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Wahrheit, Negation und Beweisbarkeit


iskander

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vor 26 Minuten schrieb Moriz:
vor 46 Minuten schrieb Marcellinus:

Der Mathematiker schreibt Formel nach Formel und kommt am Ende zu dem Schluß: Es gibt eine Lösung! ;) 

(Und genau genommen kommt der Mathematiker hier zu dem Schluß, daß es zwei Lösungen gibt. -7 wäre die andere.)

 

Eben! Sonst hätte ich geschrieben „genau eine Lösung“. ;)

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 Erster Teil

 

Am 23.11.2023 um 14:29 schrieb Marcellinus:

Entschuldige, dass ich mir dieses herauspicke: Wenn schon, formuliere ich es genau umgekehrt, und zwar so:

 

Hier bin ich derjenige, der Abbitte leisten muss. Das war ein ärgerlicher Flüchtigkeitsfehler meinerseits! Inhaltlich habe ich es schon richtig verstanden, nur leider gerade das Gegenteil dessen gesagt, was ich sagen wollte.

 

Grundsätzlich stimme ich Dir ja zumindest insoweit zu, dass Modelle, die einen Anspruch auf Vollständigkeit beinhalten oder auch allgemeine Gesetzesaussagen machen, immer falsch sein können. Wir können heute nicht ausschließen, dass die entsprechenden Modelle falsch sind, und wir werden es auch künftig nicht ausschließen können.

(Ich würde das zwar differenzieren und beispielsweise behaupten, dass es etliche Fälle gibt, in denen es zumindest sehr unwahrscheinlich ist, dass das Modell "grundfalsch" ist, aber das können wir hier einklammern.)

 

Nur: Woher wissen wir das, dass alle unsere Modelle falsch sein können? Wie können wir das beweisen? Und welche Wissenschaft leistet das gegebenenfalls?

 

- Die Naturwissenschaft selbst beschäftigt sich nicht mit solchen Fragen, weil "Modelle", "Wahrheit", "Falschheit", "Irrtumsanfälligkeit", "(vorläufige) Bestätigung", "Falsifikation" usw. nicht in den Objektbereich der Naturwissenschaft gehören. Es handelt sich bei den genannten "Phänomenen" eben nicht um physikalische, chemische, geologische oder ähnliche "natürliche Dinge". Die Naturwissenschaft "operiert" zwar mit den entsprechenden Konzepten bzw. Kategorien, thematisiert oder erforscht sie aber nicht explizit. Man kann die entsprechenden Phänomene ja auch nicht naturwissenschaftlich untersuchen; beispielsweise kann man ein "Modell" oder eine "(vorläufige) Bestätigung" nicht unter dem Mikroskop beobachten - und das Verhältnis dieser beiden "Kategorien" natürlich auch nicht.

 

- Die Sozialwissenschaften beschäftigen sich mit den sozialen Bedingungen und Begleiterscheinungen unter anderem von Wissen und Wissenschaft aber nicht damit, was Wissen und Wissenschaft darüber hinaus und "an und für sich" sind.

Die Sozialwissenschaften mögen auch plausibel darlegen können, dass bestimmte soziale Verhältnisse die Wissenschaft behindern; aber einen Beweis dafür liefern, dass soziale Verhältnisse und Strukturen es erzwingen, dass naturwissenschaftliche Modelle immer und überall unsicher sein müssen, kann die Sozialwissenschaft schon aus methodischen Gründen ganz sicher nicht liefern. (Und selbst wenn sie es könnte, könnten vielleicht soziale Veränderungen erfolgen, die es dann eben doch möglich machen würden, sichere und wahre naturwissenschaftliche Modelle zu kreieren.)

 

- Die empirisch arbeitende Wissenschaftsgeschichte zeigt auf, dass verschiedene Modelle und Theorien, die man einmal hatte, später verworfen wurde. Das beweist aber nicht, dass alle wissenschaftlichen Modelle prinzipiell fehleranfällg sein müssen. Es könnte ja durchaus sein, dass eben nur bestimmte Klassen von wissenschaftlichen Modellen potentiell falsch sind und andere nicht; und dass es nur der richtigen Methode bedarf, um sicherzustellen, dass wissenschaftliche Theorien korrekt sind. So gesehen wird es vielleicht schon morgen möglich sein, wissenschaftliche Modelle zu entwickeln, die mit Sicherheit wahr sind.

 

Man kann also die Aussage, dass wissenschaftliche Modelle (jedenfalls soweit sie allgemeine Gesetze beinhalten oder Vollständigkeit für sich beanspruchen) immer unsicher sind und sein müssen, empirisch nicht beweisen.

 

Trotzdem kann die Richtigkeit dieser Aussage überzeugend beweisen, nämlich durch den Hinweis auf grundlegende Einsichten. Der Beweis sieht skizzenhaft wie folgt aus (und wir den Kenner nicht überraschen):

 

Wir erkennen das "Innerste der Natur" nicht unmittelbar, sondern wir erkennen immer nur Aspekte, vermittelt durch die Beobachtung. Unsere Sinneswahrnehmung und unsere empirischen Untersuchungen liefern uns zwar Informationen - aber das sind Bruchstücke. Und wir versuchen nun zwar, aus den Teilstücken das Ganze zu rekonstruieren - aber da gibt es eben immer verschiedene Möglichkeiten, zwischen denen wir auswählen müssen, ohne zu wissen, welche die richtige ist. Deshalb wissen wir nie, ob unsere Rekonstruktion (unser Modell) auch wirklich völlig korrekt ist. Ein Objekt, das wir beschreiben, könnte beispielsweise Eigenschaften besitzen, die nur unter ganz speziellen Bedingungen beobachtbar "zum Vorschein kommen", so dass wir noch gar nicht um sie wissen und sie auch noch nicht in unserem Modell berücksichtigt haben.

Und auch wenn wir lernen, dass unser bisheriges Modell eines "Gegenstandes" in einem bestimmten Punkt falsch war, weil es nicht mit einer neuen Beobachtung übereinstimmt, gibt es immer mehrere Möglichkeiten, es den Daten anzupassen - und wir wissen erneut nicht, welche die richtige ist. Die fragliche "Gegenstand", der modelliert wird, könnte beispielsweise auch noch weitere Eigenschaften besitzen, die wir nicht kennen und daher auch bei der neuen Modellierung nicht berücksichtigen werden.

 

Kurz gesagt: Wir haben ein grundlegendes Verständnis davon, was "Phänomene" wie "(physische) Wirklichkeit", "Beobachtung", "Modellierung", "Vollständigkeit", "Unvollständigkeit" "Bestätigung", "Falsifikation" usw. sind - und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Und daraus können wir eben auch ableiten, dass unsere Modelle über die physische Welt fehleranfällig sind und es sein müssen, und dass das generell der Falls, solange die Conditio humana sich nicht fundamental ändert.

(Und wenn wir kein (zumindest implizites) Grundverständnis der vorgenannten "Kategorien" hätten, könnten wir auch keine Naturwissenschaft betreiben, weil wir dann nicht wüssten, was wir tun.)

 

Natürlich mag es helfen oder notwendig sein, sich das gerade Gesagte an ein oder zwei konkreten Beispielen klarzumachen - aber es genügt grundsätzlich ein einzelner Fall, an dem wir die Allgemeingültigkeit des Prinzips einsehen können. Es geht hier nicht um Induktion sondern um Einsicht in allgemeine "sachlogische" Zusammenhänge. Und wir müssen auch nicht fürchten, dass wir eines Tages auf ein Gegenbeispiel stoßen, das die Geltung der beschriebenen Zusammenhänge widerlegen würde.

 

Dies wäre nach allen (sinnvollen) Definitionen eben ein Beispiel für philosophisches Denken.

(Das Beispiel mag relativ simpel und "grundlegend" sein; aber auch dieses Beispiel muss man sich erst einmal klar machen, wenn man bisher noch nie mit solchen Fragen in Berührung gekommen ist.)

 

Das philosophische Denken besteht hier - oder auch in anderen Fällen - nicht darin, etwas völlig Neues zu entdecken. Es besteht auch nicht darin, etwas einfach "zusammenzufantasieren". Es besteht vielmehr darin, uns das bewusst zu machen, was wir "eigentlich" oder implizit ohnehin wissen, aber vielleicht nicht bewusst reflektieren - und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. (Dass das leider auch mal ziemlich danebengehen kann ist klar, hebt aber die grundsätzliche Validität des Ansätzen nicht auf.)

 

Zitat

Man mag umgangssprachlich das Wort „wahr“ verwenden, wenn eine Sache eigentlich nur vorläufig sicher ist, nur ist das eine sprachliche Ungenauigkeit, die man sich ja bei Zahlen auch nicht erlauben würde.

 

Ist es denn nur "vorläufig sicher", dass der Mount Everest der höchste Berg auf der Erde ist und dass es auf der Erde Vorkommen von Gold gibt? ;)

(Klar, "irgendwann" ist der Mount Everst vielleicht nicht mehr der höchste Berg und es gibt auch kein Gold mehr auf der Erde, spätestens wenn es die Erde selbst nicht mehr gibt. Aber auch dann wird doch wahr und nicht falsch sein, dass der Mount Everst am 25. 11. 2023 n. Chr. der höchste Berg war, und dass es zu jenem Zeitpunkt Gold auf der Erde gab.)

 

Und beinhalten nicht sowohl Deine wie auch meine Überlegungen zu ebendieser Frage, nämlich ob in entsprechenden Fällen der Begriff "Wahrheit" angemessen ist oder nicht, "reines Denken" - wenn man zugesteht, dass "reines Denken" sich eben auch an der (empirischen) Wirklichkeit orientieren kann? Oder lassen sich diese Fragen (rein) empirisch klären - sei es nun durch ein naturwissenschaftliches Experiment oder empirische Sozialforschung?

bearbeitet von iskander
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Und hier die Fortsetzung (zweiter Teil). ;)

 

Am 23.11.2023 um 14:53 schrieb Marcellinus:

 

Die Frage nach dem künftigen Denken von Computern ist Fantasie, genauer gesagt Science Fiction. Solange ich dazu aus der IT heraus begründete Aussagen machen kann [...]

 

Wie sähe eine "begründete" Aussage "aus der IT heraus" denn nach Deiner Meinung überhaupt aus? Könnte es beispielsweise einen "mathematischen" Beweis dafür geben, dass der Computer X denken kann? Oder einen empirischen?

 

Oder vielleicht anders gefragt: Um einen Beweis zu führen, dass ein Computer denken kann, müsste man doch in der Lage sein, einen Computer-Prozess, welcher eine Form von "Denken" darstellt, von anderen komplexen Computer-Prozessen, welche kein "Denken" darstellen, prinzipiell zu unterscheiden. Was wäre ein Kriterium der Abgrenzung, und wie könnte dieses Kriterium ggf. rein informatisch gefasst werden?

(Wenn man kein Kriterium der Abgrenzung hat, kann man auch nicht ausschließen, dass es schon längst denkende Computer gibt und wir das nur nicht gemerkt haben.)

 

Und damit zusammenhängend: Besitzt die Informatik, wenn es um das Thema "Denken" geht, denn überhaupt irgendeine direkte und wesentliche Kompetenz? Ist sie in dieser Hinsicht wesentlich besser aufgestellt als, sagen wir mal, die Musiktheorie?

 

Die Antwort auf all diese Fragen hängt vollkommen davon ab, was "Denken" überhaupt ist  - und ob es überhaupt seiner Natur nach zur Klasse derjenigen Prozesse gehört, welche von der Informatik untersucht werden. Wenn die Antwort "ja" lautet, mag man auf "informatische" Beweise dafür warten, dass ein Computer denken kann - sollte aber (nach hinreichender Überlegung) auch sagen können, wie entsprechende Beweise denn zumindest im Prinzip aussehen könnten. Wenn die Antwort auf diese Fragen hingegen negativ ausfällt, ist ein Warten natürlich von vornherein sinnlos.

 

Am 23.11.2023 um 14:53 schrieb Marcellinus:

Welche besondere Expertise da die Philosophie haben soll, erschließt sich mir nicht (wie auf allen anderen Gebieten auch nicht).

 

Die "Expertise" besteht darin, dass man einfach einmal einen Schritt zurücktritt und sich im konkreten Fall überlegt, was eine Turing-Maschine bzw. ein Computer überhaupt ist und was Denken überhaupt ist. Und ob es also beispielsweise überhaupt sein kann, dass das Denken nichts anderes ist als eine bestimmte Klasse von Operationen, wie sie von einer Turing-Maschine bzw. einem Computers geleistet werden können.

 

(Und natürlich kann sich das im Prinzip jeder überlegen. Und wenn jemand eben mit einer gewissen Systematik Überlegungen einer bestimmten Art anstellt, spricht man eben im engeren oder weiteren Sinne von "Philosophie" - das ist einfach der Sprachgebrauch. Und die Beschäftigung mit "akademischer" Philosophie sollte optimalerweise ein Training bieten, das einem beim Nachdenken hilft - eventuell auch, damit man sieht, welche Möglichkeiten bereits durchdacht wurden und in welche Fallen man leicht hineintritt.)

 

Die Informatik selbst vergleicht das Denken nämlich gerade nicht in grundsätzlicher Weise mit den Prozesse eines Computers. (Oder höchstens vielleicht im Hinblick auf den funktionellen Output.) Das ist auch nicht verwunderlich. Das "Denken" und das "Bewusstsein" gehören gar nicht in in den Objektbereich der Informatik.

Natürlich gibt es (genug) Informatiker, die sich dennoch zum Thema äußern. Nur legen sie für ihre Behauptungen dann eben gerade keine "informatischen" Beweise vor.

 

Und die kognitive Psychologie befasst sich zwar auch mit dem Denken, aber im Hinblick auf seine konkreten Ausgestaltungen, und nicht dahingehend, was es überhaupt ist - so wenig, wie sie fragt, was Computer denn eigentlich überhaupt sind und in welchem prinzipiellen Verhältnis sie zum menschlichen Denken stehen. 

 

Natürlich könnte man das Denken einfach per Entscheidung mit bestimmten "informatischen" Prozessen gleichsetzen (so wie man es auch per Entscheidung mit Hirnprozessen gleichsetzen kann). Dann kann natürlich am ehesten die Informatik sagen, ob Computer (potentiell) denken können.

Nur beißt sich hier die Katze in den Schwanz, denn genau das ist ja die eigentliche Frage: Kann man denn das Denken legitimerweise mit bestimmten informatischen Prozessen gleichsetzen? Gibt es ein gutes, vielleicht gar ein zwingendes Argument, das eine solche Gleichsetzung rechtfertigt? Oder gibt es ein gutes, vielleicht sogar ein zwingendes Argument, das für einen prinzipiellen Unterschied spricht?

 

Und um diese Fragen zu beantworten, braucht man eigentlich nur zwei Dinge zu wissen:

 

1) Wir funktionieren Computer grundsätzlich? (Es genügt dabei, sich die Funktionsweise einer Turing-Maschine anzusehen, denn die kann (mindestens) alles, was auch ein Computer kann, und funktioniert auf abstrakter Eben ähnlich.)

2) Was ist "Denken"? (Und auch für die Antwort auf diese Frage muss man kein Experte der kognitiven Psychologie sein - es genügt, dass man sich auf sein Alltagswissen besinnt.)

 

Auch hier besteht die Aufgabe der Philosophie einfach darin, auf das aufmerksam machen, was wir "im Prinzip" eigentlich ohnehin wissen - und auf die Konsequenzen hinzuweisen, die sich daraus ergeben.

 

Am 23.11.2023 um 14:53 schrieb Marcellinus:

Heute haben wir das nicht mehr nötig. Unser empirisches Wissen übersteigt unsere Fähigkeit, überprüfbare Modelle von Zusammenhängen zu entwickeln, bei weitem. Noch mehr als damals führt heute „reines Denken“ in die Irre.

 

Ich wage allerdings die Behauptung, dass Du etliche Thesen vertrittst, die sich höchstens durch "reines Denken" (wenn man das so formulieren will und nicht missinterpretiert) begründen lassen. ;)

Eben beispielsweise die Tatsache, dass alle unsere wissenschaftlichen Modelle grundsätzlich fehleranfällig sind (s.o.).

 

Oder vertrittst Du nicht beispielsweise auch die Auffassung, dass das Bewusstsein mithilfe des Prinzips der Emergenz aus biologischen Prozessen bzw. Funktionen erklärbar ist? (Ist das übrigens auch nun ein vorläufiges Modell?)

 

Wie nun lässt sich diese Art der Emergenz-These aber empirisch überprüfen oder gar falsifizieren? Tatsächlich gibt es verschiedene Theorien, die alle mit den empirischen Tatsachen vereinbar sind. Wenn man nun die Theorie der Emergenz einer anderen Theorie gegenüber vorzieht, bleibt als Begründung doch eben nur das "Denken", oder?

 

 

Zitat

Oder wie es Rolf Helmut Foerster einmal so treffend formulierte: „Zur Metaphysik kommt man […], indem man beim Nachdenken über eine Sache dem Denken selbst den Vorrang vor der Sache gibt.“ 

 

Da kommt es vielleicht auch darauf an, wie man "Metaphysik" definiert. Aussagen darüber, wie der Mensch und sein Erkenntnisvermögen sich ganz allgemein und ganz fundamental zur Wirklichkeit verhalten, können nach meiner Überzeugung eindeutig nicht (allein) durch die empirische Wissenschaft begründet werden, so dass man sie mit Recht zur Metaphysik rechnen kann.

Und ganz allgemeine und grundsätzliche Behauptungen derart, dass der Mensch die Wirklichkeit nicht oder kaum erkennen könne, sind eben auch fundamentale Aussagen über das Verhältnis des Menschen zur Wirklichkeit.

Und doch tätigen viele Autoren eben solche"fundamentalen" Aussagen, während sie gegen die Metaphysik polemisieren. Ich glaube, dass hier Markus Willaschek ("Was ist schlechte Metaphysik?") den Nagel auf den Kopf trifft:

 

"Wer nämlich die Berechtigung und prinzipielle Möglichkeit solchen [metaphysischen] Denkens mit Gründen bestreiten will, wird sich dazu äußern müssen, wie sich unser Denken, in seinen verschiedenen Formen und Ausprägungen, zu einzelnen Aspekten der Wirklichkeit, aber auch zur Wirklichkeit insgesamt verhält: Was ist Denken überhaupt? Was sind seine möglichen Inhalte? Wie weit reicht unser Denken, wie weit reicht unser mögliches Wissen? Was sind die Unterschiede, was die Gemeinsamkeiten zwischen erfahrungsnahen Formen des Denkens (etwa im Alltag und den empirischen Wissenschaften) und erfahrungsfernen Formen (etwa in der Mathematik und Philosophie)? Wie bezieht sich unser Denken überhaupt auf etwas? Wie bezieht es sich auf unterschiedliche Arten von 'Gegenständen' (z.B. ein Haus, Zahnschmerzen, ein Elektron, Primzahlen, die Gerechtigkeit)?

Und vor allem: Kann es uns gelingen, die Wirklichkeit insgesamt und ihre allgemeinen Strukturen begrifflich zu fassen und näher zu bestimmen? Wer auf die letzte dieser Fragen unter Angabe von Gründen mit Nein antwortet, hat das Feld der Metaphysik bereits betreten. [...]

Epistemische Metaphysikkritik, so die Konsequenz, kann niemals die Metaphysik insgesamt treffen. Sofern sie sich nicht in einen Selbstwiderspruch verwickelt, ist sie bestenfalls Kritik an schlechter Metaphysik vom Standpunkt einer (wirklich oder vermeintlich) besseren Metaphysik.

Diese Einsicht ließe sich an philosophiegeschichtlichen Fallbeispielen belegen: [...]

[S]tets stützt sich die Kritik, die aller Metaphysik ein Ende bereiten will, explizit oder implizit selbst auf metaphysische Thesen. Der mit dieser Art von Metaphysikkritik häufig verbundene bilderstürmerische Gestus erweist sich als rein rhetorische Selbstauszeichnung. [...]"

 

Ausgehend von methodischen Überlegungen würde ich also mit Überzeugung behaupten, dass man Fragen zum prinzipiellen Verhältnis des menschlichen Geistes zur Wirklichkeit nicht allein mithilfe empirischer Wissenschaften wie Soziologie oder Physik beantworten kann - und also "die" Metaphysik nicht kritisieren kann, ohne selbst einen Standpunkt einzunehmen, den man mit gutem Recht als "metaphysisch" bezeichnen kann. Aber für Kritik und Gegen-Argumente bleibe ich natürlich offen.

bearbeitet von iskander
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Am 25.11.2023 um 18:10 schrieb iskander:

Nur: Woher wissen wir das, dass alle unsere Modelle falsch sein können? Wie können wir das beweisen? Und welche Wissenschaft leistet das gegebenenfalls?

 

Wir wissen es nicht, und müssen es auch nicht. Es reicht völlig, daß wir bei allen damit rechnen müssen, sprich: bei keinem beweisen können, daß es nicht falsch werden kann.  Das ist übrigens, was Popper meint, wenn er sagt, keine Theorie können endgültig bewiesen werden. 

 

Am 25.11.2023 um 18:10 schrieb iskander:

Man kann also die Aussage, dass wissenschaftliche Modelle (jedenfalls soweit sie allgemeine Gesetze beinhalten oder Vollständigkeit für sich beanspruchen) immer unsicher sind und sein müssen, empirisch nicht beweisen.

 

Richtig! Muß man aber auch nicht! Siehe oben.

 

Am 25.11.2023 um 18:10 schrieb iskander:

Trotzdem kann die Richtigkeit dieser Aussage überzeugend beweisen, nämlich durch den Hinweis auf grundlegende Einsichten. Der Beweis sieht skizzenhaft wie folgt aus (und wir den Kenner nicht überraschen):

 

Nur sind diese "grundlegenden Einsichten" eben Meinung, nicht mehr. Gut für's Feuilleton, sonst für nichts.

 

Am 25.11.2023 um 18:10 schrieb iskander:

Wir erkennen das "Innerste der Natur" nicht unmittelbar, sondern wir erkennen immer nur Aspekte, vermittelt durch die Beobachtung. Unsere Sinneswahrnehmung und unsere empirischen Untersuchungen liefern uns zwar Informationen - aber das sind Bruchstücke. Und wir versuchen nun zwar, aus den Teilstücken das Ganze zu rekonstruieren - aber da gibt es eben immer verschiedene Möglichkeiten, zwischen denen wir auswählen müssen, ohne zu wissen, welche die richtige ist. Deshalb wissen wir nie, ob unsere Rekonstruktion (unser Modell) auch wirklich völlig korrekt ist. Ein Objekt, das wir beschreiben, könnte beispielsweise Eigenschaften besitzen, die nur unter ganz speziellen Bedingungen beobachtbar "zum Vorschein kommen", so dass wir noch gar nicht um sie wissen und sie auch noch nicht in unserem Modell berücksichtigt haben.

 

Ganz meine Meinung! Vielleicht noch um die Einsicht ergänzt, daß das "Innerste der Natur", die Philosophie nennt das "Wesen" im Gegensatz zur "äußeren Erscheinung", eine Unterscheidung ist, die in den theoretisch-empirischen Wissenschaften auch nichts zu suchen hat. Man kann sich so etwas natürlich herbeifantasieren, aber mehr als ein subjektiver Glaube ist es nicht.

 

Am 25.11.2023 um 18:10 schrieb iskander:

Kurz gesagt: Wir haben ein grundlegendes Verständnis davon, was "Phänomene" wie "(physische) Wirklichkeit", "Beobachtung", "Modellierung", "Vollständigkeit", "Unvollständigkeit" "Bestätigung", "Falsifikation" usw. sind - und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Und daraus können wir eben auch ableiten, dass unsere Modelle über die physische Welt fehleranfällig sind und es sein müssen, und dass das generell der Falls, solange die Conditio humana sich nicht fundamental ändert.

(Und wenn wir kein (zumindest implizites) Grundverständnis der vorgenannten "Kategorien" hätten, könnten wir auch keine Naturwissenschaft betreiben, weil wir dann nicht wüssten, was wir tun.)

 

Das ist Unsinn! Ich habe schon an anderer Stelle gezeigt, daß die Naturwissenschaften den scheinbar so grundlegenden Kategorien der Philosophen immer ein paar Jahrhunderte voraus waren. Man kann also Naturwissenschaften ohne Philosophie betreiben, und man kann es nicht nur, sondern man tut es auch!

 

Am 25.11.2023 um 18:10 schrieb iskander:

Natürlich mag es helfen oder notwendig sein, sich das gerade Gesagte an ein oder zwei konkreten Beispielen klarzumachen - aber es genügt grundsätzlich ein einzelner Fall, an dem wir die Allgemeingültigkeit des Prinzips einsehen können. Es geht hier nicht um Induktion sondern um Einsicht in allgemeine "sachlogische" Zusammenhänge. Und wir müssen auch nicht fürchten, dass wir eines Tages auf ein Gegenbeispiel stoßen, das die Geltung der beschriebenen Zusammenhänge widerlegen würde.

 

Dies wäre nach allen (sinnvollen) Definitionen eben ein Beispiel für philosophisches Denken.

(Das Beispiel mag relativ simpel und "grundlegend" sein; aber auch dieses Beispiel muss man sich erst einmal klar machen, wenn man bisher noch nie mit solchen Fragen in Berührung gekommen ist.)

 

Am 25.11.2023 um 18:10 schrieb iskander:

Das philosophische Denken besteht hier - oder auch in anderen Fällen - nicht darin, etwas völlig Neues zu entdecken. Es besteht auch nicht darin, etwas einfach "zusammenzufantasieren". Es besteht vielmehr darin, uns das bewusst zu machen, was wir "eigentlich" oder implizit ohnehin wissen, aber vielleicht nicht bewusst reflektieren - und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. (Dass das leider auch mal ziemlich danebengehen kann ist klar, hebt aber die grundsätzliche Validität des Ansätzen nicht auf.)

 

Diesen "eigentlich" ist ein ziemlich sicherer Hinweis auf einen Fehler. Wenn wir uns um "positives", wissenschaftliches Wissen bemühen, also um solches, daß nur so viel behauptet, wie es auch belegen kann, dann gibt es kein "eigentlich". Es ist einfach nur ein vollkommen überzogener Anspruch, nur aufgrund der eigenen, ach so hervorragenden Denkleistung "mehr" zu wissen als andere. Ein "höheres Bewusstsein" zu haben, ist der Versuch, zu verschleiern, daß es sich nur um die eigene, unmaßgebliche Meinung handelt, für die man keinen anderen Beleg hat als die eigenen Großartigkeit und Reflektiertheit.

 

Am 25.11.2023 um 18:10 schrieb iskander:
Zitat

Man mag umgangssprachlich das Wort „wahr“ verwenden, wenn eine Sache eigentlich nur vorläufig sicher ist, nur ist das eine sprachliche Ungenauigkeit, die man sich ja bei Zahlen auch nicht erlauben würde.

Ist es denn nur "vorläufig sicher", dass der Mount Everest der höchste Berg auf der Erde ist und dass es auf der Erde Vorkommen von Gold gibt? ;)

 

Ja, genau. So ist es. Das Wort "Wahrheit" ist hier eindeutig ein Synonym für "ich weiß es nicht, aber ich glaube fest daran", darin übrigens dem Wort "Gott" nicht unähnlich.

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Am 25.11.2023 um 19:45 schrieb iskander:

Und hier die Fortsetzung (zweiter Teil). ;)

 

Am 23.11.2023 um 14:53 schrieb Marcellinus:

 

Die Frage nach dem künftigen Denken von Computern ist Fantasie, genauer gesagt Science Fiction. Solange ich dazu aus der IT heraus begründete Aussagen machen kann [...]

 

Wie sähe eine "begründete" Aussage "aus der IT heraus" denn nach Deiner Meinung überhaupt aus? Könnte es beispielsweise einen "mathematischen" Beweis dafür geben, dass der Computer X denken kann? Oder einen empirischen?

 

Oder vielleicht anders gefragt: Um einen Beweis zu führen, dass ein Computer denken kann, müsste man doch in der Lage sein, einen Computer-Prozess, welcher eine Form von "Denken" darstellt, von anderen komplexen Computer-Prozessen, welche kein "Denken" darstellen, prinzipiell zu unterscheiden. Was wäre ein Kriterium der Abgrenzung, und wie könnte dieses Kriterium ggf. rein informatisch gefasst werden?

(Wenn man kein Kriterium der Abgrenzung hat, kann man auch nicht ausschließen, dass es schon längst denkende Computer gibt und wir das nur nicht gemerkt haben.)

 

Und damit zusammenhängend: Besitzt die Informatik, wenn es um das Thema "Denken" geht, denn überhaupt irgendeine direkte und wesentliche Kompetenz? Ist sie in dieser Hinsicht wesentlich besser aufgestellt als, sagen wir mal, die Musiktheorie?

 

Die Antwort auf all diese Fragen hängt vollkommen davon ab, was "Denken" überhaupt ist  - und ob es überhaupt seiner Natur nach zur Klasse derjenigen Prozesse gehört, welche von der Informatik untersucht werden. Wenn die Antwort "ja" lautet, mag man auf "informatische" Beweise dafür warten, dass ein Computer denken kann - sollte aber (nach hinreichender Überlegung) auch sagen können, wie entsprechende Beweise denn zumindest im Prinzip aussehen könnten. Wenn die Antwort auf diese Fragen hingegen negativ ausfällt, ist ein Warten natürlich von vornherein sinnlos.

 

Du hast vollkommen recht! Wenn man wissen will, ob Maschinen denken können, sollte man erst einmal wissen, was das überhaupt ist: Denken! Und wissen heißt: Modelle von Zusammenhängen zwischen all dem haben, was wir beim Denken beobachten können, Modelle, die hinreichend beschreiben, was Denken ist. 

 

Dazu kann man zweierlei sagen: 1. Es ist eine Sache der theoretisch-empirischen Wissenschaften, denn Denken ist ganz eindeutig Teil dieser Welt. Und 2. Wir haben solche Modelle noch nicht, noch nicht einmal im Ansatz. Die Philosophie hilft uns da nicht weiter, es sei denn, man wolle das Nachdenken über Denken auf Glauben gründen.

 

Damit hast du auch die Antwort auf die Frage nach dem "zukünftigen Denken von Maschinen". Es ist reine Fantasie. Wir sollte erst einmal klären, was wir unter dem "Denken" von uns Menschen verstehen. Da haben wir noch reichlich vor uns. 

 

Am 25.11.2023 um 19:45 schrieb iskander:

 

Am 23.11.2023 um 14:53 schrieb Marcellinus:

Welche besondere Expertise da die Philosophie haben soll, erschließt sich mir nicht (wie auf allen anderen Gebieten auch nicht).

 

Die "Expertise" besteht darin, dass man einfach einmal einen Schritt zurücktritt und sich im konkreten Fall überlegt, was eine Turing-Maschine bzw. ein Computer überhaupt ist und was Denken überhaupt ist.

 

Das ist der entscheidende Punkt, und da hilft Philosophie mal wieder überhaupt nicht. Philosophen denken das nur. Womit wir wieder bei der eingebildeten Großartigkeit wären. ;)

 

Am 25.11.2023 um 19:45 schrieb iskander:

 

Am 23.11.2023 um 14:53 schrieb Marcellinus:

Heute haben wir das nicht mehr nötig. Unser empirisches Wissen übersteigt unsere Fähigkeit, überprüfbare Modelle von Zusammenhängen zu entwickeln, bei weitem. Noch mehr als damals führt heute „reines Denken“ in die Irre.

 

Ich wage allerdings die Behauptung, dass Du etliche Thesen vertrittst, die sich höchstens durch "reines Denken" (wenn man das so formulieren will und nicht missinterpretiert) begründen lassen. ;)

Eben beispielsweise die Tatsache, dass alle unsere wissenschaftlichen Modelle grundsätzlich fehleranfällig sind (s.o.).

 

Nein, es ist einfach nur eine Feststellung. Ohne Anspruch auf ewige Gültigkeit, einfach nur aus unseren bisherigen Erfahrungen. Ich mache keine absoluten Aussagen, auch wenn du mir das immer wieder unterstellen willst. 

 

Am 25.11.2023 um 19:45 schrieb iskander:

Oder vertrittst Du nicht beispielsweise auch die Auffassung, dass das Bewusstsein mithilfe des Prinzips der Emergenz aus biologischen Prozessen bzw. Funktionen erklärbar ist? (Ist das übrigens auch nun ein vorläufiges Modell?)

 

Wie nun lässt sich diese Art der Emergenz-These aber empirisch überprüfen oder gar falsifizieren? Tatsächlich gibt es verschiedene Theorien, die alle mit den empirischen Tatsachen vereinbar sind. Wenn man nun die Theorie der Emergenz einer anderen Theorie gegenüber vorzieht, bleibt als Begründung doch eben nur das "Denken", oder?

 

Meine Auffassung ist hier vollkommen ohne Belang. Bewusstsein existiert, und das läßt sich experimentell belegen, nicht nur bei Menschen, sondern auch zumindest bei Primaten. Damit ist klar, daß es evolutionär entstanden ist, wie alle anderen unserer Eigenschaften auch. Der Rest ist Gegenstand der theoretisch-empirischen Wissenschaften. Philosophen können auch dazu mangels Sachkenntnis nichts beitragen.

 

Am 25.11.2023 um 19:45 schrieb iskander:

 

Zitat

Oder wie es Rolf Helmut Foerster einmal so treffend formulierte: „Zur Metaphysik kommt man […], indem man beim Nachdenken über eine Sache dem Denken selbst den Vorrang vor der Sache gibt.“ 

 

Da kommt es vielleicht auch darauf an, wie man "Metaphysik" definiert. Aussagen darüber, wie der Mensch und sein Erkenntnisvermögen sich ganz allgemein und ganz fundamental zur Wirklichkeit verhalten, können nach meiner Überzeugung eindeutig nicht (allein) durch die empirische Wissenschaft begründet werden, so dass man sie mit Recht zur Metaphysik rechnen kann.

 

"Ganz allgemein und fundamental" ist wieder so ein Absolutismus, und damit sicher falsch. Genau das ist es, was Foerster meinte, und was ich Fantasievorstellungen nenne.  Man kann sich eine Mengen Zeit sparen, wenn man darauf verzichtet. Und ja, immer wenn ich so etwas sage, haben Philosophen Schaum vor dem Mund. 

 

Am 25.11.2023 um 19:45 schrieb iskander:

Und ganz allgemeine und grundsätzliche Behauptungen derart, dass der Mensch die Wirklichkeit nicht oder kaum erkennen könne, sind eben auch fundamentale Aussagen über das Verhältnis des Menschen zur Wirklichkeit.

 

Damit landest du nirgendwo sonst als im Solipsismus. Das war schon falsch, als Descartes damit kam. Könnten wir nichts über diese Wirklichkeit herausfinden (und damit meine ich ausdrücklich nicht "fundamentales"), dann brauchten wir uns hier nicht zu unterhalten. 

 

Was das Zitat über sogenannte "schlechte Metaphysik" betrifft, ist das sicherlich ein gutes Beispiel für "schlechte Metaphysik", eine Aneinanderreihung von absoluten Aussagen über Sachverhalte, die vor allem für den Autor von emotionaler Bedeutung sind (oder der Forderung danach), sowie Zusammenhänge, die schon ein kleines Kind begreift. Der Trick ist der gleiche wie der von Theologen, die behaupten, jeder haben eine Religion, eine gute oder eine schlechte, wobei "schlecht" im Zweifel eine meint, die man sich nur nicht eingestehe. 

 

Am 25.11.2023 um 19:45 schrieb iskander:

Ausgehend von methodischen Überlegungen würde ich also mit Überzeugung behaupten, dass man Fragen zum prinzipiellen Verhältnis des menschlichen Geistes zur Wirklichkeit nicht allein mithilfe empirischer Wissenschaften wie Soziologie oder Physik beantworten kann ...

 

Richtig!

 

Am 25.11.2023 um 19:45 schrieb iskander:

und also "die" Metaphysik nicht kritisieren kann, ohne selbst einen Standpunkt einzunehmen, den man mit gutem Recht als "metaphysisch" bezeichnen kann. Aber für Kritik und Gegen-Argumente bleibe ich natürlich offen.

 

Falsch! Ich kritisiere Metaphysik nicht, sie diskreditiert sich selbst. Ich halte Metaphysik für untauglich zur theoretisch-empirischen Orientierung in dieser Welt. Es ist einfach ein veralteter Glaube, nur eben nicht beruhend auf "Offenbarungen", sondern auf Denken und vor allem Fantasie. 

 

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vor 17 Stunden schrieb Marcellinus:

Wir wissen es nicht, und müssen es auch nicht.

 

Wir wissen nicht, dass sie falsch sind, aber dass sie falsch sein können.

 

Zitat

Nur sind diese "grundlegenden Einsichten" eben Meinung, nicht mehr. Gut für's Feuilleton, sonst für nichts.

 

[...]

 

Ganz meine Meinung!

 

Da liegt womöglich ein Missverständnis vor. Die "grundlegenden Einsichten", die ich meine, sind genau in jener Passage ausgedrückt, welcher Du mit den Worten "Ganz meine Meinung!" zustimmst: Also dass wir nicht das Innerste der Natur unmittelbar und vollständig begreifen, sondern die Dinge mithilfe der Beobachtung nur "aspekthaft" erkennen und erschließen können; dass wir beim Entwerfen unserer Modelle daher bestimmte Annahmen machen müssen; dass unsere Modelle also (potentiell) unvollständig und fehleranfällig sind usw.

 

Und das sind eben - wenn auch simple und grundlegende - "wissenschaftstheoretische" Überlegungen.

 

Zitat

Vielleicht noch um die Einsicht ergänzt, daß das "Innerste der Natur", die Philosophie nennt das "Wesen" im Gegensatz zur "äußeren Erscheinung", eine Unterscheidung ist, die in den theoretisch-empirischen Wissenschaften auch nichts zu suchen hat.

 

Man bleibt aber nicht bei der "äußeren Erscheinung" stehen, sondern versucht, mehr über die Dinge zu lernen. Auch wenn unsere Modell nicht perfekt sind, meine ich durchaus, dass wir mehr als beispielsweise die Leute in der Antike darüber wissen, was Blitze oder Sterne sind. Und das "Wesen" einer Sache ist ja nichts anderes als das, was sie ist. Wenn wir mehr über eine Sache lernen, lernen wir so gesehen also auch mehr über ihr "Wesen".

 

Zitat

Das ist Unsinn! Ich habe schon an anderer Stelle gezeigt, daß die Naturwissenschaften den scheinbar so grundlegenden Kategorien der Philosophen immer ein paar Jahrhunderte voraus waren. Man kann also Naturwissenschaften ohne Philosophie betreiben, und man kann es nicht nur, sondern man tut es auch!

 

Da missinterpretierst Du meine Worte. ;)

Ich behaupte nicht, dass man zuerst Philosophie betreiben müsste, um Naturwissenschaft betreiben zu können.

 

Ich behaupte, dass man ein (zumindest implizites) Verständnis bestimmter grundlegender Kategorien und ihrer Verhältnisse braucht, um überhaupt Naturwissenschaft betreiben zu können. Zu den entsprechenden "Kategorien" gehören beispielsweise Beobachtung, Wirklichkeit, Modell, Bestätigung, Widerlegung, (Un)vollständigkeit usw.

 

Wer beispielsweise nicht versteht (nicht einmal intuitiv), dass seine Beobachtung etwas anderes ist als die (ganze) Wirklichkeit, oder dass sein Modell der Wirklichkeit etwas anderes ist als die Wirklichkeit selbst, oder dass sein eigenes Modell durch neue Beobachtungen widerlegt werden kann: Der wird schwerlich erfolgreich Wissenschaft betreiben (können). Denn er wüsste ja nicht, was er da überhaupt tut und warum er es tut. Warum sollte jemand beispielsweise sein Modell mithilfe der Beobachtung an der Wirklichkeit messen, wenn er überhaupt keinen Begriff davon hat, in welchem Verhältnis Wirklichkeit, Modell und Beobachtung zueinander stehen?


Die Philosophie reflektiert solche grundlegenden Begriffe bzw. Kategorien, aber das heißt nicht, dass heißt wie gesagt nicht, dass die Philosophie der Naturwissenschaft zeitlich vorausgehen müsste!

 

Zitat

Diesen "eigentlich" ist ein ziemlich sicherer Hinweis auf einen Fehler. Wenn wir uns um "positives", wissenschaftliches Wissen bemühen, also um solches, daß nur so viel behauptet, wie es auch belegen kann, dann gibt es kein "eigentlich".

 

Dass unser Zugang zur physischen Welt grundsätzlich begrenzt ist; dass wir mit unserer Beobachtung nur Aspekte der Natur erfassen, nicht aber die Natur als ganze; dass wir, wenn wir auf Grundlage der Beobachtung Modelle bauen, wir immer auch Annahmen machen müssen; dass derartige Annahmen sich auch als falsch herausstellen können;  dass man mithilfe eines Modells (grundsätzlich) Vorhersagen machen kann; dass dann, wenn aus dem "Gesamt-Modell" eine Vorhersage folgt, die sich aber tatsächlich nicht durch eine vorhergesagte Beobachtung bestätigen lässt, das Gesamt-Modell falsch sein muss; dass die Bestätigung eines Modells jedoch kein strenger Beweis seiner Richtigkeit ist usw:

 

All das kann man nicht empirisch belegen, schon gar nicht im Sinne einer strikten Allgemeingültigkeit. Denn all das Gesagte (oder mindestens einen Teil davon) muss bereits als wahr gesetzt sein und - zumindest implizit - begriffen werden, um überhaupt irgendetwas empirisch prüfen oder um gar Wissenschaft betreiben zu können. Es geht hier sozusagen um das, was allem empirischen Beweisen und Widerlegen zugrundliegt und daher selbst kein Gegenstand empirischer Untersuchung mehr sein kann.

 

Und zugegeben: Hier handelt es sich erst mal um grundlegende Sachen. Aber der Laie von der Straße wird vielleicht durchaus glauben, dass die Wissenschaft u.U. im strengen Sinne beweisen kann, dass bestimmte Modelle völlig wahr und vollständig sind. Man kann hier nun aber den Laien von der Straße auf Dinge aufmerksam machen, über die er vielleicht noch nicht explizit nachgedacht hat, die ihm "eigentlich" bzw. "im Prinzip" jedoch bekannt sind und daher klar werden, sobald er darüber nachdenkt. (Hier könnte man vielleicht von einem "impliziten" Wissen sprechen.) Und man kann ihm auch aufzeigen, was aus diesen Prinzipien folgt.

 

Und die Wissenschaftstheorie endet ja nicht hier, sondern schreitet fort, wobei man sich natürlich auch die real existierende Wissenschaft ansieht. So gibt es natürlich auch anspruchsvollere Frage, die sich nicht einfach durch eine empirische Prüfung beantworten lassen, zu denen man aber dennoch etwas Sinnvolles sagen kann. Beispielsweise dazu, ob und ggf. wie sich das Verfahren der Induktion in einer "bescheidenen" Variante rational begründen lässt.

 

Zitat

Ja, genau. So ist es. Das Wort "Wahrheit" ist hier eindeutig ein Synonym für "ich weiß es nicht, aber ich glaube fest daran", darin übrigens dem Wort "Gott" nicht unähnlich.

 

Weißt Du denn nicht, dass es Gold auf der Welt gibt und der Mount Everest der höchste Berg ist? Glaubst Du nur fest daran (oder auch nicht)? ;)

 

Für meinen Teil würde ich sagen: Ich glaube nicht daran, ich weiß es. Nicht unbedingt mit absoluter Sicherheit, nicht unbedingt in der gleichen Weise, in der ich weiß, dass ich überhaupt existiere. Aber doch mit einem so hohen Grad an Sicherheit, dass aus meiner Sicht kein vernünftiger Zweifel mehr möglich ist. (Wobei ich mir sogar noch sicherer bin, dass es Gold auf dieser Erde gibt, als dass der Mount Everest der höchste Berg unseres Planeten ist. Denn der Beweis für letztere Behauptung ist vermutlich aufwendiger und "theorieabhängiger". Und trotzdem sind auch da meine Zweifel sehr gering.)

bearbeitet von iskander
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Teil 2.

 

Zitat

Meine Auffassung ist hier vollkommen ohne Belang.

 

Ob sie von Belang ist, weiß ich nicht, und ich möchte nicht behaupten, sie sei es nicht; ich habe das aber erwähnt weil Du hier nach meinem Eindruck so gesprochen, als würdest Du hier davon ausgehen, dass eine bestimmte Auffassung zutreffend sei, obwohl sie empirisch nicht prüfbar ist.

 

Zitat

Der Rest ist Gegenstand der theoretisch-empirischen Wissenschaften. Philosophen können auch dazu mangels Sachkenntnis nichts beitragen.

 

Das ist deswegen nicht richtig, weil verschiedene Erklärungen dafür, in welchem Verhältnis Geist und Gehirn zueinander stehen, mit der Empirie vereinbar sind (und teilweise auch immer vereinbar sein werden). Und wenn eine Frage empirisch nicht entscheidbar ist, besteht der einzige Lösungsansatz darin, zu überlegen, ob es gute nicht-empirische Argumente für eine bestimmte Position gibt. Man mag auch zum Ergebnis kommen, dass man dazu gar keine sinnvolle Aussage machen kann; aber auch das will begründet sein.

 

Zitat

Bewusstsein existiert, und das läßt sich experimentell belegen, nicht nur bei Menschen, sondern auch zumindest bei Primaten.

 

Das klingt für mich etwas problematisch, weil es m.E. leicht in die Irre führt. Zu bedenken ist folgendes:

 

 

1) Erst einmal kennen wir das Bewusstsein nur von uns selbst. Wir wissen von uns selbst, dass wir bewusst sind und was Bewusstsein ist.

 

2) Dann gehen wir natürlich davon aus, dass andere Menschen und Lebewesen, die uns ähnlich sind und sich ähnlich wie wir verhalten, wenn wir bei Bewusstsein sind, ebenfalls Bewusstsein besitzen.

Genau genommen ist aber das schon etwas "Abgeleitetes", denn das Bewusstsein anderer Subjekte ist uns nicht unmittelbar gegeben oder zugänglich. Vielmehr besteht die einzige rationale Rechtfertigung für die Zuschreibung von Bewusstsein in einem (Analogie)schluss. Und ein solcher Schluss ist nicht absolut zwingend, auch wenn wir ihn in diesem Fall nicht ernsthaft anzweifeln können. Denn es ist zumindest theoretisch nicht ausgeschlossen, dass andere Lebewesen sich gerade so verhalten, als wenn sie bei Bewusstsein wären, es aber nicht sind.

 

3) Dann können wir empirisch feststellen, dass Menschen, die  bestimmte (beispielsweise verbale) Verhaltensweisen zeigen, welche wir mit Bewusstsein assoziieren, auch bestimmte Gehirnaktivitäten zeigen. (Das Vorhandensein von Bewusstsein selbst können wir empirisch natürlich nicht unmittelbar feststellen!)

 

4) Wenn es bei allen Versuchspersonen einen beobachtbaren empirischen Zusammenhang zwischen der Gehirnaktivität G und dem Bewusstseinszustand B gab, können wir induktiv schließen, dass hier wohl eine allgemeine Gesetzmäßigkeit besteht - und dass also wohl auch andere Leute, deren Gehirn sich im Zustand G befinden, den Bewusstseinszustand B haben. (Völlige Sicherheit gibt es dabei aber nicht.)

 

5) Und per (weiterem) Analogieschluss kann man dann folgern, dass der entsprechende Zusammenhänge vermutlich auch für Tiere mit vergleichbaren Gehirnarealen gilt. (Wobei man das auch ohne Gehirnforschung folgern könnte, dass viele Tiere höchstwahrscheinlich ein Bewusstsein besitzen.)

 

 

Dass Bewusstsein überhaupt existiert, kann man daher also nicht experimentell belegen - und um im konkreten Fall belegen zu können, dass bei einer anderen Person oder einem Tier Bewusstsein (höchstwahrscheinlich) auftritt, muss man bereits wissen, dass Bewusstsein existiert. Und natürlich muss man für all diese Überlegungen, Experimente und Schlüsse selbst bei Bewusstsein sein bzw. selbst denken, denn ohne das gibt es auch kein Schließen und kein Experimentieren. 

 

Die hier zugleich angesprochenen "methodischen" Limitationen sollte man auch bedenken, wenn es etwa um die Diskussion um "Denken und Computer" geht.

 

vor 21 Stunden schrieb Marcellinus:

Du hast vollkommen recht! Wenn man wissen will, ob Maschinen denken können, sollte man erst einmal wissen, was das überhaupt ist: Denken! Und wissen heißt: Modelle von Zusammenhängen zwischen all dem haben, was wir beim Denken beobachten können, Modelle, die hinreichend beschreiben, was Denken ist. 

 

Bei Modellen dieser Art geht es immer um Details; darum, wie Menschen tatsächlich denken, welche Regelmäßigkeiten und Zusammenhänge es gibt usw. Das fällt ins Gebiet der kognitiven Psychologie. Es beantwortet aber nicht die Frage, was "Denken" eigentlich überhaupt ist (etwa im Vergleich zu anderen Prozessen). Das ist keine temporäre Schwäche der heutigen Psychologie, sondern es liegt in der Natur der Methode jeder empirischen Wissenschaft, die hier tätig werden will.

 

Zitat

Die Philosophie hilft uns da nicht weiter, es sei denn, man wolle das Nachdenken über Denken auf Glauben gründen.

 

Oder Dinge aufzeigen, die uns "im Prinzip" durchaus bekannt sind, aber vielleicht der bewussten Aufmerksamkeit bedürfen!

 

Zitat

Damit hast du auch die Antwort auf die Frage nach dem "zukünftigen Denken von Maschinen". Es ist reine Fantasie. Wir sollte erst einmal klären, was wir unter dem "Denken" von uns Menschen verstehen. Da haben wir noch reichlich vor uns. 

 

Du scheinst der Auffassung zu sein, dass sich empirisch klären lassen, was Denken eigentlich sei. Aber wie sollte das - und sei es auch nur im Prinzip - funktionieren?

 

Zum Zweiten würde ich sagen: Natürlich wissen wir durchaus einiges über das Denken, unter anderem, dass Gedanken einen bestimmten Inhalt haben. Das ist ein wesentliches Merkmal des Denkens im engeren Sinne und wird auch niemals von einer hypothetischen künftigen empirischen Wissenschaft infragegestellt werden können.

 

Und schon das genügt vollkommen, um die Frage klären zu können, ob Maschinen, die auf dem Prinzip des Computers basieren, denken können. Das fällt unter die Rubrik "Philosophie" - aber im Grunde sind das einfach Überlegungen, die auf dem basieren, was Du und ich bereits wissen (vorausgesetzt, wir haben beispielsweise auch nur den Wikipedia-Eintrag über die Turing-Maschine gelesen).

 

Zitat

Nein, es ist einfach nur eine Feststellung. Ohne Anspruch auf ewige Gültigkeit, einfach nur aus unseren bisherigen Erfahrungen. Ich mache keine absoluten Aussagen, auch wenn du mir das immer wieder unterstellen willst. 

 

Du beanspruchst damit aber doch zumindest entweder, dass wir mit unserem heutigen Wissen wirklich keine Aussagen mit Anspruch auf ewige Gültigkeit machen können. Dann wäre das aber offenbar eine "absolute" und "ewige" Aussage in dem Sinne, dass sie die Dinge so beschreibt, wie sie sich in Wahrheit verhalten:

 

"Es ist tatsächlich so, dass wir mit unserem heutigen Wissen keine Aussagen mit Anspruch auf ewige Gültigkeit machen können."

 

Oder Du vertrittst einen subjektiven Skeptizismus ("vielleicht kann man einen solchen Anspruch auch heute sinnvollerweise erheben, ich weiß es aber nicht").

 

Und welche der folgenden Aussagen hältst Du denn nicht für eindeutig wahr (falls Du denn eine davon nicht für eindeutig wahr hältst)?

 

1) Der Mensch in seinem uns bekannten Zustand erkennt auch mithilfe seiner Beobachtungsgabe die physische Natur nicht "im Innersten" und nicht vollständig, sondern nur aspekthaft.

2) Der Mensch besitzt also kein vollständiges Bild der physischen Natur.

2) Wenn der Mensch dennoch Modelle über die physische Natur entwirft, muss er daher immer auch Vermutungen anstellen.
3) Von einer Vermutung weiß man jedoch nicht sicher, ob sie wahr ist.
4) Also weiß der Mensch auch nicht sicher, ob seine Modelle, zu denen eben auch Vermutungen gehören, (vollständig) wahr sind.

 

Zitat

"Ganz allgemein und fundamental" ist wieder so ein Absolutismus, und damit sicher falsch. Genau das ist es, was Foerster meinte, und was ich Fantasievorstellungen nenne.

 

Nur sind eben Aussagen wie die, dass wir die Wirklichkeit bzw. Wahrheit generell nicht erkennen können, offenbar "allgemein" und "fundamental", denn es geht ja nicht um bestimmte Aspekte der Wirklichkeit, sondern  um die Wirklichkeit als ganze, und um das prinzipielle (negative) Verhältnis von Erkenntnis und Wirklichkeit.

 

Wobei ich aber zugebe, dass ich mir bei Deiner eigenen Position noch nicht gewiss bin. Manchmal klingt es für mich, als wärst Du Dir (auch aufgrund methodischer Überlegungen) durchaus sicher, dass der Mensch grundsätzlich kaum etwas ("positiv") Wahres erkennen könne. Die Naturwissenschaften beispielsweise wären demnach eben prinzipiell limitiert - gestern, heute und auch morgen. Wir könnten uns demnach also generell und auch künftig nicht sicher sein, ob naturwissenschaftliche Modelle völlig wahr sind.

 

Auf der anderen Seite scheint es mir manchmal so, als wolltest Du nur sagen, dass es eben eine rein empirische und rein kontingente Tatsache sei, dass wir heutzutage (so gut wie) keine Erkenntnis der Wahrheit besitzen würden. Und dass es also durchaus sein könne (ob nun wahrscheinlich oder nicht), dass sich die Situation grundlegend ändert und wir vielleicht morgen umfassende wahre Erkenntnisse besitzen. Es könnte demnach also beispielsweise sein, dass die Naturwissenschaft von morgen umfangreiche Modelle aufstellt, von denen wir dann mit absoluter Sicherheit wissen werden, dass sie umfassend und vollständig wahr sind.

 

(Ich meine das nicht als Kritik, sondern beschreibe hier nur meinen eigenen Eindruck bzw. meine eigene Unsicherheit im Hinblick auf Deine genaue Position.)

 

Zitat

Und ja, immer wenn ich so etwas sage, haben Philosophen Schaum vor dem Mund. 

 

 

Merkwürdig. ;)

 

Zitat

Könnten wir nichts über diese Wirklichkeit herausfinden (und damit meine ich ausdrücklich nicht "fundamentales"), dann brauchten wir uns hier nicht zu unterhalten. 

 

Ich gebe zu, dass mich das ein wenig verwirrt. Denn wenn der Mensch (jedenfalls nach heutigem Stand der Dinge) nichts "Wahres" herausfinden kann, abgesehen von Trivialitäten, und wenn die Überzeugungen von heute die Irrtümer von morgen sind: Heißt das dann nicht eben, dass der Mensch "die Wirklichkeit nicht oder kaum erkennen könne"?

 

Zitat

Was das Zitat über sogenannte "schlechte Metaphysik" betrifft, ist das sicherlich ein gutes Beispiel für "schlechte Metaphysik", eine Aneinanderreihung von absoluten Aussagen über Sachverhalte, die vor allem für den Autor von emotionaler Bedeutung sind (oder der Forderung danach), sowie Zusammenhänge, die schon ein kleines Kind begreift. Der Trick ist der gleiche wie der von Theologen, die behaupten, jeder haben eine Religion, eine gute oder eine schlechte, wobei "schlecht" im Zweifel eine meint, die man sich nur nicht eingestehe. 

 

Dazu nur die knappe Anmerkung, dass der Autor durchaus näher darlegt, welche Kriterien er aus welchen Gründen dafür veranschlagt, etwas als "Metaphysik" zu bezeichnen, und durchaus näher im Detail begründet, wieso eine argumentativ begründete allgemeine Kritik der Metaphysik diese Kriterien selbst erfüllt. Allerdings umfasst das etliche Seiten.

 

Zitat

Falsch! Ich kritisiere Metaphysik nicht, sie diskreditiert sich selbst. Ich halte Metaphysik für untauglich zur theoretisch-empirischen Orientierung in dieser Welt. Es ist einfach ein veralteter Glaube, nur eben nicht beruhend auf "Offenbarungen", sondern auf Denken und vor allem Fantasie. 


Davon abgesehen, dass es "die" eine Metaphysik nicht gibt, stellt sich eben hier genau die Frage, ob derartige Behauptungen begründbar sind, ohne dass man selbst Aussagen über Denken und Wirklichkeit machen muss, deren Rechtfertigung man aus gutem Grund eben selbst als "metaphysisch" bezeichnen kann.

bearbeitet von iskander
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vor 23 Stunden schrieb iskander:

Da missinterpretierst Du meine Worte. ;)

Ich behaupte nicht, dass man zuerst Philosophie betreiben müsste, um Naturwissenschaft betreiben zu können.

 

Ich behaupte, dass man ein (zumindest implizites) Verständnis bestimmter grundlegender Kategorien und ihrer Verhältnisse braucht, um überhaupt Naturwissenschaft betreiben zu können. Zu den entsprechenden "Kategorien" gehören beispielsweise Beobachtung, Wirklichkeit, Modell, Bestätigung, Widerlegung, (Un)vollständigkeit usw.

 

Wer beispielsweise nicht versteht (nicht einmal intuitiv), dass seine Beobachtung etwas anderes ist als die (ganze) Wirklichkeit, oder dass sein Modell der Wirklichkeit etwas anderes ist als die Wirklichkeit selbst, oder dass sein eigenes Modell durch neue Beobachtungen widerlegt werden kann: Der wird schwerlich erfolgreich Wissenschaft betreiben (können). Denn er wüsste ja nicht, was er da überhaupt tut und warum er es tut. Warum sollte jemand beispielsweise sein Modell mithilfe der Beobachtung an der Wirklichkeit messen, wenn er überhaupt keinen Begriff davon hat, in welchem Verhältnis Wirklichkeit, Modell und Beobachtung zueinander stehen?


Die Philosophie reflektiert solche grundlegenden Begriffe bzw. Kategorien, aber das heißt nicht, dass heißt wie gesagt nicht, dass die Philosophie der Naturwissenschaft zeitlich vorausgehen müsste!

 

Ich fasse mal den wichtigsten Punkt zusammen: Wir sind uns also einig, daß die Philosophie den Naturwissenschaften nicht "vorausgeht". Damit sind die Kategorien der Naturwissenschaften schlicht mit ihnen zusammen entstanden, gewissermaßen von Naturwissenschaftlern für Naturwissenschaftler, und entwickeln sich mit der Entwicklung der theoretisch-empirischen Wissenschaften weiter (oder sie sind entbehrlich). Das kann auch gar nicht anders sein, denn nur die, die diese Wissenschaften betreiben, besitzen überhaupt das Fachwissen dazu. Damit ist die "Voraussetzungsmetaphysik" Geschichte!

 

Mit dem Rest der Metaphysik verhält es sich wie mit der Religion. Man kann sie betreiben, aber es gibt keine außerphilosophischen Gründe dafür, sowie es für Religion keine außerreligiösen gibt. Entweder man findet für die Zusammenhänge in der Welt, von der wir ein Teil sind, eine theoretisch-empirische Erklärung, oder es gibt (bisher) keine. Der Erklärungsaspekt von beiden, von Philosophie wie von Religion, ist einfach Vergangenheit.

 

Wenn man das erst einmal weiß, daß kann man sich daran machen, die Rolle von Religion und Philosophie in der Entwicklung menschlichen Wissens zu erforschen. Das ist der Gegenstand der Wissenstheorie (oder -soziologie, denn es ist untrennbar mit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften verbunden). Dabei geht es nicht darum, zu sagen, wie das Wissen sein sollte (das wäre Philosophie), sondern wie es sich wirklich, empirisch belegbar, entwickelt hat.

 

Das Ergebnis wäre (denn bisher ist es nicht über Entwürfe hinausgegangen) ein Modell, wie sich das menschliche Wissen aus dem vorwissenschaftlichen zum wissenschaftlichen Wissen entwickelt hat, welche Schwierigkeiten dabei zu überwinden waren und noch sind. Wir alle haben ja gerade in den letzten Jahren erlebt, daß Wissenschaften kein paradiesischer Endzustand sind, sondern wie alles menschliche Wissen "Work in Progress" (oder sollte ich besser sagen "Error in Progress"?). 

 

Fortschritt ist unser Wissen aber nur dann, wenn unsere Vorstellungen von seiner Entwicklung auf überprüfbaren Tatsachenbeobachtungen beruhen und es zumindest sichere Irrtümer hinter sich läßt. Daß Religion bei der Erklärung der Entwicklung dieser Welt keine Hilfe ist, hat sich ja mittlerweile herumgesprochen. Daß es aber für das Betreiben von Philosophie außerhalb der Philosophie ebenfalls keine Gründe gibt, daß auch sie zu unserem Verständnis dieser Welt nichts Nachprüfbares beizutragen hat, fällt Philosophen immer noch schwer. 

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Kleiner Nachtrag noch: Ich hoffe es ist klar geworden, daß es sich bei dem eben gesagten nur um den objektiven Erklärungsaspekt von Religion und Philosophie handelt. Daß es subjektive Gründe gibt, sich mit Religion zu beschäftigen, kann man hier immer wieder beobachten. Ähnliches mag für Philosophie gelten. Ist mir allerdings noch nicht begegnet.

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vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Ich fasse mal den wichtigsten Punkt zusammen: Wir sind uns also einig, daß die Philosophie den Naturwissenschaften nicht "vorausgeht". Damit sind die Kategorien der Naturwissenschaften schlicht mit ihnen zusammen entstanden, gewissermaßen von Naturwissenschaftlern für Naturwissenschaftler, und entwickeln sich mit der Entwicklung der theoretisch-empirischen Wissenschaften weiter (oder sie sind entbehrlich). Das kann auch gar nicht anders sein, denn nur die, die diese Wissenschaften betreiben, besitzen überhaupt das Fachwissen dazu. Damit ist die "Voraussetzungsmetaphysik" Geschichte!

 

Das mit dem zeitlichen Vorausgehen wird wahrscheinlich so stimmen. Das ist eine historische Frage und die Antwort wird dadurch, dass es früher keine Trennung zwischen Philosophie und (Natur)wissenschaft gab wie heute, womöglich erschwert. Es verhält sich allerdings sicher so, dass man Naturwissenschaften betreiben kann, ohne vorher Philosophie betrieben haben zu müssen.

 

Natürlich entwickeln Naturwissenschaften ihre Methoden - eine grundlegende Reflexion ihrer eigenen Kategorien nehmen sie aber nicht vor. Und die gehört ja auch nicht in ihren Gegenstandsbereich, denn dieser besteht eben aus der physische Natur bzw. Teilaspekte derselben. Ein Physiker arbeitet beispielsweise mit Hypothesen - aber was Hypothesen sind, und in welchem Verhältnis sie beispielsweise zu Theorien, zur Empirie usw. stehen, gehört eben nicht zu seinen Fragen. Und solche Fragen lassen sich auch nicht direkt mithilfe physikalischer Experimente untersuchen: Man kann ein Metall mit Röntgenstrahlen beschießen, aber nicht eine "Hypothese" oder eine "empirische Prüfbarkeit".

 

Dass man zwischen Naturwissenschaft und Wissenschaftstheorie unterscheidet, hat also durchaus sachliche Gründe. Er gib natürlich Naturwissenschaftler (wie z.B Thomas Kuhn), die sich mit wissenschaftstheoretischen Fragen beschäftigen - aber das tun sie dann eben nicht als Naturwissenschaftler. Und wenn sie es professionell tun, ist ihnen das auch bewusst.

 

Geht es um die Beschäftigung mit grundlegenden Kategorien der empirischen Wissenschaft (Beobachtung, Modell, empirischer Prüfung, Wirklichkeit usw. und ihr Verhältnis), braucht man sicher nicht viel über Details der entsprechenden Wissenschaft zu kennen; denn solche Kategorien sind eben in hohem Maße allgemein und hängen nicht von den Details des jeweiligen Fachs ab.

Geht es dagegen um genauere Fragen (etwa wie eben eine bestimmte Wissenschaft spezifisch funktioniert), dann ist ein detaillierteres Wissen natürlich erforderlich.

 

Wissenschaftler sind in diesem Sinne auch "empirisch gesehen" nicht zwingend Experten für die Methodik oder "Wissenschaftstheorie" ihres eigenen Faches. Das sieht man beispielsweise daran, dass Popper unter Naturwissenschaftlern sehr hochgehalten wird, obwohl die Naturwissenschaften in der Praxis großteils anders funktionieren, als es dem Popperschen Ideal entspricht. In der Philosophie hingegen dürfte Poppers "reine Lehre" deutlich weniger Anhänger haben, und die Vorstellungen darüber, wie Naturwissenschaften methodisch tatsächlich funktionieren, dürften hier - paradoxerweise - realistischer sein. (Was natürlich nicht heißt, dass Wissenschaftsphilosophen in der Praxis besser darin wären, Naturwissenschaften zu betreiben! Es geht darum, dass das, was man tut, und das, was man glaubt zu tun, nicht immer das gleiche ist.)

 

Ist Wissenschaftstheorie (oder allgemein Philosophie) von Interesse? Das kann man im Hinblick auf viele Disziplinen fragen, die keinen pragmatischen Nutzen haben; beispielsweise auch für große Teile der Astronomie.

 

Dich jedenfalls scheinen entsprechende Fragen zu interessieren - immerhin beschäftigst Du Dich mit ihnen ja. Wobei Du vielleicht (oder auch nicht?) behaupten würdest, dass das alles sozialwissenschaftliche Fragen seien, die Du stellst, und sozialwissenschaftliche Antworten, die Du gibst. Dennoch wirst Du kaum abstreiten wollen, dass viele Deiner Thesen keinen unmittelbaren Bezug zu sozialen Phänomenen  bzw. den sozialen Bedingungen und Begleiterscheinungen von Wissen haben. ;)

 

Zitat

Wenn man das erst einmal weiß, daß kann man sich daran machen, die Rolle von Religion und Philosophie in der Entwicklung menschlichen Wissens zu erforschen. Das ist der Gegenstand der Wissenstheorie (oder -soziologie, denn es ist untrennbar mit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften verbunden). Dabei geht es nicht darum, zu sagen, wie das Wissen sein sollte (das wäre Philosophie), sondern wie es sich wirklich, empirisch belegbar, entwickelt hat.

 

Richtig, richtig.

 

Damit die Diskussion nicht zu sehr ausfranst, will ich auch den aus meiner Sicht zentralen Punkt adressieren: Deine These, dass man über die Wirklichkeit nur mithilfe von empirischen Wissenschaften etwas lernen könnten und alles andere sinnlos sei und keinen Erkenntnisgewinn erbrächte.

 

Zuerst möchte ich, um auf einen anderen Beitrag von Dir aus einem anderen Thread einzugehen, noch  kurz anmerken, dass es sich zum größten Teil eben nicht so verhält, dass Philosophie oder Metaphysik historisch von den Naturwissenschaften "abgelöst" worden seien. Vielmehr sind sie zusammen entstanden und teilweise sogar von den gleichen Leuten betrieben worden. Das sieht man beispielsweise bei Aristoteles, der nicht nur Philosoph war, sondern empirische biologische Forschungen durchgeführt hat (denen Darwin größten Respekt gezollt hat). Kant, ebenfalls vor allem als Philosoph bekannt, gilt als sehr begabter Naturwissenschaftler und entwickelte eine bis heute anerkannte Kant-Laplace-Theorie zur Entwicklung des Universums und unseres Planetensystems.

 

Vor allem aber gäbe es aber auch keinen Grund für eine "Verdrängung" der Philosophie durch die Naturwissenschaft, denn die Fragestellungen sind einfach andere. Nimm den gerade erwähnten Kant. Seiner theoretischen Philosophie stehe ich eher kritisch gegenüber, aber abgesehen von einigen speziellen Bereichen ist sie mit der Naturwissenschaft von heute nicht besser oder schlechter vereinbar als mit der von früher. Es kann auch kaum anders sein, weil es eben meistens gar nicht um naturwissenschaftlich entscheidbare Fragen geht.

 

Doch zurück zu Deiner These. Ich selbst halte sie nicht für richtig und habe das ja auch an einigen Beispielen zu verdeutlichen gesucht. Aber vor allem würde mich interessieren, wie Du sie begründest.

 

Die Tatsache, dass die Naturwissenschaften mit empirischen Prüfungen abrieten und sinnvollerweise so auch verfahren müssen, um die ihnen eigenen Fragen beantworten zu können, ist unzweifelhaft.

Daraus folgt aber noch nichts darüber, ob es nicht auch andere Fragestellungen geben kann - Fragestellungen, die nicht zur empirischen Wissenschaft gehören, sich nicht im engeren Sinne empirisch überprüfen lassen, und zu denen man dennoch etwas Sinnvolles sagen kann.

 

Und auch aus der Geschichte lassen sich nun keine Antworten auf Fragen der Geltung ableiten, selbst wenn die historische Entwicklung so abgelaufen wäre, wie

 

Es wäre also an Dir mit inhaltlichen Argumenten zu zeigen, dass dies nicht möglich ist. (Denn auch eine "negierende" Behauptung wie "Material X ist nicht brennbar" bedarf einer Rechtfertigung.)

Und damit es nicht zum Selbstwiderspruch kommt, würde es auch nicht genügen, einfach an Einsicht und Vernunft zu appellieren - denn daraus lässt sich laut Deiner These ja gerade nicht gewinnen. Vielmehr müsste Dein Beweis (bzw. Deine Widerlegung der gegenteiligen Behauptung) selbst auf einer empirischen Prüfung fußen. Aber wie soll das gehen?

 

Und nebenbei: Haben wir nicht beide in dieser Diskussion einiges über das Status von Wissen, Wissenschaft und Philosophie behauptet, was sich weder im sozialwissenschaftlichen noch im naturwissenschaftlichen Sinne empirisch einfach direkt prüfen lässt? Und halten wir unsere jeweiligen Aussagen nicht dennoch für begründet und sinnvoll? ;)

bearbeitet von iskander
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vor 2 Stunden schrieb iskander:

 

Das mit dem zeitlichen Vorausgehen wird wahrscheinlich so stimmen. Das ist eine historische Frage und die Antwort wird dadurch, dass es früher keine Trennung zwischen Philosophie und (Natur)wissenschaft gab wie heute, womöglich erschwert. Es verhält sich allerdings sicher so, dass man Naturwissenschaften betreiben kann, ohne vorher Philosophie betrieben haben zu müssen.

 

Richtig!

 

vor 2 Stunden schrieb iskander:

Natürlich entwickeln Naturwissenschaften ihre Methoden - eine grundlegende Reflexion ihrer eigenen Kategorien nehmen sie aber nicht vor. Und die gehört ja auch nicht in ihren Gegenstandsbereich, denn dieser besteht eben aus der physische Natur bzw. Teilaspekte derselben. Ein Physiker arbeitet beispielsweise mit Hypothesen - aber was Hypothesen sind, und in welchem Verhältnis sie beispielsweise zu Theorien, zur Empirie usw. stehen, gehört eben nicht zu seinen Fragen. Und solche Fragen lassen sich auch nicht direkt mithilfe physikalischer Experimente untersuchen: Man kann ein Metall mit Röntgenstrahlen beschießen, aber nicht eine "Hypothese" oder eine "empirische Prüfbarkeit".

 

Woher weißt du das? Natürlich tun sie das, wenn sie diskutieren, wie die Ergebnisse eines Kollegen zustandekommen und zu bewerten sind. Das ist nämlich Teil der Wissenschaften! Und natürlich kennt ein Physiker den Unterschied zwischen einer Theorie und einer Hypothese! Entschuldige, aber das kannst du nicht ernst meinen!

 

vor 2 Stunden schrieb iskander:

Dass man zwischen Naturwissenschaft und Wissenschaftstheorie unterscheidet, hat also durchaus sachliche Gründe. Er gib natürlich Naturwissenschaftler (wie z.B Thomas Kuhn), die sich mit wissenschaftstheoretischen Fragen beschäftigen - aber das tun sie dann eben nicht als Naturwissenschaftler. Und wenn sie es professionell tun, ist ihnen das auch bewusst.

 

Ich habe die zwei Bücher von Thomas S. Kuhn hier im Schrank stehen: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen und Die Entstehung des Neuen, in denen er versucht, eine Wissenschaftstheorie aufzustellen, die erklärt, wie Paradigmenwechsel in den Wissenschaften zustande kommen. Hochinteressant zu lesen, und ja, er ist gescheitert.

 

Sein Problem war, daß seine Vorgehensweise dem Gegenstand nicht angemessen war. Nein, er hat diese Bücher nicht als Naturwissenschaftler geschrieben, sondern hast Historiker und Philosoph. Die Geschichtswissenschaft liefert aber keine Erklärungen, sondern beschreibt günstigenfalls Abläufe. Hier ging es aber nicht um die inneren Arbeitsabläufe von Wissenschaften, und auch nicht darum, wie Wissenschaften nach Ansicht eines Philosophen funktionieren sollten, sondern darum wie sie empirisch überprüfbar funktionieren.

 

vor 2 Stunden schrieb iskander:

Geht es um die Beschäftigung mit grundlegenden Kategorien der empirischen Wissenschaft (Beobachtung, Modell, empirischer Prüfung, Wirklichkeit usw. und ihr Verhältnis), braucht man sicher nicht viel über Details der entsprechenden Wissenschaft zu kennen; denn solche Kategorien sind eben in hohem Maße allgemein und hängen nicht von den Details des jeweiligen Fachs ab.

Geht es dagegen um genauere Fragen (etwa wie eben eine bestimmte Wissenschaft spezifisch funktioniert), dann ist ein detaillierteres Wissen natürlich erforderlich.

 

Merkst du den Widerspruch? Wenn man für die Wissenschaftstheorie einer bestimmten Wissenschaft eine genaue Kenntnis dieses Faches braucht, braucht man das auch und gerade, wenn man eine allgemeine Wissenschaftstheorie aufstellen will. Man muß also nicht weniger über die einzelnen Wissenschaften wissen, sondern mehr. Ansonsten unterstellt man, was man doch (vielleicht) erst zeigen möchte: was diese Wissenschaften gemeinsam haben oder auch nicht. 

 

vor 2 Stunden schrieb iskander:

Wissenschaftler sind in diesem Sinne auch "empirisch gesehen" nicht zwingend Experten für die Methodik oder "Wissenschaftstheorie" ihres eigenen Faches. Das sieht man beispielsweise daran, dass Popper unter Naturwissenschaftlern sehr hochgehalten wird, obwohl die Naturwissenschaften in der Praxis großteils anders funktionieren, als es dem Popperschen Ideal entspricht. In der Philosophie hingegen dürfte Poppers "reine Lehre" deutlich weniger Anhänger haben, und die Vorstellungen darüber, wie Naturwissenschaften methodisch tatsächlich funktionieren, dürften hier - paradoxerweise - realistischer sein. (Was natürlich nicht heißt, dass Wissenschaftsphilosophen in der Praxis besser darin wären, Naturwissenschaften zu betreiben! Es geht darum, dass das, was man tut, und das, was man glaubt zu tun, nicht immer das gleiche ist.)

 

Da geht einiges durcheinander! Die Methodik einer Wissenschaft ist etwas anderes als eine Wissenschaftstheorie. Die Methodik beschreibt, wie ein Wissenschaftler arbeiten sollte, um unter seinen Fachkollegen anerkannt zu werden. Wissenschaftstheorie soll theoretisch zu Modellen verarbeiten, wie sich einzelne oder alle Wissenschaften empirisch überprüfbar entwickelt haben. Das ist ganz und gar nicht das Gleiche!

 

vor 2 Stunden schrieb iskander:

Ist Wissenschaftstheorie (oder allgemein Philosophie) von Interesse? Das kann man im Hinblick auf viele Disziplinen fragen, die keinen pragmatischen Nutzen haben; beispielsweise auch für große Teile der Astronomie.

 

Dich jedenfalls scheinen entsprechende Fragen zu interessieren - immerhin beschäftigst Du Dich mit ihnen ja. Wobei Du vielleicht (oder auch nicht?) behaupten würdest, dass das alles sozialwissenschaftliche Fragen seien, die Du stellst, und sozialwissenschaftliche Antworten, die Du gibst. Dennoch wirst Du kaum abstreiten wollen, dass viele Deiner Thesen keinen unmittelbaren Bezug zu sozialen Phänomenen  bzw. den sozialen Bedingungen und Begleiterscheinungen von Wissen haben. ;)

 

Ja, genau das behaupte ich! Wissenschaftstheoretische Fragen sind Fragen nach dem Funktionieren eines Teils von Gesellschaften in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhang. Und wer auch nur ein bißchen genau liest, was ich so schreibe, wird immer wieder Bezüge zu den jeweiligen gesellschaftlichen Prozessen finden. Wie anders ist sonst zu erklären, das zB zwei so unterschiedliche Männer wie Charles Darwin und Alfred Russel Wallace zur gleichen Zeit die Evolutionstheorie entwickeln? Zufall oder ein gesellschaftlicher Zusammenhang. Nur ein kleiner Hinweis: beide machten ihre entscheidenden Beobachtungen auf Seereisen, die ohne die sich damals entwickelnden Handelsfahrten gar nicht möglich gewesen wären. 

 

vor 2 Stunden schrieb iskander:

Zuerst möchte ich, um auf einen anderen Beitrag von Dir aus einem anderen Thread einzugehen, noch  kurz anmerken, dass es sich zum größten Teil eben nicht so verhält, dass Philosophie oder Metaphysik historisch von den Naturwissenschaften "abgelöst" worden seien. Vielmehr sind sie zusammen entstanden und teilweise sogar von den gleichen Leuten betrieben worden. Das sieht man beispielsweise bei Aristoteles, der nicht nur Philosoph war, sondern empirische biologische Forschungen durchgeführt hat (denen Darwin größten Respekt gezollt hat). Kant, ebenfalls vor allem als Philosoph bekannt, gilt als sehr begabter Naturwissenschaftler und entwickelte eine bis heute anerkannte Kant-Laplace-Theorie zur Entwicklung des Universums und unseres Planetensystems.

 

Das ist ebenso wenig ein Argument wie die Tatsache, daß Isaac Newton nicht nur Physiker sondern auch Alchimist war.

 

vor 2 Stunden schrieb iskander:

Doch zurück zu Deiner These. Ich selbst halte sie nicht für richtig und habe das ja auch an einigen Beispielen zu verdeutlichen gesucht. Aber vor allem würde mich interessieren, wie Du sie begründest.

 

Die Tatsache, dass die Naturwissenschaften mit empirischen Prüfungen abrieten und sinnvollerweise so auch verfahren müssen, um die ihnen eigenen Fragen beantworten zu können, ist unzweifelhaft.

Daraus folgt aber noch nichts darüber, ob es nicht auch andere Fragestellungen geben kann - Fragestellungen, die nicht zur empirischen Wissenschaft gehören, sich nicht im engeren Sinne empirisch überprüfen lassen, und zu denen man dennoch etwas Sinnvolles sagen kann.

 

Welche Fragen sollten das sein? Meinungen, Interessen, Überzeugungen? Oh, alles das gibt es, und die theoretisch-empirische Wissenschaften dazu sind Psychologie und Soziologie. Und ja, so wie beide im Moment verfaßt sind, sind sie nicht dazu geeignet, auf solche Fragen belastbare Antworten zu geben. Das Problem ist nur, daß die Philosophie überhaupt keine belastbaren positiven Antworten liefern kann, weil sie keine anderen Grundlagen kennt, als die subjektiven Gedanken der Philosophen. Ja, ich weiß, es gibt Schulen in der Philosophie, die behaupten, sie könnten aus grundlegenden Axiomen durch logische Operationen "wahre" Aussagen über diese Welt machen, ähnlich wie es die Mathematik im Reich der Zahlen und Formeln tut. Das Dumme ist nur, daß es solche Axiome in der wirklichen Welt nicht gibt, es sei denn, in der Fantasie der Philosophen. Ähnliche Diskussionen gibt es in der Ethik, von der manche Philosophen glauben sie auf unbezweifelbare Axiome zurückführen zu können. Peter Singer ist so ein Fall. Aber auch hier sind solche Axiome eben Fantasien, die der Wirklichkeit nicht gerecht werden. Du kannst es drehen und wenden, die theoretisch-empirischen Wissenschaften mögen Probleme haben, nachprüfbare Modelle von Zusammenhängen zu entwickeln, die sich durch Tatsachenbeobachtungen belegen lassen. Die Philosophen aber haben überhaupt keine Grundlage für ihre geäußerten Meinungen als eben diese Meinungen selbst. Weshalb auch keine bisher von langer Dauer war.

 

vor 2 Stunden schrieb iskander:

Und auch aus der Geschichte lassen sich nun keine Antworten auf Fragen der Geltung ableiten, selbst wenn die historische Entwicklung so abgelaufen wäre, wie

 

Was ist "Geltung" anderes als Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse?

 

vor 2 Stunden schrieb iskander:

Und nebenbei: Haben wir nicht beide in dieser Diskussion einiges über das Status von Wissen, Wissenschaft und Philosophie behauptet, was sich weder im sozialwissenschaftlichen noch im naturwissenschaftlichen Sinne empirisch einfach direkt prüfen lässt? Und halten wir unsere jeweiligen Aussagen nicht dennoch für begründet und sinnvoll? ;)

 

Du verwechselst subjektive Überzeugung und objektive Erklärungen. Ja, ich behaupte, daß man all das, was nicht direkt meine Privatmeinung ist, empirisch überprüfen können sollte. Nur fehlt hier meistens Zeit und Raum. Zumindest meine Texte sind oft auch so schon ziemlich lang. ;)

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Am 29.11.2023 um 21:37 schrieb Marcellinus:

Woher weißt du das? Natürlich tun sie das, wenn sie diskutieren, wie die Ergebnisse eines Kollegen zustandekommen und zu bewerten sind. Das ist nämlich Teil der Wissenschaften! Und natürlich kennt ein Physiker den Unterschied zwischen einer Theorie und einer Hypothese! Entschuldige, aber das kannst du nicht ernst meinen!

 

Nun hatte ich ja geschrieben: "Natürlich entwickeln Naturwissenschaften ihre Methoden - eine grundlegende Reflexion ihrer eigenen Kategorien nehmen sie aber nicht vor."

 

Damit verneine ich weder, dass Naturwissenschaftler methodische Überlegungen anstellen, noch dass ihnen unbekannt wäre, was Theorien oder Hypothesen sind.

 

Man könnte Deiner Argumentation womöglich folgendes entgegnen: Naturwissenschaftler verwenden in aller Regel Mathematik, und sei es nur für statistische Zwecke, und sie diskutieren auch darüber diskutieren, welche statistische Methode für ein bestimmtes Projekt angemessen seien - und doch ist die Mathematik eben doch kein Teil der Naturwissenschaften. Naturwissenschaftler gebrauchen auch die Sprache und definieren beispielsweise etwas - und doch sind sie keine Linguisten oder Logiker (jedenfalls nicht ipso facto) und machen sich gewöhnlich auch keine "grundlegenden" Gedanken über Sprache und Logik.

Klar ist außerdem, dass "methodische Vorgehensweisen" nicht zum eigentlichen Objektbereich der Naturwissenschaften gehören, denn das sind eben keine "natürlichen Vorkommnisse".

 

Andererseits sind methodische Überlegungen und Vorgehensweise grundsätzlich natürlich unverzichtbar für (Natur)wissenschaft und integraler Bestandteil der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit, mehr vielleicht noch als ein "Hilfsmittel" (wie etwa die Sprache es ist).

Zudem kann natürlich niemand besser über das eigene methodische Vorgehen sprechen als die entsprechenden Wissenschaftler selbst. Methodenlehre ist außerdem ja Teil des Lehrstoffs naturwissenschaftlicher Disziplinen. "Methodenlehre" gehört insofern schon zur jeweiligen Wissenschaft, auch wenn sie - wie die Wissenschaftsgeschichte des eigenen Fachs, an der Grenze liegt. 

 

Dessen ungeachtet gibt es Fragestellungen, die Naturwissenschaftler normalerweise nicht erörtern und Prämissen, die sie gewöhnlich nicht thematisieren - und vielleicht auch nicht thematisieren "müssen", um auf ihrem Gebiet weiterzukommen. Beispielsweise wird man in einer bestimmten Naturwissenschaft darüber sprechen, wie die Modellbildung im eigenen Fachgebiet sinnvollerweise aussehen kann, und wie ein Modell mithilfe empirischer Methoden hier überprüft werden kann - aber weniger darüber, was ein Modell bzw. was empirische Prüfung überhaupt ist und wie genau deren Verhältnis "ganz allgemein" aussieht. Je weniger es um konkrete methodische Fragen geht und je mehr man auf eine "abstrakte" Ebene gelangt, desto eher geht das auch weg von der Einzelwissenschaft.

(Aber das ist natürlich etwas unterkomplex und schematisch.)

 

Zitat

Hochinteressant zu lesen, und ja, er ist gescheitert.

 

Ich würde sicher nicht alles unterschreiben, was Kuhn sagt - trotzdem verbinden sich m.E. mit seinem Namen wichtige Einsichten, auch gegen Popper, die in einer umfassenderen Wissenschaftstheorie nicht fehlen sollten.

 

Am 29.11.2023 um 21:37 schrieb Marcellinus:

Merkst du den Widerspruch? Wenn man für die Wissenschaftstheorie einer bestimmten Wissenschaft eine genaue Kenntnis dieses Faches braucht, braucht man das auch und gerade, wenn man eine allgemeine Wissenschaftstheorie aufstellen will. Man muß also nicht weniger über die einzelnen Wissenschaften wissen, sondern mehr. Ansonsten unterstellt man, was man doch (vielleicht) erst zeigen möchte: was diese Wissenschaften gemeinsam haben oder auch nicht. 

 

Das kommt jetzt wohl wirklich darauf an. Alle empirischen Naturwissenschaften haben grundlegende Gemeinsamkeiten ihres Vorgehens, die sich teilweise einfach schon aus dem ergeben, was der Mensch überhaupt kann und was er nicht kann - bzw. aus dem, was überhaupt "ganz grundsätzlich" sein Verhältnis zur Welt ist.

 

Um aber über "Fundamentales" hinausgehend Interessantes zu sagen, ist natürlich eine Beschäftigung mit Details wichtig. Inwiefern dabei eine wirklich profunde Kenntnis möglichst aller wissenschaftlichen Disziplinen bedeutsam ist, ist vermutlich in dieser Allgemeinheit schwer zu sagen. Zumindest ist es aber sicher wichtig, etwas über die generelle Arbeitsweise verschiedener Naturwissenschaften zu wissen. (Man sagt wohl, dass Poppers Ansatz auch deswegen einseitig sei, weil er zu sehr allein von der Physik hergekommen sei. Zudem gibt es ja noch die Philosophie einzelner naturwissenschaftlicher Gebiete, also beispielsweise die Philosophie der Physik - und da sollte man natürlich dann auch über die jeweilige Fachwissenschaft ziemlich gut informiert sein.)

 

Gute Wissenschaftstheorie ist sicher zu einem Großteil "deskriptiv" (wenn ich es so nennen darf): Sie orientiert sich an dem, wie die Wissenschaft faktisch arbeitet. Trotzdem gibt es natürlich auch relevante Fragen, die über das "Deskriptive" hinausgehen und dann eben doch wieder philosophisch im engeren Sinne sind.

 

Gibt es beispielsweise - um bei Thomas Kuhn zu bleiben - rationale Gründe (und wenn ja, welche) dafür, dass es zu einem Paradigmenwechsel kommt?

Kann die Wissenschaft wahre Zusammenhänge herausfinden (oder ist sie rein instrumentalistisch zu verstehen)?

Kann sie uns gegebenenfalls wenigstens dabei helfen, uns der Wahrheit zumindest in einem bestimmten Sinne "anzunähern" (und ggf. in welchem Sinne)?

Gibt es gute Gründe für die Anwendung des Induktionsprinzips?

Was macht eine gute wissenschaftliche Erklärung aus? Wie funktionieren wissenschaftliche Erklärungen überhaupt? Stellt beispielsweise das deduktiv-nomologisches Modell eine adäquate Beschreibung für wissenschaftliche Erklärungen das? Etc.

 

Natürlich wird man bei der Beantwortung solcher Fragen auch darauf schauen, wie Wissenschaft faktisch funktioniert. Trotzdem geht es hier eben nicht nur darum, wie sie faktisch funktioniert.  

 

Am 29.11.2023 um 21:37 schrieb Marcellinus:

Da geht einiges durcheinander! Die Methodik einer Wissenschaft ist etwas anderes als eine Wissenschaftstheorie. Die Methodik beschreibt, wie ein Wissenschaftler arbeiten sollte, um unter seinen Fachkollegen anerkannt zu werden. Wissenschaftstheorie soll theoretisch zu Modellen verarbeiten, wie sich einzelne oder alle Wissenschaften empirisch überprüfbar entwickelt haben. Das ist ganz und gar nicht das Gleiche!

 

Die Poppersche Ansicht beispielsweise, dass im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Vorgehens eigentlich immer die Falsifikation zu stehen haben, ist Teil einer umfassenderen Wissenschaftstheorie, aber hieraus ergibt sich zugleich auch eine methodisches Prinzip bzw. eine methodische Norm. Und zwar eben eine, die von sehr vielen Wissenschaftlern verbal hochgehalten wird, in der Praxis aber sicher eine kleinere Rolle spielt, als es laut Popper sein sollte.

(Allgemein unterscheidet man ja zwischen Methodik, Methodologie und Wissenschaftstheorie, aber die Übergange sind nicht trennscharf.)

 

Am 29.11.2023 um 21:37 schrieb Marcellinus:

Ja, genau das behaupte ich! Wissenschaftstheoretische Fragen sind Fragen nach dem Funktionieren eines Teils von Gesellschaften in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhang. Und wer auch nur ein bißchen genau liest, was ich so schreibe, wird immer wieder Bezüge zu den jeweiligen gesellschaftlichen Prozessen finden. Wie anders ist sonst zu erklären, das zB zwei so unterschiedliche Männer wie Charles Darwin und Alfred Russel Wallace zur gleichen Zeit die Evolutionstheorie entwickeln? Zufall oder ein gesellschaftlicher Zusammenhang. Nur ein kleiner Hinweis: beide machten ihre entscheidenden Beobachtungen auf Seereisen, die ohne die sich damals entwickelnden Handelsfahrten gar nicht möglich gewesen wären. 

 

Den von mir gefetteten Teil streite ich auch gar nicht ab. ;)

 

Ganz im Gegenteil habe ich keinen Zweifel daran, dass der Erwerb von Wissen auch soziale Voraussetzungen hat (so wie auch biologische - ohne Gehirn könnten wir sicherlich keine Wissenschaft betreiben). Insofern ist es natürlich legitim und sinnvoll, den sozialen Rahmen von Wissen zu untersuchen.

 

Trotzdem muss man unterscheiden zwischen einem Phänomen selbst und den Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit es auftreten kann. Nimm nun eine Überzeugung/Aussage wie diese: "Der Mensch kann keine positiven, sondern nur negative Sachverhalte beweisen."

 

Kein Term dieses Satzes referiert unmittelbar auf soziale Gegebenheiten, und der Satz als ganzes behauptet (logischerweise) dann auch nichts über soziale Gegebenheiten.

 

Dass der behauptete Sachverhalt - wenn er so existiert - dennoch in irgendeinem Zusammenhang mit sozialen Bedingungen und Prozessen steht, wird sicher der Fall sein. Aber "in irgendeinem Bezug stehen" ist etwas anderes als "etwas sein". 

 

Des Weiteren lässt sich die obige Aussage auch sicher nicht (oder auf jeden Fall nicht allein) mithilfe sozialwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden begründen.

 

Am 29.11.2023 um 21:37 schrieb Marcellinus:

Das ist ebenso wenig ein Argument wie die Tatsache, daß Isaac Newton nicht nur Physiker sondern auch Alchimist war.

 

Es ging ja um die These, dass sich die Dinge historisch so entwickelt haben, dass die Metaphysik durch die Naturwissenschaften gleichsam "verdrängt" worden seien. Gegen diese These sind meine Beispiele schon Argumente, wenn auch keine zwingenden. Mir scheint aber ohnehin die systematische Betrachtung viel wichtiger zu sein: Sind die Fragen der Philosophie die gleichen wie die der Naturwissenschaft? Kann die eine Disziplin die andere überhaupt in relevanter Weise "ersetzen"?

 

Nebenbei scheint Newtons "Alchemie" zumindest in Teilen durchaus etwas mit Naturwissenschat bzw. Chemie zu tun gehabt haben:

 

"Doch Newton erforschte auch systematisch die Eigenschaften von Metallen und suchte Legierungen mit möglichst niedrigem Schmelzpunkt. Ebenso finden sich Abhandlungen über Metalloxide, Säuren und Salze in seinem Nachlass."

 

Und dass man damals glaubte, "gewöhnliche" Metalle in Gold verwandeln zu könne, ist vielleicht aus heutiger wissenschaftlicher Sicht irrationaler als aus der damaligen.

 

Am 29.11.2023 um 21:37 schrieb Marcellinus:

Welche Fragen sollten das sein? Meinungen, Interessen, Überzeugungen? Oh, alles das gibt es, und die theoretisch-empirische Wissenschaften dazu sind Psychologie und Soziologie. Und ja, so wie beide im Moment verfaßt sind, sind sie nicht dazu geeignet, auf solche Fragen belastbare Antworten zu geben. Das Problem ist nur, daß die Philosophie überhaupt keine belastbaren positiven Antworten liefern kann, weil sie keine anderen Grundlagen kennt, als die subjektiven Gedanken der Philosophen. Ja, ich weiß, es gibt Schulen in der Philosophie, die behaupten, sie könnten aus grundlegenden Axiomen durch logische Operationen "wahre" Aussagen über diese Welt machen, ähnlich wie es die Mathematik im Reich der Zahlen und Formeln tut. Das Dumme ist nur, daß es solche Axiome in der wirklichen Welt nicht gibt, es sei denn, in der Fantasie der Philosophen. Ähnliche Diskussionen gibt es in der Ethik, von der manche Philosophen glauben sie auf unbezweifelbare Axiome zurückführen zu können. Peter Singer ist so ein Fall. Aber auch hier sind solche Axiome eben Fantasien, die der Wirklichkeit nicht gerecht werden. Du kannst es drehen und wenden, die theoretisch-empirischen Wissenschaften mögen Probleme haben, nachprüfbare Modelle von Zusammenhängen zu entwickeln, die sich durch Tatsachenbeobachtungen belegen lassen. Die Philosophen aber haben überhaupt keine Grundlage für ihre geäußerten Meinungen als eben diese Meinungen selbst. Weshalb auch keine bisher von langer Dauer war.

 

Wie Du sicher selbst zugeben wirst, bietest Du nun aber für Deine Aussagen selbst keinen empirischen Beweis. Deine Äußerungen könnte man vielmehr als "Appell an die Einsicht/Vernunft" beschreiben - was im Grunde dann aber auch nichts anderes ist als das, was die Philosophen (Deiner Meinung nach) tun.

 

Und eine Aussage der Form "Man kann durch Denken ohne empirisch-experimentelle Prüfung keine Erkenntnis gewinnen" ist eben in der Tat empirisch nicht prüfbar, schon weil es eine strikte Allgemein-Aussage ist (und auch aus anderen Gründen; s.u.).

Nur das, was man als "vernünftige Einsicht" bezeichnen könnte, könnte die Wahrheit dieser Aussage verbürgen. Damit kommen wir aber in die Paradoxie: Man sollte vernünftigerweise einsehen können, dass man vernünftigerweise nichts einsehen kann.

 

Ein Argument, das Du anbringst, hat indes zumindest eine "empirische Seite" - nämlich dass es in der Philosophie unterschiedliche Meinungen gibt. Dieses Argument ist allerdings nicht zwingend, und wie ich zeigen will, auch durchaus nicht so plausibel, wie es im ersten Moment aussehen mag.

 

Man könnte das hinter dem Argument stehende Prinzip wie folgt zusammenfassen:

"Wenn etwas umstritten ist, kann es nicht erkennbar wahr sein."

 

Dazu wäre jedoch zu sagen:

 

- Es gibt Feststellungen, die eindeutig (oder jedenfalls jenseits aller vernünftigen Zweifel) wahr sind und dennoch von manchen Leuten heftig bezweifelt werden - so etwa die Tatsache, dass die Erde keine Scheibe ist.  Dass eine These "überhaupt" umstritten ist und von manchen Leuten bezweifelt wird, schließt also nicht iposo facto aus, dass die entsprechende These sicher und erkennbar wahr ist.

Nun kann man natürlich einwenden, dass es nur sehr wenige "Flacherdler" gibt. Es existiert aber keine bestimmte quantitative Grenze, bei deren Erreichen man wüsste, dass die Wahrheit oder Falschheit einer Aussage nun unerkennbar sein müsste. Und es ist natürlich auch möglich, dass selbst dann, wenn es solche Quoren gäbe, diese bei unterschiedlichen Fragen ganz unterschiedlich aussähen. Vielleicht irren sich Menschen bei manchen Fragen - die eigentlich richtig beantwortbar wären - häufiger als bei anderen?

 

- Oft kommt es vor, dass die meisten Philosophen eine These T entweder für (wahrscheinlich) wahr oder aber für (wahrscheinlich) falsch halten, und dass nur wenige meinen, man könne nichts Begründetes dazu sagen.

Nehmen wir beispielsweise an, dass 70% der Leute, die sich als Philosophen oder auch als interessierte Laien mit der These T befasst haben, diese für wahr halten, und 29% sie für falsch erachten; und dass nur 1% der Leuten meinen, man könne nichts dazu sagen, ob T wahr oder falsch sei. Dann sind sich immerhin 99% der Leute darin einig, dass T entscheidbar sei, und nur 1% vertreten die Auffassung, dass T unentscheidbar sei.

Wenn man nun aus der Umstrittenheit von T auf die Unentscheidbarkeit von T schließt, muss man folgern, dass 99% der Leute sich irren: Sowohl die 70%, die T für entscheidbar wahr halten wie auch die 29%, die T für entscheidbar falsch halten, sind im Unrecht. Nur 1% haben recht, nämlich die, die meinen, dass die Frage nach der Wahrheit von T unentscheidbar sei.

Das ist natürlich möglich. Aber wenn schon gelten soll, dass fehlende allgemeine Zustimmung ein guter Grund ist um anzunehmen, dass etwas nicht als wahr erkennbar sei, ist es merkwürdig, dass nun gerade diejenige Behauptung wahr sein soll, die mit großem Abstand die geringste Zustimmung erfährt.

(Eigentlich ist es komplizierter. Denn auch die Behauptung, dass T unentscheidbar sei, ist ja umstritten. Man müsste also zur Schlussfolgerung gelang, dass wir gar nicht wissen können, ob T entscheidbar ist - obwohl wir doch gerade den Schluss gezogen hatten, dass T unentscheidbar ist. Wir gelangen also zu einem Widerspruch.)

 

- Davon abgesehen ist die These, dass umstrittene Thesen nicht erkennbar wahr sein können, ja selbst umstritten. Nach eigener Logik kann sie also selbst nicht erkennbar wahr sein.

 

Nein, man muss schon in die Sache selbst "reingehen" und die philosophischen Argumente prüfen. Gute philosophische Arbeiten passen allerdings gewöhnlich nicht auf eine Seite, und oft bauen sie auch auf vorhergehenden Diskussionen auf und kommen mit einer gewissen Terminologie daher. Wenn ich mich in einer richtig großen Buchhandlung gehe und ein großes Regal finde, das für die Philosophie reserviert hat, finde ich mitunter nicht ein einziges Buch, das zur "akademischen" Philosophie zu rechnen wäre, und mit Glück finde ich weiger, als ich an einer Hand abzählen kann. Hinzukommt, dass (nach meiner Überzeugung) ein erheblicher Teil der Philosophie nicht in einer sonderlich guten Verfassung ist. Man baut zum Teil immer höhere Stockwerke, oft ohne sich die notwendige Mühe gemacht zu haben, das Fundament hinreichend zu klären. Genau daher kommt aus meiner Überzeugung auch ein erheblicher Teil der Kontroversen. Trotzdem kommt man eben, wenn man zu einem fundierten Urteil über die Philosophie im allgemeinen gelangen möchte, intensiver mit ihr befassen.

 

Dessen ungeachtet glaube ich, dass es zumindest einige wenige Beispiele gibt, an denen sich eben doch recht leicht und ohne größere Vorarbeiten aufzeigen lässt, was gute Philosophie ist, und wieso sie eben durchaus "funktionieren" kann. Ein besonders geeignetes Beispiel wäre m.E. eben die schon angerissene Frage nach der Denkfähigkeit von Computern. Da wird nach meiner Überzeugung schnell klar, dass man ausgehend von einfachen Einsichten und Überlegungen, die uns allen zu Gebote stehen, zu klaren Erkenntnissen gelangen kann.

 

Am 29.11.2023 um 21:37 schrieb Marcellinus:

Was ist "Geltung" anderes als Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse?

 

Zugespitzt: Wenn irgendein mächtiger Diktator die Weltherrschaft übernehmen würde und die Wissenschaft zwingen würde, das geozentrische Weltbild zu akzeptieren, bliebe die Widerlegung dieses Weltbildes dennoch gültig.

 

Am 29.11.2023 um 21:37 schrieb Marcellinus:

Du verwechselst subjektive Überzeugung und objektive Erklärungen.

 

Aber man geht ja normalerweise als "rationaler Mensch" davon aus, dass die eigene subjektive Überzeugung auch zutreffend ist - sonst wäre es ja keine Überzeugung. Insofern gehen wir doch vermutlich beide davon aus, dass das, was wir sagen, Hand und Fuß hat.  ;)
 

Zitat

 

Ja, ich behaupte, daß man all das, was nicht direkt meine Privatmeinung ist, empirisch überprüfen können sollte. Nur fehlt hier meistens Zeit und Raum. Zumindest meine Texte sind oft auch so schon ziemlich lang. ;)

 

 

Letzteres stimmt sicher für uns beide,und für mich manchmal vielleicht sogar eher noch mehr.

 

Der springende Punkt scheint mir aber zu sein: Bei empirischer Prüfung geht es gewöhnlich darum, wie sich etwas tatsächlich verhält - es könnte sich auch anders verhalten. Und zumindest auf der "untersten Ebene" kommt man in die Situation, dass man die Dinge eben so akzeptieren muss, wie sie sind. Man nimmt wahr, dass sie so sind, wie sie sind, aber man versteht nicht, wieso.

 

Aber je mehr man ins "Grundsätzliche" geht, desto mehr kommt man an einen Punkt, an dem die Zusammenhängen zwischen den Dingen als notwendig erscheinen und man diese Zusammenhänge verstehen muss.

Dass es beispielsweise überhaupt möglich ist, mithilfe empirischer Prüfungen Thesen zu bestätigen bzw. zu widerlegen, muss man einsehen, ggf. nach entsprechenden Überlegungen. (Man kann nicht empirisch beweisen, dass es empirische Beweise gibt, denn dann käme man in einen logischen Zirkel.)

 

Und viele Deiner Äußerungen scheinen mir in eben dieser Weise "grundsätzlich" zu sein. Das betrifft eben beispielsweise die Frage, ob Denken ohne Empirie zu Erkenntnissen führen kann. Mein Text ist schon jetzt sehr lang, und ich will ihn nicht noch wesentlich länger werden lassen, aber im Hinblick auf die These, dass ein Denken, das nicht empirisch überprüfbar ist, zu keinen Erkenntnissen führen könne, wären mindestens folgende Gesichtspunkte relevant:

 

- Es handelt sich hier um eine strikte Allgemeinaussage, die schon deswegen nicht empirisch beweisbar ist (man kann nicht jeden einzelnen möglichen "nicht-empirischen"  Gedankengang überprüfen).

 

- Um die Behauptung wenigstens einigermaßen plausibel zu machen, bliebe nur die Induktion: Man müsste aufzeigen, dass zumindest bisher kein Gedanke ohne empirische Prüfung zu echter Erkenntnis geführt haben. 

Die Gültigkeit der Induktion (soweit die Gültigkeit der Induktion eben reicht), folgt aber weder rein aus logischen Prinzipien, noch lässt sie sich selbst induktiv begründen (sonst hätte man es mit einem Zirkel zu tun). Induktion lässt sich höchstens durch ein "Denken, das empirisch nicht überprüfbar ist" - nämlich durch ein Verständnis relevanter Zusammenhänge - rechtfertigen. Also genau durch das, was es laut These nicht geben darf.

 

- Ein "reines Denken", das bisher nicht empirisch geprüft wurde, aber prinzipiell empirisch prüfbar ist, kann widerlegt werden - und damit ist dann zugleich auch gezeigt, dass es sich bei diesem "reinen Denken" nicht um Erkenntnisse gehandelt haben kann. (Denn falsche Erkenntnis gibt es quasi "per definitionem" nicht, höchstens vermeintliche Erkenntnis).

Was ist aber mit "reinem Denken", dessen Wahrheitsgehalt sich prinzipiell einer empirischen Prüfung entzieht? (Und das ist wohl der interessantere Teil.) Wenn man nicht empirisch beweisen kann, dass sie falsch sind, wie soll man dann empirisch beweisen, dass sie keine Erkenntnisse darstellen?

 

Nebenbei: kann es sein, dass Du beim Friseur warst und Dir das Fell hast färben lassen? ;)

bearbeitet von iskander
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@Marcellinus

 

Auf diesen Beitrag von Dir gehe ich einmal hier ein, damit es dort nicht zu sehr OT wird. :wink:

 

Daraus:

 

Zitat

 

 Ja, ein Teil der Philosophie behauptet, mit der Logik auch solch ein Regelsystem zu haben, nur daß dieses nicht auf ein dazu passendes Symbolsystem angewendet wird, sondern auf die menschliche Sprache, die wiederum die Wirklichkeit in Begriffe zu fassen versucht. Da haben wir dann das Problem mit dem realen Leben.

 

Philosophie ist (und vor allem war) da leistungsfähig, wo sie Ideen mit Wahrheitsanspruch auf Letztbegründungen untersucht und nichts gefunden hat. Die ganze Religionskritik war Philosophie in Reinkultur, und sie war erfolgreich. Ähnliches gilt für Ideologiekritik im allgemeinen. Negative Erkenntnisse lassen sich mit der Philosophie also durchaus gewinnen.

 

Gescheitert ist die Philosophie dagegen, wo sie aus sich heraus eigene, positive Erkenntnisse hervorzubringen versucht hat. Auch das ist kein Wunder, scheitert sie doch an der gleichen Stelle wie alle anderen Ideologien, an der fehlenden Letztbegründung. Die Mathematik behilft sich da mit Axiomen, nur daß die eben so simpel und grundlegend sich, daß sich niemand beschwert.

 

Philosophische Axiome dagegen müssen notwendig schon all das enthalten, was die Philosophen hinterher mit Hilfe der Logik aus ihren ableiten wollen. Dementsprechend sind sie weder simpel noch grundlegend, sondern die Quelle allen Irrtums. 

 

 

Die Logik ist natürlich immer nur ein Hilfsmittel, und es kommt entscheidend auf die Prämissen an. Prämissen braucht man allerdings immer für einen Beweis - auch für einen widerlegenden Beweis. Denn ein Beweis oder Argument (ich gebrauche die Ausdrücke hier einmal synonymisch) ist von der formalen Seite her betrachtet einfach ein logischer Schluss, und ein solcher kommt eben ohne Prämissen nicht aus. Wir können von einem Beweis (auch von einem widerlegenden) also nur dann wissen, dass er gültig ist, wenn wir wissen können, dass seine Prämissen wahr ("zutreffend") sind.

 

Logik spielt in einem gewissen Sinne eine große Rolle. Denn auch im Alltag ist es ja so, dass wir sehr vieles nicht "unmittelbar" wissen, sondern aus dem uns Bekannten "erschließen" oder "ableiten". Unser schon vorhandenes Wissen bzw. unsere bereits vorhandenen Überzeugungen bilden dann die Grundlage, auf welcher wir etwas "erschließen". Und dieses "Erschließen" ist logisch gesehen nichts anderes ein Ziehen von Schlüssen, bei denen wir mithilfe von Prämissen und logischen Regeln zu einer Konklusion gelangen.

Natürlich buchstabieren wir diesen Prozess normalerweise nicht formal durch. Wir haben es im Alltag auch nicht mit Prämissen zu tun, sondern mit "Überzeugungen". Aber Überzeugungen lassen sich eben mithilfe von "Aussagen" bzw. "Sätze" ausdrücken, und mit denen arbeitet die Logik dann. Und auch wenn wir logische Regeln gewöhnlich nicht explizit benennen, richten wir uns intuitiv nach ihnen.

 

Wenn wir beispielsweise ein Auto vorbeifahren hören, dann hören wir ja nicht buchstäblich ein Auto. Was wir hören ist ein bestimmtes Geräusch - und weil die einzig sinnvolle Erklärung dafür in der Annahme besteht, dass die Ursache ein vorübergehendes Auto ist, schließen wir, dass es wohl auch ein Auto sein wird. (Das wäre zugleich ein Beispiel für einen abduktiven Schluss, eine Art des Schließen, die wir andauernd im Alltag verwenden.)

Diese Art des "logischen Denkens" muss wie gesagt nicht unbedingt bewusst und explizit passieren, und die Argumentation muss auch nicht verbalisiert werden - aber sie ist das Schema, das unserem Denken zugrundeliegt und es überhaupt erst rational macht. Selbst wenn wir Ableitungen in unserem Denken normalerweise "intuitiv" vollziehen, können wir auf es reflektieren und dann auch erklären.

 

Der Begriff der "Letztbegründung" wird oft missverstanden, was auch damit zusammenhängt, dass er mit dem Begriff des "völlig sicheren Wissens" vermengt wird.

"Letztbegründet" heißt aber eigentlich nur, dass wir innerhalb einer logischen Beweiskette einen gültigen Anfang gibt; dass es also einen vernünftigen Grund gibt, die ersten Überzeugungen/Prämissen des Beweisgangs, auf denen alles andere aufbaut, für wahr zu halten. Ohne die Gültigkeit des Anfangs eines Beweises hinge nun die gesamte Beweiskette in der Luft; das bedeutet, dass es ohne "Letztbegründung" überhaupt keine Beweise (auch keine widerlegenden) gäbe.

 

Wenn wir also das typische Geräusch eines vorbeifahrenden Autos hören und folgern, dass da sehr wahrscheinlich wirklich ein Auto vorbeifährt, ist dieser Schluss durchaus "letztbegründet" - selbst wenn die "logische Kette", in die ja auch Vorerfahrungen mit einfließen, lang und verästelt ist. Letztlich geht hier alles zurück auf Dinge wie Erfahrung inhaltliches Verstehen (die dann logisch in Bezug gesetzt werden).

Gäbe es keine "Letztbegründung" in diesem Fall, so könnte man auch nicht gültig schließen, dass ein Auto vorbeifährt. Denn der ganz Schluss hinge dann komplett in der Luft. Schon die Überzeugung/Prämisse, dass das entsprechende Geräusch klingt, als käme es von einem Auto, wäre dann eine willkürliche Annahme. Und selbst wenn man diese Überzeugung/Prämisse noch irgendwo von anderen Überzeugungen/Prämissen her ableiten könnte, käme man irgendwann an einen Punkt, an dem die blanke Willkür herrscht. Man hätte ein Haus ohne Fundament vor sich.

 

Man könnte ohne "Letztbegründung" also weder etwas unmittelbar noch mittelbar wissen.

 

Zu den "Anfangsgründen" (im Sinne einer Letztbegründung) aller unserer Argumente, von denen ausgehend wir dann alles weitere "aufbauen", gehören sicherlich sinnliche Wahrnehmung, unmittelbare Selbsterfahrung, Informationen aus vertrauenswürdigen Quellen und unmittelbare Einsicht (letztere darf nie fehlen, weil man sonst ja nicht versteht, was man da überhaupt erlebt oder gesagt bekommt).

 

Doch zurück dazu, wie es in der Philosophie abläuft - denn da ist es vom Prinzip her eigentlich auch nicht anders als im Alltag. Statt die Sache abstrakt abzuhandeln, würde ich den Blick auf ein Beispiel vorschlagen. Ich hatte ja behauptet, dass es dem Menschen in seiner uns bekannten Verfassung nicht sicher sein kann, dass die naturwissenschaftlichen Modelle, die er sich macht, vollständig wahr sind (jedenfalls, wenn diese Modelle allgemeine Gesetze beinhalten und Vollständigkeit beanspruchen.) Auch hatte ich behauptet, dass das nicht einfach nur der heutige Stand der Dinge sei, sondern dass es anders auch gar nicht sein könne.

 

Meine "Beweisskizze" sah wie folgt aus:

 

"1) Der Mensch in seinem uns bekannten Zustand erkennt auch mithilfe seiner Beobachtungsgabe die physische Natur nicht "im Innersten" und nicht vollständig, sondern nur aspekthaft.

2) Der Mensch besitzt also kein vollständiges Bild der physischen Natur.

2) Wenn der Mensch dennoch Modelle über die physische Natur entwirft, muss er daher immer auch Vermutungen anstellen.
3) Von einer Vermutung weiß man jedoch nicht sicher, ob sie wahr ist.
4) Also weiß der Mensch [in seinem uns bekannten Zustand] auch nicht sicher, ob seine Modelle, zu denen eben auch Vermutungen gehören, (vollständig) wahr sind."

 

Man müsste das sicher noch etwas etwas genauer ausführen - aber im Prinzip dürfte die Argumentation klar und einsichtig sein. (Auch könnte man die gesamte Argumentation unter den Vorbehalt stellen, dass es so etwas wie eine physische Welt "jenseits" unserer Sinneserfahrung überhaupt gibt - strikte Positivisten würden ja behaupten, dass wir dazu nichts sagen können. Aber kaum jemand sonst teilt diese Skepsis.)

 

Was sind nun die Prämissen dieses Beweises?

Zum einen ist es etwas, was wir selbst mehr oder weniger unmittelbar an uns erfahren: Dass wir keine direkte und vollständige Einsicht in das Innerste der Natur haben. Der Beweisgang beruht zudem auf unserem "Weltwissen", dass es den anderen Menschen in dieser Hinsicht ganz offenkundig auch nicht besser geht als und. (Und wenn es ganz seltene Ausnahmefälle geben sollte, wären diese unbekannt und entsprächen nicht der üblichen Conditio humana.)

 

Die Argumentation beruht des weiteren auf "grundlegenden" Einsichten wie dieser: Wenn jemand bei einer unvollständigen Erkenntnis ein vollständiges Modell entwerfen will, ist er immer auch auf Vermutungen angewiesen ist - und Vermutungen können sich immer als falsch herausstellen können.

 

Zudem nötig ist natürlich noch etwas Logik - aber die ist minimal und entspricht der, die man auch ständig im Alltag braucht.

 

Der Beweis ist sicherlich gültig, weil es keine Prämisse gibt, die man sinnvollerweise bestreiten könnte (und weil aus den Prämissen logisch der Schluss folgt). Die "grundlegenden Einsichten", die im Hintergrund stehen, sind praktisch genau die gleichen, die man auch braucht, um überhaupt etwas empirisch sinnvollerweise testen zu können: Nämlich dass Modelle sich auf die Wirklichkeit beziehen, aber eben auch falsch sein können (und dass man ihre Gültigkeit mithilfe empirischer Beobachtung testen kann). Würde man also die Geltung des obigen Arguments anzweifeln, könnte man auch gleich anzweifeln, dass es empirische Widerlegungen gibt.

 

Wir hätten bei dem obigen Argument also das Beispiel eines Beweises, der von dem ausgeht, was wir eigentlich ohnehin wissen oder mit ein wenig Nachdenken begreifen - und der dennoch zu einem Ergebnis kommt, das m.E. interessant ist und das zumindest Leute, die sich nie mit Methodik oder Wissenschaftslehre befasst haben, überraschen könnte. Wir haben hier in jedem Fall dann auch eine allgemeingültige Erkenntnis, die sich rein empirisch nicht gewinnen ließe.

 

In diesem Fall könnte man von einer "negativen Erkenntnis" sprechen, denn es geht hier ja um das Aufzeigen von "prinzipiellen" Grenzen. Man kann m.E. in ähnlicher Weise aber auch zu "positiven" Erkenntnissen gelangen, von denen manche einen hohen und manche einen weniger hohen Grad an Sicherheit bieten. Ich denke hier an Aussagen über die Natur des Psychischen oder die Geltung der Induktion, um nur zwei Beispiele zu nennen. Aber da wird es dann doch schnell ausführlich und komplex. Wie ich schon sagte haben "solide" philosophische Arbeiten es gewöhnlich an sich, dass sie einen gewissen Platz einnehmen.

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vor 11 Minuten schrieb iskander:

Meine "Beweisskizze" sah wie folgt aus:

 

"1) Der Mensch in seinem uns bekannten Zustand erkennt auch mithilfe seiner Beobachtungsgabe die physische Natur nicht "im Innersten" und nicht vollständig, sondern nur aspekthaft.

2) Der Mensch besitzt also kein vollständiges Bild der physischen Natur.

2) Wenn der Mensch dennoch Modelle über die physische Natur entwirft, muss er daher immer auch Vermutungen anstellen.
3) Von einer Vermutung weiß man jedoch nicht sicher, ob sie wahr ist.
4) Also weiß der Mensch [in seinem uns bekannten Zustand] auch nicht sicher, ob seine Modelle, zu denen eben auch Vermutungen gehören, (vollständig) wahr sind."

 

Das Problem ist nur, dass es „den Menschen“ gar nicht gibt, sich damit das von dir geschilderte Problem überhaupt nicht stellt, oder wie es in dem Bonmot so schön hieß: Die Philosophie stellt einfach die falsche Frage.

 

Kein Mensch (vielleicht mit Ausnahme mancher Philosophen) steht vor dem Problem, vor einer ihm unbekannten, physischen Natur zu stehen, und darüber vollkommen allein und ohne Voraussetzungen Vermutung anstellen zu müssen.

 

Vielmehr wächst jeder von uns in ein Bild von dieser Welt hinein, dass sich über weite Strecken tagtäglich als zutreffend erweist.

 

Dieses Bild von dieser Welt ist über viele Generationen entstanden, und hat sich dementsprechend auch über viele Generationen bewährt, und was sich nicht bewährt hat, ist aussortiert und durch besseres ersetzt worden.

 

Mit einer Verzögerung von 200-300 Jahren kam dann die Philosophie mit ihren Zweifeln, und als wenn es die um sie herum existierende Welt überhaupt nicht gäbe, wird von Philosophen so getan, als wenn man sich ohne sie in dieser Welt überhaupt nicht zurechtfinden könnte. Dabei operieren Sie mit Begriffen wie Wahrheit und Vermutung, die doch nichts anderes sind, als die beiden Eckpunkte eines tief sitzenden Solipsismus.

 

Nach alldem kann man meiner Ansicht nach guten Gewissens davon ausgehen, dass Naturwissenschaften auf der einen, und Philosophie auf der anderen in zwei Parallelwelten existieren, die kaum irgendetwas miteinander gemein haben.

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@Marcellinus

 

vor 1 Stunde schrieb Marcellinus:

Das Problem ist nur, dass es „den Menschen“ gar nicht gibt, sich damit das von dir geschilderte Problem überhaupt nicht stellt, oder wie es in dem Bonmot so schön hieß: Die Philosophie stellt einfach die falsche Frage.

 

Statt "der Mensch" könnte ich auch schreiben: "Alle Menschen (soweit wir wissen)." Insbesondere auch alle Menschen, die empirische Wissenschaft betreiben wollen. Für sie alle gilt, was ich ausgeführt habe (sofern wir davon ausgehen, dass die uns bekannte Conditio humana allgemeingültig ist). Es gilt selbst noch dann, wenn diese Menschen zusammenarbeiten und auf den Arbeiten früherer Generationen aufbauen. Die Grenzen, auf die ich hinweise, liegen in der menschlichen Natur selbst begründet, und daher kann weder ein einzelner Mensch noch eine Vielzahl von (organisierten) Menschen sie überwinden.

 

vor 1 Stunde schrieb Marcellinus:

Kein Mensch (vielleicht mit Ausnahme mancher Philosophen) steht vor dem Problem, vor einer ihm unbekannten, physischen Natur zu stehen, und darüber vollkommen allein und ohne Voraussetzungen Vermutung anstellen zu müssen.

 

Behauptet aber ja auch niemand, oder? :wink:

 

vor 1 Stunde schrieb Marcellinus:

Vielmehr wächst jeder von uns in ein Bild von dieser Welt hinein, dass sich über weite Strecken tagtäglich als zutreffend erweist. Dieses Bild von dieser Welt ist über viele Generationen entstanden, und hat sich dementsprechend auch über viele Generationen bewährt, und was sich nicht bewährt hat, ist aussortiert und durch besseres ersetzt worden.

 

Zustimmung! Ändert aber nichts an der Richtigkeit meinen Ausführungen. Auch wenn man all das explizit einpreist, gilt immer noch, dass unser Wissen von der physischen Welt unvollständig ist, weil wir uns der Wirklichkeit eben nur in der von Dir beschriebenen Weise "annähern". Woraus dann das folgt, was ich gefolgert habe.

 

vor 1 Stunde schrieb Marcellinus:

Mit einer Verzögerung von 200-300 Jahren kam dann die Philosophie mit ihren Zweifeln, und als wenn es die um sie herum existierende Welt überhaupt nicht gäbe [...]

 

Das sind aber doch die wenigsten, und selbst bei Descartes sind die Zweifel ja nur methodischer Art, und einiges an Kritik für diese Haltung, die nicht die normale Lebenswelt zum Ausgangspunkt nimmt, hat er auch abbekommen.

 

Zitat

[...] wird von Philosophen so getan, als wenn man sich ohne sie in dieser Welt überhaupt nicht zurechtfinden könnte.

 

Welcher sagt oder impliziert das denn? :wink:

 

Zitat

Dabei operieren Sie mit Begriffen wie Wahrheit und Vermutung, die doch nichts anderes sind, als die beiden Eckpunkte eines tief sitzenden Solipsismus.

 

Sicher? Und wie viele Philosophen sind denn Solipsisten?

 

Und was unterscheidet die "philosophischen" Begriffe von "Wahrheit" und "Vermutung" von unseren alltäglichen? Oder von denen der Naturwissenschaft? (Selbst bei der Falsifikation geht es ja auch um Wahrheit; wenn wir nicht wissen, dass es wahr (zutreffend) ist, dass eine Beobachtung gemacht wurde, die im Widerspruch zu einer Theorie steht, dann wissen wir auch nicht, ob die entsprechende Theorie widerlegt wurde.)

 

Zitat

Nach alldem kann man meiner Ansicht nach guten Gewissens davon ausgehen, dass Naturwissenschaften auf der einen, und Philosophie auf der anderen in zwei Parallelwelten existieren, die kaum irgendetwas miteinander gemein haben.

 

Kann es sein, dass Du eine, sagen wir mal, etwas einseitige Vorstellung von der Philosophie hast (:2handed: ), von dieser Vorstellung ausgehend dann viele Dinge interpretierst, und Dich infolge dann auch wieder in Deiner Vorstellung bestätigt fühlst? :wink:

bearbeitet von iskander
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vor 1 Minute schrieb iskander:

Kann es sein, dass Du eine, sagen wir mal, etwas einseitige Vorstellung von der Philosophie hast (:2handed: ), von dieser Vorstellung ausgehend dann viele Dinge interpretierst, und Dich infolge dann auch wieder in Deiner Vorstellung bestätigt fühlst? :wink:

 

Es ist viel schlimmer: Ich weiß nach deinen nun wirklich nicht kurzen Ausführungen immer noch nicht, wofür Philosophie deiner Ansicht nach nützlich sein soll. Sie hat keine Wahrheit zu verkünden wie die Religionen. Sie liefert keine neuen Erkenntnisse über die physikalische, biologische oder soziale Ebene dieser Welt wie die Wissenschaften, und selbst als Metawissenschaft ist sie entthront, weil sich die Wissenschaften eben nicht so verhalten wie die Philosophen es gern hätten. 

 

Daneben sind sich die Philosophen auch unter einander nicht einig, weder was diese Welt, noch was ihr Fach betrifft, noch über sonst etwas. Ihre Meinungen wechseln wie die Moden, und selbst wenn der eine oder andere gelegentlich mal ein Buch schreibt, das sich verkauft, so schreiben andere Philosophen nach kurzer Zeit, was für ein Unsinn das sei, und meistens legt eben dieser Philosoph sich nach kurzer Zeit die Karten, und aus den Talkshows wird er ausgeladen. 

 

Leben tun die Philosophen daher überwiegend von Staatsgeldern, und die Zahl der philosophischen Lehrstühle steht in merkwürdigem Kontrast zur Qualität ihrer Gedanken. Es hat daher für mich den Anschein, daß die Philosophie immer noch das Ziel verfolgt, die Kirchen als ideologischen Sinngeber abzulösen, und auch aus deinen Ausführungen lese ich mehr den Wunsch nach einer Art ideologischen Grundlegung heraus als irgendetwas anderes. 

 

Dagegen denke ich nicht, daß ich eine einseitige Vorstellung von Philosophie habe. Vielmehr ist sie für mich, ähnlich wie die Religionen, eine Phase in der Entwicklung menschlichen Wissens gewesen. Sie hatte ihre größte Zeit vor dem Aufstieg des Christentums, hat dann eine Zeit lang deren Magd abgegeben, um sich dann erfolgreich der Kritik des Christentums speziell und der Religionen im allgemeinen zu widmen. 

 

Den Aufstieg der empirischen Wissenschaften dagegen haben die Philosophen ebenso verpaßt wie die Religionen vorher, waren doch beide allzusehr damit beschäftigt, der "Wahrheit" nachzujagen, absolute und endgültige Antworten auf Fragen von affektiver Bedeutung für die Fragenden selbst. Daher die ständige Beschäftigung mit "dem Menschen", diesem "homo philosophicus", der zeit- und beziehungslos einer ihm fremden Welt gegenübertritt, und nur mit der Kraft seiner Gedanken versucht, den Stein der Weisen zu finden, den absoluten, archimedischen Punkt, von dem aus er das Universum gedanklich aus den Angeln heben kann. 

 

Aber diesen Punkt gibt es nicht, und die absoluten und endgültigen Antworten auch nicht. Das ist keine abstrakte Erkenntnis, sondern schlicht eine Erfahrungstatsache. Die theoretisch-empirischen Wissenschaften, die die religiösen wie philosophischen Fragestellungen abgelöst haben, die durch keine Tatsachenbeobachtungen zu belegen sind, versuchen stattdessen herauszufinden, wie beobachtbare Ereignisse nachprüfbar zusammenhängen. Es ist ein beständiger Prozeß von Versuch und Irrtum, von Tatsachenbeobachtung und Theoriebildung, der sehr erfolgreich war und immer noch ist und unser einziger Weg zu nachprüfbarem Wissen. Religion und Philosophie, genauer gesagt der Erklärungsaspekt von beiden, sich dagegen wie die beiden alten Grantler aus der Muppet-Show, die nur noch auf der Empore sitzen und zur Erkenntnis dieser Welt nichts Konstruktives mehr beitragen. 

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Noch eine kleine Ergänzung: Mein erster Kontakt zur Philosophie geschah im Studium Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, und das konnte beim Studium zu der Zeit kaum anders sein. Die vorherrschende Philosophie war der Marxismus, dem man, zumal als Geschichtsstudent, gar nicht entkommen konnte. 

 

Ich war kein Marxist (auch wenn, oder gerade weil ich ihn und Engels gelesen habe, außerdem half uns damals die direkte Anschauung), also ging ich auf die Suche nach einer Philosophie, die dagegen hielt. So kam ich zu Popper, Albert und dem Kritischen Rationalismus. Mit Popper war ich bei der Wissenschaftstheorie und damit kam ich zu Thomas S. Kuhn, und bei dem fand ich Referenzen zum älteren Ludwik Fleck ("Die Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache", 1935). Über Hans Albert ("Plädoyer für kritischen Rationalismus") kam ich zu seiner Religionskritik ("Das Elend der Theologie"), zu Bertrand Russell und Walter Kaufmann ("Der Glaube eines Ketzers"), und am Schluß Daniel C. Bennett ("Religion als natürliches Phänomen"), um nur einige zu nennen.

 

Sie alle habe ich mit Vergnügen und Gewinn gelesen, aber ich machte auch eine merkwürdige Erfahrung. Am Anfang ihrer Bücher, wenn sie ihre Problem darstellten, konnte man ihnen noch folgen, wenn sie dann die jeweils vorherrschende Meinung kritisierten, war ich bei ihnen, aber wenn sie dann ihre eigene Erklärung lieferten, erschienen die mir ebenso wenig überzeugend wie das, was sie kritisiert hatten, oder im Falle von Kuhn lieferten sie überhaupt keine Erklärung.

 

Nun hatte ich allerdings Glück und in die Zeit meines Studiums fiel die Wiederveröffentlichung und Wiederentdeckung der Arbeiten von Norbert Elias. Sein "Über den Prozeß der Zivilisation" war bei der Erstveröffentlichung 1939 in den Wirren des beginnenden 2. Weltkriegs und der Judenverfolgung untergegangen. Aber er hatte überlebt und nicht aufgehört zu arbeiten. Als man ihn wieder entdeckte, waren fast 40 Jahre vergangen und eine Menge Bücher entstanden, die über sein Erstlingswerk hinausgingen, Auch Bücher, die sich mit Wissenssoziologie und damit Wissenschaftstheorie beschäftigten. Hier fand ich viele der Antworten, die die Philosophen schuldig geblieben waren. Ich schätze die oben aufgezählten (und die, die ich nicht erwähnt hatte) immer noch, kann aber nun ihre Antworten und vor allem Nicht-Antworten besser einordnen. 

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Aus dem Genderthread - da ich ja nicht will, dass sich der dortige OT weiter ausdehnt:

 

Zitat

aber ich hatte mehr als einmal das zweifelhafte Vergnügen, auf die Thesen von Naturwissenschaftlern zu stoßen, die einerseits über die Philosophie vom Leder ziehen, ohne etwas über sie zu wissen, nur um dann andererseits selbst eine schlechte Philosophie zu betreiben. ("Philosophie" bedeutet hier, dass die Äußerungen nach jeder Definitionen "philosophisch" sind und weit über alles hinausgehen, was sich mit den Mitteln des eigenen wissenschaftlichen oder eines anderen naturwissenschaftlichen Faches begründen ließe.)

 

Das war auch einer meiner Einwände gegen die Pauschalablehnung von Philosophie. Wer schon zu Themen wie der Natur von Wissen, was wir erkennen können und was nicht, usw. seinen Senf geben will, sollte sich zuerst mit dem beschäftigen, was andere hierzu geschrieben haben, und sich dann kritisch damit auseinandersetzen und sich eine eigene Meinung bilden. Mit anderen Worten: er sollte Philosophie betreiben ;)

 

Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, was @Marcellinus's Erwiderung darauf war. Etwas mit der Schweirigkeit, Philosophie zu definieren, was sie ja mit der Religion gemeinsam habe, oder sowas in der Richtung?

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@Marcellinus

 

Man müsste eine Diskussion aus meiner Sicht mehr auf die konkrete Ebene ziehen, auch wenn das schwierig ist. An einem (wenn zugegeben auch sehr simplen) Beispiel habe ich ja versucht aufzuzeigen, wie man auf Grundlage von Prämissen, die auf Selbsterfahrung, Weltwissen und grundlegenden Einsichten ("wer die Wirklichkeit nicht vollständig erfasst, der muss Vermutungen anstellen, sofern er dennoch ein vollständiges Modell haben will - und Vermutungen können sich als falsch herausstellen") zu allgemeingültigen Erkenntnissen von Relevanz gelangen kann.

Auch andere Beispiele habe ich - wenn auch nur abstrakt - berührt: Etwa das Nachdenken oder die Rechtfertigung von Induktion, was eben keine Angelegenheit einer empirischen Wissenschaft mehr ist. Oder der Vergleich der Prozesse von Computern mit unserem Denken. Es gäbe natürlich auch anderes; aber in vielen Fällen passt etwas Gehaltvolles eben nicht in einige Zeilen.

 

Ein Großteil der philosophischen Fragen besteht, wie ich schon gesagt hatte, aus meiner Sicht darin, sich auf Grundsätzliches zu besinnen: Was ist eine Theorie überhaupt? Was ist Beobachtung überhaupt? Solche Fragen liegen teilweise eben noch "vor" dem, was sich empirisch-experimentell untersuchen lässt; sie sind noch grundsätzlicher. Es geht um das, was gelten und zumindest implizit vorausgesetzt werden muss, damit beispielsweise das Arbeiten mit Theorien überhaupt sinnvoll sei kann.

Andere Fragen gehen durchaus mehr vom konkret Empirischen aus, bewegen sich aber auf einer hohen Abstraktionsstufe: Welche Arten von Theorie gibt es faktisch (nicht nur in einer Wissenschaft, sondern in unterschiedlichen Wissenschaften) und was leisten sie?

Solche Fragen muss man nicht zwingend beantwortet haben, um mithilfe von Naturwissenschaften Theorien zu betreiben - interessant können sie m.E. dennoch sein.

 

Dass es innerhalb der Philosophie viel Streit und Moden gibt ist leider nur zu wahr - aber wie ich ebenfalls ausgeführt habe, ist dies weder ein strikter Beweis gegen die Unmöglichkeit sinnvoller Philosophie, noch ist das Plausibilität-Argument, das man daraus ziehen könnte, so überzeugend und unproblematisch, wie es auf den ersten Blick den Anschein haben mag.

 

Was speziell die Wissenschaftstheorie angeht, bin ich gerade (eigentlich ohne Bezug zu dieser Diskussion) am Lesen des Buchs "Warum sich die Physik verlaufen hat" von Alexander Unzicker. Manche seiner Thesen sind wohl recht kontrovers, aber ich habe den Verdacht, dass er einige wunde Punkte offenlegt. Ein Teil seiner Kritik bezieht sich auf die Teilchenphysik, und in meinen Worten lautet sie, dass da vieles eigentlich nicht passt, nicht gut verstanden ist, nicht wirklich erklärbar ist, nicht durchdacht ist; und dass man sich mit einer schier endlosen Anzahl von immer neuen Ad-hoc-Hypothesen, die man sich gerade so konstruiert, wie man sie braucht, und die sich kaum sinnvoll überprüfen lassen, notdürftig über Wasser hält.

 

Wenn das wahr ist, wäre ein guter Schuss Popper da vielleicht durchaus hilfreich. Mir geht es hier aber eher um ein Gedankenexperiment, das einen konkreten punkt illustrieren soll. Nehmen wir für einen Moment an, die Kritik sei völlig berechtigt (ob sie es nun tatsächlich ist oder nicht). Was, wenn die entsprechenden Teilchenphysiker dann sagen würden: "Ja und, genau so wollen wir's, das ist gute Wissenschaft!"

Das wäre dann nicht mehr die Frage, wie sich ein bestimmtes Wissenschaftsideal sinnvoll umsetzen ließe (wofür die Fachwissenschaftler die Experten sind), sondern es ginge auch um die abstraktere Frage, was "gute" Wissenschaft grundsätzlich überhaupt ausmachen sollte - und warum. Und das ist dann eben keine rein fachwissenschaftliche Frage mehr, sondern eine Frage auf der Metaebene, die nicht mit den Methoden der Einzelwissenschaft beantwortbar ist.

 

Ein Teil Deiner Kritik der Philosophie resultiert m.E. einfach auch daraus, dass Du Fragestellungen, die man normalerweise als "philosophisch" bezeichnet, nicht als "philosophisch" gelten lässt:

 

- In manchen Fällen sieht es dabei (nach meinem Eindruck) so aus, dass Du aus dem, was wir über die Welt wissen, Schlussfolgerungen ziehst, die Dir als vernünftig und naheliegend erscheinen. Wenn es aber um gewisse Themen geht (zum Beispiel darum, was man überhaupt wissen kann und wie), und wenn Gedanken mit einer gewissen Systematik und Begründung hervorgebracht werden, dann ist das im landläufigen Sinne eben Philosophie. Und warum sollte man dafür nicht dieses Wort benutzen?

- Oder Du bezeichnest Deine Thesen als "sozialwissenschaftlich" (genauer: wissenssoziologisch). Vieles, was Du über die Wissenschaft, über Wissen allgemein usw. sagst, handelt aber nicht eo ipso von den sozialen Bedingungen und Begleiterscheinungen von Wissen - und es lässt sich auch nicht allein mit sozialwissenschaftlichen Methoden prüfen. (Womit die Bedeutung des Sozialen absolut nicht verneint werden soll - aber das ist eben wieder eine andere Frage.)

 

Würde man nach den üblichen Definitionen vorgehen, müsste daher wohl das allermeiste, was Du beispielsweise in dieser Diskussion sagst, zur "Philosophie" zählen. Natürlich kann man etablierte Definitionen auch kritisieren, selbst wenn sie auf den ersten Blick als sinnvoll erschienen mögen - aber dafür sollte es dann eben auch Gründe geben.

bearbeitet von iskander
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Am 23.11.2023 um 15:35 schrieb Moriz:

Das war der Experimentalphysiker! Der theoretische Physiker kommt auf 7,000 +/- 0,001.

Und der Chemiker auf 6,98.

(Und genau genommen kommt der Mathematiker hier zu dem Schluß, daß es zwei Lösungen gibt. -7 wäre die andere.)

Die Quadratwurzel aus 49 ist per Definition die positive Lösung der Gleichung x²=49. Deshalb gibt es auf die Frage nach der Quadratwurzel aus 49 genau eine richtige Antwort.

bearbeitet von Knarf
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„Alle Begriffe, in denen sich ein ganzer Prozeß semiotisch [d.h. in einem absoluten  Begriff] zusammenfaßt, entziehn sich der Definition; definierbar ist nur das, was keine Geschichte hat.“ (Friedrich Nietzsche)

 

Weder für Religion, noch für Philosophie noch Wissenschaft gibt es absolute Definitionen, denn all dies ist in sozialen Prozessen entstanden. 

 

Ganz grob wird man sagen können, daß Religionen Weltanschauungen sind, die sich wesentlich um den Glauben an und die Verehrung von als Personen gedachter Urheber drehen. Die akademische Disziplin, die sich damit beschäftigt, ist die Theologie, ihr „Gegenstand“ sind einer oder mehrere Götter und die Qualifikation eines Theologen besteht zuerst in seinem Glauben wie in der Kenntnis der „Offenbarungen“ seiner Religion. 

 

Philosophie wird beschrieben als Nachdenken über grundsätzliche Fragen und kritische Reflexion zentraler Begriffe zum Verständnis und zur Deutung der menschlichen Existenz. Ihr „Gegenstand“ ist also im weitesten Sinne die Welt der Ideen, und die Qualifikation der Philosophen besteht wesentlich in der Kenntnis der Werke anderer Philosophen. 

 

Gemeinsam ist Religion und Philosophie die Suche nach der „Wahrheit“ (auch wenn sie Unterschiedliches darunter verstehen), und damit der Unterscheidung zwischen Richtig und Falsch, egal ob es das richtige Leben, das richtige Forschen oder die richtigen Begriffe sind. In beiden, Religion und Philosophie, geht es also um Fragen von persönlicher Bedeutung für den Fragenden, wobei die Religionen ihre Antworten in den Zielen, Absichten und Handlungen ihrer Götter suchen, die Philosophie dagegen in der Vernunft des einzelnen Philosophen, wobei sie sich darin, wie sie begründen, warum dieser Vernunft jeweils zu trauen sei, durchaus unterscheiden. 

 

Die theoretisch-empirischen Wissenschaften dagegen sind entstanden bei dem Versuch, das, was die Menschen in ihrer Umgebung beobachten konnten, zu verstehen, indem sie gedankliche Modelle entwickelten, wie diese Beobachtungen wohl nachprüfbar zusammenhängen könnten. So unterschiedlich auch die Motive der einzelnen Wissenschaftler waren und bis heute sind, ihr Gegenstand war die reale Welt, bzw. das, was man von ihr beobachten kann und die Qualifikation eines Wissenschaftlers bestand und besteht bis heute darin, gedankliche Modelle zu erstellen, die die Zusammenhänge zwischen den bisherigen Beobachtungen möglichst gut beschreiben, und weitere Beobachtungen ermöglichen. 

 

Die konkreten Methoden hängen dabei wesentlich von den Eigenschaften des jeweiligen Gegenstandes und seiner Zusammenhänge ab. So sind die Objekte der Physik andere und haben anderen Eigenschaften als die der Biologie. Auch wenn letztere letztlich nur aus physikalischen Objekten und ihren Beziehungen untereinander bestehen, so bilden sie doch eigene Zusammenhänge, die sich durch eigene Modelle beschreiben lassen. Ohne diese sogenannte Emergenz hätten Wissenschaften gar nicht entstehen können, denn sie erlaubt es, die Bahnen von Planeten zu beschreiben, ohne deren Bestandteile auch nur im Ansatz zu kennen, oder die evolutionäre Entstehung der Arten zu entdecken, ohne der Mechanismen im Einzelnen zu verstehen, zB ohne zu wissen, was Gene sind. 

 

Hier läßt sich auch sehr schön zeigen, was es zum Beispiel mit der Frage auf sich hat, was eine „Theorie überhaupt“ sei. Es gibt keine „Theorie überhaupt“, außer einem Modell beobachtbarer Zusammenhänge, und auch das ist keine umwerfende philosophische Einsicht, sondern schlicht ein Allgemeinplatz, abgeleitet aus den bisherigen Beispielen in Physik, Biologie und Menschenwissenschaften. Genauso verhält es ich mit „Beobachtungen“, ein Begriff, abgeleitet aus unseren täglichen Beobachtungen, sind Beobachtungen in der Physik etwas anderes als in der Biologie, und in der Biologie etwas anderes als in der Soziologie. Auch hier sind die Experten die jeweiligen Fachwissenschaftler, und nicht Philosophen, die sich für alles und nichts zuständig fühlen. 

 

Der Erfolg der theoretisch-empirischen Wissenschaften liegt nicht in der größeren Intelligenz ihrer Vertreter, oder in einer bestimmten Methode oder dem Glauben an irgendwelche Axiome, sondern schlicht im Realitätsgehalt ihrer Modelle. Da mag ein Physiker einem magischen Weltbild anhängen, wenn seine Berechnung von Planetenbahnen sich in der Praxis bewährt, ist das die erhoffte Bestätigung. Da mag einer nach dem Stein der Weisen suchen, und seine alchemistischen Bemühungen zwar nicht zu Gold, sondern „nur“ zu Porzellan führen. Es ist am Ende die Bestätigung durch Empirie, die den Wert einer wissenschaftlichen Erkenntnis bestimmt, und daß sich eine neue Theorie durchsetzt, liegt meist nicht an der Brillanz der Gedanken, sondern an ihrem praktischen Wert im Konkurrenzkampf von Menschen und Gruppen außerhalb der Wissenschaften. So setzen sich übrigens manchmal auch falsche Theorien durch. 

 

Wissenschaftliche Erkenntnisse geraten so allerdings nicht selten in Konkurrenz mit religiösen Weltanschauungen, und es hängt dann von den gesellschaftlichen Machtverhältnissen ab, welche Seite sich durchsetzt. Am Ende der Antike war das die Religion, in der Neuzeit scheinen es eher die Naturwissenschaften zu sein. 

 

Das Verhältnis der theoretisch-empirische Wissenschaften zur Philosophie ist komplizierter. Einerseits sich die Naturwissenschaften zum Teil entstanden aus der Naturphilosophie, zum anderen standen manche Philosophen beim Kampf gegen die geistige Vorherrschaft der Kirchen auf der Seite der Naturwissenschaften. Konfliktreich wurde das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Philosophie erst mit der Entstehung der Soziologie im Verlauf des 19. Jh. 

 

Nach der physikalischen und biologischen Ebene unseres Universums war die soziale die dritte Integrationsebene, die Ebene, die aus den Menschen besteht und ihren Gruppen, die sie miteinander bilden, die zur wissenschaftlichen Erforschung noch übrig war. 

 

Als Stichworte fallen einem die Arbeiten von Auguste Comte ein, der nicht nur den Begriff „Soziologie“ erfunden hatte, sondern auch als erster die Ansicht vertrat, die einzelnen Ebenen unserer Wirklichkeit bildeten eigene Formen von Zusammenhängen, die daher auch eigene wissenschaftliche Fächer erforderten mit eigenen Methoden und Modellen. Dann wäre Karl Marx zu nennen, der als erster eine umfassenden sozioäkonomische Theorie der geschichtlichen Entwicklung aufstellte (mit durchaus eindrucksvollen Folgen bis in unsere Gegenwart), und schließlich Karl Mannheim mit seiner Wissenssoziologie. 

 

Spätestens hier stieß die Soziologie auf die Philosophie und stellte deren Vorstellung von einer „Welt der absoluten Begriffe“ die Erkenntnis entgegen, daß Wissen, Denken und Erkenntnis kein autonomer Prozess ist, sondern sozial bedingt. Norbert Elias, ein Assistent Mannheims im Frankfurt der 30er Jahre des 20. Jh. erweiterte diese Theorie dann durch die vom Prozeß der Zivilisation, die die Entwicklung von Denken, Wissen und Erkenntnis in den Zusammenhang der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften stellte, gewissermaßen vom Kopf auf die Füße. Ideen war für ihn nicht metaphysische Objekte einer „Welt 3“ wie bei Popper, sondern ganz konkret gedankliche Werkzeuge von Menschen, zwar, waren sie einmal entstanden, durchaus unabhängig von einzelnen Menschen, aber nicht unabhängig von Menschen insgesamt. 

 

Elias hat dann auch deutlich formuliert, worin seiner Ansicht nach der Unterschied zwischen Religion, Philosophie und theoretisch-empirischen Wissenschaften besteht, indem er sie einordnete in den Prozeß der Entwicklung menschlichen Wissens vom vorwissenschaftlichen hin zum wissenschaftlichen. Und da gehört die Philosophie eindeutig auf die Seite des vorwissenschaftlichen, weil ihre Suche nach absoluten Begriffen, nach „Grundsätzlichem“, wie du es nennst, der schlichten Tatsache widerspricht, daß solch „Grundsätzliches“ sich bei näherer Betrachtung als entstanden herausgestellt ha, bzw. als Fantasievorstellung. 

 

Alles, was wir in dieser Welt beobachten können, ist entstanden, und das gilt auf der sozialen Ebene unseres Universums genauso wie auf der physikalischen und biologischen. Alles a priori, von dem die Philosophen so wortreich erzählen, ist eben ein a posteriori dessen, was ihm vorausgegangen ist. Wo die Philosophie „Grundlegendes“ sucht, müßte man stattdessen Prozesse aufspüren, die es hervorgebracht haben, aus denen es hervorgegangen ist, und Modelle dieser Entwicklungszusammenhänge beschreiben, die sich durch Tatsachenbeobachtungen belegen lassen. 

 

Die Suche nach absoluten, grundlegenden Begriffen stellt sich in diesem Licht als eine Fehltheorie heraus, eine Fehltheorie, für die die Philosophen nicht nur keine empirischen Belege vorlegen können, sondern auch noch behaupten, das müßten sie gar nicht, weil sie ja die Spezialisten für das „Metaphysische“ seien. Wenn man dann noch jedem, der dieser Art von Philosophie die Anerkennung verweigert, wohlgemerkt ohne daß sie irgendwelche sicheren Erkenntnisse vorzuweisen hätte, die nicht flugs von anderen Philosophen verworfen werden, dem wird dann „schlechte Metaphysik“ vorgeworfen, nach dem Motto „Haltet den Dieb!, rief der Dieb“. 

 

Das ist kurz gesagt der Grund, warum ich diese Form von Philosophie ablehne, die sich für „Grundsätzliches“ zuständig wähnt, weil es aus der Sicht der Soziologie, wie ich sie verstehe, ein solches „Grundsätzliches“ nicht gibt. Die absoluten Begriffe, auf die die Philosophie dieses Grundsätzliche zurückzuführen versucht, sind einfach Fehlbegriffe, und die Werturteile, wie dieses oder jenes zu sein hat, um vor den Augen des Philosophen Gnade zu finden, sind reine Glaubensvorstellungen, nur nicht wie in den Religionen Ausdruck von „göttlicher Offenbarung“, sondern Ausfluss der als unfehlbar empfundenen Vernunft des Philosophen, wobei es eine eigene Abhandlung wäre, zu erörtern, womit die einzelnen Philosophen ihre jeweilige Unfehlbarkeit begründen. 

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sry, bitte löschen. Geht auch gut ohne meinen Senf.

bearbeitet von Soulman
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vor 13 Stunden schrieb Marcellinus:

Philosophie wird beschrieben als Nachdenken über grundsätzliche Fragen und kritische Reflexion zentraler Begriffe zum Verständnis und zur Deutung der menschlichen Existenz.

 

Ist das denn so unterschiedlich zu dem, was Du machst? ;)

Auch Du machst Dir ja Gedanken darüber, was die Stellung des Menschen ist, was er zu erkennen vermag, wo die Grenzen der Erkenntnis liegen usw. Und wenn Deine Antworten diesbezüglich eher restriktiv ausfallen, sind es doch Antworten. Selbst wenn Du überzeugt bist, dass Deine Aussagen ein gutes Fundament haben, sind sie zumindest thematisch hier zu verorten. Und Begriffe wie "Wissen", "Wissenschaft", "Bedingtheit durch soziale Prozesse", "Wahrheit", "Unerreichbarkeit der Wahrheit" spielen ja auch bei Dir eine wichtige Rolle.

 

Und was die von Dir erwähnten "reinen" bzw. "absoluten" Begriffen angeht, mit denen die Philosophen es so sehr hätten, obwohl diese Begriffe doch nichts hergäben, so bin ich mir nicht sicher, was genau damit gemeint ist, und ob ich dieser Konzeption überhaupt zustimmen könnte. Jedenfalls entspricht Deine Darstellung nicht so recht dem, was ich als "Philosophie" betrachte.

 

 

vor 13 Stunden schrieb Marcellinus:

Hier läßt sich auch sehr schön zeigen, was es zum Beispiel mit der Frage auf sich hat, was eine „Theorie überhaupt“ sei. Es gibt keine „Theorie überhaupt“, außer einem Modell beobachtbarer Zusammenhänge, und auch das ist keine umwerfende philosophische Einsicht, sondern schlicht ein Allgemeinplatz, abgeleitet aus den bisherigen Beispielen in Physik, Biologie und Menschenwissenschaften. Genauso verhält es ich mit „Beobachtungen“, ein Begriff, abgeleitet aus unseren täglichen Beobachtungen, sind Beobachtungen in der Physik etwas anderes als in der Biologie, und in der Biologie etwas anderes als in der Soziologie. Auch hier sind die Experten die jeweiligen Fachwissenschaftler, und nicht Philosophen, die sich für alles und nichts zuständig fühlen. 

 

Es gibt aber doch Eigenschaften, die Theorien, Modelle und Beobachtung ganz allgemein auszeichnen. Und hier kann man durchaus interessante Fragen stellen, etwa inwieweit Beobachtungen selbst schon "theoriebeladen" sind ob das ein Problem sein muss usw. Und man kann beispielsweise die Arten von Theorien, die verschiedene Wissenschaften hervorbringen, miteinander vergleichen, was Einzelwissenschaften nicht tun.

 

Zitat

 Es ist am Ende die Bestätigung durch Empirie, die den Wert einer wissenschaftlichen Erkenntnis bestimmt, und daß sich eine neue Theorie durchsetzt, liegt meist nicht an der Brillanz der Gedanken, sondern an ihrem praktischen Wert im Konkurrenzkampf von Menschen und Gruppen außerhalb der Wissenschaften. So setzen sich übrigens manchmal auch falsche Theorien durch. 

 

Sicherlich. Es gibt Fragen, die nur empirisch sinnvoll zu beurteilen sind, und die soll man bitte auch empirisch beurteilen. Und leider gibt es auch "Störfaktoren".

 

vor 13 Stunden schrieb Marcellinus:

Spätestens hier stieß die Soziologie auf die Philosophie und stellte deren Vorstellung von einer „Welt der absoluten Begriffe“ die Erkenntnis entgegen, daß Wissen, Denken und Erkenntnis kein autonomer Prozess ist, sondern sozial bedingt.

 

Der letzte Teil ist sicher richtig. Aber die Frage - und die ist nun selbst philosophisch - lautet hier eben: Was heißt "bedingt"? Und was sind die Implikationen?

 

"Bedingt" heißt ja erst einmal, dass etwas ohne etwas anderes nicht existieren könnte. Ohne soziale Beziehungen und Prozesse gäbe es beispielsweise weder systematisches Nachdenken im Sinne einer Gemeinschaftsleistung, noch auch die Naturwissenschaften.

Inwieweit Bedingungen das Bedingte beeinflussen oder gar determinieren, ist allerdings eine zweite Frage. Jedenfalls wäre es wohl eine etwas radikale (an den Marxismus erinnernde) These, dass die zugehörigen sozialen Bedingungen und Prozesse den Inhalt des Nachdenkens oder der Wissenschaft völlig determinieren würden.

 

Man muss m.E. also durchaus unterscheiden zwischen zwei Thesen:

a) "X ist eine Bedingung für Denken und Erkenntnis."

b) "X determiniert das Denken so vollständig, so dass das Denken keinen Spielraum mehr hat, wahre Erkenntnis zu gewinnen."

 

Selbst wenn also beispielsweise die Soziologie im Sinne von These a) überzeugend beweist, dass Denken und Erkennen sozial bedingte Prozesse sind (was ich gerne akzeptiere), wäre damit noch nichts darüber gesagt, ob das Denken Wahres erfassen kann, oder ob es so etwas wie eine "Welt der absoluten Begriffe" gibt und ob der Mensch Zugang zu ihr hat. (Wobei ich nicht so recht sicher bin, was Du mit einer "Welt der absoluten Begriffe" meinst.)

 

Zitat

Norbert Elias, ein Assistent Mannheims im Frankfurt der 30er Jahre des 20. Jh. erweiterte diese Theorie dann durch die vom Prozeß der Zivilisation, die die Entwicklung von Denken, Wissen und Erkenntnis in den Zusammenhang der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften stellte, gewissermaßen vom Kopf auf die Füße. Ideen war für ihn nicht metaphysische Objekte einer „Welt 3“ wie bei Popper, sondern ganz konkret gedankliche Werkzeuge von Menschen, zwar, waren sie einmal entstanden, durchaus unabhängig von einzelnen Menschen, aber nicht unabhängig von Menschen insgesamt. 

 

Ich will ich mich hier gar nicht für Poppers These starkmachen, aber das eine schließt das andere nicht aus. Wenn die Soziologie "Ideen" als konkrete gedankliche Werkzeuge behandelt, sagt sie damit noch nichts darüber aus, ob es zusätzlich auch noch ganz andere Aspekte von "Ideen" gibt, etwa im Sinne Poppers. Diese Frage gehört auch nicht zu ihrem Untersuchungsgegenstand.

 

vor 13 Stunden schrieb Marcellinus:

Elias hat dann auch deutlich formuliert, worin seiner Ansicht nach der Unterschied zwischen Religion, Philosophie und theoretisch-empirischen Wissenschaften besteht, indem er sie einordnete in den Prozeß der Entwicklung menschlichen Wissens vom vorwissenschaftlichen hin zum wissenschaftlichen. Und da gehört die Philosophie eindeutig auf die Seite des vorwissenschaftlichen, weil ihre Suche nach absoluten Begriffen, nach „Grundsätzlichem“, wie du es nennst, der schlichten Tatsache widerspricht, daß solch „Grundsätzliches“ sich bei näherer Betrachtung als entstanden herausgestellt ha, bzw. als Fantasievorstellung. 

 

Alles, was wir kennen, ist entstanden und auch auf die eine oder andere Art bedingt, oft sogar vielfältig bedingt. Dass aber beispielsweise bestimmte Anschauungen sich im Lauf der Zeit entwickelt haben, dass sie ohne bestimmte Bedingungen nicht hätten entstehen können usw., impliziert noch nicht zwingend, dass die entsprechenden Anschauungen nicht wahr sein können, oder dass sie nicht rational überzeugend begründet sein könnten. (Das gilt ja beispielsweise auch für die Theorien von Elias. Die sind auch sozial bedingt und alles - und dennoch können sie wahr und vernünftig sein.)

 

Man muss hier zwischen Geltung und Genese unterscheiden. Um die einigermaßen brauchbare Zusammenfassung der Wikipedia zu zitieren:

 

"Genese und Geltung ist eine erstmals von Leibniz explizit erwähnte Unterscheidung in der Philosophie, die u. a. in der Erkenntnistheorie eine wichtige Rolle spielt, aber auch bei Werten zum Tragen kommt (z. B. Moral- und Rechtsphilosophie).

Bei der Geltung stellt sich die Frage nach der Begründung und Rechtfertigung von Erkenntnissen („Hat die Erkenntnisquelle eine besondere Autorität?“), bei der Genese nach der Entstehung und Entwicklung von Erkenntnissen („Durch welche Prozesse gewinnen wir Erkenntnisse?“). Letzteres erklärt wie Meinungen zustande kommen, ersteres warum sie ggf. wahr sind. Die Geltung spielt somit auch eine entscheidende Rolle bei der Rechtfertigung. Anders gesagt bestimmt die Genese die Ursachen des Fürwahrhaltens und die Geltung die Gründe des Wahrseins.

Da man die Geltungsfrage nicht erfahrungswissenschaftlich analysieren kann (was zu einem Begründungszirkel führen würde), müssen aposteriorische Wissenschaften die Geltung von Erfahrungserkenntnissen bereits voraussetzen.

Hans Reichenbach nannte diese Unterscheidung „Begründungs- bzw. Rechtfertigungszusammenhang“ (Geltung) und „Entdeckungs- bzw. Entstehungszusammenhang“ (Genese); Kant dagegen nennt dies „quid juris“ bzw. „quid facti“."

https://de.wikipedia.org/wiki/Geltung_und_Genese

 

Wenn ein Soziologe zur Auffassung gelangt, dass bestimmte Ideen sich im Lauf der geschichtlichen Entwicklung ergeben haben und ohne bestimmte (soziale) Voraussetzungen nicht hätte geben können, dann gehört das in sein Fachgebiet. Wenn er aber daraus die Schlussfolgerung zieht, dass die entsprechenden Ideen nicht wahr seien, oder dass sie zumindest nicht erkennbar wahr seien, dann ist das ein Schluss, bei dem er die die Grenzen der Sozialwissenschaften überschreitet.

Denn eine Behauptung wie die, dass etwas, was im Lauf der Zeit entstanden ist und von sozialen Bedingungen abhängt, keine Wahrheit oder keine Erkennbarkeit beanspruchen könne, ist keine sozialwissenschaftliche These mehr. Bei einer solchen Behauptung geht es nicht mehr allein um soziale Phänomene, sondern auch um "Geltungsfragen". Das betrifft auch nicht nur die Philosophie, sondern auch die Naturwissenschaften und allgemein unser Denken und Erkennen.

 

Die recht verstandene Sozialwissenschaft fragt: "Wie sind bestimmte Geltungsansprüche entstanden und welche sozialen Bedingungen haben sie?", aber nicht: "Sind diese Geltungsansprüche in der Sache berechtigt ?" (Es sei denn natürlich, es ginge eben um die Geltungsansprüche sozialwissenschaftlicher Thesen.)

 

vor 13 Stunden schrieb Marcellinus:

Alles, was wir in dieser Welt beobachten können, ist entstanden, und das gilt auf der sozialen Ebene unseres Universums genauso wie auf der physikalischen und biologischen. Alles a priori, von dem die Philosophen so wortreich erzählen, ist eben ein a posteriori dessen, was ihm vorausgegangen ist.

 

Keine Frage - aber "a priori" im erkenntnistheoretischen Sinne heißt ja auch nicht, dass etwas zeitlich vor etwas anderem existiert. Es heißt auch nicht, dass eine Erkenntnis ohne jede "Erfahrung" existieren könnte. Es ist nur gefordert, dass dann, wenn man etwas (an einem Beispiel) versteht, auch die Notwendigkeit und die Allgemeingültigkeit versteht, ohne diese beispielsweise induktiv herleiten zu müssen.

 

Zitat

Wenn man dann noch jedem, der dieser Art von Philosophie die Anerkennung verweigert, wohlgemerkt ohne daß sie irgendwelche sicheren Erkenntnisse vorzuweisen hätte, die nicht flugs von anderen Philosophen verworfen werden, dem wird dann „schlechte Metaphysik“ vorgeworfen, nach dem Motto „Haltet den Dieb!, rief der Dieb“. 

 

Wie gesagt habe ich mit der Rede von "absoluten Begriffen" Schwierigkeiten, weil ich nicht weiß, was genau das bedeuten soll. Damit der "Vorwurf", den Du beklagst (und der ja nicht wirklich als "Vorwurf" gemeint ist), aber nicht ungerechtfertigt im Raume stehe, versuche ich die Sache einmal zu konkretisieren.

 

 

Die These lautet: "Durch Nachdenken ohne empirische Prüfung - insbesondere das philosophische - kann man zu keinen Erkenntnissen gelangen."

 

Wie kann eine Rechtfertigung - noch dazu eine empirische - für diese These aussehen?

 

 

I) Indirekter Beweis aus sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen?

 

Das wäre das, was wir gerade hatten. Das Argument lautet hier:

 

"Die Soziologie beweist empirisch, dass (philosophisches) Nachdenken soziale Voraussetzungen sowie eine Entwicklung hat."

 

Für einen gültigen Beweis muss da aber noch folgende kritische Zusatz-Prämisse hinzutreten:

 

"Thesen, die soziale Bedingungen und eine historische Entwicklungsgeschichte haben, können nicht erkennbar wahr sein."

 

Das nun ist aber ein Satz, der sich empirisch ganz sicher nicht prüfen lässt, weder im Sinne einer Bestätigung noch im Sinne einer Falsifikation. Und zwar aus analogen Gründen nicht, aus denen auch die "eigentliche" These ("Durch Nachdenken [...] kann man zu keinen Erkenntnissen gelangen") sich empirisch nicht prüfen lässt. Siehe unten.

 

Zweitens führt das aber wie schon angedeutet in ein Dilemma: Denn die Behauptung "Thesen, die soziale Bedingungen und eine historische Entwicklungsgeschichte haben, können nicht erkennbar wahr sein" ist ja offenbar selbst eine sozial bedingte und historisch gewachsene These. Nach den eigenen Maßstäben dürfte diese These dann also selbst nicht erkennbar wahr sein, womit sie natürlich auch nicht als Beweis für etwas taugt.

 

 

II) Direkter Beweis?

 

Dass ein solcher Beweis nicht funktionieren kann, hatte ich "weiter oben" schon in aller Kürze angedeutet. Hier nochmals zusammengefasst:

 

"- Es handelt sich hier [bei der These, dass man durch Denken ohne empirische Prüfung nichts gewinnen könne] um eine strikte Allgemeinaussage, die schon deswegen nicht [im strikten Sinne] empirisch beweisbar ist (man kann nicht jeden einzelnen möglichen "nicht-empirischen" Gedankengang überprüfen).

- Um die Behauptung wenigstens einigermaßen plausibel zu machen, bliebe nur die Induktion: Man müsste aufzeigen, dass zumindest bisher kein Gedanke ohne empirische Prüfung zu echter Erkenntnis geführt haben. 

Die Gültigkeit der Induktion (soweit die Gültigkeit der Induktion eben reicht), folgt aber weder rein aus logischen Prinzipien, noch lässt sie sich selbst induktiv begründen (sonst hätte man es mit einem Zirkel zu tun). Induktion lässt sich höchstens durch ein "Denken, das empirisch nicht überprüfbar ist" - nämlich durch ein Verständnis relevanter Zusammenhänge - rechtfertigen. Also genau durch das, was es laut These nicht geben darf.

- Ein "reines Denken", das bisher nicht empirisch geprüft wurde, aber prinzipiell empirisch prüfbar ist, kann widerlegt werden - und damit ist dann zugleich auch gezeigt, dass es sich bei diesem "reinen Denken" nicht um Erkenntnisse gehandelt haben kann. (Denn falsche Erkenntnis gibt es quasi "per definitionem" nicht, höchstens vermeintliche Erkenntnis).

Was ist aber mit "reinem Denken", dessen Wahrheitsgehalt sich prinzipiell einer empirischen Prüfung entzieht? (Und das ist wohl der interessantere Teil.) Wenn man nicht empirisch beweisen kann, dass sie falsch sind, wie soll man dann empirisch beweisen, dass sie keine Erkenntnisse darstellen?"

 

Damit zum nächsten Punkt:

 

 

III) Indirekter Beweis aus der Tatsache, dass es Meinungsverschiedenheiten gibt?

 

Das wäre wie gesagt nur ein Plausibilitäts-Argument und kein Beweis, und selbst dieses ist wie dargelegt mit erheblichen Problemen behaftet. Beispielsweise gelangt man schon in einer Situation, in welcher manche die These T für wahr, andere für falsch und wieder andere für unentscheidbar halten, zu einem Widerspruch. (Man müsste dann schießen, dass die These T nicht entscheidbar ist, aber zugleich, dass man nicht wissen kann, ob sie entscheidbar ist.)

 

 

IV) Mögliche Falsifizierbarkeit?

 

Aber vielleicht ist die These, dass man mit dem "reinen Denken" auf keinen grünen Zweig kommt, zumindest empirisch falsifizierbar, wenn man sie schon nicht empirisch belegen kann? Doch wie sähe eine empirische Falsifizierung aus? Diese wäre doch nur anhand eines Gegenbeispiels möglich. Man müsste empirisch beweisen, dass eine bestimmte (philosophische) Überlegung eine echte Erkenntnis darstellt. Aber wie sollte man das tun?

Man würde vielleicht eine philosophische Überlegung suchen und finden, die sich empirisch als wahr herausgestellt hat, denn was sollte man sonst tun? Vielleicht schaut man, ob eine spätere wissenschaftliche Untersuchungen eine philosophische Idee X bestätigt hat?

Aber das ist kein Beweis. Es könnte reiner Zufall sein, dass die philosophische Überlegung X sich später empirisch als wahr herausgestellt hat. Schließlich gab es vielleicht auch Philosophen, die X verneint hatten. Außerdem betreffen sehr viele interessante philosophische Überlegungen Sachverhalte, die einer empirischen Überprüfung gar nicht zugänglich sind.

 

 

Fazit

 

Die These "Durch Nachdenken ohne empirische Prüfung - insbesondere das philosophische - kann man zu keinen Erkenntnissen gelangen" ist mit Sicherheit nicht empirisch prüfbar. Sie kann empirisch weder bewiesen noch widerlegt werden. (Sie könnte höchstens durch Denken belegt werden, aber das wäre ein Selbstwiderspruch.) Deswegen lässt sich m.E. eben begründet sagen, dass eine solche These ihrer Art nach "philosophisch" ist.

 

 

(Oder meinst Du das alles viel schwächer, im Sinne von: "Ich schließe gar nicht aus, dass man durch 'Denken' echte Erkenntnisse gewinnen kann, nur hat mich bisher noch kein Beispiel überzeugt?")

 

Ich meine, ich verstehe jetzt besser, wie Du die ganze Sache siehst und wieso Du meinst, dass Deine Betrachtungsweise allen schon auf Basis sozialwissenschaftlicher Befunde gerechtfertigt werden kann. Aus meiner Sicht allerdings überschreitet die entsprechende Argumentation die Grenzen der Sozialwissenschaft - und zwar genau in dem Moment, in dem die Argumentation nicht bei der Erforschung der sozialen Genese und Bedingungen einer Theorie stehenbleibt, sondern sich zur Richterin über den inhaltlichen Geltungsanspruch dieser Theorie macht und denselben negiert, und zwar allein schon deswegen, weil die entsprechende Theorie überhaupt eine soziale Genese und soziale Bedingungen hat. (Was hier für "Theorien" gesagt wurde, gilt insbesondere, aber nicht allein für "philosophische Theorien".)

 

Dass mit alledem der Wert und die Bedeutung sozialwissenschaftlicher Forschungen und Reflexionen, die auf "Wissen" und "Wissenschaft" abzielen, keineswegs infragegestellt werden soll, versteht sich hoffentlich von selbst.

 

Vielleicht gehst Du die Sache auch zu "theoretisch" an, zu sehr von einem ganz bestimmten Philosophie-Verständnis ausgehend. Ich habe einen Artikel zum Thema "Metaphysics of Science" gefunden, der mir recht gut zu sein scheint (ich habe ihn noch nicht komplett durchgelesen).

 

Da geht es eben um philosophische Fragen, und ich meine, dass man diese sich durchaus sinnvoll stellen kann. Und wenn es unterschiedliche Meinungen gibt, dann kann man ja die Argumente verglichen und selbst nachdenken - und ggf. mag man auch zum Ergebnis kommen, dass schon die Voraussetzungen der Fragestellung unangemessen sind und man die Sache anders angehen sollte.

 

Und wenn man beispielsweise analysiert, inwieweit sich das Verhältnis von Ursache und Wirkung rein logisch darstellen lässt und dabei zum Ergebnis kommt, dass ein bestimmter Ansatz in vielen Fällen gut funktioniert, aber in manchen auch nicht, dann hat man zwar nicht "die" Lösung - aber man hat vielleicht trotzdem etwas gelernt und sein Verständnis erweitert. 

 

Insofern hier gleich zum Schmökern für Interessierte. Wenn man die doch etwas ausführliche Einleitung samt historischem Überblick weglassen möchte, kann man bei 3. anfangen, so dass ich das an dieser Stelle auch so verlinke:

 

https://iep.utm.edu/met-scie/#H3

 

bearbeitet von iskander
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Versuchst du gerade, mich mit langen Texten zu erschlagen? Wenn ja, dann wird es dir sicherlich gelingen. 

 

vor 11 Stunden schrieb iskander:
Am 7.12.2023 um 12:33 schrieb Marcellinus:

Philosophie wird beschrieben als Nachdenken über grundsätzliche Fragen und kritische Reflexion zentraler Begriffe zum Verständnis und zur Deutung der menschlichen Existenz.

 

Ist das denn so unterschiedlich zu dem, was Du machst? ;)

 

Hast du dich schon mal gefragt, warum? Der Grund ist ganz einfach: ich versuche dir zu antworten! 

 

vor 11 Stunden schrieb iskander:

Auch Du machst Dir ja Gedanken darüber, was die Stellung des Menschen ist, was er zu erkennen vermag, wo die Grenzen der Erkenntnis liegen usw. Und wenn Deine Antworten diesbezüglich eher restriktiv ausfallen, sind es doch Antworten. Selbst wenn Du überzeugt bist, dass Deine Aussagen ein gutes Fundament haben, sind sie zumindest thematisch hier zu verorten. Und Begriffe wie "Wissen", "Wissenschaft", "Bedingtheit durch soziale Prozesse", "Wahrheit", "Unerreichbarkeit der Wahrheit" spielen ja auch bei Dir eine wichtige Rolle.

 

Da hast du es. Ich lasse mich auf deine Gedanken ein, und daraufhin bekomme ich zur Antwort, ich machte ja nichts anderes als du, und damit betriebe ich Philosophie (und dazu noch eine schlechte!). Du nimmst dir meine Begriffe, entkleidest sie dessen, was damit begriffen werden soll, und machst sie damit zu philosophischen Begriffen. 

 

Du entkleidest Begriffe wie "Wissen" oder "Wissenschaft" ihres soziologischen Charakters, stellst sie auch noch in eine Reihe mit "Wahrheit", obwohl du weiß, daß du bis heute nicht sagen kannst, was das ist. Konnte es sein, daß du herumtrickst?

 

vor 11 Stunden schrieb iskander:

Die These "Durch Nachdenken ohne empirische Prüfung - insbesondere das philosophische - kann man zu keinen Erkenntnissen gelangen" ist mit Sicherheit nicht empirisch prüfbar. Sie kann empirisch weder bewiesen noch widerlegt werden. (Sie könnte höchstens durch Denken belegt werden, aber das wäre ein Selbstwiderspruch.) Deswegen lässt sich m.E. eben begründet sagen, dass eine solche These ihrer Art nach "philosophisch" ist.

 

Das würde Hans Albert als eine Variante das Münchhausen-Trilemmas bezeichnen: Nachdenken kann nicht bewiesen werden, es sei denn durch weiteres Nachdenken, was aber kein Beweis ist. Daß das Philosophie ist, darauf können wir uns sofort einigen. Sinnvoll ist das alles nur innerhalb der Philosophie selbst. Und damit wären wir wieder bei dem Vergleich mit der Religion, denn so wie es keine außenreligiösen Gründe mehr dafür gibt, einer Religion anzuhängen, gibt es auch keine außerphilosophischen Grunde mehr dafür, Philosophie zu betreiben. Jedenfalls hast du bis jetzt keinen genannt. 

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Am 8.12.2023 um 13:07 schrieb Marcellinus:

Versuchst du gerade, mich mit langen Texten zu erschlagen?

 

Nein. Es ergibt sich daraus, dass ich auf möglichst alle Aspekte Deines Beitrags eingehen möchte. Aber dieser Beitrag ist hoffentlich kompakter.

 

Am 8.12.2023 um 13:07 schrieb Marcellinus:

Hast du dich schon mal gefragt, warum? Der Grund ist ganz einfach: ich versuche dir zu antworten! 

 

Sicher. Aber in dieser Antwort sagst Du ja auch, was Du meinst.

 

Am 8.12.2023 um 13:07 schrieb Marcellinus:

Da hast du es. Ich lasse mich auf deine Gedanken ein, und daraufhin bekomme ich zur Antwort, ich machte ja nichts anderes als du, und damit betriebe ich Philosophie (und dazu noch eine schlechte!). Du nimmst dir meine Begriffe, entkleidest sie dessen, was damit begriffen werden soll, und machst sie damit zu philosophischen Begriffen. 

 

Vielleicht besteht da wirklich ein Missverständnis, das sich nur klären lässt, wenn wir eine Schritt zurückgehen: Was sind Deiner Meinung nach spezifisch philosophische Begriffe (bzw. die Begriffe, die ich benutze) und worin unterscheiden sie sich von den Begriffen, die Du benutzt?

 

Oder anders gefragt: Wenn ein Philosoph über die "Grenzen der menschlichen Wissens", über die "Natur der Wissenschaft" usw. spricht, bezieht er sich mit Begriffen wie "Wissen", "Wissenschaft", "Mensch" usw. wirklich auf etwas (grundsätzlich) anderes als Du?

 

Bisher dachte ich: Nein. Wir haben grundsätzlich die gleichen Begriffe und beziehen uns also im Prinzip auf die gleichen "Gegenstände" - nur dass wir eben unterschiedliche Behauptungen über diese "Gegenstände" aufstellen. Und deswegen war ich eben auch davon ausgegangen, dass das, was Du sagst, thematisch in die Philosophie gehört. (Ob das dann ggf. eine gute oder weniger gute Philosophie wäre, wäre wieder eine andere Frage - ich würde es dabei belassen, dass ich persönlich sie nicht teile.)

 

Wenn jedoch bereits auf der Ebene der Begriffe ein fundamentaler Unterschied besteht, wäre es wichtig, das zu klären, sonst redet man aneinander vorbei.

 

Am 8.12.2023 um 13:07 schrieb Marcellinus:

Du entkleidest Begriffe wie "Wissen" oder "Wissenschaft" ihres soziologischen Charakters [...]


Das ist nicht meine Absicht. Natürlich haben die Phänomene "Wissen" und "Wissenschaft" eine soziale Seite, und das streite ich auch nicht ab. Aber das heißt nicht, dass Phänomene wie Wissen und Wissenschaft nur eine soziale Seite hätten. Sie haben nämlich auch eine inhaltliche und eine erkenntnistheoretische Seite, welche von einem rein soziologischen Begriff nicht erfasst wird.

 

In der Encyclopedia Britannica heißt es:

 

"social science, any branch of academic study or science that deals with human behaviour in its social and cultural aspects."

 

In der Wikipedia heißt es über "Sociology of scientific knowledge" (einen Britannica-Eintrag dazu gibt es nicht):

 

"The sociology of scientific knowledge (SSK) is the study of science as a social activity, especially dealing with "the social conditions and effects of science, and with the social structures and processes of scientific activity."[1]"

 

 

Zu den Fragen, die die Sozialwissenschaften interessieren, würde damit unter anderem gehören: Welche sozialen Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Wissen generiert werden kann? Welche sozialen Prozesse begleiten und strukturieren das wissenschaftliche Arbeiten? Wie wirken soziale Ereignisse und Zustände auf die Wissenschaft zurück? Welche sachfremden sozialen Variablen verzerren die Ergebnisse der Wissenschaft? Und welchen Einfluss wiederum hat die Wissenschaft auf die Gesellschaft?

 

Gleichzeitig gibt es aber doch auch Fragen, die eben nicht unmittelbar ins Feld der Soziologie gehören, beispielsweise:

 

Was ist Wissen? Welche Arten von Wissen gibt es überhaupt? Was kann man wissen? Kann Wissenschaft genuines Wissen generieren? (Falls ja, nur "negatives" oder auch "positives"?) Wie viel Theorie fließt bereits in die Beobachtung ein, und untergräbt dieses "Einfließen" die Geltung wissenschaftlicher Resultate? Gibt es im Fall eines Paradigmenwechsels in der Wissenschaft rationale Kriterien, an denen man seine Angemessenheit festmachen könnte?

 

In all diesen Fragen kommen Begriffe, die auf soziale Phänomene qua soziale Phänomene abzielen würden, nicht einmal vor. Würdest Du denn dennoch behaupten, dass all diese Fragen - und zumindest einen Teil von ihnen diskutierst Du ja auch - trotzdem rein "sozialwissenschaftliche" Fragen seien? Falls ja, wie soll man diese Fragen rein sozialwissenschaftlich stellen und beantworten?

 

Entsprechende Fragen wie die zuletzt aufgeführten gehören nach den üblichen Definitionen in die Erkenntnis-  bzw. Wissenschaftstheorie. Die Britannica dazu:

 

"epistemology, the philosophical study of the nature, origin, and limits of human knowledge."

 

("Origin" ist dabei mit Sicherheit nicht im Sinne der historischen Entwicklung ("Genese"), sondern der sachlogischen Rechtfertigung zu zu verstehen.) 

 

Mir geht es hier nicht um ein Autoritätsargument in dem Sinne, dass etablierte Definitionen eo ipso immer sinnvoll und angemessen sein müssten; im konkreten Fall sehe ich aber weder unter thematisch-inhaltlichen noch unter methodisches Gesichtspunkten, was an ihnen unangemessen sein sollte. 

 

Damit soll natürlich auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Sozialwissenschaften dazu beitragen können, jene Fragen zu beantworten, die man normalerweise als "philosophisch" klassifiziert; ich würde aber bestreiten, dass die Soziologie sie direkt und aus eigener Kraft beantworten kann, oder dass solche Fragen per se überhaupt in die Domäne der Sozialwissenschaften gehören würden.

 

Zitat

[...] stellst sie auch noch in eine Reihe mit "Wahrheit", obwohl du weiß, daß du bis heute nicht sagen kannst, was das ist.

 

 

"Meine" Definition lautet: Wahrheit ist eine Eigenschaft (möglicher) Überzeugungen und Aussagen: Eine Überzeugung ist genau dann wahr, wenn der Sachverhalt, von dessen Existenz (resp. Nicht-Existenz) man überzeugt ist, tatsächlich besteht (resp. nicht besteht); eine Aussage ist genau dann wahr, wenn der Sachverhalt, dessen Existenz 8rsp. Nicht-Existenz) sie behauptet, tatsächlich besteht (resp. nicht besteht).

 

Diese Art von Wahrheitsbegriff geht in der Philosophie bis auf Aristoteles zurück und muss m.E. auch allen "anspruchsvolleren" Wahrheits-Begriffen zugrundeliegen. Aristoteles schrieb:

 

"Zu sagen nämlich, das Seiende sei nicht oder das Nicht-Seiende sei, ist falsch, dagegen zu sagen, das Seiende sei und das Nichtseiende sei nicht, ist wahr. Wer also ein Sein oder Nicht-Sein prädiziert, muss Wahres oder Falsches aussprechen. […] Nicht darum nämlich, weil unsere Meinung, du seiest weiß, wahr ist, bist du weiß, sondern darum, weil du weiß bist, sagen wir die Wahrheit, indem wir dies behaupten."

 

("Seiendes" und "Nicht-Seiendes" wird man hier als "was der Fall ist" und "was nicht der Fall ist" lesen dürfen. Und wenn man von "der Wahrheit" allgemein spricht, könnte man dementsprechend vielleicht formulieren: "Die Wahrheit" ist der Inbegriff und die Gesamtheit aller einzelnen (potentiellen) wahren Überzeugungen und Aussagen.)

 

Das ist zugleich unser ganz alltäglicher Wahrheitsbegriff: Wenn wir sagen die Behauptung, dass es regnet, sei "wahr" dann meinen wir, dass es tatsächlich regnet. Es ist auch der Wahrheits-Begriff der Wissenschaft: Wenn die NASA sagt, es sei wahr, dass es Wasser auf dem Mars gebe, dann meint sie, dass es dort tatsächlich welches gibt. Wenn die Zoologie sagt, dass es wahr sei, dass Wale keine Säugetiere sind, dann meint sie damit, dass Wale tatsächlich keine Säugetiere sind. 

 

Und hier muss ich Dir auch ein wenig widersprechen. Ich hatte schon immer wieder erklärt, was ich unter "Wahrheit" verstehe. Vielleicht ist diese Explikation Dir zu banal. Aber dem würde ich entgegenhalten: Wenn es um sehr grundlegende Begriffe geht, dann ist das eben oft so. Man kann natürlich noch viel mehr zum Thema "Wahrheit" sagen, aber wenn es um den Begriff "Wahrheit" selbst geht, sollte sich der philosophische Begriff nicht grundsätzlich vom alltäglichen unterscheiden.

Und das gilt auch allgemeiner: Manchmal sind philosophische Begriffe reflektierter oder raffinierter als der alltägliche Sprachgebrauch, aber dennoch entsprechen sie doch oftmals dem, was man auch im Alltag mit entsprechenden Begriffen bezeichnet, oder bauen unmittelbar darauf auf. Das gilt etwa auch für die Begriffe "Wissen" und "Wissenschaft". Eine "Theorie" kann dann dazutreten.

 

Am 8.12.2023 um 13:07 schrieb Marcellinus:

Das würde Hans Albert als eine Variante das Münchhausen-Trilemmas bezeichnen: Nachdenken kann nicht bewiesen werden, es sei denn durch weiteres Nachdenken, was aber kein Beweis ist.

 

Wobei Albert allerdings für die Prämissen seines Trilemmas selbst eine Erkennbarkeit beansprucht, die es laut dem Trilemma eigentlich nicht geben dürfte - aber das wäre wider ein anderes Thema, ebenso wie weitere kritische Bemerkungen. 

 

Zitat

Daß das Philosophie ist, darauf können wir uns sofort einigen. Sinnvoll ist das alles nur innerhalb der Philosophie selbst.

 

Allerdings behauptest Du nun - wenn ich Dich nicht gründlich missverstehe - dass es Erkenntnis nur dort geben könne, wo es empirische Prüfung gibt. Deshalb könne die Philosophie auch keine Erkenntnis gewinnen.

 

Jetzt stellt sich aber natürlich die Frage, ob diese These selbst empirisch beweisbar oder wenigstens empirisch falsifizierbar ist. Wie ich hoffe, überzeugend dargelegt zu haben, ist sie das nicht, auch nicht mithilfe der Sozialwissenschaften.

Damit stellt sich nun aber die Frage, was denn der Status dieser These ist, wenn sie nicht "philosophisch" sein soll. (Und natürlich stellt sich auch noch die Frage, ob man ohne Widerspruch davon ausgehen kann, dass diese These eine Erkenntnis darstelle.)

 

 

Mir scheinen zwei Fragen(komplexe) zentral zu sein:

 

1) Unterscheiden sich die Begriffe, die Du explizit oder implizit beanspruchst, wenn Du über die Grenzen des Wissens und der Wissenschaft schreibst, wirklich grundlegend von den zugehörigen philosophischen Begriffen (bzw. von den Begriffen, die ich benutze)? Und wenn ja, inwiefern?

 

2) Gehören Fragen wie die, was Wissen ist, was man "überhaupt" wissen kann, wo die Grenzen der empirischen Wissenschaften verlaufen usw., wirklich in die Soziologie? Wenn ja, wie?

bearbeitet von iskander
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