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Die bleibende Bedeutung der Befreiungstheologie


Ralf

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DAS SAKRAMENT DER ARMEN

 

Herr, du treibst mich ständig

hinzugehen und zu verkünden,

daß es notwendig ist, ja dringend,

von deiner Gegenwart im Sakrament

überzugehen

zu deiner anderen Gegenwart,

einer ebenso realen,

im Abendmahl des Armen.

 

Wehe dem, der sich von dir nährt

und dann keine offenen Augen hat,

um dich zu entdecken,

wie du dir im Müll deine Nahrung suchst,

von überall verstoßen,

wie du unter

unmenschlichen Bedingungen

in völliger Unsicherheit lebst.

 

(Bischof Dom Helder Camara )

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Zitat von Martin am 21:35 - 21.Januar.2003

Wie sieht es aus mit Zacharias. Hat er nicht die Hälfte seines Geldes gegeben? Jesu Worte sprachen vom Heil für sein Haus.


Die Heilige Maria Magdalena war immerhin so vermögend, daß sie Jesus unterstützen konnte. Und Josef von Arimathäa war auch kein Bettler.

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Der Trost des Reichen: mir geht's zwar gut, hab Geld wie andere Heu, mein Bauch ist voll, die Börse prall .... aber ach, wie arm bin ich doch in meiner Seele ... so gesehen bin ich ja gar nicht reich ....

 

Nein, wenn Jesus von Arm und Reich spricht, dann sehr konkret. Unangenehm: heute sind wir vergleichsweise reich, während andernorts Menschen verhungern ... eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr ...

 

Ja, Maria Magdalena, Josef von Arimathäa, sie waren nicht unvermögend, aber sie waren bereit um Jesu Willen ihr Geld wegzugeben als wäre es nichts.

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Josef Steininger

Hier passt ein Kommentar von Eduard Nagel vom Liturgischen Institut in Trier in der Zeitschrift "Gottesdienst":

 

gd Auf zwei Minuten

 

Vor einem Jahr am fünften Fastensonntag: Vor Beginn der Sonntagsmesse schmückt ein Messdiener den Ambo mit dem Plakat der Fastenaktion. Das ist respektlos gegenüber Gottes Wort, dessen Ort der Ambo ist, aber man weiß immerhin, womit heute zu rechnen ist. Die Predigt handelt von den misshandelten Kindern und Frauen eines afrikanischen Landes. Sie könnte Wort für Wort auch von jemandem vom Roten Kreuz, von Terre des Hommes oder Unicef gehalten werden. Nicht ein einziges Wort kommt darin vor, das typisch christlich wäre. Dabei hätten die Tageslesungen viel zur Sache hergegeben: Ez 37,12.14: "Ich öffne eure Gräber... Ich hauche euch meinen Geist ein, dann werdet ihr lebendig..." Oder Röm 8,11: "Wenn der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten auferweckt hat, dann wird er ... auch euren sterblichen Leib lebendig machen" und schließlich Joh 11,1-45 die Auferweckung des Lazarus. Von alldem ist hier keine Rede, sondern nur vom unerlösten Leid einer Frau und ihrer Kinder. Natürlich hat die Verantwortung der Christen für Mitmenschen etwas mit ihrem Glauben zu tun, aber ist die materielle Hilfe – die gar nicht groß genug sein kann – das einzige, was wir zu bieten haben? Wenn Kirche im Zusammenhang mit Ungerechtigkeit und größter Not in dieser Welt nichts anderes zu sagen weiß als Rotes Kreuz und THW, wozu brauchen wir sie dann noch? Spenden kann ich auch sonst, das Fernsehen zeigt täglich Bilder größter Not und häufig auch Kontonummern, über die eine Spende einer konkreten Hilfsmaßnahme zugeleitet wird. Ich gehe am Sonntagmorgen nicht in die Kirche, um mir einen eindringlichen Spendenaufruf anzuhören, sondern um unserem Herrn zu begegnen. Das kann durchaus in der Gestalt notleidender Schwestern und Brüder sein, die auch meiner Spende bedürfen, aber von kirchlicher Verkündigung erwarte ich etwas, das über das Vorlesen der Kurzfassung des Tages-Evangeliums hinausgeht. Wer über Glaubensschwund und schrumpfende Teilnehmerzahlen bei Gottesdiensten klagt, sollte sich einmal überlegen, warum Menschen dorthin kommen sollten, wo ihnen nichts anderes geboten wird als – eindrucksvoller – im Fernsehen, meint

Ihr Eduard Nagel

 

(http://www.liturgie.de/publikationen/gd/inhalte/index.htm)

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Danke für den Beitrag Josef

 

lieben Gruß

Erich

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Noch einmal im Original, Altersünder, zur These des Alles oder Nichts. Spannend finde ich jeweils, von wem die Initiative ausgeht, die Fragen, die Suche.

 

Herzliche Grüße

Martin

 

 

Das Evangelium nach Lukas, Kapitel 19

 

Jesus im Haus des Zöllners Zachäus

 

1 Dann kam er nach Jericho und ging durch die Stadt.

2 Dort wohnte ein Mann namens Zachäus; er war der oberste Zollpächter und war sehr reich.

3 Er wollte gern sehen, wer dieser Jesus sei, doch die Menschenmenge versperrte ihm die Sicht; denn er war klein.

4 Darum lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen, der dort vorbeikommen musste.

5 Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und sagte zu ihm: Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.

6 Da stieg er schnell herunter und nahm Jesus freudig bei sich auf.

7 Als die Leute das sahen, empörten sie sich und sagten: Er ist bei einem Sünder eingekehrt.

8 Zachäus aber wandte sich an den Herrn und sagte: Herr, die Hälfte meines Vermögens will ich den Armen geben, und wenn ich von jemand zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück.

9 Da sagte Jesus zu ihm: Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist.

10 Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.

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Zu deinem Kommentar, Josef, passt auch ganz gut die Versuchung Jesu in der Wüste. Mach Brot aus den Steinen! Oder die Reaktion Jesu auf die Wünsche der Menschen nach der Brotvermehrung.

 

Herzliche Grüße

Martin

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Ein Glaube, der sich sozusagen auf die 'Theorie' und den persönlichen Hausgebrauch beschränkt, ist nicht nur unglaubwürdig, er ist auch unfruchtbar. Aus diesem Grunde schuldet die Kirche in besondere Weise den Armen Geschwisterlichkeit, auf jeden Fall aber verbietet sich ein Bündnis mit den Mächtigen gegen die Armen. Das war eine der bleibenden Erkenntnisse der Befreiungstheologie. Das grenzt zumindest zur Hälfte an des Heiligen Franz Intentionen, für den Geld nichts anderes war als Kot.

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Nein, Altersuender, niemand SCHULDET den Armen etwas, so daß etwas abgezahlt werden müßt, oder eine Schuld beglichen wird. Es ist keine Pflicht.

 

Erst wenn wir erkannt haben, daß es eine Freude ist, daß es aus unserem Herzen kommt, wenn wir nicht hadern und ringen müssen, dann sind wir Christen geworden. Dann erst sind wir angekommen.

 

Kein Großtun mit dem was wir tun, kein Stolz, kein Recht haben oder glauben recht zu handeln, kein Verdienst - sondern selbstverständliche Liebe und Geschwisterlichkeit.

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Zitat von Martin am 8:42 - 22.Januar.2003

Nein, Altersuender, niemand SCHULDET den Armen etwas, so daß etwas abgezahlt werden müßt, oder eine Schuld beglichen wird. Es ist keine Pflicht.

Das würde ich so nicht unterschreiben. Schließlich gibt es viele Arme, die durch die Schuld anderer erst einmal arm geworden sind.

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Martin,

 

es gibt so etwas wie strukturelle Sünde. Und imo versündigt sich unsere Gesellschaft in hohem Ausmaß. Einer der Gründe für den demnächst ausbrechenden Krieg gegen den Irak ist  (auch) der Erdölvorrat des Landes. Ich sah bzw. hörte kürzlich in einer Nachrichtensendung einen Erdölexperten, der auf die hohe strategische Bedeutung des Landes in Hinblick auf eine langfristige Sicherung der Erdölversorgung des 'Westens' hinwies. Oder nimm die Pharmakonzerne: bis vor kurzem führten sie Prozesse gegen verschiedene Länder des 'Südens', weil diese Medikamente gegen AIDS herstellten - und dabei Patentrechte verletzte - um sie zu Billigpreisen der eigenen Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Die Pharmakonzerne fühlen sich den Aktionären verpflichtet, dem sog. Shareholdervalue-Prinzip, der Gewinnmaximierung zur Steigerung des Aktienwertes. Pharmaaktien sind in vielen Aktienfonds zur Altervorsorge enthalten. Wir partizipieren damit an dieser Politik: hohe Preise für Medikamente, ohne die Menschen in ärmeren Weltgegenden schlicht verrecken. Es liessen sich viele Beispiele anführen, generell aber glaube ich, dass wir alle hier Mitschuld tragen an dieser strukturellen Sünde. Das ist ein Thema, das mich zunehmend mehr beschäftigt.

 

(Geändert von altersuender um 9:42 - 22.Januar.2003)

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Ich finde es immer interessant, dass bei diesem Thema die finanziell relativ Gutstehenden (also fast alle hier im Lande) sich das immer so zurecht legen, als ob dass das doch nicht so wichtig sei. Leute, ihr redet hier mit vollen Bäuchen (ich übrigens auch). Außerdem bleibt josefs Beitrag den Beleg schuldig, dass nicht ein Wort darin typisch christlich gewesen sei. Was heißt überhaupt "typisch" christlich? Darf es woanders nicht vorkommen?

 

Aus dem KKK:

 

2446 Der hl. Johannes Chrysostomus erinnert an diese Pflicht mit den eindringlichen Worten: „Die Armen nicht an seinen Gütern teilhaben lassen, heißt sie bestehlen und ihnen das Leben nehmen. Nicht unsere Güter haben wir in Besitz, sondern die ihrigen" (Laz. 1,6). „Zuerst muß man den Forderungen der Gerechtigkeit Genüge tun, und man darf nicht als Liebesgabe anbieten, was schon aus Gerechtigkeit geschuldet ist" (AA 8).

 

 

 

„Wenn wir den Armen das unbedingt Nötige geben, machen wir ihnen nicht freigebige persönliche Spenden, sondern geben wir ihnen zurück, was ihnen gehört. Wir erfüllen damit viel eher eine Pflicht der Gerechtigkeit als daß wir damit eine Tat der Nächstenliebe vollziehen" (Gregor d. Gr., past. 3,21).

 

 

Paz y bien,

Ralf

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Ich wiederhole, was ich schon einmal gepostet habe: Es gibt keine in der Praxis funktionierende Struktur ohne strukturelle Sünde.

 

Ralf hat zurecht angemerkt, dass man die Struktur jedoch verbessern kann. Da sollten wir uns mit Sicherheit auch einbringen, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, ABER ... wie schon im Wettbewerb-Thread angemerkt, greift man viel zu kurz, wollte man die Verantwortung für die Armut hauptsächlich in unserer Struktur ausmachen. Wenn Staaten Millionen in die Rüstung investieren, während die Bevölkerung hungert, wenn Kinderarbeit zugelassen wird, wenn bei Arbeitsplätze Schutzmaßnahmen nicht vorhanden sind, wenn 30% Korruption herrscht, Menschen aufgrund ihrer Herkunft ausgegrenzt werden (eine Erfahrung, die man gerade in Mittel- und Südamerika mit den Ureinwohnern macht) usw., dann liegt hier ebenfalls ein Großteil der Verantwortung.

 

Wo hat denn Jesus eine Änderung der Struktur eingefordert? Er hat immer nur den Wandel im Herzen des Einzelnen verlangt. Und von Paulus, der in der Änderung von Strukturen überhaupt keinen Sinn sah, wollen wir gar nicht sprechen. Das Apostelkonzil gibt ihm (und allen) auf den Weg mit, dass man sich um die Armen kümmern soll - und daran herrscht gewiss kein Zweifel.

 

Die ganz, ganz große Gefahr, die ich bei der Betonung der strukturellen Änderung sehe, ist, dass die eigentlich notwendige Änderung des Herzens dahinter zu kurz kommt.

 

Liebe Grüße,

Wolfgang

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Ich möchte - durchaus unter Bezugnahme meiner Anfrage von gestern, die leider ohne Resonanz blieb - eine klaine Lanze für Josef brechen. Er hat ja nicht geschrieben, daß das Helfen unwichtig ist, sondern darauf hingewiesen, daß wir Christen mehr anzubieten als Brot. Das unterscheidet uns in der Tat von allen anderen Menschen guten Willens.

 

Noch mal die Frage: was es nicht eines der Probleme der Befreiungstheologie, daß sie das Brot zu sehr in den Mittelpunkt hat?

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Thomas, nimm's mir nicht übel, aber das klingt sehr nach einer Formulirung eines Menschen, der die Situation nicht kennt, sowohl der Gruppen vor Ort und ihrer Theologie als auch die des Hungers dort. Es geht da nicht um ein auf sich genommenes Martyrium, sondern um Mangelversorgung - wer nicht genug Nährstoffe bekommt, hat auch enorme kognitive Defizite. Man kann so ein Volk bewusst unmündig halten. Der Mensch lebt nicht von Brot allein, aber außer von Nikolaus von Flüe habe ich noch von keinem gehört, der das jahrelang ganz ohne geschaffft hätte. Es darf beim Brot nicht aufhören, keine Frage, aber eins nach dem anderen. Und da fängt es nun einmal mit dem Brot an.

 

Und Wolfgang, Jesus hatte es aber damals weniger mit Leuten zu tun, die absolut nichts zu beißen hatten. Die agrarisch geprägte Gesellschaft konnte schon immer besser überleben, allein schon wegen der Selbstversorgung. Doch selbst in den Evangelien geht der Herr ja nicht gerade zimperlich mit den Reichen um. Und, was ist, wenn Du befürchten musst, vom Land vertrieben zu werden (und man bittet nicht!), weil Du aus Kriegsgründen da gelandet bist, es brach liegt, aber einem Großgrundbesitzer gehört? Was ist, wenn der IWF diktiert, dass die Grundnahrungsmittel um 200% teurer werden müssen? Was ist, wenn Gewerkschafter mit Waffengewalt in den "sweatshops" weltweit bedroht und getötet werden, nur damit wir Nikes kaufen können (wo übrigens Michael Jordan mehr an Werbeeinnahmen verdient als alle Thailänder zusammen, die die Dinger zusammenbauen!). Die spanischen Konquistadoren berichten im 15. Jh. davon, dass es sich bei den Ureinwohnern ja nur um Primitivlinge handeln könne: sie kennen nämlich das Privateigentum nicht!

 

 

Paz y bien,

Ralf

 

 

(Geändert von Ralf um 16:43 - 22.Januar.2003)

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Lieber Ralf,

 

das schaut ja sehr nach unterschiedlichen Betonungen aus. Ein kleiner Blick in den Jakobusbrief kann ja schon lehren, dass es keinen Sinn hat, einem Hungernden schöne Worte mit auf den Weg zu geben.

 

Hast du nicht in deinem Eröffnungsposting, das m.E. ein hervorragender Beitrag war, bereits erwähnt, dass die »Rezeption« der Befreiungstheologie in den betreffenden Ländern und in Europa zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind?

 

Es ist übrigens in dieem Zusammenhang interessant, was die Päpstliche Bibelkommission zur Lektüre der Bibel im Lichte der Befreiungstheologie sagt:

 

 

Der Zugang zur Heiligen Schrift im Umfeld von Befreiung

 

Die Befreiungstheologie ist ein komplexes Phänomen, das man nicht ungehörig vereinfachen darf. Als theologische Bewegung konsolidierte sie sich in den siebziger Jahren. Zusammen mit den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Gegebenheiten der lateinamerikanischen Länder waren es zwei große kirchliche Ereignisse, die sie hervorbrachten: das 2. Vatikanische Konzil mit seinem ausgesprochenen Willen zum aggiornamento und zur Ausrichtung der kirchlichen Seelsorge auf die Bedürfnisse der heutigen Welt; die 2. Vollversammlung des CELAM 1968 in Medellin, die die Lehre des Konzils den Bedürfnissen Lateinamerikas anpaßte. Diese Bewegung hat sich dann in anderen Ländern und Erdteilen verbreitet (Afrika, Asien, farbige Bevölkerung der USA).

 

Es ist schwierig zu sagen, ob es „eine“ Befreiungstheologie gibt und welches ihre Methode ist. Es ist ebenso schwierig, adäquat zu beschreiben, wie sie die Bibel liest und so ihren Beitrag und ihre Grenzen herauszuarbeiten. Man kann sagen, daß es sich nicht um eine besondere Methode handelt. Sie liest die Heilige Schrift von eigenen sozio-kulturellen und politischen Standpunkten aus und bezieht sie auf die konkreten Bedürfnisse des Volkes, das ja in der Bibel Nahrung für seinen Glauben und sein Leben finden soll.

 

Man begnügt sich also nicht mit einer objektivierenden Auslegung des Textes, die sich auf seine Aussage in seinem ursprünglichen Kontext konzentriert. Man sucht vielmehr nach einem Verständnis, das aus der gelebten Situation des Volkes erwächst. Wenn dieses in Unterdrückung lebt, muß es auf die Bibel zurückgreifen, um die Nahrung finden zu können, die es in seinem Ringen und in seinen Hoffnungen unterstützt. Die konkrete Realität darf nicht ignoriert werden, im Gegenteil, sie muß direkt angegangen und durch das Licht des Wortes der Heiligen Schrift erhellt werden. Von diesem Licht her entsteht die authentische christliche Praxis, die durch Gerechtigkeit und Liebe auf eine Wandlung der Gesellschaft hinzielt. Der Glaube findet in der Heiligen Schrift den Ansporn, sich für die integrale Befreiung einzusetzen.

 

Dieser Zugang basiert auf folgenden Grundeinsichten:

 

Gott ist in der Geschichte seines Volkes gegenwärtig, um es zu erlösen. Er ist der Gott der Armen, der weder Unterdrückung noch Ungerechtigkeit duldet.

 

So kann auch die Exegese nicht neutral bleiben, sondern muß wie Gott für die Armen Partei ergreifen und sich im Kampf für die Befreiung der Unterdrückten engagieren.

 

Wer an diesem Kampf teilnimmt, findet in den biblischen Texten einen Sinngehalt, der nur offenbar wird, wenn sie im Kontext wirklicher Solidarität mit den Unterdrückten gelesen werden.

 

Die Gemeinschaft der Armen ist der beste Adressat der Bibel als Wort der Befreiung, denn die Befreiung der Unterdrückten ist ein gemeinschaftlicher Prozeß. Die biblischen Texte sind ja überdies für Gemeinschaften geschrieben worden, und es sind Gemeinschaften, denen die Bibellesung in erster Linie anvertraut ist. Dank der den „Gründungsereignissen“ (Auszug aus Ägypten, Leidensgeschichte und Auferstehung Jesu) innewohnenden Kraft, im Laufe der Geschichte neue Realisierungen hervorzubringen, ist und bleibt das Wort Gottes immer aktuell.

 

Die Befreiungstheologie enthält unbezweifelbar wertvolle Elemente: ein tiefer Sinn für die erlösende Gegenwart Gottes, Betonung der gemeinschaftlichen Dimension des Glaubens, Dringlichkeit einer befreienden Praxis, die in Gerechtigkeit und Liebe wurzelt, eine neue Aneignung der Bibel, die aus dem Wort Gottes Licht und Nahrung für das Volk Gottes inmitten seiner Kämpfe und seiner Hoffnungen schöpft. So ist die volle Aktualität des inspirierten Textes hervorgehoben.

 

Eine solche engagierte Art, die Bibel zu lesen, enthält indes Risiken. Doch da sie an eine Bewegung gebunden ist, die noch ganz im Werden begriffen ist, haben die folgenden Bemerkungen nur vorläufigen Charakter:

 

Diese Weise, die Bibel zu lesen, stützt sich vor allem auf narrative und prophetische Texte, die Unterdrückungssituationen erhellen und eine Praxis inspirieren und so auf eine soziale Veränderung hinorientiert sind. Hier und da kann sie wohl etwas voreingenommen sein und nicht allen Texten der Bibel ihre gleiche Aufmerksamkeit schenken. Die Exegese kann nie ganz neutral sein; sie muß sich jedoch vor Einseitigkeit hüten. Außerdem gehört das soziale und politische Engagement nicht direkt zu den Aufgaben des Exegeten.

 

Theologen und Exegeten mußten sich der Instrumente der Gesellschaftsanalyse bedienen, um die biblische Botschaft im sozio-politischen Kontext zum Tragen zu bringen. Gewisse Strömungen der Befreiungstheologie haben in dieser Perspektive eine Analyse vorgenommen, die von materialistischen Doktrinen inspiriert war. Die Bibel wurde dann in diesem Rahmen gelesen. Dies wirft Fragen auf, namentlich, was das marxistische Prinzip des Klassenkampfs anlangt.

 

Unter dem Druck ungeheurer sozialer Probleme wurde der Akzent eher auf eine irdische Eschatologie gelegt, manchmal auf Kosten der transzedenten endzeitlichen Dimension der Heiligen Schrift.

 

Die sozialen und politischen Veränderungen führen diesen befreiungstheologischen Zugang zur Heiligen Schrift dazu, sich neuen Fragen zu stellen und neue Orientierungen zu suchen. Für seine weitere Entwicklung und seine Fruchtbarkeit in der Kirche wird es entscheidend sein, seine hermeneutischen Voraussetzungen, seine Methoden sowie seine Kohärenz mit dem Glauben und der Tradition der gesamten Kirche zu klären.

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Danke, Peter, für diese Worte. Übrigens obliegt es ja nicht an uns Europäern, primär die Befreiungstheologie in Südamerika zu beurteilen, sondern vielleicht zu überlegen, welche Implikationen sie für Europa haben könnte....

 

Wie sagen die Ureinwohner Brasiliens:

 

Als Ihr (Eroberer) kamt, brachtet Ihr die Bibel und wir hatten das Land.

Jetzt habt Ihr das Land und wir die Bibel...

 

Paz y bien,

Ralf

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Ich hab in unserer Pfarrgemeinde einen Mitbruder unseres (franziskanischen) Pfarrers kennengelernt, Bruder Matthias aus D. am R.

 

Das war Anno 95, im Winter. Von ihm instruiert, haben wir in einer alten Werkhalle eine Notschlafstelle für Obdachlose eingerichtet. Viele aus der Gemeinde haben mitgeholfen. In Schichten haben wir uns die Winternächte um die Ohren gehauen, um die Schlafstelle zu ermöglichen.

 

Das Projekt sollte eigentlich reihum durch Krefelder Gemeinden laufen. Was allerdings genau daraus geworden ist, weiß ich nicht. Es war wohl auch eine Menge Aufwand.

 

Dennoch: Da wächst Gemeinde! Allerdings auch ganz ohne zusätzliche Theologie. (Und ich bin in der Neujahrsnacht gnadenlos im Schach plattgemacht worden.)

 

(Geändert von Echo Romeo um 17:06 - 22.Januar.2003)

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Meinst Du vielleicht Br. Matthäus aus D. am R. (auch wenn der nicht zum Ersten Orden, sondern zum sog. Regulierten Dritten Orden gehört)?

 

Und ich trau' mich gegen manche Brüder von der Straße erst gar nicht im Schach anzutreten...

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Rischtisch, Ralf. Matthäus. So oder so: In D. am R. ist datt »Matthes«.

 

(Geändert von Echo Romeo um 10:49 - 23.Januar.2003)

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Zitat von Ralf am 17:32 - 23.Januar.2003

Ja nun, was könnte denn der Ansatz der Befreiungstheologie für uns hier in Europa bedeuten?


 

Hallo Ralf,

ich ahbe mir lange überlegt, ob ich auf diese Frage antworten soll, weil ich sie für schwierig halte, aber ich versuche es einmal.

Es hat ja bereits Ansätze gegeben, auch in Deutschland Basisgemeinden zu etablieren. Ich habe 'mal vor vielen Jahren ein Buch darüber gelesen und das war wenig ermutigend. Unsere Prägung scheint für diesen Ansatz letztlich zu individuell zu sein.

 

Also versuche ich es 'mal von einer anderen Seite.

Unsee Kirche in Deutschland ist mehr oder weniger eine Kirche des mittleren und unteren Mittelstandes, eher kleinbürgerlich. Unsere Gemeinden haben fein säuberliche Hausordnungen und mehr oder weniger feste Vorstellungen wer dazugehören sollte und wer nicht.

Die arme Unterschicht, die bei uns sicherlich eine ganz andere Prägung hat als in Lateinamerika kommt in dieser Welt bestenfalls als Objekt (oder sagen wir vielleicht besser Subjekt) caritativen Handelns vor - etwa in Form von Kleiderkammern, Suppenküchen, Kinderbetreuung mit Nachhilfe.

Anton Rotzetter (ich hoffe, ich schreibe den Namen richtig) hat einmal gesagt, dass Franziskus in seiner Bekehrung gelernt habe nicht für die Armen sondern mit den Armen, aus ihrer Perspektive, zu leben. Genau dasselbe taten die Befreiungstheologen.

So stellt sich letztlich die Frage, wie begegnen wir den Armen? Kann eine Gemeinde etwa mit ihnen leben? Kann sie die Perspektive der Armen einnehmen und vertreten? Kann sie es ertragen damit das bürgeliche Lager zu verlassen und die Hausordnung umzuschreiben?

 

Viele Grüße,

 

Matthias

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Zitat von Ralf am 16:34 - 22.Januar.2003

 

Und Wolfgang, Jesus hatte es aber damals weniger mit Leuten zu tun, die absolut nichts zu beißen hatten. Die agrarisch geprägte Gesellschaft konnte schon immer besser überleben, allein schon wegen der Selbstversorgung. Doch selbst in den Evangelien geht der Herr ja nicht gerade zimperlich mit den Reichen um. Und, was ist, wenn Du befürchten musst, vom Land vertrieben zu werden (und man bittet nicht!), weil Du aus Kriegsgründen da gelandet bist, es brach liegt, aber einem Großgrundbesitzer gehört? Was ist, wenn der IWF diktiert, dass die Grundnahrungsmittel um 200% teurer werden müssen? Was ist, wenn Gewerkschafter mit Waffengewalt in den "sweatshops" weltweit bedroht und getötet werden, nur damit wir Nikes kaufen können (wo übrigens Michael Jordan mehr an Werbeeinnahmen verdient als alle Thailänder zusammen, die die Dinger zusammenbauen!). Die spanischen Konquistadoren berichten im 15. Jh. davon, dass es sich bei den Ureinwohnern ja nur um Primitivlinge handeln könne: sie kennen nämlich das Privateigentum nicht!

Lieber Ralf,

 

Du hast recht, Jesus ist mit den Reichen nicht zimperlich umgegangen. Er hat aber auch überhaupt niemanden geschont, wie man es von einem Eckstein erwarten darf, auf dem man entweder aufbaut oder an dem man zerschellt. Seine Kritik trifft immer dort, wo mein Herz an etwas anderem mehr hängt als an Ihm bzw. Seiner Liebe, aber das ist - ich kann es nur immer wieder betonen - nicht der Reichtum an sich, sondern etwas, das in unserem Herzen wohnt: Gier, Ehrgeiz, Hartherzigkeit, Egoismus usw.

 

Du hast in Deinen letzten Postings eine Tendenz dazu, dass Du Eigentum (also Reichtum in beliebiger Form, sei es ein Haus, Geld oder sonst etwas) an sich für schädlich hältst, weil es der Armut in der Welt nicht gerecht wird und den Weg zu Gott verstellt. Also die Frage scharf formuliert: Darf ich etwas besitzen, solange es Menschen in Armut gibt, denen ich durch die Teilung meines Besitzes helfen könnte? Oder etwas abgeschwächt: Wie viel Eigentum ist angesichts der Armut vieler Mitmenschen vor dem eigenen Gewissen vertretbar?

 

Nicht, dass ich Dir diese Überzeugung unterstelle, wie gesagt, Deine Postings tendieren nur etwas dahin. In jedem Fall interessiert mich jedoch Deine Antwort auf die Frage.

 

Liebe Grüße,

Wolfgang

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Zitat von Ralf am 16:34 - 22.Januar.2003

 

 

Es darf beim Brot nicht aufhören, keine Frage, aber eins nach dem anderen. Und da fängt es nun einmal mit dem Brot an.

 

 


 

Lieber Ralf, da haben wir, glaube ich, keine Differenzen. Meine Frage bezog sich ja gerade darauf, ob die Betreiungstheologie nicht doch beim Brot aufgehört und die christliche Erlösungsbotschaft auf die Erde reduziert hat.

 

Daß man einen Hungernden erst mal satt macht, bevor man ihm was vom Reich Gottes erzählt, versteht sich von selbst. Bin doch kein Zyniker, Mensch!

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