iskander Geschrieben 7. Juni Melden Geschrieben 7. Juni (bearbeitet) vor 5 Stunden schrieb Werner001: Man soll aber doch nicht böse Absicht unterstellen, wenn Dummheit als Erklärung ausreicht? Das ist wirklich eine gute Frage, wie man hier zu einer Erklärung kommen soll. Betrachten wir folgenden Satz aus Humane vitae (13): "'Das menschliche Leben muß allen etwas Heiliges sein', mahnt Unser Vorgänger Johannes XXIII., 'denn es verlangt von seinem ersten Aufkeimen an das schöpferische Eingreifen Gottes (13).'" Es scheint völlig offensichtlich zu sein, dass es Johannes XXIII. hier um den Schutz des bereits bestehenden Lebens insbesondere in seinen Anfängen geht - also des Lebens, welches bereits "aufgekeimt" ist und bereits existiert. Und nur so ergibt es auch Sinn; denn ein Leben, welches überhaupt nicht existiert, kann weder von Gott geschaffen worden sein noch etwas "Heiliges" sein. Mit der (reinen) Verhütung hat der Schutz des menschlichen Lebens in seinen frühen Stadien nun aber nicht das Geringste zu tun, denn die reine Verhütung "bedroht" per definitionem kein bereits existentes Leben. Vielmehr sorgt sie dafür, dass es erst gar nicht zur Entstehung von Leben kommt (so wie NFP und Enthaltsamkeit das auch tun, wenn auch auf andere Weise). Das gilt auch bzw. gerade aus kath. Sicht, wo man wert darauf legt, dass auch die Hemmung der Nidation der befruchteten Eizelle eine Frühabtreibung ist. Das einzige Leben, das potentiell durch ein Verbot der Verhütung geschützt werden könnte, wäre daher das Leben von Spermien und (wenn überhaupt) unbefruchteten Eizellen - aber wenn man den unbedingten Schutz dieser Zellen als ein absolutes moralisches Gebot ausgibt, kommt man argumentativ sehr in die Bredouille (siehe hier). Paul VI. gebraucht in Abschnitt 13 von Humane vitae also ganz offensichtlich ein Argument gegen die Verhütung, welches tatsächlich allein als Argument gegen die (Früh)abtreibung Sinn ergibt - nämlich eben, dass das menschliche Leben von seinem Anbeginn an heilig sei! Abschnitt 13 von Humane vitae ist aber absolut kritisch für die gesamte "naturrechtliche" Argumentation, die uns in der Enzyklika geboten wird (und diese "naturrechtliche" Argumentation ist doch wohl das eigentliche Zentrum von Humane vitae). Denn ohne diesen Abschnitt 13 liefe die päpstliche Beweisführung darauf hinaus, dass Gott will, dass das von ihm geschaffene Natürliche so bleiben solle, wie er es erschaffen hat, und dass der Mensch daher nicht regulierend und modifizierend in die Natur eingreifen dürfe. Eine solche Argumentation hätte aber extrem weitreichende und absurde Konsequenzen, die Paul VI. gewiss nicht inkauf nehmen will. Vielmehr scheint er der Empfehlung der Minderheit seiner Kommission folgen zu wollen, die argumentiert hatte, dass die Sexualität ein Sonderfall sei, weil sie die Erweckung neuen Lebens betreffe, und dass der Mensch daher speziell an dieser Stelle Eingriffe in die Natur zu unterlassen habe (während es dem Menschen keineswegs im allgemeinen verboten sei, regulierend in die Natur einzugreifen). Die Minderheit argumentiert dabei irreführend, indem sie Formulierungen benutzt, die so klingen, als ob es so etwas wie ein Leben in einem Entstehungsprozess gebe - ein Leben also, das zwar noch kein vollwertiger Mensch sei, aber doch mehr als nichts, und das schützenswert sei. Eine solche Auffassung wäre jedoch mit der kath. Sichtweise schlichtweg unvereinbar (vgl. erneut hier). Aber Paul VI. scheint sogar noch irreführender zu argumentieren und Verhütung mit einem Angriff auf das schon existierende menschliche Leben, welches allen heilig sein solle, zu verwechseln. Das heißt, dass der Papst an der für seine gesamte Argumentation entscheidenden Stelle offenbar das Opfer einer schwerwiegenden Konfusion wird und ausgerechnet hier einen gravierenden Denkfehler begeht. Wie soll man sich das erklären? Dass intelligente Leute (der Papst und seine Berater) aus Versehen einen derart offenkundigen Fehler begehen - und zwar ausgerechnet noch an der wohl kritischsten Stelle der gesamten Enzyklika - ist eigentlich kaum zu glauben. Aber dass sie absichtlich einen solch offenkundigen Fehler an der entscheidenden Stelle begehen und damit ihre eigene Argumentation in einer leicht erkennbaren Weise unterminieren, ist sogar fast noch weniger vorstellbar - oder? Wenn man wirklich eine Täuschungsabsicht hätte, würde man doch wohl weniger offensichtlich vorgehen... Ich kann mir das nur so erklären, dass Paul VI. und seine Berater derart verzweifelt nach einem Argument dafür gesucht haben, dass der Mensch ausgerechnet bei der Sexualität keunesfalls in die Natur eingreifen darf - sonst aber eben schon -, dass ihr kritisches, rationales Denken hier nahezu komplett ausgesetzt hat. Das einzige, was Paul VI. und seinen Mitarbeitern wohl überhaupt als ein potentielles Argument in den Sinn kam, war die Tatsache, dass Geschlechtsverkehr zur Zeugung von neuem Leben führen kann - und so musste diese Tatsache unbedingt als Basis für ein Argument genutzt werden. Das funktioniert aber eben nur dann, wenn man das nicht-existente Leben (welches nicht schützenswert sein kann) auf die eine oder Weise mit dem bereits existierenden Leben (welches schützenswert sein kann) konfundiert. Sehr gerne würde ich ja die konservativen Katholiken hier im Forum fragen, ob ihnen denn eine alternative Lösung einfällt; ob man also die Aussagen von Humane vitae an der entscheidenden Stelle anders interpretieren kann als so, dass der Papst gegen die Verhütung in einer Weise argumentiert, als ginge es um Abtreibung anstatt Verhütung. Und ob man diese Schlüssel-Argumentation - notfalls auch entgegen ihrem Wortlaut - überhaupt so verstehen kann, dass sie einen Sinn ergibt. Ich habe aber inzwischen die Hoffnung aufgegeben, dass die konservativen Katholiken in diesem Forum auf solche Fragen antworten, egal wie relevant sie sind, und egal wie wohlbegründet die Kritik an der kirchlichen Position ist. (Ganz im Gegenteil: Nach meinem Eindruck bekommt man umso weniger Antworten, je besser begründet die Kritik an der kirchlichen Lehre ist, und desto mehr es also im Interesse der Glaubwürdigkeit der kirchlichen Lehre wäre, dass die Kritik an ihr entkräftet wird.) Es wird einem ja teils selbst die Antwort auf Fragen, deren Beantwortung gerade einmal zehn Sekunden ginge, verweigert. Ich kann mir das nur so erklären, dass die konservativen Katholiken selbst sehen, dass ihre Position unhaltbar ist, das aber nicht vor sich selbst und anderen zugeben wollen. Gerne würde ich widerlegt werden - aber nicht durch eine Kritik daran, dass ich überhaupt eine entsprechende Kritik übe, sondern durch Antworten zu den Sachfragen selbst. bearbeitet 7. Juni von iskander Zitieren
iskander Geschrieben 7. Juni Melden Geschrieben 7. Juni (bearbeitet) vor 4 Stunden schrieb Merkur: Ich vermute eher, dass du zu wenig berücksichtigt, dass es sich um eine religiös begründete Moral handelt. In der Religion gelten in vieler Hinsicht andere Regeln als im außerreligiösen Bereich. Nein. Mein Punkt ist ja gerade, dass man auch dann, wenn man die religiösen Prämissen akzeptiert, keine schlüssigen Argumente für die kath. Sexuallehre bekommt. Es fehlt die Folgerichtigkeit. Nimm meinen letzten Beitrag von gerade eben. Zu den religiösen Voraussetzungen der von mir erwähnten Argumentation von Humane vitae gehört etwa, dass das menschliche Leben von Gott geschaffen ist, und dass das menschliche Leben von der befruchteten Eizelle an ein Mensch im Sinne einer Person mit einem unantastbaren Anrecht auf Leben ist. Aber auch wenn man diese Prämissen ausdrücklich voraussetzt, kann man daraus nur ein Argument gegen Frühabtreibung und nicht gegen die Verhütung entwickeln. Frühabtreibung: 1. Das menschliche Leben ist vom Anbeginn seiner Existenz an unantastbar. 2. Es ist daher verboten, das menschliche Leben zu beenden (und sei es in einem Frühstadium). 3. Mit der Abtreibung wird das menschliche Leben (in einem frühen Stadium) beendet. 4. Also wird mit der Abtreibung etwas getan, was verboten ist. Das wäre ein logisch schlüssiges Argument in dem Sinne, dass dann, wenn die Prämissen wahr sind, auch die Konklusion (4.) wahr sein muss. Wenn man also bestimmte katholische Vorstellungen akzeptiert, kann man valide gegen die Abtreibung argumentieren Verhütung: 1. Das menschliche Leben ist vom Anbeginn seiner Existenz an unantastbar. 2. Es ist daher verboten, das menschliche Leben zu beenden (und sei es in einem Frühstadium). 3. Mit der Verhütung wird das menschliche Leben nicht beendet. 4. Also wird mit der Verhütung etwas getan, was verboten ist. Letzteres ist klarerweise ein Fehlschluss: Wer etwas unterlässt, was verboten ist, tut nicht das Verbotene, sondern unterlässt es eben. Oder nimm das Argument, dass der Mensch, indem er verhütet, sich weigere, gemäß Gottes Wille an der Schöpfung teilzunehmen. Folgendermaßen ergibt das Sinn: 1. Gott will, dass ein bestimmter Mensch, der sich in der Situation X befindet, Kinder zeugt. 2. Wenn dieser Mensch verhütet, NFP betreibt oder komplett enthaltsam lebt, zeugt er (wahrscheinlich) keine Kinder. 3. Wenn dieser Mensch verhütet, NFP betreibt oder komplett enthaltsam lebt, verstößt er also gegen Gottes Willen, Kinder zu zeugen. Das wäre ein valides Argument; wenn man bestimmte kath. Überzeugungen sowie unbestrittene empirische Tatsachen voraussetzt, kann man also argumentieren, dass Verhütung, NFP und Enthaltsamkeit in bestimmten Situationen unerlaubt sind. Nun zum Vergleich die These, dass Verhütung (und sie allein) generell dem Schöpfungs-Auftrag Gottes widersprechen würde, also selbst in Situationen, in denen der Mensch nicht dazu berufen ist, an der Schöpfung mitzuwirken: 1. Gott will, dass ein bestimmter Mensch, der sich in der Situation Y befindet, keine Kinder zeugt. 2. Wenn dieser Mensch verhütet, NFP betreibt oder komplett enthaltsam lebt, zeugt er (wahrscheinlich) keine Kinder. 3. Wenn dieser Mensch verhütet, verstößt er also gegen Gottes Willen, Kinder zu zeugen. Das ist erneut ein klarer Fehlschluss. Wenn Gott in einer bestimmten Situation nicht will, dass der Mensch Kinder zeugt, kann der Mensch natürlich auch nicht gegen Gottes Willen, Kinder zu zeugen, verstoßen - denn diesen Willen gibt es dann ja nicht. Und so könnte man das fortsetzen. Meine Kritik lautet nicht, dass man bestimmte religiöse Vorstellungen teilen muss, damit die Argumente für die kath. Sexuallehre Sinn ergeben. Meine Kritik lautet vielmehr, dass die Argumente auch dann keinen Sinn ergeben, wenn man ausdrücklich von den kath. Denkvoraussetzungen ausgeht. Sie sind oft sogar einfach nur glatte Fehlschlüsse. bearbeitet 7. Juni von iskander Zitieren
Flo77 Geschrieben 8. Juni Melden Geschrieben 8. Juni vor 15 Stunden schrieb Werner001: Und dann propagiert man NFP mit dem Hinweis, dass damit die Zeugung von Kindern statistisch sicherer verhindert werden kann als mit Kondomen. Jaja, sehr logisch, dieses heiligmäßige Geschwätz, das Frommen da absondern Werner Ich erinnere mich an ein Statement von Kard. Meisner, der zusammen mit der philippinischen Präsidentin stolz darauf war, die Geburtenrate auf den Philippinen mit NFP deutlich gesenkt zu haben... Zitieren
Werner001 Geschrieben 8. Juni Melden Geschrieben 8. Juni vor 2 Stunden schrieb Flo77: Ich erinnere mich an ein Statement von Kard. Meisner, der zusammen mit der philippinischen Präsidentin stolz darauf war, die Geburtenrate auf den Philippinen mit NFP deutlich gesenkt zu haben... Solches Denken ist natürlich auch urkatholisch. Es sprach der ehrwürdige Abt: “Morgen ist Fast- und Abstinenztag, Bruder Küchenmeister, bereite uns ein Forellengelee als Vorspeise, dann einen fetten Biberbraten und Hollerküchlein als Desert! Und nicht, dass ihr wieder ein Scheibchen von dem Speck nascht! Ihr wisst, das wäre eine schreckliche Sünde!“ Werner 2 Zitieren
iskander Geschrieben 8. Juni Melden Geschrieben 8. Juni vor 2 Stunden schrieb Flo77: Ich erinnere mich an ein Statement von Kard. Meisner, der zusammen mit der philippinischen Präsidentin stolz darauf war, die Geburtenrate auf den Philippinen mit NFP deutlich gesenkt zu haben... Das halte ich für ein frommes Märchen nach allem, was ich ich mir einbilde, zum Thema zu wissen. In den (aller)letzten Jahren kam es auf den Philippinen zwar zu einem Rückgang der Geburten auf ein akzeptables Niveau - aber NFP scheint damit herzlich wenig zu tun zu haben. Beim folgenden Text geht es zwar nur um Zentral-Visayas, den zentralen Teil der zentralen Inselgruppe der Philippinen, aber ich kann mir schwer vorstellen, dass es auf den restlichen Philippinen ganz anders aussieht: "Citing the results of the 2022 NDHS, PSA-7 said married women aged 15 to 49 who use modern methods of family planning have steadily increased over the last three decades, from 29% in 1993 to 45% in 2022. On the other hand, the use of traditional methods among married women has remained relatively stable, with 16% of them using traditional methods in 2022. The top four most commonly used modern methods based on the said survey are: 19% for Pills, 7% for IUDs, 7% for Injectables, and 7% for Female Sterilization. The top two most commonly used traditional methods are withdrawal at 12% and the calendar method at 5%. [...] The Commission on Population and Development in Central Visayas (POPCOM-7) describes the continuing decline in the fertility rate in the region as "remarkable,” as it reflects the effective implementation of the government’s management-focused programs." https://mirror.pia.gov.ph/features/2023/07/18/psa-7-fertility-rate-drops-while-contraceptive-use-on-the-rise-in-central-visayas (Hervorhebung durch mich) Mit der Kalender-Methode sind offenbar alle Vorgehensweisen gemeint, die auf einer Berechnung des weiblichen Zyklus beruhen. Die Regierung und die Leute lassen sich anscheinend weniger von der Kirche sagen als früher: "In the Philippines, the government in recent years worked to boost access to family planning and contraceptives, which traditionally are frowned upon." https://www.straitstimes.com/asia/se-asia/philippine-fertility-rate-drops-to-less-than-2-kids-per-woman Mit anderen Worten: Wenn die Philippinen nun keine besorgniserregend hohe Geburtenrate mehr zu haben (die sie noch vor kurzem hatten), dann nicht wegen der Kirche, sondern trotz der Kirche. Auch wenn konservative Katholiken es nicht gerne hören - alle menschliche Erfahrung spricht dafür, dass es realistisch betrachtet drei Optionen (und deren Kombinationen) gibt: - Sehr hohe Geburtenrate - Sehr hohe Abtreibungsrate - Hohe Prävalenz künstlicher Verhütung Dass das so ist, wird in der Tat ja selbst durch Humane vitae nahegelegt, wo impliziert wird, dass die strikte Observanz der kath. Lehre eine besondere Motivation, Disziplin und Gnade voraussetzt. Diese Bedingungen mögen bei manchen oder sogar vielen überzeugten und engagierten konservativ-katholischen Ehepaaren vorhanden sein, aber für die Allgemein-Bevölkerung kann man sie kaum voraussetzen. Warum die Kirche dann dennoch versucht, Regierungen dazu zu bringen, der Allgemein-Bevölkerung künstliche Verhütung vorzuenthalten, obwohl Verhütung für diese die einzig realistische Option ist, wäre eine weitere Frage, die bisher kein einziger konservativer Katholik beantworten konnte oder wollte. @Merkur Ergänzend noch dies: Natürlich kann man auch gleich die Forderung fallen lassen, dass religiöse Argumente überhaupt sinnvoll und folgerichtig sein zu brauchen. Dann kann man auch argumentieren "Gott ist dreifaltig- also ist künstliche Verhütung verboten, NFP aber manchmal erlaubt". Ohne weitere Prämissen oder Zwischenschritte. Man kann dann aber genauso gut auch das Gegenteil oder etwas Drittes beweisen: "Gott ist dreifaltig - also ist künstliche Verhütung immer erlaubt, NFP aber stets verboten." Man kann dann alles aus allem schließen, und das Gegenteil auch. Ohne das Prinzip der Folgerichtigkeit - dass die Konklusion logisch aus den Prämissen zu folgen hat - verlieren auch Begriffe wie "Begründung" und "Argument" ihren Sinn. Dann kann man genauso gut und ehrlicherweise auch gleich ganz auf Begründungen verzichten. Wenn es überhaupt Begründungen und Argumente geben soll, dann müssen sie zumindest formal gültig sein - das zu Beweisende muss aus den Prämissen folgen. Zudem sollten die Prämissen immerhin innerhalb des eigenen System glaubwürdig sein. Wenn man diesen Maßstab anlegt, dann allerdings scheinen die Begründungen für die kath. Sexualmal auch dann nicht tragfähig zu sein, wenn man die Voraussetzungen des kath. Systems zugrundelegt, wie ich in den Beiträgen hier zu zeigen versucht habe. Zitieren
iskander Geschrieben 8. Juni Melden Geschrieben 8. Juni (bearbeitet) ... bearbeitet 8. Juni von iskander Zitieren
Merkur Geschrieben 8. Juni Melden Geschrieben 8. Juni vor 14 Stunden schrieb iskander: Nein. Mein Punkt ist ja gerade, dass man auch dann, wenn man die religiösen Prämissen akzeptiert, keine schlüssigen Argumente für die kath. Sexuallehre bekommt. Es fehlt die Folgerichtigkeit. Mir fällt auf, dass das, was du als katholische Prämissen bezeichnest, im Grunde nur aus einem einzigen Syllogismus besteht: Gott will... (...) Also muss.... Kein Hinweis darauf, wer Gott ist, warum er etwas will, wie sich sein Wille äußert, warum das für uns relevant ist, wie wir seinen Willen verstehen, warum und wie wir ihm folgen sollten usw.. In katholischen Veröffentlichungen wird üblicherweise innerhalb eines umfangreichen Bezugssystems argumentiert, das in deiner Argumentation weggelassen wird. Dadurch wird der Sachverhalt möglicherweise nicht falsch dargestellt, aber doch extrem vergröbert. Gerade die Betrachtung der Beziehung zwischen Mensch und Gott wäre durchaus ein wichtiger Punkt. Nach meinen Erfahrungen haben gerade Nicht- oder Andersgläubige oft eine völlig andere Gottesvorstellung als Katholiken und auch innerhalb der RKK ist diese Vorstellung nicht einheitlich. Um die katholische Lehre in diesem Punkt besser zu verstehen, wäre es vielleicht sinnvoll, sich mehr mit dem Gesamtsystem zu befassen. Zitieren
Merkur Geschrieben 8. Juni Melden Geschrieben 8. Juni vor 2 Stunden schrieb Werner001: Es sprach der ehrwürdige Abt: ... Ein Beispiel für die positive Wechselwirkung zwischen Religion und Kultur. Zitieren
iskander Geschrieben 8. Juni Melden Geschrieben 8. Juni (bearbeitet) vor 20 Stunden schrieb Kara: Um ungewollten Schwangerschaften bei Mitleserinnen entgegenzuwirken, möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass das die falsche Körperflüssigkeit für die Untersuchung zur NFP ist 😉. [...] Das tut mir wirklich leid, dass du [Einsteinchen] dich völlig umsonst immer so ekeln musstest. Ästhetische Probleme sind aber nicht die eigentliche Schwierigkeit mit der NFP. Die eigentliche Schwierigkeit besteht unter anderem darin, dass die Methode einfach nicht für alle Frauen geeignet ist. Manche Frauen haben einen erratischen Zyklus, der sich nicht gut berechnen lässt. Manche klagen, dass sie ihr Zervixschleim keine feststellbaren zeitabhängigen Veränderungen aufweist. Manche leiden an bestimmten Erkrankungen, die den Hormonhaushalt so beeinflussen, dass der Zyklus unberechenbar ist. Manchmal gibt es für die Unregelmäßigkeit offenbar auch keine medizinische Erklärung, und sie besteht dennoch. Nicht wenige Frauen kommen mit der NFP auch gut bis zur Menopause zurecht, dann aber offenbar nicht mehr - obwohl viele gerade dann eine Schwangerschaft vermeiden wollen. Ich kann nicht sagen, wie viele Frauen bzw. Familien auf die eine oder andere Weise von solchen Schwierigkeiten mit der NFP betroffen sind, aber es gibt eine ganze Reihe teilweise detaillierter Berichte zu solchen Problemen, und ich glaube nicht, dass man das einfach alles abtun kann. Viele dieser Frauen haben sich offenbar mit Hilfe von NFP-Instruktoren und Ärzten bemüht, eine Lösung zu finden. Aber es scheint eben keineswegs immer eine Lösung zu geben - außer der, entweder weitgehend oder auch ganz auf jeden Sex zu verzichten oder eben eine Schwangerschaft zu riskieren, die man nicht riskieren sollte unter Umständen auf gar keinen Fall. Wenn man sieht, wie betroffene Frauen manchmal kämpfen oder gekämpft haben, und wie sie leiden oder gelitten haben, rührt einen das an. Im folgenden Fall etwa berichtet eine Frau, die NFP praktiziert hat, dass sie trotz peinlicher Beachtung der entsprechenden Methoden schwanger wurde - und bei einer von zwei Fehlgeburt fast verblutet ist. Wie es weiterging? "We didn’t have time to catch our breath, or find out why our babies were dying, because I was pregnant yet again. We had been together TWICE from November to February and we had followed Creighton rules exactly. We were terrified. We held each other sobbing in the kitchen because we were so traumatized by our last experience. The concern that I could die, or that we would lose this baby as well, was overwhelming. [...] After my daughter’s birth the doctor said, “please don’t get pregnant for 2 years. Your body needs a break.” [...] In the 15 months that followed our daughter’s birth, my cycles were so long (one was 72 days with 64 non-consecutive days of mucus) and so absolutely confusing we were only able to be together as husband and wife 6 times.[...]" https://www.patheos.com/blogs/sickpilgrim/2018/04/you-are-not-alone-catholic-womens-real-life-experiences-of-nfp-part-vii/ Diese Frau schildert auch, dass sie alles getan habe, um die NFP zum Erfolg zu führen: "I did everything I was “supposed to do.” I dutifully followed my chart. I didn’t touch my husband at times I needed his affection the most for days, weeks, months. I frequently went to spiritual direction, met off and on with a friend who is a therapist, talked to other women in my position, called my Creighton instructor 1000 times sobbing and confused. I even tried doing my basal body temperature only to find out that it’s off and really doesn’t rise, yet by all accounts my thyroid is fine. [...] Let me tell you – there have been no burdens in my life so heavy as looking at a surprise positive result on a pregnancy test with dread and anxiety. Then, to find clots of blood in my underwear, only a few weeks later. The guilt, the feeling of fault and failure. If I had charted correctly I wouldn’t have a dead baby. If I was more in tune with my body I wouldn’t have to go to my husband and tell him another one of our children is dead and I don’t know why [...]. And before you say “progesterone” or “NaPro doctor,” just know that I’ve had vials and vials of blood drawn… my last round was 23 vials in January. They were testing for everything imaginable. I had had several cycles with zero mucus or signs of fertility and yet I had gotten pregnant and miscarried that previous November. We have even entertained flying me across the country to New York, to try to find answers at the Gianna center." Manchmal trägt auch der Mann die NFP nicht konsequent mit, und die Frau kann aus emotionalen oder anderen Gründen nicht entschieden dagegen halten oder die Ehe gefährden: "My friend is a wonderful person, a devout Catholic, and very pro-life. She and her husband were using NFP, and had been for years. Unfortunately, over the course of her married life, my friend has suffered several traumatic miscarriages. She has struggled with severe depression and PTSD related to pregnancy loss. In addition to her miscarriages, she also has four living children who suffer from a variety of physical and emotional ailments. Her children have been in and out of specialists’ offices, therapist appointments, and hospitals. Given these circumstances, her anxiety surrounding the possibility of another pregnancy was extreme. [...] To make matters worse, her husband had minimal tolerance for the periodic abstinence required by NFP. The possibility of her becoming pregnant was actually quite high. I began to be afraid that, if she did become pregnant, she would attempt to commit suicide. [...]" https://www.patheos.com/blogs/sickpilgrim/2018/04/you-are-not-alone-catholic-womens-real-life-experiences-of-nfp-part-v/ Die Verfasserin habe ihrer Freundin dann schweren Herzens zur Verhütung geraten: "As we neared home, she became more anxious, and she finally told me that she had decided that if she became pregnant, she was going to have an abortion. I was not shocked. I knew how much she feared another miscarriage, and I knew how wholly overwhelmed she felt. I also knew that this would be absolutely catastrophic for her. She was passionately pro-life. She was terrified of losing another child. For her to have an abortion would, I felt, simply be a step on the way to her becoming suicidal. I told her that I thought that this was the time for her and her husband to consider using contraception. I didn’t say this lightly. I have my religious commitments. In the back of my mind, I was hoping that using contraception would be temporary, something to give her peace of mind so that she could have some time to heal before going back to following the Church’s teachings. But I knew that contraception was absolutely necessary to her, at least short term. Things could not go on the way they were heading. She needed a break from constant fear. Whether she took my advice or not, I couldn’t say. I know that our topics of conversation changed after that, that she began to place distance between the two of us. Whether that’s related to our conversation, I don’t know. People are complicated." Solche Erfahrungen führen dann verständlicherweise oft zu Enttäuschung, manchmal Bitterkeit und nicht selten zu einer Entfremdung von der Kirche. Eine Userin berichtet: "Long story short, I have PCOS [Polycystic Ovary Syndrome], other hormonal issues, and numerous other health conditions which created quite the predicament—I needed to avoid pregnancy not only for my life but that of a potential developing baby, but it is impossible for me to use NFP (cycle has gotten incredibly sporadic especially in my peri[menopause] years, temp[erature] is crazy due to thyroid issues, I’ve never had other signs like mucus or cervix changes, etc)." https://www.reddit.com/r/excatholic/comments/1krymel/former_nfp_user_explaining_why_i_was_in_and_how_i/ Diese Userin berichtet, dennoch NFP praktiziert zu haben und dann eben fast jede sexuelle Begegnung mit ihrem Mann vermeiden. Sie fährt dann fort: "The years that my husband spent avoiding pregnancy—often months at a time of abstaining—was incredibly damaging to our marriage [...]. There isn’t a day that goes by that I don’t wonder how I, how our marriage, how our family would be different if I had just been allowed to use contraception or be sterilized. I would have been able to be a much more relaxed mom in the early years of my child’s life instead of being scared to death of getting pregnant again. My husband and I would probably be much more connected to each other if so many months and years hadn’t gone by that we had to keep each other at arms length. [...] Media, social media, etc regularly mention the abuse cases as a negative aspect of the RCC’s history—and that absolutely should be in the media and been brought to light much sooner than it was—but what about the thousands or millions who’s lives were forever altered in other ways because of the RCC’s [Roman Cahtholic Churche's] rules? Those whose physical and mental health was negatively affected, the marriages that were damaged many to the point of ending, the children that grew up without mothers or mothers that were physically and/or mentally ill from being stretched so thin, the careers that never happened, the families that are financially unstable or even in poverty because of size and/or mother needing to stay home, etc??? No apology will ever be given to them." Es gibt Frauen bzw. Paare, die mit der NFP gut zurechtkommen. Und dann ist ja auch alles gut, wenn sie selbst damit glücklich sind. Es gibt eben auch Frauen und Paare, bei denen NFP ganz offensichtlich nicht funktioniert - nicht einmal mit großer Mühe. Und zur Wahrhaftigkeit gehört es, Tatsachen auch dann zur Kenntnis zu nehmen, wenn sie einem vielleicht nicht gefallen mögen. Und es geht hier nicht allein um Wahrhaftigkeit, sondern auch der Respekt vor den Betroffenen. Es wäre doch recht kaltschneuzig, einfach zu tun, als würden diese Menschen und ihre Schicksale nicht existieren, nur weil man selbst es besser hat und keine Lust darauf hat, sich von unschönen Wahrheiten die eigene welztanschauliche Idylle trüben zu lassen - oder? In Fällen, in denen die NFP trotz aller Bemühungen nicht oder schlecht funktioniert, gibt es nur drei Möglichkeiten: a) Die entsprechenden Frauen und ihre Partner sollen weitgehend oder ganz auf jede sexuelle Intimität verzichten. b) Sie dürfen oder mögen unverhüteten Sex haben und eine Schwangerschaft riskieren, welche die Frau bzw. die Familie sich schlecht oder gar nicht erlauben kann. c) Die entsprechenden Paare dürfen effektive künstliche Verhütungsmethoden gebrauchen und können (oder sie haben "unerlaubte" Formen der sexuellen Intimität). Bevor man mir erneut sagt, ich würde hier ein zu enges Antwort-Schema vorgeben: Nein, das tue ich nicht. Mit den genannten Optionen sind - bis auf "schwanger werden und dann abtreiben" - alle Möglichkeiten ausgereizt. Alternativ könnte man natürlich auch eine Option d) einführen: Man sagt, dass man sich unsicher ist, was richtig ist. Wenn Ihr konservativen Katholiken es vorzieht, zu solche Fragestellungen, die immerhin die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Position unmittelbar herausfordern, konsequent jede Antwort zu verweigern, dann hat das nichts mit Zeitmangel zu tun. Eine Antwort kann in solchen Fällen in zehn, maximal 15 Sekunden gegeben werden. Wenn Ihr dennoch nicht antworten wollt, hat das ganz andere Gründe. bearbeitet 8. Juni von iskander Zitieren
iskander Geschrieben 8. Juni Melden Geschrieben 8. Juni (bearbeitet) vor 3 Stunden schrieb Merkur: Mir fällt auf, dass das, was du als katholische Prämissen bezeichnest, im Grunde nur aus einem einzigen Syllogismus besteht: Gott will... (...) Also muss.... Kein Hinweis darauf, wer Gott ist, warum er etwas will, wie sich sein Wille äußert, warum das für uns relevant ist, wie wir seinen Willen verstehen, warum und wie wir ihm folgen sollten usw.. In katholischen Veröffentlichungen wird üblicherweise innerhalb eines umfangreichen Bezugssystems argumentiert, das in deiner Argumentation weggelassen wird. Ich setzte das Bezugssystem samt den relevanten Prämissen aber einfach schon als gegeben voraus! Ich akzeptiere also - für den Zweck der Darlegung - die entsprechenden katholischen Prämissen und das hinter ihnen stehende System vollständig. Mein Punkt ist schließlich ja gerade der, dass auch dann, wenn man dieses ganze Bezugssystem samt den aus ihm resultierenden Prämissen als wahr und sinnvoll akzeptiert, jene Argumente, die gewöhnlich für die kirchlichen Sexualverbote vorgebracht werden, dennoch nicht valide sind. Ich "schenke" der Kirche ihr Bezugssystem und ihre Prämisse also sozusagen. Das kommt der Kirche zugute, und nicht der Kritik an der kirchlichen Position! Beispielsweise halte ich es persönlich für ziemlich weit hergeholt, dass ein liebevoller und die Freiheit des Menschen achtender Gott jedes Ehepaar in die Pflicht nehmen sollte, ein Kind nach dem anderen zu zeugen, und zwar so lange, bis sie kein einziges weiteres Kind mehr verantworten können. Das Argument, dass die Ehepartner "großzügig" sein sollten, ergibt aus meiner Sicht wenig Sinn - denn wer sollte denn der Adressat dieser Großzügigkeit sein? Potentielle Kinder als nicht-existente Personen können es nicht im eigentlichen Sinne sein; also käme Gott infrage, welcher laut Theologie jedoch bedürfnislos glücklich ist. Und ansonsten vielleicht noch die Gesellschaft. Für eine derart folgenschwere Verpflichtung wie die zu zahlreichen Kindern - eine Verpflichtung, die das eigene Leben grundlegend berührt - müsste es m.E. in den meisten Situationen dann aber schon bessere Begründungen geben als nur den Verweis auf einen abstrakten Nutzen der Gesellschaft. (Ich habe eher den folgenden Verdacht, den auch andere schon geäußert haben: Nämlich dass die Kirche - abgesehen mal vom Wunsch nach mehr Mitgliedern - deshalb so sehr auf das Maximum an verantwortbaren Kindern drängt, weil manche zölibatären Herren nur dann die Vorstellung von leidenschaftlicher Sexualität zu ertragen vermögen, wenn sie sich sagen können, dass dabei ja Kinder herauskommen. Vorwürfe wie der aus Casti connubii, dass bestimmte Leute die Lust, nicht aber die Last wollen, sind hier verräterisch.) Es gibt zudem auch Menschen, die selbst merken, dass sie keine gute Eltern wären - und wenn sie sich das eingestehen und auf Kinder verzichten, ist das aus meiner Sicht sehr respektabel. Wenn man diese Leute - wie die Kirche es tut -, vor die Alternative stellt, entweder dennoch Kinder anzustreben oder das ganze Leben lang Single zu bleiben, so halte ich für unvernünftig und hartherzig. Aber das alles spielt keine Rolle für die Kritik, die ich zuletzt geübt habe. All meinen Vorbehalten zum Trotz gehe ich bei meiner Kritik von der Prämisse aus, dass Eheleute in manchen Situationen moralisch dazu verpflichtet sind, Kinder zu zeugen, in anderen aber nicht - und zwar ganz in dem Sinne, wie die Kirche das lehrt. Und ich sage nun: Wenn der Mensch in einer bestimmten Situation verhütet, in welcher er (gemäß kirchlicher Lehre!) nicht in der Pflicht steht, Kinder zu zeugen, dann kann er mit seinem Akt der Verhütung auch nicht gegen seine - dann ja nicht-existente - Pflicht verstoßen, in ebendieser Situation Kinder zu zeugen. Einfach weil man eine Pflicht, die gar nicht besteht, auch nicht verletzen kann. Würde ich nun ausführlich referieren, warum die Kirche lehrt, dass Ehepartner in manchen Situationen dazu verpflichtet sind, Kinder zu zeugen, und in anderen nicht, dann würde das alles überhaupt nichts daran ändern, dass man nicht gegen eine nicht-existente Pflicht verstoßen kann; entsprechende Erörterungen wären für meine Kritik also einfach nicht relevant. Und entsprechend verhält sich das nicht nur in diesem Fall, sondern überhaupt. Zitat Dadurch wird der Sachverhalt möglicherweise nicht falsch dargestellt, aber doch extrem vergröbert. Nein - ich habe ja gar nicht den Anspruch und Ehrgeiz, die Gründe, aus denen die Kirche zu bestimmten Überzeugungen über Gott den Menschen kommt, umfassend darzustellen. Meine Kritik lautet ja wie gesagt nur, dass die Argumente, die für wesentliche Teile der kath. Sexuallehre vorgebracht werden, auch dann keinen Sinn ergeben, wenn die relevanten kirchlichen Überzeugungen über Gott und Mensch zugrunde gelegt werden. Ich beleuchte also einfach einen bestimmten relevanten Sachverhalt, der aber durchaus für sich stehen kann - und diesen Sachverhalt stelle ich nicht vergröbernd dar, sondern adäquat. Nehmen wir an, ein Chemiker untersucht eine Probe; und er sagt selbst, dass die Probe dann und nur dann die Substanz X enthält, wenn der Teststreifen, mit dem er die Probe in Berührung bringt, sich blau verfärbt. Wenn der Teststreifen sich nun aber gelb statt blau verfärbt, und wenn der Chemiker dennoch schließt, dass die Substanz X vorliegt: Dann kann ich darauf hinwiesen, dass der Chemiker - wenn er bei seinen eigenen Angaben bleibt - einen Fehlschluss begeht. Dazu muss ich weder etwas über die Substanz X noch über das Testverfahren wissen; noch "vergröbere" ich dabei irgendetwas. Ich beleuchte dann einfach nur einen speziellen, aber sehr relevanten Aspekt des Geschehens. Zitat Gerade die Betrachtung der Beziehung zwischen Mensch und Gott wäre durchaus ein wichtiger Punkt. Nach meinen Erfahrungen haben gerade Nicht- oder Andersgläubige oft eine völlig andere Gottesvorstellung als Katholiken und auch innerhalb der RKK ist diese Vorstellung nicht einheitlich. Um die katholische Lehre in diesem Punkt besser zu verstehen, wäre es vielleicht sinnvoll, sich mehr mit dem Gesamtsystem zu befassen. Für meine konkrete Kritik hat das aber keine Relevanz. Beispielsweise bleibt es in jedem Fall ein Fehlschuss, wenn man wie folgt argumentiert: 'Gott verbietet es, das bereits bestehende menschliche Leben zu beenden; also ist die reine Verhütung, bei der kein bereits bestehendes menschliches Leben beendet wird, verboten.' Dass das ein Fehlschuss ist, gilt völlig unabhängig davon, welche konkrete Gottesvorstellung man hat oder wie das Gesamtsystem der kath. Lehre aussieht. (Höchstens könnte man vielleicht die Hypothese aufstellen, dass Gott den Unterschied zwischen Verhütung (Verhindern, dass ein neues Leben entsteht) und Abtreibung (ein bereits bestehendes Leben beenden) nicht zu begreifen vermöchte; oder dass er nicht logisch denken könne. Gott ist aber nach kath. Vorstellung allwissend und von grenzenloser Intelligenz - und so wird man ihm wohl unterstellen dürfen, dass er das, was sogar jeder geistig halbwegs klare Mensch versteht, erst recht zu begreifen vermag.) bearbeitet 8. Juni von iskander Zitieren
Merkur Geschrieben 8. Juni Melden Geschrieben 8. Juni vor 1 Stunde schrieb iskander: Für meine konkrete Kritik hat das aber keine Relevanz. Davon bin ich noch nicht so ganz überzeugt. Deine Argumentation fängt stets mit "Gott will ..." an. Das lese ich sonst in katholischen Veröffentlichungen selten (allenfalls in Formulierungen wie "Gott will, dass alle Menschen gerettet werden". In bezug auf konkrete Willensäußerungen ist die Argumentation meist deutlich zurückhaltender. Da wird eher über eine Schöpfungsordnung argumentiert, die Rückschlüsse auf Gottes Willen zuläßt. Dementsprechend lese ich die Handlungsanweisungen, die die Kirche aufstellt, als Interpretation der Schöpfungsordnung. Im Christentum, so wie ich es bisher verstanden habe, kommt Gottes Wille als Rechengröße nicht vor. Zitieren
Flo77 Geschrieben 8. Juni Melden Geschrieben 8. Juni vor 5 Minuten schrieb Merkur: Davon bin ich noch nicht so ganz überzeugt. Deine Argumentation fängt stets mit "Gott will ..." an. Das lese ich sonst in katholischen Veröffentlichungen selten (allenfalls in Formulierungen wie "Gott will, dass alle Menschen gerettet werden". In bezug auf konkrete Willensäußerungen ist die Argumentation meist deutlich zurückhaltender. Da wird eher über eine Schöpfungsordnung argumentiert, die Rückschlüsse auf Gottes Willen zuläßt. Dementsprechend lese ich die Handlungsanweisungen, die die Kirche aufstellt, als Interpretation der Schöpfungsordnung. Im Christentum, so wie ich es bisher verstanden habe, kommt Gottes Wille als Rechengröße nicht vor. Ich verstehe Deinen Punkt, aber ändert das wirklich was am Ergebnis? Auch wenn die Kirche den Willen Gottes "indirekt" aus der Schöpfung interpretiert, tut sie das mit einer "Gewissheit", die ihrem Urteil vom "sicher bekannten Willen Gottes" nicht wirklich unterscheidbar ist. 1 Zitieren
Marcellinus Geschrieben 8. Juni Melden Geschrieben 8. Juni (bearbeitet) vor 2 Stunden schrieb Merkur: vor 3 Stunden schrieb iskander: Für meine konkrete Kritik hat das aber keine Relevanz. Davon bin ich noch nicht so ganz überzeugt. Deine Argumentation fängt stets mit "Gott will ..." an. Das lese ich sonst in katholischen Veröffentlichungen selten Ich denke, das Missverständnis ist relativ leicht zu klären. @iskander behandelt den Glauben der kath. Kirche wie eine ganz normale Philosophie. Die beruht auf als "wahr" angenommenen Axiomen, aus denen dann Folgerungen abgeleitet werden, die dementsprechend ebenfalls "wahr" sind, wenn die Schlüsse gültig sind. Die Kritik einer Philosophie ist also immer der Versuch, Sätze zu finden, die sich zwar folgerichtig aus den Axiomen ergeben, aber offenkundig falsch sind. Das Problem ist nur, daß die Glaubensvorstellungen der kath. Kirche eben nicht einfach ein philosophisches Lehrgebäude sind, sondern über Jahrhunderte entstanden, und dazu noch zum Tel auf vorwissenschaftlichen Vorstellungen beruhend. Nun hat man zwei Möglichkeiten: entweder man diskutiert von innen, dann muß man theologisch argumentieren, und da ist speziell bei der kath. Kirche spätestens dann Schluß, wenn der herrschende Papst anders entschieden hat; oder man diskutiert von außen, aber dann ist man schnell an dem Punkt, wo man feststellt, daß man den kath. Glauben und die damit verbunden Weltsicht einfach nicht teilt. bearbeitet 8. Juni von Marcellinus 1 Zitieren
iskander Geschrieben 8. Juni Melden Geschrieben 8. Juni (bearbeitet) vor 3 Stunden schrieb Merkur: Davon bin ich noch nicht so ganz überzeugt. Deine Argumentation fängt stets mit "Gott will ..." an. Das lese ich sonst in katholischen Veröffentlichungen selten (allenfalls in Formulierungen wie "Gott will, dass alle Menschen gerettet werden". Im Grunde ist es aus kath. Sicht äquivalent zu sagen "Gott will, dass..." und "es ist moralisch geboten, dass...". Ich sage dort "Gott will es", wo entweder die Kirche lehrt, dass etwas Gottes Wille ist (bzw. dass es moralisch geboten) ist, oder wo es (zusätzlich) aus einer theistischen Perspektive unmittelbar Sinn ergibt. Da ist also nichts Kontroverses. ("Gott will es" ist dabei natürlich im Sinne von "Gott verlangt es" zu lesen, und nicht einfach als unverbindliche göttliche Empfehlung.) Nach kath. Überzeugung ist es beispielsweise a) moralisch schlecht, b) sündhaft und c) ein ein Verstoß gegen den Willen Gottes, wenn das menschliche Leben in seinen frühen Stadien beendet wird (Abtreibung). Wie man das dann genau formuliert, ist egal, weil die entsprechenden Ausdrucksweisen austauschbar sind. Dass ich womöglich öfter die Formulierung von "Gott will" benutzte, liegt wohl daran, dass die ganze hier relevante "naturrechtliche" Argumentation immer über den Willen Gottes läuft: Man erkenne aus der Natur, was Gottes Wille sei, und daher dann auch, was moralisch gut und schlecht sei. Sinngemäß etwa: 'Wir erkennen aus der Biologie, dass Gott will, dass die Geschlechtsorgane allein zur Zeugung benutzt werden - also ist es moralisch schlecht, sie zu anderen Zwecken zu verwenden.' (Nur bei JPII läuft das anders - da wird der moralische Wert bzw. Unwert sexueller Handlungen unmittelbar erkannt, ohne den Umweg über Gottes Willen einzuschlagen. Sinngemäß und wohl etwas simplifiziert könnte man beispielsweise sagen: 'Wir erkennen, dass ein Mann, der verhütet, seine Frau belügt was unmoralisch ist.') Wenn man also formuliert "Gott will (laut Kirche) dies und das", dann wird deutlich, wie die kirchliche Argumentation in den relevanten Fällen verläuft, und es besteht dann eine höhere Kompatibilität, als wenn man das eine mal sagt "Gott will" und das andere mal "Es ist moralisch geboten". Zitat In bezug auf konkrete Willensäußerungen ist die Argumentation meist deutlich zurückhaltender. Da wird eher über eine Schöpfungsordnung argumentiert, die Rückschlüsse auf Gottes Willen zuläßt. Nochmals: Ich behaupte nur ("behaupten" im Sinne eines argumentativen Voraussetzens), dass Gott etwas will, wo die Kirche das sagt, oder wo sie etwas Äquivalentes sagt. Für meine eigene Analyse "schiebe" ich der Kirche nichts an einem göttlichen Willen "unter", was sie nicht jederzeit bejahen würde. Das, worauf ich mich beziehe - etwa, dass Gott laut Kirche gegen Abtreibung jeder Art ist, oder dass er gebietet, dass Ehepaare Kinder zeugen, soweit dem keine besonderen Gründe entgegenstehen -, lehrt die Kirche entweder explizit, oder sie benutzt Formulieren, die aus kath. Sicht äquivalent dazu sind. Und sie lehrt das deutlich, und nicht im Sinne von "Es könnte vielleicht sein...". bearbeitet 8. Juni von iskander Zitieren
iskander Geschrieben 8. Juni Melden Geschrieben 8. Juni (bearbeitet) vor 3 Stunden schrieb Marcellinus: @iskander behandelt den Glauben der kath. Kirche wie eine ganz normale Philosophie. Die beruht auf als "wahr" angenommenen Axiomen, aus denen dann Folgerungen abgeleitet werden, die dementsprechend ebenfalls "wahr" sind, wenn die Schlüsse gültig sind. Nicht ganz - mir ist schon klar, dass die Kirche "Axiome" annimmt, die (auch nach ihrer eigenen Auffassung) durch eine übernatürliche Offenbarung "gesetzt" sind. Vielleicht gehe aber dennoch etwas naiv an die Sache heran. Aber wenn beispielsweise der Papst als Argument gegen die Verhütung vorbringt, dass das menschliche Leben von seinem Anbeginn an unantastbar sei: Wie soll ich das anders interpretieren als einen fehlerhaften Schluss, bei dem der Papst Abtreibung und Verhütung irgendwie durcheinanderbringt? Anders ergibt das doch einfach keinen Sinn. Und andere kirchliche Argumente scheinen wie dargelegt ebenfalls auf Denkfehlern zu beruhen. Nimm eine dogmatische Strömung, die das radikal-ökologische Prinzip vertritt, welches wie folgt lautet, und das ich als 'Prämisse P' bezeichnen möchte. Prämisse P lautet: 'Niemals darf man Transportmittel gebrauchen, welche als Treibstoff fossile Brennstoffe benutzen.' Selbst wenn man dieses Prinzip nun zu 100% als ein Axiom akzeptiert, wäre das folgende Argument, das ich 'Argument A' nennen möchte, doch fehlschlüssig. Argument A lautet: 'Man darf keine Transportmittel gebrauchen, die fossile Treibstoffe als Brennstoff verwenden - also darf man nicht Fahrrad fahren.' Das wäre deswegen ein Fehlschluss, weil Fahrräder normalerweise eben keine fossilen Brennstoffe verwenden (wenn es nicht sogar zu ihrer Definition gehört, dass sie das nicht tun). Natürlich könnte man an dieser Stelle auch die Prämisse P, dass es strikt verboten sein sollte, Transportmittel zu benutzen, welche als Treibstoff fossile Brennstoffe nutzen, kritisch hinterfragen. Aber völlig unabhängig davon kann man doch feststellen, dass das Argument A gegen die Benutzung von Fahrrädern selbst dann keinen Sinn ergibt, wenn man die Prämisse P als wahr und als berechtigt akzeptiert. Das Argument A enthält einfach einen gravierenden Denkfehler. Es ist nicht einmal "formal" gültig im Sinne von: 'Wenn die Prämissen wahr sind, dann ist auch die Konklusion wahr.' Und ganz analog scheint es sich doch bei der kath. Lehre zu verhalten: Auch wenn man die kath. "Axiome" ausdrücklich zugrundelegt, kommt man nicht zu den Schlussfolgerungen, die die Kirche zieht. Oder zumindest nicht auf Grundlage jener Argumente, die üblicherweise vorgebracht werden. bearbeitet 8. Juni von iskander Zitieren
Merkur Geschrieben 8. Juni Melden Geschrieben 8. Juni vor einer Stunde schrieb iskander: Im Grunde ist es aus kath. Sicht äquivalent zu sagen "Gott will es" und "es ist gut". Ich sage dort "Gott will es", wo entweder die Kirche lehrt, dass etwas Gottes Wille bzw. moralisch geboten ist, oder wo es (zusätzlich) aus einer theistischen Perspektive unmittelbar Sinn ergibt. Da ist also nichts Kontroverses. Sie sagt es aber nicht. Ein Gott, der dem Lehramt höchstpersönlich Axiome mitteilt, an denen nicht mehr zu rütteln ist, ist ein anderer Gott als einer, der über all dem erhaben ist, und dessen Wille nur durch menschlich fehlbare Interpretationen seiner Schöpfungsordnung ergründet werden kann. Im ersten Fall bliebe keine andere Möglichkeit, als deine Methode mitzumachen, im zweiten Fall bleibt die Methode angreifbar. Zitieren
iskander Geschrieben 8. Juni Melden Geschrieben 8. Juni (bearbeitet) @Merkur Es geht nicht darum, dass Gott "höchstpersönlich" bzw. ganz unmittelbar Axiome mitteilen würde, sondern darum, dass sein Wille und das Gute - was das im Effekt das gleiche ist - laut Kirche erkennbar ist; sei es durch die vom Lehramt ausgelegte Offenbarung oder sei es durch den Blick in die Natur. "Grundsätzlich" würde die Kirche wohl einräumen, dass sie sich in nicht als unfehlbar ausgewiesenen moralischen Fragen auch irren könne. Sie scheint sich aber gerade bei den Themen, um die es hier geht, sehr sicher zu sein; Zweifel hört man aus ihren Darlegungen keine heraus. Der Grad der Gewissheit hat aber in jedem Fall nichts mit den Formulierungen "Gott will es" vs. "es ist gut" zu tun, denn es handelt sich hier in der kirchl. Logik um äquivalente Aussagen. Wenn also die eine Aussage sicher ist, dann ist es auch die andere; wenn die eine Aussage unsicher ist, dann auch die andere. Falls man nun einen Zweifel zum Ausdruck bringen wollte, könnte man in beiden Fällen ein "wahrscheinlich" davorsetzen: "Gott will es wahrscheinlich" bzw. "Es ist wahrscheinlich gut". Das tut die Kirche aber bei den fraglichen Themen wie gesagt nicht, sondern formuliert so, als sei sie sich sehr sicher. Beispielsweise heißt es in Humane vitae (19 u. 20): "Unsere Worte wären nicht der volle und deutliche Ausdruck der Gedanken und Sorgen der Kirche, der Mutter und Lehrmeisterin aller Völker, wenn sie den Menschen, die sie zur treuen Befolgung von Gottes Gebot über die Ehe auffordern, nicht auch in den schweren Situationen, unter denen heute Familien und Völker leiden, Hilfen böten bei der Durchführung einer sittlich geordneten Geburtenregelung. [...] Die Verwirklichung der Lehre über die rechte Geburtenregelung, die die Kirche als Gottes Gebot selbst verkündet, erscheint zweifellos vielen schwer, ja sogar ganz unmöglich." (Hervorhebung durch mich) Es scheint mir offensichtlich, dass die Rede von den "Geboten Gottes" eine Formulierung darstellt, die (mindestens) so viel Autorität in Anspruch nimmt wie die Redeweise von Gottes Willen. Zumal der nachdrücklich verpflichtende Charakter der kirchlichen Lehre auch auf andere Weise bekräftigt wird. Und auch andernorts macht die Kirche deutlich, dass sie zu wissen glaubt, wo es langzugehen hat. Es sei hier nur beispielhaft noch einmal an JPII erinnert, wie Lüdecke seine Position referiert: "Es gehe [bei der ausnahmslosen Verwerflichkeit der Verhütung] um einen zentralen Punkt der Lehre über Gott und den Menschen. Mit ihr würde die Heiligkeit Gottes selbst abgelehnt. Wer sich dagegen auf das Gewissen berufe, lehne die kirchliche Lehre über Gewissen und Lehramt ab." (Quelle: N. Lüdecke) Ich stelle die kath. Lehre durch meine Formulierungen also keineswegs als verbindlicher dar, als die Kirche es selbst tut. Die Kirche meint sehr genau zu wissen, was gut und richtig ist, und was Gott will und geboten hat. bearbeitet 8. Juni von iskander Zitieren
Marcellinus Geschrieben 8. Juni Melden Geschrieben 8. Juni vor einer Stunde schrieb iskander: vor 3 Stunden schrieb Marcellinus: @iskander behandelt den Glauben der kath. Kirche wie eine ganz normale Philosophie. Die beruht auf als "wahr" angenommenen Axiomen, aus denen dann Folgerungen abgeleitet werden, die dementsprechend ebenfalls "wahr" sind, wenn die Schlüsse gültig sind. Nicht ganz - mir ist schon klar, dass die Kirche "Axiome" annimmt, die (auch nach ihrer eigenen Auffassung) durch eine übernatürliche Offenbarung "gesetzt" sind. Vielleicht gehe aber dennoch etwas naiv an die Sache heran. Aber wenn beispielsweise der Papst als Argument gegen die Verhütung vorbringt, dass das menschliche Leben von seinem Anbeginn an unantastbar sei: Wie soll ich das anders interpretieren als einen fehlerhaften Schluss, bei dem der Papst Abtreibung und Verhütung irgendwie durcheinanderbringt? Anders ergibt das doch einfach keinen Sinn. Und andere kirchliche Argumente scheinen wie dargelegt ebenfalls auf Denkfehlern zu beruhen. Vielleicht "argumentieren" du und die kath. Kirche einfach auf unterschiedlichen Ebenen. Ich will hier nicht die Position dieser Kirche verteidigen, aber wenn ich das richtig verstehe, dann ging es beim Verbot der Verhütung ursprünglich weniger um einen sachlichen Zusammenhang zwischen Geschlechtsverkehr und Vermehrung, sondern um die göttliche Anweisung "seid fruchtbar und mehret euch", womit Verhütung eine Form des Ungehorsams darstellt, ganz unabhängig von irgendwelchen praktischen Zwecken. Es war die Pflicht der Frauen, Kinder zu gebären, ganz egal, ob sie oder die Kinder das überlebten oder nicht. Jeder Versuch der Empfängnisverhütung, oder auch nur der Vermeidung von Geschlechtsverkehr war ein Verstoß gegen die "göttliche Ordnung". Jede sachliche Argument geht da einfach am Problem vorbei. Mit dem Verlust kirchlicher Macht sah die Kirche sich gezwungen, ihre Normen argumentativ zu verteidigen, und das Ergebnis ist der inkonsequente Widersinn, den du zu Recht beklagst, aber die kirchlichen Argumente beruhen nicht auf Denkfehlern, sondern auf dem Versuch, ein religiöses Gebot, das eigentlich keiner Rechtfertigung bedurft hätte, so mit Argumenten zu umgeben, daß das Ergebnis möglichst nahe am ursprünglichen Zweck bleibt. Diese Argumente dienen der Rechtfertigung, nicht der Begründung, denn die Normen beruhen nicht auf Argumenten, sondern auf Glauben. Und diese Argumente sind auch nicht für Diskussionen gedacht, denn das Ergebnis steht ja für die kath. Kirche nicht in Frage. Am Ende soll der Gläubige nicht verstehen, sondern gehorchen. 2 Zitieren
Merkur Geschrieben 9. Juni Melden Geschrieben 9. Juni (bearbeitet) vor 11 Stunden schrieb iskander: @Merkur Es geht nicht darum, dass Gott "höchstpersönlich" bzw. ganz unmittelbar Axiome mitteilen würde, sondern darum, dass sein Wille und das Gute - was das im Effekt das gleiche ist - laut Kirche erkennbar ist; sei es durch die vom Lehramt ausgelegte Offenbarung oder sei es durch den Blick in die Natur. "Grundsätzlich" würde die Kirche wohl einräumen, dass sie sich in nicht als unfehlbar ausgewiesenen moralischen Fragen auch irren könne. Sie scheint sich aber gerade bei den Themen, um die es hier geht, sehr sicher zu sein; Zweifel hört man aus ihren Darlegungen keine heraus. Der Grad der Gewissheit hat aber in jedem Fall nichts mit den Formulierungen "Gott will es" vs. "es ist gut" zu tun, denn es handelt sich hier in der kirchl. Logik um äquivalente Aussagen. Wenn also die eine Aussage sicher ist, dann ist es auch die andere; wenn die eine Aussage unsicher ist, dann auch die andere. Nein, das sehe ich anders. Unterschiedliche Formulierungen beinhalten auch unterschiedliche Aussagen, zumindest im Subtext. Mit der Formulierung "Gott will" läßt du den Kontext weg. Diese Formulierung kann z.B. bedeuten. "Das sind die bizarren und für mich unverständlichen Wünsche einer rätselhaften Macht" oder "Nach gründlicher Überlegung und intensiven Studium bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass die Schöpfung so funktioniert". Zitat Falls man nun einen Zweifel zum Ausdruck bringen wollte, könnte man in beiden Fällen ein "wahrscheinlich" davorsetzen: "Gott will es wahrscheinlich" bzw. "Es ist wahrscheinlich gut". Es geht nicht darum, dass die Kirche selbst an ihren Aussagen zweifelt. Sie ist sich sicher, sie sagt aber nicht, dass Gott ihr das, was sie sagt, in die Feder diktiert hätte, wie du es mit deinen Formulierungen nahelegst. In HV Nr. 6 wird deutlich darauf hingewiesen, wie dieser Text gemeint ist: Als Antwort Pauls VI. auf einige neue Fragen der Zeit. Zitat Es scheint mir offensichtlich, dass die Rede von den "Geboten Gottes" eine Formulierung darstellt, die (mindestens) so viel Autorität in Anspruch nimmt wie die Redeweise von Gottes Willen. Das bezieht sich aber auf ihre (der Kirche, in diesem Fall auf Pauls VI) Formulierungen, nicht auf deine. bearbeitet 9. Juni von Merkur 1 Zitieren
Flo77 Geschrieben 9. Juni Melden Geschrieben 9. Juni vor einer Stunde schrieb Merkur: "Nach gründlicher Überlegung und intensiven Studium bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass die Schöpfung so funktioniert" Dein Versuch der Ehrenrettung der Kirche ist zwar nachvollziehbar, nichts destotrotz lässt er mich etwas ratlos zurück. Dass die Kirche die Schöpfung und die Schrift interpretiert ist ja unstrittig. Aber die Kirche nimmt für sich in Anspruch die einzige "legitime" Interpretatorin zu sein, deren Urteil die Gläubigen unbedingt Folge zu leisten haben. Die Kirche unterliegt keinem Rechtfertigungsanspruch ggü den Gläubigen. Sie rechtfertigt sich nur vor sich selbst indem ihre Urteile immer aus der "Tradition" (was dazu gehört bestimmt natürlich auch sie selbst) heraus begründet sein müssen. Nebenbei: "die Kirche" ist hier ohnehin ein sehr merkwürdiger Begriff, da ausschließlich das apostolische Kollegium bzw. der Papst überhaupt eine Lehr"berechtigung" bzw. die Macht haben für die Gläubigen verbindliche Lehren und Gebote zu formulieren. Alle anderen dürfen ausführen und zustimmen. Der Katechismus der Katholischen Kirche stellt zwar fest, daß wir nicht "an" die Kirche glauben, weil Schöpfer und Werk nicht verwechselt werden sollen und in der Praxis ist diese feine Unterscheidung zwar tief im realen Handeln der Gläubigen ausgedrückt, das eine faktische Realität neben der römischen Theologie schafft, aber der Absolutsheitsanspruch der Kirche durch das apostolische Kollegium Verkünderin des authentischen Evangeliums zu sein, wird von besagtem Kollegium mit aller Vehemenz aufrechterhalten. 1 Zitieren
Cosifantutti Geschrieben Montag um 13:24 Melden Geschrieben Montag um 13:24 vor 15 Stunden schrieb Marcellinus: Vielleicht "argumentieren" du und die kath. Kirche einfach auf unterschiedlichen Ebenen. Ich will hier nicht die Position dieser Kirche verteidigen, aber wenn ich das richtig verstehe, dann ging es beim Verbot der Verhütung ursprünglich weniger um einen sachlichen Zusammenhang zwischen Geschlechtsverkehr und Vermehrung, sondern um die göttliche Anweisung "seid fruchtbar und mehret euch", womit Verhütung eine Form des Ungehorsams darstellt, ganz unabhängig von irgendwelchen praktischen Zwecken. Es war die Pflicht der Frauen, Kinder zu gebären, ganz egal, ob sie oder die Kinder das überlebten oder nicht. Jeder Versuch der Empfängnisverhütung, oder auch nur der Vermeidung von Geschlechtsverkehr war ein Verstoß gegen die "göttliche Ordnung". Jede sachliche Argument geht da einfach am Problem vorbei. Mit dem Verlust kirchlicher Macht sah die Kirche sich gezwungen, ihre Normen argumentativ zu verteidigen, und das Ergebnis ist der inkonsequente Widersinn, den du zu Recht beklagst, aber die kirchlichen Argumente beruhen nicht auf Denkfehlern, sondern auf dem Versuch, ein religiöses Gebot, das eigentlich keiner Rechtfertigung bedurft hätte, so mit Argumenten zu umgeben, daß das Ergebnis möglichst nahe am ursprünglichen Zweck bleibt. Diese Argumente dienen der Rechtfertigung, nicht der Begründung, denn die Normen beruhen nicht auf Argumenten, sondern auf Glauben. Und diese Argumente sind auch nicht für Diskussionen gedacht, denn das Ergebnis steht ja für die kath. Kirche nicht in Frage. Am Ende soll der Gläubige nicht verstehen, sondern gehorchen. "Am Ende soll der Gläubige nicht verstehen, sondern gehorche.... Dies fasst ganz gut eine bestimmte Position innerhalb der Kirche zusammen. Hier läuft der Appell an einen vernünftigen, rationalen, argumentativen Diskurs vollkommen ins Leere, was man hier in der Diskussion auch sehr gut beobachten kann. Die Verfechter der lehramtlichen Position verweisen auf die Authorität des Lehramtes und den Gehorsam, den man der kirchlichen Lehre schuldet. Dabei wird ein wichtiger Aspekt allerdings vollkommen unterschlagen, der aber ebenso Bestandteil der kirchlichen Lehre ist: Die Lehre vom Gewissen als allerletzte Instanz des menschlichen Handelns. Diese wichtige Katholische Lehre vom Gewissen als letze Instanz des eigenen Handels rückt nun selber die konkreten ethischen Forderungen der katholischen Lehre in den richtigen Kontext. Bei Humanae Vitae haben in der "Königsteiner Erklärung" die deutschen Bischöfe ausdrücklich auf diesen Sachverhalt aufmerksam gemacht. Die Lehre von HV steht immer schon in einer kreativen Spannung zum Gewissen der Gläubigen. Diese Spannung wollen manche in der Kirche in Richtung absoluter Glaubensgehorsam auflösen, was aber selber wiederum der kirchlichen Lehre vom Gewissen widerspricht. Im persönlichem "Konfliktfall" Kirchliche Lehre gegen eigene ethische Überzeugungen hat - wiederum nach katholischer Lehre - das letzte Wort nicht die Einforderung eines Gehorsams und die gehorsame Unterordnung unter die katholische Lehre sondern das persönliche Handeln aufgrund eigener Gewissenseinsicht. Bei Humanae Vitae waren die markanten Stichworte für die konkrete sexuelle Praxis der Gläubigen: letztlich ist es eine Gewissensentscheidung und liegt alleine in der Letztverantwortung des sexuell aktiven Paares, wie sie konkret ihr Sexleben gestalten, welche sexuelle Praktiken sie bevorzugen, welche Verhütungsmittel sie dabei benutzen. Unter dem Stichwort "verantwortete Elternschaft" fällt die Zahl und Abstände von Kinderzeugung ebenfalls in den Verantwortungsbereich der Eltern. Die biblische Aufforderung: "Seid fruchtbar und mehrt euch" wird insgesamt auf die Katholische Ehe bezogen und keinesfalls auf jeden einzelnen Sexuakakt. Anmerken möchte ich, dass sich meine Aussagen ausschließlich auf ethische Fragen beziehe und nicht auf Glaubensfragen im engeren Sinne, wie etwa das Glaubensbekenntnis. Hier lässt sich dann allerdings sehr schön beobachten, dass Fragen der konkreten religiösen Glaubenspraxis, Fragen der konkreten Auagestaltung der Kirche, zB Zölibat, Verbot der Priesterweihe für Frauen von manchen wiedeum zu einer "Glaubensfrage" hochstilisiert" werden, um sie als "Glaubensfrage" im strengen Sinn von vorneherein einem kritischen, rationalen, argumentativen Diskurs zu entziehen. 1 Zitieren
rorro Geschrieben Montag um 15:13 Melden Geschrieben Montag um 15:13 (bearbeitet) vor 1 Stunde schrieb Cosifantutti: Anmerken möchte ich, dass sich meine Aussagen ausschließlich auf ethische Fragen beziehe und nicht auf Glaubensfragen im engeren Sinne, wie etwa das Glaubensbekenntnis. Die Lehre der Kirche über das Gewissen kennt diese Einschränkung aber nicht. Selbstverständlich ist dem Gewissen immer zu folgen. Dadurch wird aber eine Gewissensentscheidung in den Augen der Kirche aber nicht richtig. Wenn jemand aus Gewissensentscheidung bspw. das Christentum verläßt und sich dem Islam zuwendet, dann ist das natürlich zu respektieren. Wenn dt. Bischöfe aus ihrem jeweiligen Gewissen heraus unterschiedliche Herangehensweisen zum Thema "Synodaler Weg" haben, dann ist auch das zu respektieren. All das macht aber nicht jede Gewissensentscheidung korrekt. bearbeitet Montag um 15:14 von rorro Zitieren
Cosifantutti Geschrieben Montag um 18:35 Melden Geschrieben Montag um 18:35 vor 3 Stunden schrieb rorro: Die Lehre der Kirche über das Gewissen kennt diese Einschränkung aber nicht. Selbstverständlich ist dem Gewissen immer zu folgen. Dadurch wird aber eine Gewissensentscheidung in den Augen der Kirche aber nicht richtig. Wenn jemand aus Gewissensentscheidung bspw. das Christentum verläßt und sich dem Islam zuwendet, dann ist das natürlich zu respektieren. Wenn dt. Bischöfe aus ihrem jeweiligen Gewissen heraus unterschiedliche Herangehensweisen zum Thema "Synodaler Weg" haben, dann ist auch das zu respektieren. All das macht aber nicht jede Gewissensentscheidung korrekt. Die Frage ist eben ganz grundsätzlich: lasse ich mich in ethischen Fragen auf einen vernunftbasierten, argumentativen, rational nachvollziehbaren Diskurs ein oder fordere ich schlicht Gehorsam des Glaubens ein. Dein Kommentar erweckt den Eindruck, dass jegliche Abweichung in ethischen Fragen von der offiziellen Position des Lehramtes, zum Beispiel bei Humanae Vitae gleichzeitig ein Irrtum in der Sache sei, der dennoch - weil Berufung auf das Gewissens - zu respektieren sei. Das ist aber eine sehr verkürzte, sehr irreführende Vorstellung. Nochmals: wenn man nicht schlicht auf den Gehorsam des Glaubens und die Unterwerfung des eigenen Intellekts unter das Lehramt der Kirche abhebt, dann bleibt bei allen ethischen Lehren der Kirche nichts anderes als der Rekurs auf einen argumentativen Dislurs. In ethischen Fragen, die ja nicht den Glauben der Kirche betreffen, bezeugt im Credo oder in der Lehre von den Sakramenten, hat das Lehramt keinerlei "Erkenntnisvorsprung", da die ethischen Positionen, da es ja nicht um "Glaubenswahrheiten" geht, ausschließlich in einem argumentativen Diskurs geklärt werden können. 1 Zitieren
Cosifantutti Geschrieben Montag um 18:36 Melden Geschrieben Montag um 18:36 Gerade eben schrieb Cosifantutti: Die Frage ist eben ganz grundsätzlich: lasse ich mich in ethischen Fragen auf einen vernunftbasierten, argumentativen, rational nachvollziehbaren Diskurs ein oder fordere ich schlicht Gehorsam des Glaubens ein. Dein Kommentar erweckt den Eindruck, dass jegliche Abweichung in ethischen Fragen von der offiziellen Position des Lehramtes, zum Beispiel bei Humanae Vitae gleichzeitig ein Irrtum in der Sache sei, der dennoch - weil Berufung auf das Gewissens - zu respektieren sei. Das ist aber eine sehr verkürzte, sehr irreführende Vorstellung der katholischen Lehre über das Gewissen. Nochmals: wenn man nicht schlicht auf den Gehorsam des Glaubens und die Unterwerfung des eigenen Intellekts unter das Lehramt der Kirche abhebt, dann bleibt bei allen ethischen Lehren der Kirche nichts anderes als der Rekurs auf einen argumentativen Dislurs. In ethischen Fragen, die ja nicht den Glauben der Kirche betreffen, bezeugt im Credo oder in der Lehre von den Sakramenten, hat das Lehramt keinerlei "Erkenntnisvorsprung", da die ethischen Positionen, da es ja nicht um "Glaubenswahrheiten" geht, ausschließlich in einem argumentativen Diskurs geklärt werden können. Zitieren
iskander Geschrieben Montag um 18:38 Melden Geschrieben Montag um 18:38 (bearbeitet) vor 20 Stunden schrieb Marcellinus: Mit dem Verlust kirchlicher Macht sah die Kirche sich gezwungen, ihre Normen argumentativ zu verteidigen, und das Ergebnis ist der inkonsequente Widersinn, den du zu Recht beklagst, aber die kirchlichen Argumente beruhen nicht auf Denkfehlern, sondern auf dem Versuch, ein religiöses Gebot, das eigentlich keiner Rechtfertigung bedurft hätte, so mit Argumenten zu umgeben, daß das Ergebnis möglichst nahe am ursprünglichen Zweck bleibt. Diese Argumente dienen der Rechtfertigung, nicht der Begründung, denn die Normen beruhen nicht auf Argumenten, sondern auf Glauben. Und diese Argumente sind auch nicht für Diskussionen gedacht, denn das Ergebnis steht ja für die kath. Kirche nicht in Frage. Am Ende soll der Gläubige nicht verstehen, sondern gehorchen. Das klingt für mich so, dass es sich um Pseudo-Argumente handele, die auf den oberflächlichen Betrachter den Eindruck machen sollen, dass die kirchlichen Gebote zumindest innerhalb des eigenen Denkrahmens begründbar sind, wo sie nicht einmal dies sind. So ähnlich sehe ich das im Effekt auch, auch wenn ich nicht unbedingt generell eine bewusste Absicht unterstellen möchte. Dazu auch nochmals eine bereits zuvor zitierte Passage aus Schockenhoffs "Die Kunst zu lieben": "Wie Bruno Schlegelberger [...] nachwies, gelang es den Moraltheologen jedoch zu keiner Zeit, einen lebenspraktisch plausiblen und theoretisch fehlerfreien Beweis für die ausnahmslose sittliche Verwerflichkeit des vorehelichen Geschlechtsverkehrs vorzulegen. [...] Da die inneren Begründungsmängel der klassischen Standardargumentation, die sich in allen Handbüchern mit nur geringfügigen Abwandlungen fand, den Moraltheologen nicht verborgen bleiben konnte, setzten sich unter ihnen seit dem 19. Jahrhundert im Blick auf die Bewertung der vorehelichen Sexualität neue Denkansätze durch. Diese führten jedoch nicht dazu, dass sich im Ergebnis etwas änderte; es blieb bei dem ausnahmslos gültigen Verbot, das nur auf andere Weise begründet werden sollte. Da die neue Argumentation gegen den vorehelichen Geschlechtsverkehr den Eindruck erweckt, dass ihr Ziel von vornherein feststeht, so dass nur nach einem anderen Weg gesucht werden muss, auf dem es zu erreichen ist, erscheint es angemessen, von einem moraltheologischen Strategiewechsel im Kampf gegen die vermuteten Gefahren der vorehelichen Unkeuschheit zu sprechen. [...] Schon Thomas Tamburini (1591–1675) forderte ein naturrechtlich begründetes Verbot, da er die von seinen Kollegen beigebrachten Gründe für ein allgemeines Verbot des vorehelichen Geschlechtsverkehrs für wenig überzeugend hielt. Doch gesteht er ehrlicherweise ein, dass auch er nicht weiß, wie ein naturrechtliches Verbot von prinzipieller Geltung zu begründen sei.17" Ähnlich hatte ja auch jener Minderheitenbericht, welcher Paul VI. ermutigte, beim Verbot der Verhütung zu bleiben, eingestanden: “If we could bring forward arguments which are clear and cogent based on reason alone, it would not be necessary for our Commission to exist, nor would the present state of affairs exist in the Church [...]" (Zit. n. McClory, Turning Point) Man muss hinzufügen, dass die entsprechenden Theologen in beiden Fällen gewiss davon ausgingen, dass man die Existent eines Schöpfergottes, dessen Wille und Gebote moralisch gut sind, vernünftig erkannt bzw. vorausgesetzt werden dürfe. Insofern muss man diese Bemerkungen als das Eingeständnis verstehen, dass auch unter den Voraussetzungen des kath. Gottes- und Menschenbildes die eigene Sexualmoral nicht - oder zumindest nicht eindeutig -beweisbar ist, bzw. dass die bisherigen Argumente nicht überzeugend sind. Selbst das im Auftrag vom späteren Papst JPII erstellte Krakauer Memorandum kam laut Schockenhoff zum Schluss, dass eine Argumentation, wie sie von Humane vitae vorgetragen wurde, ungenügend sei. Die kath. Kirche ist hier in einer misslichen Situation, und wenn das nicht alles so absurd wäre und nicht so viel völlig unnötiges Leid für viele Menschen verursacht hätten und noch verursachen würde, müsste man sie fast bedauern: - Die Kirche will unbedingt bei ihrer Sexualehre bleiben. - Nach ihren eigenen Ansprüchen müsste sie ihre Sexuallehre entweder auf der Grundlage des Evangeliums oder der Vernunft begründen. Eine Berufung auf die eigene Tradition allein genügt ihr nicht. - Sie kann ihre Sexuallehre aber weder mit Evangelium noch mit der Vernunft begründen (auch nicht innerhalb ihres eigenen Systems). - Deshalb muss sie verzweifelt den Eindruck erwecken, dass sie Letzteres doch könne. vor 20 Stunden schrieb Marcellinus: Ich will hier nicht die Position dieser Kirche verteidigen, aber wenn ich das richtig verstehe, dann ging es beim Verbot der Verhütung ursprünglich weniger um einen sachlichen Zusammenhang zwischen Geschlechtsverkehr und Vermehrung, sondern um die göttliche Anweisung "seid fruchtbar und mehret euch", womit Verhütung eine Form des Ungehorsams darstellt, ganz unabhängig von irgendwelchen praktischen Zwecken. Nicht ganz. Der Auftrag, viele Kinder zu zeugen, mag für sexuelle Verbote im Judentum und Islam eine Rolle spielen, aber der Kirche ging es schon früh weniger um Kinder als um die Vermeidung der sexuellen Lust. Und das hat sich auch lange gehalten - wenn es nicht untergründig heute noch so ist. Ranke-Heinemann bemerkt bezugnehemnd auf den Römischen Katechismus von 1566: "Die Vision der hl. Birgitta von dem Mann, der seine Frau zu sinnlich liebte und deswegen verdammt wurde, nimmt durch den Römischen Katechismus bedrohliche Konturen an, zumal dieser es nicht versäumt, den Horror der Hochzeitsnächte, nämlich den alttestamentlichen Tobias mit den neuen Sprüchen des hl. Hieronymus zu Wort kommen zu lassen, gemäß denen die sieben Vorgänger des Tobias im Hochzeitsbett der Sara nicht überlebten, weil »sie der Lust frönten« (2, 8, 13). Zu beachten ist allerdings, daß im Römischen Katechismus die augustinische Betonung des Zeugungszwecks bei den Motiven für den ehelichen Akt fehlt. Wichtiger, als beim Eheverkehr ständig an das Kind zu denken, ist offenbar, ständig an Lust nicht zu denken, womit allerdings des Augustinus eigentliches Programm beibehalten bleibt, denn Augustinus war kein Kinderfreund, sondern ein Lustfeind. Sein Gegner Julian von Eclanum nennt ihn wegen seiner Verdammung der ungetauften Kinder einen »Verfolger der Neugeborenen«. Wichtiger, als daß Kinder geboren werden, ist für Augustinus, daß die Menschen jungfräulich leben. Auch der Römische Katechismus beginnt sein 8. Hauptstück: »Vom Sakrament der Ehe«, damit, daß es eigentlich wünschenswert wäre, wenn alle Christen unverheiratet bleiben, »daß alle nach der Tugend der Enthaltsamkeit trachten möchten, denn es kann den Gläubigen in diesem Leben nichts Seligeres begegnen, als daß ihr Geist, durch keine weltliche Sorge abgezogen und nach Ruhigstellung und Dämpfung jeder Lust des Fleisches allein in dem Eifer der Gottseligkeit und in der Betrachtung himmlischer Dinge ruht«." Tatsächlich war man wohl bereits in der Frühscholastik allgemein zu der Auffassung gelangt, dass es genug Menschen im Himmel gebe, und dass es besser wäre, wenn Ehe und Sex ausblieben. Die Erlaubnis zu letzteren galt als eine Konzession an die menschliche Schwäche. Dass das ernst gemeint war und nicht nur so dahingesagt wurde, zeigt sich auch an der massiven Einschränkung der für den ehelichen Verkehr erlaubten Zeiten (so wie der offenen Verächtlichmachung desselben). Bei Deschner (Das Kreuz mit der Kirche) etwa heißt es: "Der eheliche Verkehr wurde untersagt an allen Sonn- und Festtagen, deren es damals nicht wenige gab (in Köln feierte man an hundert Tagen im Jahr!), an allen Mittwochen und Freitagen oder Freitagen und Samstagen, nach manchen Frühscholastikern aber sogar an jedem Montag, Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag [1628]. Weiter mußte man sich enthalten an Buß- und Bittagen, in der Oster- und Pfingstoktav, der vierzigtägigen Fastenzeit, der Adventszeit. Ferner, zumindest im Frühmittelalter, während der Schwangerschaft oder doch in den letzten drei Monaten und, dies durch das ganze Mittelalter, nach der Niederkunft, und zwar bei der Geburt eines Knaben oft sechsunddreißig, bei der eines (minderwertigeren) Mädchens jedoch sechsundfünfzig Tage [1629]. Endlich verbot man den ehelichen Akt im ganzen Frühmittelalter noch einige Tage vor der Kommunion, meist drei, aber auch mehr [1630], nach einem Bußbuch der römischen Kirche des 8. Jahrhunderts sieben Tage zuvor und sieben Tage danach [1631]. Verlangte doch noch das Konzil von Trient wenigstens drei Tage vorher sexuelle Abstinenz — was praktisch fortwirkt bis ins 20. Jahrhundert [1632]. Seele und Leib waren eben durch den Koitus und die damit verbundene Lust befleckt, weshalb Eheleute danach auch nicht zur Messe durften, ohne sich gewaschen zu haben. Selbst dann aber blieben sie oft noch eine Weile fern, in der römischen Kirche eine jahrhundertelange Gepflogenheit [1633]. [...] In Rußland durften Ehepaare nach ihrer Vereinigung nicht ins Kircheninnere; sie mußten den Gottesdienst stehend in der Vorhalle hören. Noch im 18. Jahrhundert gingen selbst der Zar und die Zarin nach dem Beischlaf am Morgen nicht am Kreuz vorbei, weil sie nun »unrein« und »sündig« waren [1635]. [...] Infolge all dieser Verfügungen sollten katholische Eheleute an etwa acht Monaten im Jahr nicht geschlechtlich verkehren. Und im Hochmittelalter und später immer noch nicht fast während der Hälfte des Jahres [1637]! Die Enthaltsamkeitsverpflichtungen wurden durch Prediger, Beichtväter, Bußbücher und Synoden oft und streng eingeschärft und selbstverständlich bestraft [1638]." Ranke-Heinemann (Eunuchen für das Himmelreich) stellt die Situation sehr ähnlich dar und schreibt: "Dem hl. Gregor von Tours (+ 594) zeigte eine Frau ihr blindes und verkrüppeltes Kind »und gestand unter Tränen, es an einem Sonntag empfangen zu haben... Ich sagte ihr, daß das wegen der Sünde der verletzten Sonntagsnacht geschehen sei. Nehmt euch in acht, ihr Männer, es ist doch genug, wenn ihr an den anderen Tagen eurer Lust frönt, laßt diesen Tag zum Lobe Gottes unbefleckt, sonst werden euch Krüppel oder epileptische oder leprakranke Kinder geboren«, klärt der hl. Gregor von Tours die Verheirateten auf (Browe, S. 48). Und auch Papst Nikolaus 1. versäumt es nicht, dem neubekehrten Bulgarenfürsten Bogoris in seinem berühmten Brief aus dem Jahr 866 die christhche Frohbotschaft von der Enthaltsamkeit an allen Sonntagen usw. einzuschärfen. »Wenn man am Sonntag von weltlicher Arbeit abstehen muß, um wieviel mehr muß man sich vor der fleischlichen Lust und vor jeder körperlichen Befleckung in acht nehmen« (n. 63). Von der Enthaltung in der Fastenzeit usw. usw. ist in dem Brief an die Bulgaren natürlich auch die Rede (n. 99). [...] Die von den Priestern bei Übertretung aufzuerlegenden Strafen lagen meist zwischen zwanzig und vierzig Tagen strengen Fastens bei Wasser und Brot. [...] Viele bischöfliche Verordnungen schärfen den Priestern ein, das Volk über die Verbote zu belehren und besonders in der Fastenzeit darüber zu predigen. Aus vielen Bußbüchem geht hervor, daß die Beichtväter die Verheirateten über ihre Enthaltsamkeit befragen mußten, z. B. aus dem Dekret des Burchard von Worms (f 1025; XIX, Kap. 5)." Wer wie etwa Kaiser Augustus mit seiner Lex Iulia et Papia danach strebt, dass mehr Kinder gezeugt und geboren werden, dem würden solche Bestimmungen kaum einfallen. Meine persönliche Vermutung - die aber natürlich zu prüfen wäre - würde lauten, dass die abendländische Christenheit angesichts der damaligen Umstände und Bedingungen wohl ausgestorben wäre, wenn die Leute konsequent auf die Kirche mit ihren Verboten gehört hätten und die böse Lust während eines Großteils des Jahres gemieden hätten. Die Auffassung, dass es der Kirche vor allem um das "wachset und mehret euch" gegangen sei, ist zwar naheliegend, weil sie einen gewissen Sinn zu ergeben scheint, während die Vermeidung der sexuellen Lust um jeden Preis den meisten Menschen als wenig sinnvoll anmutet; aber wie man sieht, spricht alles dafür, dass wirklich die Lustfeindschaft das eigentliche Motiv hinter der traditionellen kath. Sexuallehre ist. Das alles ist der Hintergrund auch der heutigen kath. Sexuallehre, die sich - abgesehen einmal von der Erlaubnis der NFP - seit dem Catechismus Romanus in der eigentlichen konkreten Substanz (Gebote und Verbote) im Grunde gar nicht groß geändert hat. Die Veränderungen betreffen vor allem die Rhetorik - es ist der berühmte alte Wein in neuen Schläuchen. Wenn konservative Katholiken dennoch gequälte Begründungsbemühungen dafür liefern, dass die kath. Sexualmoral eigentlich unglaublich hipp und sexualfreundlich sei, und dass es nur ein bedauernswertes Missverständnis sei, wenn die Leute die kirchliche Moral vor allem als eine Verbotsmoral empfinden, zeigt das, dass sie nicht wissen, was sie tun - oder dass sie es nicht wissen wollen. bearbeitet Montag um 18:43 von iskander Zitieren
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