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Rezensionen


Gast Juergen

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Hier möchte ich einladen, Buchrezensionen bereitzustellen.

Nicht so sehr, um diese zu diskutieren, sondern vielmehr um einen Einblick in neuere Literatur zu verschaffen.

 

Fischer, Norbert: Die philosophische Frage nach Gott. Ein Gang durch ihre Stationen.Paderborn: Bonifatius, 1995 (AMATECA. Bd. II).- geb., 496 S., ISBN 3-87088-872-5.

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"Drei Arten von Menschen gibt es: die einen, die Gott dienen, weil sie ihn gefunden haben; die anderen, die bemüht sind, ihn zu suchen, weil sie ihn nicht gefunden haben; die dritten, die leben, ohne ihn zu suchen und ohne ihn gefunden zu haben. Die ersten sind vernünftig und glücklich, die letzteren sind töricht und unglücklich, die dazwischen sind unglücklich und vernünftig." Dieser hochkarätigen, kristallinen Verdichtung Pascals folgend (Pensées 257) hat Fischer eindeutig die zweite Gruppe im Blick, durchaus mit dem Interesse, daß die Leserinnen und Leser schließlich zur ersten Gruppe gehören mögen. Nicht eine philosophische Gotteslehre im präzisen Sinn des Wortes ist angestrebt, sondern eine Explikation der Gottes-Frage, als die der Mensch verstanden werden kann und sich verstehen soll. Zwischen Agnostizismus und Dogmatismus, zwischen Rationalismus und Fideismus sucht und findet Fischer den schmalen, den argumentativ und vernünftig einzig begehbaren Weg: man muß Gott und seine Existenz nicht annehmen, aber man kann es, man darf es und soll es. Die Vernunftgemäßheit der Entscheidung des fragenden Menschen zu bestimmen und zu entfalten, ist Ziel und Drehscheibe der reichhaltigen Gedankenführung. Keinen Augenblick geht es um einen Zwang zum Gottdenken, denn dann wären alle, die sich diesem vermeintlich zwingenden Schritt verweigern, entweder denkfaul oder bösartig. Nicht mehr - aber auch nicht weniger! - als der Aufweis der Nicht-Unvernünftigkeit der Gottes-Frage als einer förmlich metaphysischen Naturanlage des Menschen steht im Mittelpunkt. Weniger würde die Größe des Menschen und seiner Vernunft diskreditieren; mehr würde die Endlichkeit des fragenden menschlichen Subjekts angesichts der Unendlichkeit des göttlichen Objekts desavouieren. "Für das philosophische Gottdenken wäre es eher eine Katastrophe, wenn ein strikter Gottesbeweis gefunden würde" (364), aber ebenso fatal wäre der vermeintlich philosophische Verzicht auf solches Gottdenken, wie in Teilen der analytischen Philosophie und des Empirismus.

 

Das didaktisch geschickt aufgebaute Lehrbuch bewegt sich in fünf Argumentationskreisen, die um eine konzentrierende Mitte gesammelt sind. "Das erste Kapitel thematisiert den Ausgangspunkt der Gottesfrage, der in der Philosophie nur der Mensch sein kann. Das zweite Kapitel sucht eine Antwort auf die Frage, wonach der Mensch in der Gottesfrage sucht. Das dritte Kapitel ist der Frage gewidmet, ob und mit welcher Sicherheit das Dasein Gottes anzunehmen ist. Nachdem der vernünftige Ausweis einer Annahme der Existenz Gottes gesichert ist, wird in den folgenden Kapiteln noch einmal das Thema der beiden Anfangskapitel in neuer Beleuchtung aufgenommen: das vierte Kapitel greift die Frage des zweiten Kapitels nach dem Wesen Gottes auf, sofern es nun, nachdem das Dasein Gottes annehmbar geworden ist, nach der Beziehung des philosophischen Gottdenkens zum religiösen Glauben an einen lebendigen Gott fragen läßt. Das fünfte Kapitel knüpft an die Frage nach dem Menschen als dem Ort der Gottesfrage an. Der Weg kehrt derart wieder zum Ausgangspunkt der Frage zurück, aber nur so, daß der Mensch sein Streben jetzt positiv als Gottsuche begreift. Den Angelpunkt, der in solche von Vertrauen getragene Gottsuche führen kann, bildet das dritte Kapitel, in dem die Entscheidungssituation des suchenden Menschen ausgearbeitet ist." (12f) Im kritischen Durchgang durch die Überlieferung der sog. Gottesbeweise und deren Bestreitung entfaltet Fischer die Argumente "zur philosophischen Debatte um das Dasein Gottes" und der Notwendigkeit, sich der Frage nach dem Dasein Gottes nicht entziehen zu können, nicht mehr und nicht weniger! Das vierte Kapitel "zum Spannungsverhältnis zwischen dem sogenannten 'Gott der Philosophen' und dem lebendigen Gott des Glaubens" (mit einer entsprechend klaren Unterscheidung, ja Trennung zwischen "natürlichen" und "übernatürlichen" Gott-Aussagen) korrespondiert einleuchtend dem zweiten Kapitel zu der "Notwendigkeit und den Schwierigkeiten inhaltlicher Aussagen zum Wesen Gottes", insofern sich gerade aus der Analyse der Fraglichkeit des Menschen bestimmte "Infnitionen endlicher Bestimmungen" als "Eigenschaften Gottes" ergeben. Menschliche Wahrheitssuche und das Streben nach der Verwirklichung einer moralischen Welt drängen nachweislich nach einer bestimmten Rede von Gottes Wesen und Eigenschaft - und dies im Blick auf die Zeitstruktur endlicher Wirklichkeit: "Gott als der absolute Ursprung der Möglichkeit der Welterfahrung und des sittlichen Anspruchs . . . Gott als die absolute Kraft des Getragenseins der gegenwärtigen Wirklichkeit von Mensch und Welt . . . . Gott als das erhoffte absolute, durch Handeln nicht verwirklichbare Ziel menschlichen Strebens - der Gottesgedanke also in der realgeschichtlichen Erstreckung von absolutem Ursprung, von absoluter Erhaltungskraft und absoluter Zielbestimmung von Mensch und Welt!" Um diesen inneren konzentrischen Kreis legt sich ein äußerer, und beide sind - wohl unterschieden - doch untrennbar: hier ist ausdrücklich vom fragenden und suchenden Menschen die Rede, vom Menschen als "Ort und Träger der Gottesfrage" (Kapitel 1) und vom Menschen in dem sich auch die (zugedeckte) Antwort auf solches Fragen einstellt - in der Erfahrung der Endlichkeit selbst, vor allem aber in der Erfahrung des Anderen. "Die philosophische Untersuchung der Wirklichkeit des Menschen in der Welt mündet so in die Frage des Menschen nach Gott, die nur im Glauben an eine Tat Gottes Antwort erlangen kann. Die Gottesfiage stellt sich, sobald sich ein Mensch dem Anderen als Anderem öffnet" (415) - wobei Fischer Emmanuel Lévinas zusammen mit Augustinus und dem Cusaner zu besonderen Zeugen jener notwendigen "Ansätze zu einem nicht am Ideal der exakten Wissenschaften orientierten philosophischen Denken" erhebt.

 

Überhaupt ist dieses höchst anregende und gründliche Lehrbuch in seinen systematischen Schritten gespickt mit philosophiegeschichtlichem Material. Von Augustinus bis Blondel (warum nur französisch zitiert und nicht ins Deutsche übersetzt?), von Platon und Aristoteles bis Heidegger und Sartre wird ausdrücklich der Bogen gespannt. Besondere Lehrmeister sind Cusanus und Pascal, nicht ohne Grund! (Heidegger!). Dank der genauen Register läßt sich dieses Lehrbuch also synchron und diachron lesen und hilft, weder in die Falle (vermeintlich "mystischer") Erbaulichkeit zu geraten noch in die andere einer bloß empiristischen und analytischen Rationalität. Fischers Buch macht Mut zum Denken, und was ließe sich Besseres sagen! Bedauerlich scheint mir, daß Fischer seinen eigenen, deutlich theologisch geprägten Verstehens- und Fragehorizont nicht expliziter entfaltet, verortet und erdet, um dann umso entschiedener "theistische" und "atheistische" Positionen zu hinterfragen und sich von ihnen hinterfragen zu lassen. Die Last der bisherigen Geschichte des Gottdenkens (in Philosophie wie Theologie) scheint doch unterbestimmt, derzufolge nicht nur vom Ende der Metaphysik und der Notwendigkeit kritischer Theorie geredet wird, sondern auch von dem nachchristentümlichen und nachtheistischen Säkularismus gesprochen werden muß, der das Projekt eines solchen Buches in sich schon unter Ideologieverdacht stellen würde. Ob es hier nicht ratsam gewesen wäre, Klassiker wie Schelling und Kierkegaard (die überhaupt nicht genannt sind!) entschiedener zu Rate zu ziehen? Vor allem aber den großen Spinoza, gerade in der Ambivalenz seiner Wirkung. Immerhin: wer - heutiger Mode gemäß - leichtfertig Glauben und Denken, religiöse Erfahrung oder vernunftgemäßeres Argumentieren gegeneinander ausspielt, der sollte erst einmal bei Norbert Fischer den höchst lehrreichen Grundkurs der philosophischen Frage nach Gott im Durchgang ihrer Stationen absolviert haben. Dies gilt nicht zuletzt in den klug differenzierenden Bemerkungen zum Theodizee-Problem, der Gretchenfrage einer jeden heutigen Religionsphilosphie.

 

Gotthard Fuchs

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Und ich möchte die Moderatoren "einladen", diesen Thread in die Katakomben zu verschieben, dort gehört er nämlich hin.

 

Meine "Einladung" könnt ihr aber vorher löschen.

 

DANKE

Ach Wolfgang,

 

Du bist manchmal so uncool drauf ...

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Walter S. Moos: Gott und die Physik. Düsseldorf: Patmos, 2002, - ISBN 3-491-70348-4.

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1. Von Quartal zu Quartal berichte ich über den Stand der Trauerarbeit in den Naturwissenschaften. Mal geht es voran, dann wieder fällt ein Autor zurück und will nicht lassen von dem kausalen und mechanischen Bild, das sich die Epoche der Neuzeit von der Natur geformt hatte. Bei dem Autor hier kann ich mir das Urteil nicht recht bildem. Zum einen kennt er das große Ereignis des 20. Jahrhunderts und preist es mit den Worten des Biologen Miller in hohen Tönen: "Leider haben es Theologen bisher nicht genügend geschätzt, in welchem Maße die Physik (Quantenphysik) sie vor den Gefahren Newtonscher Vorhersagbarkeit (aller Dinge) gerettet hat. Ich vermute, sie wissen immer noch nicht, wo sich ihre wahren Freunde befinden." (122) Nach Miller beruht die "Evolution auf nicht deterministisch bestimmbaren Entwicklungen." (56) Die so stille und nachhaltige Revolution des 20. Jahrhunderts wird also von Moos erkannt und anerkannt. Dennoch steht er etwas ratlos vor der Situation und weiß das Urteil nicht recht zu finden, weshalb auch ich über sein Buch das Urteil nicht recht finden kann. Doch der Reihe nach!

 

2. Der deutsche Autor hat viele Jahre lang als Experimentalphysiker in den USA gearbeitet und sieht sich am Ende seines Lebens, im Alter von 78 Jahren, vor die Gottesfrage gestellt. Wie natürlich für ihn, beleuchtet er die Frage im Verhältnis zu den Naturwissenschaften. Sein Leitwort lautet Dogmatik oder, besser gesagt, Antidogmatik, denn freimütig bekennt er seine "Allergie gegenüber dogmatischem Denken und Ideologien" (8) Solches Denken findet er überalle, in Politik, Wirtschaft und Alltag, vor allem aber in Religion und Wissenschaft, ohne daß er allerdings dieser Grau und Grau beschworenen Gefahr viel Farbe zu geben weiß. Mit Namen genannt wird kaum einer der als allgegenwärtig vermuteten Dogmatiker. Höchstens einmal ein religiöser Fundamentalist auf der einen und ein evolutionistischer Materialist auf der anderen Seite tritt aus dem Grau heraus, um aber sogleich wieder darin einzutauchen. Er selbst will in allen Fragen eine mittlere Position einnehmen, was zwar wegen der Vermeidung der Extreme ehrenhaft ist, aber im Schematismus der Mitte jede Urteilskraft zu erschöpfen droht.

Er spricht etwa über die "Reale Welt" und fragt sich, wie unser Gehirn von ihr seine Informationen beziehen kann. Diese Frage reicht für ihn "an die Grenzen unseres kognitiven Potentials". (20) Deshalb sollen sich Wissenschaftler und Theologen auf der Bühre eines "open-end-Gebilde" treffen, weil sonst die eine oder die andere Seite anfängt, Dogmatik zu betreiben.

Im Kapitel über das "Geheimnis Gottes" versucht er, die anthropomorphen Bilder über Gott zu beleuchten und sieht die Religionen sich damit "in selbstkreierte Absurditäten" stürzen. Denn diese "begrifflich nicht faßbaren Bilder führen fast unvermeidlich zu gravierenden Fehlern." (31) Statt dessen empfiehlt er, Gott oder "das Göttliche aus der Perspektive von allumfassender Energie aufzufassen." (134) So ähnlich spricht er über weitere Grenzthemen wie Evolution, Tod, Zeit und anderes mehr, immer in der Mitte sich haltend, alles Urteil vermeidend, um nicht dem Dogmatismus zu verfallen. Aber unbemerkt fällt er selbst dann die schärfsten Urteile, etwa dieses, daß Gott keine Person ist, sondern eine unversale Energie. Ist das nicht die Dogmatik, das unkontrollierte Urteil? Nur Dogmatiker beklagen die Anwesenheit von Dogmatik in der Welt, die anderen wissen von der begrenzten Notwendigkeit der Dogmatik.

 

3. Das Buch berührt auf der anderen Seite positiv. Denn die Schelte des Autors gegen die festgezurrten Meinungen in der Naturwissenschaft oder in der Religion hat ihr Recht. Wenn alle Wirklichkeit Natur wäre, so wäre zu folgern, fürfte Theologie nicht sein, dann wäre alles, was sie sagt, schlimme Dogmatik. In diesem Falle wäre es ein Gebot der Humanität, die theologischen Lehrstühle abzuschaffen und den Religionsunterricht aus den Schulen zu verbannen. Wenn aber nicht? Wenn die "reale Welt" nicht nur aus Natur besteht? Dann ist es dogmatischer Starrsinn, die Theologie zu mißachten. Dann muß sie bei allen ernsthaften Frage zu Rate gezogen werden, dann hat sie eine Erfahrung, die über die Rationalisierbarkeit der Welt hinaus geht.

Dieses ahnt unser Autor, aber er ahnt es auch nur; aussprechen kann er es nur im Sinn des Moralisierens, der Forderung nach Duldung und Toleranz. Ich meine, seine Schwierigkeit liegt darin, daß er zu wenig im Denken geübt ist. Sein Beruf als Physiker im angelsächsischen Amerika hat ihn nicht zum Philosophen reifen lassen. Deshalb ist er über die Grenze begrifflichen Denkens nicht gut informiert. Er ahnt zwar, daß die Wirklichkeit größer ist, als die Naturwissenschaft sie zu erfassen vermag, aber warum das so ist, das weiß er nicht. Immer wieder gibt er dem Leser das Denkmodell an die Hand, daß unsere Erkenntnisfähigkeit ungenügend sei, womit wir uns "jedenfalls vorerst abfinden" müssen. (28) Daß die volle Wirklichkeit, die reale Welt, unsere begriffliche Fähigkeit für immer überschreitet und nicht nur vorläufig, dies zu erkennen, dazu müßte man philosophisch geübt sein. Die Religion hat diese Wirklichkeit zum Thema, also Gott und die Welt oder, besser gesagt, die Welt und Gott. Von dieser realeren Welt, die umfassender ist als die reale Welt des Alltags und der Wissenschaft, ist der Autor berührt, ohne dafür Worte zu finden.

 

Dieter Hattrup.

(aus: ThGl 92 (2002), 465f.)

bearbeitet von Juergen
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