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Ist ein kirchenfernes Christentum denkbar?


Danny_S.

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vor 3 Stunden schrieb Weihrauch:

Meinst du ernsthaft, dass die katholische Glaubenslehre eine Vermittlung katholischen Wissens ist?

Ich bin nicht der Adressat dieser Frage, aber ich finde die darin enthaltene Frage begrifflich interessant: Ist die katholische Glaubenslehre eine Vermittlung katholischen Wissens?

 

Ich würde sie mit "ja" beantworten, weil eine Lehre Wissen vermittelt. Aber das Wissen, das vermittelt wird, ist - wie jede Art von Wissen - (bloß) begrifflicher Natur. Wenn ich also Kenntnis von der Glaubenslehre habe, weil ich entsprechend belehrt wurde, dann weiß ich, was die Glaubensinhalte sind (ich habe das Wissen). Aber mein Wissen bzgl. der Glaubensinhalte hat nichts damit zu tun, ob ich die katholischen Glaubensinhalte auch glaube.

Die katholische Glaubenslehre vermittelt also Wissen bzgl. der Glaubeninhalte, aber den Glauben an die Glaubensinhalte kann sie als Glaubenslehre nicht vermitteln.

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vor 31 Minuten schrieb corpusmysticum:
vor 40 Minuten schrieb Marcellinus:

Ja, die Existenz von Göttern kann nicht bewiesen werden. Aber das weiß man natürlich erst, nachdem es viele Male vergeblich versucht wurde. Somit gibt es (bis zum Beweis des Gegenteils) keine objektive Existenz von Göttern.

 

Hier hast Du einen Widerspruch. Wenn die Existenz von Göttern nicht bewiesen werden kann, ist es hinfällig von den Gläubigen einen solchen Beweis zu erbitten. Die Annahme, dass Gläubige Beweise erbringen müssen, setzt erstmal voraus, dass die Existenz von Göttern bewiesen werden kann.

Es kann nicht erklärt werden, Gott könne nicht bewiesen werden und dann einen Gottesbeweis erwarten.

 

Habe ich? Erkenntnis und Erwerb von Wissen ist ein Prozeß, und irgendwann sind Fragen auch erledigt. Ich erwarte von jemandem, der an eine "flache Erde" glaubt, ja auch nicht, daß er seine Ansichten objektiv beweisen kann. Ja, Gläubige müßten, wenn sie die Existenz ihrer Götter objektiv beweisen wollten, nachprüfbare Beweise erbringen, aber ich erwarte es nicht mehr von ihnen, weil sich das Thema erledigt hat. Wir sind über die Phase hinaus, in der die Menschen diese Welt aus den Handlungen, Absichten und Zielen von als übernatürlich gedachten Wesen zu erklären versuchten.

 

Aber ich weiß natürlich, daß es immer noch Menschen gibt, die das anders sehen. Vor denen muß ich daher weiterhin erwarten, daß sie ihre Position objektiv belegen, wenn sie für ihre Ansichten allgemeine Akzeptanz erwarten, obwohl ich natürlich weiß, daß sie diesen Beweis nicht erbringen können. Die größte Gemeinschaft von Menschen, die für ihre religiösen Vorstellungen objektive Akzeptanz erwartet, sind gegenwärtig Islamisten. Es scheint mir kein Zufall zu sein, daß sie gar nicht erst versuchen, Andersgläubige mit Worten zu überzeugen, sondern eher auf Gewalt setzen. 

 

vor 31 Minuten schrieb corpusmysticum:
vor 40 Minuten schrieb Marcellinus:

Ist das so? Ich kann mir durchaus einige Glaubensvorstellungen denken, die die ich aber nicht beweisen kann, die also kein Wissen sind, und die ich trotzdem für mich für richtig halte. Ich geh nur halt nicht damit hausieren. ;)

 

Ich glaube der anfänglich von Dir genannte Ansatz ist der entscheidene Punkt: "Anspruch objektiver Gültigkeit".

Grundsätzlich sehe ich keinen Grund, warum ich Dir Gott beweisen können sollte, wenn ich eine Aussage über zum Beispiel Gottes Offenbarung treffe, soweit sie für mich gültig ist. Ich würde beanspruchen, dass meine Werte aus der Offenbarung Jesu Christi stammen. Würde ich von Dir jetzt verlangen, dass du diese Werte annimmst, müsste ich natürlich nachweisen, dass die Quelle meiner Offenbarung für Dich objektiv existiert. Das kann ich nicht. Für mich wäre es eher ein Ansatz, mit Dir in einen Dialog zu gehen, welche Werte wir teilen und kann problemlos akzeptieren, dass Du Deine Werte anders herleitest.

 

Richtig! Es gibt keine Offenbarung aus zweiter Hand! Wenn du mich von deinen Werten überzeugen willst, kann dein Glaube kein Argument sein, wie umgekehrt meiner auch nicht. Argumente, soweit sie nicht auf Tatsachenbeobachtungen beruhen, sondern auf Meinungen, können nur in gemeinsamen Vorstellungen bestehen. 

 

Das muß aber auch kein Problem sein. Wenn es nicht entscheidend ist, was wir glauben, sondern was wir tun (weil Menschen einfach sehr viel mehr glauben als tun können), dann müssen wir uns nur über unsere Taten und deren Folgen unterhalten, war entschieden einfacher ist, als sich über die "Himmel" zu verständigen, die über unseren jeweiligen Köpfen schweben. ;)

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vor 36 Minuten schrieb Aleachim:
vor einer Stunde schrieb Marcellinus:

Ich kann mir durchaus einige Glaubensvorstellungen denken, die ich aber nicht beweisen kann, die also kein Wissen sind, und die ich trotzdem für mich für richtig halte.

Waaas? Du? 

 

Ja, ich! Wir Menschen sind stammesbildende und geschichtenerzählende Primaten. Und auch ich denke mir Geschichten aus, oder höre sie von anderen, die uns Menschen und unsere Stellung in der Welt betreffen. Geschichten, die mir plausibel erscheinen, obwohl ich sie nicht beweisen kann. Und ein paar dieser Geschichten haben Bedeutung für mich. 

 

vor 36 Minuten schrieb Aleachim:

 

vor einer Stunde schrieb Marcellinus:

Ich geh nur halt nicht damit hausieren. ;)

Aha... Schade eigentlich. Obwohl. Irgendwie gefällts mir...😘

 

Wenn ich eines hier in den über zehn Jahren gelernt habe, dann daß man mit der Preisgabe von Persönlichem zurückhaltend sein sollte. 

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vor 4 Minuten schrieb Marcellinus:

Habe ich? Erkenntnis und Erwerb von Wissen ist ein Prozeß, und irgendwann sind Fragen auch erledigt. Ich erwarte von jemandem, der an eine "flache Erde" glaubt, ja auch nicht, daß er seine Ansichten objektiv beweisen kann. Ja, Gläubige müßten, wenn sie die Existenz ihrer Götter objektiv beweisen wollten, nachprüfbare Beweise erbringen, aber ich erwarte es nicht mehr von ihnen, weil sich das Thema erledigt hat. Wir sind über die Phase hinaus, in der die Menschen diese Welt aus den Handlungen, Absichten und Zielen von als übernatürlich gedachten Wesen zu erklären versuchten.

 

Aber ich weiß natürlich, daß es immer noch Menschen gibt, die das anders sehen. Vor denen muß ich daher weiterhin erwarten, daß sie ihre Position objektiv belegen, wenn sie für ihre Ansichten allgemeine Akzeptanz erwarten, obwohl ich natürlich weiß, daß sie diesen Beweis nicht erbringen können. Die größte Gemeinschaft von Menschen, die für ihre religiösen Vorstellungen objektive Akzeptanz erwartet, sind gegenwärtig Islamisten. Es scheint mir kein Zufall zu sein, daß sie gar nicht erst versuchen, Andersgläubige mit Worten zu überzeugen, sondern eher auf Gewalt setzen. 


Das sehe ich genauso.

 

vor 5 Minuten schrieb Marcellinus:

Richtig! Es gibt keine Offenbarung aus zweiter Hand! Wenn du mich von deinen Werten überzeugen willst, kann dein Glaube kein Argument sein, wie umgekehrt meiner auch nicht. Argumente, soweit sie nicht auf Tatsachenbeobachtungen beruhen, sondern auf Meinungen, können nur in gemeinsamen Vorstellungen bestehen. 

 

vor 5 Minuten schrieb Marcellinus:

Das muß aber auch kein Problem sein. Wenn es nicht entscheidend ist, was wir glauben, sondern was wir tun (weil Menschen einfach sehr viel mehr glauben als tun können), dann müssen wir uns nur über unsere Taten und deren Folgen unterhalten, war entschieden einfacher ist, als sich über die "Himmel" zu verständigen, die über unseren jeweiligen Köpfen schweben. ;)

 

Zu beiden Punkten Zustimmung.

Soweit meine Annahme, dass die von Gott offenbarten Werte objektiv gültig sind, zutrifft, kann ich auch entspannt davon ausgehen, dass die Werte inhaltlich kommunizierbar sind und dass man im Austausch auf diese Werte kommen kann, auch ohne die objektive Referenz Gott zu bedienen. Im Grunde sagt das Neue Testament, dass den Heiden das Gesetz ins Herz geschrieben ist. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir in der Gewissensentscheidung als Menschen zu gemeinsamen Werten kommen können. Notwendig ist eine Reflektion über Werte, um das, was wir als Moral akzeptieren, auch ethisch herleiten zu können.

Ich habe mir heute von Markus Gabriel das Buch "Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten" bestellt. Gabriel geht davon aus, dass es objektive Werte gibt, die von allen Menschen als solche erkannt werden können. Dabei hat er keinen religiösen Hintergrund oder Bezug, sondern ist vom Selbstverständnis her eindeutig Philosoph. Mal sehen.

 

 

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vor 38 Minuten schrieb corpusmysticum:
vor 40 Minuten schrieb Aleachim:

Waaas? Du? 

 90% aller Positionen, die wir denken, sind im Grunde kulturell vererbt und nicht durch uns geprüft.

 

Ja, das stimmt. Menschen bilden Gesellschaften, Menschen gibt es nur im Plural und wir alle sind Teil einer ununterbrochenen Kette von Überlieferungen. Keiner von uns fängt bei Null an. Unsere Sprache, die Bilder und Vorstellungen die wir mit ihr bilden und weitergeben, sind in einem langen Prozeß vor uns entstanden. Wir tragen unseren Teil dazu bei, geben es weiter an die nächsten Generationen. Keiner von uns könnte auch nur einen Bruchteil dessen selbst entdecken, was unser Bewusstsein und unseren Habitus ausmacht. 

 

vor 38 Minuten schrieb corpusmysticum:

Das betrifft wohl auch alle unserer wissenschaftlichen Annahmen oder überhaupt Dinge, die ganz pragmatisch unser Leben betreffen.

 

Aber das bedeutet nicht, daß diese wissenschaftlichen Annahmen beliebig wären. Das ist es ja gerade, was unser wissenschaftliches Wissen von anderen Vorstellungen unterscheidet: daß es durch Tatsachenbeobachtungen belegbar, überprüfbar und veränderbar ist.

 

Das ist aus meiner Sicht der größte Sündenfall unserer neueren Geschichte, daß Regierungen sich wissenschaftliche Meinungen kaufen, ihnen genehme Meinungen fördern, mißliebige diskreditieren, und so die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen suchen. Damit zerstören sie auf Dauer unsere einzige Möglichkeit, nachprüfbares Wissen von Irrtümern zu unterscheiden, und uns in einer Welt zu orientieren, die nun mal ohne Gebrauchsanweisung daherkommt. 

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vor 5 Stunden schrieb corpusmysticum:

Es gibt gar keinen Grund, jemandem zu vertrauen, von dem man nicht weiß, ob er existiert.

 

Da gehen die Meinungen anscheinend auseinander:

Zitat

Röm 8,24.25 EU 2016
Denn auf Hoffnung hin sind wir gerettet. Hoffnung aber, die man schon erfüllt sieht, ist keine Hoffnung. Denn wie kann man auf etwas hoffen, das man sieht?  Hoffen wir aber auf das, was wir nicht sehen, dann harren wir aus in Geduld. 

 

Das hier geht in die gleiche Richtung:

Zitat

2.Kor 5,6-7 EU 2016
Wir sind also immer zuversichtlich, auch wenn wir wissen, dass wir fern vom Herrn in der Fremde leben, solange wir in diesem Leib zu Hause sind; denn als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende.

 

Den mag ich besonders gern:

Zitat

Hebr 11,6 EU 2016
Ohne Glauben aber ist es unmöglich, Gott zu gefallen; denn wer hinzutreten will zu Gott, muss glauben, dass er ist und dass er die, die ihn suchen, belohnen wird.

 

Vermutlich gibt es andere Stellen, die Wasser auf deine Mühle sind.

 

vor 5 Stunden schrieb corpusmysticum:

Selbst wenn Du Glaube nicht christlich verstehst, ...

 

Nebenbei bemerkt: Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt, in deinen Augen kein Christ zu sein.

 

vor 5 Stunden schrieb corpusmysticum:

... sondern nur als ein Für-wahr-halten, wird es noch weniger einleuchtend: Du weißt nicht, dass Gott existiert, hälst aber für wahr, dass er existiert. ... 

 

Habe ich das irgendwo so geschrieben, wie du das jetzt darstellst?

Da ich mich offensichtlich noch zu unverständlich ausgedrückt habe: Es ist mir scheißegal ob Gott existiert. Zwinge mich doch nicht solch schrökliche Sachen zu sagen. Wir sind hier schließlich nicht unter uns. Was sollen denn die Leute denken.

 

Es interessiert mich einfach nicht mehr. Das war nicht immer so, hat sich aber dahingehend über die Jahre entwickelt. Was ist daran so schlimm, dass mir der Glaube genügt, und ich nicht meine, das auch noch wissen zu müssen? Lass es doch einfach mal so stehen, auch wenn du das nicht nachempfinden kannst.   

 

vor 5 Stunden schrieb corpusmysticum:

... Das ist Nonsens, denn Du scheinst unter Glaube ein „für möglich halten“ zu verstehen. Ein für möglich halten ist aber kein Glaube, sondern nur eine Spielart Deines Denkens.

 

Etwas für wahr zu halten, was man nicht weiß, ist in der Tat etwas anderes, als etwas für möglich zu halten, was man nicht weiß. Jetzt wärst du eigentlich auf der richtigen Spur um mich zu verstehen, hältst das aber für Nonsens. Schade.

 

Ich denke, dass etwas für wahr zu halten, was man nicht weiß, befremdlich ist. Etwas für möglich zu halten, was man nicht weiß, dagegen für ziemlich alltäglich im Glaubensleben - und nicht nur dort. Am Ende ist das womöglich so alltäglich wie Glaube, Hoffnung und Liebe?

 

 

bearbeitet von Weihrauch
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vor 2 Minuten schrieb Marcellinus:

Aber das bedeutet nicht, daß diese wissenschaftlichen Annahmen beliebig wären. Das ist es ja gerade, was unser wissenschaftliches Wissen von anderen Vorstellungen unterscheidet: daß es durch Tatsachenbeobachtungen belegbar, überprüfbar und veränderbar ist.

 

Natürlich. Man kann sie als zuverlässig betrachten, gerade wenn man sich anschaut, wie das Verfahren einer wissenschaftlichen Studie abläuft und wie hart die internen Kriterien sind (Peer Review etc).

 

Für mich stand allerdings immer die Frage im Raum, wieso ich mich auf die Beobachtungen oder auch die wissenschaftlichen Ergebnisse verlassen kann, wieso der Kosmos nach regulierenden Prinzipien abläuft, ja es überhaupt Sinn macht, Testverfahren einzuleiten (das setzt ja die Annahme voraus, dass dem Kosmos eine Systematik zugrunde liegt), am Ende auch, wieso ich meiner Erkenntnis über mich selbst trauen kann - und an dieser Stelle setzt für mich der Glaube an einen rationalen Schöpfer an, der den Kosmos so gestaltet hat, dass er für uns erforschbar und erkennbar ist, und der auch uns so geschaffen hat, dass wir uns in unserer Selbsterkenntnis sicher sein und zu wahren Ergebnissen kommen können.

 

Aus diesem Grund finde ich allerdings auch Gläubige befremdend, die immer gegen die Wissenschaft schießen und ihre Zuverlässigkeit verleugnen. Da frage ich mich, was sie für ein Gottesbild haben, wenn sie glauben, dass der Schöpfer sein Universum so gestaltet hat, dass man mit wissenschaftlicher Forschung zu keinen gültigen Schlussfolgerungen kommen könne. Das wäre ein Gott der Täuschung, der Irregularität und der Verdunkelung.

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vor 10 Minuten schrieb corpusmysticum:

Für mich stand allerdings immer die Frage im Raum, wieso ich mich auf die Beobachtungen oder auch die wissenschaftlichen Ergebnisse verlassen kann, wieso der Kosmos nach regulierenden Prinzipien abläuft, ja es überhaupt Sinn macht, Testverfahren einzuleiten (das setzt ja die Annahme voraus, dass dem Kosmos eine Systematik zugrunde liegt), am Ende auch, wieso ich meiner Erkenntnis über mich selbst trauen kann - und an dieser Stelle setzt für mich der Glaube an einen rationalen Schöpfer an, der den Kosmos so gestaltet hat, dass er für uns erforschbar und erkennbar ist, und der auch uns so geschaffen hat, dass wir uns in unserer Selbsterkenntnis sicher sein und zu wahren Ergebnissen kommen können.

 

"Mein Vater lehrte mich, daß es auf die Frage 'Wer hat mich erschaffen?' keine Antwort gibt, da diese sofort die weitere Frage nahelegt: 'Wer hat Gott erschaffen?'." Wenn alles eine Ursache haben muß, dann muß auch ein Gott eine Ursache haben. Wenn es aber etwas geben kann, daß keine Ursache hat, kann das ebensogut die Welt wie Gott sein.“ (Aus der Autobiografie von John Stuart Mill (1806-1873), zit. nach Bertrand Russel 1963: Warum ich kein Christ bin. München, S. 20)

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vor 27 Minuten schrieb corpusmysticum:

Irgendwann stellt sich raus, dass @Marcellinus Gott ist 😄

 

Na, na! :D Marcellinus ist eine von mir vor fast 15 Jahren geschaffenen Kunstfigur zur Diskussion in weltanschaulichen Foren (und nur dafür!). Sie schlägt sich mal besser und mal schlechter. Und ja, unsere kleine Unterhaltung macht mir viel Freude. ;)

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vor 12 Minuten schrieb Marcellinus:

 

"Mein Vater lehrte mich, daß es auf die Frage 'Wer hat mich erschaffen?' keine Antwort gibt, da diese sofort die weitere Frage nahelegt: 'Wer hat Gott erschaffen?'." Wenn alles eine Ursache haben muß, dann muß auch ein Gott eine Ursache haben. Wenn es aber etwas geben kann, daß keine Ursache hat, kann das ebensogut die Welt wie Gott sein.“ (Aus der Autobiografie von John Stuart Mill (1806-1873), zit. nach Bertrand Russel 1963: Warum ich kein Christ bin. München, S. 20)


Das ist richtig. Soweit ich weiß ist die Quantenphysik so weit, dass sie ein ewiges Universum annimmt bzw. ein ewiges Multiversum, aus dem das Universum hervorgegangen ist.

Allerdings habe ich auch nicht den kosmologischen Gottesbeweis bemüht.

 

Interessant finde ich, dass vor ungefähr 10 Jahren Atheisten - und Buddhisten ähnlich - so argumentierten: da in der Welt alles vergänglich ist und ein ständiges Werden und Vergehen, ist die Vorstellung von etwas Ewigen, wie zB Gott oder eine Seele, das nicht geschaffen wurde und auch niemals stirbt, kaum plausibel.

 

Heute argumentieren Atheisten, und vergessen ihr eigenes frühes Argument, dass es keinen Gott als Urheber braucht, weil das Universum keinen Anfang hat, sondern ewig existiert. 

Ich finde ja schön, dass auch Atheisten ihre Plausibilitäten überdenken, allerdings ist ein ewiges Universum eher einen Hinweis auf ein Ewiges als Grundlage oder Aspekt unserer oder anderer möglicher Wirklichkeiten.

bearbeitet von corpusmysticum
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vor 19 Minuten schrieb corpusmysticum:

Für mich stand allerdings immer die Frage im Raum, wieso ich mich auf die Beobachtungen oder auch die wissenschaftlichen Ergebnisse verlassen kann, wieso der Kosmos nach regulierenden Prinzipien abläuft, ja es überhaupt Sinn macht, Testverfahren einzuleiten (das setzt ja die Annahme voraus, dass dem Kosmos eine Systematik zugrunde liegt), am Ende auch, wieso ich meiner Erkenntnis über mich selbst trauen kann - und an dieser Stelle setzt für mich der Glaube an einen rationalen Schöpfer an, der den Kosmos so gestaltet hat, dass er für uns erforschbar und erkennbar ist, und der auch uns so geschaffen hat, dass wir uns in unserer Selbsterkenntnis sicher sein und zu wahren Ergebnissen kommen können.

 

Hast du schon mal überlegt, daß es vielleicht genau anders herum ist? Daß nicht dieser Kosmos so gestaltet ist, daß er für uns erkennbar ist, sondern daß die Geschichte der Menschheit auch verstanden werden kann als den durchaus sehr mühseligen Versuch, unsere gedanklichen Werkzeuge und Erkenntnismittel an die Eigentümlichkeiten und Zusammenhänge dieses Kosmos anzupassen? Und daß wir vermutlich immer dann genau falsch liegen, wenn wir unserer Selbsterkenntnis zu sicher sind und uns im Besitz der "Wahrheit" wähnen? ;)

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vor 2 Minuten schrieb Marcellinus:

 

Hast du schon mal überlegt, daß es vielleicht genau anders herum ist? Daß nicht dieser Kosmos so gestaltet ist, daß er für uns erkennbar ist, sondern daß die Geschichte der Menschheit auch verstanden werden kann als den durchaus sehr mühseligen Versuch, unsere gedanklichen Werkzeuge und Erkenntnismittel an die Eigentümlichkeiten und Zusammenhänge dieses Kosmos anzupassen? Und daß wir vermutlich immer dann genau falsch liegen, wenn wir unserer Selbsterkenntnis zu sicher sind und uns im Besitz der "Wahrheit" wähnen? ;)


Das ist eine Hypothese. Die müsste derjenige, der sie plausibel findet, jetzt überprüfen. Vor allem müsste er überprüfen, ob der Ansatz, in der eigenen Selbsterkenntnis zu irren, wirklich seiner Selbsterkenntnis entspricht. Also, wer „ist“, wenn „wer“ denkt?

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vor 3 Minuten schrieb corpusmysticum:

Interessant finde ich, dass vor ungefähr 10 Jahren Atheisten - und Buddhisten ähnlich - so argumentierten: da in der Welt alles vergänglich ist und ein ständiges Werden und Vergehen, ist die Vorstellung von etwas Ewigen, wie zB Gott oder eine Seele, das nicht geschaffen wurde und auch niemals stirbt, kaum plausibel.

 

Heute argumentieren Atheisten, und vergessen ihr eigenes frühes Argument, dass es keinen Gott als Urheber braucht, weil das Universum keinen Anfang hat, sondern ewig existiert. 

 

Atheismus als Weltanschauung ist nicht besser als andere. Dieses Universum ist, soweit wir wissen, mindestens 13 Mrd. Jahre alt und entsprechend unabsehbar groß. Ich finde es immer wieder putzig, wenn Leute, egal ob Theologen oder Philosophen, meinen über "die letzten Dinge" definitive Aussagen machen zu können. Wir sitzen auf einem kleinen unbedeutenden Staubkorn irgendwo in einer kleinen Ecke einer unter unzähligen Galaxien. Wir können froh sein, wenn wir uns in unserer näheren kosmischen Umgebung ein wenig auskennen, und selbst da begegnet uns ständig Neues. Ein bißchen Bescheidenheit täte gut. 

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Atheismus ist im Grunde gar keine Weltanschauung, sondern nur die Antwort auf eine Frage.

Deswegen ist der Vergleich Christentum und Atheismus auch wenig zielführend, weil das Christentum sehr viel mehr Aspekte beleuchtet, die der Atheist durch Konzepte wie Humanismus & Co. beantwortet. Definitive Aussagen über die letzten Dinge sind von Theologen und Philosophen nicht möglich, das sehe ich genauso.

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vor 1 Minute schrieb corpusmysticum:

Das ist eine Hypothese. Die müsste derjenige, der sie plausibel findet, jetzt überprüfen. Vor allem müsste er überprüfen, ob der Ansatz, in der eigenen Selbsterkenntnis zu irren, wirklich seiner Selbsterkenntnis entspricht. Also, wer „ist“, wenn „wer“ denkt?

 

Nein, das ist jetzt mal ausnahmsweise keine Hypothese. Wir wissen definitiv, daß der Homo Sapiens mindestens 300.000 Jahre alt ist, die Menschheit noch ein ganzes Stückchen länger. Wir wissen, daß Menschen vergangener Zeit sehr viel weniger über unsere Welt wußten als heute, daß ihre Vorstellungen von dem, was diese Welt "im Innersten zusammenhält", über weite Strecken aus Illusionen bestand, und zwar nicht nur, was die Bestandteile dieser Welt betrifft, sondern auch ihr Zusammenwirken. 

 

Wir müssen nur an die Medizin denken. So lange ist es noch gar nicht her, daß Menschen dachten, böse Geister würden die Krankheiten bringen. In der Antike kam dann die Miasmen-Theorie auf, die Krankheiten auf schlechte Gerüche zurückführte. Erst mühsam haben sich die Menschen davon überzeugt, daß die allermeisten ihrer Vorstellungen fantasievolle Irrtümer waren, die teilweise noch bis in die Neuzeit überdauert haben. Und auch heute ist auf dem Gebiet der Medizin noch vieles pure Spekulation. Und das ist nur ein Wissensgebiet. Entsprechend haben die Vorstellungen der Menschen über die Zusammenhänge in dieser Welt sich entwickelt. 

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vor 47 Minuten schrieb Weihrauch:

 

Da gehen die Meinungen anscheinend auseinander:

 

Das hier geht in die gleiche Richtung:

 

Den mag ich besonders gern:

 

Vermutlich gibt es andere Stellen, die Wasser auf deine Mühle sind.

 

 

Nebenbei bemerkt: Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt, in deinen Augen kein Christ zu sein.

 

 

Habe ich das irgendwo so geschrieben, wie du das jetzt darstellst?

Da ich mich offensichtlich noch zu unverständlich ausgedrückt habe: Es ist mir scheißegal ob Gott existiert. Zwinge mich doch nicht solch schrökliche Sachen zu sagen. Wir sind hier schließlich nicht unter uns. Was sollen denn die Leute denken.

 

Es interessiert mich einfach nicht mehr. Das war nicht immer so, hat sich aber dahingehend über die Jahre entwickelt. Was ist daran so schlimm, dass mir der Glaube genügt, und ich nicht meine, das auch noch wissen zu müssen? Lass es doch einfach mal so stehen, auch wenn du das nicht nachempfinden kannst.   

 

 

Etwas für wahr zu halten, was man nicht weiß, ist in der Tat etwas anderes, als etwas für möglich zu halten, was man nicht weiß. Jetzt wärst du eigentlich auf der richtigen Spur um mich zu verstehen, hältst das aber für Nonsens. Schade.

 

Ich denke, dass etwas für wahr zu halten, was man nicht weiß, befremdlich ist. Etwas für möglich zu halten, was man nicht weiß, dagegen für ziemlich alltäglich im Glaubensleben - und nicht nur dort. Am Ende ist das womöglich so alltäglich wie Glaube, Hoffnung und Liebe?

 

 


Ich werde morgen versuchen darauf einzugehen.

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vor 4 Stunden schrieb Aleachim:

Ich weiß nicht, ob ich mit dem, was mir dazu durch den Kopf geht, auch für Weihrauch spreche.

 

Das tust du.

 

vor 4 Stunden schrieb Aleachim:

Aber auch für mich ist die Frage nach der Existenz Gottes irgendwie irrelevant.

 

Genau das ist der Punkt, um den es mir geht.

 

vor 4 Stunden schrieb Aleachim:

Ich sehe es eher umgekehrt. Dieses Vertrauen ist Leben, ist da, trotz aller Schwierigkeiten. Dieses Vertrauen nenne ich Gottvertrauen, aber ohne genau zu wissen, wer, wie oder was "Gott" eigentlich ist. Ich spüre einfach und erlebe es immer wieder, da ist etwas (jemand), dem ich vertrauen kann und darf. Ob man das nun "Gott" nennt, ist dabei ziemlich egal.

 

Genau so. Danke für dein Verständnis. 

 

Die Frage kann natürlich irgendwann relevant werden - aber noch nicht jetzt.

 

Ich bin, der ich bin (für dich). 

Ich werde sein, der ich sein werde (für dich).

Das darf ich glauben - das allein ist schon eine göttliche Gnade.

 

Es ist, wie es ist, sagt die Liebe. 

Aber was weiß ich schon?

bearbeitet von Weihrauch
Gnadenaspekt hinzugefügt. Spät aber nicht zu spät.
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vor 5 Minuten schrieb corpusmysticum:

Atheismus ist im Grunde gar keine Weltanschauung, sondern nur die Antwort auf eine Frage.

 

Vor allem ist es zuerst nur ein Begriff, genauer gesagt ein Kampfbegriff gegenüber Leuten, die den jeweils herrschenden Gottglauben ablehnten. 

 

vor 5 Minuten schrieb corpusmysticum:

Deswegen ist der Vergleich Christentum und Atheismus auch wenig zielführend, weil das Christentum sehr viel mehr Aspekte beleuchtet, die der Atheist durch Konzepte wie Humanismus & Co. beantwortet. 

 

Ja, Atheisten gibt es viele, und manche Weltanschauungen und Ideologien tragen den Atheismus wie eine Fahne vor sich her, nur um einem anderen Glauben anzuhängen. 

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vor 1 Minute schrieb Marcellinus:

 

Nein, das ist jetzt mal ausnahmsweise keine Hypothese. Wir wissen definitiv, daß der Homo Sapiens mindestens 300.000 Jahre alt ist, die Menschheit noch ein ganzes Stückchen länger. Wir wissen, daß Menschen vergangener Zeit sehr viel weniger über unsere Welt wußten als heute, daß ihre Vorstellungen von dem, was diese Welt "im Innersten zusammenhält", über weite Strecken aus Illusionen bestand, und zwar nicht nur, was die Bestandteile dieser Welt betrifft, sondern auch ihr Zusammenwirken. 

 

Wir müssen nur an die Medizin denken. So lange ist es noch gar nicht her, daß Menschen dachten, böse Geister würden die Krankheiten bringen. In der Antike kam dann die Miasmen-Theorie auf, die Krankheiten auf schlechte Gerüche zurückführte. Erst mühsam haben sich die Menschen davon überzeugt, daß die allermeisten ihrer Vorstellungen fantasievolle Irrtümer waren, die teilweise noch bis in die Neuzeit überdauert haben. Und auch heute ist auf dem Gebiet der Medizin noch vieles pure Spekulation. Und das ist nur ein Wissensgebiet. Entsprechend haben die Vorstellungen der Menschen über die Zusammenhänge in dieser Welt sich entwickelt. 


Das wäre ein Argument. Schließt Du nun daraus, dass auch alle heutigen Erkenntnisse der Naturwissenschaften Täuschungen sind?

Allerdings nimmt Dein obiger Einwand keinen Bezug auf die Selbsterkenntnis. „Ich denke also bin ich“. Selbst der Irrtum setzt voraus, dass Etwas sich irren kann. D.h., auch wenn das Denken irrt, muss etwas da sein, das sich irrt. Gabriel meint, das Interessante am Denken ist, dass es im Moment des Irrtums nicht mehr zum Tatsachenteppich gehört, sondern überschüssig ist, so es der objektiven Welt, dem Tatsachenteppich gegenübersteht.

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Gerade eben schrieb corpusmysticum:

Das wäre ein Argument. Schließt Du nun daraus, dass auch alle heutigen Erkenntnisse der Naturwissenschaften Täuschungen sind?

 

Nein, und das kann man auch empirisch belegen. Allerdings enthielten und enthalten wohl auch alle gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Theorien neben realistischen auch fantastische Gehalte. Sowie Theorien (mehr oder weniger) realistisch sind, bewähren sie sich in der Praxis, sind sie es nicht, dann nicht. Das letzte Wort hat immer das Experiment. 

 

Gerade eben schrieb corpusmysticum:

Allerdings nimmt Dein obiger Einwand keinen Bezug auf die Selbsterkenntnis. „Ich denke also bin ich“. Selbst der Irrtum setzt voraus, dass Etwas sich irren kann. D.h., auch wenn das Denken irrt, muss etwas da sein, das sich irrt. Gabriel meint, das Interessante am Denken ist, dass es im Moment des Irrtums nicht mehr zum Tatsachenteppich gehört, sondern überschüssig ist, so es der objektiven Welt, dem Tatsachenteppich gegenübersteht.

 

Ach, der alte Descartes! :D Die irrige Vorstellung, das Subjekt der Erkenntnis sei das einzelne Individuum. Geboren aus der Lebenssituation des einsamen, bürgerlichen Philosophen in seiner Kammer, "den Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir", wie Kant das so treffend nannte. Dabei, wenn man einen Schritt zurücktritt, kann man sehen, daß alle unsere menschlichen Erkenntnisse (und auch übrigens unsere Moralen) Produkt unserer gesellschaftlichen Entwicklung sind, oder des Prozesses der Zivilisation, wie der Soziologe Norbert Elias das genannt hat.

 

Paradebeispiel dafür ist für mich immer die Entdeckung der Evolutionstheorie, zur gleichen Zeit, von zwei Männern, die unterschiedlicher kaum sein könnten, Darwin und Wallace. Gemeinsam war ihnen nur, daß sie zu einer Zeit lebten, in der die Menschen eine Fülle von botanischen und allgemein biologischen Entdeckungen machten, die sie von ihren Fernreisen zurückbrachten. Und genau so eine Fernreise war es dann auch, die jeden der beiden, jeder auf einer anderen Route, Beobachtungen machen ließen, die dann zu erstaunlich ähnlichen Erkenntnissen führten.

 

Dies ist nur ein Beispiel von vielen, die zeigen, daß das eigentliche Subjekt der Erkenntnis nicht "der" einzelne Mensch ist, sondern die Gesellschaft der Menschen, unter ihren jeweiligen Bedingungen, ihrem jeweiligen Vorwissen zu ihrer jeweiligen Zeit, und oft auch mit den für ihre Zeit üblichen Irrtümern. Das heißt nicht, daß jeder Mensch zu einer bestimmten Zeit zu bestimmten Erkenntnissen kommt, aber es bedarf immer einer bestimmten Grundlage, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Auch das größte Genie setzt nur fort, steht auf den Schultern seiner Vorgänger. 

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vor 5 Minuten schrieb Marcellinus:

Ach, der alte Descartes! :D Die irrige Vorstellung, das Subjekt der Erkenntnis sei das einzelne Individuum. Geboren aus der Lebenssituation des einsamen, bürgerlichen Philosophen in seiner Kammer, "den Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir", wie Kant das so treffend nannte. Dabei, wenn man einen Schritt zurücktritt, kann man sehen, daß alle unsere menschlichen Erkenntnisse (und auch übrigens unsere Moralen) Produkt unserer gesellschaftlichen Entwicklung sind, oder des Prozesses der Zivilisation, wie der Soziologe Norbert Elias das genannt hat.

 

Es geht um die Situation im Moment des Erkennens. Wer oder was erkennt da?

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vor 2 Minuten schrieb corpusmysticum:

Es geht um die Situation im Moment des Erkennens. Wer oder was erkennt da?

 

Genau darum geht es nicht! Es ist das, was ich den Descart'schen Irrtum nennen, die Perspektive aus der Sicht eines einzelnen Menschen. Aber einen einzelnen Menschen gibt es nicht. Menschen kommen nur im Plural vor, und was sie tun oder denken, kann daher auch nur aus der Figuration erklärt werden, die sie mit anderen bilden. 

 

Wenn man darauf achtet, merkt man, daß auch man selbst zu jedem Zeitpunkt wie mit unsichtbaren Fäden mit anderen Menschen verbunden ist, und das, was wir denken oder fühlen, nur in Verbindung mit diesen anderen erklärt werden kann, und zwar sowohl die Erfolge als auch die Irrtümer, die alle ihre Zeit entstammen. "Der" einzelne Mensch ist eine Illusion. 

 

Genau das ist aber ein Teil des Problems. Es fällt uns sehr schwer, uns gewissermaßen von außen zu betrachten. Die meiste Zeit haben wir kaum Distanz zu uns selbst. Sonst würden wir wissen, daß die allermeisten unserer Erkenntnisse, die uns heute selbstverständlich erscheinen, weil wir mit ihnen aufgewachsen sind, für die Zeitgenossen erst einmal eine Zumutung waren (was nicht jede intellektuelle Zumutung zu einer zukünftigen Erkenntnis macht). 

 

Die Vorstellung, die Sonne bewege sich auf einer Bahn um die Erde, war seit Anbeginn der Zeit unserer ständiger Begleiter, so selbstverständlich und unvermeidlich, daß einige Zivilisationen große Anstrengungen unternahmen, um zu verhindern, daß die Sonne nach ihrem abendlichen Untergang nicht wieder kam. Die realistischere Vorstellung, daß sich dagegen die Erde um die Sonne bewegt, setzte einen Akt der Selbstdistanzierung voraus, der vielen sehr schwer fiel. 

 

Ähnlich war es mit der Evolutionstheorie. Die Vorstellung, die Menschheit wie die belebte wie unbelebte Welt sei nicht Ergebnis eines einmaligen, göttlichen Schöpfungsaktes, war vor allem eine massive Kränkung, und wird von Kreationisten ja bis heute bekämpft. Daß wir Menschen das Ergebnis eine ungeplanten, ziellosen, aber durchaus strukturieren Entwicklungsprozesses sind, war und ist für viele schwer zu verdauen. 

 

Heute stehen wir wieder vor einer ähnlichen Situation. Wir nehmen uns wahr als Teil einer Masse von 8 Mrd. Menschen, die uns einerseits weitgehend gleichen, aber ganz offenkundig vollkommen unterschiedlichen Vorstellungen folgen. Gewöhnt, Vorstellungen und Verhaltensweisen danach zu beurteilen, ob sie unseren Wertvorstellungen entsprechen oder nicht, sind wir ziemlich ratlos in einer Welt, in der es ganz unterschiedliche Wertvorstellungen gibt. Und wieder fällt uns schwer, uns von unserer aktuelle Situation zu distanzieren, uns und die unterschiedlichen Gesellschaften, die wir miteinander bilden, gewissermaßen von außen zu sehen, um die Dynamik zu verstehen, die sie hat entstehen lassen und immer wieder auch gegeneinander treibt. 

 

Während meine Generation noch versucht hat, diese Dynamik mit Hilfe des Marxismus zu erklären, scheint die aktuelle Generation auf diesen Akt der Selbstdistanzierung vollkommen zu verzichten, und sich auf die eigenen Gefühlswelt als die letzte subjektive Gewißheit zurückzuziehen. "Ich fühle, also bin ich". 

 

Was dagegen nötig wäre, wäre wieder einmal ein nüchterner Blick auf das, was wir Menschen miteinander bilden, ohne daß wir unseren Gefühlen erlauben, unser Denken zu beherrschen. Nötig wäre wieder einmal, unsere Art über uns selbst und die Welt nachzudenken, den empirisch beobachtbaren Tatsachen anzupassen. Vielleicht wäre ein solches Bild auf den ersten Blick nicht schmeichelhaft, aber Ent-Täuschungen waren schon oft der einzige Weg zu einem realistischeren Bild von dieser Welt. 

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