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Basiert die Ablehnung "widernatürlicher Akte" auf einem Fehlschluss?


iskander

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vor 18 Minuten schrieb Guppy:

 

In der westlichen Welt ist auch Gott kaum noch relevant.

In anderen Weltgegenden glauben sie auch, das Rotebeetesaft gegen Aids hilft  oder das alle möglichen seltenen Tiere getrocknet ind pulverisiert gut für die Potenz sind

 

Werner

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vor 11 Minuten schrieb Studiosus:

Daher ist es mit der Nachvollziehbarkeit von kirchlichen Argumenten auch nicht immer so leicht. 

Das heißt, man kann alle kirchlichen Argumente getrost in die Tonne treten. Es sind alles nur Märchen, nichts weiter

 

Werner

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@Studiosus

 

Die Kirche könnte sich natürlich theoretisch gegen Kritik "immunisieren", indem sie einfach behauptet, ihre stehe eine höhere Vernunft zur Verfügung. Freilich könnte es dann auch keinen Dialog mit der Welt mehr geben.

Das hat die Kirche bisher aber nicht getan. Sei hat immer daran festgehalten, dass ihre lehren zum Teil zwar "übervernünftig, aber eben nicht "widervernünftig" seien. Und in verschiedenen Fällen - auch gerade bei ihrer Sittenlehre - beruft sie sich auf die Vernunft. Und gemeint ist durchaus unsere "normale" Vernunft - so wie übrigens auch die "Natur", auf die sie sich hier beruft, durchaus die für uns erkennbare biologische Natur und keine mystische "Übernatur" ist!

 

Vielleicht ist das auch so, weil die Kirche "thomistisch" und damit "rationalistisch" geprägt ist. In einem Text von Heinzmann heißt es entsprechend über die Lehre des Thomas v. Aquin:

 

"Die Vernunft ist autonom; und das ist nicht eine gewagte These, die man aus christlicher Sicht gerade noch tolerieren könnte, sondern eine Grundforderung des Christentums. Kein Mensch und kein Christ darf sich unter Berufung auf seinen Glauben vom Denken dispensieren. [...] Die Denk- und Wahrheitsfähigkeit des Menschen gründet letztlich in Gott. Thomas spricht von einer Teilhabe der menschlichen Vernunft an der prima veritas, an der Wahrheit Gottes selbst. [...]

Glauben und Wissen stehen nicht nur nicht gegeneinander, sie sind auch nicht nur wesentlich aufeinander bezogen, sondern der Glaube setzt die natürliche Erkenntnis voraus wie die Vollendung das zu Vollendende («Sic enim fides supponit cognitionem naturalem, sicut gratia naturam, et ut perfectio perfectibile» (SThl 1 a.2 ad 1). [...]

Die Denkgesetze des Menschen und was davon deduziert wird, sind gültige und notwendige Voraussetzungen des Glaubens. Der Glaube bietet zwar neue, vom Menschen nicht ableitbare Inhalte, aber keine neuen Gesetze, mit denen diese Inhalte gedacht werden könnten. Glauben und Theologie bleiben also auf das natürliche Denken unablösbar verwiesen (Supra Boethium de Trinitate II). [...]

Grundsätzlich können also die Wahrheit des Verstandes und die Wahrheit des Glaubens nicht in Widerspruch geraten. Wenn es aber gleichwohl zu Widersprüchen kommt, dann sind entweder die Grundsätze der Vernunft nicht richtig angewendet, oder die Theologie gibt etwas für eine Glaubenswahrheit aus, was in Wirklichkeit keine ist (De potentia IV 1). In keinem Fall, und das ist ein Satz von größter Tragweite, kann etwas Inhalt christlicher Offenbarung und somit Gegenstand des Glaubens sein, das den Grundprinzipien und Gesetzen der Vernunft und des Denkens widerspricht. Darin zeigt sich die Eigenständigkeit, die Autonomie der Vernunft; sie ist die letzte kritische Instanz gegenüber dem Glauben. Ohne das Denken gerät der Glaube in die Verwahrlosung im strengen Sinne des Wortes; er verliert das Kriterium der Wahrheit."

(Hervorhebung von mir)

 

Soweit zur theoretischen Vernunft. Nun zur praktischen Vernunft bzw. Ethik:

 

"Keine Vorschrift verpflichtet nur deshalb, weil es sie gibt, gleich von wem sie aufgestellt wurde, auch nicht ein Gebot Gottes. Das Gute muß vielmehr getan werden, weil es gut ist und das Schlechte unterlassen werden, weil es schlecht ist, nicht weil es geboten oder verboten ist. Ein Gebot oder ein Gesetz bindet nur, insofern es durch das Wissen vermittelt ist (mediante scientia). Wissen besagt aber in diesem Zusammenhang nicht nur faktisches, äußeres Zur-Kenntnis-Nehmen, sondern Erfassen der Richtigkeit und inneren Einsichtigkeit des Gebotenen. Für Thomas ist die Einsicht in den Sachverhalt, eine Funktion der Vernunft also, der ausschlaggebende Bezugspunkt für die Sittlichkeit einer Handlung. Vernunftgemäß handeln heißt, moralisch handeln."

 

Wir sehen hier also einen ausgeprägten Rationalismus, und das hat auch die kath. Tradition in Folge entscheidend geprägt und gilt im Prinzip bis heute. Und an diesem Anspruch muss die Kirche sich eben dann auch messen lassen.

 

Ich weiß nicht, was Thomas zu meiner Kritik an seiner Argumentation zu den "widernatürlichen" Akten gesagt hätte, aber sicherlich hätte er die grundsätzliche Legitmität einer rationalen Analyse zugestanden, und sicher hätte er sich in seiner Antwort nicht auf eine mysteriöse "höhere" Vernunft oder auf eine angeblich "höhere", dem normalen Menschen unerkennbare "Natur" berufen.

 

Entsprechend wendet ja auch Paul VI. keineswegs nur an Katholiken, sondern an alle Menschen guten Willens, und er beruft sich auch ausdrücklich auf die Vernunft:

 

"An die Ehrwürdigen Brüder [...]  sowie an alle Menschen guten Willens [...] Unserer Meinung nach sind die Menschen unserer Zeit durchaus imstande, die Vernunftgemäßheit dieser Lehre [von der Verbotenheit künstlicher Verhütung] zu erfassen. [...] Große Hochachtung zollen Wir den Ärzten und ihren Helfern, die in der Ausübung ihres Berufes mehr darauf schauen, was ein christliches Berufsethos von ihnen fordert als auf rein menschliche Interessen. Sie mögen beharrlich bei dem Vorsatz bleiben, sich für die Lösungen einzusetzen, die dem Glauben und der Vernunft entsprechen. [...] Euch, ehrwürdige Brüder, liebe Söhne und Töchter, und euch alle, Menschen guten Willens, rufen Wir auf zu einem wahrhaft großen Werk der Erziehung und des Fortschritts und der Liebe."

(Hervorhebungen selbstredend von mir)

 

Ähnlich argumentiert auch die Glaubenskongregation in Persona Humana, gebilligt von Paul VI:

 

"In Wirklichkeit jedoch weisen die göttliche Offenbarung und, in dem ihr eigenen Bereich, auch die philosophische Erkenntnis dadurch, daß sie echte Erfordernisse der Menschheit aufzeigen, notwendig auf die Existenz unveränderlicher Gesetze hin, die in die konstitutiven Elemente der menschlichen Natur eingeschrieben sind und die in allen vernunftbegabten Wesen als identisch erscheinen. [...] Nach der christlichen Überlieferung und der Lehre der Kirche wie auch nach dem Zeugnis der gesunden Vernunft beinhaltet die sittliche Ordnung der Sexualität Werte von so großer Bedeutung für das menschliche Leben, daß jede direkte Verletzung dieser Ordnung objektiv schwerwiegend ist [...]"

(Hervorhebungen selbstredend wieder von mir)

 

Und in der Tat: Die Argumentation der Kirche ist ja durchaus in einem gewissen Sinne "verstehbar". Man kann sie analysieren und rekonstruieren; man kann schauen, was die expliziten Prämissen der vorgebrachten Argumente sind; man kann untersuchen, ob die Argumentation konklusiv ist oder ob man weitere Prämissen braucht; und falls letzteres gilt, ob und ggf. wie diese Zusatz-Prämissen begründet werden können. 

 

Eigentlich wäre eine solche sorgfältige argumentative Darlegung freilich die Aufgabe des Argumentierenden, hier also der Kirche.

 

@Werner001

 

Zitat

Das heißt, man kann alle kirchlichen Argumente getrost in die Tonne treten. Es sind alles nur Märchen, nichts weiter

 

Nein, zumindest nicht dem Anspruch nach! Es sind Argumente, die zumindest unter bestimmten Annahmen Beweiskraft haben sollen. Wäre es anders, würde ich mir auch gar nicht die Mühe einer Analyse und Kritik machen. (Natürlich "bringt" meine Kritik pragmatisch auch so nichts, aber man kann zumindest untersuchen, ob ein Anspruch, der theoretisch erhoben wird, praktisch auch eingelöst wird.)

bearbeitet von iskander
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vor 5 Minuten schrieb iskander:

Nein, zumindest nicht dem Anspruch nach!

Natürlich haben sie den Anspruch der Wahrheit. Aber was soll das sein, wenn die Prämissen nach Bedarf undefiniert werden? Mit entsprechenden von mir nach Bedarf festgelegten Prämissen ist es die volle Wahrheit, und alle Menschen guten Willens können es mit ihrer Vernunft erkennen, dass ich Jesus Christus bin.

 

Ich halte das allerdings nicht für eine redliche Argumentation 

 

Werner

 

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vor 51 Minuten schrieb Werner001:

Natürlich haben sie den Anspruch der Wahrheit. Aber was soll das sein, wenn die Prämissen nach Bedarf undefiniert werden?

 

Das würde die Kirche von sich weisen und darauf bestehen, dass ihre Prämissen nicht deswegen vernünftig seien, weil die Kirche vertritt, sondern dass umgekehrt die Kirche diese Prämissen vertritt, weil sie vernünftig seien. Ähnlich wie die Kirche vermutlich behaupten würde, dass [die meisten] Vögel nicht deshalb fliegen können, weil sie, die Kirche, das sagt, sondern dass sie sagt, dass Vögel fliegen können, weil die (empirisch informierte) Vernunft dies lehrt. Die Kirche bekennt sich "im Prinzip" durchaus zu einem "normalen" Verständnis der Vernunft.

 

Die Kirche hat ihre Lehre im Laufe der Jahrhunderte um Teil verändert und macht da auch nicht gerne großes Thema daraus, aber seit längerer Zeit ist die Lehre diesbezüglich eigentlich recht konstant. JPII. zum Beispiel argumentiert in der Sache ähnlich wie Pius XI., Pius II. und Paul VI, und der Hauptunterschied besteht wohl darin, dass er eben noch weitere Argumente ergänzt hat.

 

(Allerdings sagt man, dass es von Pius XI. zu Pius XII., der die Zeitwahl erlaubt hat, einen inhaltlichen Sprung gegeben habe. Pius XI. (Casti connubii) habe zwar auch über unfruchtbare Zeiten gesprochen, aber damit wohl die Zeiten nach Schwangerschaft und die Menopause gemeint. Knaus-Ogino ist wohl erst nach der Veröffentlichung von Casti Connubii richtig bekannt geworden. Pius XII. habe die Worte seines Vorgängers dennoch so interpretiert, dass Knaus-Ogino erlaubt sei.

Außerdem hat man später die fragwürdige Rechtfertigung der Ablehnung der Verhütung mit der Geschichte von Onan gestrichen, die bei Pius XI. noch als ein (Neben-)Argument auftauchte. Aber zumindest letztere Änderung ist wohl eher geringfügig.)

 

bearbeitet von iskander
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vor 15 Stunden schrieb iskander:

 

Das kommt darauf an. Die Mehrheit der Menschen scheint an Gott zu glauben. Allerdings ist der Glaube eher etwas Persönliches als etwas Politisches. Es gibt jedenfalls auch deutlich mehr Menschen, die sich einer der Kirchen zugehörig fühlen als derer, die der kath. Sexualmoral etwas abgewinnen können.

 

Interessante Umfrage. Danach glaubt jeder 4. Katholik in Deutschland nicht an Gott und 40% der deutschen Katholiken glauben nicht an die Auferstehung.

 

Kirchenmitgliedschaft ist für sehr viele eben nur noch reine Folklore. Und klar glauben einige Menschen noch diffus an einen Gott, aber wieviele haben eine lebendige Beziehung zu Gott, wieviele stellen Gott in das Zentrum ihres Lebens, wieviele streben danach Gott zu gefallen und nicht eigenen Wünschen und Begierden nachzulaufen?

 

 

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vor 25 Minuten schrieb Guppy:

 

Interessante Umfrage. Danach glaubt jeder 4. Katholik in Deutschland nicht an Gott und 40% der deutschen Katholiken glauben nicht an die Auferstehung.

 

Kirchenmitgliedschaft ist für sehr viele eben nur noch reine Folklore. Und klar glauben einige Menschen noch diffus an einen Gott, aber wieviele haben eine lebendige Beziehung zu Gott, wieviele stellen Gott in das Zentrum ihres Lebens, wieviele streben danach Gott zu gefallen und nicht eigenen Wünschen und Begierden nachzulaufen?

 

 

Und wieviele versuchen, ein anständiges Leben zu leben anstatt ihr Leben nach irgendwelchen sinnfreien Kirchenregeln auszurichten? 
Und: Wievielen hat die Kirche mit ihren sinnfreien Regeln den Glauben an Gott genommen?

 

Werner

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vor 14 Minuten schrieb Werner001:

Wievielen hat die Kirche mit ihren sinnfreien Regeln den Glauben an Gott genommen?

 

Die Kirchen tun eben viel Gutes! ;)

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vor 12 Minuten schrieb Marcellinus:

 

Die Kirchen tun eben viel Gutes! ;)

Ach, der Glaube an sich ist nichts Schlechtes. Was die organisierten Religionen daraus machen oft genug allerdings schon

 

Werner

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@Guppy

 

Man darf nicht

vor 4 Stunden schrieb Guppy:

 

Interessante Umfrage. Danach glaubt jeder 4. Katholik in Deutschland nicht an Gott und 40% der deutschen Katholiken glauben nicht an die Auferstehung.

 

Kirchenmitgliedschaft ist für sehr viele eben nur noch reine Folklore. Und klar glauben einige Menschen noch diffus an einen Gott, aber wieviele haben eine lebendige Beziehung zu Gott, wieviele stellen Gott in das Zentrum ihres Lebens, wieviele streben danach Gott zu gefallen und nicht eigenen Wünschen und Begierden nachzulaufen?

 

Es gibt auch Leute, die an Gott glauben, aber in keiner Kirche sind. Und vor allem die kath. Kirche bemüht sich ja nach Kräften, möglichst viele Leute rauszuekeln.

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vor 4 Stunden schrieb Werner001:

Ach, der Glaube an sich ist nichts Schlechtes. 

 

Das kommt darauf an. Letztlich ist es die Frage nach dem Wert von Illusionen. Alles, was wirkt, hat auch Nebenwirkungen. Wenn etwas also "nichts Schlechtes" ist, heißt das dann, daß es keine Wirkung hat? Das gilt wohl nur für unsere heutige, säkularisierte Form von Glauben. 

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vor 12 Stunden schrieb Marcellinus:

 

Das kommt darauf an. Letztlich ist es die Frage nach dem Wert von Illusionen. Alles, was wirkt, hat auch Nebenwirkungen. Wenn etwas also "nichts Schlechtes" ist, heißt das dann, daß es keine Wirkung hat? Das gilt wohl nur für unsere heutige, säkularisierte Form von Glauben. 

Es kann einem Halt gaben, positive Energie. Ich seh das nicht so negativ wie du. Ich sehe lediglich die organisierten Gotteserklärvereine sehr kritisch

 

Werner

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vor 5 Stunden schrieb Werner001:
vor 17 Stunden schrieb Marcellinus:

Das kommt darauf an. Letztlich ist es die Frage nach dem Wert von Illusionen. Alles, was wirkt, hat auch Nebenwirkungen. Wenn etwas also "nichts Schlechtes" ist, heißt das dann, daß es keine Wirkung hat? Das gilt wohl nur für unsere heutige, säkularisierte Form von Glauben. 

Es kann einem Halt gaben, positive Energie. Ich seh das nicht so negativ wie du. Ich sehe lediglich die organisierten Gotteserklärvereine sehr kritisch

 

Ja, es kann, und ich wäre der letzte, jemandem seinen Glauben ausreden zu wollen. Ich dagegen bin mit meinem Zustand der Glaubenslosigkeit sehr zufrieden und finde es eine große Erleichterung, ohne die Widersprüchlichkeiten der Religionen leben zu können. So mag jeder von uns gefunden haben, was ihm gemäß ist. 

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Am 23.4.2023 um 16:01 schrieb Marcellinus:

 

Die Kirchen tun eben viel Gutes! ;)

 

Wobei man hier ja eigentlich sagen muss, dass die evangelische Kirche in Deutschland sich von menschenfeindlichen Ballast einigermaßen getrennt hat. Hier gibt die kath. Kirche wohl eindeutig ein schlechteres Bild ab.  Zudem respektiert die ev. Kirche auch das Gewissen des einzelnen mehr.

 

Interpretiert man Deine Bemerkung nicht-ironisch, dann ist an ihnen sicher auch was dran. Die kath. Kirche etwa beruft sich ja, wenn sie z.B. wegen ihres Kondom-Verbots im Zusammenhang mit AIDS kritisiert wird, auf ihr soziales Engagement in der Dritten Welt, also dass sie etwa in Afrika Krankenhäuser (auch) für AIDS-Kranke betreibt usw.

Allerdings entschuldigt das Gute  nicht das Schlechte, und die Kirche treibt Helfer vor Ort auch in Dilemmata, wenn diese als eine Maßnahme unter mehreren eben auch Kondome verteilen wollen.

 

Das moralische Versagen in diesem Punkt ist m.E. vor allem auch deshalb erheblich, weil die kath. Sexual-Lehre sich zum Großteil nicht einmal dann begründen lässt, wenn man die kath. Grundannahmen akzeptiert *, und dass der entscheidende Grund für das Festhalten an diesen ganzen Absurditäten letztlich wohl der ist, dass man um keinen Preis eigene Fehler zugeben möchte.

 

* Was immer man von den kath. "Grundannahmen" hält: Man kann es der Kirche vermutlich kaum vorwerfen, dass sie diese hat. Diese Grundannahmen machen eben ihr Wesen aus. Aber auch unzählige loyale kath. Theologen haben darauf aufmerksam gemacht, dass sich die kath. Sexuallehre nicht aus diesen Grundannahmen herleiten lässt.

bearbeitet von iskander
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vor 30 Minuten schrieb iskander:

Wobei man hier ja eigentlich sagen muss, dass die evangelische Kirche in Deutschland sich von menschenfeindlichen Ballast einigermaßen getrennt hat. Hier gibt die kath. Kirche wohl eindeutig ein schlechteres Bild ab.  Zudem respektiert die ev. Kirche auch das Gewissen des einzelnen mehr.

 

Diese Sicht auf die evangelische Kirche ist sicher zutreffend. Der geschätzte emeritierte Ordinarius für Kirchenrecht in Mainz, Georg May, sieht in dem, was Du beschreibst, den großen selling point der Reformation in der Breite: Er beschreibt die Erleichterungen, die im Gefolge von Luthers Wirken in den neuen Gemeinschaften möglich waren (vor allem auch auf dem Gebiet von Moral und Sexualität), als den eigentlichen Motor der Reformation. Die wenigsten Leute, wenn sie nicht gerade selbst hochkarätige Theologen waren, hätten sich demnach für den Impuls der reformatorischen Theologie selbst begeistert, sondern sich vor allem dafür interessiert, dass Mönche und Nonnen ihre Klöster verlassen und heiraten durften, der Zölibat in Frage gestellt wurde, die Unauflöslichkeit der Ehe entfiel und überhaupt es dort zu einer bis heute andauernden Entspannung auf dem Gebiet des Geschlechtlichen kam. 

 

Also in gewisser Weise bestätigt May, was Du wahrnimmst, wenn er auch hinsichtlich der Bewertung eher auf meiner Linie ist. 

 

(Das schreibt May in seinem Buch "Die deutschen Bischöfe angesichts der Glaubensspaltung des 16. Jahrhunderts". Antiquarisch bestimmt noch greifbar, falls Interesse besteht) 

 

 

bearbeitet von Studiosus
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@Studiosus

 

Aber abgesehen mal von der Abschaffung des Zölibats und der "Befreiung" von Mönchen und Nonnen (also von Maßnahmen, die nur eine Minderheit betrafen):

Waren die reformierten Kirchen lange Zeit nicht gerade so sittenstreng wie die katholische? War es nicht sogar so, dass in kath. Gegenden gerade auch zur Zeit vor der Reformation (Renaissance) es in der Praxis sogar eher liberaler zuging?

 

In manchen Ländern sind die protestantischen Kirchen - abgesehen von der Empfängnisverhütung - doch auch heute noch ziemlich auf "kath. Linie".

 

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vor 12 Minuten schrieb Studiosus:

den großen selling point der Reformation in der Breite:

Es gab keinen großen selling point der Reformation in der Breite. Wenn ein Fürst meinte, er könne als Protestant besser regieren, dann hat er die Seiten gewechselt und seine Untertanen mussten mit. Der größte Teil der Bevölkerung hatte keine Wahl.

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vor 8 Minuten schrieb iskander:

Aber abgesehen mal von der Abschaffung des Zölibats und der "Befreiung" von Mönchen und Nonnen (also von Maßnahmen, die nur eine Minderheit betrafen):

 

Im 16. Jahrhundert waren das noch keine wirklichen Minderheiten. Zumindest waren genug Menschen auf die eine oder andere Weise davon betroffen. 

 

vor 8 Minuten schrieb iskander:

Waren die reformierten Kirchen lange Zeit nicht gerade so sittenstreng wie die katholische?

 

Ich denke da muss man den Ursprung reinen Wassers (also Luther selbst und seine direkten Epigonen) tatsächlich von dem unterscheiden, was danach kam. Gewisse puritanische Strömungen hätten mit Luthers "Sexualethos" (Ziert sich das Weib, so nimm die Magd; sinngemäß) wohl wenig anfangen können. 

bearbeitet von Studiosus
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vor 15 Minuten schrieb Studiosus:

Die wenigsten Leute, wenn sie nicht gerade selbst hochkarätige Theologen waren, hätten sich demnach für den Impuls der reformatorischen Theologie selbst begeistert, sondern sich vor allem dafür interessiert, dass Mönche und Nonnen ihre Klöster verlassen und heiraten durften, der Zölibat in Frage gestellt wurde, die Unauflöslichkeit der Ehe entfiel und überhaupt es dort zu einer bis heute andauernden Entspannung auf dem Gebiet des Geschlechtlichen kam. 

"Entspannung auf dem Gebiet des Geschlechtlichen"?

 

Ich weiß nicht, wo die Notiz mit Weib und Magd herstammen soll, aber soweit ich weiß war die Ehe Ehe und Hurerei war Hurerei. Von einer Enspannung ist da kaum zu reden. Es wirkt eher paulinisch: wer sich nicht enthalten kann soll heiraten.

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vor 7 Minuten schrieb Flo77:

Ich weiß nicht, wo die Notiz mit Weib und Magd herstammen soll

 

Das weiß ich auch nicht, ich besitze die authentische (Weimarer?) Ausgabe der Tischreden Luthers usw. nicht, da fände man das eventuell.

 

vor 7 Minuten schrieb Flo77:

aber soweit ich weiß war die Ehe Ehe und Hurerei war Hurerei

 

Das dürfte auch stimmen. Aber allein schon der Umstand, dass Luther die Ehe zum weltlich Ding machte nimmt, wenn man die theologische und juridische Aufladung der Ehe auf katholischer Seite ansieht, ordentlich Dampf aus dem Kessel. 

 

vor 7 Minuten schrieb Flo77:

Es wirkt eher paulinisch: wer sich nicht enthalten kann soll heiraten.

 

Ja und Nein. Ich meine natürlich spielt der Gedanke auch eine Rolle. Aber Luther ist da, etwa in seiner Schrift von der Mönchsweihe, wenig tolerant in dem Sinne, dass er jenen, die den Zölibat aus freien Stücken wählen, diese Lebensform zugesteht. Er vertritt da eher die Position, die auch hier schon anklang, wonach der Zölibat als solcher eigentlich eine Perversion sei und in offensichtlichem Gegensatz zum Auftrag der Genesis stehe. 

bearbeitet von Studiosus
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vor 45 Minuten schrieb iskander:
Am 23.4.2023 um 16:01 schrieb Marcellinus:

Die Kirchen tun eben viel Gutes! ;)

Interpretiert man Deine Bemerkung nicht-ironisch, dann ist an ihnen sicher auch was dran.

 

Das war nicht ironisch gemeint (na ja, jedenfalls nicht ganz), sondern Reaktion auf ...

 

Am 23.4.2023 um 15:46 schrieb Werner001:

Wievielen hat die Kirche mit ihren sinnfreien Regeln den Glauben an Gott genommen?

 

Die Kirche (gemeint ist hier wohl die katholische) betreibt hier also ein Werk der Aufklärung. Das finde ich gut! :)

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@Marcellinus

 

Okay, jetzt ist der Groschen gefallen! 🙂

 

@Studiosus und @Flo77

 

Luther war sicherlich "pragmatischer" in dieser Sache und hielt auch von der "jungfräulichen Lebenweise" wenig. Es sah offenbar, dass das mit dem Zölibat und Mönchtum (jedenfalls damals) einfach nicht richtig funktionierte und zu zahlreichen "illegitimen" Akten und Verhältnissen führte. Sexualfeindlich blieb Luther, aber seine spezielle Theologie milderte die Konsequenzen in einer gewissen Weise ab. Es ist ganz interessant, was Ranke-Heinemann dazu schreibt:

 

"Was Luther betrifft, so pflegen katholische Theologen gern darauf hinzuweisen, daß er, ein ehemaliger Augustinermönch (Augustinereremit), die augustinische Sexualmoral durchaus nicht hinter sich ließ, sondern im Gegenteil die erbsündige Schädigung des Menschen, den Sexualtrieb inbegriffen, überbetonte und insofern nicht nur keinen Fortschritt, sondern eher einen Rückschritt auf diesem Gebiet bedeutet habe. So schreibt z. B. 1911 der Jesuit Grisar in seinem Standardwerk über Luther: »Es ist tragisch genug, daß gerade Luther... in seiner angeblich so hohen Auffassung des ehelichen Verkehrs... dennoch den ehelichen Akt wegen der Konkupiszenz (Begierlichkeit) als eine schwere Sünde bezeichnet. In seiner Wartburgschrift >De votis monasticis< erklärt er: >Er (der eheliche Akt) ist eine Sünde nach Psalm 50,7, in nichts zu unterscheiden vom Ehebruch und der Hurerei, soweit die sinnliche Leidenschaft und die häßliche Lust in Betracht kommen. Gott rechnet sie aber den Eheleuten durchaus nicht an, und aus keiner anderen Ursache als wegen seiner Barmherzigkeit, da es für uns unmöglich ist, dieselbe zu meiden, obgleich wir ihrer zu entbehren verpflichtet sind<« (II, S. 499). Es ist richtig: Luther hat den ganzen lustfeindlichen Unsinn wiederholt, meist sogar in frühscholastischer, d. h. besonders lustfeindlicher Ausdrucksweise, aber er hat ihn trotzdem über Bord geworfen."

 

Deschner dazu:

 

"[Luther:] »Sei ein Sünder und sündige wacker, aber vertraue und freue dich in Christus.« Und womöglich noch prägnanter: »Die rechten Heiligen Christi müssen gute, starke Sünder sein und solche Heilige bleiben [2567].«"

 

Laut Deschner erklärte Luther nicht nur "Will die Frau nicht, so komm’ die Magd!", sondern erlaubte [zugunsten der Frau] auch die "Hospitierung von andern bei Untüchtigkeit des Mannes". Des Weiteren "widerstreite" es laut Luther auch "nicht der Schrift", wenn einer "mehrere Weiber heimführen" wolle.

 

Die Überzeugung jedenfalls, dass sexuelle Lust und sexuelles Begehren, in sich selbst abgrundtief böse sein müsste, war für die mittelalterliche Kirche und auch für einen Luther offenbar eine schiere Selbstverständlichkeit. Und die kath. Kirche ist von dieser Auffassung - aller entgegengesetzten Rhetorik zum Trotz - ja bis heute entscheidend geprägt.

 

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vor 19 Minuten schrieb iskander:

Sexualfeindlich blieb Luther, aber seine spezielle Theologie milderte die Konsequenzen in einer gewissen Weise ab.

 

Luther war ein Fundamentalist, wie die protestantische Reformation im Kern ein Fundamentalismus war, ein "zurück zu den (vermeintlichen) Anfängen".  Es konnte gar nicht anders sein, denn es ging um eine neue (alte) Letztbegründung, und die finden Religiöse in der Regel in der als "rein" vorgestellten Vergangenheit. Liberalisierung kam erst später, als sich das Fehlen einer zentralen Autorität auszuwirken begann, und damit gewissermaßen eine "Demokratisierung" des Glaubens. 

 

Deshalb ist es auch Unsinn, sich von einer Reformation des Islam eine Liberalisierung und Demokratisierung zu erwarten. Die Wahhabiten und andere Fundamentalisten SIND vielmehr die Reformation des Islam, und wie beim Protestantismus führt das erst einmal zu einer größeren Strenge. 

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