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Ein ernsthaftes Gespräch über Chancen und Risiken identitätspolitischen Handelns (UMT)


nannyogg57

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Identitätspolitisches Handeln ist die zunächst berechtigte Reaktion auf kulturelle Aneignung.

 

So weit, so gut.

 

In ihrem Buch "Generation beleidigt" setzt sich die feministische Publizistin und Filmemacherin Caroline Fourest mit diesem Thema kritisch auseinander.

 

Die deutsche Übersetzung ist grauenhaft, das Buch trotzdem lesenswert.

 

Insgesamt aber gefällt mir der Gedanke, sich im Themenbereich Identität und Genderproblematik weder ideologisch noch hysterisch noch polemisch zu positionieren, sondern sachlich die Stimme zu erheben und zu argumentieren.

 

In diesem Thread geht es nicht um den Endkampf von Gut und Böse, sondern einfach darum, bei diesem aktuellen Thema im Austausch von Argumenten und Gedanken die eigene Position zu finden oder in Frage zu stellen.

 

In diesem Forum ist derzeit kein ideologischer Vorkämpfer oder eine ideologische Vorkämpferin einer Identitätspolitik amerikanischen Vorbilds unterwegs.

 

Beispiele dieser Art müssen also zitiert werden, sollten aber dann sachlich und nicht sarkastisch betrachtet werden.

 

Tatsächlich geht es im Grunde um die Anerkennung jedes Menschen und jeder Kultur in ihrer Einmaligkeit im Konflikt mit postulierten globalen Normen und einer universalen Identität aller Menschen.

 

Es geht im Weiteren darum, ob Normen relativ sind oder ob es absolute Normen gibt und es geht auch darum, ob allgemeine Normen eine weitere Art der Marginalisierung anderer Kulturen ist.

 

Natürlich berührt das Thema Genderfragen, die Frage nach dem, was Rassismus ist, wer hier wen unterdrückt usw.

 

Wie man feststellen kann, ist der Thread UMT.

 

Das sind die Regeln:

 

1. Nicht toleriert wird, was weder sachlich noch wertvoll für die Nachwelt ist. Das bedeutet: Wenn man schon nicht sachlich sein kann, dann sollte man zumindest so niveauvoll sein, dass die Polemik der Nachwelt erhalten bleiben sollte. Richtschnur: Frauen und Männer im Forum (und Diverse) können es mit hoher Sicherheit für lustig halten, nicht nur die eigene Peergroup.

 

2. Nicht toleriert wird, was in provokanter und unnötiger Weise Wörter verwendet, die nach allgemeinen Dafürhalten derzeit als nicht akzeptabel gelten (nicht nach dem Dafürhalten identitätspolitischen Denkens, das ja den Hang hat, ins Uferlose zu geraten). 

 

3. Nicht toleriert wird, was dem Kontext nach oder an sich eine bewusste sprachliche Provokation ist. Diese geschieht ohne sachlichen Zusammenhang und ohne Not.

 

4. Namensverunglimpfungen werden nicht toleriert. Die Fähigkeit, zwischen beleidigender Wortwahl und Metaphern zu unterscheiden, ist hier hilfreich.

 

5. Beiträge, die nicht zum Thema sind, sich zum Beispiel darin gefallen, die Regeln auszutesten, mögen vielleicht unterhaltsam sein, werden aber als OT versteckt.

 

Dafür halte ich das Thema für viel zu wichtig.

 

Und nun:

 

Ich persönlich halte viele Auswüchse identitätspoltischen Handelns für gefährlich, was die Freiheit der Kunst und der Meinungsäußerung betrifft.

 

Es behindert uns daran, sich mit anderen Kulturen produktiv auseinanderzusetzen und die Menschheit daran, voneinander zu lernen.

 

Andererseits herrscht ein Machtgefälle innerhalb der Menschheit, eine Ungleichheit zwischen den Kulturen und Unsicherheit allerorten über die eigene Identität. Dennoch: Das Anliegen, die Vielfalt menschlicher Identitäten sprachlich zu berücksichtigen, ist IMHO legitim und notwendig. Auch der Vorwurf kultureller Aneignung ist in manchen oder vielen Fällen korrekt.

 

Tatsächlich geht es darum, wo man vernünftig eine Balance findet zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit und dem Recht darauf, nicht beleidigt und herabgesetzt zu werden.

 

Es geht darum, ob eine anthropologische Sicht, die Menschen grundsätzlich nur als Opfer ernst nimmt, zielführend ist, oder die gegenteilige Sichtweise, die Sprache, Kunst und Kultur unter der Norm "Survival of the fittest" stellen will.

 

 

 

 

bearbeitet von nannyogg57
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Hi,

 

Ich verstehe den Begriff „kulturelle Aneignung“ auch nicht. Ich stelle mir darunter eine große Gruppe Chinesen vor, die alle granatenvoll irgendwo auf der Welt ein Oktoberfest (aus meiner Gegend wäre es ein Schützenfest oder Karneval) feiern und in mir drin regt sich nicht das geringste bisschen Groll.

 

Gruss, Martin

bearbeitet von Soulman
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Gerade eben schrieb Soulman:

Hi,

 

mich verstehe den Begriff „kulturelle Aneignung“ auch nicht. Ich stelle mir darunter eine große Gruppe Chinesen vor, die alle granatenvoll irgendwo auf der Welt ein Oktoberfest (in meiner Gegend wäre es ein Schützenfest oder Karneval) feiern und in mir drin regt sich nicht das geringste bisschen Groll.

 

Gruss, Martin

Kulturelle Aneignung funktioniert wahrscheinlich, wie Rassismus, nur in eine Richtung: Alles, was "weisse" Menschen machen, ist per se verwerflich. Andersrum ist das ganz toll. 

 

Was mich zu folgender interessanten Frage bringt... Wie sieht das eigentlich für Migranten aus: Diese sollen sich doch im neuen Heimatland integrieren. Ist das nicht kulturelle Aneignung? Und ist das nicht sogar gewünscht? 

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Ich habe eine Vermutung, aber ich halte mich mal zurück.

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18 hours ago, nannyogg57 said:

1) Ich persönlich halte viele Auswüchse identitätspoltischen Handelns für gefährlich, was die Freiheit der Kunst und der Meinungsäußerung betrifft.

 

2) Es behindert uns daran, sich mit anderen Kulturen produktiv auseinanderzusetzen und die Menschheit daran, voneinander zu lernen.

 

3) Andererseits herrscht ein Machtgefälle innerhalb der Menschheit, eine Ungleichheit zwischen den Kulturen und Unsicherheit allerorten über die eigene Identität. Dennoch: Das Anliegen, die Vielfalt menschlicher Identitäten sprachlich zu berücksichtigen, ist IMHO legitim und notwendig. Auch der Vorwurf kultureller Aneignung ist in manchen oder vielen Fällen korrekt.

 

4) Tatsächlich geht es darum, wo man vernünftig eine Balance findet zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit und dem Recht darauf, nicht beleidigt und herabgesetzt zu werden.

 

5) Es geht darum, ob eine anthropologische Sicht, die Menschen grundsätzlich nur als Opfer ernst nimmt, zielführend ist, oder die gegenteilige Sichtweise, die Sprache, Kunst und Kultur unter der Norm "Survival of the fittest" stellen will.

habs zur besseren Einordnung durchnummeriert.

zu 1) ditto

zu 2) ditto

zu 3) nicht nur sind Kulturen ungleich, einige sind schlichtwegs besser als andere. Kann man messen, etwa mit wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Erfolgen, mit sozialer Stabilität, mit der Richtung in der die Migrationsströme laufen. Und nun werden diese Kulturen die so erfolgreich und anziehend sind, diffamiert als Ausbeuter. Wohin das führt sofern es sich durchsetzt kann ich mir denken.

zu 4) Nein - Meinungsfreiheit war schon viel zu stark eingeschränkt bevor dieser gendergerechte Quatsch aufkam. Ich halte sie für jeden wissenschaftlichen und sozialen Fortschritt für unentbehrlich. Der Trend - sieht man auch hier im Forum - ist jetzt einfach unbeliebte Meinungen zu diffamieren als beleidigend oder hetzerisch und nach Moderation (sprich Zensur) zu schreien. Ausser Drohungen und Hetze die in eine konkrete Drohung hinausläuft sollte mmn alles toleriert werden.

zu 5) die Theorie der Meme behauptet (und belegt mmn ausreichend) dass die Verbreitung von Gedanken, Ideen, Wortschöpfungen und sogar ganzen Sprachen (zz englisch) ähnlich läuft wie die genetische Fortpflanzung - also survival of the fittest/best.

 

4 minutes ago, Soulman said:

Ich verstehe den Begriff „kulturelle Aneignung“ auch nicht. Ich stelle mir darunter eine große Gruppe Chinesen vor, die alle granatenvoll irgendwo auf der Welt ein Oktoberfest (aus meiner Gegend wäre es ein Schützenfest oder Karneval) feiern und in mir drin regt sich nicht das geringste bisschen Groll.

Das Ergebnis kleinkarierter Denke. Ich wurde in eine Kultur hineingeboren, wuchs in 2 anderen auf und lebe jetzt in einer vierten. Wie ist das jetzt wenn ich an ein Oktoberfest gehe? Kann kein Mensch beantworten.

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4 minutes ago, rince said:

Was mich zu folgender interessanten Frage bringt... Wie sieht das eigentlich für Migranten aus: Diese sollen sich doch im neuen Heimatland integrieren. Ist das nicht kulturelle Aneignung? Und ist das nicht sogar gewünscht? 

Eben nicht gewünscht wenn ich einige Politikeraussagen aus DE richtig verstanden habe.

"Wir müssen täglich das zusammenleben neu aushandeln"

Interessiert mich nur peripherär und betrifft mich ja auch nicht. Du hingegen solltest arabisch lernen vermute ich mal.

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vor 2 Minuten schrieb phyllis:

Kann kein Mensch beantworten.

Die Frage ist ja, muss das jemand beantworten?

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1 minute ago, Soulman said:
4 minutes ago, phyllis said:

Kann kein Mensch beantworten.

Die Frage ist ja, muss das jemand beantworten?

Wer den Vorwurf erhebt sollte ihn an Beispielen belegen können.

Aber in dem Fall ist es wohl eh wurscht da dies bestenfalls an Gender- und kultur-emanzipatorischen Besserfühl-Seminaren zur Sprache kommen wird.

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Ich schließe mich der Frage an:

Was ist „kulturelle Aneignung“?

Wenn ein Europäer Reggae-Musik macht?

wenn ein Japaner die Wiener Philharmoniker dirigiert?

Wenn sich ein Kind als Indianer verkleidet?

Wenn ein Afrikaner Anzug und Krawatte trägt?

Wenn ein Hetero einen Schwulen spielt?

Wenn Patrick Swayze den Frauenheld spielt?

Was genau soll das eigentlich sein, gibt es da eine Definition?

 

Werner

 

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vor 19 Stunden schrieb nannyogg57:

Tatsächlich geht es darum, wo man vernünftig eine Balance findet zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit und dem Recht darauf, nicht beleidigt und herabgesetzt zu werden.

 

 

Da  müsste nun zuerst klar definiert werden, wann der Tatbestand der Beleidigung bzw. Herabsetzung erfüllt ist.

Ist es herabsetzend und beleidigend, wenn von den Sternsingern der dritte klassisch das Gesicht geschwärzt bekommt?

 

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vor 19 Stunden schrieb nannyogg57:

 

Tatsächlich geht es darum, wo man vernünftig eine Balance findet zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit und dem Recht darauf, nicht beleidigt und herabgesetzt zu werden.

 

 

 

 

Das halte ich - generell gesprochen - für schlicht unmöglich. Ich halte die Forderung an den Einzelnen, andere nicht bewusst zu beleidigen, für richtig und wichtig. Allerdings weiß ich umgekehrt auch, wie tief die Verletzungen sitzen: Man kann nicht über Israel und Palästina so sprechen, dass man ausschließt, Juden bzw. Israelis oder palästinensische Araber zu beleidigen. 

Man kann gerade international kaum verhindern, dass Zeichen und Gesten missverstanden werden. Es gibt Kulturen, in denen das Victory-Zeichen unserem Stinkefinger entspricht. 

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Das Victory Zeichen ist als Stinkefinger entstanden. So haben die englischen Bogenschützen ihre Hochachtung den Franzosen entgegengebracht, die ihnen gerne die beiden Finger abgeschlagen haben.

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Ich bin ehrlich gesagt auch etwas irritiert über die Ausgangsthese.

 

Identitäre Agitation hatte ich weniger als Reaktion auf "kulturelle Aneignung" sondern vielmehr durch "kulturelle Übergriffigkeit" verstanden.

 

Der Unterschied besteht meiner Meinung darin, daß in der "Aneignung" eine Übernahme kultureller Elemente in eine andere Kultur erfolgen während bei der Übergriffigkeit Wertungen, Benachteiligungen u.ä. inkludiert sind.

 

Die Übernahme von Pizza, Curry und Döner in den Speiseplan halte ich für nicht ausreichend um einen "kulturellen Übergriff" zu konstatieren. Auch nicht, wenn man einen Tscholent mit Rindfleisch und Sahne zubereitet und die orthodoxe Hausfrau aus Meashearim darauf pochen muss, daß das nach ihren Maßstäben KEIN Tscholent ist. Oder zumindest kein essbarer.

 

Noch weniger sehe ich den Tatbestand der kulturellen Übergriffigkeit bei der Übernahme von Mode bzw. modischen Elementen.

Das mag nicht immer vorteilhaft sein (siehe die Leggingsmode der 80/90er oder die berüchtigten Haremshosen), aber ob damit das Merkmal des Lächerlichmachens oder der Abwertung erfüllt ist, sehe ich so erstmal nicht.

Das gilt übrigens auch für die Kostümierung im Rahmen des Karnevals/Faschings.

Hier ist das Rollenspiel in der Regel ein Spiel dessen subversive Hintergedanken erst in der satirischen Show bzw. im Rahmen einer entsprechenden Sitzung deutlich werden bzw. überhaupt erst zum Ausdruck kommen.

 

An dieser Stelle sehe ich dann allerdings die Kunstfreiheit vorrangig sofern es sich nicht um eine politische Agitation handelt, die geeignet ist dem Ziel der karnvalistischen Attacke über kurz oder lang zu schaden.

 

Problematisch sehe ich die Übernahme religiöser Bräuche in Form der Kopie.

Ein Sedermahl nach jüdischen Regeln zu halten ohne die Leitung in den Händen eines jüdischen Gastgebers zu legen und den Ritus in einen fremden Kontext stellen zu wollen (z.B. den Gründonnerstag) ist nach meinem Verständnis unangemessen.

Es wohlmöglich nur Nachspielen zu wollen - ohne dabei ein edukatives Konzept zu haben und zu befolgen - finde ich persönlich geschmacklos.

 

Allerdings gilt hoffentlich immer noch: in Privatim kann es meiner Meinung nach ohnehin keine Einschränkungen geben (dürfen) und in Publico (wobei das ein sehr dehnbarer Begriff) blieben die Art und Weise der Inszenierung und sorry to say die Reichweite wohl die Messlatten an denen sich zeigt, ob eine solche angemessen sein könnte.

 

Der Bau einer Ofrenda zu Allerheiligen z.B. ist natürlich ein Akt der kulturellen Aneignung mit dem ich mich zunächst durchaus schwer getan habe.

Weniger wegen des Aufbaus an sich - dafür gibt es jede Menge Anleitungen im Netz und auch von vielen Seiten Ermunterungen von "Natives" es auszuprobieren - sondern weil ich eben keine billige Kopie haben wollte.

Ich habe also das Konzept genommen und an unsere Möglichkeiten, Bedürfnisse und nicht zuletzt religiösen Vorstellungen angepasst.

 

Ob ich damit dem Konzept "Gewalt" angetan habe, sprich die mexikanische Kultur "missbraucht" oder "beleidigt" habe, kann ich nicht sagen und wird vermutlich so unklar ausgehen wie die Frage nach der Bezeichnung "Zigeuner" unter den Sinti, Roma und Jenischen in Köln: die einen sagen so, die anderen so und am Ende sind sich alle uneins.

 

Allerdings: meine Ofrenda steht in meiner Wohnung für meine Familie. Mit welchem Recht will mir jemand in diesem Raum Vorschriften machen?

 

Aber wie gesagt, das erscheint mir mit "Kultureller Aneignung" im Zusammenhang mit dem Identätsphänomen eher wenig zu tun zu haben.

 

vor 21 Stunden schrieb nannyogg57:

Tatsächlich geht es im Grunde um die Anerkennung jedes Menschen und jeder Kultur in ihrer Einmaligkeit im Konflikt mit postulierten globalen Normen und einer universalen Identität aller Menschen.

 

Es geht im Weiteren darum, ob Normen relativ sind oder ob es absolute Normen gibt und es geht auch darum, ob allgemeine Normen eine weitere Art der Marginalisierung anderer Kulturen ist.

Was die Kultur angeht, sehe ich ein grundlegendes Probem der Unvereinbarkeit.

 

Die "universale Identität aller Menschen" erscheint mir ein sehr theoretisches Konstrukt zu sein, da die reale Identät jedes Menschen erstmal abhängig von seinem kulturellen Rahmen ist, wie auch umgekehrt die Kultur von den Menschen die sie pflegen.

Ich würde das gar nicht so verkomplizieren wollen, wenn man feststellt, daß jede kulturelle Gemeinschaft (wobei Kultur in diesem Zusammenhang zunächst Sprache, Mythik, Ritual und Norm umfasst) darauf basiert, daß sie sich gegen andere Kulturen mehr oder weniger scharf abgrenzt.

 

Die Anerkennung "ihrer Einmaligkeit im Konflikt mit postulierten globalen Normen" erscheint mir daher der entscheidendere Punkt zu sein: es gibt unstrittig verschiedene Kulturen und Lebensformen.

 

Ich denke das große Konfliktfeld, das hier skizziert wird, beruht auf der Idee, daß diese Kulturen alle gleichberechtigt und gleichwertig sein müssen und vorallem ineinander existieren können sollen. Mit "ineinander" meine ich innerhalb eines Staatswesens oder gleichfunktionaler Organisationsform.

Der Grad bis zu dem das möglich ist, hängt dann doch SEHR von den verbleibenden Gemeinsamkeiten ab.

 

Ob man nun Karfreitag Mist fährt oder Fronleichnam ist eine Geschmacksfrage, kann aber nebeneinander existieren, wenn beide Bauern die gleiche Sprache sprechen und das gleiche Gesetzbuch befolgen (ich hoffe das Bild ist klar).

Wenn aber einer der Bauern darauf besteht, daß die Frau des anderen nur noch an Dienstagen Wäsche aufhängen darf - und das wohlmöglich noch durch einen Richter durchsetzen will, wird es nach meiner Einschätzung schwierig.

 

An dieser Stelle muss man sich die Frage stellen, wie abhängig ein Staatswesen (oder eine gleichfunktionale Organisationsform) von den Kulturen der ihm unterstellten/anvertrauten/however Bevölkerung ist und wie seine Funktionalität gewährleistet ist.

 

Gut, das setzt auch voraus, daß man sich über die Funktionsweise eines Staatswesens (oder eine gleichfunktionalen Organisationsform) überhaupt einig ist - was wiederum eine Kulturfrage ist.

 

Aber am Ende bleibt natürlich die Frage wie weit muss sich ein kulturelle Gemeinschaft sich gegenüber einer anderen nachrangig stellen lassen müssen bzw. in wie weit eine kulturelle Gemeinschaft die Hegemonie innerhalb eines Staatswesens (oder einer gleichfunktionalen Organisationsform) für sich beanspruchen und natürlich auch verteidigen darf bzw. muss um besagtes Staatswesen (oder eine gleichfunktionale Organisationsform) funktional aufrecht zu erhalten.

 

Vor diesem Hintergrund schließt sich für mich dann auch der Kreis zu den identitären Kleingruppen im "i'm offended"-Milieu.

 

Ein Staatswesen (bzw. eine gleichfunktionale Organisationsform) hat bestimmte Aufgaben zu erfüllen. I

m Sinne meines Hangs zum Subsidiaritätsprinzip idealerweise die Aufgaben, die ich nicht alleine, im Familienverbund, in der Nachbarschaft, in Vereinen und Vereinigungen oder in meinem landschaftlich-kulturellen Bezugsraum lösen kann.

 

Auch für diese Kleingruppen gilt wie für größere kulturelle Gemeinschaften die Frage, wieviel Individualität kann das System erlauben ohne dyfunktional zu werden.

Und wenn ich mir die Genderdebatte ansehe werden wir gerade dysfunktional, da uns die gemeinsame Sprache verloren geht. Von den gemeinsamen Narrativen (oben Mythiken) mal ganz abgesehen.

 

Das ideale Staatswesen gibt es natürlich nicht.

 

Die Balance zwischen persönlicher Freiheit und staatlicher Funktionsausübung ist vielleicht ein Gradmesser, der ein gutes Staatswesen (oder gleichfunktionale Organisationsform) von einem weniger guten oder schlechten zu unterscheiden vermag, ABER - und da komme ich zu den "absoluten Normen" - diese Beurteilung kann nie außerhalb eines bestimmten Normenkontextes gefällt werden.

Als wie gut, weniger gut oder wie schlecht ein Staatswesen (oder gleichfunktionale Organisationsform) bewertet wird, ist immer abhängig von den Wertvorstellungen des Bewertenden. Eine objektive - d.h. nach absoluten Normen - stattfindende Bewertung ist meiner Meinung nach völlig unmöglich.

 

Es gibt sicherlich bestimmte anthopologische Konstanten, die bestimmte Werte wie Leben, Familie, Reputation, etc. in vielen Kulturen aufscheinen lassen.

 

Allerdings habe ich meine Zweifel, ob man daraus "absolute Normen" ableiten kann. Normen und Werte sind nach meiner Erfahrung immer konsensbasiert, d.h. sie funktionieren solange sie von allen Beteiligten als Normen akzeptiert, definiert und tradiert werden.

Wird der Konsens gekündigt ist die Norm hinfällig.

Oder anders formuliert: Es nützt die beste Verfassung der Welt nichts, wenn es niemanden gibt, der sie durchsetzt.

 

Was den innerstaatlichen kulturellen Konflikt angeht bin ich oben ja schon auf die drohende Dysfunktionalität eingegangen.

Im Bi- und Multilateralen dürfte das Hauptproblem sein, wie im Falle einer fundamentalen Abweichung der Normen miteinander umgegangen wird.

 

Der Konflikt China vs Rest der Welt ist da ein gutes Beispiel. Isolation ist eine Möglichkeit, die Etablierung eines gemeinsamen Konsenses (z.B. in Form von Verträgen über deren Gültigkeit bei allen Parteien das gleiche Verständnis besteht) eine andere, die Marginalisierung bzw. Verdrängung (China in weiten Teilen der Welt) eine dritte. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

bearbeitet von Flo77
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28 minutes ago, Werner001 said:

Was genau soll das eigentlich sein, gibt es da eine Definition?

 

Es gibt eine Diskussion zur Bedeutung, die zeigt, dass der Begriff umstritten ist. Der kritische Bezug auf „ethnische“ Minoritäten stammt fast durchweg aus den USA („critical whiteness“) was sie in meinen Augen wenig brauchbar für eine allgemeine Anwendung macht.

 

Das Problem ist in meinen Augen die rassistische Zuschreibung von Eigenschaften - historisch ist die Dominanz von Kulturen oder Nationen keine Frage der „Hautfarbe“ oder „Rasse“, sondern idR unterliegen diese Dinge dem Wechsel: für China war alles außerhalb der Han (reduziert als Schrift-Kultur, Ahnenkult und Kaiserherrschaft) barbarisch, übernahm man selbiges wurde man „zivilisiert“. In Japan wurden ab dem 17.Jh. die zottigen „Südbarbaren“ (Portugiesen und Spanier) kurzerhand vertrieben, die Holländer gleichzeitig als spassige Witzfiguren und tributpflichtige Handelspartner in einem künstlichen Inselhafen interniert, weil sie bereit waren Katholiken ans Messer zu liefern und keinerlei Missionsbemühungen unternahmen.

Im 19.Jh. tauchten die „Witzfiguren“ (jetzt als Briten und US-Amerikaner) allerdings mit wirksamen Waffen vor den ostasiatischen Küsten auf - und das Spiel drehte sich um: die Witzfiguren wurden kulturelle Vorbilder, und strikter man diese nachahmte, um so erfolgreicher wurde die nationale Selbstbehauptung und Modernisierung in Ostasien betrieben.

bearbeitet von Shubashi
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Zudem haben wir es meiner Wahrnehmung nach aktuell mit Menschen zu tun, die geradezu fanatisch besessen davon zu sein scheinen, etwas finden zu müssen, von dem sie sich beleidigt fühlen können. Oder noch schlimmer: Etwas, von dem sie meinen, andere müssten sich dadurch beleidigt fühlen, egal ob sie es wirklich sind oder nicht (Beispiel der schwarze Chef des Restaurants "Zum Mohren")

 

Wie will man mit solchen eigentlich schon pathologischen Menschen vernünftig auskommen?

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Prima, wenn sich lediglich an dem Begriff der kulturellen Aneignung gestört wird, haben wir ja in den im Eröffnungsposting aufgelisteten Regeln einen super Konsens.

 

 

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3 minutes ago, Thofrock said:

Prima, wenn sich lediglich an dem Begriff der kulturellen Aneignung gestört wird, haben wir ja in den im Eröffnungsposting aufgelisteten Regeln einen super Konsens.

 

 

 

Die Auflistung im Eingang lese ich erstmal als Problembeschreibung, ob und welche Regeln sich davon ableiten lassen, ist ja erst noch zu klären.

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vor 34 Minuten schrieb Thofrock:

Prima, wenn sich lediglich an dem Begriff der kulturellen Aneignung gestört wird, haben wir ja in den im Eröffnungsposting aufgelisteten Regeln einen super Konsens.

 

 

Ich suche keinen Konsens für eine Vorwärtsverteidigung. Das ist spieltheoretisch nicht sinnvoll.

 

kurze Erläuterung: Wenn ein Pool an Fahrzeugen gekauft wird, dann verlangt der professionelle Händler für die größten Graupen eine erhöhte Rechnung. Die Einkaufsrechnung hält er dann einem potentiellen Käufer unter die Nase und weint, dass er sich mit dem Verkauf unter EK-Preis selber in den Ruin treibt. Die meisten Käufer verzichten dann auf die Verhandlung und freuen sich über den Schnapper. Konsens halt.

 

Gruss, Martin

bearbeitet von Soulman
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vor 21 Stunden schrieb nannyogg57:

Ich persönlich halte viele Auswüchse identitätspoltischen Handelns für gefährlich, was die Freiheit der Kunst und der Meinungsäußerung betrifft.

 

Es behindert uns daran, sich mit anderen Kulturen produktiv auseinanderzusetzen und die Menschheit daran, voneinander zu lernen.

 

Andererseits herrscht ein Machtgefälle innerhalb der Menschheit, eine Ungleichheit zwischen den Kulturen und Unsicherheit allerorten über die eigene Identität. Dennoch: Das Anliegen, die Vielfalt menschlicher Identitäten sprachlich zu berücksichtigen, ist IMHO legitim und notwendig. Auch der Vorwurf kultureller Aneignung ist in manchen oder vielen Fällen korrekt.

 

Tatsächlich geht es darum, wo man vernünftig eine Balance findet zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit und dem Recht darauf, nicht beleidigt und herabgesetzt zu werden.

 

Es geht darum, ob eine anthropologische Sicht, die Menschen grundsätzlich nur als Opfer ernst nimmt, zielführend ist, oder die gegenteilige Sichtweise, die Sprache, Kunst und Kultur unter der Norm "Survival of the fittest" stellen will.

In Sachen Meinungsfreiheit bin ich definitiv bei Dir, bin allerdings schon bei der produktiven Auseinandersetzung der Kulturen eher ratlos.

 

"Die Menschheit" ist ein derart unhomogener Haufen, daß ich zwar die Idee höre, aber wenig praktische Möglichkeiten sehe.

 

Unter anderem, weil ich Deine These zur Unsicherheit über die eigene Identität in dieser Absolutheit nicht teile.

Außer den Deutschen und vielleicht ein paar ähnlich gestrickten Westlern dürfte es auf dieser Welt kein Land geben in dem eine "Unsicherheit über die eigene Identität" herrscht.

Jedenfalls in dem Maße, in dem das bei uns der Fall ist (weniger im Privatim sondern  vorallem im Publico).

 

Ich hatte es an anderer Stelle schon mal erwähnt, aber ich halte den Tranfer von gesellschaftlichen Debatten aus den USA nach hier für nicht zielführend.

 

Nicht nur, daß die gesellschaftliche Situation nicht vergleichbar ist, auch der kulturelle Rahmen und die Narrative sind denkbar andere. Unsere Probleme hier resultieren ja eben nicht aus einem Machtgefälle oder der Unsicherheit heraus sondern eben aus dem fehlen eines solchen.

Damit meine ich nicht, daß andere Kulturen hier unterdrückt werden sollen, sondern daß wir einen Normenkonsens brauchen, der unser Staatswesen und seine Funktionalität garantiert und der auch bereit sein muss, Gruppen die sich diesem Konsens nicht anschließen wollen auszuschließen.

 

Das berührt natürlich die Frage, ob der territorial-abgegrenzte Staat überhaupt noch Teil dieses Konsenses ist und wenn er das nicht ist, welche gleichfunktionale Organisation an seine Stelle treten soll (daher wie oben formuliert).

 

Und wenn der Territorialstaat aufgegeben wird, auf welcher Basis regeln wir dann unser Zusammenleben?

Eine der wichtigsten Konsequenzen gesellschaftlicher Normen ist die Garantie der körperlichen Unversehrtheit durch Schutz dieses Rechts durch eine "schlagkräftige" Instanz. Wie diese Instanz agieren soll, wenn ihr Einsatzgebiet "personal" d.h. auf ein Individuum bezogen und nicht territorial beschrieben ist, ist mir unklar bzw. lässt Assoziationsketten wie "dann hol ich meine Brüder" offen. Ein Recht ist nur wert, wenn man es auch durchsetzen kann. 

 

Wo ich allerdings auch gerade hänge, ist die Frage nach der "Empfindlichkeit".

 

Auch das ein kulturelles Phänomen und mit ein Grund, weshalb ich ein Problem damit habe, wenn man hier in unserem Kontext eine amerikanische Debatte führen oder gar ein amerikanisches Problem lösen will: die "german honesty".

 

Wie ich ja schon mal erwähnt habe, suche ich im Moment nach "Expat" bzw. Einwanderergeschichten, -blogs, -vlogs über deren Erfahrungen mit Deutschland.

Ein Punkt der immer wieder auftaucht ist eine fast sprichwörtliche empfundene sprachliche Brutalität durch reine Ehrlichkeit und der weitgehende Verzicht auf Smalltalk.

 

Diese Bemerkungen hatte ich schon vorher schon mal mitbekommen, konnte mir aber lange Zeit nichts darunter vorstellen bis ich jetzt bei mehreren Vloggerinnen Beispiele für amerikanische Konversation erlebt habe.

 

Ja, ein US-Amerikaner muss die Antwort "Nein, danke." auf eine Einladung zum Abendessen als Affront verstehen, weil es dort schlicht unüblich zu sein scheint sich klar auszudrücken.

Der Umgang vorallem in den USA (ich habe ähnliches aber auch schon aus Indonesien gehört) ist extremst vorsichtig, man sagt lieber blumig zu und erscheint dann nicht oder sagt nur kurzfristig ab als von vorne herein abzusagen.

Selbst mit Wildfremden führt man belanglose Gespräche nur um der Höflichkeit willen.

 

Im Deutschen gilt/galt wenn man nichts zu sagen hat, sag nichts und wenn du was zu sagen hast, fasse dich kurz und formuliere klar.

 

Interessanterweise finden die meisten Expats, die nach hier kommen und Deutsch lernen, diese Art der Kommunikation durchaus angenehmer empfinden als den American Way of talking round the bush und haben entsprechende Kommunikationsprobleme, wenn sie zurückgehen...

 

Was aber dabei auch auffällig ist, viele dieser Expats nehmen diese "Ruppigkeit" im ersten Moment persönlich und meinen man wolle Sie persönlich beleidigen oder angreifen.

Es dauert in der Regel einige Zeit bis klar ist: Es geht hier nicht um mich. Die Antwort/Reaktion dieser Person hat nichts damit zu tun, ob ich geliebt werde und derjenige hasst mich nicht, derjenige hat nur eine Frage beantwortet/seinen Standpunkt klargestellt.

 

Im Moment sehe ich die Tendenz, daß wir diese Klarheit der Sprache und die Einfachheit der Kommunikation zu Gunsten der amerikanischen - Entschuldigung - Belanglosigkeitenkultur aufgeben sollen.

 

Beleidigung und Herabsetzung sind in einem solchen Kontext natürlich immer schwerer zu handhaben, da die Bewertungen einer Formulierung immer subjektiver werden und eine angstfreie Kommunikation natürlich deutlich erschwert ist, wenn man permanent darauf achten muss, ob sich eventuell der Gesprächspartner durch irgendeinen Halbsatz angegriffen fühlen KÖNNTE.

 

Im diplomatischen Verkehr, wo es darum geht, kulturelle Schranken zu beachten bzw. zu umgehen, ist diese Vorsicht in der Sprache natürlich geboten. Innerhalb der eigenen Kultur finde ich diesen Gedanken allerdings erschreckend.

 

Übrigens auch, weil er aus jedem Sprecher bzw. Schreiber einen potenzieller Täter macht.

bearbeitet von Flo77
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vor 47 Minuten schrieb rince:

...

 

Etwas, von dem sie meinen, andere müssten sich dadurch beleidigt fühlen, egal ob sie es wirklich sind oder nicht (Beispiel der schwarze Chef des Restaurants "Zum Mohren")

...

 

Manche Menschen bekommen mit,dass sich andere Menschen von bestimmten Dingen beleidigt fühlen. Und übertragen das dann.

Es gibt zB vermutlich bis sicher farbige Menschen,die das Wort " Mohren" oder " Neger" beleidigend finden. 

Klar,das lässt sich nicht auf alle übertragen. Und im persönlichen Kontakt kann ich ja nachfragen. ZB denke ich auch,dass vor Umbenennung einer Apotheke der Inhaber und die Kunden gefragt werden können.

In anderen Kontexten ist das aber nicht realisierbar und da vergebe ich mir ja nix,wenn ich das Wort " Farbig" benutze( als Beispiel).

 

Eine nachträgliche Änderung von Büchern finde ich persönlich nicht so gut, denn die sind ja auch als Zeuge ihrer Zeit wichtig. Da kann ja ZB.mit Vorworten gearbeitet werden. (Kein direkter Zusammenhang zum zitierten Posting. Fiel mir nur gerade ein)

 

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vor einer Stunde schrieb Flo77:

 

Identitäre Agitation hatte ich weniger als Reaktion auf "kulturelle Aneignung" sondern vielmehr durch "kulturelle Übergriffigkeit" verstanden.

 

Der Unterschied besteht meiner Meinung darin, daß in der "Aneignung" eine Übernahme kultureller Elemente in eine andere Kultur erfolgen während bei der Übergriffigkeit Wertungen, Benachteiligungen u.ä. inkludiert sind.

 


Ich finde das einen interessanten Ansatz - verstehe es aber anders.
Das was du als kulturelle Aneignung beschreibst, würde bei mir unter "Inkulturation" oder so laufen.

Ich glaube, es geht auch bei kultureller Aneignung um Wertungen und vor allem auch um Abwertungen.

Und zwar - und das ist der Grund, warum die Sensibilität vor allem gegenüber den weißen Bewohner westlicher Industrieländer so hoch ist - um Wertungen und Abwertungen, die aus einem Machtgefälle heraus getroffen wurden und nach wie vor für viele (Weiße, auch hier in diesem Thread) selbstverständlich sind.

Im Rahmen der Dekolonisierung als politischem Programm (kann man das als Vorläufer der identitären Politik sehen?) wird dieses Machtgefälle thematisiert und beschrieben, wie es erreicht und stabilisiert und erhalten wird (worden ist): Mit Hilfe des "Cultural Othering", der Praxis der Konstruktion kultureller Überlegenheit beziehungsweise Unterlegenheit - die jeweils andere Kultur wurde exotisiert, dämonisiert, primitiviert oder auf andere Weise abgewertet und herabgestuft.

Ein solcher dauerhafter Entzug von "kulturellem Respekt" erzeugt irgendwann Gefühle der Ohnmacht, Erniedrigung und Hass und macht extrem sensibel für alles, was diesen Respekt vermissen lässt. Dazu gehört auch die "kulturelle Aneignung": Ich verstehe das so, dass eine Kultur einer anderen zwar ein grundlegendes Gefühl der Überlegenheit entgegenbringt, sich aber genüßlich ein paar exotische oder doch interessante/leckere/spirituell berührende Elemente herausfischt, die man sich einfach nimmt.

Etwas einfach nachzumachen, sich zum Eigenen zu machen, es zu verwenden... das ist vermutlich kein Problem, wenn der, von dem es ursprünglich stammt, selbstbewusst und sich seines Wertes sicher ist. Dann kann einen sowas amüsieren oder freuen oder egal sein. Aber wenn man eh schon verletzt ist, weil man sich nicht wertgeschätzt fühlt und weil man ständig mit dem Gefühl von Ohnmacht und Erniedrigung zu kämpfen hat, dann kommt das ganz sicher anders an. Dann fühlt man sich erst recht noch einmal ausgenutzt und benutzt, vielleicht auch verhöhnt... und reagiert entsprechend sensibel.

bearbeitet von Ennasus
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vor 1 Minute schrieb mn1217:

 

Manche Menschen bekommen mit,dass sich andere Menschen von bestimmten Dingen beleidigt fühlen. Und übertragen das dann.

Es gibt zB vermutlich bis sicher farbige Menschen,die das Wort " Mohren" oder " Neger" beleidigend finden. 

Klar,das lässt sich nicht auf alle übertragen. Und im persönlichen Kontakt kann ich ja nachfragen. ZB denke ich auch,dass vor Umbenennung einer Apotheke der Inhaber und die Kunden gefragt werden können.

In anderen Kontexten ist das aber nicht realisierbar und da vergebe ich mir ja nix,wenn ich das Wort " Farbig" benutze( als Beispiel).

Außer das sich der Begriff "Farbig" dann auch abnutzt und irgendwann ebenfalls nicht mehr verwendet werden darf.

 

Wenn jemand "Mohr" oder "Neger" beleidigend findet, dann hat das andere Gründe als die bloße Verwendung dieser Begriffe und nein, es ist nicht möglich jedesmal nachzufragen.

 

Wie schon erwähnt ist sich z.B. das "fahrende Volk" in Köln selbst nicht eins, ob man nun "Zigeuner" sagen darf oder nicht (die einen verkaufen mit dem Begriff ihre Musik, der Funktionär vom städtischen Zentralrat verbittet sich das "Z-Wort"... und nun?).

 

Mir gehen mittlerweile diese Betroffenheitsstatements in den Talkshows auf den Senkel in denen z.B. eine farbige Journalistin sich beklagt, die Frage nach ihrer Herkunft (bzw. eigentlich ja nach der Herkunft ihrer Eltern und Großeltern) würde ihr suggerieren, sie gehöre ja nicht hier hin. Wir müssen nicht miteinanderreden. Sie braucht mir nichts über ihre Geschichte, ihre Erfahrungen, ihr Leben in dieser unserer Kultur zu erzählen. Aber bitte, dann soll sich auch keiner aufregen, weil nicht mit ihm gesprochen wird.

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7 minutes ago, Flo77 said:

....Übrigens auch, weil er aus jedem Sprecher bzw. Schreiber einen potenzieller Täter macht.

 

Eine klitzekleine, sehr unhöfliche Bitte:

Könntest Du Deine lesenswerten Beiträge evtl. ein bisschen splitten, oder wenigstens gliedern? 

Auch ein Pad ist oft „Mäusekino“, aktuell habe ich auch sowieso Kopfbrummen - diese Flüssigkristallwüsten entmutigen mich Leser, und ich raffe mich dann allenfalls zur Antwort auf ein Teilsegment auf. 

Mit verständnisheischendem Gruss...

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