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Der gute (?) Hirte


Martin

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Hallo Lissie,

 

mir scheint, dass ich ein wesentlich konservativeres Theaterwunschverhalten habe, als das allgemeine "hiesige Publikum". - Regietheater nennt man es also, wenn nackte Männer über die Bühne hüpfen und mit Videos um sich werfen. Nun gut.....

 

 

Nach der artgerechten Tierhaltung habe ich gefragt, weil bei uns hier oben Schafe in der Regel ganz ohne Hirten auskommen.

 

Die stehen dann doof am Deich herum und lassen die Spaziergänger auf ihren Schmierstoffen ausrutschen. Die Flecken, die dabei entstehen, würden sogar Klementine mit ihrem Ariel verzweifeln lassen.

 

Verloren gehen kann keins der Schafe. Es gibt einen Zaun, der die ganze Herde zusammenhält. Und nur zum impfen, scheren und schlachten werden die Tiere in aus ihrem Trott herausgeholt.

 

Liebe Grüße

Heidi

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Liebe Heidi!

das ein oder andere Stück von Shakespeare ist verfilmt worden; im AStA-Kino gab's zu meiner Studentenzeit mal MacBeth - ohne hüpfende Nackedeis, dafür umso mehr strömendes Blut. Vielleicht gibt es bei Euch in der Gegend ja auch kulturbeflissene Lehrer - bei uns an der Schule wurde mal der Julius Caesar aufgeführt (von einem Latein-LK, aber auf Deutsch) oder der Sommernachtstraum (mehrere Englisch-LKs, auf Englisch). Diese Aufführungen waren sicher verständlicher als das "Regietheater".

 

Den Schafen auf den Deichen drohen keine Wölfe, Bären, Löwen, höchstens mal streunende Hunde. Und vor'm auf-die-Straße-rennen schützt ein Zaun hinreichend - solange keiner das Tor offen stehen läßt. Wenn die Schafe aber mal den Deich-Bereich wechseln sollen, kommen sie vermutlich auch nicht ohne Schäfer aus.

 

Liebe Grüße,

Lucia

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Liebe Heidi,

 

wir sind zwar jetzt sowas von off-topic, aber ich kann es mir einfach nicht verkneifen, noch ein paar Bemerkungen zum Thema Regietheater zu machen.

 

Im guten und idealen Fall bedeutet Regietheater nämlich keineswegs, daß sich ein Regisseur anmassen darf, nach Strich und Faden Sinn, Thema, Atmosphäre etc. eines Dramas zu ignorieren, sich stattdessen nur Handlung und Dialog "unter den Nagel zu reißen" und - Ermangelung der Fähigkeit, selber etwas schreiben zu können - für eine vöillig stückferne Eigeninterpretation zu mißbrauchen. Leider komme ich auch nicht umhin, genau dieses vielen der heute üblichen Inszenierungen zu unterstellen. Und: Je besser und universalgültiger ein Stück, desto ärgerlicher natürlich, wenn ein großartiger, intelligenter Inhalt durch einen blödsinnigen, unausgegorenen ersetzt wird. Mir ist noch heute schleierhaft, was einer der namhafteren Regisseure der 70er Jahre (ich kann mich nur noch düstern an die Inszenierung erinnern, weil ich noch ein Kind war) damit  zum Ausdruck bringen wollte, als er in Goethes Faust Gretchen als Punkerin auf einer U-Bahntoilette onanierend "Meine Ruih ist hin" gröhlen ließ. Vielleicht wollte er uns mitteilen, daß es U-Bahnklos gibt? Oder daß es Punkerinnen gibt? Oder mal wieder DAS stereotype Provokationsmittel "Onanie" als besonders neu auf die Bühne bringen? Wie auch immer, es hat mit Goethes Faust nun wirklich gar nichts zu tun gehabt und war einfach nur deplaziert.

 

Einer der eigentlichen "Erfinder" desa Regietheaters, Edward Gordon Craig, wollte aber genau das Gegenteil: Seine Grundidee war es, Theaterstücke (die zur damaligen Zeit noch mehr oder weniger als litararische Gattung galten) auf ihre eigentliche Bedeutung zu "kondensieren" um diese dann in eine theatrespezifische Sprache zu übersetzen. Theatr war damals nichts anderes, als eine szenische Umsetzung von Literatur, eine eigene Sprache (Semiotik) hatte man ihm noch nicht zuerkannt. Craig ging sogar so weit, zu behaupten (obwohl er etliche Shkespeare-Stücke inzeniert hatte) daß Shakespeare zu komplex, zu großartig und zu literarisch sei, um sich überhaupt für eine Bühnen-Umsetzung zu eignen. (Dem stimme ich nicht zu, aber es steht außer Frage, daß keine einzelne Inszenierung jemals alle möglichen Aspekte des zugrundeliegenden Stückes zum Ausdruck bringen könnte. )

 

Die vielbeschworene und be-lamentierte (vor allem von biederen Deutschlehreren, viel weniger jedoch von Literaturprofessoren) Unvereinbarkeit von Werktreue und Regietheater ist jedenfalls nur eine scheinbare. Es gibt ohne weiteres Stücke, die auch aus ihrem geschichtlichen Kontext gerissen ihre eigenetliche Bedeutung behalten, ja vielleicht sogar in einem anderen Kontext noch besser funktionieren. Das Problem dabei ist nur, daß es oft oft zu pädagogisch allzu bemühten und plakativen Szenarios kommt: Die Thematiken von "Kabale und Liebe" beispielsweise, Standesunterschiede, Macht, Korruption könnte auch möglicherweise funktionieren, wenn man Luise Miller als Tochter eines schwarzen Sklaven in den USA des 19. Jahrhunderts, und Ferdinand als Sohn des Plantagenbesitzers portätiert. Der Rest des Dramas wäre in so einer bemühten "Aktualisierung" aber total verseppelt, denn es atmet ihm aus jeder Textzeile der Gesit der deutschen Aufklärung, des aufstrebenden Bürgertums, und der nur in so einer Umgebung auch wirklich funktionierenden Chraktere.

 

Etwas vollkommen anderes wäre der "Sommernachtstraum": Der funktioniert in jder Phantasiewelt (Hauptsache, es ist wirklich phantasiereich), und meinetwegen können dort auch soviele nackte Männer herumlaufen wie man will, oder meinetwegen auch Pornografisches passieren ohne Ende mit dem Inhalt des Stückes ließe es sich prima vereinen.  Wollte man das Stück wirklich "shakespeareauthentisch" inszenieren, müßten die Frauenrollen noch von Männern gespielt werden u.v.m. Bei Goethe dürfte sich der Schauspieler niemals vom Publikum abwenden, sondern müsste seinen Text immer mit Gesicht zum Publikum sprechen, selbst wenn es sich um eine Liebeserklärung an die rechts neben ihm stehende Partnerin handeln sollte ,

 

Wie auch immer, hundertprozentig "werktreue" Inzenierungen laufen Gefahr, museal und unkreativ zu werden und kein anspruchsvoller Regissuer würde sich dafür hergeben. Das Problem des heutigen Regietheaters liegt eher darin, daß auch mit der Möglichkeit, freier und kreativer mit einer Textvorlage umzugehen, leider noch keine echte Gestaltungskraft freigesetzt wird. Das "Innovative" reduziert sich dann häufig auf hysterisches Gekreische und  nackte Männer - das stört mich zwar nicht zwangsläufig, reicht aber bei weitem nicht aus, um einem guten Drama gerecht zu werden.

 

 

So, dieser Exkurs mußte jetzt sein - schließlich hat mich  das verdammte deutsche Regietheater dazu gebracht, meinen Job zu wechseln und mich dem Film zuzuwenden, bei dem die Regisseure nicht so sehr unter dem Komplex leiden, in einem kreativen Wettbewerb zur Textgrundlage  zu stehen.  

 

 

Grüße und einen schönen Adventsabend,

 

Lissie

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