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Eure Antworten auf die "Leid-Frage"


Martin

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Nein, wenn diese Schöpfung nicht "gestört", "gefallen" ist, dann können wir es uns zwar nach Kräften gemütlich machen, müßten das unvermeidliche Leid und den Tod aber als gottgewollt hinnehmen.

 

Das Evangelium sagt uns etwas anderes: Gott will nicht, daß Menschen leiden und sterben - Jesus heilt Kranke, weckt Tote auf, um das Reich Gottes zu verkünden, das eben nicht von dieser Welt ist.

Das schließt sich nicht aus. Auch zur Zeit Jesu gab es Leiden und Sterben. Ich sehe in den Evangelien auch kein Anzeichen dafür, dass wir hier in der falschen Welt gelandet sind, und Gott eigentlich etwas völlig anderes mit uns vorhatte.

 

Der schlimmste Satz in einer Todesanzeige heißt: "Gott dem Herrn hat es gefallen, das unser lieber Sowieso von uns gegangen ist." Nee, Freunde, daß hat dem lieben Gott so wenig gefallen, daß er dem Sowieso durch den Tod hinterhergelaufen ist, um ihn zu retten.

 

Das weißt du doch gar nicht, was Gott wollte. Die Bitterkeit solcher Sätze gehört ebenso zum Glauben, wie dessen angenehme Seiten. Schwer erträglich finde ich es allerdings, wenn man anderen vorschreiben möchte, wie sie zu trauern haben. Ist es so unakzeptabel zu glauben, dass es Gott gefallen hat, die Dinge so laufen zu lassen, wie sie sind?

 

Der der über dem Gesetz steht, ist in diese, dem Tode verfallene Welt gekommen, um uns da raus zu holen. Das ist unsere Hoffnung.

 

Meine nicht. Die Welt ist zwar brutal, aber immerhin diejenige, für die die Mehrzahl der Menschen geboren wurde. So übel ist die Welt nicht.

 

Ich frage mich, warum die Theologen und Philosophen solchen Wert auf die einigermaßen schlüssige Beantwortung der Theodizee-Frage legen. Bei der Beantwortung dieser Frage ist der Reinfall im Grunde schon vorprogrammiert. Die Beantwortung dieser Frage schadet mehr als sie nützt.

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Zur Frage der Naturkatastrophen, die das nichtmenschengemachte Böse darstellen, würde ich gerne mit der traditionellen Antwort kommen, daß das Diesseits eben nicht perfekt ist (man denke nur an die furchtbaren Grausamkeiten im Tierreich!) und unser Leben hier auf Erden eben eine Prüfung ist. Erholen können wir uns im Paradies.

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Ist diese schon tausendmal beantwortete Frage nicht besser in der Gladiatoren-Arena aufgehoben?

 

Blackbox Datenbank - Update

Mit Sicherheit ist sie es nicht, Christoph. Wir möchten dieser Frage im christlichen Austausch nachgehen, ohne sofort und zuallererst Gott dabei in Frage zu stellen.

 

Es ist eher eine Suche und nicht ein Schlagabtausch. Spürst du nicht den Unterschied dieses Threads zu denen in der Arena?

 

Herzliche Grüße

Martin

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Lieber Kollege squire, :blink:

 

Ich frage mich, warum die Theologen und Philosophen solchen Wert auf die einigermaßen schlüssige Beantwortung der Theodizee-Frage legen.

"Schlüssig" muß die Antwort sein, damit wir darüber intersubjektiv reden können. Glauben - jedenfalls der jüdisch-christliche - ist ja keine Einmannveranstaltung, wo jeder für sich dahintapert. Wir sollen einander auch Antworten geben können.

 

Diese Antworten müssen Antworten auf die gestellten Fragen sein. Das klingt trivial, ist es aber nicht. Gerade wenn die Antwort schwierig ist, neigt man nämlich gern mal dazu, irgendwas zu sagen, das dem Fragesteller erst mal das Maul stopft. Gerade in der Religion wird gerne so operiert.

 

Nun wird die Theodizee-Frage aber durchaus auch so gestellt, daß sie ein schlüssige - also sprachlich formulierte, widerspruchsfreie - Antwort verlangt. Wer so fragt, hat auch ein Recht auf Antwort. Und dann genügt es eben nicht, denjenigen zum gemeinsamen Gebet einzuladen, mit ihm das Leid in der Welt zu beweinen oder ihm Trost zuzusprechen. Denn für denjenigen wäre das einfach keine Antwort. Dem gäbe man damit nur Steine statt Brot.

 

Die Theodizee-Frage schlüssig zu beantworten, ist aber auch ein Prüfstein für unseren Glauben selbst. Denn von dem behaupten wir ja gerade, daß er nicht nur auf eine unaussprechbare, mystisch-meditative Weise wahr sei, sondern auch mit der Vernunft (Achtung: was mehr ist als bloße "Rechenkunst") verstehbar. Tatsächlich muß er das auch sein. Denn er soll uns ja im ganzen erfassen können, und nicht nur dann, wenn wir den Verstand ausschalten. Die Welt und uns vernunftgemäß verstehen zu können, ist eine unserer fundamentalen Eigenschaften. Sie ist uns so tief eingeprägt, daß man dabei durchaus von einer existenziellen Grundkonstante sprechen kann. Wenn - wie wir behaupten - uns unser Glauben mit seinen Wahrheiten umfassend offenbart worden ist, dann heißt das auch, daß wir imstande sind, ihn zu verstehen. Könnten wir das nicht, dann spielte Gott in Wahrheit eben nicht "mit offenen Karten".

 

Das heißt: wenn sich herausstellte, daß eine vernunftgemäße Antwort auf die so - also mit dem Ziel einer solchen Antwort - gestellte Theodizeefrage nicht möglich wäre, dann wäre unser Glauben falsch, und wir täten gut daran, ihn schnellstmöglich abzulegen. Dann müßten wir von dem Konzept der Offenbarungsreligion weg, und etwa zu dem einer esoterischen Initiationsreligion wechseln, bei der nur die wenigen Initiierten aufgrund mystischer Erleuchtung an der ganzen Wahrheit teilhaben.

 

Das hätte dramatische weitere Konsequenzen:

 

Der "Normalgläubige" hätte damit keinen unmittelbaren Kontakt zu Gott mehr - er könnte ihn nicht mehr "Vater" nennen. Er müßte sich immer an einen Initiierten wenden, denn er bräuchte einen Übersetzer, der die unverstehbaren Forderungen und Verheißungen der Gottheit vermittelt.

 

Wir könnten nicht mehr glauben, daß Gott uns "sich ähnlich" erschaffen hat. Denn wenn Gott so fremd ist, daß wir ihn nicht mehr verstehen können, sind wir ihm nicht mehr ähnlich. Ähnlichkeit führt zu Verständlichkeit.

 

Wir könnten Gott schon wegen seiner Unverstehbarkeit nicht mehr als alliebenden und allmächtigen Schöpfer ansehen. Denn er hätte uns dann so erschaffen, daß wir ihn nicht verstehen können. Entweder, weil er uns nicht so erschaffen konnte, daß wir ihn verstehen, oder weil er sich uns nicht verständlich machen wollte. Wer liebt, will aber auch, daß man ihn versteht, denn undurchdringliche Rätselhaftigkeit macht ängstlich und unsicher. Wer liebt, wird den Geliebten das ersparen wollen.

 

Zu sagen, daß die Theodizee-Frage nicht sinnvoll vernünftig beantwortet werden kann, heißt in letzter Konsequenz, daß Christsein unmöglich ist.

 

Bei der Beantwortung dieser Frage ist der Reinfall im Grunde schon vorprogrammiert.  Die Beantwortung dieser Frage schadet mehr als sie nützt.

Die richtige Beantwortung einer Frage kann nie schaden. Schaden können nur Irrtümer.

 

Es kann sein, daß die richtige Antwort auf die Theodizee-Frage dem christlichen Glauben schadet - aber nur dann, wenn der christliche glaube ein Irrtum ist. Dann ist es aber kein Schaden, wenn er zerfällt.

 

Bei der Bemühung um eine Antwort können Irrtümer auftreten und vor allem Irrtümer offenbar werden. Das zeigt sich schon an den Widersprüchen, die hier in der Diskussion aufgekommen sind. Wenn Widersprüche aufkommen, muß eine der einander widersprechenden Thesen, oder gar beide, falsch sein. Natürlich empfindet man so etwas erst einmal als Reinfall. Aber das ist ein heilsamer Reinfall.

 

Natürlich macht das das Leben nicht einfacher. Aber wer hat gesagt, daß es einfach sei?

bearbeitet von sstemmildt
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Lieber Kollege squire, :P

 

Ich frage mich, warum die Theologen und Philosophen solchen Wert auf die einigermaßen schlüssige Beantwortung der Theodizee-Frage legen.

"Schlüssig" muß die Antwort sein, damit wir darüber intersubjektiv reden können. Glauben - jedenfalls der jüdisch-christliche - ist ja keine Einmannveranstaltung, wo jeder für sich dahintapert. Wir sollen einander auch Antworten geben können.

 

 

Hallo Sven,

 

Ja, du hast Recht, der Glauben muß auch Antworten geben. Die gängigen Antworten auf die Theodizee-Fragen sind meiner Meinung nach aber "passend gemachte" Antworten, passend zur eigenen Befindlichkeit. Solche Antworten entfremden eher von der Religion als zu ihr hinzführen. Allein der großzügige Umgang mit der Behauptung "Gott will, dass ..." beinhaltet schon eine eigenmächtige Vereinnahmung. Man kann Gott nicht besitzen, indem man eine solche Art von Herrschaftswissen für sich reklamiert. Es steht hier nicht mehr Gott im Mittelpunkt, sondern der eigene Weltschmerz.

 

Eine der unverzichtbaren Voraussetzungen der Theodizee-Frage ist ja die Behauptung "Die Welt ist schlecht, eigentlich gehören wir hier gar nicht hin." Ich sehe das nicht so. Ich finde die Welt gut. :blink:

 

Und dann genügt es eben nicht, denjenigen zum gemeinsamen Gebet einzuladen, mit ihm das Leid in der Welt zu beweinen oder ihm Trost zuzusprechen. Denn für denjenigen wäre das einfach keine Antwort. Dem gäbe man damit nur Steine statt Brot.

 

Das habe ich nicht verstanden.

 

 

Die Welt und uns vernunftgemäß verstehen zu können, ist eine unserer fundamentalen Eigenschaften. Sie ist uns so tief eingeprägt, daß man dabei durchaus von einer existenziellen Grundkonstante sprechen kann. Wenn - wie wir behaupten - uns unser Glauben mit seinen Wahrheiten umfassend offenbart worden ist, dann heißt das auch, daß wir imstande sind, ihn zu verstehen. Könnten wir das nicht, dann spielte Gott in Wahrheit eben nicht "mit offenen Karten".

 

Dieser hohe Anspruch erschöpft sich allzu oft in der platten Behauptung, die Katholiken hätten zusammen mit Gott die Welt ausgeklüngelt und wüßten daher, wie der Hase läuft.

 

Die Behauptung "Gott läßt das Leiden zu, weil..." ist an Grausamkeit nicht mehr zu überbieten. Das impliziert ja die Aussage "Ich weiß, warum es Leiden gibt, und warum mein geliebter Gott es zuläßt. Ich akzeptiere das auch so." Damit versucht man, Herrschaft über etwas zu gewinnen, das einem doch letztlich zu groß ist.

 

Mit einer solchen Auffassung verbaut man sich die Möglichkeit, sich Gott und der Schöpfung in Ehrfurcht zu nähern. Religion verliert ihre Funktion, wenn man sie zur Wissenschaft macht.

 

Das heißt: wenn sich herausstellte, daß eine vernunftgemäße Antwort auf die so - also mit dem Ziel einer solchen Antwort - gestellte Theodizeefrage nicht möglich wäre, dann wäre unser Glauben falsch, und wir täten gut daran, ihn schnellstmöglich abzulegen.

 

Nein. Es besteht kein zwingender Zusammenhang zwischen Verstehen und Glauben.

 

Dann müßten wir von dem Konzept der Offenbarungsreligion weg, und etwa zu dem einer esoterischen Initiationsreligion wechseln, bei der nur die wenigen Initiierten aufgrund mystischer Erleuchtung an der ganzen Wahrheit teilhaben.

 

Unbegründete Angst. Wie kommst du zu diesem Schluß?

 

Wenn wir Gottes Handeln nicht verstehen bedeutet das doch nicht, dass er uns fremd ist.

 

Wir könnten Gott schon wegen seiner Unverstehbarkeit nicht mehr als alliebenden und allmächtigen Schöpfer ansehen.

 

Doch. Gerade dann.

 

Der Preis für dieses behauptete "Verstehen" ist , sich für Gott und sein Handeln verantwortlich fühlen zu müssen, ähnlich wie Eltern gegenüber ihren halbwüchsigen Kindern. Das ist kein Gott mehr, den man verehrt, sondern einer, für den man sich entschuldigt.

 

Zu sagen, daß die Theodizee-Frage nicht sinnvoll vernünftig beantwortet werden kann, heißt in letzter Konsequenz, daß Christsein unmöglich ist.

 

Ich kann sie nicht beantworten, fühle mich aber dennoch als Christ. Ich kann auch akzeptieren, dass ich sie nicht beantworten kann.

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Hallo Thomas,

 

 

Gibt es Zweifel,

daß eine ernsthaft zum Guten entschlossene Menschheit mit allen Übeln dieser Welt fertig werden kann?

...Und das Leid eliminieren würde?

Ich habe keine Zweifel, Josef, dass jedes Leid erträglich wird, wenn wir Menschen daran gemeinsam tragen und uns gegenseitig - in Liebe - ertragen.

Ich habe ganz erhebliche Zweifel daran...

Und wenn wir alle die allerbesten Christen wären, würden wir genauso wie

vorher an Krebs sterben, bei Unfällen ums Leben kommen, bei Erdbeben und Flutkatastrophen zugrunde gehen usw.

 

Das ist das eine. Das andere ist, daß Josefs Aussage impliziert, wir könnten auf dieser Erde die heile Welt schaffen. Dann hätte sich Gott den Aufwand mit der Menschwerdung, Kreuz und Auferstehung wirklich sparen können.

Martin hat richtig verstanden was ich sagen will.

Ich präzisiere meine Aussage:

 

Gibt es Zweifel,

daß eine ernsthaft zum Guten entschlossene Menschheit mit allen Übeln dieser Welt fertig werden kann?

...Und das Leid erträglich machen kann?

 

Gebe Dir jedoch recht:

Eine total heile Welt schaffen wollen, ist nicht gut.

Es würde unserem Leben auf Erden den Sinn nehmen.

Denn:

Es würde uns der Möglichkeit berauben, die Sache mit Gut und Böse zu erfahren.

 

Deshalb wird es der Menschheit nie gelingen das Leid in dieser Welt zu eliminieren.

 

Aber Annäherungen sind möglich und im Sinne JESU.

 

 

 

Gruß

josef

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Lieber Thomas,

 

es ist schon erstaunlich, wenn du du mich zitierst und meinst, ich ginge davon aus, eine heile Welt schaffen zu können.

 

(Martin) >Ich habe keine Zweifel, Josef, dass jedes Leid erträglich wird, wenn wir Menschen daran gemeinsam tragen und uns gegenseitig - in Liebe - ertragen. <

 

Das größte Leid rufen nicht Krankheiten und Naturkatastrophen oder Unfälle hervor, sondern das besorgen wir Menschen uns gegenseitig. Falls wir dieses menschengeschaffene Leid nicht mher "produzieren" und Menschen, die vom verbleibenden Leid betroffen worden sind, in ihrem Leid nicht allein lassen, dann leben wir in Jesu Nachfolge und haben das erreicht, was wir erreichen können.

 

Es wäre dann das möglich, was wir manchmal "HImmel auf Erden" nennen. Natürlich nur eine Ahnung, natürlich nur ein schwaches Abbild der Vollendung, aber ein gewaltiger Unterschied zu dem, was wir heute so in der Welt präsentiert bekommen.

 

Herzliche Grüße

Martin

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Lieber Sven,

 

deiner These, dass wir zufriedenstellende Antworten mit dem Verstand geben können müßten, kann ich nicht zustimmen.

 

"Gottes Wege sind nicht unsere Wege".

 

Das erste Gebot heißt daher nicht - du sollst den Herrn, deinen Gott, verstehen und erklären können mit all deinen Gedanken und du sollst ihn verständlich erklären mit all deinen Worten, sondern - du sollst ihn lieben. DAS können wir, mehr nicht.

 

Herzliche Grüße

Martin

bearbeitet von Martin
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Lieber Martin, lieber Squire,

 

ich will Martins Entgegnung vorziehen. Sie trifft einen sehr grundsätzlichen Punkt.

 

"Gottes Wege sind nicht unsere Wege".

 

Das erste Gebot heißt daher nicht - du sollst den Herrn, deinen Gott, verstehen und erklären können mit all deinen Gedanken und du sollst ihn verständlich erklären mit all deinen Worten, sondern - du sollst ihn lieben. DAS können wir, mehr nicht.

 

Ich begegne dieser These immer wieder, in den verschiedensten Varianten. Sie ist falsch, und der Fehler, der darinsteckt, hat m.E. so schwerwiegende Konsequenzen, daß man sich damit intensiv beschäftigen muß.

 

Zunächst aber zu dem, was daran richtig ist:

 

Gott ist unverstehbar. Martins Zitat oben ist eine Art, das auszudrücken. Er ist immer der "Ganz Andere" - das soll heißen, daß jedes Bild, das wir uns von Gott machen, jede Vorstellung von ihm in Wahrheit nicht einmal beanspruchen können, Bilder und Vorstellungen "von ihm" zu sein: es sind von uns geschaffene Bilder und Vorstellungen, die vor allem etwas über uns und kaum etwas über ihn mitteilen. Weil er selbst unserer Erkenntnis und unserer Überlegung nicht zugänglich ist, erschaffen wir uns Objekte, über die wir insofern verfügen können, mit denen wir bestimmte Aspekte unserer Beziehung zu Gott in Analogien ausdrücken. Diese Analogien sind uns verständlich, weil sie an unserer Erfahrung anknüpfen: Gott ist zu Zeiten, als alte Männer traditionell hohen Respekt genossen, als alter Mann dargestellt worden. Aus der Alltagserfahrung meinte man, in Analogie die Beziehung des Menschen zu Gott annähernd wiedergeben zu können, indem man sie zur Beziehung zu den respektierten Alten parallel setzte. In heutigen Zeiten, in denen ein vergleichbarer Respekt eher Naturerscheinungen entgegengebracht wird, greift man eher auf amorphe Lichteindrücke und ähnliches zurück. Gott ist aber weder ein alter Mann noch Licht, das durch Kirchenfenster fällt: er ist Ganz Anders.

 

Der Fehler liegt darin, daß Ihr meint, es gehe bei der Beantwortung der Theodizee-Frage (und ähnlichen) um das Verstehen Gottes. Tatsächlich aber geht es um das Verstehen der Welt und (bzw. und damit) der Offenbarung.

 

Gott selbst ist unverstehbar. Das heißt, er ist für uns verhüllt, unsichtbar - und das nicht nur auf den Gesichtssinn beschränkt. Was Gott ist, ist weder unseren Sinnen noch unserem Verstand zugänglich. Gott hat diese für uns unüberwindliche Grenze aber überwunden: er hat sich offenbart. Soweit sich Gott uns offenbart hat, können wir auch verstehen. Denn die Offenbarung ist von Gott - man kann da durchaus von einem Kommunikationsakt sprechen - so gemacht worden, daß wir sie verstehen können, weil wir sie verstehen sollen. Gott hat in unsere "Sprache", in unser Denken übersetzt, was wir von ihm wissen sollen, mit Mitteln, die unseren Sinnen zugänglich sind.

 

Der erste Offenbarungsakt Gottes gegenüber dem Menschen ist die Erschaffung des Menschen selbst. "Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich." (Gen 1,26) Das heißt, in uns selbst finden wir etwas von Gott wieder. Wir sind nicht Gott, auch keine "kleinen Götter", aber wir selbst sind Analogien zu Gott - eben ähnlich. Es gibt etwas an uns und in uns, das wir erkennen können (denn wir selbst sind unserem Sinn und Verstand durchaus zugänglich, wir sind ja "Welt"), das uns - wie alles Ähnliche - Aussagen über Gott ermöglicht.

 

Daß die Genesis unsere Gottebenbildlichkeit betont, läßt sich m.E. nicht anders deuten, als daß diese Möglichkeit, durch die Erkenntnis unser selbst etwas über Gott sagen zu können, von Gott ausdrücklich gewollt ist; eben als Akt der Offenbarung: "Seht auf Euch selbst, und Ihr werdet etwas davon sehen, wie ich bin!"

 

Die Bibel und andere Glaubenszeugnisse nennen aber nicht nur den Menschen, sondern die ganze Welt als Zeichen, als Signale, mit denen Gott sich offenbart, mit denen er dem Mnschen etwas über sich selbst mitteilt. Anders gesagt: alles, was in der Welt ist und geschieht (und nichts ist und geschieht in der Welt ohne seinen Willen), ist Zeichen Gottes, ist Offenbarung. Die Welt selbst, die gesamte Schöpfung ist Zeichen Gottes an die Schöpfung: darin, daß er sie so gemacht hat und geschehen läßt, offenbart sich Gott.

 

Wir können Gott nicht verstehen, aber wir können verstehen, was er uns offenbart, denn er offenbart es uns, damit wir es verstehen können. In diesem Offenbarungsakt überwindet Gott die anfangs geschilderte Grenze. Was wir nicht von uns aus erkennen und verstehen können, macht er uns erkennbar und verstehbar.

 

Gott offenbart sich aber nicht widersprüchlich. Er weiß, was wir erkennen und verstehen können, denn er hat unsere Fähigkeiten und Grenzen selbst gesetzt. Er ist treu; er wird uns nicht in die Irre führen, indem er uns falsche Signale gibt. Und er ist auch nicht einfach unaufmerksam; er setzt nicht unwillentlich falsche Signale.

 

Wenn wir in einer Welt leben, in der es Leid gibt, und die Welt selbst Offenbarung ist, dann ist auch das Leid Teil der Offenbarung. Wenn Gott sich uns aber so offenbart, daß wir die Offenbarung verstehen können (und einen anderen Sinn kann Gottes Offenbarungshandeln nicht haben, denn er wird uns nicht in die Irre führen wollen, um sich über unsere Verwirrung zu amüsieren), dann muß auch das Leid in der Welt verstehbar sein.

 

Weil Gott sich uns aber willentlich offenbart, und uns liebt, müssen wir - zu unserem eigenen besten - auch alles daran setzen, die Offenbarung zu verstehen. Tun wir das nicht, weil wir uns z.B. einreden, daß das ohnehin unverstehbar sei, werfen wir den Brief des Geliebten ungelesen weg. Das ist nicht nur dumm, es ist auch lieblos.

 

Und so komme ich zu Martins Hinweis auf das "erste Gebot":

 

"Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft." (Markus 12, 30)

 

Wenn wir die Offenbarung Gottes nicht lesen, nicht wahrnehmen und verstehen wollen, wenn wir also "seinen Brief ungelesen wegwerfen", dann lassen wir es genau daran mangeln, Gott mit all unseren Gedanken und all unserer Kraft zu lieben. Er hat uns die Offenbarung geschenkt, damit wir verstehen können, und sie ist auch dort verborgen - nein: offenbar, wo sie uns unbequemes und vermeintlich grausames zu sagen scheint.

 

Gott offenbart sich, so erschütternd und erschreckend das auch erscheinen mag, auch in den grausamen Leiden eines Kindes. Er offenbart sich - das heißt aber auch, daß wir dieses Leiden verstehen können und müssen, und zwar in dem, was es uns über Gott sagt. Denn er hat sich uns offenbart, damit wir verstehen.

 

Davor zurückzuschrecken, ist gefährlich. Nicht nur abstrakt, weil wir damit Gottes Offenbarung vergeuden. Sondern auch ganz konkret. Daß wir davor zurückschrecken, liegt nämlich daran, daß wir - entgegen dem, was uns offenbart ist - unser Bild von Gott, unsere selbsterschaffenen Vorstellungen die Überhand gewinnen lassen. Es ist hier im Forum schon oft darüber gesprochen worden, daß man Gott nicht "weichspülen" sollte. Kaum eine Art des "Weichspülens" ist meiner Meinung nach schlimmer als die, etwas für unverstehbar zu deklarieren, das durchaus verstanden werden kann und soll - nur leider auf eine Weise, die unserem Bild von Gott - also dem, das wir erschaffen haben - nicht entspricht.

 

Das ist eine sehr zuverlässige Methode, sich selbst zu belügen und dabei auch noch ein besonders gutes Gewissen zu haben. Denn man redet sich dabei ein, Gott vor der Vereinnahmung zu schützen - dabei schützt man nur das Bild, das man selbst erschaffen hat, vor der kritischen Betrachtung.

 

Nun aber zu den einzelnen Punkten von Squires Erwiderung:

 

Die gängigen Antworten auf die Theodizee-Fragen sind meiner Meinung nach aber "passend gemachte" Antworten, passend zur eigenen Befindlichkeit. Solche Antworten entfremden eher von der Religion als zu ihr hinzführen. Allein der großzügige Umgang mit der Behauptung "Gott will, dass ..." beinhaltet schon eine eigenmächtige Vereinnahmung. Man kann Gott nicht besitzen, indem man eine solche Art von Herrschaftswissen für sich reklamiert.  Es steht hier nicht mehr Gott im Mittelpunkt, sondern der eigene Weltschmerz.

Das stimmt - erschreckend auffällig, finde ich; jedenfalls habe auch ich oft den Eindruck, daß mehr der eigene Weltschmerz betäubt werden soll. Deshalb finde ich die "gängigen" Antworten auf die Theodizee-Frage meist auch unbefriedigend.

 

Zwei Einwände aber habe ich:

 

Die Antwort auf die Theodizee-Frage muß nicht tröstlich sein. Nicht die Antwort jedenfalls; im Gegensatz zu der Haltung, die man zum Leid in der Welt einnimmt. Ich habe das neulich in diesem Thread (13 Nov 2003, 13:04) ja bewußt unterschieden. Die Antwort - also die verbal artikulierte, rationale Reaktion auf die mit diesem Ziel gestellte Frage - wird sogar meistens verstörend sein. Das ist aber auch kein Fehler. Ist die Antwort falsch, kann die Verstörung beseitigt werden, indem man sie widerlegt. Ist sie aber richtig, dann liegt der Grund für die Verstörung darin, daß die Religion falsch ist. Man sollte nicht zu viel Angst davor haben, die eigene Religion und Religiosität in Frage zu stellen. Was hat man denn zu verlieren - außer einem Irrglauben?

 

Um das noch einmal zu betonen: das bezieht sich nur auf die Situation, in der einer "sine ira et studio" die Theodizee-Frage als philosophisches Problem stellt. Wer leidet oder mitleidet, dem wäre mit einer Antwort (im gerade beschriebenen Sinne) nicht geholfen. Der kann mit klugen Worten nichts anfangen. Für den ist die Frage, was er nun gerade glaubt, aber auch völlig gleichgültig. Leid übertönt jede andere Frage.

 

Der zweite Einwand ist: Es ist nicht nur zulässig, sondern völlig unvermeidlich, Hypothesen darüber aufzustellen, was Gott will. Wir tun es ohnehin, und wir sollen das ja auch ununterbrochen tun. Daß jemand vrsucht, seine Thesen dazu anderen mitzuteilen, ist nur gut: so kann er anderen Denkanstöße geben und selbst Reaktionen erhalten, die ihm weiterhelfen können.

 

Eine der unverzichtbaren Voraussetzungen der Theodizee-Frage ist ja die Behauptung "Die Welt ist schlecht, eigentlich gehören wir hier gar nicht hin." Ich sehe das nicht so. Ich finde die Welt gut.

Das ist keine unverzichtbare Voraussetzung. Aber die Frage muß - angesichts des Leides, das mindestens andere trifft, auch wenn es einem selbst gut geht - doch beantwortet werden: wäre es nicht auch mit weniger oder ohne Leid gegangen? Gerade wenn ich die Welt gut finde: bin ich nicht moralisch geradezu zur Empörung verpflichtet, weil es anderen so grauenhaft ergeht?

 

Im Ergebnis teile ich Deine Auffassung, Squire. Auch ich finde die Welt gut. Ich finde - wie Leibnitz, aber mit einer völlig anderen Begründung -, daß wir in der "besten aller möglichen Welten" leben, und zwar im vollen Bewußtsein dessen, daß etliche schrecklich unter den Bedingungen dieser Welt zu leiden haben. Aber man sollte schon begründen können, wie eine Welt gut - das "Produkt" eines guten, allmächtigen Schöpfers - sein kann, die ich vielleicht gut finde, so viele andere aber schier unerträglich.

 

Und dann genügt es eben nicht, denjenigen zum gemeinsamen Gebet einzuladen, mit ihm das Leid in der Welt zu beweinen oder ihm Trost zuzusprechen. Denn für denjenigen wäre das einfach keine Antwort. Dem gäbe man damit nur Steine statt Brot.

Das habe ich nicht verstanden.

Das war eine polemische Zusammenfassung einiger der "gängigen" Antworten auf die Theodizee-Frage: Eben die, nach denen man das nicht verstehen, also auch nicht darüber sprechen kann - und die deshalb in sprachlose Übersprungshandlungen münden. Für den, der leidet, kann im gemeinsamen Gebet, in der gemeinsamen Klage oder in einer tröstenden Umarmung die einzig richtige Reaktion auf sein Leid liegen - jedenfalls werden dem philosophische Erörterungen nichts bringen.

 

Der, der aber eine Antwort auf seine Frage will, hat darauf aber auch einen Anspruch. Dem kann und darf man dann nicht mit "Trost" kommen - denn er leidet ja nicht. Er will eine Antwort, in klaren Worten. Dem zu sagen, daß man das nicht sagen könne, heißt nicht nur, ihm sein Recht zu verweigern. Es ist eine ausdrückliche Unwahrheit. Wer so redet, macht sich zum falschen Propheten.

 

Dieser hohe Anspruch erschöpft sich allzu oft in der platten Behauptung, die Katholiken hätten zusammen mit Gott die Welt ausgeklüngelt und wüßten daher, wie der Hase läuft. 

Mag sein. Daß beim Bemühen, etwas zu verstehen, auch Fehlverständnisse herauskommen werden, ist nichts neues. Daß das aber ein Grund sei, die möglichkeit des Verstehens von vornherein zu leugnen, ist mir aber neu.

 

Die Behauptung "Gott läßt das Leiden zu, weil..." ist an Grausamkeit nicht mehr zu überbieten. Das impliziert ja die Aussage "Ich weiß, warum es Leiden gibt, und warum mein geliebter Gott es zuläßt. Ich akzeptiere das auch so." Damit versucht man, Herrschaft über etwas zu gewinnen, das einem doch letztlich zu groß ist.

Das hat nichts mit Beherrschung zu tun, sondern nur mit Bekenntnis.

 

Im Credo bekennst Du: "Ich glaube an Gott..." Das heißt doch mehr als die Erklärung, daß Du das, was da folgt, für wahr hältst. Indem Du das sagst, bekennst Du Dich zu ihm. Du sagst zu dem, was er sagt, will und tut, "ja und amen". Aber sagst Du das, weil er Gott ist? Sagst du das, weil Dir in Deiner Kindheit einer gesagt hat, daß Du das sagen sollst? Oder sagst Du das nicht doch aus tiefer Überzeugung, weil Du dem, was er sagt, will und tut, wirklich zustimmen kannst? Wenn letzteres - woher kommt diese Überzeugung, wen Du nicht verstanden hast, was er sagt, will und tut? Dann weißt Du doch gar nicht, zu was Du da gerade Dein Einverständnis, Dein Bekenntnis abgibst: wie eine Unterschrift unter einen fremdsprachigen, eben unverständlichen Vertrag.

 

Mit einer solchen Auffassung verbaut man sich die Möglichkeit, sich Gott und der Schöpfung in Ehrfurcht zu nähern. Religion verliert ihre Funktion, wenn man sie zur Wissenschaft macht.

Wer durch Erkenntnis die Ehrfurcht verliert, hat noch nicht einmal angefangen, zu erkennen. Der ist von der Großmächtigkeit seines neuen Gefühls, erkennen zu können, so überwältigt, daß er dabei Maß und Ziel verliert. Das gibt es, aber dem muß und kann man entgegenwirken. Hybris ist keine Folge von Erkenntnis, sondern von Dummheit.

 

Das gilt übrigens auch im weiteren Sinne: wer einen Partner nicht mehr lieben kann, wenn er ihn beginnt, zu verstehen, der war eben bloß verknallt.

 

Das heißt: wenn sich herausstellte, daß eine vernunftgemäße Antwort auf die so - also mit dem Ziel einer solchen Antwort - gestellte Theodizeefrage nicht möglich wäre, dann wäre unser Glauben falsch, und wir täten gut daran, ihn schnellstmöglich abzulegen.

Nein. Es besteht kein zwingender Zusammenhang zwischen Verstehen und Glauben.

Ach nein? Wenn ich etwas nicht verstanden habe, dann weiß ich nicht, was es ist, woher es kommt und wohin es führt. Dann weiß ich nicht einmal, was es ist, woran ich da glaube - und dann könnten das ebenso die Werke Satans höchstpersönlich sein.

 

Wir sagen: Gott ist gut. Gott ist allmächtig. Wenn ich nicht verstanden habe, wie ein guter und allmächtiger Gott Leid zulassen kann, dann stehen diese Sätze beziehungslos nebeneinander. Dann wird das Wort "gut" - jedenfalls, soweit ich es auf Gott anwende - zu einer inhaltsleeren Hülse. Was ist denn "gut" an diesem Gott, der Kinder verrecken läßt?

 

Ich kann das natürlich ignorieren. Nur: Gott ist doch der Inbegriff alles guten. Wenn ich aber schon von dem nicht sagen kann, inwiefern er "gut" sein kann, dann ist "gut" doch nur noch das, was ich persönlich dafür halte. Dann sind alle Maßstäbe dafür, was man "gut" nennen kann, zerbrochen und dieses Wort der völligen Beliebigkeit unterworfen. Genau dann habe ich Gott - den "Guten" - zu einem reinen Abbild, einer Projektion meiner momentanten Vorstellung davon gemacht, was "gut" ist. Wer, frage ich, braucht diesen Gott, besser gesagt: diese Gottesprojektion, die ich doch nur selbst erschaffen habe? Wie kann dieser Gott mein Richter und Retter sein?

 

Wenn wir Gottes Handeln nicht verstehen bedeutet das doch nicht, dass er uns fremd ist.

Wie definierst Du "fremd"?

 

Ich definiere das so: etwas, zu dem ich keinen Bezug aufbauen kann, das mit unzugänglich ist.

 

Ein "Fremder" ist deshalb fremd, weil ich ihn nicht kenne, keine Erfahrungen mit ihm habe, nicht weiß, ob er nicht vielleicht ein massenmordender Irrer ist. Einen "Bekannten", einen Freund gar, den verstehe ich. Nicht komplett natürlich. Aber in dem, was mich betrifft (und bei einem Menschen vielleicht noch etwas mehr), verstehe ich ihn. Und wie sagen wir von einem Freund, der sich plötzlich völlig unverständlich benimmt? "Er kommt mir auf einmal wie ein Fremder vor."

 

Wir könnten Gott schon wegen seiner Unverstehbarkeit nicht mehr als alliebenden und allmächtigen Schöpfer ansehen.

Doch. Gerade dann.

Die Worte "liebend" und "mächtig" haben doch eine bestimmte Bedeutung. Wie soll ich ein Wort auf etwas oder einen anwenden, wenn ich es oder ihn nicht verstehe? Was macht ihn denn zu einem liebenden - sogar alliebenden - Gott, wenn er Kinder verrecken läßt? Auf diese Weise höhle ich nur die Worte aus, beraube sie jedes Gehalts. Ich benutze sie nur noch aus Gewohnheit - oder kann sie nur noch benutzen, weil ich die augen vor dem verschließe, was mir zwar nicht, anderen dafür umso grausamer begegnet.

 

Der Preis für dieses behauptete "Verstehen" ist , sich für Gott und sein Handeln verantwortlich fühlen zu müssen, ähnlich wie Eltern gegenüber ihren halbwüchsigen Kindern. Das ist kein Gott mehr, den man verehrt, sondern einer, für den man sich entschuldigt.

Nein. Aber ich habe die Verantwortung dafür, wen ich anbete. Was lissie und Stefan dazu sagen, ist insofern völlig richtig: einen Gott, der Leid zuläßt, obwohl er es nicht müßte, darf ich nicht anbeten - ich muß ihn hassen. Was machte einen solchen Gott denn überhaupt anbetungswürdig? Daß er eine Welt erschaffen hat, die ich sehr erträglich finde? Nein - wenn er allmächtig ist, und wenn das bedeutete, daß er das Leid verhindern könnte, dann zwingt mich das Mitgefühl und die Solidarität mit denen, denen es nicht so gut geht, ihm dafür nicht einmal zu danken, geschweige denn, ihn anzubeten.

 

Zu sagen, daß die Theodizee-Frage nicht sinnvoll vernünftig beantwortet werden kann, heißt in letzter Konsequenz, daß Christsein unmöglich ist.

Ich kann sie nicht beantworten, fühle mich aber dennoch als Christ. Ich kann auch akzeptieren, dass ich sie nicht beantworten kann.

Das sind zwei verschiedene Aussagen. Christsein setzt nicht voraus, die Antwort selbst geben zu können. Aber Christsein setzt voraus, sie für möglich zu halten. Wer sie für unmöglich hält, sagt damit, daß Gott auch, soweit er sich uns offenbart hat, unverstehbar geblieben ist - daß er sich uns also gar nicht offenbart hat, denn eine unverstehbare Offenbarung ist keine.

 

Dann müßten wir von dem Konzept der Offenbarungsreligion weg, und etwa zu dem einer esoterischen Initiationsreligion wechseln, bei der nur die wenigen Initiierten aufgrund mystischer Erleuchtung an der ganzen Wahrheit teilhaben.

Unbegründete Angst. Wie kommst du zu diesem Schluß?

Das hat nichts mit Angst zu tun. Wenn Gott sich nicht offenbart, bleibt er uns unverständlich, also auch fremd - siehe oben. Einer, von dem ich nicht einmal das verstehe, was er mir von sich zeigt, oder der mir nichts von sich zeigt, zu dem kann ich keine Beziehung aufbauen - und am allerwenigsten kann ich ihn Vater, nein: Abba, also "Papa" nennen. Zu dem kann ich mich auch nicht bekennen.

 

Den kann ich - vielleicht - nüchtern konstatieren, als "höchste Kraft", oder ich könnte ihn fürchten, als fernen Tyrannen, von dem ich nur Gerüchte gehört habe - fast schon eine Gestalt kafkaesken Zuschnitts. Ich kann vielleicht froh sein, weil er mir gutes getan hat. Aber ich kann ihm nicht einmal danken, denn wenn ich nicht verstehe, warum er das getan hat, weiß ich auch nicht, ob er mir das nun aus Liebe oder vielleicht sogar unwilentlich, zufällig hat zukommen lassen. Und wenn ich sehe, daß er meinem Nächsten schreckliches widerfahren läßt, kann ich nur noch zittern, daß ich mich nicht plötzlich in dieser Situation befinden werde. Aber ich könnte nicht einmal etwas tun, um das zu verhindern: wenn ich ihn nicht verstehe, kann ich auch nicht ahnen, ob mein Verhalten ihn nun besänftigt oder provoziert.

 

Ein solcher Gott wäre völlig vor mir verschlossen. Religionen mit einem solchen Gott nennt man nun einmal "esoterisch". Ich kann dann nur hoffen, daß es Leute gibt, die dieser Gott auserwählt hat, Initiierte, die kraft besonderer Begnadung den Mittler spielen können.

bearbeitet von sstemmildt
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Lieber Sven,

 

ich lese ja immer wieder gerne Deine Ausführungen, aber diese letzte ... ist doch ein bisschen arg lang geraten. o:

Nein, ich bitte nun nicht um eine Zusammenfassung, nur einfach: Könntest Du bitte solche Texte in mehrere Postings aufgliedern?

 

Liebe Grüße, Gabriele

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Der Fehler liegt darin, daß Ihr meint, es gehe bei der Beantwortung der Theodizee-Frage (und ähnlichen) um das Verstehen Gottes. Tatsächlich aber geht es um das Verstehen der Welt und (bzw. und damit) der Offenbarung.

 

(...)

 

Weil Gott sich uns aber willentlich offenbart, und uns liebt, müssen wir - zu unserem eigenen besten - auch alles daran setzen, die Offenbarung zu verstehen. Tun wir das nicht, weil wir uns z.B. einreden, daß das ohnehin unverstehbar sei, werfen wir den Brief des Geliebten ungelesen weg. Das ist nicht nur dumm, es ist auch lieblos.

 

(...)

 

Gott offenbart sich, so erschütternd und erschreckend das auch erscheinen mag, auch in den grausamen Leiden eines Kindes. Er offenbart sich - das heißt aber auch, daß wir dieses Leiden verstehen können und müssen, und zwar in dem, was es uns über Gott sagt. Denn er hat sich uns offenbart, damit wir verstehen.

Bis dahin stimme ich deinen Aussagen zu. Danach wird es aber schwierig.

 

Kaum eine Art des "Weichspülens" ist meiner Meinung nach schlimmer als die, etwas für unverstehbar zu deklarieren, das durchaus verstanden werden kann und soll - nur leider auf eine Weise, die unserem Bild von Gott - also dem, das wir erschaffen haben - nicht entspricht.

 

Das ist eine sehr zuverlässige Methode, sich selbst zu belügen und dabei auch noch ein besonders gutes Gewissen zu haben. Denn man redet sich dabei ein, Gott vor der Vereinnahmung zu schützen - dabei schützt man nur das Bild, das man selbst erschaffen hat, vor der kritischen Betrachtung.

 

Du behauptest, es sei ein Weichspülen, wenn man ein bestimmtes Verständnis des „Willens Gottes“ nicht teilt und selbst keine ersatzweise Erklärung parat hat? Möglicherweise vertrittst du auch eine unterschiedliche Auffassung von „unverstehbar“. Natürlich kann man das Leid und seine Ursachen zur Kenntnis nehmen. Das bedeutet aber nicht – für mich jedenfalls nicht – das man es nicht als ein abzulehnendes und zu überwindendes Übel ansehen dürfe.

 

Um das noch einmal zu betonen: das bezieht sich nur auf die Situation, in der einer "sine ira et studio" die Theodizee-Frage als philosophisches Problem stellt. Wer leidet oder mitleidet, dem wäre mit einer Antwort (im gerade beschriebenen Sinne) nicht geholfen. Der kann mit klugen Worten nichts anfangen. Für den ist die Frage, was er nun gerade glaubt, aber auch völlig gleichgültig. Leid übertönt jede andere Frage

 

Warum triffst du dann solche Unterscheidungen? Wozu braucht man die Philosophie, wenn man mit ihr im praktischen Leben nichts anfangen kann. Diese Verliebtheit in Abstraktionen ist meiner Meinung nach eine der Ursachen, warum die Beantwortung der Theodizee-Frage (und vieler anderer philosophischer oder moralischer Fragen) im praktischen Leben mehr schadet als nutzt.

 

Gerade wenn ich die Welt gut finde: bin ich nicht moralisch geradezu zur Empörung verpflichtet, weil es anderen so grauenhaft ergeht?

 

Nein, Empörung oder irgendwelche anderen Gefühle sind entweder authentisch oder nicht. Man ist meiner Meinung nach überhaupt niemals zu Gefühlen verpflichtet. Die mangelnde Authentizität ist meiner Meinung nach ein Grundproblem der katholischen Moralvorstellungen, aber das ist ein anderes Thema.

 

Ich finde - wie Leibnitz, aber mit einer völlig anderen Begründung -, daß wir in der "besten aller möglichen Welten" leben, und zwar im vollen Bewußtsein dessen, daß etliche schrecklich unter den Bedingungen dieser Welt zu leiden haben

 

Um Gottes Willen, nein. Ich bin ganz sicher der Auffassung, das die Welt deutlich besser sein könnte als sie ist. Darin sehe ich auch eine Grundtatsache der „irdischen Existenz“, die ständige Suche nach Verbesserung. Eine perfekte, aber dafür stagnierende Welt hätte sicherlich auch ihren Reiz. Allerdings sind Spekulationen darüber auch nicht wirklich hilfreich.

 

Das war eine polemische Zusammenfassung einiger der "gängigen" Antworten auf die Theodizee-Frage: Eben die, nach denen man das nicht verstehen, also auch nicht darüber sprechen kann - und die deshalb in sprachlose Übersprungshandlungen münden

 

Warum ist das so schlecht? Als ob dieses gelehrte Philosophieren in irgendeiner Weise besser wäre, als sich um die konkreten vor uns liegenden Angelegenheit zu kümmern. Die Beantwortung der Theodizee-Frage ist philosophische Dekadenz. Man kann seine Zeit auch sinnvoller verplempern.

 

Dieser hohe Anspruch erschöpft sich allzu oft in der platten Behauptung, die Katholiken hätten zusammen mit Gott die Welt ausgeklüngelt und wüßten daher, wie der Hase läuft.

Mag sein. Daß beim Bemühen, etwas zu verstehen, auch Fehlverständnisse herauskommen werden, ist nichts neues. Daß das aber ein Grund sei, die möglichkeit des Verstehens von vornherein zu leugnen, ist mir aber neu.

 

Man braucht sie nicht gerade zu leugnen, aber sollte sich auch nicht allzuviel darauf einbilden. Vor allem sollte man meiner Meinung nach mehr auf die Ergebnisse dieses „Verstehens“ achten, als auf die Schlüssigkeit der Erklärungsmodelle. Wenn die Ergebnisse OK sind, kann ich auch das „Verstehen“ tolerieren.

 

Dann weißt Du doch gar nicht, zu was Du da gerade Dein Einverständnis, Dein Bekenntnis abgibst: wie eine Unterschrift unter einen fremdsprachigen, eben unverständlichen Vertrag.
]

 

Das ist beim Glauben so. Man hält bestimmte Dinge zunächst einmal ungeprüft für richtig und überprüft seinen Glauben dann anhand der Lebenserfahrung.

 

Ach nein? Wenn ich etwas nicht verstanden habe, dann weiß ich nicht, was es ist, woher es kommt und wohin es führt. Dann weiß ich nicht einmal, was es ist, woran ich da glaube - und dann könnten das ebenso die Werke Satans höchstpersönlich sein.

 

(...)

Wenn ich nicht verstanden habe, wie ein guter und allmächtiger Gott Leid zulassen kann, dann stehen diese Sätze beziehungslos nebeneinander.

 

Das ist doch lebensfremd. Mit einem solchen Wissen ist man für ein menschliches Leben hoffnungslos überqualifiziert. Ich brauche das nicht zu wissen, weil ich nicht Gott bin.

 

Ich kann das natürlich ignorieren. Nur: Gott ist doch der Inbegriff alles guten. Wenn ich aber schon von dem nicht sagen kann, inwiefern er "gut" sein kann, dann ist "gut" doch nur noch das, was ich persönlich dafür halte.

 

JA. Ich halte das für gut, was ich für gut halte. Was meiner Meinung nach nicht gut ist, halte ich auch nicht für gut, auch wenn es mir als „Gottes Willen“ verkauft wird.

 

Wie soll ich ein Wort auf etwas oder einen anwenden, wenn ich es oder ihn nicht verstehe? Was macht ihn denn zu einem liebenden - sogar alliebenden - Gott, wenn er Kinder verrecken läßt

 

Das ist das Problem mit antropomorphen Gottesbildern. Die Liebe eines Menschen ist etwas anderes als die Liebe Gottes. Mit dieser typisch katholischen allgültig-abstrakten „Du sollst“-Moral kommt man zwangsläufig zu Problemen wie der Theodizee-Frage.

 

Wir sind Bestandteil einer Schöpfung, die so ist wie sie ist. Solange wir hier sind, können wir davon ausgehen, dass wir hier kein Fremdkörper sind. Eine Moral, die künstlich einen Keil zwischen Gott und die Menschen treibt, ist ganz sicher eine falsche Moral. Auch hier sind die Ergebnisse meiner Meinung nach wichtiger als die Abstraktionen, mit denen man zu ihnen gelangt.

 

Du gehst davon aus, dass Gott zwangsläufig eine Art allmächtiger Mensch sein müßte. Wenn man sich Gott also schon so vorstellt, dann doch lieber als liebenden anstatt als bösartigen Herrscher. Die Frage nach dem Leid muss man sich dann eben mit einigen Verrenkungen irgendwie hinbiegen. Diese ganzen Prämissen sind meiner Meinung nach nicht erforderlich.

bearbeitet von Squire
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Lieber Sven,

 

zunächst einmal bringst du den Beitrag auf die "lissie/Stefan-Ebene". Eine aus der Gegnerschaft und auch des "Hasses" vorgetragene Angrffsebene.

 

Das ist nicht einmal schlecht, trifft aber zunächt nicht den Sachverhalt unseres Austauschs, denn es geht auf dieser Ebene nicht um das Verstehen, sondern um die Leugnung Gottes. Die Leidfrage ist Instrument hierfür.

 

Was mich stört, sind die subtilen Äußerungen in meine Richtung.

 

>Das ist eine sehr zuverlässige Methode, sich selbst zu belügen und dabei auch noch ein besonders gutes Gewissen zu haben<

 

Mag sein, dass ich das mißverstanden habe, aber dann bitte ich dich um Korrektur.

 

Es ist uns beiden bekannt, dass du dich von der rationalen Seite aus Gott näherst und ich mit von der Gebetsebenen - wir können auch ruhig die Begriffe Mystik und Kontemplation ins Spiel bringen. Dir ist bekannt, dass diese Art Gott zu begegnen sehr schwer in Sprache zu fassen ist und ich will weder für mich in Anspruch nehmen, Gott zu begegnen oder das auch nur in Sprache zu fassen. Dennoch möchte ich die Behauptung aufstellen, Gott auf diesem Weg ebenfalls erkennen zu können. Auf eine alte Frau, die nichts als den Rosenkranz betet, vielleicht auch nur beten kann, kommt Gott genau so nah, wie jeder intellektuelle Versuch, mit dem Verstand zu verstehen.

 

Es gibt da einige Bibelstellen, die von der Armut im Geiste sprechen und davon, dass auch hier Gottesnähe erfahrbar ist.

 

Aber zurück zur Radikal-Anfrage auf Angriffsebene. Meine Antwort beginnt ebenfalls bei der Genesis. Gott hat die Welt - nicht nur den Menschen - geschaffen. Und er sagt, dass es gut so sei. Gott offenbart sich damit offensichtlich in seiner Schöpfung. Meine intellektuellen Fähigkeiten sind nicht unterdurchschnittlich, so dass ich durchaus über die Möglichkeit verfüge, meinen Verstand einzusetzen. Allerdings ist er nicht der Motor meiner Suche nach Gott - das ist die fast schon peinlich für den Verstand zu schreibende "Sehnsucht nach Gott, das unruhige Herz, der Ruf, den ich empfinde -, sondern der Schutzfaktor, der mich vor Fallstricken warnt.

 

Aus dieser Kurzfassung der Genesis lebe ich das Vertrauen, dass Gott sich offenbart in dieser Welt. Leid ist vielfach von Menschen geschaffenes Leid und hier kann und muß ich die Abkehr von Gottes Liebesgebot auf all seinen Ebenen als gewichtiges Argument sehen. Das IST der Sündenfall. Und daran können wir Christen arbeiten, indem wir nicht in der Verzweiflung untergehen, sonder standhalten im Vertrauen und in der Liebe. Wir in Richtung Gott und wir untereinander. Ich habe mal vor einiger Zeit eine Umfrage hier im Forum gemacht - welches Leid erschüttert euch tiefer (blöd formuliert, aber es gelang mir nicht besser) - und am Ende kam heraus, dass 75% der Antworten das von Menschen hervorgerufene Leid im Innersten tiefer trifft.

 

Und dann bleibt noch der Rest. All das Leid, dass ohne menschliches Handeln über uns hereinbricht. Der Tod ist die Frage aller Fragen, und die tiefste Angst, die uns betreffen kann. Der Tod eines Kindes ist der von dir zugespitzte Hammerschlag.

 

Der Tod einer liebenden Mutter aber nicht minder, oder des Vaters, der die Familie ernährt. Wenn es diese nicht teffen kann oder soll, dann nur zufriedene und lebenssatte alte Menschen. Das könnte man ja noch hinnehmen.

 

Könnte man aber nicht. Wenn die Schrecken der anderen Toten nicht existent wären, wäre auch der lebenssatte Tod im Alter noch unerträglich. Gott hätte dann etwas gegen Lebenssattheit tun müssen.

 

Es ist vollkommen gleichgütlig, wohin wir die Skala des Leides verschieben. Wenn das jeweil schlimmere wegfällt, ist das übrig gebliebenen das Schlimmste und das ist dann der Grund für die Anklage gegen Gott, der das zuläßt.

 

Auf den Punkt gebracht. Die Anklage gegen Gott in der Leidfrage ist ein Pseudo-Argument, eine Ebene, auf der man sich trefflich festsbeißen kann, um sich nicht für Gott öffnen zu "müssen".

 

Wir werden nicht verstehen, warum Gott das zuläßt. Wir können es nur hinnehmen und in Gott die Kraft finden, das nicht zu ändernde Leid zu tragen. Und auch die Kraft, all das Leid, das wir verhindern können, in Angriff zu nehmen.

 

Herzliche Grüße

Martin

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Lieber Martin,

 

ich komme heute nicht zu einer inhaltlichen Erwiderung, aber ein paar Dinge will ich doch klarstellen:

 

zunächst einmal bringst du den Beitrag auf die "lissie/Stefan-Ebene". Eine aus der Gegnerschaft und auch des "Hasses" vorgetragene Angrffsebene.

Diese Bemerkung ist eine Dummheit. Es tut mir leid, aber das ist die freundlichste Formulierung, die mir dazu einfällt. Du lädtst mich ein, von Deiner Warte aus zu sehen, und kommst mit so etwas? Eine solche Einladung sollte davon begleitet sei, daß der Einladende selbst zunächst die Sichtweise des anderen nachzuvollziehen versucht. Die Unterstellung von Gegnerschaft und Haß ist dazu wohl kaum dienlich. Es macht die Einladung auch deutlich weniger reizvoll.

 

Diese Bemerkung ist aber nicht nur "taktisch unklug", weil sie die Einladung ad absurdum führt; sie ist noch in weiterem Sinne dumm: Du meinst, ich sei derjenige, der die Angriffe fährt? Dann warte mal auf die echten. Martin, ich rüttle nur an den Befestigungen, um zu prüfen, ob sie standhaft sind. Ich schlage gegen die Tore, um zu sehen, ob sie einem Ansturm standhalten. Wenn sie schon bei meinem Klopfen in den Angeln ächzen, dann wird es wirklich schlimm, wenn der Feind kommt. Und - ob Du es glaubst oder nicht - der Feind, das sind nicht Lissie und Stefan.

 

Das ist nicht einmal schlecht, trifft aber zunächt nicht den Sachverhalt unseres Austauschs, denn es geht auf dieser Ebene nicht um das Verstehen, sondern um die Leugnung Gottes. Die Leidfrage ist Instrument hierfür.

Wenn eine einfache Frage schon Mittel zur Leugnung Gottes ist - wozu hat er uns dann einen Verstand gegeben, und einen Mund, um zu reden, wenn nicht, um auch solche Fragen zu beantworten?

 

Martin, vor einigen Jahrhunderten war ein Teleskop ein Mittel zur Leugnung Gottes, meinten viele. Heute meinen viele andere, ein Teleskop sei durchaus ein Mittel, um Gott in der Erkenntnis der Schönheit seiner Schöpfung zu rühmen. Der Weg dahin war steinig, für etliche zu steinig. Gagarin meinte, Gott widerlegt zu haben (wenn man der sowjetischen Propaganda glauben darf), indem er ins All flog und dort keinen Gott sah. Die christliche Welt konnte damals darüber schon nur noch lächeln. Und jetzt willst Du mir sagen, durch die Antwort auf die Theodizee-Frage weder Gott geleugnet?

 

Was mich stört, sind die subtilen Äußerungen in meine Richtung.

 

>Das ist eine sehr zuverlässige Methode, sich selbst zu belügen und dabei auch noch ein besonders gutes Gewissen zu haben<

 

Mag sein, dass ich das mißverstanden habe, aber dann bitte ich dich um Korrektur.

Dabei habe ich durchaus auch an Dich gedacht, aber nicht vor allem. "Subtil" war das aber hoffentlich nicht - ich hoffe doch sehr, es war der Schlag ins Kontor, der es sein sollte. Wenn es um den Glauben geht, halte ich nicht viel von Subtilität. Von Differenzierung, ja - aber nicht von subtilen Andeutungen.

 

Ich will es Dir aber noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Wer behauptet, daß das, was Gott uns von sich zeigt, nicht verstehbar sei, der lästert Gott, denn er degradiert ihn zu einem Versteckspieler. Natürlich heißt "verstehbar" nicht, daß jeder es verstehen kann, und das heißt noch weniger, daß das, was einer meint, verstanden zu haben, auch richtig von ihm verstanden wurde. Und erst recht heißt das nicht, daß eine bestimmte Art, eine bestimmte Weise, Verständnis erlangen zu wollen, intuitiv, intellektuell, rational, mystisch, von sich und für sich beanspruchen kann, die einzig richtige zu sein. Aber umgekehrt heißt das aber auch, daß niemand sich erdreisten darf, einem anderen zu sagen, daß seine Art des Suchens die falsche sei.

 

Nicht nur erlaubt, sondern sogar ausdrücklich Pflicht ist es aber, den anderen auf Gefahren auf seinem Weg hinzuweisen. Nichts anderes habe ich getan. Ich sehe allerdings die Gefahr, daß Deine Herangehensweise zum Selbstbetrug führt, und daß dieser Selbstbetrug umso gefährlicher ist, als er sich auf den ersten Blick als moralisch richtig und besonders vertrauensvoll Gott gegenüber darstellt.

 

Es ist uns beiden bekannt, dass du dich von der rationalen Seite aus Gott näherst und ich mit von der Gebetsebenen - wir können auch ruhig die Begriffe Mystik und Kontemplation ins Spiel bringen. Dir ist bekannt, dass diese Art Gott zu begegnen sehr schwer in Sprache zu fassen ist und ich will weder für mich in Anspruch nehmen, Gott zu begegnen oder das auch nur in Sprache zu fassen. Dennoch möchte ich die Behauptung aufstellen, Gott auf diesem Weg ebenfalls erkennen zu können. Auf eine alte Frau, die nichts als den Rosenkranz betet, vielleicht auch nur beten kann, kommt Gott genau so nah, wie jeder intellektuelle Versuch, mit dem Verstand zu verstehen.

Ich will es besonders hervorheben: Jeder Zeile, jedem Wort in diesem Absatz kann ich vorbehaltlos zustimmen.

 

Ich habe nie behauptet, und werde eher krepieren, als zu behaupten, daß meine Art der Suche nach Gott mich nur einen Zentimeter näher an Gott heranführt als irgendeinen anderen dessen Art. Und ich bin immer wieder dankbar, wenn ich von anderen erfahre, wie sich sich Gott nähern, und umso glücklicher, wenn ich mir davon eine Schebe abschneiden kann. Daß das hier im Forum an gewisse Grenzen stößt, liegt an den Eigenheiten des Mediums; Gott sei Dank findet mein Glauben nicht bloß hier im Forum statt.

 

Aber ebenso, wie ich dankbar bin - mehr: es für absolut unverzichtbar halte, daß mich andere auf neue Wege bringen, werde ich jedem die Hölle heiß machen, der so tut, als sei mein Weg nichts wert. Dabei geht es mir nicht um mich; ich kann schon ganz gut einschätzen, zumindest nach einer Weile, welche Einwände gegen mein Vorgehen sinnvoll sind und welche Blödsinn. Es geht mir mehr um den Keil, der damit in die Kirche getrieben wird.

 

Eines ist nämlich ein massives Ärgernis: Die Abkoppelung zwischen "intellektuellen" und "mystischen" Gläubigen. Ich kann durchaus nachvollziehen, woran das liegt. Es nervt einfach, wenn eine hochdifferenzierte Debatte über etwas scheinbar ganz einfaches geführt wird; das hinterläßt das Gefühl, als sei ein Theologiestudium erforderlich, um überhaupt glauben zu dürfen. Und ich räume gerne ein, daß die Arroganz in dieser Hinsicht bei manchen gewaltig ist. Nur, anstatt diese Arroganz anzugreifen - die es wert ist, Prügel zu beziehen -, wird die Intellektualität selbst zum Sündenbock gemacht. Die gleiche Arroganz wird dann von der anderen Seite aufgebaut, und der, der sich redlich und ernsthaft bemüht, mit seinen Mitteln Gott zu suchen, wird abgetan, und mit ihm alles, was er beizutragen hätte.

 

Das wäre mir noch halbwegs wurscht, wenn es nur um mich ginge. Weniger wurscht ist es mir schon, daß es eben auch um viele andere geht, denen auf diese Weise die Kommunikation verweigert wird, wenn sie die Frechheit haben, in ihrer Weise über Gott zu sprechen. Fuchsteufelswild werde ich aber, wenn dabei so getan wird, als sei es falsch und eitel, auf diesem Weg zu gehen. Denn das heißt nichts anderes, als daß bestimmte Wege zu Gott verschüttet werden. Sie mögen nicht für jeden gangbar sein - aber dem, für den sie es sind, dürfen sie nicht vorenthalten werden.

 

Genau das tut aber jeder, der pauschal irgendeinen Weg zu Gott für ungangbar erklärt. Wer das tut, schließt andere aus, bildet sektiererische Häufchen. Das einem bestimmten Menschen, in einer bestimmten Situation zu sagen, kann völlig richtig sein. Auch ich werde meine Antwort auf die Theodizee-Frage nicht jedem und schon gar nicht immer um die Ohren hauen. Ich halte sie für nur sehr bedingt hilfreich.

 

Nur: das ging mir mit dem mystischen Gotteszugang einmal genauso. Heute sehe ich das durchaus anders, auch wenn ich damit noch nicht zum Mystiker geworden bin und das wohl auch nie werde (nur eine Vermutung). Eines kann ich aber, aus meiner Kenntnis meiner damaligen Person und meiner damaligen Situation mit einiger sicherheit sagen: Wären mir damals Leute begegnet, die mir gesagt hätten, man solle nicht alle Fragen stellen, weil diese an sich schon nur "Mittel zur Leugnung Gottes" seien, wäre ich mit einiger Sicherheit nie so weit Christ geworten, um mich überhaupt auch nur von Ferne an Mystik annähern zu können, ohne sie für einen pathologischen Zustand zu halten.

 

Das, was Du hier schreibst, hätte mich zuverlässig aus der Kirche ferngehalten. Heute muß ich sagen: das wäre ein Verbrechen gewesen.

bearbeitet von sstemmildt
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Ein Punkt, der in diesem Zusammenhang viel zu wenig gebracht wird, ist:

Unser irdisches Leben ist fast ein Nichts angesichts der Ewigkeit! So tragisch würde ich das irdische Leiden also auch nicht nehmen. Das Leben ist halt eine Prüfung.

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Irgendwie läuft das im Moment zwischen dir und mir aus dem Ruder, Sven. Ich habe nicht vorgehabt, dir (!) einen Angriff zu unterstellen, obwohl du in der Argmentation recht lebhaft bist - und das ist jetzt mal tatsächlich eine freundliche Formulierung im Vergleich zu deinem "Dummheits"-Einstieg in meine Richtung.

 

Nenne ich das doch mal postitiv - es wird spannend. Ich habe nur einige Zeilen gelesen und dann gedacht, es ist besser, wenn ich erst mal die Post durcharbeite und die drängendsten Berufsnotwendigkeiten erledige. Ich möchte daher nur signalisieren, dass ich antworten werde.

 

Herzliche Grüße

Martin

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Lieber Martin,

 

[Einschub: Deinen Beitrag von eben (09:20 Uhr) habe ich erst gesehen, als dieser schon fertig war, auch der erste Absatz. Ich hoffe, Du kannst die Sprach-Gewalt meines Postings von gestern nacht nun richtig einordnen...]

 

die Schärfe meines Beitrages von gestern nacht bedaure ich schon wieder. Ich lasse ihn trotzdem so stehen und editiere ihn nicht. Eines will ich aber klarstellen: ich bin zornig, aber nicht auf Dich (jedenfalls nicht mehr, nachdem der erste Eindruck verklungen ist). Mein Zorn kommt einzig aus der Sorge, irgendein Weg zu Gott könnte voreilig zugeschüttet werden.

 

Nun zum Thema:

 

Allerdings ist er nicht der Motor meiner Suche nach Gott - das ist die fast schon peinlich für den Verstand zu schreibende "Sehnsucht nach Gott, das unruhige Herz, der Ruf, den ich empfinde -, sondern der Schutzfaktor, der mich vor Fallstricken warnt.

Das geht mir ganz ähnlich - mit einer Einschränkung und einer etwas anderen Gewichtung:

 

Die Einschränkung: Mein Verstand war zumindest erheblich daran beteiligt, daß ich mit der Suche nach Gott überhaupt begonnen habe; er war, wenn nicht Motor, dann doch zumindest Anstoßer. Denn er hat mir einige Fragen, Probleme und Widersprüche überhaupt erst klargemacht - und mir seine eigenen Grenzen gezeigt (etwas, wozu der Verstand in besonderem Maße befähigt ist). Er war so etwas wie ein alter Lehrer, der sagt: "Sieh her, das hast Du zu tun. Ich habe dir gezeigt, was ich konnte, nun aber mußt du allein weitergehen."

 

Die andere Gewichtung: Ich nutze das, was "mein alter Lehrer" mir beigebracht hat, auch heute noch. Bei mir ist es insofern umgekehrt: für mich ist "die Sehnsucht, das unruhige Herz" der Schutzfaktor, der mich zwingt, bei allzu glatten Erklärungen nicht stehenzubleiben.

 

Aus dieser Kurzfassung der Genesis lebe ich das Vertrauen, dass Gott sich offenbart in dieser Welt. Leid ist vielfach von Menschen geschaffenes Leid und hier kann und muß ich die Abkehr von Gottes Liebesgebot auf all seinen Ebenen als gewichtiges Argument sehen. Das IST der Sündenfall. Und daran können wir Christen arbeiten, indem wir nicht in der Verzweiflung untergehen, sonder standhalten im Vertrauen und in der Liebe.

Das sehe ich ganz genauso. Ich habe den Eindruck - vielleicht täusche ich mich da -, daß Du meinst, ein intellektuelles Verstehen wolle ohne diese tiefe Überzeugung auskommen, wolle kalt wegerklären, was nur in der persönlichen, existenziellen, von Glut erfüllten Entscheidung für Gott und den Nächsten aufgehoben werden kann. Das ist aber zumindest nicht mein Ansatz, obwohl ich das bei anderen kenne. Das intellektuelle Verstehen kann selbst dann, wenn man es bis zur letzten Konsequenz treibt, nur den Boden für diese Entscheidung bereiten. Eine einfache, rechenbare Lösung, die man aus der Distanz erfinden und niederschreiben kann, gibt es nicht.

 

Ich habe mal vor einiger Zeit eine Umfrage hier im Forum gemacht - welches Leid erschüttert euch tiefer (blöd formuliert, aber es gelang mir nicht besser) - und am Ende kam heraus, dass 75% der Antworten das von Menschen hervorgerufene Leid im Innersten tiefer trifft.

Mit Folgerungen daraus wäre ich vorsichtig.

 

Gefahren, die nicht von Menschen gemacht sind, werden leichter hingenommen, das ist verständlich. Wir wissen, daß wir weder unverletzlich noch unsterblich sind. Wir wissen daher, daß immer irgendwo etwas lauern kann, das uns verletzt oder tötet - und das auch irgendwann tun wird. Wir sind an diesen Gedanken gewissermaßen einfach gewöhnt. Leid, das uns ein anderer zufügt, besteht aber nicht nur aus dem Leid allein, sondern auch noch aus der Aufkündigung der Solidarität, der Mitmenschlichkeit, durch den, der uns das Leiden zufügt. Es ist deshalb besonders erschütternd.

 

Wenn wir die Frage "warum?" aber an Gott richten, fällt dieser Unterschied, was die Fürchterlichkeit des Leidens betrifft, weg. Denn ohne seinen Willen fällt kein Vogel zur Erde - er scheint seine Solidarität uns gegenüber durch menschengemachtes wie durch "natürliches" Leid in gleicher Weise aufzukündigen. Wie gesagt: das scheint nur so. Aber ob menschengemachtes oder "natürliches" Leid, die Frage an Gott ist gleichermaßen drängend.

 

Könnte man aber nicht. Wenn die Schrecken der anderen Toten nicht existent wären, wäre auch der lebenssatte Tod im Alter noch unerträglich. Gott hätte dann etwas gegen Lebenssattheit tun müssen.

 

Es ist vollkommen gleichgütlig, wohin wir die Skala des Leides verschieben. Wenn das jeweil schlimmere wegfällt, ist das übrig gebliebenen das Schlimmste und das ist dann der Grund für die Anklage gegen Gott, der das zuläßt.

Ich bin nicht sicher, aber ich meine, daß Du damit genau eines meiner Argumente aufgreifst. So falsch muß meine Erklärung dann vielleicht gar nicht sein.

 

Auf den Punkt gebracht. Die Anklage gegen Gott in der Leidfrage ist ein Pseudo-Argument, eine Ebene, auf der man sich trefflich festsbeißen kann, um sich nicht für Gott öffnen zu "müssen".

Nein. Es ist ein falsches Argument. Aber deshalb kann und muß man es widerlegen. Ein Pseudo-Argument, das nur vorgeschoben wird, ist es nicht. Sicher, das wird versucht. Man kann jedes Argument, auch das beste und legitimste, als intellektuellen Schutzwall oder rhetorischen Trick mißbrauchen.

 

Aber Du machst es Dir mit den Nöten anderer zu leicht, wenn Du ihre Fragen unter einen solchen Pauschalverdacht stellst. Auch wenn einige die Theodizee-Frage nur als wohlfeile Waffe in einem Geplänkel heranziehen, heißt das nicht, daß diese Frage nicht auch von anderen in aller Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit, ja Verzweiflung gestellt wird. Und oft verbirgt sich diese Verzweiflung gerade in zur Schau getragenem Zynismus.

 

Wir werden nicht verstehen, warum Gott das zuläßt. Wir können es nur hinnehmen und in Gott die Kraft finden, das nicht zu ändernde Leid zu tragen. Und auch die Kraft, all das Leid, das wir verhindern können, in Angriff zu nehmen.

Jein.

 

Wir werden die Frage nach dem "warum" nie abschließend beantworten können. Das aber ist selbstverständlich: jede Antwort darauf ruft zwangsläufig ein neues "warum?" hervor. Das meine ich aber auch nicht mit "verstehen". Wenn man dieses Wort so verwenden wollte, wäre gar nichts jemals verständlich.

 

Man kann aber verstehen, was Gott uns damit sagt, daß er das Leid zuläßt. "Verstehen" heißt ja nicht "hübsch in Kästchen verpackt nach Hause tragen können". Etwas zu verstehen heißt, es in Zusammenhänge einordnen zu können. Inwiefern steht das Leid im Zusammenhang mit unserer Existenz? Das ist die Frage nach der "Erbsünde". Aber eben nicht mit einem Wort abgetan, sondern so formuliert, daß die Bedeutung dieses Wortes weiter ergründet werden kann.

 

Kein Verständnis nimmt dem Leid seine Schrecklichkeit; nichts kann oder soll sie "wegerklären". Aber das Verstehen kann dazu beitragen, die Begegnung mit der Schrecklichkeit des Leidens zu einer Gelegenheit zu machen, sich mit der Schrecklichkeit Gottes, wie er uns im Alten Testament begegnet, zu konfrontieren und diese Schrecklichkeit mit der Liebe Gottes zusammendenken zu können. Wie gesagt, das mindert die Schrecklichkeit nicht. Aber es ermöglicht, sich ihr zu öffnen.

 

Sich dem liebenden, barmherzigen Vater zu öffnen, ist schwer. Aber es ist leicht im Vergleich dazu, die Augen auch vor seiner Schrecklichkeit nicht zu verschließen.

bearbeitet von sstemmildt
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PS: Es wäre einfacher, wenn du in deinen Antworten nicht so viele Aspekte einbringen würdest, Sven. Ich bin kaum in der Lage, auf diese Berge angemessen zu antworten.

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PS: Es wäre einfacher, wenn du in deinen Antworten nicht so viele Aspekte einbringen würdest, Sven. Ich bin kaum in der Lage, auf diese Berge angemessen zu antworten.

Ich weiß, ich weiß, das sagt Stefan mir auch immer. Ich wills (mal wieder) versuchen, aber es fällt sagenhaft schwer.

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Lieber squire,

 

ich hab das dunkle Gefühl, Du hast nicht nur meinen Beitrag gelesen, sondern (gewissermaßen aus der Erinnerung) noch ein paar andere von anderen Leuten mit. Denn in Deinen Reaktionen erkenne ich meinen Text machmal gar nicht wieder.

 

Kaum eine Art des "Weichspülens" ist meiner Meinung nach schlimmer als die, etwas für unverstehbar zu deklarieren, das durchaus verstanden werden kann und soll - nur leider auf eine Weise, die unserem Bild von Gott - also dem, das wir erschaffen haben - nicht entspricht.

 

Das ist eine sehr zuverlässige Methode, sich selbst zu belügen und dabei auch noch ein besonders gutes Gewissen zu haben. Denn man redet sich dabei ein, Gott vor der Vereinnahmung zu schützen - dabei schützt man nur das Bild, das man selbst erschaffen hat, vor der kritischen Betrachtung.

 

Du behauptest, es sei ein Weichspülen, wenn man ein bestimmtes Verständnis des ?Willens Gottes? nicht teilt und selbst keine ersatzweise Erklärung parat hat?

Nein, aber nicht im mindesten!

 

Ich sage nur: wer sich selbst nicht zutraut, verstanden zu haben - was einfach nur vernünftige Vorsicht ist -, soll nicht sagen, daß keiner verstehen könne. Damit redet er sich selbst ein, daß jeder Versuch schon fruchtlos sei und stellt seine Bemühungen daher zu früh ein. Umgekehrt muß jeder, der meint, verstanden zu haben, dabei natürlich höchste Vorsicht walten lassen: sein Verständnis kann ja auch völlig falsch sein. Genau um das zu prüfen, ist es aber notwendig, möglichst viele Versuche des Verstehens zu unternehmen, um sich gegenseitig prüfen und befruchten zu können.

 

Möglicherweise vertrittst du auch eine unterschiedliche Auffassung von ?unverstehbar?. Natürlich kann man das Leid und seine Ursachen zur Kenntnis nehmen. Das bedeutet aber nicht ? für mich jedenfalls nicht ? das man es nicht als ein abzulehnendes und zu überwindendes Übel ansehen dürfe.

AAAAARGL!!!!

 

Du bist doch Jurist, verdammt noch mal! Ist es sinnvoll, ein Verbrechen verstehen zu wollen? Aber hallo! Heißt das, das Verbrechen "nicht als ein abzulehnendes und zu überwindendes Übel" anzusehen? Natürlich nicht! Man kann auch etwas aus tiefster Selle hassen, was man verstanden hat. Das Leid ist schrecklich; es zu hassen und alles dafür zu tun, um es zu vermeiden, ist klar. Ein "Verstehen", das daran irgendetwas zu ändern versucht, ist notwendigerweise grausam - und nebenbei ist es auch intellektuell minderwertig, weil es nur eine Scheinlösung bringt.

 

Warum triffst du dann solche Unterscheidungen? Wozu braucht man die Philosophie, wenn man mit ihr im praktischen Leben nichts anfangen kann. Diese Verliebtheit in Abstraktionen ist meiner Meinung nach eine der Ursachen, warum die Beantwortung der Theodizee-Frage (und vieler anderer philosophischer oder moralischer Fragen) im praktischen Leben mehr schadet als nutzt. 

Squire, auf eines muß ich mal hinweisen: das Leben besteht aus mehr als Leid. Ich weiß schon, das brauche ich Dir eigentlich nicht zu sagen. Aber hier ist es noch einmal besonders wichtig. Die Antwort auf die Theodizee-Frage hilft kaum, das Leid zu bewältigen, mit dem man gegenwärtig konfrontiert ist. Aber sie hilft bei einigen anderen, auch recht wichtigen Problemen.

 

Aber ich sagte: "kaum". Sie hilft nämlich schon, zumindest manchen und manchmal. Sie kann dem, der anderen in ihrem Leid beistehen will, durchaus helfen, indem sie ihm seine Kraft erhält. Diese Kraft kommt nämlich aus der Liebe Gottes. Und manchmal ist es ganz hilfreich, im Hinterkopf zu haben, daß das Leid, dem man begegnet, einen nicht von dieser Liebe trennen muß. "Im Hinterkopf": nicht auf der Zunge.

 

Gerade wenn ich die Welt gut finde: bin ich nicht moralisch geradezu zur Empörung verpflichtet, weil es anderen so grauenhaft ergeht?

Nein, Empörung oder irgendwelche anderen Gefühle sind entweder authentisch oder nicht. Man ist meiner Meinung nach überhaupt niemals zu Gefühlen verpflichtet.

Das ist richtig, trifft aber nicht das Problem (liegt an mir; ich hatte mich unklar ausgedrückt). Man empört sich über etwas. Wenn ich sehe, daß einer ungerecht geschlagen wird, empöre ich mich, völlig authentisch. An der Authentizität meiner Empörung ändert sich nichts, auch wenn ich das ganze nur mißverstanden habe (der Schlag etwa nur markiert war). Mir geht es darum, den Grund für die Empörung - die durchaus vorhanden ist und legitim wäre, wäre da nicht dieses Mißverständnis - als Irrtum auszuräumen.

 

Um Gottes Willen, nein. Ich bin ganz sicher der Auffassung, das die Welt deutlich besser sein könnte als sie ist. Darin sehe ich auch eine Grundtatsache der ?irdischen Existenz?, die ständige Suche nach Verbesserung. Eine perfekte, aber dafür stagnierende Welt hätte sicherlich auch ihren Reiz. Allerdings sind Spekulationen darüber auch nicht wirklich hilfreich.

Siehst Du, das ist eine der Fragen, die man m.E. durchaus klären kann. Ich halte eine "perfekte, aber stagnierende Welt" eben durchaus nicht für reiz- sondern für grauenvoll. Auch, was ich unter der "besten aller möglichen Welten" verstehe, bedarf der Erläuterung: Zum einen halte ich es für eine Illusion, daß wir die Welt verbessern können. Wir können einzelne Aufgaben bewältigen, und die Welt an einzelnen Stellen für eine gewisse Zeit scheinbar besser machen. Das macht aber nicht "die Welt" besser. Zum anderen ist aber genau diese Tatsache, daß uns diese Welt immer aufs neue Aufgaben stellt, die wir zu lösen haben, das, was sie für uns zur "bestmöglichen" Welt macht. Denn wir sind, so wie wir sind, geborene "Problemlöser".

 

Als ob dieses gelehrte Philosophieren in irgendeiner Weise besser wäre, als sich um die konkreten vor uns liegenden Angelegenheit zu kümmern. Die Beantwortung der Theodizee-Frage ist philosophische Dekadenz.  Man kann seine Zeit auch sinnvoller verplempern.

Das ist nicht besser - und es braucht viel mehr Krankenpfleger als Philosophen. Aber es ist auch sinnvoll und notwendig.

 

Man braucht sie nicht gerade zu leugnen, aber sollte sich auch nicht allzuviel darauf einbilden. Vor allem sollte man meiner Meinung nach mehr auf die Ergebnisse dieses ?Verstehens? achten, als auf die Schlüssigkeit der Erklärungsmodelle. Wenn die Ergebnisse OK sind, kann ich auch das ?Verstehen? tolerieren.

Na, da sind wir doch mal völlig einer Meinung. Die Frage ist allerdings noch, was du unter "Ergebnissen" verstehst; da könnte noch ein Problem liegen.

 

Dann weißt Du doch gar nicht, zu was Du da gerade Dein Einverständnis, Dein Bekenntnis abgibst: wie eine Unterschrift unter einen fremdsprachigen, eben unverständlichen Vertrag.

Das ist beim Glauben so. Man hält bestimmte Dinge zunächst einmal ungeprüft für richtig und überprüft seinen Glauben dann anhand der Lebenserfahrung.

Schon klar. "Lebenserfahrung" ist aber ein problematisches Wort. Was dem einen sein Vorurteil, ist dem anderen seine Lebenserfahrung. Die intellektuelle Prüfung ist ein Weg (nicht der einzige, und auch nicht der Königsweg), beides voneinander zu unterscheiden.

 

Das ist doch lebensfremd. Mit einem solchen Wissen ist man für ein menschliches Leben hoffnungslos überqualifiziert. Ich brauche das nicht zu wissen, weil ich nicht Gott bin.

Lieber Squire, das ist der alte "Praktiker-Einwand". Ich kenne das noch aus der Zeit, als ich Maschinenbau studiert habe, von erfahrenen Werkmeistern: "Diese Diplomingenieure spinnen". Und ich kenne das auch aus der Justiz, von denkfaulen Amtsrichtern: "Soll der BGH entscheiden was er will, die sind eh abgehoben." Das ist ja nicht komplett abwegig. Natürlich gibt es Abgehobenheit, und ein bißchen Erdung schadet nie. Aber umgekehrt macht man es sich damit etwas zu einfach. Es sind nicht zuletzt die "abgehobenen" Philosophen und theologen, denen wir Demokratie, Verfassungen und das 2. Vaticanum verdanken.

 

JA. Ich halte das für gut, was ich für gut halte. Was meiner Meinung nach nicht gut ist, halte ich auch nicht für gut, auch wenn es mir als ?Gottes Willen? verkauft wird.

Oh. Also ist der Glauben kein Korrektiv für Dich? Wenn Gott Deiner Meinung nach eh nur das will, wovon Du meinst, daß er es wollen kann - wozu brauchst Du ihn dann noch? Als applaudierendes Publikum? Reg Dich nicht auf - ich überspitze bewußt. Aber ich denke, so einfach geht es nun einmal nicht.

 

Wie soll ich ein Wort auf etwas oder einen anwenden, wenn ich es oder ihn nicht verstehe? Was macht ihn denn zu einem liebenden - sogar alliebenden - Gott, wenn er Kinder verrecken läßt
Das ist das Problem mit antropomorphen Gottesbildern. Die Liebe eines Menschen ist etwas anderes als die Liebe Gottes. Mit dieser typisch katholischen allgültig-abstrakten ?Du sollst?-Moral kommt man zwangsläufig zu Problemen wie der Theodizee-Frage.

Und das ist das Problem mit amorphen Gottes-nicht-Bildern: sie werden beziehungslos. Wenn Gottes Liebe eine grundsätzlich andere Liebe als meine Liebe ist, dann fangen wir mit inhaltsleeren Sprachspielen an. Wenn mein Stuhl nicht Dein Stuhl, sondern das ist, was Du "Teebeutel" nennst, dann wird es schwierig, sich über die Möblierung von Zimmern oder die Zubereitung von Getränken zu unterhalten.

 

Du übersiehst eines: Gott redet zu uns über Liebe. Er ist kein I****. Er wird, wenn er über Liebe redet, dabei schon Begriffe, Codes, Symbole verwenden, die wir verstehen können.

 

Wir sind Bestandteil einer Schöpfung, die so ist wie sie ist. Solange wir hier sind, können wir davon ausgehen, dass wir hier kein Fremdkörper sind. Eine Moral, die künstlich einen Keil zwischen Gott und die Menschen treibt, ist ganz sicher eine falsche Moral.

Wieder mal ein Punkt, wo ich nicht weiß, auf wessen Beitrag Du antwortest - meiner ist es nicht. Denn das ist genau meine Meinung - es klingt aber so, als wollest Du mir damit widersprechen.

 

Auch hier sind die Ergebnisse meiner Meinung nach wichtiger als die Abstraktionen, mit denen man zu ihnen gelangt.

Völlig richtig. Was nicht heißt, daß Abstraktionen nichs wert wären. Wenn ich eine Brücke bauen will, ist die standfeste Brücke wichtiger als die statischen Berechnungen. Trägt die Brücke, obwohl sie es - der Statik zufolge - nicht dürfte, ist mir das recht. Trotzdem ist es eine gute Angewohnheit, Brücken vorab abstrakt statisch zu berechnen.

 

Du gehst davon aus, dass Gott zwangsläufig eine Art allmächtiger Mensch sein müßte.

Aber nicht im entferntesten. (Das hab ich aber ausdrücklich gesagt.)

 

Allerdings sind wir Gott - das hat er uns gesagt - ähnlich. Und er hat sich uns offenbart (und tut es noch) - also auf eine Weise mitgeteilt, die wir verstehen können. Anders gesagt: ich habe keine Ahnung, wie der am anderen Ende der Telefonleitung aussieht. Was er mir aber sagt, das kann ich verstehen.

bearbeitet von sstemmildt
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Franciscus non papa
Ein Punkt, der in diesem Zusammenhang viel zu wenig gebracht wird, ist:

Unser irdisches Leben ist fast ein Nichts angesichts der Ewigkeit! So tragisch würde ich das irdische Leiden also auch nicht nehmen. Das Leben ist halt eine Prüfung.

ein ziemlich billiger trost...

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Liebe Gabriele, Thomas, Moni und Exi:

 

Ich mach das mit der Zusammenfassung noch, heute abend - versprochen!

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