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Die Wallfahrt nach Kevlaar


Flo77

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1.

 

Am Fenster stand die Mutter,

Im Bette lag der Sohn.

"Willst du nicht aufstehn, Wilhelm,

Zu schaun die Prozession?"

 

"Ich bin so krank, o Mutter,

Daß ich nicht hör und seh;

Ich denk an das tote Gretchen,

Da tut das Herz mir weh." -

 

"Steh auf, wir wollen nach Kevlaar,

Nimm Buch und Rosenkranz;

Die Muttergottes heilt dir

Dein krankes Herze ganz."

 

Es flattern die Kirchenfahnen,

Es singt im Kirchenton;

Das ist zu Köllen am Rheine,

Da geht die Prozession.

 

Die Mutter folgt der Menge,

Den Sohn, den führet sie,

Sie singen beide im Chore:

"Gelobt seist du, Marie!"

 

2.

 

Die Muttergottes zu Kevlaar

Trägt heut ihr bestes Kleid;

Heut hat sie viel zu schaffen,

Es kommen viel kranke Leut'.

 

Die kranken Leute bringen

Ihr dar, als Opferspend',

Aus Wachs gebildete Glieder,

Viel wächserne Füß' und Händ'.

 

Und wer eine Wachshand opfert,

Dem heilt an der Hand die Wund';

Und wer einen Wachsfuß opfert,

Dem wird der Fuß gesund.

 

Nach Kevlaar ging mancher auf Krücken,

Der jetzo tanzt auf dem Seil,

Gar mancher spielt jetzt die Bratsche,

Dem dort kein Finger war heil.

 

Die Mutter nahm ein Wachslicht,

Und bildete draus ein Herz.

"Bring das der Muttergottes,

Dann heilt sie deinen Schmerz."

 

Der Sohn nahm seufzend das Wachsherz,

Ging seufzend zum Heiligenbild;

Die Träne quillt aus dem Auge,

Das Wort aus dem Herzen quillt:

 

"Du Hochgebenedeite,

Du reine Gottesmagd,

Du Königin des Himmels,

Dir sei mein Leid geklagt!

 

Ich wohnte mit meiner Mutter

Zu Köllen in der Stadt,

Der Stadt, die viele hundert

Kapellen und Kirchen hat.

 

Und neben uns wohnte Gretchen,

Doch die ist tot jetzund -

Marie, dir bring ich ein Wachsherz,

Heil du meine Herzenswund'.

 

Heil du mein krankes Herze -

Ich will auch spät und früh

Inbrünstiglich beten und singen:

'Gelobt seist du, Marie!'"

 

3.

 

Der kranke Sohn und die Mutter,

Die schliefen im Kämmerlein;

Da kam die Muttergottes

Ganz leise geschritten herein.

 

Sie beugte sich über den Kranken,

Und legte ihre Hand

Ganz leise auf sein Herze,

Und lächelte mild und schwand.

 

Die Mutter schaut alles im Traume,

Und hat noch mehr geschaut;

Sie erwachte aus dem Schlummer,

Die Hunde bellten so laut.

 

Da lag dahingestrecket

Ihr Sohn, und der war tot;

Es spielt auf den bleichen Wangen

Das lichte Morgenrot.

 

Die Mutter faltet die Hände,

Ihr war, sie wußte nicht wie;

Andächtig sang sie leise:

"Gelobt seist du, Marie!"

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Tut mir leid. hab nicht realisiert dass ich in den GG poste.

 

 

Wird nicht wieder vorkommen. :blink:

bearbeitet von Clown99
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Kannte ich bisher noch nicht.

 

Ganz nett. :P

Nett?

 

Da wäre ich auf anhieb nicht drauf gekommen :blink:

 

Ich schwanke noch zwischen todtraurig und unheimlich tröstend ...

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Ich denke, dass dieses Gedicht als Religionskritik gemeint ist, als ätzende Satire auf einen schicksalsergebenen Glauben.

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Ich denke, dass dieses Gedicht als Religionskritik gemeint ist, als ätzende Satire auf einen schicksalsergebenen Glauben.

So weit ich weiß war Heine Jude und Düsseldorfer (für das letztere kann er ja nichts.)

 

Religionskritik geht glaube ich etwas zu weit. Auch wenn der Seitenhieb auf die kath. Volksfrömmigkeit (mit den Wachsbildern) nicht zu übersehen ist.

 

Es geht darum dem kranken Burschen seinen Herzenswunsch zu erfüllen - und die Mutter Gottes tut das auch. Wenn auch anders, als die Mutter des Jungen es sich vielleicht gewünscht hat.

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Heinrich Heine - eigentlich Harry Heine - war zwar jüdischer Herkunft, konvertierte aber 1825 zum evangelischen Glauben und nahm dann den Namen Christian Johann Heinrich an.

 

Hatte er mit diesem Gedicht Spott im Sinn? Immerhin bezeichnete er selbst in seine religionskritischsten Jahren Maria als die "schönste Blume der Poesie" (in "Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland").

 

Aber den "einen Heine" gibt es nicht. Seine Wertungen änderten sich im Laufe der Jahre. Von ihm stammt der bedenkswerte Vorwurf an die Theologie: "Es sind in Deutschland die Theologen, die dem lieben Gott ein Ende machen" - ein Vorwurf, der vielleicht niemals so aktuell war wie heute - und den ich übrigens teile. Ein schwaches Geschlecht, kaum fähig sich klar und eindeutig zu artikulieren.

 

Heine schloß - auch das nicht uninteressant - eine katholische Ehe. Denn daraus erwachsenden Forderungen seitens der Kirche kommentierte er mit den Worten "wer ihre [Anm.: der Kirche] einsegnende Garantie nachsucht, muß sich auch ihren Bedingungen fügen".

 

Seine besondere Verachtung galt jenen, die man heute vielleicht als Kuschelchristen bezeichnen würde, lieber war ihm der wütendste Zelote als "die toleranten Amphibien des Glaubens und des Wissens", die sozusagen weder Fisch, noch Fleisch sind, "Religionsdilettanten, die für die Kirche schwärmen, ohne ihren Dogmen einen strengen Gehorsam zu widmen, die mit den heiligen Symbolen nur liebäugeln, aber keine ernsthafte Ehe eingehen wollen".

 

Ein unbequemer Geist, der sich an allen Ecken und Kanten stieß. Deutschland und die Deutschen liebte er nicht sonderlich - "Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht" - konnte aber dennoch niemals ganz von Deutschland lassen. Deutschland liebte ihn auch nicht. Aber als er dann starb, da machte man einen großen deutschen Dichter aus ihm. Ich glaube, das nennt man Künstlerpech.

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Heinrich Heine - eigentlich Harry Heine - war zwar jüdischer Herkunft, konvertierte aber 1825 zum evangelischen Glauben und nahm dann den Namen Christian Johann Heinrich an.

 

Hatte er mit diesem Gedicht Spott im Sinn? Immerhin bezeichnete er selbst in seine religionskritischsten Jahren Maria als die "schönste Blume der Poesie" (in "Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland").

 

Aber den "einen Heine" gibt es nicht. Seine Wertungen änderten sich im Laufe der Jahre. Von ihm stammt der bedenkswerte Vorwurf an die Theologie: "Es sind in Deutschland die Theologen, die dem lieben Gott ein Ende machen" - ein Vorwurf, der vielleicht niemals so aktuell war wie heute - und den ich übrigens teile. Ein schwaches Geschlecht, kaum fähig sich klar und eindeutig zu artikulieren.

 

Heine schloß - auch das nicht uninteressant - eine katholische Ehe. Denn daraus erwachsenden Forderungen seitens der Kirche kommentierte er mit den Worten "wer ihre [Anm.: der Kirche] einsegnende Garantie nachsucht, muß sich auch ihren Bedingungen fügen".

 

Seine besondere Verachtung galt jenen, die man heute vielleicht als Kuschelchristen bezeichnen würde, lieber war ihm der wütendste Zelote als "die toleranten Amphibien des Glaubens und des Wissens", die sozusagen weder Fisch, noch Fleisch sind, "Religionsdilettanten, die für die Kirche schwärmen, ohne ihren Dogmen einen strengen Gehorsam zu widmen, die mit den heiligen Symbolen nur liebäugeln, aber keine ernsthafte Ehe eingehen wollen".

 

Ein unbequemer Geist, der sich an allen Ecken und Kanten stieß. Deutschland und die Deutschen liebte er nicht sonderlich - "Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht" - konnte aber dennoch niemals ganz von Deutschland lassen. Deutschland liebte ihn auch nicht. Aber als er dann starb, da machte man einen großen deutschen Dichter aus ihm. Ich glaube, das nennt man Künstlerpech.

Dann sag uns 'mal, was das für dieses Gedicht bedeutet

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Dass Flo77' Interpretation so falsch nicht ist.

Wenn ich so falsch nicht liege - wo läge ich denn dann richtig? :blink:

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