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Jeanne d'Arc


Mecky

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Ich versuche mal es im historischen Kontext zu sehen. Der Krieg war mW ein Erbfolgekrieg um den franz. Königthron, ob das Klischee von den “armen” Franzosen und den “bösen” Engländern so stimmt wage ich zu bezweifeln. Die Bauern als der Grossteil der Bevölkerung, ständig am Existenzminimum und vor dem Hungertod, wurden von den Armeen von beiden Seiten ausgenutzt und ausgeplündert. Es war mehr ein Zustand andauernder Rechtslosigkeit in Frankreich, selbst für damalige Verhältnisse. Vielleicht am besten mit Warlords in Afghanistan zu vergleichen.

 

Jeanne d’Arc machte es zu einem Befreiungskrieg gegen eine ausländische Besatzung und löste einen nationalistischen Moralschub aus. Dummerweise kam sie ausgerechnet bei ihrem König damit nicht an, der spielte weiter sein Spielchen als warlord-in-chief, mit Bestechung seiner unzuverläßigen Vasallen, wechselnden Allianzen, Verrat, usw. Im Jahr 1444 schickte er auch eine Armee in die Schweiz, um den Habsburgern gegen die Schweizer auszuhelfen, obwohl die Engländer immer noch weite Teile Frankreichs besetzt hielten. Die Prioritäten waren nicht sosehr die territoriale Einheit und Unabhängigkeit Frankreichs, sondern persönliche Macht und Einfluss im “warlord-System”.

 

Jeanne d’Arc ist eher eine tragische Figur in dem ganzen. Die Kirche hat sich damals eigentlich zu Recht von ihr distanziert, wenn auch aus den völlig falschen Gründen. Die heutige Kirche hätte sich sicher von ihr distanziert. Sie spricht ja auch keine IRA Bomber heilig, obwohl es um dasselbe geht. Zudem war es kein religiöser Konflikt.

 

Jeanne d’Arcs post-mortem Heiligsprechung kann ich nicht nachvollziehen. Die englischen und burgundischen “Armeen” waren eher herumziehende Mörderbanden als eine militärisch unüberwindbare Supermacht. Es brauchte wirklich kein Wunder, sondern eine gute Organisation und Führung, um sie zu vertreiben. Das wäre auch ohne religiösen Klimbim machbar gewesen und geschah ja 8 Jahre nach Jeanne d’Arc auch, als mit einer neuen Kriegs-/ Kopfsteuer ein stehendes Heer finanziert wurde, das die Engländer aus ganz Frankreich vertrieb, bis auf einige Randregionen um Calais, die bis 1558 englisch blieben.

 

Und nochmals vielen Dank an Mecky für die Supererzählung. :blink: Ich werde mir den Film nochmals ansehen!

bearbeitet von Chüeni
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Lieber Chüeni!

 

Ich wusste gar nicht, dass Du historisch so fit bist.

Ja, wenn man es so sieht, dann bleibt von der Heiligkeit Jeannes überhaupt nichts übrig.

 

Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob man nicht in ein paar Jahrhunderten nicht einen nordirischen Kämpfer heilig spricht. Auch hier bezöge sich wohl die Heiligsprechung nicht auf die Gewalttaten, sondern auf eine andere Eigenschaft. Um heilig gesprochen zu werden bedarf es ja einiger Bekanntheit und einer Lobby - und die hat Jeanne ganz einfach durch ihren legendäre Befreierin von Orleans erworben.

 

Ist das so außergewöhnlich? Wenn ich mir den historischen David, die historischen Makkabäer anschaue, dann bleibt auch bei Weitem nicht so viel Heiliges, wie es die Schilderungen in der Bibel suggerieren.

Heilig gesprochen wird oft weniger eine historische Gestalt, sondern das, was sie bedeutet und repräsentiert. Es gibt sogar anerkannte Heilige, von denen zweifelhaft ist, ob sie jemals existiert haben.

 

Ich kann nur sagen, dass mich die Heiligkeit anlässlich des Filmes berührt hat. Und das Faszinierende: Es ist die Heiligkeit einer Sünderin dargestellt. Ich finde das viel fruchtbringender als Kitschversionen, in denen die Sünde der Heiligen kaschiert ist - für mich ist z.B. der Lutherfilm, der gerade läuft, ein Horror.

 

Die Sünde der Hochmut ist mir nicht fremd, das Bewusstsein, einen Auftrag von Gott zu haben auch nicht. Ich weiß auch, dass ich - wie die Film-Jeanne - aus dem Bewusstsein meiner Sendung oftmals Dinge überziehe, das Kind mit dem Bade ausschütte etc.

Für mich ist dann die Jeanne, die ich aus dem Film kennen gelernt habe, eine Heilige. "... und ich erbitte mir Absolution von Gott für die Sünde der Hochmut". Und sie ist für mich eine Ermutigung, meinen Weg und meine Sendung fortzusetzen, auch wenn ich immer wieder Mist baue - hoffentlich keinen so "granatenmäßigen" wie Jeanne.

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Lieber Mecky,

 

ich habe den ersten Teil des Films mit meiner Firm-Nachfolge-Gruppe gesehen, und dazu vorab die Mails versandt. Das war gut.

 

Der zweite Teil folgt in vier Wochen.

 

Herzlichen Dank nochmals dafür

Martin

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Liebe Inge,

 

was hat mich an diesem Film fasziniert?

 

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht mal an der Oberfläche. Er ist einfach schön anzuschauen - die Bilder, die Farben. Wenn ich ihn in meinem DVD-Recorder im Schnellgang durchlaufen lasse, kommt in rascher Folge von jeder Minute ein Bild auf den Bildschirm. Das ist wie eine wunderschöne Diashow.

 

Die Schauspieler. Allen voran übertrifft sich Peter O'Tool als Bischof Cauchon. Vielschichtig: Zärtlich liebt er "sein Kind", wütend wettert er, als er die Raison der Kirche angegriffen sieht. Und als im Jeanne sagt, dass sie ihn, ihren Todbringer, gerettet habe, da ist das Entsetzen in seinem Gesicht greifbar.

Aber auch Peter Strauß als La Hire und sogar die 16-jährige Leelee spielen umwerfend. Als Jeanne gefoltert werden soll, steht sie mit zerzausten Haaren und mit heulendem Gesicht vor Cauchon und fragt ihn, warum er sie dafür bestrafe, dass sie mit Gott rede: Sie ist ein Bild des Jammers, um Jahre gealtert - nur für diesen Augenblick. Der Widerspruch zwischen der stolzen Jungfrau und der gefangenen Frau nimmt mich gefangen.

 

Die Synchronisation ist bescheiden. Erst habe ich mich darüber aufregen wollen - bis mir klar wurde, dass hier etwas wunderbar Nichtkommerzielles geschehen ist: In diesem Film wurden die Dialoge nicht einer geläufigeren Ästhetik geopfert - der Film hat genug an Ästhetik, hier zählt die Aussage der Worte, nicht die Synchronisation. Ist das nicht etwas Besonderes in einer Filmwelt, in der so oft genau andersherum gearbeitet wird?

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Aber all das wäre nur ein Bilderspiel. Das Buch, das Drehbuch. Ansonsten wären alle Bilder nur die perfekte Darstellung einer inhaltlichen Nichtigkeit.

 

Nein, der Film ist nicht historisch - er ist poetisch, und er steht dazu. Seine Wahrheit ist nicht historisch, sondern menschlich. Er stellt die Heiligkeit einer Hexe dar - und dies tut er eben in menschlich sehr glaubwürdiger Weise.

 

Jeanne ist schön, jung, lebendig, intelligent. Fast ein Kitschbildchen. Aber nein! Aber nein! Hier bleibt der Film eben nicht stehen. Sie ist eine tragische Figur mit einem tragischen Schicksal. Und diese Tragik kulminiert nicht einfach nur in dem Schicksal einer verbrannten Hexe, so wie es Ingrid Bergmann darstellt: Das Bedienen eines ach so hübschen Bildes von Mittelalter, Kirche und Politikern. Nix da!

 

Jeanne lebt in diesem Film eine Inspiration, und zwar so, dass man sie sich greifbar vorstellen kann. Sie ist die ganze Zeit hindurch eine heilige Hexe: Der Vorwurf "sie hat Volk und Fürsten betört", ist nicht ganz falsch. Sie hat Hunderte vor Paris in den Tod getrieben. Eine Sünderin, eine Hexe, die die Soldaten zu einem völlig irrsinnigen Unternehmen verhexte und in ihr Grab schickte.

 

Und das naheliegende Klischee einer Heiligen, die erst mal Sünderin war und sich dann bekehrte, und erst ab dann wirklich heilig war, wird durchbrochen: Man kann in der Sünde selbst, in ihrer sündhaften Hochmut, ihre ganze Willensanstrengung hin zum Heiligen erkennen. Sie geht Irrwege, ja, aber in diesen Irrungen ist sie geleitet von einem unbändigen Trieb, das Gute zu bewirken, sich hinzugeben an ihren Glauben (auch wenn dieser irrt). Sie lebt aus all ihrer Kraft der Inspiration, bis sie nach der Katastrophe von Paris zusammenbricht - und umkehrt, um nun aber nicht desillusioniert aufzugeben, sondern geläutert ihrer wahren Bestimmung zu folgen, auch wenn diese auf den Scheiterhaufen führt.

 

Und in dieser Lebendigkeit der irrenden, doch gläubigen Sünderin finde ich mich selbst wieder - insbesondere, weil die Sünde der Hochmut nicht nur ihre Sünde ist, sondern auch die meine. Hier wird nicht nur eine Story heruntererzählt, sondern hier werde ich geholfen, nicht intellektuell, sondern durch ein glaubwürig dargestelltes Vorbild. Und dies Vorbild bleibt auch dann glaubwürdig, wenn die historischen Fakten zum Teil verdreht sind: Wo das Zeugnis der Historie platt oder schlecht ist, erfüllt der Buchautor dieses Zeugnis mit dem eigenen Leben. Im Bilde von Jeanne begegnet dem Zuschauer das Bild der Heiligkeit "an sich", das hier zu einer bildhaften Person eines Filmes gebannt ist. Und das zählt menschlich mehr, als historische Korrektheiten.

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Und diese Heiligkeit Jeannes steht nicht isoliert. Sie lebt in wahrer Konkurrenz - nicht zu Laffen, Dumköpfen, Unterlegenen und Fratzen, sondern zu nicht minder glaubwürdigen Persönlichkeiten wie Cauchon, Charles und La Hire. Jeder Wurf ein Treffer. Jeder von ihnen spielt nicht nur eine Nebenrolle, die die Heilige untermalt. Jeder von ihnen ist ein eigener Lebensentwurf. Jeder von ihnen hat ein glaubhaftes Eigenleben und inspiriert den Zuschauer durch seine eigene Denkweise und Ausgangsposition.

 

Cauchon ist kein Kirchen-Fürsten-Bösewicht aus einem Kitschfilm, La Hire kein rüpelhafter Schlächter, Charles kein dümmlicher Politstümper. Sie alle sind Jeanne ebenbürtig dargestellt - und so kann es zu einer wirklichen Auseinandersetzung kommen: Was heißt Leben?

 

Taktieren, wie Charles?

Einer verbürgten Wahrheit und Gerechtigkeit seine Herzlichkeit opfern, wie Cauchon?

Sich durchsetzen als harter und intelligenter Kämpfer wie La Hire?

 

Dies sind alles Möglichkeiten, die real eingeschlagen werden. Die Filmpersonen erinnern an Bekannte, die ich kenne, an Lebensstrategien, die keinem denkenden Menschen wirklich fremd sind - wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung.

 

Hier prallen die Lebensentwürfe aufeinander und der Zuschauer kann mit jedem von ihnen mitfühlen - und so klärt sich den Film über Jeannes Heiligkeit: Sie steht damit in Auseinandersetzung zu anderen Entwürfen des Lebens, die auch möglich werden. Sie aber personifiziert inmitten von ihnen den Lebensstrom der Heiligkeit.

 

Alle miteinander sind sie tragisch: La Hire, der ewig allein stehen wird, Cauchon, der im entscheidenden Moment sein Kind verrät, Charles, der die Frau in den Tod schickt, die ihn auf den Thron gesetzt hat.

Und alle miteinander haben sie Grund zur Umkehr. Wie auch jeder Zuschauer, der sie sieht.

 

In diesem Film spiegelt sich die Dramatik des menschlichen Lebens - aber nicht perspektivlos.

Abgelichtet ist nicht die Scheußlichkeit des Menschen, auch nicht die Moral vom nackten Affen "sieh, so ist der Mensch". Diesen Elementen, die zwar vorkommen, steht die Heiligkeit der sich verbrennenlassenden Jeanne entgegen.

 

Das Leben bleibt für sie trotz dieses Schicksals ein Leben, das sich zu leben gelohnt hat. Auf dem Scheiterhaufen erblickt sie die heilige Katharina und ruft ihr zu: "Danke! Danke!"

Natürlich nicht historisch - aber es ist die Zusammenfassung eines Lebens. Und ist es nicht besser, mit einem erfüllten Leben, - einen Haufen ehrlicher Worte und bewegender Taten auf dem Buckel - auf dem Scheiterhaufen Gott entgegenzugehen, der die Sünden vergibt, als nie wirklich gelebt zu haben?

 

Der Film ist nicht zu missbrauchen als Bestätigung von idyllischen Heiligenbildchen, als Pflege der selbstgerechen über eine entartete mittelalterliche Fürstbischofskirche, als Stütze für die eigene Redlichkeit, weil man heute ja besser und weiter und humanistischer ist. Der Film nimmt einen mit in das Abenteuer der menschlichen Existenz. Vom Menschen, seinem Schicksal, seiner Heiligkeit, seinen Irrtümern und Sünden spricht er, nicht von historischen Abläufe. Die sind lediglich das Notenpapier - Musik ist etwas anderes.

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