod den Körper verlässt, ist mir nicht eingängig.

 

Zum Rest, Gott erbarme dich.

Geschrieben

@Frey

 

Ich glaube, du hast mich missverstanden. Nicht mir sind meine Freunde in Scharen weggelaufen. 

Geschrieben (bearbeitet)
vor 32 Minuten schrieb Weihrauch:

@Frey

 

Ich glaube, du hast mich missverstanden. Nicht mir sind meine Freunde in Scharen weggelaufen. 

Vielen Dank für deinen wertvollen Hinweis, @Weihrauch! Ich nehme wahr, dass du die Sorge äußerst, die Kirche könnte durch ein autoritäres Auftreten Gefahr laufen, Gläubige – oder auch Freunde – zu verlieren. Habe ich dich damit richtig verstanden?
Dein Gedanke, Autorität vielmehr als Dienst zu verstehen und Räume zu schaffen, in denen Fragen, Zweifel und Entwicklung möglich sind, ohne dass der Glaube beliebig wird, spricht mich sehr an. Das ist eine große, aber wichtige Herausforderung.
Dein Bild von der Kirche, die ihre „Kinder“ nicht loslässt, finde ich sehr nachdenklich stimmend. Ich teile deine Ansicht, dass echte Freundschaft und Mündigkeit wesentliche Ziele für die Kirche sein sollten. Gleichzeitig habe ich die Erfahrung gemacht, dass das „Weglaufen der Freunde“ nicht ausschließlich oder vorrangig mit einem autoritären Auftreten der Kirche zusammenhängt. Es gibt ja auch sehr liberale kirchliche Strömungen, etwa im Protestantismus, die mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind.
Zudem zeigen soziologische Untersuchungen, dass die moderne Welt viele attraktive Alternativen und Verlockungen bietet – es ist also oft auch ein aktives „Dorthinlaufen“. Gleichzeitig gibt es in unserer Gesellschaft, gerade auch in Deutschland, viele Menschen, die sich nach Verbindlichkeit, Orientierung und Strukturen sehnen. Die Kirche war und ist für manche eine Möglichkeit, diese Bedürfnisse zu erfüllen – auch wenn sie natürlich nicht die einzige Lösung darstellt.
Ich hoffe, ich habe deine Gedanken jetzt besser verstanden

bearbeitet von Frey
Geschrieben (bearbeitet)
vor 6 Stunden schrieb Frey:

 Eine normative Sicht (Soll-Ebene), auf der wir uns hier bewegen, ist nicht beweisbar. Bewiesen werden kann nur die Empirie (Ist-Ebene). Hier ist unbestritten, dass die Empirie nicht mit der normativen Sicht der Kirche übereinstimmt.

 

Das ist nun allerdings ein Missverständnis: Mir geht es hier nämlich überhaupt nicht darum, dass man nicht direkt vom Sein aufs Sollen schließen kann. Dass dem so ist, stimmt natürlich, ist aber nicht mein Punkt. Mir geht es um etwas ganz anderes: 

 

Selbst wenn man zur Empirie und allgemein akzeptierten Erkenntnissen und Überzeugungen auch die Annahmen des Theismus und die grundlegende Prinzipien der kirchlichen Moral zugrundelegt, kann man einen großen Teil der kath. Sexualmoral nicht begründen!

 

Hingegen kann man ausgehend von der kirchlichen Moral (oder auch allgemein akzeptierten Moralvorstellungen) beispielsweise gewiss mit großer Klarheit aufzeigen, dass es moralisch (zumindest in aller Regel) unerlaubt wäre, jemanden auf einer unbewohnten Insel auszusetzen, insbesondere, wenn keine Rettung in Sicht wäre.

 

Ebenfalls lassen sich ausgehend von der Prämisse, dass Gott existiert und den Menschen erschaffen hat, verschiedene Aussagen über seinen Willen herleiten, an denen kein vernünftiger Zweifel bestehen kann oder die, je nach Fall, zumindest plausibel sind. 

Wenn Gott beispielsweise die Sexualität erschaffen hat, so wie sie ist, dann ganz sicher zumindest auch deswegen, weil er den Menschen in die Lage versetzen wollte, durch sie Kinder zu zeugen. Alles andere ergäbe überhaupt keinen Sinn.

Ebenfalls ist es zumindest ziemlich plausibel, dass, wenn Gott die Sexualität erschaffen hat, er dabei auch wollte, dass der Mensch als Gruppe (nicht unbedingt als Einzelner) Kinder zeugen möge.

 

Die meisten spezifischen Verbote der kath. Sexualmoral lassen sich hingegen nach meiner Überzeugung auch dann in keiner Weise stichhaltig begründen oder auch nur plausibel machen lassen, wenn man ausdrücklich davon ausgeht, dass der Mensch (samt seiner Sexualität) Gottes Schöpfung ist, und wenn man die grundlegenden Prinzipien der kath. Moral anerkennt. (Zu diesen Prinzipien darf in diesem Fall natürlich nicht bereits die kirchliche Sexualgebote selbst zählen, sondern nur grundlegendere Prinzipien, in denen diese Gebote angeblich wurzeln - wie etwa die Würde des Menschen, das Wahrheits- und Liebesgebot, die Vorstellung der Ehe als einer Liebesgemeinschaft usw.)

 

Es handelt sich bei meiner Kritik also um eine "interne" Kritik: Ich versuche aufzuzeigen, dass auch dann, wenn man das grundsätzliche Gottes-, Menschen- und Weltbild der kath. Kirche ausdrücklich voraussetzt, große Teile ihrer Sexuallehre weder begründbar sind noch einen Sinn ergeben.

 

vor 6 Stunden schrieb Frey:

 Dazu eine Antwort eines Kollegen:


Verzeih mir die Offenheit, aber das Folgende scheint im Wesentlichen einfach die von mir kritisierten Punkte zu bekräftigen, ohne dass meine Kritik eine Antwort fände.

 

Zitat

Die Schönheit der katholischen Sexualethik: Eine verteidigende Perspektive

 

 

Man nehme es mir nicht übel, aber es sei mir die Bemerkung gestattet, dass dem Anschein nach die "Schönheit" der kath. Lehre zur Verhütung - und um die geht es im Text ja - (proportional gesehen) vor allem von zölibatär lebenden Herren wahrgenommen wird, und weit weniger von denen, die mit ihr leben sollen.

 

vor 6 Stunden schrieb Frey:

Unitive Dimension: Die leibliche Vereinigung ist Symbol der totalen Selbstgabe – so wie Christus sich der Kirche hingibt (Epheser 5,32). Wer den Akt manipuliert, um die Fruchtbarkeit auszuschalten, reduziert den Partner zum Objekt der Lust.

 

Dies ist eine - wie ich meine - sehr starke und sehr fragwürdige Behauptung, die dringen zu beweisen wäre. Zumal sehr viele Leute, die sich lieben und das völlig anders empfinden, das (verständlicherweise) als eine Denunziation ihrer gelebten Sexualität empfinden werden, soweit sie denn überhaupt etwas mit solchen Aussagen anfangen können.

 

Zitat

Prokreative Dimension: Jeder eheliche Akt ist an sich auf Leben hingeordnet, selbst wenn äußere Umstände (z. B. natürliche Unfruchtbarkeit) eine Zeugung verhindern. Dies entspricht der Schöpfungslogik: Wie ein Herz per se zum Schlagen geschaffen ist, ist die Sexualität per se auf Leben ausgerichtet.

 

Eine ganz wichtige Frage: Was ist damit gemeint, dass jeder eheliche Akt "auf das Leben hingeordnet ist"? 

 

Wenn damit gemeint ist, dass ein sexueller Akt entweder fruchtbar ist oder zumindest fruchtbar sein könnte, wenn die dazu notwendigen Bedingungen bestünden (der sexuelle Akt wäre furchtbar, wenn er fruchtbar wäre), dann ist das natürlich korrekt. Es ist eine simple Tatsachenfeststellung - auch wenn diese dann merkwürdig formuliert wäre.

 

Aber wie soll daraus nun der normative Satz folgen, dass die Verhütung moralisch verwerflich ist? Man bräuchte weitere Prämissen - etwa die, dass das "Natürliche" (aber nur im Fall der Sexualität!) genau so bleiben solle, wie es ist, und vom Menschen nicht verändert werden dürfe. Und dann wären wir eben doch wieder beim von mir ausführlich kritisierten quasi-naturalistischen Fehlschluss. (Und dann hätten wir genau das, wogegen sich der von Dir zitierte Text verwahrt: ein "biologistisches Dogma".)

 

(Und es geht mir hier wohlgemerkt nicht darum, dass ich es per se kritisieren würde, dass man von der Natur auf Gottes Willen schließt - das ist innerhalb eines theistischen Denkrahmens legitim. Es geht mir darum, wie man das im konkreten Fall tut.)

 

Oder ist gemeint, dass Gott im Hinblick auf jeden sexuellen Akt will, dass dieser fruchtbar ist oder doch fruchtbar wäre, wenn die natürlichen Umstände es zulassen würden? Dann würde das Verbot der Verhütung zwar folgen - aber dazu müsste man eben erst einmal beweisen, dass Gott tatsächlich will, dass jeder sexuelle Akt furchtbar ist oder zumindest so "aussieht", als wäre er fruchtbar. Und damit stünden wir an der gleichen Stelle wie zuvor; denn auch hier wird man vermutlich wieder jenen "quasi-naturalistischen" Fehlschluss benötigen, der von der Faktizität der Natur ganz unmittelbar auf einen göttlichen Willen schließt, welcher dem Menschen das gestaltende und regulierende Einwirken auf die Natur verbietet. 

 

Und das Argument, dass Gott im Hinblick auf jeden sexuelle Akt wolle, dass dieser Liebe und "Zeugungsdimension" in sich vereinige, scheint bereits vorauszusetzen, dass Gott von jedem sexuellen Akt will, dass dieser zeugungsoffen sei. Falls das korrekt ist, kann man nicht zirkelfrei argumentieren, dass Gott eine untrennbare Einheit von Liebe und Fruchtbarkeit will, aus der dann folgt, dass gemäß Gottes Willen jeder einzelne sexuelle Akt zeugungsoffen zu sein habe.

 

Es scheint hier jedenfalls eine große Begründungslücke zu klaffen, und dies auch - und das ist mir wichtig - wenn wir uns innerhalb eines theistischen Denkrahmens bewegen.

 

Zitat

Medizinische Eingriffe vs. Verhütung: Eine Impfung heilt („restitutio ad integrum“), Verhütung zerstört dagegen die fertile Kapazität des Aktes. 

 

Diese Sprache ist hier tendenziös. Wenn eine Kapazität gehemmt oder aufgehoben wird, dann sprechen wir normalerweise nicht von einer "Zerstörung". Und das aus gutem Grund nicht: Es wird ja in solchen Fällen nichts Bestehendes vernichtet, sondern es wird nur verhindert, dass etwas nicht Bestehendes verwirklicht wird. Damit ist aber auch die suggestive Antithese von Heilung auf der einen Seite und Zerstörung auf der anderen hinfällig. (Einmal ganz abgesehen davon, dass eine Impfung in den allermeisten Fällen der Prävention und nicht der Heilung dient.)

 

Dass die verwendete Sprache nicht sachlich und wertfrei ist, sondern die eigene inhaltliche Position schon präjudiziert oder zumindest suggestiv nahelegt, kommt übrigens leider häufig bei derartigen Texten vor. Wenn das vereinzelt der Fall wäre, könnte man dagegen wenig sagen; aber das Phänomen ist oft sehr ausgeprägt. Das kann aber nicht nur manipulativ wirken, sondern auf diese Weise wird der Opponent in die Situation gebracht, entweder eine Sprache zu akzeptieren, die ihn von vornherein in eine nachteilige Position bringt, oder ständig Sprachkritik zu üben und auf neutralen Formulieren zu insistieren. Zusammen mit dem Mangel an eigentlichen Argumenten führt diese Praxis dazu, dass derartige Texte oft eher suggestiv als sachlich überzeugend wirken.  

 

Was die Sache selbst angeht, so ist es nüchtern betrachtet doch so: Sowohl mit der Impfung wie mit der Verhütung kann etwas Gutes erreicht werden; mit der Impfung eine Immunisierung, mit der Verhütung, dass die Zeugung von Kindern in einer Situation verhindert wird, in welcher es gut ist, wenn es nicht zur Zeugung von Kindern kommt (und solche Fälle gibt es ja unzweifelhaft).

 

Zitat

Letztere unterbricht nicht nur einen biologischen Prozess, sondern verletzt die innere Wahrheit der Liebe, die Einheit und Leben unauflöslich verbindet.

 

Letztere These gälte es zu beweisen; und wenn ich es richtig sehe, müsste man dazu wie gesagt erst einmal zeigen, dass Gott will, dass jeder sexuelle Akt potentiell fruchtbar sein solle.

 

Zitat

Die Sprache des Leibes: Nach Johannes Paul II. ist der Leib „Person in sichtbarer Gestalt“. Verhütung verstummt seine symbolische Sprache – sie sagt „Ich gebe mich dir ganz“,
während zugleich die Möglichkeit der Zeugung aktiv blockiert wird.

 

Dazu folgende Punkte:

 

- Dass jeder sexuelle Akt unbedingt und immer ein "ich gebe mich dir ganz" ausdrückt oder ausdrücken muss (und andernfalls moralisch schlecht ist), ist keineswegs offensichtlich; zudem dürfte dies eine These sein, die anthropologisch schwer zu beweisen ist.

 

- Wenn zwei Partner sich einigen, dass sie zu einer bestimmten Zeit besser keine Kinder haben werden, dann empfinden sie den verhüteten Akt vermutlich nicht als einen Mangel an "Ganzhingabe". Und die These, dass sie einen "falschen" Begriff der Ganzhingabe haben, und dass sie stattdessen verpflichtet sind, den päpstlichen zu übernehmen, wäre noch zu beweisen.

 

- Es handelt sich hier um eine reine Aktmoral, bei der sowohl die Absicht der Betroffenen wie auch ihr Gesamt-Verhalten systematisch ausgeblendet bzw. für irrelevant erklärt werden. Wenn zum Beispiel ein Paar ganz konsequent und übervorsichtig NFP betreibt und peinlich genau darauf achtet, dass wirklich ja kein Kind entstehen kann, dann ist es weder im Hinblick auf seine Absicht noch im Hinblick auf sein Verhalten "offen für das Leben", wenn man der Sprache keine Gewalt antun will. Die Akt-Moral, die wir hier sehen, ist nicht personalistisch, sondern kasuistisch; sie macht isolierte Akte zum entscheidenden Maßstab von allem.

 

- Wenn der sexuelle Akt tatsächlich eine "Ganzhingabe" ausdrücken soll, die so definiert wird, dass sie die reale und konkrete Bereitschaft, Kinder zu zeugen, umfasst, dann wären sexuelle Akte Im Rahmen der NFP eine "Lüge" (um die Ausdrucksweise von JPII zu übernehmen). Denn der sexuelle Akt würde dann etwas ausdrücken ("ich bin bereit, Dir jetzt konkret ein Kind zu schenken"), wo das gar nicht stimmt. 

Wenn die "Ganzhingabe" hingegen so definiert wird, dass nur eine grundsätzliche und abstrakte Bereitschaft zur Zeugung von Kindern ausdrückt ("grundsätzlich ja, jetzt aber nicht"), dann ist nicht einzusehen, was an einem verhüteten Akt unehrlich wäre. Denn ein verhüteter Akt ist mit der Geisteshaltung "grundsätzlich ja, jetzt aber nicht" bestens vereinbar.

 

Ergänzend sei Stephan Ernst zitiert:

 

"Unbestritten ist, dass volle sexuelle Gemeinschaft immer auch die Person berührt und deswegen nicht leichtfertig vollzogen werden sollte. Warum aber sollte es grundsätzlich ausgeschlossen sein, dass Geschlechtsverkehr angemessener Ausdruck auch für eine noch nicht völlig vorbehaltlose Liebesbeziehung ist, sondern ein Element des Weges darstellt, auf dem ein Paar zusammenwächst und in der Liebe zunimmt? [...]

Weiter lässt sich fragen, wann überhaupt personale Ganzhingabe tatsächlich gegeben ist. Welches Paar kann sich sicher sein, ob seine Beziehung, die die Partner selbst als Liebe empfinden und bezeichnen würden, tatsächlich eine vorbehaltlose Ganzhingabe an den anderen ist? Ist dafür die formell geschlossene Ehe das entscheidende Kriterium? Doch kann es nicht auch außerhalb der Ehe personale Beziehungen geben, für die die leibliche Ganzhingabe angemessener und wahrhaftiger Ausdruck ist? [...] Liegt nicht auch in vielen Fällen des ehelichen Verkehrs eine Lüge vor, weil die Vorbehaltlosigkeit personaler Ganzhingabe ein so hohes Ideal darstellt, dass es in der Realität des ehelichen Alltags ebenso selten verwirklicht sein dürfte wie in nicht-ehelichen, aber durchaus verbindlichen Formen des Zusammenlebens, in denen die Partner Verantwortung füreinander übernehmen?

Schließlich ist auch zu fragen, ob wirklich jeder Verkehr, dem nicht eine vollkommen vorbehaltlose personale Ganzhingabe entspricht, schon als Gebrauchen des anderen als Objekt zu verstehen ist. Wird eine solche als ausschließlich suggerierte Alternative wirklich der Vielfalt menschlicher Beziehungen gerecht? Gibt es nicht dazwischen auch Abstufungen und durchaus Verantwortbares und Gutes?17"

 

Anders gesagt: Die Argumentation von JPII beruht auf einer Vielzahl von Prämissen, von denen - auch ausgehend von einem christlichen Menschenbild - keineswegs klar ist, ob sie alle wahr sind; tatsächlich scheinen zumindest einige ziemlich zweifelhaft zu sein.

 

Zitat

Beispiel: Ein Ehepaar, das NFP (natürliche Familienplanung) praktiziert, respektiert die Rhythmen der Schöpfung und lernt, Verantwortung im Dialog zu übernehmen.

 

Das ist wiederum nur ein Konglomerat aus suggestiver Sprache und reinen Behauptungen. Dass den "Rhythmus der Schöpfung" in dem Sinne zu "respektieren" sei, dass ein technisches Eingreifen in biologische Prozesse (so wie es anderswo als völlig unproblematisch betrachtet wird) gerade an dieser Stelle verboten sein soll, wäre ja gerade die zu beweisende Behauptung. "Verantwortung im Dialog" können Menschen auch übernehmen, wenn sie verhüten, und auch in tausend anderen Situationen.

 

Zitat

Verhütung dagegen führt oft zur Routine einer technischen Kontrolle, die die Spontaneität der Liebe erstickt.

 

Das ist eine nicht nur völlig unbelegte Behauptung, sondern eine, die offensichtlich auch empirisch falsch ist. Die Mehrheit der Leute macht mit NFP allem Anschein nach  negative Erfahrungen, und viele beklagen, dass gerade der ständige Blick auf den Kalender die Spontanität erstickt. In diesem Sinne haben sich viele Betroffene geäußert. Beispiele wären diese bei McClory (Turning Point) zu findenden Aussagen:

 

"I felt like a human thermometer ... My husband and I are very close and I felt like love was put on a business schedule. Instead of ‘I love you,’ I began to hear, ‘How’s your temperature?’”

 

"I bend over backward to avoid raising false hopes on my husband’s part. This sounds ridiculous, but I stiffen at a kiss on the cheek, instantly reminded that I must be discreet. I withdraw in others ways too, afraid to be an interesting companion, gay or witty or charming, hesitant about being sympathetic or understanding, almost wishing I could be invisible.... And I wonder why I can’t shake off the fear and uncertainty during the rest of the month.’"

 

Alles scheint darauf hinzudeuten, dass NFP viel eher die Spontanität erstickt als künstliche Verhütung. Das ist auch sachlogisch einsichtig; denn bei der NFP muss die Spontanität ja eben häufig gebremst und unterdrückt werden, was bei künstlicher Verhütung so normalerweise nicht der Fall ist. Wäre es anders und würden die Menschen die NFP tatsächlich als positiver erleben als die künstliche Verhütung, wäre schwer zu erklären, wieso selbst unter Paaren, die sich sehr lieben, fast alle künstliche Verhütung und kaum jemand NFP praktiziert.

 

Es zeigt sich an dieser Stelle etwas, was man oft bei Verteidigungen der kirchlichen Sexuallehre findet. Vermeintliche Argumente bestehen in nichts anderem als Behauptungen; und nicht selten sind diese Behauptungen

- a priori unplausibel und kontraintuitiv

- vollkommen unbewiesen

- empirisch kaum haltbar.

 

Es zeigt sich hier auch, dass offenbar der reale Mensch und sein Erleben gar nicht interessieren, sondern dass man meint, die Wahrheit bereits zu haben und dann aus der eignen Überzeugung Deduktionen dazu anstellt, wie die empirisch zugängliche Realität (sic!) auszusehen hat.

 

Zitat

Aber sie [die Kirche] besteht darauf, dass jeder Akt der Logik der Hingabe folgt – auch dann, wenn bewusst auf Zeugung verzichtet wird.

 

Dass eine solche "Logik der Hingabe" existiert, aus welcher die Unerlaubtheit der Verhütung folgt, wäre genau das, was es zu beweisen satt zu behaupten gälte (siehe oben zur Kritik an der "Theologie des Leibes").

 

Zitat

NFP ermöglicht dies, indem es die fertile Phase respektvoll meidet. 

 

Dies ist erneut einfach nur eine Bekräftigung der eigenen Position in einer tendenziös eingefärbten Sprache: Zum Respekt vor der Natur bzw. dem hinter ihr stehenden Willen Gottes würde es gehören, dass man nicht verhütet.

 

Zitat

Verhütung dagegen verneint die grundsätzliche Lebensoffenheit des Aktes.

 

Wenn man das so ausdrücken will: Ja, die Lebensoffenheit mancher Akte wird "verneint". Und spätestens dann, wenn es gut und wünschenswert ist, dass ein ganz bestimmter sexueller Akt nicht zu Kindern führen soll, ist es absolut legitim, sich zu wünschen, dass dieser Akt tatsächlich nicht zu Kindern führt. Es ist nichts Kritikwürdig daran, etwas zu wollen, was gut und richtig ist. Noch ist es kritikwürdig, ein Ziel, das gut und richtig ist, aktiv zu verfolgen, solange dem keine besonderen Gründe entgegenstehen.

 

Zitat

Natürliche Unfruchtbarkeit (z. B. nach den Wechseljahren) ist Teil der Schöpfungsordnung, die der Mensch hinzunehmen hat. Künstliche Verhütung dagegen manipuliert aktiv die fertile Kapazität – sie ist ein Akt der Selbstermächtigung gegen die empfangene Gabe.

 

Und wieder dasselbe: Eine suggestive Sprache und die Wiederholung der zu beweisenden Behauptung. Denn die Thesen, dass Verhütung ein (illegitimer) "Akt der Selbstermächtigung" sei, ist im Grunde ja nichts anderes als die These, dass Verhütung moralisch unerlaubt sei.

 

Zitat

Wahre Freiheit besteht nicht im schrankenlosen Technikeinsatz, sondern in der Übereinstimmung mit der Wahrheit. Die kirchliche Lehre befreit die Liebe von der Illusion, der Mensch könne sich selbst absolut setzen. Sie erinnert daran, dass wir Geschöpfe sind – geliebt und beauftragt, an Gottes Schöpfung verantwortlich mitzuwirken.

 

Und wieder: Die zu beweisende These, dass die Verhütung moralisch unerlaubt sei, wird einfach in anderen Worten wiederholt, oder es werden ähnliche, teilweise sogar noch problematischere und mindestens genauso beweisbedürftige Thesen als wahr behauptet: Dass Verhütung einen "schrankenlosen Technikeinsatz" darstelle; dass sie nicht "in Übereinstimmung mit der Wahrheit" sei; dass der Mensch sich "absolut setzen" würde, wenn er verhütet; dass er, wenn er verhütet, nicht gemäß seiner "Verantwortung" handle. 

Wie will man solche Thesen rechtfertigen, wenn man nicht schon die Unerlaubtheit der Verhütung voraussetzt - und bei den extremeren Formulierungen vielleicht sogar noch mehr?

 

Zitat

    •    Jeder eheliche Akt ist Teil dieser Bundesbeziehung: Er feiert die Treue Gottes, der selbst in der Hingabe der Eheleute gegenwärtig ist.

 

Es tut zwar nicht viel zum Thema, aber das alles kommt einem doch etwas mystifizierend vor. Aus meiner Sicht ist das alles Teil eines Ansatzes, der die Sexualität so sehr auf ein Podest steht, dass der Mensch kaum noch frei über sie verfügen darf. Eine Theologie, die die Lust streng restringiert hat, weil diese angeblich so böse ist, wird so durch eine Theologie ersetzt, die die Lust streng restringiert, weil diese so erhaben und heilig ist. Die Begründungen wechseln und mögen sogar in das Gegenteil umschlagen; die praktischen Gebote sind "seltsamerweise" ähnlich.

 

Zitat

Wer Verhütung ablehnt, sagt nicht „Nein“ zur Vernunft, sondern „Ja“ zu einer Liebe, die das Risiko des Lebens nicht scheut. Diese Haltung ist kein Relikt vergangener Zeiten, sondern prophetisches Zeugnis in einer Kultur der Beliebigkeit.

 

Erneut ist das einfach nur die Wiederholung der zu beweisenden These - gespickt mit dem impliziten und äußerst fragwürdigen Vorwurf, dass jemand, der Verhütung für ethisch erlaubt hält, nicht aus einer um Vernunft und Wahrheit bemühten Geisteshaltung heraus zu seiner Überzeugung gelangen würde, sondern aus einer Haltung der Beliebigkeit.

 

Zitat

Die Einheit von Liebe und Leben als Weg zur Heiligkeit
Die Schönheit der kirchlichen Lehre liegt in ihrer Kühnheit: Sie traut dem Menschen zu, nach der Fülle der Liebe zu streben – jener Liebe, die sich verschenkt, ohne zu berechnen, und die im Vertrauen auf Gottes Vorsehung wächst. In einer Welt, die Sexualität oft auf Lust oder Fortpflanzung reduziert, erhebt die Kirche ihre Stimme für eine Wahrheit, die befreit: Der Mensch ist mehr als sein Trieb. Er ist berufen, die Sprache Gottes im eigenen Leib zu verkörpern – in Treue, Hingabe und ehrfürchtiger Offenheit für das Wunder des Lebens.
„Die Ehe ist die lebendigste Form der Nachfolge – denn sie verlangt, das Kreuz der Unverfügbarkeit zu tragen und im anderen Christus zu begegnen.“


Das ist zwar für das Thema nicht entscheidend, aber diese Passage ist nicht untypisch für die oft sehr blumige und abgehobene Ausdrucksweise, die sich entsprechenden kirchlichen und theologischen Texten findet.

 

Ich hoffe, damit niemandem zu nahe zu treten, aber der Text ist aus meiner Sicht der fast krampfhafte Versuch, etwas zu begründen, was nicht zu begründen ist. Er besteht fast ausschließlich darin, dass die eigentlich zu beweisende Behauptungen in abgewandelter Form wiederholt wird, oder dass sie mit Behauptungen begründet werden, die selbst unbedingt zuerst begründet werden müssten.

 

An ganz zentralen Stellen schweigt der Text. Es wird beispielsweise nicht erklärt, was darunter zu verstehen sei, dass jeder sexuelle Akt auf die Zeugung "hingeordnet" sei. Es wird auch nicht erklärt, wie man von der Behauptung, dass jeder sexuelle Akt auf die Zeugung "hingeordnet" sei (wie immer das auch zu interpretieren sein mag), auf die Unerlaubtheit der Verhütung zu schließen, ohne dass man dazu Argumente in Anspruch nimmt, welche auch innerhalb eines teheistischen Denkrahmens glatte Fehlschlüsse darstellen würden.

 

Es wird insinuiert, dass derjenige, der will, dass kein neues Leben entsteht, eine unmoralische Haltung einnehmen würde. Es wird aber nicht erklärt, was falsch an einer solchen Haltung sein soll, wenn es in der entsprechenden Situation eben gut und wünschenswert ist, dass kein neues Leben entsteht. Die Tatsache, dass jemand, der NFP betreibt, weder seiner Einstellung noch seinem Gesamt-Verhalten nach "offen für das Leben" ist, wird nicht beleuchtet, denn alles wird auf den einzelnen Akt reduziert. Die Argumentation von JPII wird nicht kritisch reflektiert, sondern trotz ihrer erheblichen Begründungslücken wie ein unzweifelhafte anthropologische Wahrheit behandelt. Es werden Aussagen über die empirisch fassbare Welt getätigt, die nach allem, was man sagen kann, schlichtweg falsch sind, und die - offenbar ohne Interesse an den tatsächlichen Verhältnissen - aus dem eigenen Theorie-Gebäude abgeleitet werden. Ein Großteil der (vermeintlichen) Argumentation besteht darin, dass man die eigene Meinung in einer sehr suggestiven Sprache präsentiert - was ein weiteres Indiz für das Fehlen stichhaltiger Argumente ist.

 

Zuletzt möchte ich nochmals die folgenden Fragen stellen, auf die bisher noch niemand geantwortet hat:

 

Falls es im konkreten gar nicht wünschenswert ist, dass ein Kind entsteht - und diese Möglichkeit wird ja zugegeben: Welchen Sinn ergibt es dann, darauf zu beharren, dass entsprechende sexuelle Akte dennoch zur Zeugung eines Kindes führen können müssen? Wieso sollte ein rationaler und menschenfreundlicher Gott darauf insistieren, dass etwas möglich sein muss, was gar nicht wünschenswert ist?

Und wenn der sexuelle Akt nicht deswegen fruchtbar sein muss, weil ein Kind gezeugt werden soll, was ist die potentielle Fruchtbarkeit des sexuellen Aktes dann eigentlich mehr sein als ein reiner Selbstzweck?

 

Solche Fragen nach dem einsichtigen Sinn werden in aller Regel umschifft; statt zu sagen, warum ein bestimmtes Verhalten "Sinn macht", versucht man aufzuzeigen, dass sich angeblich aus der Natur ableiten lässt, dass Gott es so wünscht. Aber wenn Gottes Wille sinnvoll sein soll, kann man auf diese Weise Fragen wie die gerade gestellten nicht zur Seite schieben. 

 

bearbeitet von iskander
Geschrieben (bearbeitet)
vor 1 Stunde schrieb Frey:

Danke für deinen Hinweis, @Weihrauch – ich verstehe dich so, dass du die Gefahr siehst, dass die Kirche durch ein autoritäres Auftreten(?) Gläubige (=Freunde?) verlieren könnte, oder verliert. Ist es so richtig?

 

Ja. Ich bin schon vor langer Zeit der katholischen Kirche davon gelaufen - aus oben genannten Gründen - und finde diese sich verstärkende Tendenz hierzulande schade. Ich bin am Ende meiner Pubertät aus der Kirche ausgetreten, als ich erwachsen geworden war. Also gerade zum richtigen Zeitpunkt, wenn Gehorsam nicht mehr die oberste Maxime im Leben eines Menschen sein sollte - in Liebesdingen, wenn man beginnt Vater und Mutter zu ehren. Als ich noch ein Kind war, sah ich in der vollen Kirche Menschen jeden Alters, heute fast nur noch Grauhaarige und vorwiegend Frauen, und dabei ist es egal welche katholische Kirche ich besuche.

 

vor 1 Stunde schrieb Frey:

Vielleicht liegt die Herausforderung darin, Autorität als Dienst zu verstehen und Räume zu schaffen, in denen Fragen, Zweifel und Entwicklung möglich sind – ohne dass der Glaube dabei beliebig wird.

 

Du kannst mir lange erzählen wie die Kirche zu verstehen sei, aber das ändert nichts daran, wie sie ist. Sie ist fast leer, weil kaum noch jemand sie besucht. "- ohne dass der Glaube beliebig wird?" Er ist doch beliebig, eben so, wie es der Kirche beliebt - aber offensichtlich nicht so, wie es den Menschen beliebt. Es bringt doch nichts, die Schuld immer auf die anderen abzuschieben. Ich für meinen Teil folge Christus nach, aber nicht mehr der katholischen Kirche. Das Problem sind die leeren Kirchen, nicht die Menschen, die sie hierzulande nicht mehr besuchen. Die Menschen hierzulande, sind auch nicht die größeren Sünder als die Menschen sonstwo auf der Welt. 

 

vor 1 Stunde schrieb Frey:

Dein Bild von der Kirche, die ihre „Kinder“ nicht loslässt, regt zum Nachdenken an. Ich stimme dir zu, dass echte Freundschaft und Mündigkeit wichtige Ziele für die Kirche sein sollten. Das "Weglaufen der Freunde" ist aber meiner Ansicht und Erfahrung nach weniger oder nicht nur auf das "autoritäre Auftreten" der Kirche zurückzuführen, denn es gibt sehr liberale Ausprägungen der Kirche, u.a. im Protestantismus, die noch stärker vom Weglaufen betroffen sind.

 

Natürlich ist es nicht nur das autoritäre Auftreten (ohne Gänsefüßchen) der Kirche, aber auch. Bei den Protestanten sind die Kirchen genau so leer, aber stell dir mal vor sie wären bei den Protestanten voll. Das wär mal ein spannendes Gedankenexperiment. Vielleicht könnte der Splitter im Auge des anderen, ja hilfreich sein, den Balken im eigenen Auge wahrzunehmen - so verstand ich dieses Bibelwort zumindest immer als Chance. Möglicherweise ist die Ursache für die leeren Kirchen dort dieselbe, möglicherweise nicht. Ich habe es versucht, aber bei den Protestanten bin ich auch nicht heimisch geworden, weder in der Landeskirche noch bei den Evangelikalen. Ich kann ja nur von mir sprechen, und die Gründe dafür empfand ich ziemlich ähnlich. Was den Glauben betrifft, scheinen mir die Unterschiede nicht gravierend zu sein. 

 

vor 1 Stunde schrieb Frey:

Und Soziologen wissen inzwischen sehr gut, dass zum einen die moderne Welt sagenhafte Verlockungen anbietet - es ist ein Dorthinlaufen ...

      

Ich glaube auch nicht, dass es daran liegt, attraktive Männer und Frauen gab es zu allen Zeiten, im ernst, Gelegenheiten zu sündigen gab es zu allen Zeiten. Es ist auch nicht so, dass die Menschen, die hierzulande der Kirche weglaufen, zu anderen als der christlichen Religion konvertieren, das war früher kaum möglich gewesen. Die New-Age-Welle ist schnell wieder verebbt. 

 

vor 1 Stunde schrieb Frey:

- und es gibt einen bedeutenden Teil in der Gesellschaft, gerade der deutschen, die sich mehr Verbindlichkeit, Strukturen im Leben oder Orientierung wünschen.

 

Mag sein, aber das ist es glaube ich auch nicht. Ich denke es geht schon ans Eingemachte, die Theologie, an das Gottes- und Menschenbild, das hinter der Haltung der Kirchen gegenüber ihren Mitgliedern steckt. 

 

vor 1 Stunde schrieb Frey:

Ich sage nicht, dass die Kirche die Lösung ist, aber sie hat in der Vergangenheit diese Bedürfnisse erfüllt, und ist heute - in der Modernen - eine Option.

 

Dein Wort in Gottes Ohr. Ich glaube das erst, wenn die katholischen Kirchen wieder voller werden, mit einem gemischten "Publikum". 

 

vor 1 Stunde schrieb Frey:

Ich hoffe Dich nun besser verstanden zu haben.

 

Durchaus, aber von uns hängt es nicht ab. Die Kirche ist am Zug, der Bahnsteig fährt ab. 

bearbeitet von Weihrauch
Geschrieben (bearbeitet)

Kann mir mal jemand sagen, wann, wer diesen Begriff "Ganzhingabe" überhaupt ins Spiel gebracht hat? Ehrlich gesagt halte ich diesen Begriff für äußerst fragwürdig. 

bearbeitet von Weihrauch
Geschrieben (bearbeitet)
vor einer Stunde schrieb Weihrauch:

Kann mir mal jemand sagen, wann, wer diesen Begriff "Ganzhingabe" überhaupt ins Spiel gebracht hat? Ehrlich gesagt halte ich diesen Begriff für äußerst fragwürdig. 

Ich denke, das war JP II (z.B. in Familiaris Consortio). Der Begriff wurde zuvor eher in anderen Zusammenhängen, z.B. der marianischen Frömmigkeit des 16. bis 19. Jahrhunders (bes. Grignion de Montfort) verwendet.

Nachtrag: Stimmt nicht, der Begriff kommt bereits in Humanae Vitae vor.

bearbeitet von Merkur
Geschrieben
vor 3 Stunden schrieb Weihrauch:

 

Ja. Ich bin schon vor langer Zeit der katholischen Kirche davon gelaufen - aus oben genannten Gründen - und finde diese sich verstärkende Tendenz hierzulande schade. Ich bin am Ende meiner Pubertät aus der Kirche ausgetreten, als ich erwachsen geworden war. Also gerade zum richtigen Zeitpunkt, wenn Gehorsam nicht mehr die oberste Maxime im Leben eines Menschen sein sollte - in Liebesdingen, wenn man beginnt Vater und Mutter zu ehren. Als ich noch ein Kind war, sah ich in der vollen Kirche Menschen jeden Alters, heute fast nur noch Grauhaarige und vorwiegend Frauen, und dabei ist es egal welche katholische Kirche ich besuche.

 

 

Du kannst mir lange erzählen wie die Kirche zu verstehen sei, aber das ändert nichts daran, wie sie ist. Sie ist fast leer, weil kaum noch jemand sie besucht. "- ohne dass der Glaube beliebig wird?" Er ist doch beliebig, eben so, wie es der Kirche beliebt - aber offensichtlich nicht so, wie es den Menschen beliebt. Es bringt doch nichts, die Schuld immer auf die anderen abzuschieben. Ich für meinen Teil folge Christus nach, aber nicht mehr der katholischen Kirche. Das Problem sind die leeren Kirchen, nicht die Menschen, die sie hierzulande nicht mehr besuchen. Die Menschen hierzulande, sind auch nicht die größeren Sünder als die Menschen sonstwo auf der Welt. 

 

 

Natürlich ist es nicht nur das autoritäre Auftreten (ohne Gänsefüßchen) der Kirche, aber auch. Bei den Protestanten sind die Kirchen genau so leer, aber stell dir mal vor sie wären bei den Protestanten voll. Das wär mal ein spannendes Gedankenexperiment. Vielleicht könnte der Splitter im Auge des anderen, ja hilfreich sein, den Balken im eigenen Auge wahrzunehmen - so verstand ich dieses Bibelwort zumindest immer als Chance. Möglicherweise ist die Ursache für die leeren Kirchen dort dieselbe, möglicherweise nicht. Ich habe es versucht, aber bei den Protestanten bin ich auch nicht heimisch geworden, weder in der Landeskirche noch bei den Evangelikalen. Ich kann ja nur von mir sprechen, und die Gründe dafür empfand ich ziemlich ähnlich. Was den Glauben betrifft, scheinen mir die Unterschiede nicht gravierend zu sein. 

 

      

Ich glaube auch nicht, dass es daran liegt, attraktive Männer und Frauen gab es zu allen Zeiten, im ernst, Gelegenheiten zu sündigen gab es zu allen Zeiten. Es ist auch nicht so, dass die Menschen, die hierzulande der Kirche weglaufen, zu anderen als der christlichen Religion konvertieren, das war früher kaum möglich gewesen. Die New-Age-Welle ist schnell wieder verebbt. 

 

 

Mag sein, aber das ist es glaube ich auch nicht. Ich denke es geht schon ans Eingemachte, die Theologie, an das Gottes- und Menschenbild, das hinter der Haltung der Kirchen gegenüber ihren Mitgliedern steckt. 

 

 

Dein Wort in Gottes Ohr. Ich glaube das erst, wenn die katholischen Kirchen wieder voller werden, mit einem gemischten "Publikum". 

 

 

Durchaus, aber von uns hängt es nicht ab. Die Kirche ist am Zug, der Bahnsteig fährt ab. 

 

Herzlichen Dank für Deinen persönlichen Bericht über Deinen Lebensweg und Deine Sichtweise, die ich sehr gut nachvollziehen kann. Ich denke, er steht exemplarisch für viele Menschen in Mitteleuropa. Unabhängig davon, ob ein formeller Kirchenaustritt vollzogen wurde oder nicht: Die Gottesdienste sind tatsächlich vielerorts leer, und die meisten Menschen wenden sich anderen Beschäftigungen zu. Kirchengebäude werden in großem Stil abgerissen, geschlossen, verkauft oder stehen zumindest kurz davor. Es sei mir erlaubt zu bemerken, dass Deine Bemühungen, in anderen Konfessionen eine neue Heimat zu finden, eher die Ausnahme darstellen – die Mehrheit der Bundesbürger ist schlicht anderweitig engagiert.

Auch mein persönlicher Lebensweg unterscheidet sich davon nicht grundlegend, selbst wenn ich weiterhin Kirchensteuer zahle. Aus meiner Sicht wäre es für viele Gemeinden besser, wenn sie dem langsamen Niedergang ein Ende setzen würden. Die Ursachen hierfür liegen meines Erachtens in der modernen Gesellschaft. Sie sind Realität und aus meiner Sicht keineswegs zu verurteilen.

Ich komme jedoch – und ich bitte dabei um das gleiche Wohlwollen, das ich selbst zu zeigen versuche – zu einer anderen Sichtweise und Schlussfolgerung. Ich glaube, dass die Kirche, wie Du sie aus Deiner Kindheit kennst, vergangen ist und nicht wiederkehren wird, zumindest nicht zu unseren Lebzeiten. Daher denke ich auch nicht, dass die Kirche durch Anpassungen an die Wünsche der modernen Gesellschaft eine grundlegende Wende herbeiführen kann – zumindest nicht im erhofften Ausmaß. Das hat weniger mit Gehorsam zu tun, sondern vielmehr mit der Frage nach ihrem Platz, ihrer Rolle und Funktion in der Gesellschaft.

Ich sehe die Kirche nicht mehr als Volkskirche, sondern höchstens als bewussten Gegenentwurf zur modernen Gesellschaft. Mit anderen Worten: Die Katholiken der Zukunft werden vermutlich als provokante Herausforderung für die Gesellschaft von morgen wahrgenommen – als Außenseiter, als Fremdkörper, als Stein des Anstoßes, nicht aber als nächste Variante eines modernen, massentauglichen Dienstleisters, sei es geschäftlicher oder erbaulicher Natur.

Ich hätte vollstes Verständnis, wenn meine Sichtweise auf Widerspruch stößt – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Dennoch halte ich es für richtig, nicht länger für eine umfassende Anpassung der Kirche an die Gegenwart zu werben. Stattdessen sollte der Blick auf das gerichtet werden, was die Kirche in ihrer reichen Tradition an Weisheit, an Lebensmodellen (wie etwa den evangelischen Räten), an kulturellem Erbe und an ihrer Sicht auf den Menschen als Ebenbild Gottes zu bieten hat.

Warum denke ich so? Weil ich fest davon überzeugt bin, dass die moderne Gesellschaft auf Dauer nicht allen Menschen gerecht werden kann. Ein bestimmter Teil der Gesellschaft wird in ihr keinen Platz finden – man könnte auch von einem Milieu sprechen.

Was mich dabei bewegt – und worauf ich keine Antwort habe – ist die Frage: Was geschieht mit jenen Menschen, die sich mit dem von mir beschriebenen Modell nicht abfinden wollen, aber auch in der modernen Welt keine Strukturen oder Systeme religiöser Sinnstiftung und Orientierung finden? Darauf habe ich leider keine Antwort.

Geschrieben (bearbeitet)
vor 1 Stunde schrieb Merkur:

Ich denke, das war JP II (z.B. in Familiaris Consortio). Der Begriff wurde zuvor eher in anderen Zusammenhängen, z.B. der marianischen Frömmigkeit des 16. bis 19. Jahrhunders (bes. Grignion de Montfort) verwendet.

Nachtrag: Stimmt nicht, der Begriff kommt bereits in Humanae Vitae vor.

 

Wobei Humane vitae ja offenbar auch stark vom Karol Wojtyła beeinflusst wurde. Auch die Behauptung, dass die Sinngehalte der liebenden Hingabe und Zeugung stets verbunden sein müssten, ist m.W. sehr neu - ich meine ebenfalls erst in HV zu finden. Was heutzutage das tragende Fundament wesentlich Gebote in der kirchl. Sexuallehre ist, wurde von der Kirche fast 2.000 Jahre "übersehen".

bearbeitet von iskander
Geschrieben
vor 2 Stunden schrieb Merkur:

Ich denke, das war JP II (z.B. in Familiaris Consortio). Der Begriff wurde zuvor eher in anderen Zusammenhängen, z.B. der marianischen Frömmigkeit des 16. bis 19. Jahrhunders (bes. Grignion de Montfort) verwendet.

Nachtrag: Stimmt nicht, der Begriff kommt bereits in Humanae Vitae vor.

 

Vielen Dank. In anderen Zusammenhängen mag Ganzhingabe ein tauglicher Begriff sein, im sexuellen Bereich, noch dazu im Kontext einer Ehe als allgemein gültige Maxime ist er ein absolutes No Go, meiner unmaßgeblichen Meinung nach. Wahnsinn ... ich halt jetzt besser die Klappe.

Geschrieben
vor 2 Stunden schrieb Weihrauch:

Kann mir mal jemand sagen, wann, wer diesen Begriff "Ganzhingabe" überhaupt ins Spiel gebracht hat? Ehrlich gesagt halte ich diesen Begriff für äußerst fragwürdig. 

 

Zumindest kann er sehr leicht auf eine fragwürdige Weise verstanden werden. Und das ist aus meiner Sicht ein Teil des Problems - dass quasi-religiöse Vorstellungen in die Sexualität hineinprojiziert werden:

 

vor 1 Stunde schrieb Merkur:

Der Begriff wurde zuvor eher in anderen Zusammenhängen, z.B. der marianischen Frömmigkeit des 16. bis 19. Jahrhunders (bes. Grignion de Montfort) verwendet.

 

Interessant ist in diesem Zusammenhang, was eine Frau zu sagen hatte, mit der JPII sehr eng befreundet war (allerdings wohl rein platonisch): Die polnischen-amerikanischen Philosophin Anna-Teresa Tymieniecka. Laut Wikipedia hatten sie und JPII "über 30 Jahre hinweg sehr persönliche Briefe ausgetauscht". Dieselbe Quelle schreibt: "Die Freundschaft dauerte bis zu seinem Tod. Tymieniecka war seine Gastgeberin, als er im Jahr 1976 New England besuchte. Fotos zeigen sie zusammen beim Skifahren und auf Camping-Reisen."

Demnach besuchte sie ihn auch zuletzt am Tag vor seinem Tod. Des Weiteren veröffentlichte sie mit ihm zusammen sein Buch "Person und Tat" in englischer Übersetzung, ein Werk, das JPII. geschrieben hatte, als er noch kein Papst war.

 

Cornwell schreibt in seinem Buch "Pope in the Winter" Tymieniecka:

 

"Few human beings got as close to the mind and heart of Wojtyla, before he became pope, as the phenomenologist Anna-Teresa Tymieniecka. She was a vivacious, highly intelligent married woman, Polish, and yet cosmopolitan, who would collaborate with him during the mid-1970s, spending many hundreds of hours in his presence over three years while she helped him with his major philosophical work."

 

Man wird also kaum behaupten können, dass diese Frau JPII in einer Haltung der Ignoranz und Böswilligkeit gegenübergestanden wäre. Es ist daher umso interessanter, was sie zu seinen entsprechenden Auffassungen meinte. Sie bezieht sich dabei auf sein Buch "Liebe und Verantwortung, welches er ebenfalls vor seiner Zeit als Papst verfasst hatte, und in welchem seine später verkündeten zentrale Ansichten offenbar schon enthalten sind. Ich zitiere erntet Cornwell:

 

"Gegenüber Carl Bernstein und Marco Politi hat sie [Tymieniecka] ihre Reaktion auf dieses Werk [Liebe und Verantwortung] so beschrieben: 'Er ist ein Mann von höchster Selbstbeherrschung, der seine schöne, harmonische Persönlichkeit vervollkommnet hat', sagte sie. Und genau darin lag ihrer Meinung nach das Problem. Wenn man [wie er] über Liebe und Sex nur geschrieben hat, weiß man sehr wenig darüber. Ich war wirklich erstaunt, als ich Liebe und Verantwortung las. Ich dachte, er weiß offensichtlich nicht, wovon er spricht. Wie kann er über solche Dinge schreiben? Die Antwort ist, dass er keine Erfahrungen dieser Art hat.'"

 

Das ist eben nicht selten der Eindruck, wenn man derartige Texte liest - nicht nur von JPII. Cornwell selbst meint.

 

"Das 1960 erschienene Buch [Liebe und Verantwortung] liest sich bisweilen wie die Feldnotizen eines Anthropologen vom Mars über die menschlichen Sexualpraktiken. Ein Mischmasch aus Ethik, Anatomie, Physiologie, Fruchtbarkeitsdiagrammen, klinischen Beschreibungen des weiblichen Orgasmus, abstrakten Analysen von Beziehungen und Emotionen, die er aus seinem Kontakt mit jungen Menschen gewonnen hat. Es ist wie ein Essay über die Phänomenologie der Farbe von einem farbenblinden Physiologen. Das zugrundeliegende Thema - dass wir die Menschen nicht wie Dinge behandeln sollten - ist natürlich unbestreitbar. Der Begriff der Selbsthingabe ist theologisch fundiert, berücksichtigt aber nicht die gelebte Erfahrung in der Zeit, flüchtige Emotionen, Schwächen und ungleiche Triebe und Zwänge.[...]

[S]ubjektive Erfahrung ist in Johannes Pauls Theologie des Leibes kaum erkennbar. Seine Kommentare sind losgelöst von den Realitäten des Sexuallebens. [...] Es gibt auch keinen einzigen Hinweis in dem gewaltigen 600-seitigen Kompendium auf den Genuss von Sex, die Freuden, die Enttäuschungen, das Leid und die Einsamkeit von Verlust und Verlassenheit. Er spricht von der 'Ekstase' des Sex als einer quasi-spirituellen Erfahrung in Begriffen, die vom wirklichen Leben losgelöst sind. [...] Gleichzeitig verpackt er seine These in eine schwülstige, von Jargon geprägte Prosa.“

 

Vielleicht wäre die zölibatäre Kirche klüger beraten, wenn sie sich nicht als Lehrmeisterin in Detailfragen der Sexualität verstehen würde, und wenn sie nicht dort großer moralische Probleme konstruieren würde, wo denjenigen welche sehen kann, der in ihrer moraltheologischen Tradition lebt.

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