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Bischof mit Konzept


Mecky

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Nach andauernden Negativmeldungen über irgendwelche Skandale, dumme Aussprüche von geistlichen Würdenträgern etc. einmal etwas Erfreuliches. Der neue freiburger Erzbischof Dr. Robert Zollitsch bietet zu Beginn seiner Tätigkeit einen ziemlich umfassenen Ausblick. Den finde ich allemal lesenswert.

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Keine Diktatur von oben herab

Wer mich kennt, weiß, dass ich vor Entscheidungen nicht zurückschrecke und bereit bin, notfalls auch unpopuläre zu treffen. Es war mir allerdings bisher stets ein Bedürfnis, Entscheidungen nicht "von oben herab" und ohne die erforderliche Beteiligung der Betroffenen zu treffen. Das soll auch in Zukunft so sein. Wer daher heute von mir eine "Regierungserklärung" erwartet, das heißt einen Katalog von konkreten Maßnahmen, die ich als Erzbischof umsetzen will, liegt falsch.

Es ist mir vielmehr ein ausgesprochenes Anliegen, in unserer Erzdiözese einen offenen Dialog über die künftige Ausrichtung unserer pastoralen Arbeit zu führen und möglichst viele einzubinden.

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1.1 Facetten der kirchlich-gesellschaftlichen Situation

Ungleichzeitigkeit und Wandel als Grundsituation

Eine nüchterne und ehrliche Auseinandersetzung mit der Situation der Kirche in unserem Land fällt uns zuweilen sehr schwer und ist auch gar nicht so einfach. Zum einen ist diese immer auch mit einer kritischen Beurteilung der eigenen Arbeit verbunden, und macht es erforderlich, eigene Grenzen einzugestehen. Andererseits ist es nicht ohne Weiteres möglich, die kirchliche Situation in unserem Land mit wenigen Worten umfassend zu beschreiben und gewisser Maßen "auf den

Nenner zu bringen". Zu unterschiedlich sind die Entwicklungen, die sich uns zeigen, zu divergierend zuweilen Tendenzen, die sich abzeichnen! Das Wort von der "Ungleichzeitigkeit" trifft zu. Sicherlich kann man für die Situation unserer Kirche heute ein bekanntes Wort entsprechend umschreiben. "Das einzige Beständige (an ihr) ist der Wandel."

 

Dies weckt bei vielen Hoffnungen auf eine gute weitere Entwicklung, bei nicht wenigen lösen die Veränderungen aber auch Ängste und Zweifel aus. Jeder, der in der Seelsorge tätig ist, weiß aus vielen Gesprächen um diese Reaktionen.

Ich will und kann heute keine umfassende Darstellung der Kirche, wie sie sich mir heute zeigt, geben. Dies würde den Rahmen dieser Darlegungen sprengen. Stattdessen will ich einige Mosaiksteine benennen, die es zusammen genommen durchaus ermöglichen, einen Eindruck vom Gesamtbild zu erhalten. Dabei bin ich mir bewusst, dass sich noch viele andere Mosaiksteine dazulegen ließen.

 

Religiöse Vermischung, Entkirchlichung, Entkonfessionalisierung, Patchwork-Religion

Michael N. Ebertz hat die religiöse Grundhaltung vieler unserer Zeitgenossen treffend wie folgt beschrieben:

"Viele Menschen sind subjektiv mehr oder weniger 'religiös', aber nicht unbedingt christlich; sie sind christlich, aber nicht unbedingt katholisch; katholisch, aber nicht unbedingt kirchlich. Die meisten von ihnen sind religiöse Selbstversorger geworden, das heißt, sie leben aus religiösen 'Konserven' ihrer Kindheit oder sie stellen sich ihr religiöses Menu selbst zusammen – wie, wann und wo es ihnen passt. Mischung ist angesagt, auch Mischung christlicher mit außerchristlichen Überlieferungen, sogar bei den fünfzehn Prozent regelmäßigen katholischen Kirchgängern, von denen in Deutschland und in der Schweiz jeder Dritte an die Wiedergeburt glaubt."4 Hier finden Sie in einfachen Worten beschrieben, was sonst mit Begriffen wie "Verdunstung des Glaubens", "Entkirchlichung", "Entkonfessionalisierung" oder "Patchwork-Religion" ausgedrückt wird.5

 

Die dahinter liegende Sehnsucht

Aber signalisieren solche Trends nicht auch, wie der Kärntener Bischof und Pastoraltheologe Alois Schwarz meint, "Sehnsuchtsfelder der Menschen", die zu "Ahnungsfeldern des Heils" werden können?

Dr. Edgar Piel vom Allensbacher Institut für Demoskopie hat bei dem vom Erzbischöflichen Seelsorgeamt veranstalteten Pastoralkongress 2003 eindrücklich aufgezeigt, wie dramatisch das Interesse, sich mit weltanschaulichen oder religiösen Themen auseinander zu setzen, einerseits zurückgegangen ist und sich der Glaube vieler Zeitgenossen andererseits an Randbereichen festmacht.

 

Es macht mehr als nachdenklich, dass 1997 zwar 50% der Katholiken in Westdeutschland an Engel glaubten, aber nur 45% an die Dreifaltigkeit. Ebenso ist es verwirrend festzustellen, dass im Jahr 2002 25% der befragten Katholiken angaben, sie glaubten an eine Wiedergeburt.

 

Anhand statistischer Umfragen belegte Herr Dr. Piel weiter, dass die Zahl der Menschen, die abergläubisch sind, von Jahr zu Jahr größer wird.7

Überraschend war auch das Ergebnis der von der Unternehmensberatung McKinsey, dem STERN, T-online und dem ZDF per Internet durchgeführten Umfrage, welches Vertrauen die Deutschen in die verschiedenen Institutionen setzen. Die Umfrage ergab, dass nur 11 Prozent der Deutschen der katholischen Kirche vertrauen und selbst 34 Prozent der Katholiken die Kirche als "nicht veränderungsfähig" ansehen.8 Man kann wohl davon ausgehen, dass sich an dieser Umfrage

verhältnismäßig viele jüngere Deutsche beteiligt haben, so dass das Ergebnis im Blick auf die Zukunft für uns besorgniserregend ist.

 

Auf diesem Hintergrund sind auch die Zahlen zu sehen, die wir Ihnen bei der Dekanekonferenz im März genannt haben. Sicherlich haben statistische Zahlen nur eine beschränkte Aussagekraft, dennoch dürfen wir die Entwicklungen, die sie aufzeigen, nicht übersehen. Ohne diese nochmals detailliert nachzuzeichnen, möchte ich die wesentlichen Tendenzen kurz in Erinnerung rufen.

  • In den Jahren 1975 bis 2002 hat sich die Zahl der Katholiken in unserer Erzdiözese von 2.413.000 auf 2.114.000 verringert. Dies entspricht einem Rückgang um 299.000 Katholiken.
    Die Bedeutung dieser Zahl wird deutlich, wenn man bedenkt, dass so manche Diözesen in den neuen Bundesländern nicht einmal so viel Katholiken zählen. Die Diözese Erfurt etwa zählt 181.000 Katholiken.
  • Die Zahl der Katholiken unserer Erzdiözese, die sonntags die Gottesdienste mitfeiern, hat sich in den achtzehn Jahren von 1984 bis 2002 von 533.650 auf 292.662, d.h. um 240.988 oder um mehr als 45% vermindert.
  • Eine ähnliche Tendenz weist die Zahl der Taufen auf. Seit 1991 geht die Zahl der Neugetauften in unserer Erzdiözese stetig zurück. Sie sank von 24.542 im Jahr 1991 auf 16.859 im Jahr 2002, d.h. um etwa 31%.
  • Ganz gravierend ist der Einbruch bei den kirchlichen Trauungen. Hier hat sich die Zahl von 10.678 im Jahr 1984 auf 5.081 im Jahr 2002 mehr als halbiert.

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1.2 Die personelle Situation der Erzdiözese

Mehr noch als für die obige Situationsbeschreibung gilt für die Perso-nalsituation der Erzdiözese, dass Veränderungen vorwiegend mit Rückgang verbunden sind. Der Wandel zeigt sich als zunehmender quantitativer Mangel – und dies nicht nur bei den Priestern.

Wir haben Ihnen bei der Dekanekonferenz im März die Personalsituation der Erzdiözese detailliert aufgezeigt und auch auf zu erwartende Entwicklungen hingewiesen. Auch hier will ich nun nicht nochmals im Einzelnen die Zahlen in Erinnerung rufen, sondern lediglich die Tendenzen nachzeichnen.

 

Priester

Wenn wir davon ausgehen, dass wir in den kommenden Jahren im Durchschnitt bestenfalls noch höchstens acht Neupriester haben werden, wird die Zahl der Priester im aktiven Dienst beträchtlich abnehmen. Es kann derzeit davon ausgegangen werden, dass wir in den nächsten 10 Jahren für jede der 337 Seelsorgeeinheiten einen Pfarrer bzw. einen Pfarradministrator vorsehen können. Geht die Entwicklung jedoch so weiter, wie sie sich derzeit abzeichnet, werden wir die Zahl der Seelsorgeeinheiten nicht halten können.

 

Ständige Diakone

Die Ständigen Diakone bilden unsere kleinste Berufsgruppe im pastoralen Dienst. Dies wird wohl auch in Zukunft so sein, da auch hier die Zahl der Neugeweihten nur etwa die Zahl der altersbedingt Ausscheidenden ausgleicht.

 

Laientheologen

Die derzeitige Bewerberlage bei den Pastoralreferentinnen/Pastoralreferenten lässt bezweifeln, ob wir in Zukunft alle zur Ver-fügung stehenden Stellen mit geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern besetzen können. Da auch in diesem Beruf die Zahl der Frauen zu- und die Zahl der Männer abnimmt, müssen wir uns auf eine Verürzung der durchschnittlichen Berufstätigkeit bzw. auf eine größer werdende Zahl an familienbedingten Beurlaubungen einstellen.

 

Gemeindereferenten

Die Entwicklung bei den Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten bleibt weiterhin mehr als angespannt. Sollten auch in den nächsten Jahren mehr Frauen und Männer aus diesem Beruf ausscheiden als neue hinzukommen, wird dies dramatische Auswirkungen auf die personelle Ausstattung in unseren Seelsorgeeinheiten haben. So manche Stelle, die heute noch besetzt ist, wird dann frei bleiben müssen.

 

1.3 Der Einsatz der Ehrenamtlichen

Auch eine Analyse des ehrenamtlichen Engagements in unseren Pfarreien und Seelsorgeeinheiten fällt recht ambivalent aus und zeigt auf, welchen Veränderungen wir unterworfen sind.

Zum einen gilt es dankbar festzustellen, dass zahlreiche Gläubige bereit sind, sich in ihrer Gemeinde und in der Kirche zu engagieren und unterschiedliche Dienste zu übernehmen. Ohne ihr Engagement wäre das Leben in unseren Gemeinden und Seelsorgeeinheiten nicht zu denken!

Andererseits müssen wir jedoch auch zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl der Ehrenamtlichen im Allgemeinen abnimmt und das Durchschnittsalter derjenigen, die über viele Jahre in großer Treue mitarbeiten, ansteigt. Es wird zunehmend schwieriger, Gemeindemitglieder für ein andauerndes und verlässliches Engagement zu gewinnen.

 

Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Als entscheidender Faktor ist sicherlich die Abnahme der kirchlichen Bindung gerade der Jüngeren zu nennen. Mit ausschlaggebend sind jedoch auch die Veränderungen, die sich im ehrenamtlichen Engagement allgemein zeigen und von den Gemeinden oftmals noch nicht genügend wahrgenommen werden.

 

In meinem Vortrag beim Studientag in der Region Ortenau, der auch in der Reihe FREIBURGER TEXTE unter der Nummer 49 herausgegeben wurde, bin ich näher darauf eingegangen. Den dort angeschnit-tenen Fragen, wie wir künftig Ehrenamtliche gewinnen und begleiten können, werden wir in besonderer Weise unsere Aufmerksamkeit schenken müssen.

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1.4. Den Blick weiten

Diese Mosaiksteine, die ich Ihnen aufgezeigt habe, ergeben zusammen durchaus ein Bild der Kirche in unserem Land. Aber geben sie die Wirklichkeit auch richtig wieder? Werden wir der Kirche wirklich gerecht, wenn wir sie vor allem in so düsteren Farben und aus einer so dunklen Perspektive heraus zeichnen?

 

Das „Noch-Syndrom“ als Ergebnis des Wunschs, in die 50-er Jahre zurückzukehren

Zurecht hat etwa der Bischof von Münster, Reinhard Lettmann, im Anschluss an das Diözesanforum seiner Diözese die resignierende Grundhaltung vieler in der Kirche kritisiert und diese als "Noch-Syndrom"9 charakterisiert. Dieses "Noch-Syndrom" macht sich etwa an Redeweisen wie folgenden fest: "Noch hat unsere Diözese 2.114.000 Katholiken, doch die Zahl der Kirchenaustritte ist weiterhin zu hoch. Noch haben wir 292.000 Kirchgänger, doch ....".

Bei einer solchen rückwärtsgewandten Sichtweise dürfen wir nicht stehen bleiben. Sie verstellt den notwendigen befreienden Blick auf die Zukunft.

Die Problematik dieses "Noch-Syndroms" besteht darin, dass die damit verbundene Beschreibung der derzeitigen kirchlichen Situation letztlich zurück blickend fast nur aus der Perspektive einer volkskirchlich geprägten Gesamtsituation erfolgt. Sie übersieht, dass sich auch die gesellschaftlichen Bedingungen weiter fortentwickelt haben. Pastoralkonzepte, die die Situation der 50er Jahre wiederherstellen wollen, sind von vornherein zum Scheitern verurteilt. Nicht nur die Kirche hat sich verändert, auch die Gesellschaft ist eine andere geworden.

 

Gegenposition zum „Noch-Syndrom“

Ich möchte daher bewusst noch weitere Mosaiksteine nennen, die ebenfalls die kirchliche Situation in unserem Land beschreiben und ohne die das Gesamtbild verfälscht wäre.

Die Lage der Kirche ist durchaus nicht so düster, wie sie manche zeichnen. Wir spüren alle, dass die Sehnsucht der Menschen, den Sinn ihres Lebens zu erfahren und sich nicht in dieser Welt zu verlieren, groß ist. Dieser Sehnsucht stehen heute vielfältige Angebote gegenüber, zu denen der christliche Glaube in gewisser Weise in Konkurrenz steht. An vielen neueren Entwicklungen können wir sehen, dass wir dabei nicht untergehen.

 

Neue oder wieder entdeckte Gelegenheiten

Erinnern möchte ich nur an die Wiederbelebung der Wallfahrten, die Resonanz, die oft geistliche Gemeinschaften mit ihren Angeboten finden,

oder die Neuentdeckung der Exerzitien, etwa durch die Form der "Exerzitien im Alltag".

Auch Begegnungsmöglichkeiten wie Dekanatskatholikentage, unser großes Bistumsjubiläum oder auch die Weltjugendtage müssen sicherlich in dieser Reihe aufgeführt werden. Solche religiösen Events zeigen, was an Erwartungen und zu weckenden Kräften in Menschen grundgelegt ist, und bieten Chancen, die wir offensiv nützen sollten.

 

Der Blick auf die Weltkirche

Dabei kann auch ein Blick über Deutschland hinaus in die Weltkirche und auf ihre Erfahrungen äußerst anregend und nützlich sein. Diese Erfahrung dürfen etwa die vielen Pfarreien unserer Erzdiözese machen, die lebendige Kontakte mit anderen Ortskirchen pflegen.

 

...

 

Ansehen des Pfarrer-Berufs

Vergessen wir bei allen Meinungsumfragen über die Rolle der Kirche auch nicht, dass nach wie vor der Beruf des Pfarrers zu den am meist geschätzten Berufen in unserem Land gehört. Er rangiert etwa nach der Allensbacher Berufsprestige-Skala aus dem Jahr 2001 an zweiter Stelle hinter dem Arzt.10 Den Pfarrer erlebt man nach wie vor. Das Ansehen, das der Beruf genießt, hat sicherlich etwas mit der Glaubwürdigkeit der Botschaft und des Lebenszeugnisses zu tun!

 

Jugend

Ein treffendes Beispiel für die Veränderungen im ehrenamtlichen Engagement war für mich die sog. "72-Stunden-Aktion" des BDKJ, die vor zwei Jahren mit großem Erfolg in unserer Erzdiözese durchgeführt wurde. Es ist geradezu bewundernswert, wie viele Jugendliche, die sich sonst kaum für ein andauerndes Engagement in einer Gemeinde entscheiden können, begeistert mitgemacht haben.

 

Es wäre falsch, wenn man deren Einsatz nur nach den Maßstäben einer verbindlichen kirchlich-verbandlichen Jugendarbeit messen würde. Keineswegs würde man den Jugendlichen gerecht werden, würde man nur danach fragen, ob die Aktion dazu führt, dass die Jugendlichen wieder an den Gottesdiensten der Gemeinde teilnehmen. Vielmehr gilt es, die Chancen, die sich daraus ergeben, zu sehen. Welches Zeugnis die Jugendlichen dadurch in der Öffentlichkeit gegeben

haben, darf nicht unterschätzt werden. Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Aktion wiederholt wird.

 

Caritas

Der Diözesan-Caritasverband, der in diesem Jahr sein 100jähriges Bestehen feiern kann, berichtet, dass entgegen dem sonstigen Trend das ehrenamtliche Engagement bei sozialen Diensten eher zunimmt. Die Zahl der bei den Caritaskonferenzen Engagierten nimmt keineswegs ab; für ein solches Engagement lassen sich auch Jüngere motivieren. Nicht von ungefähr schneidet etwa die verbandliche Caritas in Meinungsumfragen wesentlich besser ab als die sog. "verfasste Kirche".11

Es stimmt nachdenklich, wenn der caritative Dienst, der wesentlich zur Kirche dazu gehört, im Bewusstsein der Menschen von der Kirche getrennt wird. Diese Trennung bzw. "Gebrochenheit" zeigt sich auch in der zuweilen mangelnden Akzeptanz der Kirche im gesellschaftlich-öffentlichen Leben:

sozial-caritativer Einsatz wird begrüßt, wertbegründete und konfessionelle Positionierung wird schnell als störend empfunden.

 

Zusammenfassung und Quintessenz

Diese wenigen Beispiele will ich bewusst dem rückwärtsgewandten "Noch-Syndrom" entgegen setzen. Ein wehleidiges Jammern über die verlorene "gute alte Zeit" nach dem Motto "Ich klage, also bin ich" hilft uns nicht weiter. Wenn wir miteinander die Weichen für die weitere Entwicklung der Kirche in unserem Land stellen wollen, dürfen wir nicht nur zurück blicken, sondern müssen vorausschauen, den Blick nach vorn richten. Wir müssen immer wieder unsere Ziele überprüfen,

sie ggf. korrigieren und uns von ihnen leiten lassen. Dies wird umso fruchtbarer sein, wenn wir dabei stets auch die gesellschaftlichen Entwicklungen im Blick behalten. Es gilt, die Zukunft anzunehmen

und zu gestalten.

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2. Vision und Ziele unserer Arbeit

2.1 Unsere Vision ist das Reich Gottes

Damit kommen wir nun zu den entscheidenden Fragen, die uns in den nächsten Jahren beschäftigen werden. Was ist die Vision, von der wir uns leiten lassen, welches sind die Ziele, die wir anstreben wollen? Wenn es uns nicht gelingt, dies verstärkt in den Blick zu nehmen, laufen wir Gefahr, unsere Zukunft zu verpassen.

 

Unsere Vision ist schon vorhanden

Derzeit wird viel von Visionen geredet, nicht nur in kirchlichen Kreisen. Gesellschaftliche Gruppen und Institutionen entwickeln ebenso ihre Visionen und Leitbilder wie Wirtschaftsunternehmen. Sie sollen helfen, Ziele zu definieren, eine Unternehmensphilosophie zu entwerfen und Verhaltensregeln festzuschreiben. Auch ich werde immer wieder gefragt, welche Visionen ich als Bischof für unsere Erzdiözese habe.

Als Kirche brauchen wir keine Vision zu entwickeln, denn diese ist uns gegeben. Wir leben aus der gleichen Vision, die auch das Leben Jesu prägte.

 

Kirche ist der Keim und Anfang des Reiches Gottes

Die "Bestimmung" der Kirche ist, so das Zweite Vatikanische Konzil, das "Reich Gottes" (LG 9). Die Kirche stellt "Keim und Anfang" (LG 5) des Reiches Gottes dar. Hier liegt der sakramentale Charakter der Kirche begründet; diese Dimension ist jedoch vielfach selbst im Bewusstsein der Angehörigen der Kirche vergessen. Die Folge ist eine Überbetonung der funktionalen Seite der Kirche.

 

Nun ist "Reich Gottes" in gewisser Weise ein recht schillernder Begriff. Bezeichnender Weise findet sich unter diesem Stichwort im Lexikon für Theologie und Kirche nur ein Querverweis auf das Stichwort "Herrschaft Gottes". Der Begriff muss daher inhaltlich qualifiziert und gefüllt werden. Ausgehend von dem Wort Jesu im Johannesevangelium "Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben" (Joh 10,10) gehört für mich all das wesentlich zum "Reich Gottes", was umfassend dem Leben der Menschen dient. Dies beinhaltet dann den Dienst der Diakonia, d.h. einander Leben und Glauben ermöglichen; den Dienst der Martyria, d.h. einander Leben und Glauben zusprechen und bezeugen; den Dienst der Leiturgia, d.h. miteinander Leben und Glauben feiern; sowie den Dienst der Koinonia als der Weggemeinschaft im Leben und Glauben.12

Hierin zeigt sich das Reich Gottes, das in der Kirche anfanghaft verwirklicht ist und auf das wir in der Gemeinschaft der Kirche zugehen. Dieser theologische Zusammenhang verdient eine neue Aufmerksamkeit im religionspädagogischen und katechetischen Handeln mit dem Ziel, die Identität der Kirche neu zu entdecken. Er ist die entscheidende gemeinsame Grundlage, die wir mit den anderen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften teilen. Dabei können wir voneinander lernen, in weiten Bereichen gemeinsam auftreten und handeln und die Ökumene fruchtbar machen.

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2.2. In fidei communione – Grund und Ziel unseres Handelns

 

Die Würde des Wahlspruchs

Nach meiner Wahl zum Bischof unserer Erzdiözese stand ich vor der Frage, welches Leitwort ich mir wähle. Dabei war mir bewusst, dass ich mit meinem bischöflichen Wahlspruch nicht nur öffentlich zum Ausdruck bringen darf, was mein Leben trägt, sondern auch, unter welche Ziele ich mein Wirken für die Erzdiözese stelle. Der Wahlspruch soll eine beständige Erinnerung sein, mich selbst an diesen Zielen zu messen und von anderen messen zu lassen.

 

Gemeinschaft und Glaube

Wie Sie wissen, sind mir vor allem zwei Ziele wichtig geworden, die sich in meinem Wahlspruch niederschlagen: die Gemeinschaft der Kirche in Jesus Christus und der Glaube an Gott. Beide fließen im Wort des Apostels Paulus in seinem Brief an Philemon zusammen. Ausgehend vom griechischen Urtext (koinonia tes pisteos) konnte ich dann formulieren: in fidei communione – in der Gemeinschaft des Glaubens.

 

Die Frage des Glaubens ist entscheidend

Für mich ist die Frage des Glaubens an Gott entscheidend für die Zukunft der Menschheit. Gerade darin finden wir die tragende Grundlage unseres Lebens, die ihm nicht nur Sinn und Ziel gibt, sondern aus der sich auch die Werte ergeben, die das Zusammenleben in und mit der Schöpfung garantieren.

Wie sich eine Gesellschaft entwickelt, die Glaube und Religion zur Privatsache erklärt, können wir täglich neu in unserem Umfeld beobachten. Niemand kann jedoch für sich allein Christ sein. Christ ist man stets mit anderen und für andere.

Daher gehört die Gemeinschaft der Glaubenden wesentlich zum Christsein dazu. Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Kirche betont als Leib Christi und als Volk Gottes beschrieben und damit die Kirche als communio neu herausgestellt und entfaltet. Wenn auch die deutsche Übersetzung mit "Gemeinschaft" den Begriff nur annähernd wiedergeben kann, so macht er doch deutlich, in welchen tiefen Zusammenhängen wir miteinander verbunden sind.

 

Aus meinem Wahlspruch "in fidei communione" ergeben sich für mich zwei tragende Ziele meiner Arbeit, die ich auch als Ziele für unsere Erzdiözese sehe:

  • 1. Es geht zum einen darum, den christlichen Glauben den Menschen unserer Zeit so zu erschließen und zu verkünden, dass er zum tragenden und alles bestimmenden Grund ihres Lebens wird. Dieses Ziel sehe ich als direkte Fortführung des Impulses, den die Deutsche Bischofskonferenz mit der Schrift "Zeit zur Aussaat. Missionarisch Kirche sein"13 gegeben hat. Wir alle spüren, dass je weniger die Volkskirche gesellschaftlich trägt und je mehr sie an Plausibilität verliert, desto mehr es auf den Einzelnen und seine Glaubenserfahrung, seine persönliche Verwurzelung im Glauben ankommt.
    Eugen Biser spricht zurecht angesichts des gewaltigen Umbruchs unserer Gesellschaft von einer "Zeitenwende" und im Blick auf die Kirche von einer "glaubensgeschichtlichen Wende". Diese charakterisiert er als eine "Wende vom Satz- und Bekenntnisglauben zum Erfahrungsglauben", von einem "Leistungs- zum Verantwortungsglauben", "vom Gegenstands- zum Innerlichkeits- und Identitätsglauben".14
  • 2. Wir müssen den Menschen helfen, Gemeinschaft zu finden und zu leben, die aus dem Glauben heraus Verantwortung für die Welt übernimmt. Damit möchte ich die bewährte Initiative meines Vorgängers aufgreifen und fortführen, die er unter das Leitwort gestellt hat: Miteinander Kirche sein – für die Welt von heute.

Auf diese Ziele hin gilt es unser Handeln als Christen, ja das Handeln der ganzen Kirche auszurichten, von diesen Zielen her müssen wir unser bisheriges Handeln kritisch hinterfragen.

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3. Optionen für eine künftige Pastoral

3.1 Grenzen wahrnehmen

Wer Optionen benennt, muss auch darauf bedacht sein, sie in konkrete Ziele umzusetzen und dies ständig zu überprüfen. So können wir heute aus den eigenen Erfahrungen lernen. In der Vergangenheit wurde die Bewältigung neuer Aufgaben vor allem mit einer Methode angegangen:

 

Abwendung von der Schaffung neuer Stellen

Wenn ein neues Problem, neue Fragen oder neue Aufgaben in den Blick gerieten, wurden zusätzliche Stellen geschaffen. Denken Sie dabei etwa an Stellen im Institut für Religionspädagogik, im Institut für Pastorale Bildung, im Amt für Kirchenmusik, im Erzbischöflichen Seelsorgeamt oder im Erzbischöflichen Ordinariat. Ebenso wurde in den Dekanaten und Regionen verfahren.

Diese Antwort ist heute jedoch in dieser Form nicht mehr möglich. Wir haben das Personal nicht mehr dafür und hätten bald auch nicht mehr die erforderlichen finanziellen Mittel, um weitere Stellen bezahlen zu können. Vorstellungen, neue Aufgaben derart anzugehen, greifen nicht mehr, wenn nicht in gleichem Maße andere aufgegeben werden.

 

Kein Raubbau an den eigenen Kräften

Auch eine zweite Grenze muss wahrgenommen werden. Viele unserer Priester und hauptberuflichen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versuchten, neue Aufgaben mit vermehrtem Einsatz oder intensiverem Engagement anzugehen. Auch dieser Weg führt nicht weiter. Die meisten von uns stehen an der oberen Grenze der Belastbarkeit und haben kaum noch Reserven frei für zusätzliche Anstrengungen. Diese Grenze zu missachten, hieße, an uns selbst schuldig zu werden.

Um es ausdrücklich zu sagen: ich bin als Bischof uneingeschränkt bereit, die Grenzen der Belastbarkeit jedes Einzelnen zu achten und erwarte von keinem, dass er Raubbau an seinen Kräften treibt. Er tut damit weder sich noch der Gemeinschaft einen Gefallen. Selten nämlich vermögen Männer und Frauen, die sich in der Arbeit überfordern, anderen etwas von der Freude, die aus dem Glauben erwächst, zu vermitteln!

Dies gilt für unsere hauptberuflich Tätigen in gleicher Weise wie für die Ehrenamtlichen. Auch die Ehrenamtlichen haben ihre Grenzen und können keineswegs die Lücke schließen, die durch den Mangel an hauptberuflichen Kräften entsteht.

 

Raubbau trägt Suchtmerkmale

Der Kölner Psychotherapeut Manfred Lütz, der im Jahr 1999 mit seiner Psychoanalyse der Katholischen Kirche15 für Aufsehen sorgte, verglich dieser Tage in einem Beitrag der Deutschen Tagespost die Situation der katholischen Kirche mit der von Alkoholikerfamilien. Er zählt folgende Merkmale auf: Depression, wechselseitige Abwertungen, Spaltungen, Überverantwortlichkeit,

Überlastung aller Beteiligten. "Und aus dem ganzen Trubel kommt," so stellt er fest, "obwohl alle wirklich besten Willens sind, nichts Fruchtbares mehr heraus."16 Wenn sich die erste Überraschung und Betroffenheit über diese Analyse gelegt hat, wächst bei genauerem Hinsehen durchaus die Erkenntnis, dass bestimmte kirchliche Phänomene in unserem Land zutreffend beschrieben sind.

Geradezu ermutigend erscheint es, wenn er für die Therapie vorschlägt, "vor allem auf die Ressourcen, d.h. auf die Kräfte des Patienten und auf ungewöhnliche Lösungen"17 zu bauen. Damit traut er der Kirche durchaus eine Heilung zu.

 

3.2. Werten und neu organisieren

Zwischenzeitlich hat eine Reihe deutscher Diözesen Fachleute von außen beauftragt, die Organisation der Diözese mit ihren Strukturen, Einrichtungen, Arbeitsabläufen oder Aufgabenverteilungen zu überprüfen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Zumeist erfolgte die Beauftragung von Firmen wie McKinsey aus wirtschaftlichen Zwängen. Sie sollte damit auch zu einer Verminderung der Kosten führen. Die zurückgehenden Einnahmen der Kirchen lassen diese Bemühungen durchaus als sinnvoll erscheinen.

Wer sich bewahren will, muss sich ändern. Auch wir müssen uns heute verstärkt die Frage stellen, wie wir unsere Arbeit effektiver gestalten können, um somit zu einer spürbaren Entlastung zu kommen und Kräfte freizusetzen für eine Neuausrichtung nach unseren Zielen.

Umorganisation mit professioneller Hilfe?

Ich sehe derzeit jedoch keinen Grund, auch für unsere Diözese Unternehmensberatungen zu beauftragen, die uns die Arbeit in bestimmtem Maße abnehmen. Vielmehr bin ich der Auffassung, wir sollten zunächst die Ressourcen in Anspruch nehmen, die wir selbst haben und auf die ich vertraue.

 

Ziele der Umorganisation

Dabei geht es darum, nicht nur leistungsorientiert, sondern vor allem zielorientiert zu denken und zu arbeiten und dabei Raum für Kreativität und Flexibilität zu lassen oder gar zu schaffen. Bei all dem dürfen wir jedoch nicht vergessen: Unsere "Hauptressource" ist die zugesagte Nähe des Herrn in der Kraft des Geistes.

 

Eine Reform muss daher stets mit einer geistlichen Vertiefung einhergehen.

 

Pfarreiverwaltung

Ein Bereich, der auf den Prüfstand muss, ist der Bereich der Verwaltung. Sie wissen, dass wir in der Vergangenheit gerade im Bereich der Pfarrverwaltung einige Möglichkeiten der Entlastung und Vereinfachung aufgezeigt haben. Ich denke da vor allem an die Stärkung der Stellung des stellvertretenden Stiftungsratsvorsitzenden, an die Einrichtung von beschließenden Ausschüssen der Stiftungsräte oder an die Möglichkeit, Einzelnen besondere Beauftragungen zu erteilen.

 

Die Einrichtung der Kindergartenbeauftragten wurde sehr gut aufgenommen und hat sich geradezu als Segen erwiesen.

 

In gleicher Richtung geht auch die Ausweitung der Aufgaben, die von den Verrechnungsstellen übernommen werden können. In unserer Überarbeitung der Handreichung "Verwaltung in Pfarrgemeinden und Seelsorgeeinheiten" haben wir hierzu wertvolle Hinweise gegeben.

 

Erinnern möchte ich auch an die Zusammenfassung der über 1.000 einzelnen Pfarrpfründen und die Gründung der Pfarrpfründestiftung der Erzdiözese. Auf diesem Weg der Entlastung werden wir auch künftig zügig weitergehen und es gilt, neue Wege zu gehen. Ich ermutige alle, Perspektiven zu entwickeln und mit entsprechenden Vorschlägen auf das Erzbischöfliche Ordinariat zuzugehen.

 

Es gibt hier sicherlich sehr viel mehr Möglichkeiten, als wir heute denken!

 

Gremienkatholizismus

Die Verwaltung ist aber nur ein Bereich. Ebenso müssen wir die zahlreichen Gremien und die damit verbundenen Sitzungen genauer in den Blick nehmen. Wenn Sie mit mir die Situation unserer Kirche nüchtern zur Kenntnis nehmen, werden auch Sie wohl kaum um die Feststellung herum kommen, dass das böse Wort vom "Sitzungskatholizismus" gar nicht ohne Weiteres vom Tisch zu wischen ist und wir uns zum Teil Strukturen leisten, die dem Leben nicht mehr entsprechen.

Um es gegen alle Missverständnisse deutlich zu sagen: es geht mir nicht darum, Strukturen oder Gremien der Mitverantwortung aufzuheben oder einzuengen, wo diese von Menschen getragen und mit Leben erfüllt werden. Ich sehe jedoch auch, dass wir so manches weiterführen, was unsere Kräfte eigentlich überfordert. Hierüber sollten wir offen reden. Klärungsbedarf sehe ich auf allen Ebenen der Erzdiözese.

 

Pfarrgemeinderäte und Pfarrgemeinderatssitzungen

Wir müssen uns etwa fragen, ob die Bildung von Pfarrgemeinderäten auf der Ebene von z.T. sehr kleinen Filialkirchengemeinden den Prinzipien einer kooperativen Pastoral, die über den eigenen Kirchturm hinausschaut, entspricht.

Weiterhin wird zu besprechen sein, ob die Zahl der Pfarreien auf Dauer Bestand haben kann. Hier denke ich vor allem an sehr kleine Pfarreien bzw. Kirchengemeinden, die z.T. nicht einmal 100 Katholiken zählen, aber auch an Pfarrgemeinden, die für sich allein kaum noch in der Lage sind, ein gemeindliches Leben im Sinne der Grunddienste zu führen.

Im Rahmen der Diskussion um die Pfarrgemeinderatssatzung wird auch zu prüfen sein, wie die Zusammenarbeit der einzelnen Pfarrgemeinderäte einer Seelsorgeeinheit gestärkt und eine zu starre Fixierung auf die Pfarrgemeinderäte in den einzelnen Pfarreien vermieden werden kann.

 

Dass hier Handlungsbedarf besteht, zeigt etwa die Auswertung unserer Fragebogenaktion zu den Richtlinien für Seelsorgeeinheiten. Die Erfahrungen, die wir etwa mit gemeinsamen Pfarrgemeinderäten machen durften, sind mehr als ermutigend.

 

Diözesane Einrichtungen

Auf der Ebene der Diözese nimmt eine Reihe von Institutionen und Einrichtungen Aufgaben wahr, mit denen sie die untere und mittlere pastorale Ebene unterstützen. Hier wird qualifizierte und fruchtbare Arbeit im Dienst an den Menschen geleistet. Dies ist unbestritten.

Gleichwohl haben viele dieser Einrichtungen aber auch immer mehr Aufgaben übernommen und machen damit den Pfarreien auch immer mehr Angebote (mit mehr oder weniger Aufforderungscharakter), so dass deren "Hilfe" auch zur Last werden kann. Hierüber sollten wir nachdenken.

 

Bei den Fort- und Weiterbildungsangeboten für den hauptberuflichen pastoralen Dienst haben wir bereits eine Reihe von Doppelungen abgebaut, was einiges zur Klärung der Strukturen und damit zur Koordination der Angebote beigetragen hat.

Für andere Bereiche stehen solche Klärungsprozesse noch an. Der Konzentration und Bündelung der Kräfte wird in Zukunft zunehmend mehr Bedeutung zukommen.

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3.3. Schwerpunkte setzen

Die Überprüfung von Strukturen und Organisation auf mögliche Entlastungen ist ein Weg, der uns weiterhelfen kann. Er geht vom Derzeitigen aus und versucht, dieses effektiver zu gestalten. Den entscheidenden Weg sehe ich jedoch darin, entsprechend der uns vorgegebenen Vision Leitbilder und Ziele, und das heißt auch neue Schwerpunkte zu definieren.

Die Möglichkeiten, allein durch eine bessere Organisation des Bestehenden zu einer Entlastung zu kommen, kommen rasch an Grenzen.

 

3.3.1 Initiativen anderer Diözesen

Zweifelsfrei ist uns in der Vergangenheit vieles zugewachsen, so dass wir heute mit einer Fülle von Aufgaben beschäftigt sind, die uns gewaltig in Anspruch nehmen. Dieses "Alltagsgeschäft" nimmt uns oftmals derart in Beschlag, dass unser Dienst in weiten Bereichen zunehmend an Profil verliert.

Hier ist eine Kurskorrektur dringend vonnöten. Eine solche Kurskorrektur ist nur möglich, wenn wir uns auf das Wesentliche unseres Dienstes besinnen und dem entsprechend Prioritäten setzen.

 

Mit diesem Bemühen, stehen wir nicht allein da. Derzeit laufen in mehreren Diözesen entsprechende Überlegungen, die zum Teil bereits erkennbare Formen angenommen haben.

 

Prioritätensetzungen in der Diözese Rottenburg

Unsere Nachbardiözese Rottenburg-Stuttgart hat etwa einen diözesanweiten Prozess in die Wege geleitet, der zur Festsetzung von pastoralen Prioritäten führen soll. Der Prozess ist mit dem Leitwort versehen worden: "Wir geben unserer Hoffnung ein Gesicht". Ziel dieses Prozesses ist es, eine der Zeit gemäße Pastoral zu entwickeln und die Arbeit aller damit beauftragten kirchlichen Einrichtungen klarer zu profilieren.

 

Die Verantwortlichen unserer Nachbardiözese haben es unternommen, eine Rangfolge der pastoralen Arbeit festzulegen und unterscheiden dabei drei Kategorien: Prioritäten, Normalitäten und Posterioritäten.

 

"Unter Pastoralen Prioritäten werden konkret definierte vorrangige und verbindliche Aufgaben für die Pastoral der Diözese in der nächsten Zeit verstanden. Ihnen kommt im pastoralen Handeln zukünftig die Hauptaufmerksamkeit zu. Für sie werden die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt. Unter Normalitäten werden Aufgaben verstanden, die im Wesentlichen weitergeführt werden. Posterioritäten sind Aufgabengebiete, denen in Zukunft nicht mehr die bisherige Aufmerksamkeit zugestanden wird oder die ganz aufgegeben werden können."18

 

Wir dürfen mit den Verantwortlichen aus unserer Nachbardiözese gespannt sein, zu welchen Ergebnissen dieser Prozess kommt.

 

„Mut zur Lücke“ und Zentren statt Flächendeckung in Würzburg

In die gleiche Richtung zielen Leitlinien, die die Diözese Würzburg herausgegeben hat. Dort wird ebenfalls der Versuch gemacht, Prioritäten kirchlichen Engagements festzulegen. Wie Generalvikar Karl Hillenbrand anlässlich der Veröffentlichung dieser "Leitlinien und Perspektiven der Seelsorge in der Kirche von Würzburg"19 sagte, sollen in der Seelsorge der Diözese künftig "Mut zur Lücke" sowie "Qualität vor Quantität" gelten.

Die Diözese bewegt sich damit nach Generalvikar Karl Hillenbrand weg von einer flächendeckenden Pastoral hin zu einer Seelsorge mit Schwerpunkten und damit zu einer klaren Profilierung kirchlicher Arbeit.20

 

Konzentration auf Kernbereiche in Köln

Einen eigenen Akzent setzte bereits im vergangenen Jahr das Erzbistum Köln. Kardinal Joachim Meisner setzte dort "Leitlinien für den Dienst der Priester, insbesondere der Pfarrer, im Erzbistum Köln" in Kraft und versuchte damit, "einige realistische und ermutigende Leitlinien zu den Kernbereichen priesterlicher Seelsorge zu geben." 21 Ziel sei eine Konzentration der Kräfte auf die Kernbereiche der Kirche.

 

Schwerpunkte beim Pastoralen in Hildesheim

Auch das Hirtenwort des Hildesheimer Bischofs Josef Homeyer zur Fastenzeit 200022, in dem er seine Sorge um die sonntägliche Eucharistiefeier zum Ausdruck brachte und verbindliche Weisungen zur Anzahl der Gottesdienste in den Pfarreien erteilte, zielt auf eine Schwerpunktsetzung in einem speziellen Bereich der pastoralen Arbeit.

 

3.3.2 Kriterien für eine Schwerpunktsetzung

Wer Schwerpunkte setzen will, muss zunächst die Kriterien benennen, nach denen er unterscheiden möchte. Dabei spielt es weniger eine Rolle, mit welchen Begriffen die einzelnen Kategorien bezeichnet werden, sei es als Wichtiges und Unwichtiges, Vorrangiges und Nachrangiges, Wesentliches und Unwesentliches oder, um die bereits genannten Begriffe unserer Nachbardiözese Rottenburg-Stuttgart nochmals zu nennen, Prioritäten, Normalitäten und Posterioritäten.

 

Ausgangspunkt für die Bestimmung der Kriterien sind letztlich die Visionen und Leitbilder, denen wir uns verpflichtet wissen. Sie allein bestimmen die Bewertung der einzelnen Aufgaben und die Einordnung in die einzelnen Kategorien. Für mich ergeben sich beispielsweise folgende Leitfragen:

  • Kann die Aufgabe dazu beitragen, dass sie die Wirklichkeit und Lebendigkeit des Reiches Gottes stärker aufleuchten lässt?
  • Kann die Aufgabe dazu beitragen, dass der Glaube verkündet und von den Einzelnen als persönlicher Glaube angenommen werden kann?
  • Kann die Aufgabe dazu beitragen, dass die Charismen der Einzelnen entdeckt und fruchtbar gemacht werden können?
  • Kann die Aufgabe dazu beitragen, dass die Gemeinschaft der Kirche als Ganze und als Kirche am Ort gestärkt wird?

Ich sehe es als besonders wichtig an, die einzelnen Aufgaben nicht für sich allein zu betrachten.

Alles, was wir tun, ist eingebunden in ein Größeres, sei dies die Pfarrgemeinde, die Seelsorgeeinheit, das Dekanat, die Region oder die Diözese – um die verschiedenen pastoralen Ebenen zu benennen.

Daraus resultieren für mich weitere Leitfragen:

  • Wo müssen wir Aufgaben flächendeckend anbieten, wo genügen punktuelle Angebote, um präsent zu sein?
  • Wo können wir durch exemplarische Angebote das Reich Gottes aufscheinen lassen und damit auch das Profil des kirchlichen Dienstes deutlicher werden lassen?
  • Welche Strukturen dienen diesen Aufgaben und welche erweisen sich für die notwendige Zusammenarbeit als hilfreich?

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3.3.3 Sammlung und Sendung

Die eben genannten exemplarischen Leitfragen machen deutlich, dass es bei der angesagten Schwerpunktsetzung zunächst nicht um Strukturfragen, sondern um eine Neuausrichtung unserer Arbeit an den Zielen geht.

 

Der Verfall des fragwürdig gewordenen Wortes „Mission“

Dies steht im Spannungsfeld von Sammlung und Sendung. Es ist geradezu bezeichnend, dass das Wort "Mission" in der Kirche unseres Landes kaum noch vorkommt. Dies mag historische Ursachen haben, da mit diesem Wort oftmals Indoktrination oder Vereinnahmung verbunden wird und der Blick auf die "Missionsländer" gerichtet wird. Wir sprechen heute in Bezug auf unser Land lieber von "Evangelisierung" oder wie die Schrift der Deutschen Bischofskonferenz von "Zeit zur Aussaat"23. Die französischen Bischöfe haben Ihre Bemühungen mit dem Wort "proposer la foi" überschrieben, was in etwa mit "den Glauben anbieten" übersetzt werden kann24. Dahinter steckt jedoch mehr als nur ein schamhaftes Zaudern angesichts geschichtlicher Fehlentwicklungen.

 

Ohne Mission verfehlen wir unseren Auftrag

Sind wir in unseren volkskirchlich geprägten Strukturen nicht zu sehr gefangen? Mit Bischof Joachim Wanke ist festzustellen, dass unserer Kirche in Deutschland offenbar die Überzeugung fehlt, neue Christen gewinnen zu können.25 Ich bin überzeugt, wenn unser Christsein nicht missionarischer geprägt sein wird, werden wir als Kirche immer weniger wahrgenommen werden und verstoßen gegen unsere Sendung für die Welt. Wir müssen das Wort "Mission" theologisch neu füllen: sie ist ein Mitleben der Sendung Jesu für unsere Welt.

 

Der Aufruf des Papstes

In seinem Nachsynodalen Schreiben ECCLESIA IN EUROPA ruft uns der Heilige Vater eindringlich dazu auf, das "Evangelium der Hoffnung"26 zu verkünden und erinnert uns daran, dass "Evangelisieren ... in der Tat die Gnade und eigentliche Berufung der Kirche, ihre tiefste Identität"27, ist.

 

Beispiele für neue Formen der Mission

Ein Rückzug in die Abgeschlossenheit und Intimität der kleinen Herde, wie ihn so manche anstreben, würde uns in eine Sackgasse führen. "Wir sind nicht nur für die 'Hundertprozentigen' da" – wie es Bischof Joachim Wanke zurecht herausstellte.28 Der Einsatz für den Katechumenat und das Mühen um katechumenale Wege erwachsen aus dem Auftrag der Kirche, wie die City-Pastoral und der diakonische Einsatz an den Rändern der Kirche und Gesellschaft.

Dabei bietet gerade auch der schulische Religionsunterricht eine Chance, die wir viel zu wenig schätzen.

 

Kreise, Gemeinschaften, Bewegungen und Gottesdienstformen mit missionarischer Qualität

Wenn Eugen Biser recht hat, dass wir eine "glaubensgeschichtliche Wende" erleben, brauchen wir gerade heute Räume und Orte, Gruppen und Kreise, Gemeinschaften und Bewegungen, sowie auch Formen des Gottesdienstes, die zur persönlichen Glaubenserfahrung, zum Austausch über den Glauben und zu gegenseitiger Bestärkung führen ("Inseln der Spiritualität"). Es wird mehr und mehr auf Personen, Gruppen und Kreise ankommen, die den Glauben anderer mittragen, an deren Glaubenserfahrung andere teilhaben, an deren Glauben andere "mitglauben".

 

Katechumenat

Ebenso denke ich an gezielte Maßnahmen der Evangelisierung ("Wege erwachsenen Glaubens"), an den Ausbau des Katechumenats oder die geistliche Begleitung Einzelner.

 

Fazit

Wie Einatmen und Ausatmen unterscheidbar sind und doch zusammen gehören, gibt es auch einen inneren Zusammenhang zwischen Sammlung und Sendung. Communio und missio sind zwei Richtungen der gleichen Bewegung, sie stehen zueinander in Spannung und bedingen sich zugleich. Die Spannweite von Sammlung und Sendung kann jedoch zur fruchtbaren Herausforderung werden.

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3.3.4 Kirche als Netzwerk begreifen

Ich bin davon überzeugt, dass uns die Ansätze von Franz-Peter Tebartz-van Elst29 und Michael Hochschild30, die die Kirche als soziales Netzwerk zu beschreiben versuchen, weiterhelfen, da darin beide Notwendigkeiten verankert sind: zum einen, kirchliches Leben am Ort (territorial) zu beheimaten, zum zweiten die Pastoral nach den Lebensbezügen der Menschen auszurichten.

 

Ausbruch aus dem Territorialprinzip

Letztere lassen sich immer weniger auf das Gebiet einer Pfarrei eingrenzen. Dass diese Überlegungen nicht neu sind, zeigt etwa, dass bereits 1981 Franz Xaver Kaufmann konstatiert hat: "Die Zukunft des Christentums hängt in entscheidendem Maß davon ab, in wie weit es gelingt, Glaube nicht nur als bloße Innerlichkeit, sondern als zwischenmenschliche Erfahrung zu ermöglichen, eine Erfahrung in kleinen sozialen Gruppen oder sozialen Netzwerken, weit unterhalb der organisierten Gebilde, welche die Struktur der heutigen Gesellschaft darstellen.

 

Kleine, individuelle Zellen des Glaubens

Solche sozialen Mikro-Umwelten bilden sich heute weit weniger von selbst als früher und müssen bewusst gesucht und geschaffen werden. Ihr Fehlen gefährdet übrigens nicht nur die Tradierung des Christentums, sondern die gesamte Sozialisation der nachwachsenden Generation."31

 

Die Kirche als soziales Netzwerk zu begreifen bedeutet nicht, eine territoriale Struktur durch eine neue, größere zu ersetzen, d.h. etwa nicht mehr von den Pfarreien als untere pastorale Ebene auszugehen, sondern von den Seelsorgeeinheiten. Ein solches Verständnis wäre eine Engführung. Ein soziales Netzwerk sprengt geradezu jede Fixierung auf eine einheitliche territoriale Struktur. Die Kirche als soziales Netzwerk lebt aber zugleich auch davon, dass sie in einer Landschaft

verortet ist und bleibt, dass man sie in gewissem Maße "im Dorf lässt".

 

Beispiele für solche Zellen

Wenn wir so auf der unteren pastoralen Ebene von einem sozialen Netzwerk sprechen, so meinen wir ein Geflecht von Gemeinden, Gruppen, Gemeinschaften oder Initiativen. Dies können Gruppen und Verbände in den Pfarreien sein; ebenso gehören Klöster, geistliche Gemeinschaften oder Bildungshäuser dazu. Hier zeigen sich vielfältige Vernetzungsmöglichkeiten mit caritativen Einrichtungen wie Krankenhäuser, Altenheime, Hospize, Kinder und Jugendheime oder mit dem Caritas-Sozialdienst. Auch Wallfahrtsorte oder Zentralkirchen mit ihren Angeboten sind Teil eines solchen sozialen Netzwerkes. Nicht zuletzt finden darin auch unsere Gemeinden anderer Muttersprachen ihren Platz, deren Präsenz noch mehr zu einer Bereicherung unserer Pastoral werden könnte.

 

Die Verflechtung der Zellen

Beachten wir auch, welche ökumenischen Chancen darin liegen! Entscheidend ist, dass diese Knotenpunkte des Netzes nicht nebeneinander stehen, sondern in Beziehung treten, aufeinander verweisen und selbstverständlich jeweils über sich hinausweisen. Dies ist letztlich eine konkrete Erscheinungsform der kirchlichen "communio", die im klaren Widerspruch zu jeder Tendenz steht, sich als autark und unabhängig zu verstehen.

 

Bleibender territorialer Bezug der Zellen

Auch in einer Pastoral, die vom Strukturprinzip eines sozialen Netzwerks ausgeht, wird es territoriale Bezüge tragende Verortungen geben, weil auch soziale Netzwerke in bestimmten Bereichen etwa eine Organisation benötigen und einzelne Gruppen und Gemeinschaften verortet sein wollen.

Diese territoriale Knoten des Netzes dürfen nicht für sich bleiben; sie sind Teil eines größeren Raumes und dienen ihm. Solche territorialen Knotenpunkte können etwa Pfarreien oder Seelsorgeeinheiten sein, geprägte Orte, Bildungshäuser, d.h. Orte, die die Funktion von "Oasen" oder "Biotope des Glaubens" übernehmen.

 

3.3.5 Sich an den Lebensräumen der Menschen orientieren

Der Weg der Kirche ist der Mensch32 – dieses Wort Papst Johannes Pauls II., mit dem er eine Grundoption des 2. Vatikanischen Konzils aufnimmt, verpflichtet uns, unsere Arbeit auf den Menschen auszurichten.

Dies beinhaltet auch die Option, die Strukturen unserer Arbeit so zu gestalten, dass wir damit die Menschen und ihre jeweilige Lebenswelt erreichen. Ohne dies jetzt nochmals im Einzelnen darlegen zu müssen, bin ich sicher, Ihre Zustimmung zu erhalten, wenn ich feststelle: Die herkömmliche Pfarrei entspricht in den meisten Fällen für sich allein nicht mehr den Sozial- und Lebensräumen der Menschen. Selbst, was wir meist als "ideale" Pfarrei ansehen, die geschlossene Gemeinde mit 2500 bis 3000 Katholiken, erweist sich nach Michael Hochschild in der Regel als eng, wenig innovativ und wenig missionarisch.

 

Die Problematik der Pfarrei- und Gemeindefixierung

Die notwendige Schwerpunktsetzung unserer Arbeit bedingt, dass wir uns von einer starren Pfarrei- oder Gemeindefixierung lösen. Wie problematisch heute das einseitige Festhalten an der Pfarrei als primärer Bezugsgröße ist, hat nicht zuletzt der Freiburger Religionssoziologe Michael N. Ebertz mehrfach aufgezeigt. Aus seinen zahlreichen Veröffentlichungen zu diesem Thema möchte ich exemplarisch eine zitieren, die – zugegeben – eine gewisse Bissigkeit und Süffisanz aufweist:

 

"Das Problem ... ist das Ungenügen des Pfarreiprinzips im Verhältnis zum modernen Leben: Mit dem vorwiegenden Festhalten daran riskiert die Kirche heute, nur noch wohnraumorientiert, wenn nicht 'schlafraumorientiert' beziehungsweise an den Minderheiten derjenigen ausgerichtet zu sein, deren Lebensraum weitgehend im Wohnraum aufgeht oder dort einen Schwerpunkt hat."33

 

Unter dem Aspekt notwendiger Veränderungen pastoraler Räume könnte man formulieren: es gilt, als Kirche "in der (Lebens-)Landschaft verortet" zu sein.

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3.3.6 Seelsorgeeinheiten weiterentwickeln

Die Entwicklung des Konzepts der Seelsorgeeinheiten, der damit verbundene Prozess der Entscheidungsfindung sowie insbesondere die ersten Schritte zur Umsetzung der Konzeption in den Pfarreien zeigen, dass hier ein Lebensnerv unserer Kirche angesprochen wurde. Kaum eine Pastoralkonzeption hat die Menschen vor Ort bisher in der Breite derart beschäftigt wie die Bildung von Seelsorgeeinheiten.

Bei der Beurteilung der Seelsorgeeinheiten prallen in gewisser Hinsicht zwei Welten aufeinander. Auf der einen Seite stehen diejenigen, für die die überschaubare und in sich abgeschlossene Pfarrei weiterhin die absolute und bewährte Bezugsgröße ist, in der sie ihr "Kirche-Sein" leben wollen, auch wenn sie merken, dass vieles nicht mehr so ist wie früher.

Auf der anderen Seite finden sich Menschen, die zunehmend mehr erkennen, dass die Pfarrei in ihrer bisherigen Gestalt in unserer heutigen Zeit an ihre Grenzen gekommen ist und der Lebenswirklichkeit der Menschen in vieler Hinsicht nicht mehr gerecht wird.

 

Die Bildung der Seelsorgeeinheiten als Diözesaner Fortschritt

Im Grunde genommen ist die Bildung von Seelsorgeeinheiten ein erster Schritt einer diözesanen Schwerpunktsetzung, der bisher jedoch vor allem die Struktur als solche erfasst hat. Die Seelsorgeeinheiten wollen die Pfarreien nicht ersetzen, sondern sie weiterentwickeln.

 

Durch die Anweisung der Priester und der hauptberuflichen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Seelsorgeeinheit (und nicht mehr auf die Pfarrei) wurde eine wesentliche Grundlage gelegt. Dabei

ist es selbstverständlich, dass die damit verbundenen Konsequenzen nach und nach in den Pfarreien umgesetzt werden müssen.

 

Seelsorgeeinheiten verlangen eine andere Arbeitsweise

Der diözesane Prozess der Schwerpunktbildung wird vor allem die Arbeit in unseren Seelsorgeeinheiten betreffen. Hier sollte eine angemessene Gewichtung kategorialer Bereiche erfolgen, ohne deren Impulse viele Pfarrgemeinden oft schnell "hausbacken" und hilflos wären.

Die sich verschärfende Personalentwicklung, von der ich eingangs sprach, wird hier zu einem zusätzlichen Druck führen. Es wäre ein Trugschluss zu glauben, wir könnten in den Seelsorgeeinheiten die Arbeit so weiterführen wie bisher in den einzelnen Pfarreien. Dies würde zu einer Überforderung aller Beteiligten führen und zudem der geänderten kirchlichen, sozialen und gesellschaftlichen Situation nicht gerecht werden.

 

3.3.7 Entlastung der Gemeindepastoral

Was heißt dies nun konkret für unsere Gemeinden – gerade auch im Blick auf die angesagte Schwerpunktbildung?

 

Gefahr der Überlastung durch die Seelsorgeeinheit

Die Kirche als soziales Netzwerk zu begreifen, kann uns von der Last befreien, überall allen alles anbieten zu müssen. Gerade darin besteht derzeit das Grundproblem unserer Seelsorge, das zur Überlastung vieler führt. Eine Gemeinde, die meint, sie müsse jeden der drei kirchlichen Grunddienste bis ins Kleinste ausfächern und entsprechende Angebote machen, überfordert sich!

Nicht jede Gemeinde kann und muss eine offene und verbandliche Jugendarbeit haben; nicht jede Gemeinde kann und muss eigens gestaltete Gottesdienste für Jugendliche, Familien, Männer, Frauen, Senioren anbieten; nicht jede Gemeinde kann und muss die Familienkatechese als Erstkommunionkatechese anbieten; nicht in jeder Gemeinde kann und muss ein Bildungswerk eingerichtet werden; nicht jede Gemeinde kann und muss einen Besuchsdienst für aus der Kirche Ausgetretene aufbauen – die Liste ließe sich noch um einiges weiterführen.

 

Es wird auch in Zukunft eine gewisse Grundversorgung geben, und dies flächendeckend. Wir werden uns bemühen, den Menschen die Möglichkeit zu geben, in erreichbarer Nähe sonntags die Eucharistie zu feiern. Wir werden das Sakrament der Taufe spenden, wenn dies von den Eltern oder den Bewerbern gewünscht wird. Wir werden Kinder und Jugendliche zum Empfang der Sakramente der Eucharistie, der Firmung und der Versöhnung führen. Mit Paaren, die eine kirchliche Trauung wünschen, werden wir ihre Hochzeit feiern. Auch den Dienst des Begräbnisses werden wir selbstverständlich wahrnehmen. Grundversorgung heißt jedoch: in einem normalen, nicht übertriebenen Maß.

Was an volkskirchlichen Elementen und Strukturen lebendig ist, die Erwartungen unserer Gemeindemitglieder nach der Grundversorgung bilden zugleich eine Chance, einen Anknüpfungs- und Ausgangs-punkt, um mit Menschen in Kontakt zu kommen und Menschen anzusprechen für einen engagierteren Weg des Glaubens und eine bewusstere Bindung an das Evangelium.

 

Keineswegs können wir uns allerdings bei der Definition dessen, was Grundversorgung beinhaltet, ausschließlich nach den Erwartungen der Menschen oder der bisherigen pastoralen Praxis richten. Die Festlegung der Grundversorgung ("Normalitäten") muss uns Luft verschaffen, spezielle Angebote, die sich nach unseren Zielen ausrichten, machen zu können.

 

Konsequenzen für die Priesterausbildung

In diesem Sinne verstehe ich es auch, wenn die Deutsche Regentenkonferenz im Jahr 2003 in ihrer mit "Mut zur Communio" überschriebenen Option formuliert: "Damit ändert sich das Bild von Seelsorge: weg vom Bild einer flächendeckenden Seelsorge – hin zu einer Seelsorge unter dem Leitwort von Oasen, die als leuchtende Zeichen des Lebens anziehen und stellvertretend für die Umgebung die Quellen lebendigen Wassers hüten."34 Wir müssen uns fragen, ob und wie weit

dieses für die Priesterausbildung formulierte Ziel auch das Ziel unserer Pastoral ist, und was es bedeutet, wenn unsere künftigen Priester daraufhin ausgebildet werden.

 

Entlastung führt zur Möglichkeit, sich an Charismen zu orientieren

Es ist kein Geheimnis, dass die Berufszufriedenheit unter den Priestern und den hauptberuflichen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern derzeit belastet ist. Viele erfüllt es mit Unmut, derart mit dem "Alltagsgeschäft" belegt zu sein, dass sie nach ihrer Meinung ihre Talente und Charismen nicht in die Arbeit einbringen können. Wenn es uns gelingt, zu einer verantwortbaren Grundversorgung zurückzukommen, die uns den Freiraum für spezifische Initiativen gibt, wird es auch möglich sein, unsere Hauptberuflichen stärker "gabenorientiert" einzusetzen. Ich sehe hierin auch einen Beitrag, die Attraktivität der einzelnen Berufe zu erhöhen.

 

Dabei geht es keineswegs darum, den Einzelnen eine "Nische" zu eröffnen, in der sie sich ohne Rückbindung an das, was ihre Aufgabe von ihnen erfordert, selbst verwirklichen können. Vielmehr müssen wir uns verstärkt der Frage stellen, wie die Charismen der Einzelnen für die gemeinsamen Ziele fruchtbar gemacht werden können.

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Ausblick

Ich kennzeichnete die Situation der Kirche eingangs mit dem abgewandelten Wort: "Das einzig Beständige (an ihr) ist der Wandel". Dies wird von vielen als beängstigend erlebt, weil Wandel im Gegensatz zu Beständigkeit steht. Beständigkeit heißt aber auch oftmals Stillstand.

Die moderne Wissenschaft zeigt uns, das gerade in einer Umbruchsituation die Chance der Veränderung bzw. der Fortentwicklung liegt, wenn es gelingt, die Energien, die sich in der Umbruchsituation zeigen, zu nutzen.35 Wir dürfen uns als Kirche nicht scheuen, uns diese Erkenntnisse zu eigen zu machen. Es geht mir heute noch nicht darum, Richtlinien zu geben oder gar Anordnungen zu verkünden.

 

Ich möchte einen Gesprächs- und Konsultationsprozess anstoßen. Es ist mir ein Anliegen, dass wir uns auf breiter Ebene in unserer Erzdiözese der Frage stellen, wie wir unsere Pastoral neu auf unsere Ziele ausrichten können, um damit gemeinsam eine Antwort auf die veränderte kirchliche wie gesellschaftliche Situation zu geben. Erste Antworten erwarte ich von unserem heutigen Studientag.

 

Es ist vorgesehen, dass wir uns in den Arbeitskreisen über unsere Optionen und Ziele austauschen und miteinander überlegen, welche Schwerpunkte anstehen. Im kommenden Jahr wollen wir dies in regionalen Studientagen der Dekane fortführen. In den nächsten Wochen und Monaten werde ich auch den Priesterrat, den Diözesanpastoralrat, den Diözesanrat der Katholiken sowie die Verantwortlichen im Erzbischöflichen Seelsorgeamt und im Institut für Pastorale Bildung über die heute Anwesenden hinaus in die Beratungen einbeziehen, denn alle, die in unserer Erzdiözese eine besondere Verantwortung tragen und bei der Fortentwicklung der diözesanen Pastoral mitwirken, sollen am Beratungsund Entscheidungsprozess so weit als möglich beteiligt werden. Hierzu gehören auch die Berufsverbände der Pastoralreferenten/Pastoralreferentinnen und der Gemeindereferenten/Gemeindereferentinnen, die Vertretung der Ständigen Diakone sowie die Verantwortlichen des Diözesan-Caritasverbandes. Nicht zuletzt erhoffe und wünsche ich mir, dass sich auch möglichst viele der Verantwortlichen in Pfarreien und Seelsorgeeinheiten sowie in den Verbänden und Ordensgemeinschaften in diesen Prozess der Pastoralentwicklung einbinden lassen, so dass wir in Zusammenwirken vieler und als Gemeinschaft des Glaubens schließlich Leitlinien für unsere künftige Arbeit erstellen.

 

Abschließend möchte ich Herrn Weihbischof Paul Wehrle zitieren, der in seinem Referat bei der Dekanekonferenz im März auf folgenden entscheidenden Aspekt hinwies: "Der tatsächliche Rückbau, der uns in mancher Hinsicht aufgegeben sein wird, darf nicht mit einer Negativstimmung belastet werden, sondern gewinnt seine Kraft zum Handeln aus dem Argument und der Einsicht von der positiv bejahten Schwerpunkt- und Zielsetzung her. Dies bringt in die Pastoral eine positive, unternehmerische Stimmung (gegenüber einer immer wieder anzutreffenden pessimistischen Mentalität)."

 

Wir haben uns unsere Gegenwart und die derzeitige Situation nicht gesucht. Gott hat uns in diese Zeit hinein gestellt. Er hat auch etwas damit vor. Uns kommt es zu, aktiv, offensiv und mit unternehmerischem Eros am Aufbau des Reiches Gottes mitzuwirken. Die Bereitschaft und Kraft dazu wünsche ich uns allen.

 

Erzbischof Dr. Robert Zollitsch

1. Oktober 2003

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So. Das ist alles, mehr gibt's heute nicht :P:blink::blink:

 

Im Ernst: furchtbar lang. Aber es ist wirklich alles lesenswert. Hier gibt es auch keine aufgesetzte kirchliche "Hochsprache", sondern Prosa. Einfach wohltuend, finde ich.

 

Sehr wahrscheinlich habe ich einen "Mecky" gebaut - aber vielleicht kann jemand aus dem Gebirge ein paar Brocken zu einem echten Thread verwerten?

 

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PS: Die zusätzlichen Bindestriche kommen, weil ich es aus Word rüberkopiert habe, ohne vorher die automatische Silbentrennung abzuschalten.

Die Überschriften ohne Ziffern vornedran stammen von mir - der besseren Übersichtlichkeit wegen.

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Hallo Moni!

 

Danke für Deinen pm-Hinweis, dass ich keine Quelle angegeben habe.

 

Ich habe es aus dem Konradsbatt, der freiburger Diözesanzeitung. Es handelt sich um die Ausgabe vom 26. Oktober. Ursprünglich war es ein Vortrag des Erzbischofs.

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Lieber Mecky

 

Gut,dass du den Beitrag auf mehrere Postings verteilt hast.

 

Ich werde mir das morgen in aller Ruhe durchlesen. Jedes Posting einzeln. :blink:

 

lieben Gruss

Moni

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