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neues von der Passion


Erich

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Leitartikel: Reaktionäre Aufgeregtheit

von Guido Heinen

 

Ja, der Film "Die Passion Christi" ist ein Ärgernis - und zwar für alle jene, die feststellen müssen, dass er den über ihn verbreiteten Vorurteilen und Scheindebatten so gar nicht gerecht wird. Selten ist um ein Kinoereignis schon vor dem Start eine solche Wand von Warnungen und Empörung errichtet worden - und selten war die Reaktion der Besucher so diametral entgegengesetzt. Laut Umfragen findet eine Mehrheit der "Passion"-Besucher den Film gut, ein großer Teil will ihn weiterempfehlen. Zu Beginn der Karwoche belegt er Platz drei der deutschen Kinocharts.

 

 

Dabei kann, was sich um diesen Film in der Kulturszene Europas in den letzten Wochen abspielte, wohl nur mit den hysterischen Kino-Debatten der fünfziger Jahre verglichen werden. So, wie damals ultraorthodoxe Christen meinten, in den Kinos die Leinwände vermeintlich unanständiger Filme verhüllen zu müssen, so erhebt sich nun eine Welle wahrlich reaktionärer Aufgeregtheit um die Verfilmung der letzten Stunden im Leben Jesu Christi. Mein Gott, möchte man ausrufen, es ist doch nur ein Film!

 

 

Aber genau da scheint ja das Problem zu liegen: In der Mitte der Freizeitkultur ist der Kern der christlichen Botschaft angekommen. Das scheint nicht sein zu dürfen. An der Gewaltdarstellung kann es nun wirklich nicht liegen: Kein Filmkritiker regt sich auf, wenn in Shakespeare-Verfilmungen stapelweise Knochen krachen, in "1984" Ratten das Gesicht des Delinquenten benagen oder im "Soldat James Ryan" über 21 Minuten hinweg alliierte Soldaten zerschossen werden - in Zeitlupe, Dolby-Surround und Multicolor. Oder muss man sich nun etwa auch erregen, wenn der Scientologe Tom Cruise mit "Der letzte Samurai" einen ebenso beeindruckenden wie bluttriefenden Streifen über eine Konversion zum Bushido dreht?

 

 

Das Erschrecken über die Gewalt in der "Passion Christi" ist heuchlerisch. Was stört, ist nicht die Darstellung, sondern die Präsenz einer Botschaft, die man glaubte erfolgreich aus dem gesellschaftlichen und kulturellen Gedächtnis gelöscht zu haben. Denn auch Gibsons Film schwelgt eben nicht in der Gewalt an sich, sondern bettet sie ein in die Heilsbotschaft und in das Umfeld der Kreuzigung. Das tut weh, sicher. Denn hier leidet nicht der Superstar-Jesus der Siebziger, dessen weich gezeichnetes Leben doch eher ein nettes "Angebot" als eine verstörende Botschaft sein sollte.

 

 

Irritierend ist die Parallelität zwischen dem Heulen und Zähneknirschen der Hohepriester im Hof des Pilatus, als sie die Botschaft des "Menschensohns" hören, und der Reaktion der veröffentlichten Meinung, die sich diesen Film nun anschauen musste. Hier wie dort sucht man durch Skandalisierung eben jene Auseinandersetzung mit Inhalten zu vermeiden, die der eigenen Position der religiösen "correctness" gefährlich werden könnte.

 

 

Eine seltsame Allianz glaubensferner Filmkritiker und filmferner Glaubensverwalter hat sich da gebildet. Vor was haben sie Angst? Dass Gott seinen Sohn für die Sünden der Menschen hingegeben hat, ist Kern des Glaubens von mehr als einer Milliarde Menschen weltweit. Ist also die kommende Karwoche das Problem? Ist die Botschaft, dass Menschen Sünden begehen und in Verantwortung stehen vor Gott, dessen Sohn für diese Sünden gelitten hat - ist diese Botschaft die letzte "No-Go-Area" der Neuzeit? Oder ist es die Tatsache, dass diese Religion aus dem Widerstand gegen das Althergebrachte und Herrschende, aber in Feindesliebe entstand, so dass das Paradoxon des Lebens Christi Grund für Millionen Christen ist, auch heute noch für ihren Glauben Gefahr und Tod auf sich zu nehmen?

 

 

Es mag von allem etwas sein. Der hilflose Reflex mit dem leidlich lustigen, 25 Jahre alten Satirestreifen "Das Leben des Brian" auf eine aktuelle Verfilmung des Lebens Jesu zu reagieren, zeigt jedoch, dass es sich hier nicht um ein großes Missverständnis handelt. Es ist ein Kulturkampf. Es ist der Kulturkampf, der seit der Selbstermächtigung des autonomen Menschen gegen den Glauben geführt wird. Nur dass diesmal von ungewohnter Seite eine erfolgreiche Runde eingeläutet worden ist. Aber so etwas passiert eben schon mal in einer offenen Gesellschaft - auch wenn ihre Feinde sich darob die Kleider zerreißen.

 

 

Artikel erschienen in der Welt am 3. April 2004

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Leitartikel: Reaktionäre Aufgeregtheit

von Guido Heinen

 

Ja, der Film "Die Passion Christi" ist ein Ärgernis - und zwar für alle jene, die feststellen müssen, dass er den über ihn verbreiteten Vorurteilen und Scheindebatten so gar nicht gerecht wird. Selten ist um ein Kinoereignis schon vor dem Start eine solche Wand von Warnungen und Empörung errichtet worden - und selten war die Reaktion der Besucher so diametral entgegengesetzt. Laut Umfragen findet eine Mehrheit der "Passion"-Besucher den Film gut, ein großer Teil will ihn weiterempfehlen. Zu Beginn der Karwoche belegt er Platz drei der deutschen Kinocharts.

 

 

Dabei kann, was sich um diesen Film in der Kulturszene Europas in den letzten Wochen abspielte, wohl nur mit den hysterischen Kino-Debatten der fünfziger Jahre verglichen werden. So, wie damals ultraorthodoxe Christen meinten, in den Kinos die Leinwände vermeintlich unanständiger Filme verhüllen zu müssen, so erhebt sich nun eine Welle wahrlich reaktionärer Aufgeregtheit um die Verfilmung der letzten Stunden im Leben Jesu Christi. Mein Gott, möchte man ausrufen, es ist doch nur ein Film!

 

 

Aber genau da scheint ja das Problem zu liegen: In der Mitte der Freizeitkultur ist der Kern der christlichen Botschaft angekommen. Das scheint nicht sein zu dürfen. An der Gewaltdarstellung kann es nun wirklich nicht liegen: Kein Filmkritiker regt sich auf, wenn in Shakespeare-Verfilmungen stapelweise Knochen krachen, in "1984" Ratten das Gesicht des Delinquenten benagen oder im "Soldat James Ryan" über 21 Minuten hinweg alliierte Soldaten zerschossen werden - in Zeitlupe, Dolby-Surround und Multicolor. Oder muss man sich nun etwa auch erregen, wenn der Scientologe Tom Cruise mit "Der letzte Samurai" einen ebenso beeindruckenden wie bluttriefenden Streifen über eine Konversion zum Bushido dreht?

 

 

Das Erschrecken über die Gewalt in der "Passion Christi" ist heuchlerisch. Was stört, ist nicht die Darstellung, sondern die Präsenz einer Botschaft, die man glaubte erfolgreich aus dem gesellschaftlichen und kulturellen Gedächtnis gelöscht zu haben. Denn auch Gibsons Film schwelgt eben nicht in der Gewalt an sich, sondern bettet sie ein in die Heilsbotschaft und in das Umfeld der Kreuzigung. Das tut weh, sicher. Denn hier leidet nicht der Superstar-Jesus der Siebziger, dessen weich gezeichnetes Leben doch eher ein nettes "Angebot" als eine verstörende Botschaft sein sollte.

 

 

Irritierend ist die Parallelität zwischen dem Heulen und Zähneknirschen der Hohepriester im Hof des Pilatus, als sie die Botschaft des "Menschensohns" hören, und der Reaktion der veröffentlichten Meinung, die sich diesen Film nun anschauen musste. Hier wie dort sucht man durch Skandalisierung eben jene Auseinandersetzung mit Inhalten zu vermeiden, die der eigenen Position der religiösen "correctness" gefährlich werden könnte.

 

 

Eine seltsame Allianz glaubensferner Filmkritiker und filmferner Glaubensverwalter hat sich da gebildet. Vor was haben sie Angst? Dass Gott seinen Sohn für die Sünden der Menschen hingegeben hat, ist Kern des Glaubens von mehr als einer Milliarde Menschen weltweit. Ist also die kommende Karwoche das Problem? Ist die Botschaft, dass Menschen Sünden begehen und in Verantwortung stehen vor Gott, dessen Sohn für diese Sünden gelitten hat - ist diese Botschaft die letzte "No-Go-Area" der Neuzeit? Oder ist es die Tatsache, dass diese Religion aus dem Widerstand gegen das Althergebrachte und Herrschende, aber in Feindesliebe entstand, so dass das Paradoxon des Lebens Christi Grund für Millionen Christen ist, auch heute noch für ihren Glauben Gefahr und Tod auf sich zu nehmen?

 

 

Es mag von allem etwas sein. Der hilflose Reflex mit dem leidlich lustigen, 25 Jahre alten Satirestreifen "Das Leben des Brian" auf eine aktuelle Verfilmung des Lebens Jesu zu reagieren, zeigt jedoch, dass es sich hier nicht um ein großes Missverständnis handelt. Es ist ein Kulturkampf. Es ist der Kulturkampf, der seit der Selbstermächtigung des autonomen Menschen gegen den Glauben geführt wird. Nur dass diesmal von ungewohnter Seite eine erfolgreiche Runde eingeläutet worden ist. Aber so etwas passiert eben schon mal in einer offenen Gesellschaft - auch wenn ihre Feinde sich darob die Kleider zerreißen.

 

 

Artikel erschienen in der Welt am 3. April 2004

Klar - es ist der alte unversöhnliche Kampf zwischen Demut und Hoffahrt, zwischen Dienen und Herrschen, zwischen Gott und Luzifer, der nicht dienen will. Auch zwischen konservativ-aufopferungsvoll und progressiv-auf-seine-Rechte-pochend-das-Frauenpriestertum-fordernd zum Beispiel.

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Mel Gibson soll bei den Dreharbeiten jeden Tag (!) an einer tridentinischen Messe der Petrusbruderschaft teilgenommen haben, teilweise als Ministrant.

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Franciscus non papa
Mel Gibson soll bei den Dreharbeiten jeden Tag (!) an einer tridentinischen Messe der Petrusbruderschaft teilgenommen haben, teilweise als Ministrant.

grins - na dann muss ja wahre kunst entstehen - wirklich???

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