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Basiert die Ablehnung "widernatürlicher Akte" auf einem Fehlschluss?


iskander

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@Studiosus

 

Ich antworte Dir auf diesen Beitrag mal hier, weil es thematisch eindeutig besser passt.

 

  

Am 18.7.2023 um 00:55 schrieb Studiosus:

Ob und in welchem Umfang die Humanwissenschaften einen locus theologicus, einen Erkenntnisort der Theologe, im Sinne des großen Melchior Cano darstellen, ist alles andere als klar. Im Zuge der jüngeren Debatte hat man es sich recht einfach gemacht und kurzerhand die Humanwissenschaften nicht nur unter die theologischen Orte eingereiht, sondern ohne größere Vorbehalte zusammen mit den theologisch ebenfalls auslegungsbedürftigen "Zeichen der Zeit" an die Spitze gesetzt. Das führt zu der für katholische Verhältnisse ziemlich windschiefen Konstellation, dass plötzlich die primären Erkenntnisorte der Theologie (Schrift, Tradition, Lehramt) auf einen der hinteren Plätze verwiesen wurden. Der Glaube lässt sich allerdings nicht vor allem von zeitlich und inhaltlich unkonstanten und in ständiger Veränderungen begriffenen Quellen wie "Humanwissenschaften" und "Zeichen der Zeit" her konstruieren. Das sind unsichere Quellen und damit bewegt man sich wirklich nahe heran an eine bloße "Zeitgeisttheologie". Das dürfte auch die große Verwirrung von Theologie und Kirche heute erklären. 

 

Die Kirche kann sich natürlich auf die Position zurückziehen, dass Sozialwissenshafen etc. für ihre theologische und moralische Lehre nicht entscheidend oder nicht einmal relevant seien. Das kann sie tun. Aber die Kirche behauptet eben auch Dinge, die sozusagen in den empirisch-sozialwissenschaftlichen Bereich fallen. Beispielsweise heißt es im KKK (2337) über die katholisch zu verstehende "Keuschheit":

 

"Keuschheit bedeutet die geglückte Integration der Geschlechtlichkeit in die Person und folglich die innere Einheit des Menschen in seinem leiblichen und geistigen Sein."

 

Sofern diese Aussage sich auf den realen, erfahrbaren Menschen beziehen soll, ist sie eben auch empirischer (und damit psychologisch-soziologischer) Art. Oder sind slche Aussagen "rein spirituell" gemeint und entziehen sich jeder empirischen Beurteilung? Dann dürfte es allerdings schwierig werden, einen konkreten inhaltlichen Sinn, der sich mit artikulieren ließe, mit ihnen zu verbinden.

 

Eindeutig auf die empirische Welt scheint sich allerdings Franziskus zu beziehen:

 

"Rome is currently rife with rumours of an impending papal resignation, but Pope Francis was busy last week warning the Federation of Catholic Family Associations in Europe about a “scourge” of pornography which constitutes a grave “threat to public health”. The pope argued that it is a “serious delusion” to believe that adults can consume abnormal forms of sex and at the same time protect minors from them. He railed against a “vortex of addiction” and a “pandemic of loneliness”."

https://www.abc.net.au/religion/miles-pattenden-pope-francis-on-pornography/13927388

 

Es ist selbstredend eine Frage der Moral, wie die Kirche moralisch zur Pornografie steht. Und die moralische Bewertung der Pornografie (oder von was auch immer) ist auch nichts, was Psychologie oder Sozialwissenschaften unmittelbar und aus eigener Kompetenz leisten könnten.

 

Ob die Pornografie allerdings eine schwere Bedrohung der öffentlichen Gesundheit darstellt, ist eine andere Frage - und die ist dann durchaus empirisch und geht die Humanwissenschaften eben sehrwohl direkt an. Und hier scheint nicht nur viel dafür zu sprechen, dass der Papst unrecht hat, sondern auch dafür, dass die rigide Haltung der kath. Kirche für den Menschen nicht förderlich ist ("förderlich sein" in einem empirisch fassbaren Sinne, nicht in einem rein "spirituellen Sinne".)

 

Ich hatte das an anderer Stelle ja schon ausführlicher thematisiert und möchte es hier nur kurz anschneiden:

 

So scheint es etwa gute Indizien dafür zu geben, dass die Liberalisirung der Porngrafie - über unterschiedlichche Zeten und Kulturen hinweg - mindestens keinen negativen und vermutlich sogar einen günstigen Effekt auf sexuelle Delinquenz hatte (siehe etwa diesen Artikel von Diamond hier; siehe auch hier).

Das ist insofern auch naheliegend, als unsere heutige Zeit - in welcher Pornografie leichter zugänglich sein dürfte als in jeder anderen - beispielsweise beim Thema "sexuelle Missbrauch" viel sensibler zu sein scheint als viele andere Epochen, gerade auch als Zeiten, die sich prüde gaben. Demnach wäre also nicht nur mutmaßlich falsch, was FI. behauptet - sondern womöglich wäre sogar eher das Gegenteil seiner Behauptungen anzunehmen.

 

(Das ist eben das Risiko, das die Kirche eingeht, wenn sie Aussagen tätigt, die sich nicht allein auf den Glauben beziehen, sondern auf die reale Welt: Solche Aussagen sind (oftmals) potentiell prüfbar - und potentiell widerlegbar. Und in solchen Angelegenheiten kann der Papst, wenn er sich nicht selbst desavouieren möchte, auch keine einmalige Sonderstellung für sich beanspruchen, sondern seine Thesen stehen grundsätzlich genau so zur Disposition wie die von jedem anderen auch.)

 

Doch es kommt - aus Sicht der Kirche - vielleicht sogar noch schlimmer, denn womöglich ist es gerade eine rigide Sexualmoral, die einen ungünstigen Einfluss hat:

 

So heißt es bei Kerscher ("Perspektiven Postmoderner Sexualpädaogik" via Google-Books):

 

"Eines der Resultate, das in diesem Zusammenhang [eine Untersuchung des US-Kongresses zur Pornografie] besonders interessant ist, lautet dahingehend, dass Sexualverbrecher in ihrer Kindheit und Jugend im Vergleich zur durchschnittlichen Bevölkerung verstärkt sexueller Restriktion und sexueller Repression unterworfen waren.

Nach einer ausführlichen Darstellung und Diskussion der Forschungsergebnisse resümiert die 'Kommission für Obszönität und Pornografie' des amerikanischen Kongresses: 'Sexualstraftäter berichten im allgemeinen von sexuell repressiven Familienverhältnissen, von unreifer und inadäquater sexueller Entwicklung und von starrer konservativer Einstellung zur Sexualität. Die Forschungsergebnisse lassen darauf schließen, dass Kindheitserfahrungen, die sich durch ein hohes Maß sexueller Repression und Inhibition der sexueller Neugier auszeichnen, mit psychosexueller Fehlentwicklung und antisozialem Verhalten verbunden sind.'"

 

Im Original des Berichtes (siehe hier S. 242) heißt es:

 

"A growing body of research literature on the etiology of sexual offenders emphasizes the etiological difference between sex offenders and other adults in sexual development. Research shows that the early social enviroments of sex defenders may be characterized as sexual repressive and deprieved. [...] Sex offenders' histories reveal a succession of immature and impersonal sociosexual relationships, rigid sexual attitudes and conservative behavior (Amir, 1965; DeRiver, 1956; Gagnon and Simon, 1967b; Galbraith & Mosher, 1968; Gebhard, [sic] et al., 1965; Karpman, 1954; Leiman and Epstein, 1961;  Reinhardt, 1957; Thorne and Haupt, 1966)."

 

Viele Jahre später kommt Diamond (Quelle oben verlinkt) zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen, wobei er die Rolle strenger religiöser Vorstellungen explizit hervorhebt:

 

"Most frequently, as it was found in the 1960s before the influx of sexually explicit materials in the United States, those who committed sex crimes typically had less exposure to SEM [sexually explicit material] in their background than others and the offenders generally were individuals usually deeply religious and socially and politically conservative (Gebhard, Gagnon, Pomeroy, & Christenson, 1965). Since then, most researchers have found similarly (e.g., Ward & Kruttschnitt, 1983). The upbringing of sex offenders was usually sexually repressive, often they had an overtly religious background and held rigid conservative attitudes toward sexuality (Conyers & Harvey, 1996; Dougher, 1988); their upbringing had usually been ritualistically moralistic and conservative rather than permissive."

 

Ich hatte das seinerzeit wie folgt kommentiert:

 

"Natürlich wäre es hier wie gesagt wünschenswert, die Quellen genauer zu prüfen, was womöglich schwierig ist, weil es sich zum Teil um ältere Bücher oder Kapitel in ihnen handelt. Trotzdem scheint hier zumindest eine Prima-Facie-Plausibilität oder zumindest eine ernsthafte Anfrage an die rigide Sexualmoral zu bestehen."

 

Es scheint außerdem ein sehr breiter Konsens unter Fachleuten im Hinblick auf die psychohygiensiche Schädlichkeit der rigiden (katholischen) Sexualmoral im Hinblick auf das Individuum selbst zu bestehen (siehe hier). Zitat Patton:

 

"All clinicians interviewed unanimously supported the hypothesis of this research as fact [...] These medical doctors, psychologists, psychiatrists, and sex therapists acknowledged that they each have treated numerous cases of people suffering damage from the strict observance of sexual orthodoxy in Protestant, Catholic, and Jewish denominations. Anxiety, fear, and guilt tend to be the major symptomatology in Catholics. Clinicians do not appear to value religion less--quite the contrary. However, they do universally reject the needless suffering and damage they view in Catholics and especially all the defense mechanisms religious people use to deny or repress this pathology."

 

Dies ist wie gesagt nur ein Teil des Materials, das bereits erwähnt wurde. Ich scheue mich vor definitiven Urteilen, da ich mich nicht umfassend genug mit diesem Thema beschäftigt und beispielsweise die  Original-Quellen nicht recherchiert und gründlich geprüft habe, aber es scheint doch einiges dafür zu sprechen, dass die obige Darstellung akkurat ist.

 

Nehmen wir also zumindest einmal an, es wäre so. Wäre damit dann die Richtigkeit der kath. Sexualmoral widerlegt? Logisch gesehen nicht, denn die Aussagen der Kirche sind normativer Natur, und die Aussagen von Psychologie und Sozialwissenschaften deskriptiver und empirischer Natur, und man kann nicht ohne weiteres zwingende Schlüsse von der einen Ebene auf die andere ziehen.

 

Andererseits wäre es auch sehr merkwürdig, wenn moralisch das gut wäre, was nicht nur dem Menschen nichts nutzt, sondern ihm schadet. Und so scheint das ja auch die katholische Kirche zu sehen. Deren Denkweise scheint in etwa so zu lauten:

 

1) Was Gott dem Menschen befiehlt, ist für den Menschen gut und hilft ihm, sich zu entfalten, auch in einem "psychohygienischen" Sinne; Gott befiehlt dem Menschen nichts Sinnloses oder Krankmachendes oder Destruktives, sondern will ihn im Gegenteil vor Schlechtem und Schädlichen bewahren.

2) Gott befiehlt dem Menschen, sich an die Sexualmoral der kath. Kirche zu halten.

3) Also hat die kath. Sexualmoral gute Wirkungen auf den Menschen, und ein Abweichen von dieser Moral muss schlechte Folgen haben (auch solche, die man konkret feststellen kann).

 

Meine Vermutung wäre zumindest, dass die Gedankengänge von FI. und anderer ähnlich aussehen, und dass solche Überlegungen etwa auch hinter der oben zitierten Passage aus dem KKK sehen. Allerdings würde das dann ein Problem mit sich bringen: Wenn 3) falsch ist - wenn also die kath. Sexualmoral im Hinblick auf ihren Rigorismus keine guten, sondern schlechte Auswirkungen hat -, muss im Umkehrschluss These 1) oder These 2) falsch sein (oder natürlich beide zusammen).

 

Die Kirche könnte sich dann wie gesagt auf die Position zurückziehen, dass es nicht relevant sei, was ihre Lehre für reale Effekte in der realen Welt zeitigt - aber wie glaubwürdig wäre das? Und wie gesagt scheint die Kirche selbst diesem Prinzip nach meinem Eindruck nicht zu folgen. (Man denke auch daran, was für unglaublich wohltuende psychologische und soziale Effekte die NFP laut JPII für die gesamte Familie hat.)

bearbeitet von iskander
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Der Vollständigkeit wegen möchte ich gerne auf einige Beiträge Beiträge in anderen Threads hinweisen, die thematisch für diesen Thread relevant sind. Die Antworten Dritter auf diese Beiträge (soweit existent) oder auch die Diskussionen "rundherum" sind selbstredend zur Lektüre mitempfohlen.

 

Hier versuche ich zu analysieren, welche Art von impliziten oder zusätzlichen Annahmen es braucht/bräuchte, damit die "naturrechtliche" Argumentation der Kirche logisch schlüssig ist.

 

Hier, hier und hier erörtere ich, welche konkreten Resultate sich aus der offiziellen Lehre ergeben.

 

Hier hinterfage ich Behauptung, dass die heutige kath. Sexuallehre eine tragende, unverzichtbare Funktion für die Kirche habe. Ich vergleiche dort auch kurz die traditionelle kath. Sexuallehre mit der heute offiziell gültigen.

 

Hier geht es insbesondere um die traditionelle Auffassung, dass die sexuelle Lust (bzw. die Disposition zu ihr) die Erbsünde übertragen, und zwar im Zusammenhang mit Thomas v. Aquin.

 

Hier versuche ich darzulegen, dass die kath. Moralthelogie - entgegen anderslautenden Behauptungen - von grundsätzlich den gleichen moralischen Maximen ausgeht wie säkular denkende Menschen, außer auf dem Gebiet der Sxualmoral.

 

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Ausgehend von einer Diskussion in einem anderen Thread (ungefähr ab hier) möchte ich noch etwas zu der Frage schreiben, ob sich seit den Zeiten von Pius XII. und Heribert Jone etwas Grundlegendes an der offiziellen kirchl. Sexualmoral geändert hat, wenn man vom Katechismus der katholischen Kirche (KKK) als autoritativem Dokument ausgeht. Dabei gehe ich auf die Punkte ein, die meines Wissens überhaupt infrage kommen könnten.

 

(Ich wähle Pius XII. auch deswegen, weil seit ihm die "Zeitwahl" als Methode der Geburtenregelung zulässig ist. Außerdem geht es mir bei der Frage nach Änderungen um praktisch relevante Verbote, nicht um "Grundsatzerklärungen" zum Wert der Ehe etc.)

 

 

Mögliche Veränderungen?

 

 

1) Ist nicht mehr sexuelle Sünde objektiv schwerwiegend?

 

Man könnte vielleicht im Hinblick auf den KKK argumentieren, dass die Lehre, wonach es im Bereich der Sexualität nur (objektiv) "schwere" Sünden gebe, obsolet sei, weil sie im KKK nicht explizit wiederholt wird.

 

Ich halte das jedoch für unwahrscheinlich. Der KKK befasst sich nicht extrem ausführlich mit der Sexualmoral und jedem ihrer einzelnen Verbote. Aus der Nicht-Thematisierung jedes einzelnen Punktes folgt daher m.E. wenig.

Zudem steht hinter dieser Lehre von den stets "schweren" sexuellen Sünden eine sehr lange Tradition; und diese Tradition wurde auch ausdrücklich nochmals von Paul VI. bekräftigt (Persona humana), und zwar nach dem 2. Vatikanum (nämlich 1975 in der Erklärung Persona humana der Glaubenskongregation). Ein nachkonziliares Schreiben, gezeichnet von Papst Paul VI. höchstpersönlich, dürfte auch nach kath. Maßstäben relativ aktuell sein und kaum so einfach abgetan werden. Und im Zweifelsfall wäre der Katholik wohl ohnehin verpflichtet, eher vorsichtig zu sein.

 

Doch selbst, wenn es an dieser Stelle eine Änderung gegeben haben sollte, bliebe die Frage, wie groß die Relevanz dieser Veränderung in Praxis tatsächlich wäre. Zwar gibt es  Katholiken, die sexuell nur durch flüchtige Gedanken, in die sei "einwilligen", "sündigen". Aber viele andere "sündigen" nach allem, was man weiß, auf die eine oder andere Weise eben auch durch "Akte". Und zumindest jeder unerlaubte sexuelle Akt gilt eindeutig als objektiv "schwere Sünde", auch nach dem KKK. (Das mag hinter Vokabeln wie "schwere ordnungswidrige Handlung" und ähnliches nicht für jeden sichtbar sein, ist aber unzweifelhaft der Fall.)

 

Es ist also sehr fraglich, ob sich hier überhaupt etwas verändert hat (ich persönlich halte es für unwahrscheinlich); und selbst wenn, wäre eine Änderung im Hinblick auf viele Leute wohl ohnehin nur von überschaubarer Relevanz.

 

 

2) Ist immer noch jeder nicht-vaginale eheliche Akt (schwer) sündhaft?

 

Man könnte vielleicht auch noch meinen, dass die frühere Lehre, nach der jeder "vollendete" nicht-vaginale Sexualakt auch in der Ehe eine Sünde (und eine schwere dazu) darstelle, obsolet sei, da sie im KKK nicht erwähnt wird. Zudem stehe zwar aber eine lange Tradition hinter dieser Lehre, aber sie sei (womöglich?) zuletzt von Pius XII. bekräftigt worden (siehe hier), also vor dem 2. Vatikanum, scheinbar wohl im Jahre 1956.

 

Ich halte es allerdings für extrem unwahrscheinlich, dass es hier eine Veränderung gab. Wie gesagt wäre eine Auslassung im KKK m.E. noch kein Gegenbeweis. Zudem spricht der KKK vom "humanen" Vollzug der Sexualität in der Ehe, und ich vermute, dass damit womöglich die fragliche Lehre um Ausdruck gebracht werden sollte. Vor allem aber wäre bei einer Erlaubtheit entsprechender Akte die gesamte Lehre von der "Naturgemäßheit" resp. "Widernatürlichkeit" erledigt. Diese beruht nämlich ja auf der Überzeugung, dass ein "vollendete" Gebrauch der Sexualität nur dann zulässig ist, wenn dieser Gebrauch eine Erzeugung von Nachkommen "grundsätzlich" ermöglicht. Mit der Argumentationsfigur von der "Widernatürlichkeit" würde aber ein (nach wie vor) tragender Pfeiler der kath. Sexualmoral wegbrechen, denn dann würde das Verbot auch anderer sexueller Akte, bei denen eine Zeugung ausgeschlossen ist, zur Disposition stehen.

 

Daher kann man wohl mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass sich da etwas geändert hat. (Falls sich sich doch etwas geändert hätte - was ich allerdings für eine hypothetische Annahme halte -, wäre das zwar eine Liberalisierung; aber aus Sicht der Kritiker der kath. Sexualmoral wäre damit auch nur eine von vielen Baustellen bedient.)

 

Es gibt dann auch noch manchmal den Hinweis, dass ja heute die Pastoral milder geworden sei, auch wenn die Lehre unverändert sei. Aus meiner Sicht handelt es sich da aber großteils um eine Flickschusterei, bei der man die Quadratur des Kreises versucht. Es fehlt diesem Ansatz m.E. erheblich an intellektueller Glaubwürdigkeit. (Siehe diesen Beitrag hier aus einem anderen Thread.)

 

 

Jenseits des KKK

 

Folgende Veränderungen haben es bisher wohl noch nicht in den KKK geschafft: Kondome im Rahmen der Krankheitsprävention werden seit bei BXVI. milder beurteilt als zuvor (kleineres Übe,) und wiederverheiratete Geschiedene können seit FI u.U. zu den Skaramenten zugelassen werden. Der erste Punkt stellt eine echte Veränderung das und ist pragmatisch sicherlich von erheblicher Bedeutung - er mag sogar Menschenleben retten. Wirklich "akzeptiert" im eigentlichen Sinne sind Kondome aber dennoch nicht, und in Sachen Kontrazeption hat sich damit auch nichts geändert. Die zweite Veränderung ist wohl eher eine pastorale als eine doktrinäre, auch wenn sie für manche betroffenen wiederverheirateten Geschiedenen eine echte Entlastung darstellen mögen.

 

Ich will diese Veränderungen nicht kleinreden, und wenigstens in der Sache mit den Kondomen zeigt sich ja auch, dass die Lehre tatsächlich nicht unwandelbar ist. Aber der große Durchbruch im Sinne derjenigen, die sich eine Veränderung der Sexualmoral wünschen, ist das dann wohl trotzdem bei weitem nicht.

 

 

Resümee

 

Abgesehen von den beiden zuletzt genannten Punkten - Kondome bei AIDS als "kleineres Übel" und Zulassung wiederverheirateter Geschiedener - ist (sehr) fraglich, ob es überhaupt irgendwelche Änderungen gab. Und selbst, wenn es welche gegeben haben sollte, wäre die Relevanz dieser Änderungen für viele Betroffene wohl doch eher überschaubar.

 

 

Vergleich zwischen Pius XII. und dem KKK

 

Wie wenig sich tatsächlich seit den Jahren von Pius XII. verändert hat, wird auch deutlich, wenn man bedenkt, wie Pius XII. auf eine Denkschrift der Weltfrauenjugend antwortete. Alles, was er sagte, entspricht eins zu eins dem heutigen KKK. Pfürtner dazu:

 

"Man wies [von Seiten der Weltfrauenjugend] daraufhin, daß vielen die christliche Lehre «als eine Summe von Vorschriften und Verboten» erschien und daß sie fürchteten, «in dieser Befehlsmoral zu ersticken. [...]"

 

Der Hoffnung auf Veränderung wurde von Pius jedoch eine klare Absage erteilt:

 

"Dann zählt der Papst verschiedene allgemeinverbindliche Verbote auf, darunter« Ehebruch, Geschlechtsverkehr Unverheirateter, Mißbrauch der Ehe, Selbstbefleckung ... », die «vom göttlichen Gesetzgeber strengstens verboten sind», und faßt die Objektivität und Absolutheit ihrer Geltung in dem Satz zusammen: «Da gibt es nichts zu prüfen. Wie immer die persönliche Lage sein mag, es gibt keinen anderen Ausweg als den zu gehorchen» [...]"

 

(Mit "Missbrauch der Ehe" ist die Empfängnisverhütung gemeint.)

 

Man würde das heute vermutlich diplomatischer formulieren. Aber in der Sache hat sich da wie gesagt doch kein Iota geändert. Alles, was Pius sagt, ließe sich auch aus dem KKK ableiten.

bearbeitet von iskander
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vor 10 Stunden schrieb iskander:

Man könnte vielleicht im Hinblick auf den KKK argumentieren, dass die Lehre, wonach es im Bereich der Sexualität nur (objektiv) "schwere" Sünden gebe, obsolet sei, weil sie im KKK nicht explizit wiederholt wird.

Ich halte diese Interpretation für richtig.

Daß in einem allgemeinen Werk wie dem KKK nicht jeder Sonderfall behandelt werden kann, auf den Jone vielleicht mal eingegangen ist, das ist klar. Aber ich gehe davon aus, daß alle grundlegenden Aspekte in diesem Kompendium angesprochen werden (sonst wäre sein Nutzen zweifelhaft) und man umgekehrt aus dem Fehlen ehemals wichtiger Aspekte schließen darf, daß diese nicht mehr zum Kern der römisch-katholischen Kirchenlehre gehören.

 

vor 10 Stunden schrieb iskander:

Zudem spricht der KKK vom "humanen" Vollzug der Sexualität in der Ehe, und ich vermute, dass damit womöglich die fragliche Lehre um Ausdruck gebracht werden sollte.

Damit sprichst Du ein weiteres Problem an: Es werden unklare Begrifflichkeiten verwendet (wie z.B. auch in OS, wodurch der Grad der Verbindlichkeit strittig bleibt).

Für Handlungsempfehlungen mag das OK sein, für Texte mit Anspruch auf Verbindlichkeit ist das hochproblematisch. Das Krichenrecht als Gesetzbuch hat dafür die entsprechenden Regeln: Einschränkungen sind eng, Vergünstigungen weit auszulegen und das Heil der Seelen ist das wichtigste. Im Bereich der Sexualmoral gilt traditionell wohl eher: Jede Regel ist im Zweifelsfall mit größtmöglicher Strenge anzuwenden.

Hilfreich ist auch das nicht.

 

vor 10 Stunden schrieb iskander:

Folgende Veränderungen haben es bisher wohl noch nicht in den KKK geschafft: Kondome im Rahmen der Krankheitsprävention werden seit bei BXVI. milder beurteilt als zuvor (kleineres Übe,) und wiederverheiratete Geschiedene können seit FI u.U. zu den Skaramenten zugelassen werden.

Und auch das ist ein Problem. Woran soll ich als einfacher, aber interessierter gläubiger Laie erkennen, wo der KKK noch stimmt und wo er von päpstlichen Äußerungen überholt wurde? (Wobei ich fürchte, daß nicht nur gläubige Laien, sondern auch geweihte Dogmatiker damit ein Problem haben.)

 

bearbeitet von Moriz
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vor 3 Stunden schrieb Moriz:

Ich halte diese Interpretation für richtig.Daß in einem allgemeinen Werk wie dem KKK nicht jeder Sonderfall behandelt werden kann, auf den Jone vielleicht mal eingegangen ist, das ist klar. Aber ich gehe davon aus, daß alle grundlegenden Aspekte in diesem Kompendium angesprochen werden (sonst wäre sein Nutzen zweifelhaft) und man umgekehrt aus dem Fehlen ehemals wichtiger Aspekte schließen darf, daß diese nicht mehr zum Kern der römisch-katholischen Kirchenlehre gehören.

 

Dieser Interpretation steht m.E. allerdings manches entgegen:

 

- Selbst die an sich wichtige Veränderung im Hinblick auf die Rolle bei Kondomen hat es ja wohl auch nicht in den Katechismus geschafft.

 

- Auch die Lehre, dass jeder eheliche nicht-vaginale "vollendete" Akt stets sündhaft ist, hat es nicht explizit in den KKK geschafft - obwohl sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nach wie vor gültig ist.

 

- Es wäre die Frage, ob die Lehre, dass jede sexuelle Sünde immer objektiv schwer ist, es in frühere Katechismen geschafft hat. "Früher" heißt hier: "in Zeiten, in denen diese Dinge zweifellos unbestritten waren und auch explizit von Päpsten gelehrt wurden".

 

- Es wäre außerdem zu untersuchen, ob die Lehre von den nicht-vaginalen Akten) in früheren Katechismen explizit aufgenommen wurde. "Früher" heißt hier erneut: "in Zeiten, in denen diese Dinge zweifellos unbestritten waren und auch explizit von Päpsten gelehrt wurden".

Selbst im Jone jedenfalls scheint ebendiese Lehre von den nicht-vaginalen ehelichen Akten auch nicht explizit aufzutauchen (siehe hier ab S. 180), obwohl sie damals unzweifelhaft akzeptiert war, wenige Jahre zuvor von Pius XII bekräftigt worden war und Jone sich sicherlich nie über Papst und Tradition hinweggesetzt hätte, und obwohl diese Lehre innerhalb des kath. Sexuallehre sachlogisch zwingend ist.

 

Dass etwas in einschlägigen Schriften - oder selbst im KKK - nicht vorkommt, muss also wohl noch nicht viel heißen. Du sagst es ja selbst, wenn auch in einem etwas anderen Zusammenhang:

 

Zitat

Woran soll ich als einfacher, aber interessierter gläubiger Laie erkennen, wo der KKK noch stimmt und wo er von päpstlichen Äußerungen überholt wurde?

 

Außerdem möge man bedenken, dass Paul VI., der die Lehre von den stets schwerwiegenden sexuelle Sünden - und damit eine alte und starke Tradition - nochmals ausdrücklich bekräftigt hat, ein sexualethisch eher liberaler Papst war (nach kath. Maßstäben, versteht sich). Er war in dieser Sache jedenfalls sicher nicht so rigoros und entschieden wie etwa JPII. So hatte der spätere JPII, der damalige Erzbischof von Krakau, Karol Wojtyła, Papst Paul VI. gebeten, dass dieser Humane vitae als Dogma verkünden solle - was von Paul VI. jedoch abgelehnt wurde (siehe hier).

Auch deshalb ergäbe es aus meiner Sicht wenig Sinn, die sexualethischen Äußerungen von Paul VI. als "überholt" abzutun, nicht aber die eines JPII oder eines BXVI. Paul VI. ist ein nachkonzilarer und "moderner" Papst, und in Fragen der Sexualmoral im Zweifelsfall sogar eher "zurückhaltend".

 

Meine Vermutung, wieso manche Lehren nicht im KKK oder ähnlichen Dokumenten stehen, wo man sie eigentlich erwarten würde, ist eine andere.

Die offizielle kath. Sexuallehre steht ja ohnehin schon heftig in der Kritik, und es gibt viele, die sie ablehnen. Wenn jetzt auch noch prominent gesagt würde, dass jede gewollte sexuelle Lust, die nicht im Kontext des ehelichen Aktes steht immer eine objektiv "schwere Sünde" sei, selbst dann, "wenn die Lust noch so unbedeutend und kurz ist" (Jone), dann wäre vielleicht ein Punkt erreicht, an dem selbst eine erhebliche Anzahl von gutwilligen Rezipienten ins Grübeln käme. Könnten Kritiker, die die kath. Moral als übertrieben streng ansehen, vielleicht doch recht haben? Hier könnte die Kirche noch mehr an Glaubwürdigkeit verlieren und sich zudem noch mehr angreifbar machen.

In ähnlicher Weise dürfte es sich mit der zumindest nicht explizit geäußerten Lehre verhalten, dass jeder nicht-vaginale "vollendete" Akt auch in der Ehe immer schwer sündhaft ist.

 

Natürlich verkündet die Kirche eine sehr rigide Sexual-Moral trotz aller Widerstände und aller Kritik - aber ich glaube, die Kirche hat auch ein Gefühl dafür, den Bogen nicht zu sehr zu überspannen.

 

(Bei Jone, der ja nur für einen kleinen, theologisch gebildeten Leserkreis und in einer anderen Zeit schreibt, dürfte es m.E. einen anderen Grund geben, wieso er Lehre von den nicht-vaginalen Geschlechtsakten offenbar nicht explizit darstellt: Es könnte sowohl für Beichtväter wie auch Pönitenten unangenehm sein, wenn die Pönitenten abstrakte Formulierungen vielleicht nicht so gut verstehen und im Detail ausgefragt werden müssten, wie sie nun genau mit ihrem (Ehe)partner sexuell verkehren.)

 

 

Zitat

 

Damit sprichst Du ein weiteres Problem an: Es werden unklare Begrifflichkeiten verwendet (wie z.B. auch in OS, wodurch der Grad der Verbindlichkeit strittig bleibt).
Für Handlungsempfehlungen mag das OK sein, für Texte mit Anspruch auf Verbindlichkeit ist das hochproblematisch.

 

 

Ich vermute, dass das an der von mir benannten Stelle ("humaner" Vollzug des Sexualaktes) tatsächlich damit zu tun haben könnte, dass man zögert, die Lehre von den stets verbotenen nicht-vaginalen Akten offen auszusprechen - aber wirklich sicher sein kann ich natürlich auch nicht. Ich glaube, es wird an dieser Stelle ein Konzilsdokument zitiert, und zu diesem müsste man dann wohl recherchieren.

 

Ansonsten geht der Mangel an Klarheit wohl größtenteils auf einen Mangel an Fehlerkultur zurück. Man will etwas verändern, aber man will nicht zugeben, dass man etwas verändert.

 

Zitat

Das Krichenrecht als Gesetzbuch hat dafür die entsprechenden Regeln: Einschränkungen sind eng, Vergünstigungen weit auszulegen und das Heil der Seelen ist das wichtigste. Im Bereich der Sexualmoral gilt traditionell wohl eher: Jede Regel ist im Zweifelsfall mit größtmöglicher Strenge anzuwenden.

Hilfreich ist auch das nicht.

 

Aus Deiner Sicht oder der Sicht eines Außenstehenden sicher nicht - aus (streng) konservativer Sicht vermutlich schon. :wink:

 

Meine eigene Auffassung dazu lautet, dass die Kirche ehrlich sein sollte. Wenn sie an einer Lehre festhält, soll sie das auch transparent und deutlich sagen. Wenn sie eine Lehre verändert, sollte sie das ebenso deutlich sagen. Alles andere ist aus meiner Sicht nicht redlich.

 

bearbeitet von iskander
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Vielen Dank für die ausführliche Antwort.

 

Nur als Aufhänger daraus:

vor 1 Stunde schrieb iskander:

Natürlich verkündet die Kirche eine sehr rigide Sexual-Moral trotz aller Widerstände und aller Kritik - aber ich glaube, die Kirche hat auch ein Gefühl dafür, den Bogen nicht zu sehr zu überspannen.

Was würde das über die Gültigkeit aussagen? Ich behalte die 'Wahrheit' für mich, damit ich nicht anecke? Und damit, knallkatholsich formuliert, die Gläubigen der Verdammnis überlassen? Hirten, die ihrer Aufgabe an entscheidender Stelle nicht nachkommen? So viele Kleriker in der Hölle, das könnte ja selbst dem Teufel zu viel werden! [SCNR]

 

vor 1 Stunde schrieb iskander:

Ansonsten geht der Mangel an Klarheit wohl größtenteils auf einen Mangel an Fehlerkultur zurück. Man will etwas verändern, aber man will nicht zugeben, dass man etwas verändert.

 

Meine eigene Auffassung dazu lautet, dass die Kirche ehrlich sein sollte. Wenn sie an einer Lehre festhält, soll sie das auch transparent und deutlich sagen. Wenn sie eine Lehre verändert, sollte sie das ebenso deutlich sagen. Alles andere ist aus meiner Sicht nicht redlich.

Diese Auffassung teile ich.

Dann könnte man auch besser mit work in progress umgehen, also mit Änderungen, die auf den Weg gebracht aber noch nicht umgesetzt sind.

So, wie es jetzt ist, wird die römische Kirche zunehmend unglaubwürdig. Was sie eigentlich nicht verdient hat, denn sie hat - auch in moralischen Fragen - ja durchaus auch brauchbares zu sagen.

 

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@iskander

Ich bewundere sehr, wieviel Mühe du hier mit deinen Beiträgen und den umfangreichen Recherchen gibst.

Ich frage mich allerdings: wen interessiert denn in praxi eigentlich heute noch, was die Kirche zu dem Thema lehrt? Hat das für einen signifikanten Teil der Gläubigen überhaupt noch eine Bedeutung, oder ist das nicht vielmehr ein rein akademisches Thema?

 

Werner

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vor einer Stunde schrieb Werner001:

@iskander

Ich bewundere sehr, wieviel Mühe du hier mit deinen Beiträgen und den umfangreichen Recherchen gibst.

Ich frage mich allerdings: wen interessiert denn in praxi eigentlich heute noch, was die Kirche zu dem Thema lehrt? Hat das für einen signifikanten Teil der Gläubigen überhaupt noch eine Bedeutung, oder ist das nicht vielmehr ein rein akademisches Thema?

 

Es dürfte sich max. im einstelligen Prozentbereich der Bevölkerung bewegen. Wenn man davon noch alle die abzieht, die sich im "kanonischen" Alter befinden, wird man Schwierigkeiten haben, überhaupt jemanden zu finden. ;)

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vor 3 Minuten schrieb Marcellinus:

Es dürfte sich max. im einstelligen Prozentbereich der Bevölkerung bewegen. Wenn man davon noch alle die abzieht, die sich im "kanonischen" Alter befinden, wird man Schwierigkeiten haben, überhaupt jemanden zu finden. ;)

Die im "kanonischen" Alter interessiert es schon mangels Bedarfes nicht mehr...

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Was soll "kanonisches Alter" in diesem Zusammenhang bedeuten? 

 

Die jeweils noch nicht Interessierten und die schon nicht mehr Interessierten? 

bearbeitet von Studiosus
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vor 8 Stunden schrieb Moriz:

Was würde das über die Gültigkeit aussagen? Ich behalte die 'Wahrheit' für mich, damit ich nicht anecke? Und damit, knallkatholsich formuliert, die Gläubigen der Verdammnis überlassen? Hirten, die ihrer Aufgabe an entscheidender Stelle nicht nachkommen? So viele Kleriker in der Hölle, das könnte ja selbst dem Teufel zu viel werden! [SCNR]

 

Das entspräche ja auch der Kritik, die ich mehrfach geäußert hatte: Die Kirche verkündet eigentlich wichtige Lehren nicht prominent, vermutlich aus taktischen Gründen.

 

Bereits Paul VI. hatte die Lehre von den stets sehr schweren sexuellen Sünden ja im Grund nicht wirklich "öffentlichkeitswirksam" vorgetragen. Sie steht einfach in einer - vom Papst allerdings ausdrücklich approbierten - Erklärung der Glaubenskongregation Persona humana. Diese Art der Verkündigung ist viel weniger "prominent" als beispielsweise die Enzyklika Humane vitae.

 

(Ich glaube, dass ich geschrieben hatte, sie sei von Paul "unterzeichnet" worden. Das würde nicht stimmen. Die Formulierung lautet wörtlich: "Diese Erklärung zu einigen Fragen der Sexualethik hat Papst Paul VI. in der dem unterzeichnenden Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre am 7. November 1975 gewährten Audienz gebilligt und bekräftigt sowie deren Veröffentlichung angeordnet.")

 

Zudem herrschte in der kath. Moraltheologie wohl lange die Auffassung, es sei besser, die Laien in Fragen der Sexualität gar nicht so genau zu informieren. Das findet sich m.W. etwa bei Alfons von Liguori prominent, aber nicht nur bei ihm. Dahinter steht, wenn ich mich richtig erinnere, die Überlegung, dass zu viel Wissen eher eine Gefahr für die einfachen Gläubigen darstelle. Ich will jetzt nichts Falsches sagen, aber die Überlegungen dahinter waren, glaube ich die:

 

- Die Gefahr besteht, dass die Leute die "Sünden" weiterhin begehen, aber nach Aufklärung durch den Beichtvater nun vielleicht erst im (klaren) Wissen, dass sie sündigen. Das würde dann die Schuld erhöhen.

- Man bringt Laie durch entsprechende Fragen womöglich auch erst auf "falsche" Ideen.

 

Die Praxis beispielsweise, dass man etwa Eheleute im Beichtstuhl aktiv nach der Verhütung befragt hat, ist m.W. noch nicht so alt; ich meine, sie geht auf das Ende des 19. oder den Anfang des 20. Jhs. zurück.

bearbeitet von iskander
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vor 1 Stunde schrieb Werner001:

Ich frage mich allerdings: wen interessiert denn in praxi eigentlich heute noch, was die Kirche zu dem Thema lehrt? Hat das für einen signifikanten Teil der Gläubigen überhaupt noch eine Bedeutung, oder ist das nicht vielmehr ein rein akademisches Thema?

 

Das kommt jetzt natürlich auch etwas auf die Perspektive an. In Westeuropa oder Nordamerika spielen solche Lehren kaum noch eine Rolle für die meisten Gläubigen. In manchen Ländern und Gegenden - und da muss man nur bis Polen schauen - sieht das aber schon wieder anders aus. Und in manchen Ländern wie den Philippinen hat die Kirche offenbar bis vor kurzem sogar einen bedeutenden Einfluss auf die Politik ausgeübt, damit der Zugang zu empfängnisverhütenden Mitteln nicht subventioniert wird. (Siehe hier. In dem Artikel wird auch beschrieben, dass der Iran in dieser Hinsicht weit liberaler ist als die kath. Kirche.)

 

Dazu kommt, dass in den USA - und vermutlich auch in anderen Ländern - die Priester immer konservativer werden, mit jeder neuen Generation. Viele scheinen von JPII inspiriert zu sein. Das heißt, dass es gut möglich ist, dass der Klerus auch in "liberal-katholischen" Gegenden die jetzige Moral eher mehr als weniger propagieren wird.

 

Und dann ist es ja so, dass das eben die offizielle Doktrin der kath. Kirch ist, die auch hier ihre Anhänger hat. Sofern man "offizielle" Kirche überhaupt als relevant betrachtet, kann ihre Lehre nicht schlechterdings irrelevant sein.

 

Zudem gibt es etliche Mitglieder dieses Form, die eindeutig der offiziellen Moral anhängen

 

Was mich an der Sache irgendwo "fasziniert" ist einfach auch folgender Umstand, der sich zumindest nach meiner Meinung so darstellt, wie ich das gleich erläutern werde. (Ich bitte Leute mit anderer Meinung um Verzeihung. Ich möchte niemandem zu nahe treten, sondern nur meine eigene Sicht schildern.)

 

Da existiert ein Gedankensystem, das offensichtlich und in hohem Maße irrational zu sein scheint, und zwar in wirklich jeder Hinsicht. Die Lehre mutet in der Sache schon intuitiv reichlich "seltsam" an, und sie beruht großteils auf einem Denken, das nicht unserem gewöhnlichen moralischen Urteilen entspricht, sondern der "normalen" ethischen Reflexion (weitgehend) fremd ist. Und mit "uns" meine ich durchaus auch die "klassische" Moraltheologie, sofern es nicht gerade um das Thema Sexualität geht (siehe hier).

 

Die Begründungsfiguren für entscheidende Teile der Sexuallehre stellen zumindest prima facie grobe Fehlschlüsse dar - und zwar selbst dann, wenn man die kath. Weltsicht zugrundelegt. Schon eine kurze Analyse scheint zu offenbaren, dass die entsprechende Argumentation (die meistens nur ein oder zwei Sätze lang ist) auf begrifflicher Konfusion und logisch nicht zu rechtfertigenden Sprüngen beruht.

(Ich schließe nicht aus, dass ich die Dinge nur missverstehe und etwas Entscheidendes übersehe  - aber zumindest bisher hat mir noch niemand sagen können oder wollen, worin das Entscheidende besteht.)

 

Diese Lehre scheint, wie ich ein paar Beiträge weiter oben dargelegt habe, auch in ihren Folgen nicht erbaulich zu sein. Vielmehr scheint es einen breiten Expertenkonsens zu geben, dass sie das Individuum schädigen könne - was im Übrigen ja auch intuitiv einleuchtend ist. Entsprechende Berichte gibt es ja auch, selbst hier in diesem Forum.

Mehr noch: Es hat ja sogar den Anschein, dass sexual-moralischem Rigorismus ein wichtiger Risikofaktor für ein späteres deviantes, aggressives Sexualverhalten ist.

 

Und die Tradition, aus der die heutige Lehre stammt ist - und das dürfte selbst nach heutigen offiziellen Maßstäben gelten - extrem und abwegig sexualfeindlich. Zudem hat die Kirche ihre Sexuallehre in wichtigen Punkten bereits in der Vergangenheit geändert, wie wir auch schon besprochen hatten, was den Anspruch, dass die heutige Lehre sozusagen ewig und wahr und gültig sein müsse, nicht gerade stützt.

 

Es scheint also (aus meiner Sicht) wirklich alles gegen die offizielle Lehre zu sprechen: Sie ist das Kind einer irrationalen Tradition, sie erscheint spontan als irrational und merkwürdig; viele für sie vorgebrachten Argumente bestehen - jedenfalls allem Anschein nach - einfach auf Fehlschlüssen. Die menschliche Intuition, aber offenbar auch ein breiter Expertenkonsens und wohl sogar die empirischen Daten zu Sexualstraftätern legen die Schädlichkeit eines solchen Moral-Systems nahe. Zudem ist offenkundig, dass die Kirche sich (selbst nach ihren eigenen Maßstäben) in dieser Materie bereits geirrt, was ihren Anspruch nicht glaubwürdiger macht.

 

Und doch gibt es eine nicht unerhebliche Anzahl von Leuten, manche von ihnen hochintelligent, die völlig von der Richtigkeit und Güte und Notwendigkeit dieser Moral überzeugt sind.

 

Es ist dieser - jedenfalls aus meiner Sicht bestehende - Widerspruch, der mich irgendwie "fasziniert" und mich staunen lässt. Mit der Debatte hier wollte ich teilweise auch eruieren, ob ich vielleicht etwas übersehe und ob es vielleicht doch irgendwelche wichtigen Gesichtspunkte gibt, die die kirchl. Lehre stützen. Gesichtspunkte oder Argumente, die einen zumindest ermöglichen würden, die Position des anderen besser zu verstehen. Allerdings - und das ist nun eben wieder mein persönliches Urteil - bin ich da bisher leider nicht auf viel gestoßen, was mich positiv beeindruckt hätte.

bearbeitet von iskander
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vor 10 Minuten schrieb iskander:

Und in manchen Ländern wie den Philippinen hat die Kirche offenbar bis vor kurzem sogar einen bedeutenden Einfluss auf die Politik ausgeübt

Das mag sein, aber wenn es mehr unehelich geborene Kinder (53,3%) als ehelich geborene gibt, scheint die Lehre der Kirche in der Praxis nicht allzu große Beachtung zu finden.

Ähnlich Polen: zwar ist Abtreibung weitgehend illegal, aber obwohl der Katholikenanteil wesentlich höher ist als in Deutschland, sind die Abtreibungszahlen allem Anschein nach nicht viel niedriger als in Deutschland.

Noch ein Beispiel aus Afrika: Burundi ist zu 62% katholisch, der evangelikale (!) Präsident Nkurunziza hat 2017 ein Gesetz durchgedrückt, das das weit verbreitete uneheliche Zusammenleben unter Strafe stellt.


Auch wenn sich vielleicht offizielle Gesetze an der römischen Lehre orientieren, glaube ich nicht, dass das für das Leben der Mehrheit der (katholischen) Menschen auch zutrifft 

 

Werner

 

 

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vor 48 Minuten schrieb iskander:

Es ist dieser - jedenfalls aus meiner Sicht bestehende - Widerspruch, der mich irgendwie "fasziniert" und mich staunen lässt.

 

Aus meiner Sicht stellt das die Frage nach dem Grund für die Existenz und den Einfluß solch irrationaler Weltbilder, auch und gerade wenn sie offenbar in krassem Gegensatz zu den Erfahrungen und Verhaltensweisen einer Mehrzahl von Menschen der jeweiligen Gesellschaften stehen. 

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Ich denke ein ganz grundsätzliches Problem, das nur an der Sexualmoral besonders sichtbar wird, ist der Umstand, dass eine säkulare Weltbetrachtung, die auch Christen mehrheitlich übernommen haben, es nicht plausibel erscheinen lässt, warum ein bestimmtes, in diesem Fall sexuelles, Verhalten problematisch sein sollte, sofern es nicht gegen die Selbstbestimmung der involvierten Menschen verstößt oder vor dem weltlichen (!) Gesetz strafbewehrt ist. 

 

Der Begriff der Sünde, der ein genuin religiöser/kirchlicher ist, ist einfach keine Kategorie, die in ein materialistisch-positives Weltbild passt; allenfalls als Metapher (etwa beim zweiten Stück Schwarzwälder an der Kuchentafel). Wenn ein Weltmensch eine Handlung als unzulässig empfindet, dann nennt er sie Straftat, Vergehen, deviantes Verhalten oder Verstoß gegen Recht, Gesetz oder Menschenrechte. Das sind die Kategorien der modernen Welt. Wie man Gott an den Rand gedrängt hat, so auch das Konzept der Sünde. Alles geht in einer rein zwischenmenschlichen oder weltimmanenten Betrachtungsweise auf. 

 

Und tatsächlich kann man fragen, wen es interessieren sollte, wenn ein Mensch alleine in seiner Kammer Onanie betreibt oder es sich Ehepaare "französisch" statt vaginal-koital mit Zeugungsabsicht machen. Das ist nach den obigen Maßstäben einfach eine persönliche Geschmackssache. Wenn man Gott und eine von Gott gegebenene objektive sittliche Ordnung, welche die Kirche verkündet, aus der Gleichung heraus lässt, dann macht das alles keinen Sinn. Deshalb kann es fast, so meine Befürchtung, zwischen den beiden angedeuteten Weltbildern keine Kommunikation in den Fragen der Sitte und Moral geben.

bearbeitet von Studiosus
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vor 41 Minuten schrieb Werner001:

Das mag sein, aber wenn es mehr unehelich geborene Kinder (53,3%) als ehelich geborene gibt, scheint die Lehre der Kirche in der Praxis nicht allzu große Beachtung zu finden.

 

Das stimmt sicher - man denke auch an das oft sinnenfreudige Mittelalter. Hier geht es aber um Einfluss auf den Staat - etwa, dass er doch bitte den Zugang zu Verhütungsmitteln nicht unterstützen möge. Siehe etwa den von mir schon verlinkten Artikel, derjetzt allerdings von 2012 ist:

 

"[...] But after her third child was born, the mayor of Manila — with the blessing of Roman Catholic bishops — halted the distribution of contraceptives at public clinics to promote 'a culture of life.' The order put birth control pills and other contraceptives out of reach for millions of poor Filipinos, who could not afford to buy them at private pharmacies.

'For us, the banning of the pills was ugly,' Naz said. 'We were the ones who suffered.'

At 36, she had more children than teeth, common for poor women after repeated pregnancies and breast-feeding.

Undernourished and living in close quarters, her children were often sick. Measles was sweeping through the shantytown, afflicting two of Naz's sons and her 3-year-old daughter, Jasmine, who hung like a rag doll from her mother's arms.

'I pray to God. I pray really, really hard,' she said. 'Should God decide to take my kids, just don't let them suffer.' [...]

In the Philippines, a country of 96 million people, access to birth control is mostly limited to those with the means to buy it. A 'reproductive health bill' in the national legislature seeks to change that: It calls for public education about contraceptives and government subsidies to make them available to everyone.

The church and like-minded opponents have stalled the legislation for 14 years. Following Vatican dictates, Philippine bishops oppose any 'artificial' measures to prevent pregnancy, sanctioning only natural means such as periodic abstention from sex. [...]

Priests denounce the reproductive health bill during Mass. [...]

Lawmakers say the church threatens to deny them Communion if they vote for the legislation. [...]

The Philippines has one of the fastest-growing populations in Asia. It is on track to increase by more than half, to 155 million, by 2050.

Greater Manila is one of the most densely populated places on Earth. About a third of its 12 million inhabitants live in poverty, many in teeming shantytowns that sprawl across trash dumps and cemeteries."

https://www.latimes.com/world/population/la-fg-population-matters5-20120729-html-htmlstory.html

 

 

Interessant ist der Kontrast zum Iran. Dieselbe Quelle (Los Angeles Times, auch von 2012):

 

"Since the 1980s, Iran has experienced the largest and fastest drop in fertility ever recorded — from about seven births per woman to fewer than two today.

'It confounded all conventional wisdom that it could happen in one of the world's few Islamic republics,' said Jalal Abbasi-Shavazi, a demographer at the University of Tehran.

It happened largely because of the Islamic government.

In the late 1980s, Ayatollah Ruhollah Khomeini, Iran's supreme leader, issued fatwas making birth control widely available and acceptable to conservative Muslims. [...]

Under the new decrees, contraceptives could be obtained free at government clinics, including thousands of new rural health centers. Health workers promoted contraception as a way to leave more time between births and help reduce maternal and child mortality. Couples intending to marry were required to receive counseling in family planning.

The birthrate plunged, helping to usher in social changes, particularly in the role of women.

With smaller families, parents could invest more in their children's education, and the idea caught on even in rural areas."

https://www.latimes.com/world/population/la-fg-population-iran-20120729-html-htmlstory.html

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Auch da kann man unterschiedlicher Ansicht sein: Ob der niedrigschwellige Zugang zu Kontrazeptiva und Abtreibungen den Nationen der Welt auf lange Sicht nützen wird, steht dahin. Auch Papst Franziskus, den ich nicht wirklich als Hardliner in diesen Fragen wahrnehme, hat mehrfach auf die Bedeutung der Familie und der Kinder für die Auferbauung der Gesellschaft hingewiesen. 

 

Und auch ohne religiöse Hintergedanken kann der drop der Nachkommenschaft alarmieren: Der demographische Kollaps, wie ihn auch Europa erlebt, führt dazu, die so entstehenden Lücken durch Migration zu schließen. Das kann man tun und wollen. Ich halte es für eine verfehlte Strategie, deren Auswüchse wir erst langsam, aber immer konkreter zu sehen beginnen. 

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vor 1 Stunde schrieb Studiosus:

Und tatsächlich kann man fragen, wen es interessieren sollte, wenn ein Mensch alleine in seiner Kammer Onanie betreibt oder es sich Ehepaare "französisch" statt vaginal-koital mit Zeugungsabsicht machen. Das ist nach den obigen Maßstäben einfach eine persönliche Geschmackssache. Wenn man Gott und eine von Gott gegebenene objektive sittliche Ordnung, welche die Kirche verkündet, aus der Gleichung heraus lässt, dann macht das alles keinen Sinn.

 

 

Und selbst wenn man Gott und eine von Gott gegebene sittliche Ordnung annimmt, macht das auch nur dann Sinn, wenn die sittliche Ordnung eben die spezifisch katholische ist.

(Oder ein mit der katholischen sittlichen Ordnung eng verwandtes System - also vermutlich eines, das in einem patriarchalischen System entstanden ist, in dem der männliche Same als Homunculus betrachtet wurde, und wo es vor allem darauf ankommt, dass die Söhne, die die Frau einem Mann schenkt, auch wirklich seine Söhne sind. Und selbst dann können erhebliche Differenzen zum kath. Denken bestehen - siehe meinen obigen Beitrag zum Thema Philippinen vs. Iran.)

 

Vor allem aber entspricht die säkulare Moral der katholischen Ethik im allgemeinen recht gut, denn nur beim Thema Sexualität weicht die kath. Moral so sehr vom üblichen Standard ab. Wie ich in einem anderen Beitrag (siehe hier) schrieb:

 

"Dass alles erlaubt ist, was alle gerne und freiwillig und ohne Schaden tun: Ist das nicht genau die Lehre, durch welche auch die klassische katholische Moraltheologie ganz entscheidend bestimmt wird, außer bei der Frage der Sexualmoral?

 

Wenn z.B. eine Person Geld von der anderen nimmt, ist das doch auch nach der kath. Moral grundsätzlich dann erlaubt, wenn alle Beteiligten das wissen und auch bewusst so wollen, und wenn dadurch niemandem ein unangemessener Schaden entsteht. Daher würden sowohl die säkulare Moral wie auch die kath. Ethik beispielsweise einen Diebstahl ablehnen (es sind da nicht alle einverstanden!) oder auch das Ausnutzen einer gutwilligen Person für unmoralisch halten (hier wird jemand geschädigt), aber nichts gegen ein finanzielles Geschenk einzuwenden haben, das im ehrlichen Einverständnis und guten Willen gegeben und empfangen wird. [...]

 

Ist es unmoralisch, sich die Karte für ein Konzert zu kaufen und sich dann das Konzert anzuhören? Eo ipso, wenn keine ganz speziellen Umstände vorliegen, sicher nicht. Warum nicht?

 

Doch deswegen nicht, weil der Erwarb einer Konzertkarte und der Besuch des entsprechenden Konzertes normalerweise freiwillig unternommen werden und niemandem Schaden zufügen und somit als moralisch unbedenklich betrachtet werden! Wäre es anders - lägen Schädigung oder fehlendes Einverständnis vor - sähe die moralische Beurteilung natürlich anders aus.

 

Und erneut: Dem würde ein 'klassischer' katholischer Moraltheologen doch genauso zustimmen wie ein säkularer Menschen. Oder etwa nicht?

 

Die ganz große Ausnahme von diesem Prinzip (erlaubt ist, womit alle einverstanden sind und was niemandem schadet) besteht, was die klassische kath. Moralthelogie angeht, doch in der Sexualmoral. Hier plötzlich gilt das obige Prinzip nun so gut wie rein gar nichts mehr. [...]

 

Einige weitere Spezialfälle, in denen ein bestimmtes Verhalten zwar niemandem schadet und auch niemandes Rechte verletzt, aber dennoch als würdelos oder grob unangemessen empfunden und entsprechend abgelehnt wird, gibt es sicherlich. Doch abgesehen erneut von der Sexualmoral, dürften hier säkulares und moraltheologisches Urteil - jedenfalls im Effekt - wiederum weitgehend übereinstimmen."

 

(Formatierung im Zitat verändert, Schreibfehler korrigiert)

bearbeitet von iskander
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vor 2 Stunden schrieb Studiosus:

Auch da kann man unterschiedlicher Ansicht sein: Ob der niedrigschwellige Zugang zu Kontrazeptiva und Abtreibungen den Nationen der Welt auf lange Sicht nützen wird, steht dahin. Auch Papst Franziskus, den ich nicht wirklich als Hardliner in diesen Fragen wahrnehme, hat mehrfach auf die Bedeutung der Familie und der Kinder für die Auferbauung der Gesellschaft hingewiesen.

 

Entschuldige - aber wenn man es nicht für eine gute Lösung hält, dass die Leute gegen ihren Wunsch Kinder bekommen, nämlich weil sie keine zuverlässige und gut handhabbare Verhütung praktizieren (können), sondern wenn man die einzig akzeptable Lösung darin sieht, dass die Leute wieder mehr Kinder kriegen, weil sie das wollen, dann ist es absurd, die Verhütungsmittel zum Übel zu erklären, das an der Kinderarmut "schuld" sei. Das sei auch in Richtung Franziskus gesagt.

 

Im Übrigen ging es in den Philippinen nicht um Abtreibung, sondern Empfängnisverhütung, und das sollte man wohl kaum in einen Topf werfen. Im Gegenteil meine ich mich an eine Diskussion hier zu erinnern, die nahelegte, dass es dort vermehrt zu Abtreibungen kommt (notfalls illegalen - siehe den von mir weiter oben Artikel zu den Philippinen), wo der Zugang zu verhütenden Mitteln schlecht ist. Dazu auch:

 

 

"A new study by investigators at Washington University reports that providing birth control to women at no cost substantially reduces unplanned pregnancies and cuts abortion rates by a range of 62 to 78 percent compared to the national rate."

https://medicine.wustl.edu/news/access-to-free-birth-control-reduces-abortion-rates/

 

 

"Providing free, reliable birth control to women could prevent between 41 percent and 71 percent of abortions in the United States, new research finds.

In a study published today (Oct. 4) in the journal Obstetrics and Gynecology, researchers provided free methods of reversible, reliable contraception to more than 9,000 teens and women in the St. Louis area. They found that the program reduced the abortion rate among these women by 62 percent to 78 percent.

https://www.livescience.com/23726-birth-control-abortion-rate.html

 

 

"Studies underscore this correlation between contraception and abortion rates. For example, University of Michigan researcher, Joelle Abramowitz, found that the Affordable Care Act's contraceptive provisions are linked to the rise in contraceptive use and the decline in the rate of abortion."

https://blog.bernieportal.com/abortion-rates-correlate-contraceptive

 

 

"In seven countries--Kazakhstan, Kyrgyz Republic, Uzbekistan, Bulgaria, Turkey, Tunisia and Switzerland--abortion incidence declined as prevalence of modern contraceptive use rose. In six others--Cuba, Denmark, Netherlands, the United States, Singapore and the Republic of Korea--levels of abortion and contraceptive use rose simultaneously. In all six of these countries, however, overall levels of fertility were falling during the period studied. After fertility levels stabilized in several of the countries that had shown simultaneous rises in contraception and abortion, contraceptive use continued to increase and abortion rates fell. The most clear-cut example of this trend is the Republic of Korea. Rising contraceptive use results in reduced abortion incidence in settings where fertility itself is constant. The parallel rise in abortion and contraception in some countries occurred because increased contraceptive use alone was unable to meet the growing need for fertility regulation in situations where fertility was falling rapidly."

https://www.researchgate.net/publication/10792850_Relationships_between_Contraception_and_Abortion_A_Review_of_the_Evidence

 

 

"A cross-sectional analysis of 18 countries shows a very high negative correlation between abortion and the use of modern contraceptive methods but a moderately high positive correlation between abortion and the use of traditional contraceptive methods."

(S. xi)

https://dhsprogram.com/pubs/pdf/as8/as8.pdf

 

 

"In countries around the world, women who are determined to limit their family size and time their childbearing will use all available means to do so; if contraception is not a viable option, women will turn to abortion—even if it is illegal. Extensive evidence demonstrates, however, that when modern contraceptives are made available to women, their increased use over time replaces previous reliance on abortion and becomes the major factor associated with reduced abortion rates. [...]

Russia legalized abortion in 1955 in response to the public health problem of illegal procedures. At that time, it was not uncommon for a woman wanting only two children to have 10 or more abortions in her lifetime, and as late as 1990, Russia's abortion rate was well over 100 per 1,000 women of reproductive age.

The situation began to change in the late 1980s, when free market reforms opened the door to modern contraceptives made in western Europe. Then in 1992, the Russian government, which had always subsidized abortion services, began subsidizing family planning programs and promoting contraceptive use by distributing free contraceptives. The results have been dramatic: In the ensuing decade, contraceptive use rose and the abortion rate plummeted (see chart).

https://www.guttmacher.org/gpr/2003/10/contraceptive-use-key-reducing-abortion-worldwide

 

 

Ich möchte niemandem zu nahe treten, es aber doch einmal in aller Klarheit formulieren: Ginge es der kath. Kirche wirklich um den Schutz des ungeborenen Lebens - und nicht um ihre Unfähigkeit, Fehler einzugestehen, oder um ihre geradezu überbordende Sexualangst - dann müsste sie die künstliche Empfängnisverhütung unterstützen, statt sie mit aller Macht zu bekämpfen (jedenfalls soweit die entsprechenden verhütenden Maßnahmen keine frühabtreibende Wirkung entfalten).

bearbeitet von iskander
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vor 10 Stunden schrieb Studiosus:

Wenn man Gott und eine von Gott gegebenene objektive sittliche Ordnung, welche die Kirche verkündet

Die von dir immer wieder postulierte Objektivität der göttlich/kirchlichen sittlichen Ordnung ist einfach nicht nachvollziehbar. Sie funktioniert nur unter falschen Annahmen, und nicht mal dann überzeugend.

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vor 9 Stunden schrieb Studiosus:

Und auch ohne religiöse Hintergedanken kann der drop der Nachkommenschaft alarmieren: Der demographische Kollaps, wie ihn auch Europa erlebt, führt dazu, die so entstehenden Lücken durch Migration zu schließen. Das kann man tun und wollen. Ich halte es für eine verfehlte Strategie, deren Auswüchse wir erst langsam, aber immer konkreter zu sehen beginnen. 

Beides ist problematisch: Sowohl zu viele, als auch zu wenige Kinder.

Allerdings halte ich 'zu viele' Kinder ethisch für weitaus problematischer, die wird man nämlich nicht mehr ethisch verträglich los: Entweder, etliche krepieren in jungen Jahren an Krankheiten und Unterernährung, oder die resultierende Überbevölkerung führt zu Wanderungsbewegungen, Vertreibung und Krieg. Wäre es nicht wirklich besser, diese 'überzähligen' Kinder wären nie geboren worden und die begrenzten familiären Recourcen wären wenigen Geschwistern zu Gute gekommen? Der oben zitierte Iran scheint mir in dieser Hinsicht ein positives Beispiel zu sein.

Wir erleben viele Länder in einer Übergangszeit: Früher haben vielleicht nur zwei von zehn Kindern die Geschlechtsreife erreicht, da musste eine Frau zehn Kinder bekommen, damit die Arterhaltung sichergestellt war. Dank einiger Fortschritte in Hygiene und Medizin sind die Überlebensmöglichkeiten allerdings enorm gestiegen. Was vorübergehend zu einem enormen Bevölkerungswachstum führt. In Europa hatten wir diese Phase vor ca. 150 Jahren. Uns hat damals die Erfindung künstlicher Düngemittel gerettet, dadurch war es möglich, die Nahrungsmittelproduktion auf den verfügbaren Flächen erheblich zu steigern. Gleichzeitig ging die Zahl der Kinder freiwillig zurück.

Zu wenige Kinder sind auch ein Problem und sowohl China als auch wir hier in Europa laufen gerade erst in diese Katastrophe hinein ohne wirklich absehen zu können, was sie tatsächlich bedeutet. Aber irgendwie fühlt es sich für mich weniger problematisch an, wenn ein Greis wegen überlasteter Pflege vereckt als wenn ein Kind an Mangelernährung stirbt. Auch, wenn ich einst dieser Greis sein werde. Ich habe dann immerhin ein erfülltes Leben gehabt.

 

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vor 10 Stunden schrieb iskander:

"A new study by investigators at Washington University reports that providing birth control to women at no cost substantially reduces unplanned pregnancies and cuts abortion rates by a range of 62 to 78 percent compared to the national rate."

https://medicine.wustl.edu/news/access-to-free-birth-control-reduces-abortion-rates/

 

 

"Providing free, reliable birth control to women could prevent between 41 percent and 71 percent of abortions in the United States, new research finds.

In a study published today (Oct. 4) in the journal Obstetrics and Gynecology, researchers provided free methods of reversible, reliable contraception to more than 9,000 teens and women in the St. Louis area. They found that the program reduced the abortion rate among these women by 62 percent to 78 percent.

https://www.livescience.com/23726-birth-control-abortion-rate.html

 

Da handelt es sich bei beiden um dieselbe Studie (liest Du das nicht, @iskander?)

 

Auf jeden Fall scheinst Du Dir die Studie nicht durchzulesen, denn die ist methodisch schon absurd zu nennen.

 

Man nimmt eine Gruppe, über 9000 Frauen, stattet sie mit zugehöriger Schulung mit Verhütungsmitteln aus (z.T. abtreibenden wie der "Spirale") - und vergleicht dann das Ergebnis nicht mit einer Kontrollgruppe mit gleichem Bildungs- und Wissensgrad, wie es sich gehört, sondern nimmt den landesweiten Durchschnitt. Einfach so und einfach so schlecht..

 

Und so etwas wird publiziert. Ob da wissenschaftliches peer-review noch ohne politische Scheuklappen funktioniert?....

 

vor 10 Stunden schrieb iskander:

"Studies underscore this correlation between contraception and abortion rates. For example, University of Michigan researcher, Joelle Abramowitz, found that the Affordable Care Act's contraceptive provisions are linked to the rise in contraceptive use and the decline in the rate of abortion."

https://blog.bernieportal.com/abortion-rates-correlate-contraceptive

 

Auch hier lohnt es sich die Studie anzusehen. Dort steht u.a.: 

 

Zitat

While the NSFG also includes data on abortions, such data are known to be underreported and are not recommended for use in substantive research

 

Der Autor nutzt diese Daten aber dennoch für seine Studie, also handelt es sich nicht um substantielle Forschung (wohl deswegen auch das sehr unbek. Journal, das es publiziert).

 

Alle anderen Studien muß ich mir noch anschauen, insbesondere bei Reviews ist das schwieriger.

 

Ach ja, das Guttmacher-Institut (letzte Studie) ist das wiss. "Forschungsinstitut" der Planned Parenthood Federation. Ungefähr so glaubwürdig wie ein Institut, das die National Rifle Association mit Studien zur Ungefährlichkeit des freien Waffenerwerbs versorgen würde.

bearbeitet von rorro
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@rorro

 

Ach rorro, das ist doch jetzt alles kleinteilig. Gut, eine Studie war doppelt, da habe ich nicht sorgfältig genug geschaut und mich durch das Akualisierungsdatum und die abweichenden Zahlen in die Irre führen lassen. Und gut, bei ebendieser einen Studie könnte der große Effekt vielleicht (teilweise) auf eine fehlende Randomisierung zurückgehen.

Und nein, ich habe nicht jedes einzelne Wort jeder einzelnen Studie gelesen, und wenn ich eine ganze Reihe von Artikeln auf einmal verlinke, teils Dutzende Seiten lange, wird das auch kaum verwundern. Es ist auch die hohe Redundanz zahlreicher unterschiedlicher Quellen, die hier von Bedeutung ist.

 

vor 11 Stunden schrieb rorro:

Auch hier lohnt es sich die Studie anzusehen. Dort steht u.a.: 

Zitat

While the NSFG also includes data on abortions, such data are known to be underreported and are not recommended for use in substantive research

Der Autor nutzt diese Daten aber dennoch für seine Studie, also handelt es sich nicht um substantielle Forschung (wohl deswegen auch das sehr unbek. Journal, das es publiziert).

 

Nur lautet das Zitat in voller Länge (hier. S.4).

 

"2 While the NSFG also includes data on abortions, such data are known to be underreported and are not recommended for use in substantive research (U.S. Department of Health and Human Services 2014). Accordingly, the CDC abortion surveillance data are used in this analysis for examining effects of the provision on abortion outcomes."

 

Es sind also spezifisch die NSFG-Daten zu den Abtreibungen, die unzuverlässig sind. In dem entsprechenden Dokument des U.S. Departments of Health and Human Services wird offenbar tatsächlich nur im Hinblick auf Abtreibungen von einem "Under-Reportig" gewarnt (hier, S. 36). Und dieser Teil der NSFG-Daten (der zu den Abtreibungen) wird dann von der Autorin ja auch nicht berücksichtigt.

 

Stattdessen verwendet sie andere Daten der NSFG für ihre Analyse:

 

"The primary outcomes of interest examined in this analysis include feelings toward wantedness of pregnancy and contraceptive use/type."

 

Ich habe zumindest beim Überfliegen des Artikels nichts gefunden, was dem widersprechen würde - was dann bedeuten würde, dass Deine Kritik hinfällig ist.

 

vor 11 Stunden schrieb rorro:

Ach ja, das Guttmacher-Institut (letzte Studie) ist das wiss. "Forschungsinstitut" der Planned Parenthood Federation. Ungefähr so glaubwürdig wie ein Institut, das die National Rifle Association mit Studien zur Ungefährlichkeit des freien Waffenerwerbs versorgen würde.

 

Und inwiefern genau ist das jetzt relevant? Die Daten - etwa die zu Russland - sind doch da und sprechen für sich. Sie werden auch von anderen in der gleichen Weise interpretiert.

 

Zum Beispiel hier:

 

"Victoria Sakevich, a Russian demographer, discusses the abortion dynamic in Russia in recent decades in an interview with Maria Lipman, comparing it with abortion rates in other countries.  [...]

Victoria Sakevich: For decades during the Soviet period, induced abortion played a substantial role in the birth control practiced by Soviet families. In 1920, Russia became the first country in the world to legalize abortion as a woman’s choice. [From 1936 to 1955, abortion was banned; backstreet abortions became common, leading to grave health damage and a sharp rise in maternal deaths.] Since Soviet women did not have the alternative of reliable and secure contraception, they had to resort to abortion as a way to end unwanted pregnancies. The highest abortion rates were registered in the mid-1960s. 1964 set the record: 5.6 million abortions were performed that year—that is, 169 abortions per 1,000 women aged 15 to 49. [...]

As a rule, women resort to abortion if they have failed to prevent unwanted conception. The high number of abortions in Soviet Russia was caused by ineffective family planning: put simply, families often failed to control births. In the 1960s-1970s, when a “contraceptive revolution” occurred in the West, the Soviet Ministry of Health emphasized that hormonal contraception had negative effects on women’s health. Couples relied on less effective methods of birth control, such as withdrawal, poor-quality condoms, and douching. [...]

The five-fold decrease in the abortion rate in the post-Soviet period has been the result of extensive practices of family planning. The emergence of a market economy, the availability of modern contraceptive means, and increased knowledge about contraception have all contributed to significantly improving sexual culture. [...]"

https://www.ponarseurasia.org/abortion-in-russia-how-has-the-situation-changed-since-the-soviet-era/

 

 

Oder:

 

"Russia has just had a great contraceptive revolution, and it is not over: unwanted pregnancies are more often prevented than terminated. Russians now engage in family planning with more confidence: the number of births is almost equal to the number of pregnancies. On the basis of studies completed by HSE demographers, IQ.HSE examines the Soviet and Russian culture of birth control. [...] The most important evidence of the contraceptive revolution is the rapidly decreasing number of abortions and the convergence of the number of births with the number of pregnancies. ‘People are more confidently and skillfully engaging in family planning,’ the researchers explain."

https://iq.hse.ru/en/news/325273199.html

 

 

Zitat

Alle anderen Studien muß ich mir noch anschauen, insbesondere bei Reviews ist das schwieriger.

 

Ja, und irgendwelche kleineren Schwachstellen wirst Du vermutlich finden - einfach weil jede, Analyse, vor allem eine komplexe, irgendwelche kleineren Schwachstellen hat.

 

All das ändert aber nichts daran, dass wirklich alle Ergebnisse in die gleiche Richtung zeigen.

bearbeitet von iskander
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Ebenfalls von Interesse in diesem Kontext:

 

"As you saw above, teenage girls in the U.S. have a pregnancy rate that’s about four times higher and an abortion rate that’s about twice as high as Dutch girls of the same age [1]. Though not shown in this infographic, Dutch girls (and boys) have much lower rates of sexually transmitted infections, too [2]. So what accounts for the superior sexual health outcomes of teens in the Netherlands?

It’s not just one thing—the entire cultural view of sex is different here. For one thing, the Dutch have mandated comprehensive sex education for all students. This occurs at all grade levels with age-appropriate material. As part of their education, students are provided with medically accurate information and they have their questions answered honestly. In other words, students actually learn a thing or two about sex (how novel, right?). By contrast, most U.S. states do not currently require any sex education at all and those that do tend to stress abstinence and the negative outcomes of sex. [...]

Differences in sex education are just one part of this equation, though. It’s also important to highlight that in Dutch culture, sex is viewed as a normal and natural component of adolescent development and maturation, parents and healthcare providers speak candidly with teens about sex, and teens have ready access to free or low-cost contraception. In light of this, it is perhaps not surprising that Dutch teens have much higher rates of condom and contraceptive use compared to their American peers [2]."

https://www.sexandpsychology.com/blog/2017/5/19/why-teens-have-better-sexual-health-in-the-netherlands-than-the-us/

 

Klar, ist nur ein Vergleich. Doch scheint das größere Bild zu passen. Hier ist nur eine Zusammenfassung in englischer Sprache verfügbar:

 

"Cross-national comparisons of teenage sexual and reproductive behavior in five Western industrialized countries show vast differences in teenage pregnancy rates and birthrates. The lowest rates are found in Sweden and France, moderate rates in Canada and Great Britain, and the highest in the USA. Since age and frequency of sexual activity are similar across countries, the variations in pregnancy rate reflect young people's motivation and ability to prevent unwanted pregnancies. Sweden and France offer the most positive attitudes to sexuality combined with a clear expectation that teenagers can make responsible decision about sexuality and delay childbearing. Societal acceptance of teenage sexuality is reflected in open-minded sexuality education and easy access to contraceptive services. In contrast the official message in USA is to delay childbearing until marriage by abstinence only, and use of contraceptives is not supported. Differences in societal support for employment and education also played a major role."

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12833743/

 

Und da vermehrte Teenager-Schwangerschaften in der Regel wohl auch mit vermehrter Abtreibung Hand in Hand gehen, ist das relevant.

 

Es ist nicht die einzelne Studie X oder Y, die m.E. eine deutliche Sprache spricht, sondern die Tatsache, dass wirklich alle auffindbaren Studien in ein und dieselbe Richtung weisen.

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Am 15.8.2023 um 21:26 schrieb iskander:

@rorro

 

Ach rorro, das ist doch jetzt alles kleinteilig. Gut, eine Studie war doppelt, da habe ich nicht sorgfältig genug geschaut und mich durch das Akualisierungsdatum und die abweichenden Zahlen in die Irre führen lassen. Und gut, bei ebendieser einen Studie könnte der große Effekt vielleicht (teilweise) auf eine fehlende Randomisierung zurückgehen.

Und nein, ich habe nicht jedes einzelne Wort jeder einzelnen Studie gelesen, und wenn ich eine ganze Reihe von Artikeln auf einmal verlinke, teils Dutzende Seiten lange, wird das auch kaum verwundern. Es ist auch die hohe Redundanz zahlreicher unterschiedlicher Quellen, die hier von Bedeutung ist.

 

Das Problem an der Sache ist, daß Du Dich einem Anspruch stellst bzw. so tust, dem Du offenbar nicht gewachsen bist. Denn das ist nicht "kleinteilig", das nennt man seriöse Wissenschaft. Wer Studien als Argument raushaut, steht für sie gerade - wer sonst?

 

Und offenbar hast du Dir hier ein Thema ausgesucht, von dem Du auch medizinisch nicht allzuviel Ahnung hast (daher wäre vielleicht eine weniger selbstbewußte Vorgehensweise angebrachter).

 

Ich nehme an, Du hast keine Ahnung, was Ulipristalacetat ist (ja, Du darfst es gerne gurgeln).

 

Du wirst sicher nicht wissen, daß dieses Mittel offiziell von Abtreibungsländern unter "Empfängnisverhütung" läuft (auch hierzulande), obwohl es die Empfängnis nicht besonders toll verhütet(!), sondern vielmehr die Einnistung und sogar das eingenistete Menschlein abstoßen läßt (sprich: verhungern lassen oder aktiv töten). Die Empfängnis ist zumeist nach spätestens 48h abgeschlossen und das Mittel wirkt mindestens noch 120h nach dem Sex. Warum wohl?

 

Über 500.000 Mal wurde es 2017 in Deutschland rausgegeben. Das bedeutet natürlich nicht, daß es zu 500.000 Abtreibungen damit kam, aber in all den Fällen, in denen es zu einer Schwangerschaft kam und genutzt wurde, wurde meistens abgetrieben. Und das erscheint in keiner Abtreibungsstatistik - und schon ist die Zahl der Abtreibungen "gesunken".

 

Dazu kommt noch ein weiterer Wirkstoff, den Du wahrscheinlich auch nicht kennst - Mifepriston. Dieser wirkst sowohl als "Notfallverhütungsmittel" als auch als Abtreibungsmittel noch nach der 10. SSW.

Auch hier - natürlich verhütet es nicht die Empfängnis, sondern ist ein sehr starker Progesteronantagonist (was das bedeutet, muß ich Dir hoffentlich nicht erklären, schließlich bringst Du ja Studien zu dem Thema, gell?) und verhindert somit ebenso die Einnistung und auch im ersten Trimenon das weitere Überleben des Menschleins.

 

Ob Mifepriston bspw. in den einzelnen Ländern als Kontrazeptivum (falsche Bezeichung, aber verärscht bei dem Thema werden ja viele) oder als Abtreibungsmittel gelistet wird, steht in keinem der von Dir genannten Reviews, erstmals synthetisiert wurde es 1980.

 

Also auch hier: oh Wunder, die Abtreibungsrate sinkt, sobald es mehr Verhütungsmittel gibt.

 

Eben: weil diese "Verhütungsmittel" das Überleben des neuen Lebens verhüten, sprich abtreiben.

 

 

Am 15.8.2023 um 21:26 schrieb iskander:

Ja, und irgendwelche kleineren Schwachstellen wirst Du vermutlich finden - einfach weil jede, Analyse, vor allem eine komplexe, irgendwelche kleineren Schwachstellen hat.

 

Ach was.

 

Am 15.8.2023 um 21:26 schrieb iskander:

All das ändert aber nichts daran, dass wirklich alle Ergebnisse in die gleiche Richtung zeigen.

 

Immer noch so sicher?

bearbeitet von rorro
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