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Vertrauensglaube vs. Dogmenglaube


Steffen

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Lieber Soames,

 

"dein Glaube hat dir geholfen" sagt Jesus immer wieder. Ob er damit tatsächlich die Dogmen des Glaubensbekenntnisses meinte. Ich kann mir das beim besten Willen nicht vorstellen.

 

Herzliche Grüße

Martin

 

Ist das Christentum eine Religion des Vertrauens oder eine Religion der Glaubenswahrheiten? Und vor allem: Wenn das Christentum eine Religion des Vertrauens und der Gottesbeziehung ist, wie ist dann das Verhältnis zu den Glaubenswahrheiten? Hat Buber mit dem folgenden Text Recht?

 

aus: http://www.buber.de/de/index.html , elektronische Texte deutsch, Buber und das Christentum

 

Es stehen einander zwei, und letztlich nur zwei, Glaubensweisen gegenüber. [...] Beide lassen sich von schlichten Tatsachen unseres Lebens aus anschaulich machen: die eine von der Tatsache, daß ich zu jemand Vertrauen habe, ohne mein Vertrauen zu ihm hinlänglich "begründen" zu können, die andere von der Tatsache aus, daß ich, ebenfalls ohne es zulänglich begründen zu können, einen Sachverhalt als wahr anerkenne. [...]

 

Die erste der beiden Glaubensweisen hat ihr klassisches Beispiel an der Frühzeit des Glaubensvolkes Israel - einer Glaubensgemeinschaft, die als Volk, eines Volks, das als Glaubensgemeinschaft entstanden ist -, die zweite an der Frühzeit der Christenheit [...]

 

Martin Buber, Zwei Glaubensweisen, S.9ff

Buber hat versucht, eine Antwort darauf zu geben, warum dieser charakteristische Unterschied denn da sei, und er sieht ihn im missionarischen Charakter des Christentum, der nicht das vertrauende Beharren durch alle Widrigkeiten hindurch im Glauben betont, sondern das Annehmen einer bestimmten Heilslehre.

 

Die Christenheit beginnt als Diaspora und Mission. Die Mission bedeutet hier nicht Verbreitung allein, sie ist der Lebensatem der Gemeinschaft, denn sie ermöglicht allerorten die Gemeinde der Gläubigen und damit die Leiblichkeit des neuen Gottesvolks. Aus Jesu Ruf zur Umkehr in die "nahgekommene" Königsherrschaft Gottes hinein ist das Werk der Bekehrung geworden: Bekehrung zum Glauben. Dem erlösungsbedürftigen Menschen der verzweifelnden Stunde wird die Erlösung angeboten, wenn er nur glaubt, daß sie geschehen ist und daß sie so geschehen ist. [...] An den zu Bekehrenden tritt Forderung und Weisung, das zu glaubenm was er nicht in der Kontinuität, sondern nur im Sprung zu glauben vermag.

 

Martin Buber, Zwei Glaubensweisen, S.12f

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Hallo Steffen,

 

mir war gar nicht aufgefallen, dass diese Frage so tief geht. Danke, dass du das Thema aufgegriffen hast. Bei mir stellt sich die Frage irgendwie anders - ist es tatsächlich möglich, sich einfach daran festzuhalten, dass die Erlösung durch Christi Tod und Auferstehung als Fakt angenommen wird?

 

Wo bleibt der tägliche Ringkampf mit dem eigenen Ego-Schweinehund?

Wo ist die Suche nach Gott und sein Erahnen im Leben?

 

Dann hätte vor allen Dingen Jesus unter Glauben etwas anderes verstehen müssen als das, was vermeintlich das Christentum darunter versteht. Denn die Menschen, zu denen er das damals sagte - dein Glaube hat dir geholfen - konnten noch nicht an die Erlösung durch seinen Tod und seine Auferstehung glauben.

 

Herzliche Grüße

Martin

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Hallo Steffen,

 

meine bescheidene Meinung :blink: : Ich denke, dass erst das Vertrauen in Gott in die "Glaubenswahrheiten" hineinführt. Jeder muss sich persönlich aufmachen und prüfen ob die verkündeten Glaubenswahrheiten "tatsächlich" der Wahrheit entsprechen. Der christliche Glaube ist für mich eine persönliche Gottesbeziehung die ich durch Jesus Christus geschenkt bekomme. Erst daraus entstehen Glaubenswahrheiten.

 

gby

 

Bernd

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Hallo Steffen,

 

mir war gar nicht aufgefallen, dass diese Frage so tief geht. Danke, dass du das Thema aufgegriffen hast. Bei mir stellt sich die Frage irgendwie anders - ist es tatsächlich möglich, sich einfach daran festzuhalten, dass die Erlösung durch Christi Tod und Auferstehung als Fakt angenommen wird?

 

Wo bleibt der tägliche Ringkampf mit dem eigenen Ego-Schweinehund?

Wo ist die Suche nach Gott und sein Erahnen im Leben?

 

Dann hätte vor allen Dingen Jesus unter Glauben etwas anderes verstehen müssen als das, was vermeintlich das Christentum darunter versteht. Denn die Menschen, zu denen er das damals sagte - dein Glaube hat dir geholfen - konnten noch nicht an die Erlösung durch seinen Tod und seine Auferstehung glauben.

 

Herzliche Grüße

Martin

Ja, und auch da von mir als die persönlich bewegendste Bibelstelle aufgefaßte Fußwaschung würde zurücktreten.

Für mich bedeuten auch die ganzen Heilungsszenen und Gleichnisse sehr viel.

 

Die Frage ist dann die, wie sich die Auferstehung darauf auswirkt.

Meiner Meinung nach führt sie nicht zu einer Aufhebung, sondern einer Intensivierung.

Aus der Nachfolge, aus dem Leben an der Seite Christi, "mit Christus" wird bei Paulus "in Christus".

 

Für mich ergeibt das insgesamt ein schönes Bild. Es gibt vielleicht immer wieder Zeiten im Leben, in denen man mehr die eine oder andere Seite betont, obwohl das "in" ja auch das "mit" umfaßt, es es also nie ausschließt.

 

Auch dieses "in" ist immer noch Beziehung und nicht Identität, so daß Raum für den Jesus der Gleichnisse und Heilungen bleibt. Das ist vielleicht auch der Grund, warum sich christl. Mystik immer von nichtchristlicher unterschieden wird. Das "in Christus" als Grundlage christl. Mystik scheint einen universalen religionsübergreifenden Raum geistlicher Erfahrung zu eröffnen, doch dann wäre gerade der Jesus, der uns so viel bedeutet, verflüchtigt. Insofern kann "in Christus" in der Tat nur Intensivierung der "biblischen" Erfahrungen sein.

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Ich frage mich das noch aus einem ganz anderen Grund.

Das Verhältnis zwischen Vertrauensglaube und "Dogmenglaube" ist auch für die Ökumene von eminenter Bedeutung.

 

Wenn man davon spricht, daß die Glaubenswahrheiten in einer Hierarchie der Wahrheiten stehen, so kann ein reiner Dogmenglaube hier sehr schwer Prioritäten ausmachen. Dann geht es beim Glauben immer nur um Vollständigkeit. Wie denn auch bestimmen, was alles wichtig ist? Die Reihenfolge wäre dann fast willkürlich. Das Glaubensbekenntnis, klar, die Sakramente, klar....

wenn es aber um die Liebe zu Gott geht, wenn der Glaube in seinem Wesen Beziehung wäre, dann wäre klarer das auch die Sakramente Mittel zum Zweck größerer Gottesinnigkeit, Frömmigkeit o.ä. wären.

Man könnte dann einfacher zu jemandem sagen: Du bist nicht fern vom Reich Gottes.

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Hallo Steffen,

 

meine bescheidene Meinung  :blink: : Ich denke, dass erst das Vertrauen in Gott in die "Glaubenswahrheiten" hineinführt.  Jeder muss sich persönlich aufmachen und prüfen ob die verkündeten Glaubenswahrheiten "tatsächlich" der Wahrheit entsprechen. Der christliche Glaube ist für mich eine persönliche Gottesbeziehung die ich durch Jesus Christus geschenkt bekomme. Erst daraus entstehen Glaubenswahrheiten.

 

gby

 

Bernd

Und andererseits: helfen mir nicht die Dogmen als Marksteine dafür, wer und wie der ist, dem ich vertraue, dabei, dieses Vertrauen zu vertiefen? Helfen mir nicht dogmatische Aussagen über die Erlösung, über die Hingabe Christi, dabei, an Gottes Liebe zu mir zu glauben und auf ihn zu vertrauen?

Dogmen geben das gemeinsame Glaubensfundament der Kirche wieder. Auf diesem Fundament steht auch mein persönlicher Vertrauensglaube. Dieses Fundament zeigt mir, daß mein Gottvertrauen nicht einfach nur meine persönliche Spinnerei ist.

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Vertrauensglaube und Dogmenglaube (dieser Begriff gefällt mir eigentlich nicht sehr gut) sind für mich keine zwei Zugänge, die sich so gegenüberstehen, dass man sich für einen von beiden entscheiden müsste. Im Gegenteil, sie ergänzen sich hervorragend.

 

Schon Jesus Christus verweist immer wieder auf Autoritäten (Mose und die Propheten), deren Gotteserfahrungen in eine Lehre einflossen. Paulus geht dann einen entscheidenden Schritt, indem er Vertrauen und Theologie miteinander zu einer Einheit formt.

 

Der Vertrauensglaube ist unerlässlich. Der "Dogmenglaube" fasst die Erkenntnisse und Offenbarungen von 2000 Jahren Kirche zusammen - es liegt kein Grund vor, von diesem wertvollen Schatz nicht profitieren zu wollen.

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Ich glaube nicht, dass man diese beiden Aspekte so schön nebeneinander stellen kann. Vertrauen ohne Aussagen über den, auf den man vertraut, ist schlechte Hörigkeit. Aussagen über Gott ohne Vertrauen ist intellektuelle Selbstbefriedigung. Wenn nicht beides zusammen kommt, sind die Einzelteile völlig wertlos.

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Es kommt denke ich ziemlich darauf an, wie man Dogma definiert.

 

Ich denke ich gehöre eher zur "Vertrauerfraktion" - Aussagen, die ich als Einschränkung meiner Gottesbeziehung erfahre, können zwar gerne von einem Lehramt getätigt werden, aber da nehme ich mir die Freiheit mich darüber hinweg zusetzen.

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Vertrauensglaube und Dogmenglaube (dieser Begriff gefällt mir eigentlich nicht sehr gut) sind für mich keine zwei Zugänge, die sich so gegenüberstehen, dass man sich für einen von beiden entscheiden müsste. Im Gegenteil, sie ergänzen sich hervorragend.

 

Schon Jesus Christus verweist immer wieder auf Autoritäten (Mose und die Propheten), deren Gotteserfahrungen in eine Lehre einflossen. Paulus geht dann einen entscheidenden Schritt, indem er Vertrauen und Theologie miteinander zu einer Einheit formt.

 

Der Vertrauensglaube ist unerlässlich. Der "Dogmenglaube" fasst die Erkenntnisse und Offenbarungen von 2000 Jahren Kirche zusammen - es liegt kein Grund vor, von diesem wertvollen Schatz nicht profitieren zu wollen.

Seh ich auch so.

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Und andererseits: helfen mir nicht die Dogmen als Marksteine dafür, wer und wie der ist, dem ich vertraue, dabei, dieses Vertrauen zu vertiefen? Helfen mir nicht dogmatische Aussagen über die Erlösung, über die Hingabe Christi, dabei, an Gottes Liebe zu mir zu glauben und auf ihn zu vertrauen?

Dogmen geben das gemeinsame Glaubensfundament der Kirche wieder. Auf diesem Fundament steht auch mein persönlicher Vertrauensglaube. Dieses Fundament zeigt mir, daß mein Gottvertrauen nicht einfach nur meine persönliche Spinnerei ist.

Wenn Dogmen als "Glaubensbezeugungen" verstanden werden, die jeder andere in Freiheit auch persönlich erfahren kann, stimme ich Dir ohne Einschränkung zu.

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Das Christentum ist eigentlich gar keine Religion oder Morallehre, sondern in seinem Wesen eine Person, nämlich Jesus Christus. Die Beziehung zu ihm ist das Allerwichtigste in unserem Glauben, erst daraus sollten Liebe und Respekt gegenüber den hl. Glaubenswahrheiten erwachsen.

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Hallo Steffen,

 

Du fragst nach der Bedeutung der Dogmen auch vor dem Hintergund der Ökumene und des interreligiösen Dialogs. Was ist Wahrheit, wenn man feststellt, dass es in anderen Religionen auch geglücktes Leben und wertvolle spirituelle Dinge gibt?

 

Vielleicht hiflt es, wenn man die Dogmen unterscheidet in solche, die Dinge über die Natur der Welt und des Menschen aussagen, und solche, die den religiösen Weg des Christentums im engeren Sinne beschreiben.

 

Dann würde sich ein Lehrsatz über die Auferstehung grundsätzlich von einem Lehrsatz über die Sakramente unterscheiden: die Lehre von der Auferstehung hat einen Wahrheitsanspruch, der für alle Menschen gilt, und der auch für jeden Menschen individuell überprüfbar sein wird. Es kann nur eine Möglichkeit wahr sein: entweder Auferstehung, oder Reinkarnation, oder zu Nichts werden.

 

Die Lehre über die Sakramente bezieht sich dagegen zunächst einmal nur auf die Christen (vielleicht sogar nur Katholiken). Man muss eine Beziehung zu Jesus gefunden haben, um mit dieser Lehre überhaupt etwas anfangen zu können. Es kann also auch andere spirituelle Wege geben, die ihre eigene Form der Wahrheit haben, ohne dass sie der Wahrheit der kirchlichen Dogmen etwas wegnehmen.

 

Für mich persönlich liegt die Bedeutung der Dogmen darin, dass sie meinen persönlichen Glauben, der natürlich ein Vertrauensglauben ist und auch sein muss, beschützen. Ich darf glauben, dass Jesus in der Eucharistie leibhaftig zugegen ist. Ich muss mich nicht immer rechtfertigen oder mich sogar dafür schämen, dass eine so verrückte Idee einen zentralen Platz in meinem Leben hat. Die Dogmen verdichten die Glaubenserfahrung und Unterstützung von Generationen von Christen.

 

Viele Grüße, Matthias

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