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Historische vs. psychologische Bibelauslegung


Aleachim

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vor 49 Minuten schrieb Marcellinus:
vor 1 Stunde schrieb Moriz:

Unter "Religion" kann beides verstanden werden.

Nein, kann es nicht. Es gibt keine Religion, die auf Wissen beruht.

Sag das nicht, Marcellinus.

So manche Religion weiß ganz genau, wie man Macht ausübt und woher man mit welchen Methoden Geld eintreibt.

Klingt erst mal negativ - aber da steckt durchaus ein Wissen über den Menschen dahinter.

 

Das Problem scheint mir eher ein anderes zu sein: Religionen vermögen desöfteren nicht zwischen Wissen und Glauben zu unterscheiden. 

Mein alter Kunstlehrer im Gymnasium: "Über den Auferstehungsleib Jesu wissen wir recht gut bescheid."

Klar, weil einiges hierzu in den Evangelien steht. Und Treue zum Evangelium war für ihn gleichbedeutend mit Glaube. Und wenn man dem Evangelium treu ist, dann WEIß man eben einiges über Jesus.

Je fundamentalistischer eine Religionsgruppe, desto häufiger ihr Prahlen mit einem absoluten WISSEN. Manche wissen sogar alles, und zwar mit absoluter, wissenschaftlich bestätigter und ewiger Sicherheit. 

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vor 6 Minuten schrieb Xamanoth:

nichts an der Scholastik erscheint mir als auf subjektive, individuelle Stimmungen abzielend (die Bekenntnisse sind ja keine Scholastik im eigentlichen Sinne). Wieso hat den Philosophen des Mittelalters das keiner gesagt, dass es nicht auf idealistische Erwägungen, sondern auf individuelle Emotionen ankommt?

 

Weil sie dem gleichen Irrtum aufgesessen sind wie die Philosophen, die Vorstellung nämlich, man könne durch bloßes Nachdenken sichere Erkenntnisse über diese Welt gewinnen.

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vor 11 Minuten schrieb Mecky:

Wissen nicht. Aber ich befürchte, dass Du Religion mit Glauben verwechselt hast.

 

Ich denke, nicht. Glaube bezieht sich auf einzelne Menschen, Religion ist eine soziale Veranstaltung. 

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9 hours ago, Marcellinus said:

 

Entstanden ist es aber ohne Bibel (genauer gesagt ohne NT). Das entstand erst aus ganz unterschiedlichen Schriften und Traditionen im 2. Jh. Eigentlich erst durch die Herausforderung der Theologie des Marcion (von dem übrigens auch die Bezeichnung "neues Testament" stammt) entstanden unterschiedliche Kanonlisten und die Kanonisierung fand erst im 4. Jh. statt. Was ebenfalls für viele andere heute unabdingbare Bestandteile des christlichen Glaubens gilt. So kannte Tertullian weite Teile dessen, was heute unter Christologie bekannt ist, noch nicht, weil es einfach noch nicht existierte.

 

Ich denke, hier wird von zwei verschiedenen Dingen gesprochen - einmal das institutionalisierte Christentum mit seinem gesamten theologischen Ueberbau und zum anderen die Aussage von Jesus als Gottes Sohn und Messias.  Die Bibel selbst spricht nicht von der Institution Christentum genausowenig wie Jesus sich als Religionsgruender begreift oder darstellt.  Das NT ist nicht in unserem heutigen Sinn "christlich", sondern wird gepraegt durch die Auseinandersetzungen mit dem bestehenden Judentum und den eigenen Stellungnahmen dazu. Genauso wenig ist das AT in unserem heutigen Sinn "christlich", auch wenn jahrhundertelange Bemuehungen es auf fatale Weise "christianisieren" zu wollten, was  zu allen moeglichen waghalsigen theologischen Interpretationen der Texte des AT fuehrte.  Genauso wenig taugt es, wenn man beide Teile der Bibel von der Aussage her trennt, was lange Zeit gemacht wurde,  das das alte abgehalfterte- hier das neue zzukunftsweisende.  In der Bibel werden als theologische und geschichtliche Aussage des Judentums ueber sich selbst ueber lange Zeit theologische Entwicklungen geschildert, in denen das Erscheinen von Jesus einen bestimmten Punkt der Entwicklung bezeichnet. Wenn ich diesen Punkt als normativen Beginn wichtig finde zu wissen, hat das fuer mich nichts mit dem nachfolgenden Ueberbau, den das Christentum bzw. der Katholizismus entwickelte, sondern mit der Erkenntnis: Das Heil kommt von den Juden. 

 

Ich kann mich natuerlich irren, aber meines Erachtens hat Ennasus nicht von dem spaeteren dogmatischen Ueberbau des Christentums gemeint, sondern die Initialzuendung, die von einem bestimmten Moment an in der Person Jesus  in der geschilderten Entwicklung innerhalb der biblischen Aussage passierte, eine Initialzuendung, die den Beginn eines weiteren Prozesses markierte, der sich in seinen Auswirkungen erst langsam zu zeigen begann. 

 

 

 

 

bearbeitet von Long John Silver
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Mich interessiert momentan folgendes:

 

In einer Predigt von Meister Eckart gibt es die Stelle: "Wir haben ein Wort des Weisen: Da alle Dinge mitten in einem Schweigen waren, da kam in mich von oben hernieder von dem koeniglichen Stuhl ein verborgenes Wort.Von diesem Wort soll die Predigt handeln."

 

Mich erinnert das spontan an die Symbolsprache der Bibel, von der Ennasus oefter berichtet.  

 

Wahrscheinlich kennt niemand hier diese Predigt? Ich kann sie nicht im ganzen erklaeren, es geht unter anderem um die Bilder, welche wir uns in unserem Inneren bilden von der Aussenwelt und allem Kreatuerlichen, also auch von uns selbst, und darum, dass Gott kein Bild von sich selbst habe und unsere Seele auch nicht, also bildlos sei. Ich habe es jetzt ein paar mal gelesen (bis ich es ueberhaupt verstanden habe inhaltlich einigermassen). 

 

Nun, es waere voelliger Zufall, wenn jemand diesen Text jetzt auch kennen wuerde ... 

 

Ein Versuch ist es wert.

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vor 16 Stunden schrieb Marcellinus:

 

Nun, dann waren viele der frühen Christen Lügner. Nimm nur Laktanz mit seinem Werk "Über die Todesarten der Verfolger", in dem er vollkommen fiktive, aber schreckliche Tode der Kaiser schilderte, die seiner Ansicht nach Christen verfolgt hatten. Wie schrieb Tertullian so schön: "Mögen die anderen Argumente bringen, die Wahrheit wird siegen", wobei der mit der Wahrheit seinen Glauben meinte. Oder was war mit der "Konstantinschen Schenkung"? Oder all die Märtyrerlegenden? Wie heißt es doch so schon: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben". Wahrheit wird im Christentum personalisiert. Das Christentum selbst ist die Wahrheit, und damit auch alles, was der Verbreitung des Christentums dient. Die Evangelisten waren überzeugt, mit ihren Geschichten der Wahrheit zu dienen, wie sie sie verstanden. Und die, die den Kanon des NT zusammengestellt haben, sahen das genauso. Deshalb wählten sie diese Geschichten aus, selbst wenn sie sich offensichtlich widersprachen. Man hatte ein anderes Verständnis von Wahrheit. Falsch waren immer nur die anderen. Man hatte die wahre Religion. Nichts, was dem diente, konnte daher Lüge sein. 

Mich hat dieser Post mehr beschäftigt als manch anderer hier. Ich denke, du verwechselst hier zwei Ebenen. Da ist einmal die historische, dann die religiöse Wahrheit.

Dass die Rede von der freimachenden Wahrheit oder davon, dass Jesus die Wahrheit ist, nicht als geschichtswissenschaftliches Programm gemeint ist, dürfte auf der Hand liegen.

Es wäre eher erstaunlich, wenn nie ein Kirchenlehrer, - schriftsteller oder - vater mit seinen historischen Sachen daneben gelegen hätte. Es gibt keine irrtumsfreien Quellen. Wenn es bei den Christen anders wäre, dann hätten wir endlich einen Gottesbeweis.

Es ist durchaus möglich, dass Laktanz mit Absicht die schrecklichen Todesarten römischer Kaiser erfunden hat. Die nordafrikanischen Kirchenväter sind generell apologetisch und theologisch recht hart. Man darf also behaupten, dass Laktanz in diesem Punkt gelogen hat. Übrigens war er einer der wenigen Vertreter der Scheibenwelt unter den Kirchenvätern, aber ausser später Kopernikus, der Laktanz' Ansichten als die Ansicht aller Kirchenschriftsteller verkaufte und so eine der großen Legenden der Neuzeit und Aufklärung in die Welt setzte, glaubte ihm das zu seiner Zeit keiner. Die Kugelgestalt der Erde stand schon damals nicht zur Diskussion. Das nur am Rande.

 

Die konstantinische Schenkung ist sicherlich kein allgemeines Werk aller Christen. Man hat sie gerne geglaubt, so wie die Aufklärer bis zum heutigen Tag lieber Kopernikus glauben, was die Sache mit der Scheibe betrifft: Einer guten Story den Laufpass zu geben, das fällt uns Menschen halt einfach schwer. Gelogen hat nicht die Christenheit als Solche.

 

Ebenso verhält es sich auch mit den zahlreichen Legenden, von denen die Märtyrerlegenden nur einen Bruchteil darstellen. Seitdem Septimus Severus das Leben des heiligen Martins niederschrieb, fungierte sein Werk als Vorlage für jede Heiligenlegende über Jahrhunderte hinweg.

 

In unserer Zeit gibt es diese unsägliche Kopiertätigkeit im Bereich der Liebesromane, Mittelalterromanen und Heimatkrimis, die je einem ganz bestimmten Ereartungshorizont folgen. Gespeist wird die Massenproduktion durch die Nachfrage und so war es im Mittelalter, als man nicht nur Legenden, sondern auch Reliquien produzierte um die Nachfrage zu bedienen.

 

Es wäre wirklich erstaunlich, wenn in der großen Anzahl von Christen kein einziger gewesen wäre, der es mit der Wahrheit nicht so genau nahm.

 

Und es ist gar nicht so einfach, die Legenden der Aufklärung in unserer Zeit als nützliche Lügen zu entlarven, siehe die Sache mit der flachen Erde oder andere Geschichten, die uns bis zum heutigen Tag hier im Forum durchaus beschäftigen.

 

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Gegen eine symbolische oder psychologische Auslegung gibt es an für sich nichts einzuwenden.

Leider wird sie oft missbraucht. Man gerät notgedrungen in den Bereich von Befindlichkeiten und Subjektivität. Symbole und Psychologie haben dies so an sich.

 

Interessant ist, dass auch hier schon im Thread die historische Auslegung gegen die psychologische gestellt wird. "historische vs psychologische"

Interessant ist dies, weil "psychologisch" nur ein Teil der Alternativen zu "historisch" ist.

 

Ich bevorzuge erst mal eine inhaltliche Auslegung. Diese kann natürlich schnell auf psychische oder symbolische Aspekte zugreifen, da manche Inhalte geradezu auf die psychische oder symbolische Wirkung abzielen. 

 

Inhaltliche Auslegung heißt:

Jesus hat vielleicht niemals gesagt: "... ich aber sage euch: wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat die Ehe schon gebrochen ...".

Aber vielleicht stimmt ja der Inhalt dieses Satzes, und zwar völlig unabhängig davon, ob ihn Jesus jemals ausgesprochen hat.

 

Es ist allerdings manchmal schwierig herauszufinden, was denn der konkrete Inhalt einer Anekdote oder eines Logions ist. 

Da gibt es dann die (hier schon viel diskutierten) sprachlichen und gedanklichen Differenzen zu einer Zeit, die 2000 Jahre zurück liegt.

Und der Inhalt von legendären, unwahrscheinlichen und widersinnigen Passagen lässt sich gelegentlich überhaupt nicht verbalisieren.

 

Da kommt man dann ganz schnell in die Befindlichkeit des Lesers. Die Frage ist dann nicht mehr: "Was ist der Inhalt?", sondern "Wie wirkt dieser Inhalt auf den Leser ein?"

Es findet also eine zweite Abstraktion statt:

Erst abstrahiert man von der historischen Realität.

Dann abstrahiert man von einer sprachlich genauen Beschreibung des Inhalts.

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vor 8 Minuten schrieb nannyogg57:

Gelogen hat nicht die Christenheit als Solche.

Das hat Marcellinus auch nicht behauptet. Er sagte:

"Nun, dann waren viele der frühen Christen Lügner." Und nahm Laktanz als Beispiel.

 

Lügen tut primär ein Individuum, nicht "die Christenheit". 

Die meisten Menschen lügen gelegentlich. Manchmal gelingt es, eine Gruppe auf eine bestimmte Falschaussage oder Verzerrung einzuschwören. Der Urheber der Lüge tut dies bewusst. Er weiß, dass er nicht die Wahrheit sagt, er will auch die Wahrheit nicht sagen, sondern er will mit seiner Unwahrheit eines seiner Ziele unterstützen. Manchmal erreicht man ja mit Lügen etwas. Die anderen, die seiner Lüge erliegen, sind keine echten Lügner mehr, sondern Opfer seiner Lüge. Sie wiederholen den verlogenen Mist in gutem Glauben. 

 

Deswegen kann man der Christenheit insgesamt nicht Lüge unterstellen. Aber dafür einen leichtfertigen und unkritischen Umgang mit ihren Quellen. "Wenn es Laktanz sagt", oder wenn die kirchliche Obrigkeit eine Schenkung behauptet, dann wird es wohl schon so sein. Oder: Wenn es im Evangelium oder in der Bibel steht. Oder wenn es Bestandteil der Tradition ist.

 

Man kann der Christenheit nicht vorwerfen, dass sie lügt.

Man kann aber einer ganzen Menge Christen vorwerfen, dass sie sich nur allzu gerne blenden lassen. Immer dann, wenn es ihnen in den Kram passt und wenn der ursprüngliche Lügner "einer von uns" ist und seine Ziele und Absichten mitgetragen werden. 

Man kann einer ganzen Menge Christen vorwerfen, dass sie sich mit enormer Energie gegen die Einsicht sperren, dass der ursprüngliche Lügner ein Lügner ist.

Und man kann einer ganzen Menge Christen vorwerfen, dass sie dieses Sperren mit absurder Energie betreiben, selbst wenn die Lügen offensichtlich auf dem Tisch liegen.

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Stimmt. Marcellinus hat von einzelnen Christen gesprochen.

 

Der Rest deines Posts sind Allgemeinplätze, die auf praktisch alle Menschen außer dich natürlich zutreffen.

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Den letzten Halbsatz kannste wegwerfen. Nur Propaganda, eigentlich Deiner nicht würdig.

 

Aber sind das wirklich nur Allgemeinplätze, wenn ich darauf verweise, dass der Lügenvorwurf falsch ist,

dass aber andere Vorwürfe sehr wohl berechtigt sind?

Der Vorwurf der Allgemeinplätze kommt natürlich Deinem Ziel entgegen, dass man solche Vorwürfe ausblendet.

Damit machst Du Dich zu einem Teil des Systems und arbeitest mit seinen Mitteln.

Und Du ersparst Dir die Notwendigkeit, Dich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen. Stattdessen genügt es Dir, sie als "Allgemeinplätze" abzuqualifizieren.

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Ich muss im Zusammenhang mit diesem Thema an Kurosawas "Rashomon" denken. In dem Film geht es um Dinge wie Erinnerung, Wahrheit, Faktizität. Was ist wirklich geschehen in dem Lustwäldchen? Wer sagt die Wahrheit? Wer lügt?  Lukas schreibt in der Einleitung zu seinem Evangelium, dass es schon viele unternahmen, Berichte darüber zu verfassen, was damals geschah und sich dabei auf die Überlieferung derer stützten, die Augenzeugen dieser Geschehnisse waren. Lukas selbst war auch kein Augenzeuge und stützt sich selber auf Berichte von anderen, denen er, wie er schreibt "von Grund auf sorgfältig" nachgegangen ist. Mit anderen Worten: Lukas Evangelium ist im wesentlichen eine Sammlung von Berichten anderer. 

 

Damit komme ich zurück zu Rashomon. In Rashomon legen 4 Personen Zeugnis über ein Verbrechen ab. Doch jedes Zeugnis widerspricht dem anderen. Einige Details stimmen überein, andere wiederum nicht. Im Prinzip stellt der Film die Frage, ob es "die Wahrheit" überhaupt gäbe und ob wir, auch wenn wir Augenzeugen eines Geschehnisses sind, überhaupt dazu imstande sind, dies adäquat der Realität wiederzugeben. Der Film verneint das. Dieses negative Votum deckt sich mit Ergebnissen der Sozialpsychologie, etwa dem bekannten Experiment des Strafrechtlers Franz von List. In dem Experiment wies er nach, dass schon am Abend, an dem ein von Studenten beobachteter Mord (der Mord war gestellt) stattfand, 1/3 der Zeugen grob fehlerhafte Angaben machte, und 80% der Personen einer Gruppe, die erst 5 Wochen später befragt wurde, irrten nicht nur grob, sondern hatten zum Teil auch noch signifikante Erinnerungslücken oder beschrieben überhaupt Ereignisse, die so gar nicht stattfanden. 

 

Was wir erleben wird von uns nicht im Gehirn 1:1 gespeichert, sondern durchläuft Filterungs- und Einordnungsprozesse, die auf dem beruhen, was wir zuvor erlebten. Unsere Erinnerungen sind wie die Schalen einer Zwiebel, die einander überlagern, nie losgelöst von anderen "Erinnerungsschalen", sondern jede Erinnerung ist eingebettet in andere Erinnerungen und Erfahrungen, wird durch diese beeinflusst und übt selber Einfluss auf diese aus.

 

Ich bin überzeugt, dass Lukas genau das getan hat, was er in seiner Einleitung behauptet: er ist den Vorgängen sorgfältig nachgegangen, sammelte mit großer Sorgfalt alle Berichte über die damaligen Vorgänge, die ihm zugänglich waren. Er hat, was das angelangt sicher nicht gelogen. Alleine, was er sammelte und kompilierte, die Berichte und andere Quellen, die er zu dem nach ihm benannten Evangelium formte, kann kein getreues Abbild dessen sein, was damals geschah, muss notwendig an einer Forderung nach Faktizität scheitern. Es ist, wenn man so will, interpretierte Wahrheit, etwa in der Art wie Paul Celans Todesfuge kein faktisches Abbild der Todeslager im 3. Reich ist. Und dennoch halte ich die Todesfuge für eine bemerkenswert genau Beschreibung der Todeslager, eine Beschreibung, die auf ihre Art um nichts weniger genau ist als historische Werke darüber. 

 

Ich für mein Teil halte das Lukas-Evangelium für "wahr", nicht im Sinne einer Faktizität, sondern im gleichen Sinne, wie ich Celans Todesfuge für absolut wahr halte. Mir genügt das. Und, wenn ich das so harsch ausdrücken darf: wer Faktizität als Anspruch für Wahrheit stellt, ist in meinen Augen ein blinder Narr der taumelnd durch die soziale Wirklichkeit irrt und sich beständig weinerlich darüber beklagt, sich an allen Ecken und Kanten blutig zu stoßen. Es gibt eine Wahrheit jenseits der Faktizität. Wer sehen will, der sehe. 

 

Nachtrag: eine der Protagonisten in Rashomon ist Mönch. Durch die Geschehnisse gerät er in Glaubenszweifel. Wenn die Wahrheit so unergründlich ist, wem und was kann man dann noch glauben? Am Ende des Films findet er dennoch festen (Glauben)Grund jenseits der Faktizität in der mit wenig Aufhebens  vollzogene selbstlose Handlung des Holzfällers, ein anderer Protagonist und Zeuge der Geschehnisse. 

bearbeitet von Mistah Kurtz
Nachtrag angehängt und kleinere Korrekturen
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Die Erklärung durch schlechte oder geprägte Erinnerung versagt bei den dickeren Klöpsen. Wer sich so schlecht erinnert, dass er am Weihnachtsabend die Engelchen in Betlehem singen hört, gehört in die Ausnüchterungszelle. 

 

Lukas spricht zu Beginn seines Evangeliums übrigens tatsächlich von "Bericht". Viele behaupten, die Evangelien wollten gar keinen Bericht vorlegen. Lukas scheint dies aber anders zu sehen. Er legt zumindest nahe, dass er sich an Berichten orientiert habe. Wobei ich mich allerdings schon frage, was im Horizont der lukanischen Gemeinde so alles als "Bericht" gewertet wurde. Lukas hätte ja auch schreiben könne: "All dies erwog ich in meinem Herzen. Und all diese Erwägungen habe ich nun für Dich aufgeschrieben, geliebter Theophilus, damit Du sehen kannst, was ich glaube und wovon ich lebe." Leider hat Lukas dies aber nicht so geschrieben.

 

Der eigentliche Knackpunkt aber ist seine Behauptung, er wäre diesen Berichten sorgfältig nachgegangen. Das stimmt nicht. Er hat einiges schlichtweg ungeprüft übernommen.

Und er hat dabei in einer Art Veränderungen an den "Berichten" vorgenommen, die ich mir nicht anders erklären kann, als absichtlich und zielbewusst - und gelegentlich entgegen dem Duktus und der Absicht seiner Quellen.

 

Das kann man ganz gut nachverfolgen. Da tritt nicht der original Markus aufs Papier. Und da tritt auch nicht original Q aufs Papier. Sondern Lukas hat sehr charakteristisch abgeändert.

 

Lukas 6, Feldrede

21 Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden. / Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen. 
25 Weh euch, die ihr jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern. Weh euch, die ihr jetzt lacht; denn ihr werdet klagen und weinen. 
 

Vers 21 ist zu Q sehr kompatibel. Da kann man durchaus auch eine poetische Freiheit gewähren. Gut so. 

Aber Vers 25. Mit Q kann man das nicht begründen. Und auch nicht damit, dass sich dann jemand eben ungenau erinnert.

Da hat Lukas einen Kontrast verwendet, und keiner weiß, woher er ihn hat. Und es ist sehr naheliegend zu sagen: Pure Erfindung. 

Lukas geht über die Ermutigung (selig die Hungernden und Lachenden) deutlich hinaus und erfindet einen Weheruf über die Satten und Lachenden. 

Ob dieser Weheruf im Interesse Jesu lag? 

Vor allem denke ich: Er lag im Interesse von Lukas. Anscheindend war Lukas völlig egal, was Jesus dazu gemeint hat. Oder auch nur meinen würde.

 

Und so etwas nenne ich Verfälschung. Und die Missachtung gegenüber der Quelle und gegenüber Jesus kritisiere ich, weil Lukas den Leser hierüber täuscht. Und wenn man noch das Vorwort im Kopf hat, dass Lukas nicht seine Erwägungen, sondern einen Bericht vorlegen wollte, dann täuscht er den Leser noch schlimmer. 

 

Und dazu muss man noch sagen, dass Lukas die Logienquelle insgesamt unveränderter wiedergibt, als Matthäus. Bei dem ist es noch schlimmer.

 

Nicht das, was sich mit Jesus ereignet hat, nicht die Ziele und Absichten Jesu zählen,

sondern das, was die Evangelisten wollten. Sie geben nicht den Jesus wieder, führen den Leser nicht an Jesus heran, sondern an ihre Eigeninteressen.

Und das nenne ich verlogen. Sie benutzen Jesus als Marionette, der aus seinem Mund ihre Meinung erklingen lässt. Was für eine Missachtung gegenüber Jesus! Was für eine Geringschätzung der Realität gegenüber.

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vor 45 Minuten schrieb Mecky:

Was für eine Geringschätzung der Realität gegenüber.

Von der du nach eigenem Bekunden nichts wissen kannst. Womöglich liegt auch Lukas richtig und du liegst falsch, womöglich  erfasst Lukas die Aussageabsicht Jesu besser als Mecky.

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vor 5 Minuten schrieb Chrysologus:

Von der du nach eigenem Bekunden nichts wissen kannst. Womöglich liegt auch Lukas richtig und du liegst falsch, womöglich  erfasst Lukas die Aussageabsicht Jesu besser als Mecky.

Ja. Vielleicht.

Richtig nachvollziehen kann ich nur, wie er mit seinen Quellen Markus und Q umgegangen ist und wie er sie verfälscht hat. 

Woher soll eigentlich dieses bessere Erfassen der Aussageabsicht Jesu bei Lukas herrühren? Von den Berichten, die er verfälscht hat? Oder von Gerüchten?

Ich traue solchen Fälschern einfach nicht über den Weg. Aber kann schon sein: Vielleicht hat Lukas die Absichten Jesu durchschaut. Auch ein blindes Huhn tritt gelegentlich auf eine Mine.

 

Das eigentliche Problem besteht aber tatsächlich in meinem Nichtwissen. Dieses Nichtwissen rührt daher, dass die Evangelisten ihr fragwürdiges Wissen sehr unglaubwürdig niedergeschrieben haben. 

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vor 6 Stunden schrieb Long John Silver:

Das Heil kommt von den Juden. 

Oh, oh. Das wird unseren Anti-Juden Apologeten, die scon die Lektüre der Thora und der Prophetenbücher oder gar das Betreten einer Synagoge für toxisch halten, aber gar nicht gefallen.

 

Salvation doesn't come from the Jews. That's fake news! Salvation comes from Mecky. It's true. The greatest salvation ever! So beautiful, you will see it. And Luke will pay for  it!

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vor 30 Minuten schrieb Mecky:

Richtig nachvollziehen kann ich nur, wie er mit seinen Quellen Markus und Q umgegangen ist und wie er sie verfälscht hat. 

Toll, was Du alles kannst. *michtiefverneig*

 

vor 30 Minuten schrieb Mecky:

Woher soll eigentlich dieses bessere Erfassen der Aussageabsicht Jesu bei Lukas herrühren?

Daher, dass er den Berichten nachgegangen ist. Ds hat er nämlich tatsächlich getan - allerdings nicht, wie verlangst, im Zeitungsarchiv, bei Facebook und Wikipedia, sondern im Alten Testament. Denn er behauptet ja gar nicht, den Sachverhalt darzustellen, sondern will Theophilus von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen.

 

Das Lukas Evangelium ist vollgestopft mit Querverweisen, besonders auf die Thora, die Prophetenbücher und die Psalmen. Daraus entwickelt Lukas die entscheidende Aussage: Dieser Jesus ist der dem Volk Israel verheißene Messias, der Christus - das Licht zur Erleuchtung der Heiden, und Herrlichkeit für das Volk Israel.

bearbeitet von ThomasB.
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vor 4 Minuten schrieb ThomasB.:

Oh, oh. Das wird unseren Anti-Juden Apologeten, die scon die Lektüre der Thora und der Prophetenbücher oder gar das Betreten einer Synagoge für toxisch halten, aber gar nicht gefallen.

 

Salvation doesn't come from the Jews. That's fake news! Salvation comes from Mecky. It's true. The greatest salvation ever! So beautiful, you will see it. And Luke will pay for  it!

Schon wieder Propaganda. Ist da irgendwo ein Nest?

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Was daraus geworden ist, habe ich gerade vorhin anhand einiger verfälschender Feldredensprüche dargestellt.

Lukas behauptet, Berichten nachgegangen zu sein. Wie soll sich Theophilus aber von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen, wenn ihm lediglich ein Kompendium von Verfälschungen untergejubelt wird? Der Theophilus ist das erste Opfer von Lukas' Quellenmanipulation. Und mit Theophilus könnten alle gläubigen Leser des Lukasevangeliums gemeint sein. 

 

Auf meine Aussagen zur Feldrede gehst Du wohlweislich nicht ein.

Auf meine Bemerkungen zum leeren Grab oder zu den folgenden Spukgeschichten auch nicht.

 

Niemand, der die Lügen erhalten will, tut dies. So was sitzt man besser aus. Oder man bemüht sich, den Kritiker in ein schlechtes Licht zu rücken.

 

vor 31 Minuten schrieb ThomasB.:

Das Lukas Evangelium ist vollgestopft mit Querverweisen, besonders auf die Thora, die Prophetenbücher und die Psalmen.

Meinst Du, dass Lukas die Thora, die Prophetenbücher und die Psalmen gemeint hat:

1 Schon viele haben es unternommen, einen Bericht über all das abzufassen, was sich unter uns ereignet und erfüllt hat.
2 Dabei hielten sie sich an die Überlieferung derer, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren.
 

Klingt nicht so. Lukas behauptet, diesen Berichten nachgegangen zu sein. 

Wahrscheinlich ist dies gleich die erste Lüge in seinem Evangelium. Er ist nicht ihnen nachgegangen, sondern den alttestamentlichen Recken, den wahren Dienern des Wortes, die zu Lukas' Zeiten schon lange tot waren. Und dann projizierte er die Überzeugung, die er durch diese Lektüre gewonnen hat auf Jesus und legte diesem alles in den Mund, was er nach Lukas' Ansicht zu sagen habe. 

 

Wie schon gesagt: Es geht nicht um Jesus. Sondern es geht um die Ansichten und Absichten von Lukas. Der Jesus ist nur Marionette mit eingebautem Lautsprecher. Was sie von sich gibt, das gibt Lukas vor. 

 

Und wenn Lukas in den vorliegenden Berichten etwas findet, was seiner Meinung nach nicht richtig oder zu wenig ist oder seinen Ansichten widerspricht, dann beginnt Lukas zu fingieren, zu retuschieren oder gänzlich neu dazuzuerfinden.

 

Und dies alles unter dem Titel "sorgfältig nachgegangen". 

 

vor 31 Minuten schrieb ThomasB.:

Daraus entwickelt Lukas die entscheidende Aussage: Dieser Jesus ist der dem Volk Israel verheißene Messias, der Christus - das Licht zur Erleuchtung der Heiden, und Herrlichkeit für das Volk Israel.

Welcher Jesus? Diese Marionette, derer er sich literarisch bedient? Oder der Jesus, der wirklich gelebt hat?

Der Jesus, der den Satten und Lachenden geweheruft hat, oder ein völlig anderer Jesus, der so was nicht getan hat?

Der Jesus, der in Betlehem unter viel Gedöns geboren wurde, oder ein ganz anderer Jesus?
Der Jesus, dessen Grab leer war?

 

"DIESER Jesus" klingt angesichts der unaufklärbaren Fragen doch ziemlich martialisch.

Hätte sich Lukas mal mehr Mühe gegeben, seinen Lesern diesen Jesus glaubwürdig zu beschreiben, anstatt ihm andauernd irgendwas zu unterstellen!

bearbeitet von Mecky
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vor 38 Minuten schrieb Mecky:

Das eigentliche Problem besteht aber tatsächlich in meinem Nichtwissen. Dieses Nichtwissen rührt daher, dass die Evangelisten ihr fragwürdiges Wissen sehr unglaubwürdig niedergeschrieben haben. 

Gut, du weißt also nichts von Jesus, weil Du nach deinem Eindruck nichts wissen kannst. Das nehme ich zu Kenntnis - aber warum sagst du dann etwas über ihn? Lügst tagtäglich deine Gemeinde an. "Am Abend vor seinem Leiden nahm er das Brot" Du weißt nichts, ob er das tat und was er dann sagte, aber du tust so, als sei es so gewesen. Das ist schlichte Lüge - oder (wie ich vermute) Feigheit, die Konsequenzen nicht zu ziehen, die eigentlich fällig wären.

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Weil ich darauf hoffe, dass die Gegenwart Gottes in der Eucharistie trotz aller Verlogenheit der Evangelisten wahr ist. Und dass die Symbole und Riten der Eucharistie ein prima Zugang zu dieser Gegenwart Gottes sind.

Sogar noch mehr: Weil ich daran glaube, dass Gott in einem Menschen gegenwärtig werden kann. (Auch wenn man nicht lügt). Und zwar am spürbarsten in einem Menschen, wie derjenige, den ich mir aus den Storys der Evangelisten zusammengebastelt habe. 

 

Ich habe ihre Bastelei als Vorlage für meine eigene genommen. Und das Ergebnis beeindruckt mich. 

Der Gedanke, dass ich mit einer besseren Vorlage auch besser basteln könnte, betrübt mich. Aber das Ergebnis der Bastelei ist dermaßen hilfreich, dass ich trotz aller Unsicherheit daran glaube.

 

Während der Eucharistie empfinde ich die Herumlügerei der Evangelisten als besonders ... unnötig.

Sie hätten von mir aus gerne auf diese Lügen verzichten können. Es war gar nicht nötig, die ganzen Quellen zu malträtieren und sich in tausenderlei Widersprüche hineinzumanöwrieren. Angesichts dessen, was ich bei der Eucharistie erfahre, hätten mir die Evangelisten auch die Wahrheit erzählen können.

 

Selbstverständlich WEIß ich durch die Eucharistie nicht, wie das Abendmahl stattgefunden hat. Nicht einmal, ob es wirklich stattgefunden hat. Ob nicht auch Frauen dabei waren. Ob der Jesus Ähnlichkeiten mit dem "Jesus der Evangelien" und die Apostel Ähnlichkeit mit den "Aposteln der Evangelien" hatten. 

 

Dass ein Mensch im Vertrauen auf Gott zu allem bereit sein kann, ist eine Einsicht, die mich jenseits eventueller Lügengeschichten berührt.

Und da ich keine andere Grundlegung für die Eucharistie finde, als die Evangeliengeschichten, nehme ich mit ihr Vorlieb. Und nehme mir fest vor, postmortal den Jesus bei Gelegenheit zu fragen, wie es wirklich war. 

 

Vielleicht noch mal andersrum:

Der Glaube an die Gegenwart, das Erbarmen und die Hilfe Gottes geht bei mir um Grade tiefer, als der "Glaube" (im Sinne von Fürwahrhalten) an Storys. 

Was ich über die Storys der Evangelisten denke, hat nicht seinen Ort in der Eucharistie, die auch jenseits des Fürwahrhalteglaubens meinen Glauben stärkt und prägt.

Es gibt andere Gelegenheiten, da spreche ich dann deutlich genug aus, was ich von den Storys halte. Und vielen geht es ebenso, wie mir. Besonders nachdem ich gerade wieder eine ungeheurliche Spuk- oder Zauberstory aus dem Evangelium vorgelesen habe.

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