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Was spricht für den religiösen Pluralismus?


Mystiker

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vor 4 Stunden schrieb SteRo:

Aber wenn von Gott als "die Wahrheit" gesprochen wird, dann wird darunter verstanden: 

1. Gott als ontologische Wahrheit: der eine wahre Gott

2. Gott als logische Wahrheit, d.h. als absolute Vernunft: weder eine Geistigkeit, noch ein bloßes Erkenntnisvermögen, sondern reine wesenhafte Erkenntnistätigkeit

 

Bitte nimm es mir nicht übel, aber verstehst Du denn, was Du schreibst? Weißt Du was "ontologische Wahrheit" bedeuten soll? Weißt Du, was genau der Unterschied zwischen "Geistigkeit", "Erkenntnisvermögen" und "wesenhafter Erkenntnistätigkeit" sein soll?

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vor 15 Minuten schrieb iskander:

Welcher Sprachgebrauch tatsächlich der übliche ist, wäre eventuell näher zu klären - aber daraus würde ohnehin in der Sache selbst nichts folgen.

Deiner ist der übliche Sprachgebrauch, jedenfalls in Diskussionen wie diesen. Das ist keine Frage.

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vor 12 Stunden schrieb Thanos:

Mystiker ist ein Relativist. Deswegen steht er außerhalb des Diskurses. Er kann nichts vertreten, was er selbst für relativ hält.

 

Warum nicht? „Relativ“ heißt einfach nur: abhängig von etwas anderem. Die Absolutisten sind einfach nur lauter, aber am Ende ist es auch einfach nur Pfeifen im Wald.

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vor 1 Stunde schrieb Marcellinus:

Deiner ist der übliche Sprachgebrauch, jedenfalls in Diskussionen wie diesen. Das ist keine Frage.

 

Was in der Sache wie gesagt nichts entscheidet, da man ein und denselben Gedanken in unterschiedlicher sprachlicher Form ausdrücken kann; das zeigt sich ja schon darin zeigt, wie viele Sprachen es auf der Welt gib und die Übertragung von etwas von der einen in die andere Sprache oftmals eine echte Interpretations-Leistung darstellt.  Man könnte also auch "rot" statt "blau" sagen und umgekehrt. Wichtig ist dann nur die Folgerichtigkeit: Es wäre dann eben auch sagen, dass der unbewölkte Mittags-Himmel rot sei und nicht blau (jedenfalls wenn die Ausdrücke "unbewölkt" und "Mittags-Himmel" weiterhin in der üblichen Bedeutung verwendet werden).

 

Die einzigen Probleme sind hier die potentielle Missverständlichkeit und in womöglich zudem, dass es in einer Sprache mit weniger Ausdrucksmöglichkeiten schwieriger sein kann, etwas zu sagen. Im Standard-Sprachgebrauch kann ich beispielsweise die folgenden Thesen problemlos ausdrücken und unterscheiden:

 

a) Es gibt keine Wahrheit.

 

[Im Sinne von: Es gibt keine (potentiellen) Aussagen oder Überzeugungen über die Wirklichkeit, die zutreffen. Das liefe darauf hinaus, dass wir buchstäblich gar nichts wissen könnten, nicht einmal wenige Dinge und nicht einmal in einem Sinne, der eine Unsicherheit zulässt. In der Tat würde es wohl sogar beinhalten, dass es überhaupt keine Wirklichkeit gäbe - nicht einmal eine, die uns unbekannt ist.]

 

b) Es gibt Wahrheit, aber wir können sie in vielen Fällen nicht erkennen - und in vielen anderen nur unsicher und unvollständig.

 

[Im Sinne von: Es gibt viele (potentielle) Aussagen oder Überzeugungen, die zutreffen - aber wir können oft nicht wissen, dass sie zutreffen; und selbst wo wir es in einem laxen Sinne "wissen", besteht gewöhnlich ein gewisses Maß an Unsicherheit.]

 

In "Deinem" Sprachgebrauch ist es schwieriger, diese unterschiedlichen Behauptungen auch als unterschiedliche Aussagen zu formulieren. Wer keine Erfahrung mit Dir hat, kann Äußerungen von Dir, die im Sinne von b) gemeint sind, mitunter schon so missverstehen, als seien sie im Sinne von a) gemeint. ;)

 

bearbeitet von iskander
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vor 38 Minuten schrieb Marcellinus:
vor 13 Stunden schrieb Thanos:

Mystiker ist ein Relativist. Deswegen steht er außerhalb des Diskurses. Er kann nichts vertreten, was er selbst für relativ hält.

 

Warum nicht? „Relativ“ heißt einfach nur: abhängig von etwas anderem. Die Absolutisten sind einfach nur lauter, aber am Ende ist es auch einfach nur Pfeifen im Wald.

 

Sage mir, was ein "Relativst" ist, und ich sage euch, wer ihr seid ob ein "Relativist" seinen eigenen Wahrheitsanspruch tatsächlich vollständig begräbt oder nicht. :D

 

Wie schon mehrfach betont gehe ich davon aus, dass die Position des Threaderstellers sich so deuten lässt, dass sie keine Widerspruch enthält - und dass man sich da nicht zu sehr an einzelnen Worten, die womöglich missverständlich sind, festklammern sollte.

bearbeitet von iskander
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vor 10 Minuten schrieb iskander:
vor 2 Stunden schrieb Marcellinus:

Deiner ist der übliche Sprachgebrauch, jedenfalls in Diskussionen wie diesen. Das ist keine Frage.

 

Was in der Sache wie gesagt nichts entscheidet

 

Das ist so, aber das ist nicht das eigentliche Problem. Das Problem ist aus meiner Sicht, daß wir eine unterschiedliche Einstellung zur Philosophie haben, namentlich zu der Form von Philosophie, wie sie hier vertreten wird. Du hältst die Philosophie für eine Disziplin, die in der Lage ist, über die Gültigkeit von Sätzen von Nicht-Philosophen zu entscheiden. Ich dagegen bin der Ansicht, daß Philosophie eine Weltanschauung ist, die, wie jede andere Weltanschauung auch, nur Bedeutung hat für die, die ihr anhängen. 

 

vor 5 Minuten schrieb iskander:

Sage mir, was ein "Relativst" ist, und ich sage euch, wer ihr seid ob ein "Relativist" seinen eigenen Wahrheitsanspruch tatsächlich vollständig begräbt oder nicht. :D

 

Es hängt am Ende am Wahrheitsbegriff, und der ist für manche zu eine Art Zauberformel verkommen. Man verwendet das Wort, aber versteht darunter alles mögliche und unmögliche. Entscheidend ist nur, daß man das Wort verwendet. Darin ist der Wahrheitsbegriff dem Gottesbegriff ziemlich ähnlich. 

 

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vor 16 Stunden schrieb Sucuarana:

Und Du weisst genau, welche Aussagen wahr sind?

 

Es ist für die Frage völlig irrelevant, ob eine Aussage inhaltlich "wahr" ist. Genauso wie das Gewissen prinzipiell irren kann, aber dennoch die Tendenz hat, richtig und wahr zu handeln, nimmt jeder Mensch normalerweise für sich selbst in Anspruch, dass eine Aussage, die er tätigt, richtig ist. Er kann also nicht Wahrheit leugnen ohne sich selbst ad absurdum führen. Das hat mit der Frage, ob eine Aussage inhaltlich stimmig ist, gar nichts zu tun.

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vor 32 Minuten schrieb Thanos:

Es ist für die Frage völlig irrelevant, ob eine Aussage inhaltlich "wahr" ist. Genauso wie das Gewissen prinzipiell irren kann, aber dennoch die Tendenz hat, richtig und wahr zu handeln, nimmt jeder Mensch normalerweise für sich selbst in Anspruch, dass eine Aussage, die er tätigt, richtig ist. Er kann also nicht Wahrheit leugnen ohne sich selbst ad absurdum führen. Das hat mit der Frage, ob eine Aussage inhaltlich stimmig ist, gar nichts zu tun.

 

Das heißt: selbstverständlich kann jede Aussage falsch sein. Also auch diese. Also ist es vollkommen egal, was du sagst, solange du es nicht inhaltlich belegen kannst. Damit aber ist deine Aussage nicht mehr "absolut wahr", sondern nur noch relativ zu deinen Belegen. Und schwubs - schon bist du ein "Relativist" (wie wir in der Praxis alle die allermeiste Zeit). ;)

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vor 12 Stunden schrieb Marcellinus:

 

Das heißt: selbstverständlich kann jede Aussage falsch sein. Also auch diese. Also ist es vollkommen egal, was du sagst, solange du es nicht inhaltlich belegen kannst. Damit aber ist deine Aussage nicht mehr "absolut wahr", sondern nur noch relativ zu deinen Belegen. Und schwubs - schon bist du ein "Relativist" (wie wir in der Praxis alle die allermeiste Zeit). ;)


Ist das eine wahre Aussage?

 

Die Frage, ob etwas absolut wahr ist, macht keinen Sinn für jemanden, der Wahrheit grundsätzlich ablehnt. Wenn Wahrheit grundsätzlich abgelehnt wird, betrifft das alle Möglichkeiten von Wahrheit, relative, absolute, inhaltliche…

 

bearbeitet von Thanos
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vor 2 Stunden schrieb Thanos:


Ist das eine wahre Aussage?

 

Die Frage, ob etwas absolut wahr ist, macht keinen Sinn für jemanden, der Wahrheit grundsätzlich ablehnt. Wenn Wahrheit grundsätzlich abgelehnt wird, betrifft das alle Möglichkeiten von Wahrheit, relative, absolute, inhaltliche…

 

 

Wahrheit grundsätzlich abzulehnen wäre ebenso Dogmatismus wie auch die grundsätzliche Behauptung von Wahrheit Dogmatismus wäre. Mir scheint, dass es sowohl möglich ist, dass es Wahrheit gibt, wie es auch möglich ist, dass es keine gibt. Solange mir aber erscheint, was mir erscheint, sage ich, dass die einzige Wahrheit Gott ist, weil mir das zweckmäßig erscheint.

bearbeitet von SteRo
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vor 15 Stunden schrieb Marcellinus:

 

Also ist es vollkommen egal, was du sagst, solange du es nicht inhaltlich belegen kannst. ;)

"Sagen" ist nicht notwendigerweise auch "behaupten". Mir scheint soziales Verhalten, kollektives Leben, davon abhängig zu sein, dass Leute irgendwas sagen. Auch im beruflichem Umfeld scheint mir muss etwas gesagt werden, vollkommen unabhängig davon ob es Belege gibt. Ohne Sagen wäre Kooperation gar nicht möglich, scheint mir.

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vor 3 Stunden schrieb Thanos:

Ist das eine wahre Aussage?

 

Leg doch mal ne andere Platte auf! :D

 

Es ist mehr als das. Es ist schlicht eine Tatsache! 

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vor einer Stunde schrieb SteRo:

Auch im beruflichem Umfeld scheint mir muss etwas gesagt werden, vollkommen unabhängig davon ob es Belege gibt.

 

Manchmal wird auch viel geschwätzt, wenn der Tag lang ist. ;)

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Am 22.1.2024 um 07:30 schrieb SteRo:

Einen Weg zu Gott, der also auch "Wahrheit" genannt wird, kann der Mensch sich nicht Kraft seines natürlichen Verstandes ausdenken. Alle Doktrinen aller Religionen sind also zu verwerfen, was den Weg zu Gott angeht, denn der Weg zu Gott kann nur von Gott allein geoffenbart werden. Der natürliche menschliche Verstand, der sich diverse religiöse Doktrinen ausdenkt, kann nicht an Gott heranreichen.

Da stimme ich dir zu. Ein Weg zu Gott nicht logisch ausgedacht werden, aber er kann erfahren werden. Und diese Erfahrung kann weitergeben werden. Von diesen Erfahrungen kann man lernen. Allerdings darf dann jeder seinen eigenen Weg zu Gott finden. Und so lange ausprobieren, bis es funktioniert. So war es bei mir. 

bearbeitet von Mystiker
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Am 22.1.2024 um 14:08 schrieb Marcellinus:

Du hältst die Philosophie für eine Disziplin, die in der Lage ist, über die Gültigkeit von Sätzen von Nicht-Philosophen zu entscheiden.

 

So allgemein sicher nicht! Ich würde eher sagen, dass es eine der Aufgaben der Philosophie ist, zu analysieren, wie Überzeugungen, die von anderen ausgesprochen aber nicht mehr weiter begründet werden, dennoch begründet werden können.

 

Am 22.1.2024 um 14:08 schrieb Marcellinus:

Es hängt am Ende am Wahrheitsbegriff, und der ist für manche zu eine Art Zauberformel verkommen. Man verwendet das Wort, aber versteht darunter alles mögliche und unmögliche. Entscheidend ist nur, daß man das Wort verwendet. Darin ist der Wahrheitsbegriff dem Gottesbegriff ziemlich ähnlich.

 

Das liegt aber in diesem Fall wohl um Großteil daran, dass Du das Wort "Wahrheit" nicht in der übliche Bedeutung verwendest.

Normalerweise heißt "wahr" einfach "zutreffend": Eine Überzeugung oder Aussage ist "wahr", wenn der behauptete Sachverhalt tatsächlich so wie behauptet besteht. Meine Überzeugung, dass es draußen über 0 Grad Celsius hat, ist dann wahr, wenn es draußen tatsächlich über 0 Grad Celsius hat. Wenn ich wissen will, ob meine Überzeugung tatsächlich wahr ist, gucke ich daher einfach nach und prüfe die tatsächliche Temperatur. Daran ist eigentlich nichts "Mysteriöses".

 

Selbst wenn es beispielsweise in einem religiösen Kontext heißt "Ich bin gekommen, um die Wahrheit zu verkünden", geht es letztlich ja vor allem um grundlegende, wichtige oder vielleicht sogar absolut entscheidende Botschaften, die als "wahr" im gerade erläuterten Sinne verstanden werden. Der strittige Punkt ist hier nicht der Wahrheits-Begriff als solcher, sondern die Frage, ob die Botschaften, um die es geht, denn tatsächlich wahr sind ("wahr" wieder in dem einfachen Sinne von "zutreffend"!) - und ob ihre vermeintliche Wahrheit erkennbar ist.

 

Du benutzt nun zwar das gleiche Wort "Wahrheit" im Sinne der gleichen Folge von Lauten und Schriftzeichen; aber weil Du mit diesem Wort eine andere Bedeutung verknüpft, hast Du einen anderen Begriff. Dieser ist mit dem üblichen Begriff zwar noch irgendwie verwandt, aber nicht identisch.

 

Man kann einem Wort natürlich eine neue Bedeutung geben und ihm somit auch einen anderen Begriff zuordnen. Damit ist aber keine inhaltliche Position definiert und auch nichts ausgesagt - es bedeutet nur, dass man dann eben andere sprachliche Symbole wählen muss, wenn man die gleichen Gedanken zum Ausdruck bringen möchte. Es ist wie mit dem "Gift", das im Deutschen früher "Geschenk" oder "Gabe" hieß (wie heute noch im Englischen). Wenn man das Wort "Gift" heutzutage anders verwendet als früher, ist damit jedoch inhaltlich weder etwas über Geschenke noch über schädliche Substanzen noch sonst irgendetwas ausgesagt. Und natürlich lässt sich auch nicht behaupten, dass die Zuordnung des Wortes Gift zum Begriff "Gabe" besser oder "korrekter" wäre als die zum Begriff "schädliche Substanz". Denn die Zuordnung von Wörtern und Bedeutung ist grundsätzlich willkürlich und impliziert auch nichts darüber, wie Dinge in der Wirklichkeit sich verhalten.

 

Insofern respektiere ich es natürlich, wenn Du dem Wort "Wahrheit" - oder anderen Wörtern - andere begriffliche Bedeutung zuordnest als die übliche. Nur bezweifle ich eben, dass es "etwas bringt". Man könnte Deine Position nämlich genauso gut in der Standard-Sprache ausdrücken, oder anders formuliert: Man könnte den Inhalt Deiner Gedanken auch in der etablierten Sprache zum Ausdruck bringen. Durch einen abweichenden Sprachgebrauch wird Deine inhaltliche Position weder plausibler oder unplausibler, noch wird sie auf diese Weise besser verständlich.

bearbeitet von iskander
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vor 6 Stunden schrieb Marcellinus:

Leg doch mal ne andere Platte auf! :D


Es ist meinem Mitgefühl geschuldet, dass ich trotz Deiner intellektuellen Resignation noch versuche, Dir den Punkt zu erklären.

Und vielleicht meiner Hoffnung, dass Du eigentlich nicht zu blöd bist, das zu verstehen.

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vor 7 Stunden schrieb Marcellinus:

Es ist schlicht eine Tatsache! 

Tatsache ist etwas, das es doch aus Deiner Sicht gar nicht geben kann, und die Aussage, dass etwas eine Tatsache ist, kann jemand wie Du, der feststellt, keine zutreffenden (=wahren) Aussagen machen zu können, gar nicht behaupten.

 

 

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vor 2 Stunden schrieb iskander:
Am 22.1.2024 um 14:08 schrieb Marcellinus:

Du hältst die Philosophie für eine Disziplin, die in der Lage ist, über die Gültigkeit von Sätzen von Nicht-Philosophen zu entscheiden.

 

So allgemein sicher nicht! Ich würde eher sagen, dass es eine der Aufgaben der Philosophie ist, zu analysieren, wie Überzeugungen, die von anderen ausgesprochen aber nicht mehr weiter begründet werden, dennoch begründet werden können.

 

"Überzeugungen anderer begründen"? Ist das wahr? :D Das könnten Philosophen ja nicht einmal bei ihren eigenen! Ich halte das für einen vollkommen überzogenen Anspruch, und ich habe auch noch keinen "wirklichen" Philosophen getroffen, der das für sich in Anspruch nimmt. Die meisten Philosophen, die man kennt, verfolgen eher ein jeweils bestimmtes Programm, daß sie in unserer Mediengesellschaft sichtbar macht. 

 

vor 2 Stunden schrieb iskander:
Am 22.1.2024 um 14:08 schrieb Marcellinus:

Es hängt am Ende am Wahrheitsbegriff, und der ist für manche zu eine Art Zauberformel verkommen. Man verwendet das Wort, aber versteht darunter alles mögliche und unmögliche. Entscheidend ist nur, daß man das Wort verwendet. Darin ist der Wahrheitsbegriff dem Gottesbegriff ziemlich ähnlich.

 

Das liegt aber in diesem Fall wohl um Großteil daran, dass Du das Wort "Wahrheit" nicht in der übliche Bedeutung verwendest.

Normalerweise heißt "wahr" einfach "zutreffend": Eine Überzeugung oder Aussage ist "wahr", wenn der behauptete Sachverhalt tatsächlich so wie behauptet besteht. Meine Überzeugung, dass es draußen über 0 Grad Celsius hat, ist dann wahr, wenn es draußen tatsächlich über 0 Grad Celsius hat. Wenn ich wissen will, ob meine Überzeugung tatsächlich wahr ist, gucke ich daher einfach nach und prüfe die tatsächliche Temperatur. Daran ist eigentlich nichts "Mysteriöses".

 

Nehmen wir nur diesen einen Satz: "Eine Überzeugung oder Aussage ist "wahr", wenn der behauptete Sachverhalt tatsächlich so wie behauptet besteht". Das ist ja wohl, wenn ich es richtig sehe, die "Korrespondenz-Theorie". Die Korrespondenztheorie der Wahrheit findet sich bei Vertretern des Realismus wieder. Danach sind Aussagen genau dann wahr, wenn sie mit den Tatsachen in der objektiven Welt übereinstimmen. Sie wird in der Regel als Gegenposition zu den Kohärenztheorien der Wahrheit angeführt, die in der Kohärenz einer Aussage mit anderen Aussagen die Wahrheit einer Aussage, das entscheidende Kriterium oder ein Indiz für die Wahrheit einer Aussage sehen.

 

Hier haben wir also zwei Wahrheitstheorien. Beginnen wir mit der Korrespondenztheorie. Wahr wäre danach eine Aussage, wenn sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Nur wann stimmt ein aus Worten bestehender Satz einer Sprache, also letztlich eine Abfolge von menschengemachten Symbolen mit der Wirklichkeit überein, die nicht aus solchen Symbolen besteht?

 

Wenn man sich beobachtbare und noch dazu meßbare Eigenschaften herausgreift, wie hier zB die Temperatur der Luft, dann mag das (mit einer gewissen Meßgenauigkeit) angehen. Wenn man ehrlich wäre, müßte man aber auch schon hier sagen, daß solch eine Aussage nicht "wahr", sondern "ungefähr wahr" ist, was den Wahrheitsbegriff selbst in einem solchen Beispiel ad absurdum führt. Weshalb das in der Praxis auch niemand macht. Man sagt einfach: es ist ca. 0º Celsius. Es sei denn, man ist ein Philosoph. ;)

 

Werden die Themen komplizierter, und in den theoretisch-empirischen Wissenschaften ist das ganz schnell so, dann ist es vorbei mit der nativen Korrespondenz. Dann ist es schon ein eigenen Forschungsfeld, zu untersuchen, in wieweit die theoretischen Modelle, die man verwendet, überhaupt zur beobachtbaren Wirklichkeit passen, was ja Voraussetzung wäre für jede Korrespondenztheorie.

 

Hier endet dann auch sehr schnell die Fachkompetenz der Philosophen, weshalb sie sich dann oft auf die Kohärenztheorie der Wahrheit zurückziehen. Nur scheint mir das noch schwammiger zu sein, denn mit welchen anderen Aussagen müßte eine Aussage kohärent sein, und wie stellt man das fest. Die menschliche Sprache hat keine festen Regeln, und man müßte eine Aussage schon aller ihrer inhaltlichen Bezüge entkleiden, um zu einer reinen Kohärenz zu kommen. Das aber ist reine Metaphysik, zwar vielleicht ein interessantes Spiel, aber für die Praxis außerhalb der Philosophie vollkommen untauglich.

 

Deshalb finde ich in den Naturwissenschaften den Anspruch auf Wahrheit eigentlich nur noch da, wo es um reines Messen geht, und selbst da ist die Meßgenauigkeit von heute der Meßfehler von morgen.

 

vor 2 Stunden schrieb iskander:

Selbst wenn es beispielsweise in einem religiösen Kontext heißt "Ich bin gekommen, um die Wahrheit zu verkünden", geht es letztlich ja vor allem um grundlegende, wichtige oder vielleicht sogar absolut entscheidende Botschaften, die als "wahr" im gerade erläuterten Sinne verstanden werden. Der strittige Punkt ist hier nicht der Wahrheits-Begriff als solcher, sondern die Frage, ob die Botschaften, um die es geht, denn tatsächlich wahr sind ("wahr" wieder in dem einfachen Sinne von "zutreffend"!) - und ob ihre vermeintliche Wahrheit erkennbar ist.

 

Wahrheit also als subjektive Überzeugung von einer absoluten Bedeutung? Das habe ich nie bestritten. Nur hat da eben jeder seine eigene. Einen objektiven Gehalt hat das nicht. Dazu bringe ich immer gern dieses Zitat:

 

„Das ummittelbar Erlebte ist subjektiv und absolut […] Die objektive Welt hingegen, welche die Naturwissenschaft rein herauszukristallisieren sucht, [..] ist notwendigerweise relativ […] Dieses Gegensatzpaar: subjektiv - absolut und objektiv - relativ scheint mir eine der fundamentalsten erkenntnistheoretischen Einsichten zu enthalten, die man aus der Naturforschung ablesen kann. Wer das Absolute will, muß die Subjektivität, die Ichbezogenheit, in Kauf nehmen; wen es zum Objektiven drängt, der kommt um das Relativitätsproblem nicht herum.“
(Hermann Weyl, Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaft, 1966, S. 150f)

 

vor 2 Stunden schrieb iskander:

Du benutzt nun zwar das gleiche Wort "Wahrheit" im Sinne der gleichen Folge von Lauten und Schriftzeichen; aber weil Du mit diesem Wort eine andere Bedeutung verknüpft, hast Du einen anderen Begriff. Dieser ist mit dem üblichen Begriff zwar noch irgendwie verwandt, aber nicht identisch.

 

Dabei dachte ich, daß ich das Wort "Wahrheit" auf eine ganz einfach und grundlegende Art verstehe, als Gegensatz zu "Falschheit", als ein Wert in einem bipolaren Bewertungssystem. Eine Aussage ist entweder "wahr" oder "falsch". In der Mathematik und der Logik ist das der Normalfall, denn die sind als menschengemachte Symbolsysteme so eingerichtet. Es gibt eine Reihe an Symbolen, und Operationen, die auf diese Symbole angewendet werden dürfen, um aus "wahrheitserhaltend" zu sein, wie das so schön heißt.

 

Das Problem ist nur, daß das für die beobachtbare Wirklichkeit nicht gilt. Weder besteht unsere Wirklichkeit aus Symbolen, noch gibt es ein Regelwerk, wie die Objekte unserer Wirklichkeit zusammenhängen. Vielmehr ist es ja gerade Gegenstand der theoretisch-empirischen Wissenschaften, nachprüfbare Modelle zu erstellen, wie beobachtbare Tatsachen zusammenhängen. Alles, was man da herausbekommt, mag nach dem jeweils aktuellen Wissensstand richtig sein, was eigentlich nur bedeutet, daß es besser durch Tatsachenbeobachtungen belegt ist als konkurrierende Erklärungsmodelle, "wahr" mag ich das nicht nennen, und in der Praxis tun das Wissenschaftler auch nicht.

 

"Wahrheit" kommt in der Praxis immer nur dann als Argument, wenn eher Mißtrauen am Platz wäre, wenn man berechtigte Nachfragen abbügeln, und unerwünschte konkurrierende Erklärungen diskreditieren will. Gerade in der Corona-Zeit haben wir mit solchen "Wahrheiten" Bekanntschaft gemacht. Wer darauf besteht, "Wahrheiten" zu verkünden, behauptet seine Meinung als "alternativlos" (auch so ein Unwort, das aber nie als "Unwort" gekürt werden wird), egal ob in Religion, Philosophie, Wissenschaft oder Politik, weshalb ich diesem Wort ablehnend gegenüberstehe. 

 

vor 2 Stunden schrieb iskander:

Man kann einem Wort natürlich eine neue Bedeutung geben und ihm somit auch einen anderen Begriff zuordnen. Damit ist aber keine inhaltliche Position definiert und auch nichts ausgesagt - es bedeutet nur, dass man dann eben andere sprachliche Symbole wählen muss, wenn man die gleichen Gedanken zum Ausdruck bringen möchte.

 

Ich denke, daß ich das Wort "Wahrheit" in seiner ursprünglichen Form verwende. 

 

vor 2 Stunden schrieb iskander:

Insofern respektiere ich es natürlich, wenn Du dem Wort "Wahrheit" - oder anderen Wörtern - andere begriffliche Bedeutung zuordnest als die übliche.

 

Das ist aber lieb von dir. ;)

 

vor 2 Stunden schrieb iskander:

Nur bezweifle ich eben, dass es "etwas bringt". Man könnte Deine Position nämlich genauso gut in der Standard-Sprache ausdrücken, oder anders formuliert: Man könnte den Inhalt Deiner Gedanken auch in der etablierten Sprache zum Ausdruck bringen. Durch einen abweichenden Sprachgebrauch wird Deine inhaltliche Position weder plausibler oder unplausibler, noch wird sie auf diese Weise besser verständlich.

 

Ich sag dir ganz ehrlich, ich habe schon häufig darüber nachgedacht, warum ich mir das antue. Aber was genau ist "das"? Es ist die Diskussion mit Leuten, die sich in einer bestimmten philosophischen Tradition sehen, wobei ich denke, ich habe oben gezeigt, daß diese Tradition durchaus selbst mehr als zweifelhaft ist, und selbst innerhalb der Philosophie nicht unumstritten ist. Aber was ist in der Philosophie schon unumstritten?

 

Bei der Diskussion über naturwissenschaftliche Zusammenhänge gibt es diese Frage nach der "Wahrheit" nicht. Da geht es immer nur darum, ob sich ein bestimmtes Modell durch Tatsachenbeobachtungen mehr oder weniger belegen läßt. "Mehr oder weniger", der Komparativ, ist dabei der Bewertungsmaßstab für die Qualität einer Theorie, nicht ein "wahr" oder "falsch", das, wenn man ehrlich wäre, für fast alle Theorien nur "falsch" als Urteil zuließe. Das war übrigens die Position von Popper: Theorien sind entweder falsch, oder noch nicht falsifiziert. "Wahre" Theorien gab es für ihn nicht, nur solche, die noch nicht widerlegt waren. "Wahrheit" war für ihn eine regulatorische Idee, nicht eine objektive Eigenschaft. 

 

Und das gilt auch für alle anderen theoretisch-empirischen Wissenschaften, selbst für die von mir so geschätzte Geschichtswissenschaft. Auch dort geht es immer nur darum, auf welchen beobachtbaren Fakten eine Theorie beruht, wobei immer klar ist, daß wir alle die notwendig vorhandenen Wissenslücken mit Hilfe unsere Fantasie auffüllen, weshalb die Geschichtswissenschaft spätestens jede Generation ihre Bücher umschreibt. 

 

Problematisch wird es erst dann, wenn außerwissenschaftliche Wertungen sich in wissenschaftliche Fragen einmischen, etwas was wir in letzter Zeit immer häufiger erlebt haben, gern auch mal mit einem Wahrheitsanspruch garniert. Das sollte einen nicht verwundern. Nach dem offiziellen Ende der Ideologien wird der Wahrheitsanspruch der Wissenschaften zur Legitimation von Politik verwendet, womit die Wissenschaften (und indirekt manche Philosophen) in die Rolle der Religion vergangener Zeiten schlüpfen. 

 

Dies alles beschäftigt mich seit Jahrzehnten, und hat zu meiner Begriffs- und Wortwahl geführt. Das ist einer der Gründe, warum mich wenig verwundert hat, was wir in den letzten Jahren und bis in die Gegenwart an politischen Auseinandersetzungen erlebt haben. Dazu gehört die Erkenntnis, daß "Wahrheit" in aller Regel eine Illusion oder eine Ideologie ist, also nicht mehr als eine subjektive Überzeugung, aus der manche eine objektiven Anspruch abzuleiten versuchen, der durch empirische Tatsachen nicht gedeckt ist. 

 

Ich denke übrigens nicht, daß die Vermittlung meiner inhaltlichen Position wesentlich darunter leidet, wie ich das Wort "Wahrheit" verwende, oder besser nicht verwende. Wenn es das nur wäre! Meine inhaltliche Position leidet noch an ganz anderen Stellen. Aus dieser Sicht ist es eher verwunderlich, wie oft ich mich offenbar verständlich machen kann. Aber das ist ein Thema für einen anderen Thread. ;)

 

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vor 59 Minuten schrieb Thanos:
vor 8 Stunden schrieb Marcellinus:

Es ist schlicht eine Tatsache! 

Tatsache ist etwas, das es doch aus Deiner Sicht gar nicht geben kann, und die Aussage, dass etwas eine Tatsache ist, kann jemand wie Du, der feststellt, keine zutreffenden (=wahren) Aussagen machen zu können, gar nicht behaupten.

 

Jetzt bin ich mal etwa apodiktisch! Du hast keine Ahnung von meiner Sicht, aber auch gar keine! :D

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vor 5 Stunden schrieb Mystiker:

... Ein Weg zu Gott ... kann erfahren werden. Und diese Erfahrung kann weitergeben werden. Von diesen Erfahrungen kann man lernen. ...

 

Mir scheint, dass die Worte, die jemand wählt, um auszudrücken, was er glaubt erfahren zu haben, nicht die Erfahrung sind, die er ausdrücken will. "Erfahrung" nun ist zudem exklusiv subjektiv und innerlich (d.h. kein anderer kann die Erfahrung als solche eines anderen sehen, tasten, riechen, schmecken, hören) und auch das Sprachverständnis eines jeden scheint sehr persönlich individuell zu sein, so dass wenn jemand davon erzählt, was er glaubt erfahren zu haben, er zwar eine persönlich individuelle Begriffsbildung in Innern eines Zuhörers (oder Lesers) mit den gewählten Worten auslösen kann, dass aber diese Begriffe im Innern eines Zuhörers (oder Lesers) doch wenig bis gar nichts mit der Erfahrung als solcher des Erzählers zu tun haben müssen. Deshalb erscheint mir die Vorstellung "diese Erfahrung kann weitergeben werden" als bloße Vorstellung, welche sich vielleicht nicht von "Illusion" unterscheidet.

bearbeitet von SteRo
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vor 3 Stunden schrieb Marcellinus:

 

Jetzt bin ich mal etwa apodiktisch! Du hast keine Ahnung von meiner Sicht, aber auch gar keine! :D

 

Von jemandes Sicht, der beansprucht, keine wahren Aussagen machen zu können,  kann im Grunde auch niemand etwas wissen. Nicht einmal er selbst, er vertraut ja noch nicht einmal selbst seinen eigenen Worten insofern, dass er sie für wahr halten könnte.

Das Problem ist in diesem Fall nicht, ob andere Dich verstehen, sondern dass Du noch nicht einmal selbst die Bedingungen Deiner eigenen Kommunikation verstehst und deshalb ständig formal einen Wahrheitsgehalt leugnest, den Du jedoch mit jeder positiven Aussage in Anspruch nimmst.

Und solange Du das nicht verstehst, ergibt keine Deiner Aussagen irgendeinen Sinn.

 

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vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

"Überzeugungen anderer begründen"? Ist das wahr? :D

 

Nimm die Überzeugung, dass unseren bewussten Sinneserfahrungen reale Dinge in der "Außenwelt" entsprechen. Sie ist empirisch nicht zirkelfrei begründbar. Trotzdem geht wir - auch eine realistisch verstandene Wissenschaft - von ihr aus.

Man kann das natürlich einfach als "Glaubens-Überzeugungen" hinnehmen. Aber wirklich befriedigend ist das nicht. Das Ergebnis lautet dann nämlich: Der eine glaubt halt an eine reale physische Welt und die Existenz anderer Menschen, der andere an den Kaffeesatz.

 

In diesem Zusammenhang ist auch Deine eigene Position von Interesse, nach welcher ja nur das Wissen sein könne, was empirisch prüfbar ist. Denn dieser Satz selbst ist empirisch niemals zirkelfrei prüfbar. Allein schon deswegen kann er auch kein Satz einer (empirisch arbeitenden) Sozialwissenschaft sein. Abgesehen davon, dass es bei ihm gerade nicht um eine Aussage über die spezifisch sozialen Aspekte von Wissen geht.

Wenn eine solcher Satz keine philosophische Behauptung ist - was dann? 

 

Zudem folgt aus dieser Überzeugung unmittelbar ein Außenwelt-Skeptizismus: 

"Dass es eine Außenwelt gibt, ist nicht empirisch prüfbar; was nicht empirisch prüfbar ist, ist kein Wissen; also ist es auch kein Wissen, dass es eine Außenwelt gibt. "

Die Logik dahinter ist elementar: X ist kein Y; was kein Y ist, ist auch kein Z; also ist X auch kein Z.

 

Und dadurch, dass man (zurecht) bemerkt, dass eine Schlussfolgerung, die sich aus der eigenen Position unmittelbar ergibt, "philosophisch" ist, hat man die Schlussfolgerung ja weder außer Kraft gesetzt noch aus der Welt geschafft! ;)

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Wenn man sich beobachtbare und noch dazu meßbare Eigenschaften herausgreift, wie hier zB die Temperatur der Luft, dann mag das (mit einer gewissen Meßgenauigkeit) angehen. Wenn man ehrlich wäre, müßte man aber auch schon hier sagen, daß solch eine Aussage nicht "wahr", sondern "ungefähr wahr" ist, was den Wahrheitsbegriff selbst in einem solchen Beispiel ad absurdum führt. Weshalb das in der Praxis auch niemand macht. Man sagt einfach: es ist ca. 0º Celsius. Es sei denn, man ist ein Philosoph. ;)

 

Man könnte auch sagen: "Es ist wahr, dass es ungefähr 0 Grad hat." Denn wer sagt, dass Aussagen mit einer gewissen Vagheit keinen Wahrheitswert haben können?

 

Zweitens: Wenn ich sage, dass es wärmer als 0 Grad Celsius ist, oder dass sich im Haus drüben genau ein Mensch aufhält, oder dass Sprache auf "menschgemachten Symbolen" beruht, dann sind alle diese Aussagen in dem Sinne, wie man sie üblicherweise versteht, entweder exakt wahr oder exakt falsch. Oder vielleicht besser: Alle diese Aussagen sind exakt - und zudem entweder wahr oder falsch.

 

Dass man normalerweise nicht sagt: "Es hat über 0 Grad, und das ist wahr" ist völlig richtig, liegt aber einfach daran, dann eine Behauptung bereits einen Wahrheitsanspruch in sich birgt. Denn auch wer einfach sagt, dass es wärmer als 0 Grad ist, der meint damit natürlich, dass es sich tatsächlich so verhält, dass es über 0 Grad hat bzw. dass es zutrifft, dass es über 0 Grad hat. Er muss es nur nicht extra dazusagen, weil es ohnehin klar ist.

Wenn die Wahrheit allerdings in Zweifel steht oder negiert wird, wird der Wahrheitsanspruch explizit thematisiert: "Er hat die Unwahrheit gesagt." "Ist das auch wirklich wahr?" "Ich dachte, es wäre wirklich [in Wahrheit] so." Hier wird aber kein neuer Wahrheitsanspruch "hinzugefügt", sondern es wird nur der ohnehin schon implizit vorhandene Wahrheitsanspruch expressis verbis hervorgehoben.

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Das ist ja wohl, wenn ich es richtig sehe, die "Korrespondenz-Theorie".

 

Ja. Mit den "Wahrheits-Theorien" verhält sich die Sache allerdings recht einfach:

 

Entweder man versteht die unterschiedlichen "Theorien" der Wahrheit so, dass es ihnen vor allem um Kriterien dafür geht, dass etwas wahr ist. Sie würden demnach also gar nicht sagen, was "Wahrheit" an sich ist, sondern uns nur Hinweise darauf geben, wann sie vorliegt. Ein derartiger Anhaltspunkt für die Wahrheit einer Theorie wäre dann etwa die Kohärenz dieser Theorie.

In diesem Fall widersprechen andere "Wahrheits-Theorien" der Korrespondenz-"Theorie" nicht, sondern ergänzen sie höchstens.

 

Oder Wahrheit wird tatsächlich grundsätzlich anders definiert als in der Korrespondenz-"Theorie": Dann haben wir es jedoch nicht mit alternativen Theorien zu tun, die ein und denselben Gegenstand beschreiben, sondern mit unterschiedlichen Begriffen, die sich auf unterschiedliche Dinge beziehen. Dann gibt es da auch keine Konkurrenz und keinen Widerspruch, wo wenig wie die Aussagen "In einem Schloss kann man wohnen" und "Mit einem Schloss kann man die Türe verriegeln" zueinander im Widerspruch stehen.

 

In letzterem Fall wäre allerdings mindestens zweierlei zu sagen:

 

a) Unser normaler, alltäglicher Begriff von "Wahrheit" entspricht unzweifelhaft der Korrespondenz-"Theorie".

b) Dieser "alltägliche" bzw. korrespondenz-theoretische Wahrheitsbegriff ist unverzichtbar. (Letzteres gilt auch für "alternative" Wahrheits-Theorien. Wenn etwa die Kohärenz-Theorie nicht einfach nur kohärent sein will - was für sich genommen ziemlich witzlos wäre -, sondern darüber hinaus in der Tat auch zutreffend sein soll, kommt sie schon wieder beim korrespondenz-theoretischen Wahrheitsbegriff an.)

 

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Hier endet dann auch sehr schnell die Fachkompetenz der Philosophen, weshalb sie sich dann oft auf die Kohärenztheorie der Wahrheit zurückziehen. Nur scheint mir das noch schwammiger zu sein, denn mit welchen anderen Aussagen müßte eine Aussage kohärent sein, und wie stellt man das fest. Die menschliche Sprache hat keine festen Regeln, und man müßte eine Aussage schon aller ihrer inhaltlichen Bezüge entkleiden, um zu einer reinen Kohärenz zu kommen. Das aber ist reine Metaphysik, zwar vielleicht ein interessantes Spiel, aber für die Praxis außerhalb der Philosophie vollkommen untauglich.

 

Meines Wissens ist die Korrespondenz-"Theorie" - man müsste wohl eher sagen: der "Korrespondenz-Begriff" - ziemlich allgemein akzeptiert. Man kann zudem, wenn ich mich recht entsinne, jede Theorie durch Negation ihrer elementaren Aussagen in eine gegenteilige, aber genauso kohärente Theorie verwandeln. Insofern ist Kohärenz bestenfalls ein Kriterium für Wahrheit, falls Wahrheit denn mehr als Beliebigkeit bedeuten soll - und auch für sich genommen kein ausschlaggebendes Kriterium.

 

Allerdings ist es normalerweise auch kein großes Problem, die Kohärenz einer Theorie festzustellen. Und wenn es nötig ist, kann man Aussagen, über deren Bedeutung man sich im Klaren ist, auch relativ leicht formalisieren. (Und wenn man selbst nicht weiß, was man meint, hat es ja eh wenig Sinn.)

 

Nehmen wir folgende Aussagen: "Rudi ist ein Eisbär. Alle Eisbären leben am Nordpol. Rudi lebt am Südpol." Das ließe sich leicht formalisieren, und damit man den Widerspruch bemerkt, muss man nur noch die Aussage "Wer am Nordpol lebt, lebt nicht am Südpol" hinzunehmen. Ansonsten müsste man aber nichts weiter über Eisbären, über den Nordpol oder den Südpol wissen!

Das ist ein einfaches Beispiel, aber in anderen Fällen ist es zwar komplexer, aber nicht grundsätzlich anders.

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Nur wann stimmt ein aus Worten bestehender Satz einer Sprache, also letztlich eine Abfolge von menschengemachten Symbolen mit der Wirklichkeit überein, die nicht aus solchen Symbolen besteht?

 

Eine typisch philosophische Frage, würde ich meinen. ;) Aber auf abstrakter Ebene ist zumindest die Antwort auf die Frage, wann Wahrheit vorliegt und wann nicht, einfach zu geben:

Wenn die menschgemachten Symbole so weit mit der Wirklichkeit übereinstimmen, dass die Aussage-Sätze, die aus ihnen gebildet werden, die Wirklichkeit angemessen bzw. zutreffend beschreiben, dann liegt Wahrheit vor. (Wie man das konkret feststellt, ist natürlich eine andere Frage.)

 

Um nochmals ein Beispiel zu geben: Ich weiß beileibe weder alles über Eisbären noch über die Arktis noch die Antarktis. Dennoch bin ich mir doch sehr sicher, dass die Aussage "In der Arktis leben Eisbären, nicht jedoch in der Antarktis" wahr ist. Weil Begriffe eben dem Gegenstand, auf den sie sich beziehen, nicht umfassend und erschöpfend gerecht werden müssen, sondern sich auf wenige zentrale Merkmale beschränken können.

 

Das ist der entscheidende Punkt! Deshalb können auch Leute mit unterschiedlichen Meinungen und Theorien ein und denselben Begriff benutzen. Wir könnten theoretisch mit einem alten Griechen, der Blitze für Wurfgeschosse von Zeus hält, über die Natur von Blitzen diskutieren. Weil es eben einen gemeinsamen Begriff gibt, durch den wir uns auf das gleiche Phänomen beziehen können - allen unterschiedlichen Meinungen und Theorien über dieses Phänomen zum Trotz! Wir können eben von vielen Meinungen und theoretischen Annahmen abstrahieren.

Dieser minimalistische Begriff ist auch der Grund dafür, wieso wir einem Kind erklären können, was ein Blitz ist.

 

Und doch ist auch dieser gemeinsame, weitgehend "untheoretische" Begriff des Blitzes keineswegs inhaltsleer. Wenn ein Kind, das keine Ahnung von Elektrizität hat, sagt, dass es "blitzt", dann sagt es nicht "nichts", sondern es sagt etwas einigermaßen gehaltvolles; und es sagt etwas anderes als wenn es sagt "Es hat gedonnert" oder "Dort ist eine Blume".

 

Das ist eben auch der Grund, warum (in einem gewissen Umfang) etwas erkennen und auch in Sprache ausdrücken können. Wir müssen, wenn wir über einen Zusammenhang begrifflich denken oder sprechen, nicht alles über ihn in seiner ganzen verborgenen Komplexität wissen, um etwas Wahres und Relevantes zu sagen!

 

(Wie viel Theorie man in den Begriffen dann jeweils sinnvollerweise "mitdenken" sollte, hängt natürlich vom jeweiligen Fall und Kontext ab. Ich hatte in diesem Sinne ja auch schon geschrieben, dass Teilwahrheiten, von denen man weiß, dass sie Teilwahrheiten sind, keine Halbwahrheiten (oder gar Unwahrheiten) sein müssen.)

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Werden die Themen komplizierter, und in den theoretisch-empirischen Wissenschaften ist das ganz schnell so, dann ist es vorbei mit der nativen Korrespondenz. Dann ist es schon ein eigenen Forschungsfeld, zu untersuchen, in wieweit die theoretischen Modelle, die man verwendet, überhaupt zur beobachtbaren Wirklichkeit passen, was ja Voraussetzung wäre für jede Korrespondenztheorie.

 

Es ist nicht vorbei mit der "Korrespondenz" bzw. "Wahrheit"; denn es gilt ja weiterhin, dass eine Theorie entweder mit der Wirklichkeit übereinstimmt oder nicht mit ihr übereinstimmt. Man kann aber eventuell einfach nicht mehr wissen, ob die Theorie mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Oder man weiß vielleicht, dass sie nicht mit ihr übereinstimmt. Dann weiß man immerhin, dass die Theorie falsch ist.

 

Insofern geht es bei der Wissenschaft nicht um "Wahrheit" in dem schlichten Sinne, dass man einfach sagen könnte, dass ein bestimmtes Modell "wahr" ist. Auch ist die Frage nach der Wahrheit in diesem Sinne für die Wissenschaft nicht zentral. Das gebe ich ja wie gesagt gerne zu. Daher rennst Du an dieser Stelle bei mir offene Türen ein. Hier machst Du Dir vermutlich mehr Schreibarbeit, als es nötig wäre. ;)

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Deshalb finde ich in den Naturwissenschaften den Anspruch auf Wahrheit eigentlich nur noch da, wo es um reines Messen geht, und selbst da ist die Meßgenauigkeit von heute der Meßfehler von morgen.

 

Das könnte man aber wie gesagt durchaus berücksichtigen: "Irgendwo zwischen 4700 und 4704 Einheiten." Allerdings gibt es natürlich auch andere Probleme mit Messungen. Aber "Wahrheit" taucht hier eben dennoch an unterschiedlicher Stelle auf:

 

- Man hat bestimmte Beobachtungen gemacht.

- Bei Messungen ist (ungefähr) dieses und jenes herausgekommen.

- Die Theorie X erklärt bisherige Beobachtungen gut bzw. sie ist "empirisch adäquat".

- Die Theorie X ist konsistent.

- Die Theorie X macht Vorhersagen, die sich bestätigen lassen.

- Die Theorie X erklärt mindestens so viel wie die Theorie Y, kommt aber mit weit weniger Ad-hoc-Hypothesen aus.

- ...

 

In all diesen Fällen könnte man auch sagen: "Es ist wahr dass...". (Z.B: "Es ist wahr, dass die Theorie X Vorhersagen macht, die sich bestätigen lassen"). Nur redet man so eben gewöhnlich nicht - aber das liegt wie gesagt daran, dass Behauptungen ohnehin einen impliziten Wahrheitsanspruch beinhalten. Deshalb wäre es - sofern die Wahrheit nicht besonders betont oder in Zweifel gezogen werden soll - redundant, den Wahrheitsanspruch ständig explizit hervorzuheben. Dennoch meint jemand, der sagt, dass eine Theorie die Beobachtungen erklärt, dass es zutrifft, dass sie die Beobachtungen erklärt.

 

Und Entsprechendes gilt auch für negierende Behauptungen oder Behauptungen mit einer gewissen Vagheit:

Wer sagt, dass die Theorie die Beobachtungen nicht erklärt, meint damit, dass es zutrifft, dass die Theorie die Beobachtungen nicht erklärt. 

Und wer sagt, dass die Theorie die Erklärungen weitgehend erklärt, der meint, dass es zutrifft, dass die Theorie die Beobachtungen weitgehend erklärt.

 

Und selbst wenn jemand sagt, dass eine empirische Theorie sich bisher gut bewährt habe, aber er nicht wissen, ob sie wahr sei, meint er doch genau dies: Dass es zutreffend/wahr sei, dass die Theorie sich bisher gut bewährt habe, dass es aber auch zutreffend/wahr sei, dass er nicht wissen, ob sie darüber hinaus wahr sei.

 

Derartige Wahrheitsansprüche können natürlich durch ein "wahrscheinlich", "meine ich", "es spricht viel dafür" usw. abgeschwächt bzw. relativiert werden. Komplett aufgehoben werden können sie allerdings sinnvollerweise nicht - es sei denn, es ginge etwa darum, dass ein Aussagesatz einfach nur als Beispiel für eine gewisse grammatische Besonderheit vorgestellt wird, ohne dass mit ihm irgendetwas behauptet werden sollte.

 

Daneben haben wir die Falsifikation, bei der es letztlich auch um "Wahrheit" geht. Schon der Begriff "falsch" ist eben auf den Begriff "wahr" bezogen und hat nur von ihm her seinen Sinn (während die Umkehrung so nicht gilt).

Wenn ich weiß, dass eine Aussage falsch ist, weiß ich zudem, dass die Negation der Aussage wahr ist. Und das ist keine Formalität, denn auch das Wissen um einen "negativen" Sachverhalt ist ein Wissen. Wenn ich beispielsweise in Australien, dem Kontinent der Gifttiere, lebe und erfahre, dass die Spinne, die mich gerade gebissen hat, nicht giftig ist, dann habe ich etwas Wichtiges gelernt. Und wenn ein Kind lernt, dass es am Nordpol keine Pinguine gibt (sondern nur am Südpol), dann weiß es an dieser Stelle nun eben etwas, was ein anderes Kind vielleicht nicht weiß. (Abgesehen davon ist es in vielen Fällen ohnehin schwierig, "positive" und "negative" Sachverhalte so einfach gegeneinander abzugrenzen.)

 

Nochmals: Natürlich kann man gewöhnlich nicht wissen, dass eine Theorie wahr ist. Mit absoluter Sicherheit kann man das von keiner Theorie über die phyische Welt wissen. Und manchmal weiß man noch nicht einmal, dass eine Theorie falsch ist. In diesem Sinne relativiert sich die Bedeutung von "Wahrheit" bezogen auf die Wissenschaft natürlich.

In diesem Punkt - und der ist ja durchaus wichtig - scheinen wir uns durchaus weitestgehend einig zu sein. (Deshalb kommentiere ich auch nicht alles im Detail, weil ich eben mit vielem auch übereinstimme.)

 

Aber ich würde eben hinzufügen: Ganz verzichten kann man auf den Begriff "Wahrheit" in der Sache dennoch nicht, egal ob man ihn nun explizit gebraucht oder nicht. Schon allein deswegen, weil auch eine Aussage wie "das Modell hat sich vorläufig bewährt" eine Behauptung darstellt, und weil behaupten immer "als wahr behaupten" bedeuten. Sonst würde es an dieser Stelle auch wenig Sinn ergeben. Wenn die Aussage, dass das Modell sich bisher bewährt hat, nicht zutreffend sein soll: was sollen wir dann mit ihr anfangen?

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

„Das ummittelbar Erlebte ist subjektiv und absolut […] Die objektive Welt hingegen, welche die Naturwissenschaft rein herauszukristallisieren sucht, [..] ist notwendigerweise relativ […] Dieses Gegensatzpaar: subjektiv - absolut und objektiv - relativ scheint mir eine der fundamentalsten erkenntnistheoretischen Einsichten zu enthalten, die man aus der Naturforschung ablesen kann. Wer das Absolute will, muß die Subjektivität, die Ichbezogenheit, in Kauf nehmen; wen es zum Objektiven drängt, der kommt um das Relativitätsproblem nicht herum.“
(Hermann Weyl, Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaft, 1966, S. 150f)

 

Was dann eben bedeutet, dass man nie ganz sicher weiß, dass die Behauptungen der Naturwissenschaften "wahr" sind - und das in manchen Fällen noch ausgeprägter als in anderen. Das heißt aber nicht, dass es keine "Wahrheit" geben würde - es heißt nur, dass wir sie in sehr vielen Fällen nicht sicher erkennen können. Was Du als "Wahrheit" bezeichnest, würde man in meinem Sprachgebrauch - und ich meine auch im allgemein üblichen - als Erkennbarkeit der Wahrheit bezeichnen. Letztlich ist das allerdings eine semantische Frage.

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Alles, was man da herausbekommt, mag nach dem jeweils aktuellen Wissensstand richtig sein, was eigentlich nur bedeutet, daß es besser durch Tatsachenbeobachtungen belegt ist als konkurrierende Erklärungsmodelle, "wahr" mag ich das nicht nennen, und in der Praxis tun das Wissenschaftler auch nicht.

 

Das heißt eben dann einfach, dass man nicht weiß, ob die eigene Theorie wahr oder unwahr ist. Wobei es natürlich Fälle gibt, wo die relativ unmittelbare Beobachtung so eine zentrale Rolle spielt und sich Beobachtungen wechselseitig so gut bestätigen  dass man sich schon in einem hohen Maße sicher sein kann - man denken an mein Beispiel mit den Eisbären, der Arktis und der Antarktis. Und wie gesagt sollte man allein daraus, dass Behauptungen gewöhnlich nicht mit einem "wahr" versehen sind, noch nicht allzu viel schließen. Da würde ich lieber nach einer gut gemachte Umfrage unter Wissenschaftlern zum Thema "Realismus" vs. "Instrumentalismus" oder etwas ähnlichem suchen.

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

"Wahrheit" kommt in der Praxis immer nur dann als Argument, wenn eher Mißtrauen am Platz wäre, wenn man berechtigte Nachfragen abbügeln, und unerwünschte konkurrierende Erklärungen diskreditieren will. Gerade in der Corona-Zeit haben wir mit solchen "Wahrheiten" Bekanntschaft gemacht. Wer darauf besteht, "Wahrheiten" zu verkünden, behauptet seine Meinung als "alternativlos" (auch so ein Unwort, das aber nie als "Unwort" gekürt werden wird), egal ob in Religion, Philosophie, Wissenschaft oder Politik, weshalb ich diesem Wort ablehnend gegenüberstehe. 

 

Wenn jemand bei den relevantesten Aspekten eines Themas sinngemäß "das ist so und so" sagt, dann wird man ihn naheliegend schon so verstehen, dass er damit beansprucht, dass seine Aussagen zutreffen (also "wahr" sind). Das gilt natürlich in beide Richtungen:

Wer sagt, dass das Corona-Virus sehr viel gefährlicher (gewesen) sei als eine Grippe (sagen wir um mindestens den Faktor 10 im Hinblick auf die Sterblichkeit), wird so verstanden werden wollen, dass es sich in "Tat und Wahrheit" so verhalte. Und Entsprechendes gilt natürlich auch für jemanden, der sagt, dass Corona mit einer Grippe durchaus vergleichbar gewesen sei (sagen wir bei einer Sterblichkeit, die zumindest nicht mehr als 2,5 mal höher ist als bei der Grippe).

 

Wenn jemand in einem solchen Fall nicht entsprechend "realistisch" verstanden werden will, müsste er schon so etwas wie ein "mutmaßlich" einfügen; und selbst dann würde man ihn immer noch so verstehen, dass er einen Anspruch auf Wahrheit erhebt, nur eben einen abgeschwächten. Es wäre im konkreten Fall auch merkwürdig, wenn es anders wäre - denn wie sollte es denn sonst gemeint sein?

(Geht es dagegen um komplexe Modelle oder Theorien, kann die Sache natürlich auch wieder anders aussehen: Kaum jemand wird behaupten, dass etwa eine typische Modellierung unmittelbar "wahr" sei. Gleichzeitig mag man bestimmte vorsichtige Schlussfolgerungen, die man aus guten Modellen ableitet, für (wahrscheinlich) wahr halten. Es kommt eben immer darauf an.)

 

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Wahrheit also als subjektive Überzeugung von einer absoluten Bedeutung? [...] Ich denke, daß ich das Wort "Wahrheit" in seiner ursprünglichen Form verwende. 

 

Ursprünglich - und das heißt in diesem Fall zweifellos: im Alltag - versteht man unter Wahrheit aber die Übereinstimmung einer Überzeugung mit der Wirklichkeit und nicht einfach die "subjektive Überzeugung" für sich allein genommen. 

Im ersteren Fall ("Übereinstimmung") ist Wahrheit eine Relation - etwa eine Relation zwischen dem Denken und der "Wirklichkeit". Im anderen Fall handelt es sich um ein rein innerpsychisches Phänomen.

Zudem kann eine subjektive Überzeugung, selbst wenn jemand ihr eine noch so große Bedeutung zuspricht, auch einfach falsch sein. Und eine Definition, die es erlaubt, dass die Wahrheit falsch sein kann, ist problematisch.

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Das war übrigens die Position von Popper: Theorien sind entweder falsch, oder noch nicht falsifiziert. "Wahre" Theorien gab es für ihn nicht, nur solche, die noch nicht widerlegt waren. "Wahrheit" war für ihn eine regulatorische Idee, nicht eine objektive Eigenschaft. 

 

Popper hat aber nicht ausgeschlossen, dass eine Theorie, die bisher nicht falsifiziert worden ist, auch wahr sein könnte - er hat nur gesagt, dass wir nie wissen können, dass sie wahr ist. Wie gesagt scheinst Du die Ausdrücke "wahr" und "erkennbar wahr" synonymisch zu verwenden. Aber das wird zumindest der Alltagssprache nicht gerecht, denn wir sagen ja auch Dinge wie: "Ich weiß nicht, ob er die Wahrheit gesagt hat" oder "Die Wahrheit wird wohl nie herauskommen".

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Dazu gehört die Erkenntnis, daß "Wahrheit" in aller Regel eine Illusion oder eine Ideologie ist, also nicht mehr als eine subjektive Überzeugung, aus der manche eine objektiven Anspruch abzuleiten versuchen, der durch empirische Tatsachen nicht gedeckt ist. 

 

Ich würde zugeben, dass das nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, auch wenn ich es nicht so radikal ausdrücken würde. Aber hier würde ich eben wieder "Wahrheit" und den "Besitz der Wahrheit" unterscheiden. Das mag in diesem Zusammenhang unnötig pedantisch sein, aber nach meinem Eindruck führst Du diese Entscheidung eben auch in anderen Fällen nicht durch, in welchen das m.E. schon sinnvoll wäre.

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Ich denke übrigens nicht, daß die Vermittlung meiner inhaltlichen Position wesentlich darunter leidet, wie ich das Wort "Wahrheit" verwende, oder besser nicht verwende. Wenn es das nur wäre! Meine inhaltliche Position leidet noch an ganz anderen Stellen. Aus dieser Sicht ist es eher verwunderlich, wie oft ich mich offenbar verständlich machen kann. Aber das ist ein Thema für einen anderen Thread. ;)

 

Nun, das kann ich nicht sicher sagen.

Ich weiß jedenfalls inzwischen, wie Du es meinst, und ich bin sehr gerne so großzügig, Dir Deinen eigenen Sprachgebrauch zuzugestehen. ;) Nur wollte ich eben angemerkt haben, dass sich aus Deinem - nach meinem Dafürhalten abweichenden - Sprachgebrauch nach meiner Überzeugung kein Mehrwert ergibt. Wie dem auch sei: Sprache ist ja nur ein Medium, und es sollte primär um Inhalte gehen. (Andererseits können Inhalte gewöhnlich aber auch nur durch das Medium der Sprache transportiert werden.)

bearbeitet von iskander
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Um Missverständnisse nicht aufkommen zu lassen noch etwas Ergänzendes. Zitat von mir:

 

Zitat

Wir können [bei der Bildung und Verwendung von Begriffen] eben von vielen Meinungen und theoretischen Annahmen abstrahieren. [...]

 

Mine Überlegungen sollen natürlich nicht nur Fällen gelten, in denen man "abgespeckte" Begriffe verwendet. Auch wenn man sehr anspruchsvolle Begriffe benutzt, die in hohem Maße theorieabhängig sind, und auch wenn man viele komplexe Aussagen tätigt, in denen solche anspruchsvollen Begriffe vorkommen, wird man damit der Wirklichkeit nie umfassend gerecht werden können. Aber das bedeutet nicht - und darauf will ich hinaus -, dass allein schon deswegen unsere Begriffe und Aussagen die Wirklichkeit "verfehlen" müssten und ihr in keinem relevanten Sinne gerecht werden könnten. Es könnte nämlich durchaus sein, dass wir - zumindest in manchen Fällen - einfach gültige Teilwahrheiten erfassen.

 

In einem Fachbuch über Eisbären für Zoologen wird beispielsweise sehr viel über Eisbären behauptet werden. Doch auch damit fasst man natürlich immer nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit; es gäbe ja immer mehr, als man weiß und sagen kann. Für sich genommen bedeutet das aber nicht, dass das Buch etwas Falsches enthalten oder die Wirklichkeit in einer irreführenden Weise verkürzen müsste. Theoretisch könnte es immer noch sein, dass alles, was in dem Buch steht, wahr ist (auch wenn das in der Praxis sehr unwahrscheinlich sein mag) und dass in dem Buch ein zwar nicht vollständiges, aber dennoch angemessenes Gesamt-Bild vermittelt wird (was sicher realistischer ist).

Wenn Eisbären beispielsweise mit geringfügigen Veränderungen des Stoffwechsels auf den Verzehr gewisser Algen reagieren sollten, was aber niemand weiß und was daher auch nicht in dem ausgedachten Buch steht, könnte es dennoch nach wie vor richtig sein, dass Eisbären (wie in dem Buch angegeben) typischerweise diese und jene Gewichtsklasse haben, gerne Robben fressen, so und so alt werden, da und dort in dieser und jener Zahl vorkommen usw. usf.

 

Es kommt hinzu, dass wir die Komplexität der Welt oftmals durch Abstraktion bewältigen; dabei lassen wir manches weg, ohne das Weggelassene aber zu verneinen. Wir vereinfachen und vereinheitlichen hier also etwas, ohne es jedoch zwingend zu verfälschen. Das geschieht beispielsweise, wenn ich sage, dass Eisbären typischerweise (oder in 90-95% der Fälle) das Merkmal M besitzen, anstatt dass ich alle einzelnen Eisbären aufzähle, welche das Merkmal M besitzen und alle, welche es nicht besitzen (was natürlich ohnehin so gut wie unmöglich wäre).

 

Dass unsere Überzeugungen über die Welt unvollständig sind, heißt also eo ipso noch nicht, dass sie nicht wahr oder relevant sein könnten. Es bedeutet umgekehrt natürlich auch noch nicht, dass unsere Überzeugungen auch tatsächlich wahr wären; aber mir geht es hier einfach darum, dass eine Unvollständigkeit noch nicht zwingend die Unwahrheit impliziert, sofern die Möglichkeit der Unvollständigkeit eingeräumt und nicht ausgeschlossen wird.

(Freilich: Je mehr man von sich gegenseitig bestätigenden Beobachtungen zu komplexeren Modellen übergeht, welche einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, desto geringer wird faktisch die Chance sein, dass unsere Überzeugungen auch tatsächlich wahr sind.)

 

Dass unser Denken und Sprechen immer nur Teilsapsekte des Ganzen heraushebt und etwas nie umfassend begreift, gilt im Übrigen bereits für formale Systeme, die axiomatisch beschreibbar sind. Beispielsweise hat die natürliche Zahl 2 unendlich viele Eigenschaften: Sie ist die Differenz von 7 und 5, von 8 und 6, ein Teiler von 12, ein Teiler von 14, die vierte Wurzel von 16 usw.

All das muss und kann in unseren Begriff der 2 nicht unmittelbar einfließen; es genügt in einem mathematischen Zusammenhang etwa, wenn wir die 2 im Sinne der Peano-Axiome als Nachfolger des Nachfolgers der Zahl 0 definieren. Doch auch, wenn wir unendlich vieles über die 2 nicht wissen (und erst recht nicht im Begriff "2" direkt mit aussagen), wissen wir eben doch etwas über sie, unter anderem, dass sie die Wurzel der 4 ist.

Und was für formale Systeme gilt, gilt natürlich auch grundsätzlich für alles andere - mit dem Unterschied, dass anderswo meistens zusätzlich noch das Moment der Unsicherheit hinzutritt, welches innerhalb formaler Systeme durch streng gültige Beweise ausgeräumt werden kann.

 

Mit der Logik ergibt sich an dieser Stelle jedoch deswegen kein "prinzipielles" Problem, weil die Logik sich nicht unmittelbar auf die wirkliche Welt bezieht, sondern auf unsere Gedanken über die Welt, und weil unsere Gedanken eben nicht unendlich komplex sind.

Wie ich schon anderswo schrieb, liegt die Tatsache, dass unser Denken der Wirklichkeit oft nicht oder nicht vollständig gerecht wird, gewöhnlich nicht darin begründet, dass wir unfähig wären, unsere Gedanken in logische Beziehungen zu setzen. Meistens liegt es auch nicht daran, dass wir unfähig wären, sie in sprachlicher Form leidlich zum Ausdruck zu bringen. Der Grund ist typischerweise vielmehr der, dass unsere Gedanken selbst es sind, die nicht genügen.

 

Zitat von mir:

 

vor 8 Stunden schrieb iskander:

b) Dieser "alltägliche" bzw. korrespondenz-theoretische Wahrheitsbegriff ist unverzichtbar. (Letzteres gilt auch für "alternative" Wahrheits-Theorien. Wenn etwa die Kohärenz-Theorie nicht einfach nur kohärent sein will - was für sich genommen ziemlich witzlos wäre -, sondern darüber hinaus in der Tat auch zutreffend sein soll, kommt sie schon wieder beim korrespondenz-theoretischen Wahrheitsbegriff an.)

 

Das kann sich natürlich nur darauf beziehen, dass die "Kohärenz-Theorie" hier nicht als einfacher Begriff verstanden wird, sondern, wie der Name es nahelegt, tatsächlich als eine "Theorie"; wenigstens in dem Sinne, dass hier tatsächlich etwas ausgesagt werden soll. Dies wäre beispielsweise dann gegeben, wenn (fälschlicherweise) behauptet würde, dass der Begriff der Kohärenz unserem alltäglichen Wahrheitsbegriff gerecht würde. Hier würde dann offensichtlich schon wieder der "korrespondenz-theoretische" Wahrheits-Begriff des "Zutreffens" in Anspruch genommen werden, denn es wäre ja wohl gemeint, dass es zutreffen soll, dass die Kohärenz-Theorie unserem alltäglichen Wahrheits-Begriff entspricht.

 

(Für sich genommen - also ohne jeden "Anspruch" - ist ein Begriff hingegen weder wahr oder falsch, sondern höchstens zweckmäßig oder unzweckmäßig. Er könnte, wenn er "zusammengesetzt" ist, schlimmstenfalls noch selbst-widersprüchlich sein.)

bearbeitet von iskander
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vor 12 Stunden schrieb iskander:
vor 17 Stunden schrieb Marcellinus:

"Überzeugungen anderer begründen"? Ist das wahr? :D

 

Nimm die Überzeugung, dass unseren bewussten Sinneserfahrungen reale Dinge in der "Außenwelt" entsprechen. Sie ist empirisch nicht zirkelfrei begründbar. Trotzdem geht wir - auch eine realistisch verstandene Wissenschaft - von ihr aus.

Man kann das natürlich einfach als "Glaubens-Überzeugungen" hinnehmen. Aber wirklich befriedigend ist das nicht. Das Ergebnis lautet dann nämlich: Der eine glaubt halt an eine reale physische Welt und die Existenz anderer Menschen, der andere an den Kaffeesatz.

 

In diesem Zusammenhang ist auch Deine eigene Position von Interesse, nach welcher ja nur das Wissen sein könne, was empirisch prüfbar ist. Denn dieser Satz selbst ist empirisch niemals zirkelfrei prüfbar. Allein schon deswegen kann er auch kein Satz einer (empirisch arbeitenden) Sozialwissenschaft sein. Abgesehen davon, dass es bei ihm gerade nicht um eine Aussage über die spezifisch sozialen Aspekte von Wissen geht.

Wenn eine solcher Satz keine philosophische Behauptung ist - was dann? 

 

Zudem folgt aus dieser Überzeugung unmittelbar ein Außenwelt-Skeptizismus: 

"Dass es eine Außenwelt gibt, ist nicht empirisch prüfbar; was nicht empirisch prüfbar ist, ist kein Wissen; also ist es auch kein Wissen, dass es eine Außenwelt gibt. "

Die Logik dahinter ist elementar: X ist kein Y; was kein Y ist, ist auch kein Z; also ist X auch kein Z.

 

Und dadurch, dass man (zurecht) bemerkt, dass eine Schlussfolgerung, die sich aus der eigenen Position unmittelbar ergibt, "philosophisch" ist, hat man die Schlussfolgerung ja weder außer Kraft gesetzt noch aus der Welt geschafft! ;)

 

Und was, wenn du jetzt in deinen Schlussfolgerungen etwas vergessen hast? Was man übrigens eigentlich immer tut, denn, du erinnerst dich, alle unser gedanklichen Bemühungen leiden unter drei grundsätzlichen Mängeln, dem an Informationen, Zeit und kognitiven Fähigkeiten! :D

 

Ersetze einfach "Außenwelt" durch "mich", dann heißt es: "Daß es mich gibt, ist nicht empirisch überprüfbar" und du bist beim Solipsismus! Nein, daß du denkst, daß du denkst, ist kein berechtigter Einwand, denn wenn alle deine Wahrnehmungen Illusion sein können, dann auch die Wahrnehmung deines Selbst. 

 

Aber natürlich gibt es gute Gründe, anzunehmen, daß es eine Welt gibt, die nicht nur aus dir besteht. Du warst nicht immer erwachsen. Du hast deine Sprache nicht selbst erfunden, also mußt du sie von jemandem gelernt haben, und der wieder von jemandem usw. Da du nicht unsterblich bist, wurdest du auch irgendwann geboren, und zwar von anderen Menschen. Jedem Menschen ist das klar, den allermeisten muß man das auch nicht lange erklären. Warum dann einem Philosophen? DAS finde ich die viel spannendere Frage. 

 

Daß wir Teil einer Umwelt sind (ich vermeide mit Absicht das Wort "Außenwelt", weil es zwischen uns und unserer Umwelt keine starre Grenze gibt), mit der wir notwendig und ständig in Verbindung und Austausch stehen. Begib dich in ein Vakuum, und du verstehst, was ich meine. Daß sich vor allem die Menschen der Neuzeit von den anderen als getrennt empfinden, ist eher ein soziales oder psychologisches Problem. 

 

Das philosophische Problem ist im realen Leben also gar keines, und das hat es meiner Ansicht nach mit sehr vielen philosophischen Problemen gemeinsam. Wenn du aber schon bei der Frage, ob es die Welt überhaupt gibt, solch einen argumentativen Aufwand treiben mußt, nur um das, was sowieso klar ist, als Glaubensüberzeugung annehmen zu müssen, wie kommst du dann mit dem restlichen Leben klar? (Scherzfrage!) So versteht man wenigstens, warum Philosophie ein solch lebenfüllendes Programm ist, und ein so unproduktives. 

 

Kleiner Nachsatz: Daß wir diese Welt, von der wir ein Teil sind, nicht so sehen, wie sie ist, ist ein ganz anderes Problem für einen anderen Post. ;)

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vor 20 Stunden schrieb Marcellinus:

Und was, wenn du jetzt in deinen Schlussfolgerungen etwas vergessen hast? Was man übrigens eigentlich immer tut, denn, du erinnerst dich, alle unser gedanklichen Bemühungen leiden unter drei grundsätzlichen Mängeln, dem an Informationen, Zeit und kognitiven Fähigkeiten! :D

 

Was sollte ich denn in diesem Fall vergessen haben? ;)

 

Wenn wir nicht empirisch prüfen können, ob es keine Außenwelt gibt und wenn wir nur das wissen, was wir empirisch prüfen können: Dann folgt unmittelbar, dass wir nicht wissen können, ob es eine Außenwelt gibt.

Sollten unsere kognitiven Fähigkeiten zu begrenzt sein, um auch nur solch einen simplen Schluss zu ziehen, dann allerdings hätten wir Grund zur ernsten Sorge - falls wir dazu dann überhaupt noch fähig sein sollten!

 

Oder sollten die Prämissen falsch sein? Nun, die eine habe ich ja direkt von Dir übernommen; insofern muss ich sie auch nicht prüfen oder begründen, wenn ich nur darstelle, was aus Deiner Position folgt. Was die andere Prämisse angeht, nämlich dass wir mittels Sinneserfahrung nicht prüfen können, ob es eine reale "Außenwelt" gibt - nun, darauf komme ich weiter unten nochmals zu sprechen.

 

vor 20 Stunden schrieb Marcellinus:

Ersetze einfach "Außenwelt" durch "mich", dann heißt es: "Daß es mich gibt, ist nicht empirisch überprüfbar" und du bist beim Solipsismus! Nein, daß du denkst, daß du denkst, ist kein berechtigter Einwand, denn wenn alle deine Wahrnehmungen Illusion sein können, dann auch die Wahrnehmung deines Selbst. 

 

Das ist nun allerdings Philosophie, würde ich meinen. Eine philosophische Aussage, eine philosophische Argumentation, und gewiss keine Soziologie ;)

 

Inhaltlich dazu dies: Der Begriff der Illusion hat nur dann einen Sinn, wenn (mindestens) folgende unterschiedliche Voraussetzungen allesamt erfüllt sind:

 

a) Es muss ein Subjekt geben, welches potentiell Opfer einer Illusion sein kann. Wenn es primär gar niemanden gibt, der sich irren könnte, gibt es auch keinen Irrtum.

b) Das Subjekt muss etwas (im weitesten Sinne) wahrnehmen oder denken oder glauben. Denn wer rein gar nichts wahrnimmt, nichts glaubt und nichts denkt, der nimmt auch nichts Falsches wahr - und der glaubt und denkt auch nichts Falsches.

c) Was das Subjekt wahrnimmt bzw. denkt und glaubt, weicht von der Wirklichkeit ab, auf die das Wahrnehmen oder Denken oder der Glauben sich bezieht. Denn wo Wahrnehmung bzw. Denken bzw. glauben mit der Wirklichkeit übereinstimmen, unterliegt man ja gerade keiner Täuschung.

 

Meine Tischlampe hat daher sicher keine Illusionen. Erstens ist sie (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) kein Subjekt, das überhaupt in der Lage wäre, sich irren zu können. Zweitens hat sie keine Überzeugungen und keine Wahrnehmungen - und daher natürlich auch keine solchen, die von der Wirklichkeit abweichen würden!

 

Ohne die obigen drei Voraussetzungen gibt es die "Illusion" vielleicht als eine abstrakte Idee, aber nicht als ein reales Vorkommnis in der realen Welt. Wer das Gegenteil behauptet, der versteht unter dem Begriff "Illusion" offenbar etwas wesentlich anders als allgemein üblich und müsste sich erst einmal erklären, bevor man seine Auffassung verstehen und prüfen könnte.

 

Bei der Erfahrung der physischen Welt ist Erkenntnis nun immer mittelbar: Ich habe den Stein, der vor mir liegt, ja nicht in meinem Kopf oder gar in meinem Bewusstsein. Dort habe in meinem Bewusstsein ich nur ein "inneres Bild" des Steines.

Das innere Bild selbst - oder auch mein direktes Erleben im allgemeinen - habe ich jedoch unmittelbar. Zu meinen, dass ich nur ein Bild von einem Bild hätte usw., ist nicht nur phänomenologisch unangemessen, sondern scheitert auch an dem unendlichen Regress. Denn irgendwann müsste ein Punkt erreicht sein, an dem jemandem ein inneres Bild unmittelbar gegeben ist - oder derjenige hat immer nur Bilder von Bildern von Bildern von Bildern von Bildern ..., die aber nie bei ihm "ankommen", so dass es überhaupt keine Wahrnehmung und kein Erleben gibt. Mittelbares Erkennen kann es eben nur dort geben, wo es auch unmittelbares Erkennen gibt. 

 

Wenn mir nun "in meinem Bewusstsein" das Bild eines Steins erscheint und ich daher meine, dass es auch in der realen Welt einen Stein gibt, könnte ich mich irren, weil ich vielleicht unter einer Illusion leide. Der Erscheinung des Steines in meinem Bewusstsein und der Stein selbst (sofern vorhanden) sind zweierlei, und sie müssen einander nicht entsprechen. Nur wenn Erscheinung und Wirklichkeit an dieser Stelle übereinstimmen, habe ich eine Erkenntnis, andernfalls erleide ich eine Illusion.

 

Wenn ich aber das Bild eines eines Steines in meinem Bewusstsein habe, dann habe ich eben dieses Bild in meinem Bewusstsein. Wenn mir ein Bild erscheint, dann erscheint es mir eben - was immer ihm in der realen Welt entsprechen mag oder nicht. Gefordert ist hier nämlich nicht, dass die Erscheinung des Steines mit etwas Fremdem - also einem realen Stein - übereinstimmt, sondern allein, dass sie mit sich selbst übereinstimmt.

Zu sagen, dass, wenn mir das Bild eines Steines erscheint, ich mich darin täusche, dass mir ein solches Bild erscheint, wäre daher gleichbedeutend mit der Behauptung, dass mir das nicht erscheint, was mir erscheint - bzw. damit, dass ich das nicht erlebe, was ich erlebe.

 

Beim Bewusstsein fällt das, "was mir erscheint" und das, "was tatsächlich der Fall ist", nämlich zusammen. Wie J. Searle es formuliert:

 

"[W]ir können für das Bewusstsein keine Unterscheidung [...] zwischen Erscheinung und Wirklichkeit machen, weil das Bewusstsein in den Erscheinungen selbst besteht. Was die Erscheinung betrifft, können wir keine Unterscheidung zwischen Erscheinung und Wirklichkeit machen, weil die Erscheinung die Wirklichkeit ist."

 

Wenn man also wirklich beim Erleben selbst bleibt und dabei keine Interpretationen vornimmt oder Schlüsse zieht, die über das eigentliche Erleben hinausgehen und von ihm her nicht gedeckt sind, so ist man frei von Illusionen. Denn die Grundlage der Illusion - die Differenz von Erscheinung und Wirklichkeit - fällt dann ja weg!

Bei der Sinneserfahrung jedoch geht man, sofern man sie auf die bewusstseins-unabhängige Welt bezieht, über dieses unmittelbare Gegebene der Erscheinung hinaus - und kann eben genau deshalb einem Irrtum verfallen. Denn das eigene Erleben entspricht sich selbst, aber es entspricht nicht zwingend auch der "äußeren" Welt.

 

Für das Begründen ist das eigene bewusste Erleben also das Primäre und die physische Welt um uns herum das Sekundäre. Nicht einmal in erster Linie, weil das bewusste Erleben sicherer ist - sondern vor allem, weil es unmittelbarer ist.

 

vor 20 Stunden schrieb Marcellinus:

Aber natürlich gibt es gute Gründe, anzunehmen, daß es eine Welt gibt, die nicht nur aus dir besteht. Du warst nicht immer erwachsen. Du hast deine Sprache nicht selbst erfunden, also mußt du sie von jemandem gelernt haben, und der wieder von jemandem usw. Da du nicht unsterblich bist, wurdest du auch irgendwann geboren, und zwar von anderen Menschen.

 

Nur haben wir all dieses Wissen direkt oder indirekt durch Sinneserfahrung (und Erinnerung an sie) - und hier läuft man Gefahr, in einen logischen Zirkel zu geraten:

 

"Woher wissen wir, dass es eine Welt jenseits unseres Erlebens gibt, die so und so beschaffen ist und in der wir diesen und jenen Platz in ihr haben? Dadurch, dass die Sinneserfahrung uns davon Kunde gibt! Und woher wissen wir, dass die Sinneserfahrung damit recht hat? Dadurch, dass wir wissen, dass es eine Welt jenseits unseres Erlebens gibt, die so und so beschaffen ist und in der wir diesen und jenen Platz haben!"

 

Die Sinneserfahrung für sich genommen kann eben das, was jenseits von ihr liegt, nicht allein verbürgen. Und die reale Welt liegt jenseits von ihr. Wie de Vries schreibt:

 

"Auch hier sehen wir, daß sogar in so einfachen Sätzen [wie "der Tisch ist rechteckig"] mehr gesagt wird, als wir wahrnehmen. Was wir wahrnehmen, ist die rechteckige Gestalt, die Farbe, die Härte usw., und das alles an derselben Raumstelle. So müßte ich mich also ausdrücken, wenn ich nicht mehr sagen wollte, als das, was ich wahrnehme. In Wirklichkeit sagen wir aber, daß da ein Ding mit Eigenschaften ist; und das können wir nicht wahrnehmen. [...]

Aber wenn ich sage: Diese Gestalt, diese Farbe ist an dieser Raumstelle, so schreibe ich dieser Farbe, dieser Gestalt Dasein zu, »Sein an sich«. So versteht jedermann diesen Satz. Er will sagen: Dieses Rechteckige ist da, ob ich es nun sehe oder nicht, d. h., unabhängig von meinem Sehen, »an sich«. Gerade das aber kann uns die Sinneswahrnehmung nicht zeigen. Der Sinn kann mir nur zeigen: Es erscheint mir jetzt diese Gestalt, diese Gestalt ist als gesehene da; ihre Unabhängigkeit von den Sinnen kann der Sinn selber nicht feststellen. [...] Genau denselben Eindruck, den ich jetzt von diesem Tisch habe, könnte ich auch im Traum haben. [...] Daraus geht hervor, daß alle Aussagen, die aufgrund der Sinneseindrücke das An-sich-Sein der gesehenen Dinge behaupten, sich nicht auf die Sinneswahrnehmung allein stützen; es kommt etwas anderes hinzu."

 

Wir können niemals direkt durch unsere Sinneserfahrung prüfen, ob unsere Sinneserfahrung uns eine reale Welt anzeigt oder nicht. Daher führt eine Position wie die Deine, nach welcher nur das als Wissen gelten kann, was sinnlich prüfbar ist, zwingend in einen zumindest hypothetischen Solipsismus. Also zumindest zu der Position, dass ich wenigstens nicht wissen kann, ob es die Welt um mich herum gibt oder nicht.

 

Man kann durchaus zirkelfrei begründen, dass es die "Welt um uns herum" gibt - nur muss man dann eben Einsichten ansetzen, die empirisch nicht prüfbar sind, deren Akzeptanz aber dennoch als rational zuzugeben ist.

 

vor 20 Stunden schrieb Marcellinus:

Das philosophische Problem ist im realen Leben also gar keines, und das hat es meiner Ansicht nach mit sehr vielen philosophischen Problemen gemeinsam. Wenn du aber schon bei der Frage, ob es die Welt überhaupt gibt, solch einen argumentativen Aufwand treiben mußt, nur um das, was sowieso klar ist, als Glaubensüberzeugung annehmen zu müssen, wie kommst du dann mit dem restlichen Leben klar? (Scherzfrage!) So versteht man wenigstens, warum Philosophie ein solch lebenfüllendes Programm ist, und ein so unproduktives.

 

Ganz anders sieht es aus. :D

Die Philosophie darf durchaus unter anderem auch fragen, wieso manches, was "der gesunde Menschenverstand" uns sagt, denn nun auch wirklich richtig ist. Dabei geht es dann eben auch darum, wie man etwas begründen kann und welche Fehler man besser vermeiden sollte.

 

Ob das "produktiv" ist? In welchem Sinne? In dem der Ingenieurswissenschaften? In dem der Kunst? In dem der Literatur- Sozial- oder Geschichtswissenschaften?

 

Du hast zwar, um es vorsichtig auszudrücken, keine allzu hohe Meinung von der Philosophie, vertrittst aber zahlreiche Positionen, die nach allen Definitionen der Welt "philosophisch" im strengsten und eigentlichen Sinne des Wortes sind. Bzw. nach allen Definitionen mit einer Ausnahme: Deiner Definition. ;)

Nach Deiner Definition sind Diene Positionen "Wissenssoziologie" - selbst wenn es bei ihnen ganz eindeutig nicht um spezifisch soziale Aspekte des Wissenserwerbs geht und Du zu ihrer Rechtfertigung auch nicht auf soziologische Analysen verweist, sondern ganz im Stile eines Philosophen argumentierst.

 

Allerdings wäre etwas weniger Verachtung für die Philosophie und etwas mehr Beschäftigung mit ihr vielleicht doch keine so ganz schlechte Idee. Sonst droht mitunter die Gefahr, Fehler zu wiederholen, die aus der Geschichte der Philosophie bereits bekannt sind. Denn die Position, dass man nur das wissen könne, was mithilfe der Sinneserfahrung in Erfahrung gebracht werden kann, ist ja nun nicht ganz neu. Sie ist vielmehr unter dem Stichwort "Empirismus" lange bekannt. Und welche Probleme mit ihm verbunden sind, sobald er beansprucht, begründet und wahr zu sein, ist ebenfalls schon lange bekannt. Russell hat es wie folgt formuliert (siehe hier).

 

"I will observe, however, that empiricism, as a theory of knowledge, is self-refuting. For, however it may be formulated, it must involve some general proposition [Satz] about the dependence of knowledge upon experience; and any such proposition, if true, must have as a consequence that [it] itself cannot be known. While therefore, empiricism may be true, it cannot, if true, be known to be so. This, however, is a large problem."

 

Und damit endet es nicht...

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